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braunschweigisches jahrbuch - Digitale Bibliothek Braunschweig

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650232 N. Löschtischen Tendenzen war 9 • Fischer wußte sich zu arrangieren, ihm waren eugenischeFragestellungen wichtiger, und hier versuchte er seine Vorstellungen in die Politikund die Gesetzgebung der Nationalsozialisten einzubringen - mit unterschiedlichemErfolg. So bildete er an seinem Institut zahlreiche Beamte, Mediziner und Richter,aber auch SS-Ärzte in "Erbbiologie" aus und trug so zu den Voraussetzungen für denreibungslosen Vollzug der NS-Rassen- und Gesundheitsgesetze bei. Die von ihm undseinen Mitarbeitern angefertigten Gutachten entschieden darüber, ob jemand als"Arier" ein relativ normales Leben führen konnte oder als "Jude" dem Terrorsystemdes Nationalsozialismus ausgeliefert wurde oder als "Erbkranker" seine Fortpflanzungsfähigkeiteinbüßte! Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses"(GzVeN v. 14. Juli 1933) nannte eine ganze Reihe von Erkrankungen, die im Nationalsozialismusals "Erbkrankheiten" eingestuft wurden und bei deren Trägem einezwangsweise Unfruchtbarmachung (Sterilisierung) angeordnet werden konnte. EigeneGerichtshöfe, die sogenannten Erbgesundheitsgerichte, entschieden darüber, wersich im Dritten Reich fortpflanzen durfte! Denn jedes Ehepaar brauchte fortan einespezielle Bescheinigung, die ihm die Freiheit von Erbkrankheiten bescheinigte, erstdann durften sie heiraten. An der Spitze dieses gigantischen "Fortpflanzungs-Kontrollsystems"im "NS-Rassenstaat"l0 stand unter anderem auch Eugen Fischer, derMitglied des Berliner Erbgesundheitsobergerichtes war und zudem einer der einflußreichstenObergutachter.Dies alles muß man wissen, um zu verstehen, weIche Bedeutung es hatte, wenndieser Mann 1935 von den NS-Machthabern an die Gruft Heinrichs des Löwen gerufenwurde. Denn Fischer war eben nicht nur ein Anthropologe, der sich mit "altenKnochen" auskannte (und zudem auf archäologischem Gebiet bestenfalls ein Dilettant).Doch 1935 wurde von der Grabung und den dort auftauchenden Problemenwenig publik. Fischer trat 1942 in den Ruhestand, floh bald darauf vor den anrückendenAlliierten nach Hessen, wo er bis Anfang der fünfziger Jahre in relativer Abgeschiedenheitverharrte. Fischer blieb auch im Alter ein reger und geistig produktiverKopf. Und irgendwann, vielleicht als er bei seiner Rückkehr nach Freiburg seine Papiereordnete, erinnerte er sich an jene Begebenheiten, die sich im Sommer 1935 ander Gruft des Löwen in <strong>Braunschweig</strong> zugetragen hatten - und er fand, sie solltennicht in Vergessenheit geraten!• Dies läßt sich am besten mit dem von S. Volkov geprägten Begriff umschreiben, daß Fischer dem .. kulturellenCode des Antisemitismus" verhaftet war, ohne den mörderischen Antisemitismus der Nationalsozialistenzu teilen. Vgl. dazu Shulamit VOLKOV, Antisemitismus als kultureller Code; in: JüdischesLeben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Dies., 1990, S. 13-36. Speziell zu Fischerund dem Antisemitismus vgl. LÖSCH (wie Anm. 1), S. 278-298.10 Zur Interpretation des Dritten Reiches als "Rassen-Staat" vgl. die wichtige Arbeit von Michael BUR­LEIGH & Wolfgang WIPPERMANN, Tbe Racial State: Germany 1933-1945. Cambridge 1991.

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