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braunschweigisches jahrbuch - Digitale Bibliothek Braunschweig

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650GEDRUCKT MIT FÖRDERUNG DERNORDDEUTSCHEN LANDESBANKGIROZENTRALEHANNOVER-BRAUNSCHWEIG


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>BRAUNSCHWEIGISCHES JAHRBUCHFÜRLANDESGESCHICHTEIM AUFTRAGE DESBRAUNSCHWEIGISCHEN GESCHICHTSVEREINSHERAUSGEGEBEN VONHORST-RÜDIGER JARCKDer ganzen ReiheBand 78,':,1997Selbstverlag des <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichtsvereinshttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Schriftleitung:Ltd. Archivdirektor Dr. Horst-Rüdiger Jarck, Wolfenbüttel, Forstweg 2(Niedersächsisches Staatsarchiv)Rezensionen:Bearbeitet von Archivoberrat Dr. Ulrich Schwarz?(;(t)Zy(fa)Tausch der Vereinsveröffentlichungen:<strong>Braunschweig</strong>ischer Geschichtsverein e. V.Tauschstelle38302 Wolfenbüttel, Forstweg 2(Niedersächsisches Staatsarchiv)Vertrieb:Buchhandlung Am RathausFriedrich Wagner GmbHBohlweg 2938100 <strong>Braunschweig</strong>,. ~.·:·.'t i (. '~ .',,:~,~ I~ ••..... _ i .lSSN 0068-0745Druck und Verarbeitung: poppdruck. 30851 Langenhagen


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650INHALTAufsätzeProbleme und Wege der Namenforschung im <strong>Braunschweig</strong>er Landvon Jürgcn Udolph ........ .............................................. ....... 9Die Äbte von Mariental im 12. und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhundertsvon Christiane Raabe. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35FallersIcben im Mittelaltervon Annette von Boetticher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 65Fensterstiftungen für den BIasiusdom in <strong>Braunschweig</strong> (1471/72 und 1559)von Gesine Schwarz ............ '" . . . .. . . ... . ... . . .. . .. . .. .. . .. . . .. . . .. .... . . .. 87Der Haushalt der <strong>Braunschweig</strong>er Witwe Lucie Kubbeling im Spiegel einerRechnung des Jahres 1520 Der moimen register deß hußholdenvon Kerstin Rahn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129Herzog, Kriegsschiffkapitän, Abenteurer. Unbekannte Quellen 1673-1675aus dem Wolfenbütteler Nachlaß des Christian August von Holstein-Norburgvon Ulrike Strauß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149Eine mittelalterliche Mitra aus St. Aegidien zu <strong>Braunschweig</strong>.Ein Grabfund aus dem ehemaligen Kloster Corveyvon Dörte Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt.Das Exempel des Streits um das Kammergut zwischen demFreistaat Braunsehweig und dem ehemaligen Herzog (von derNovemberrevolution bis zur Volksbewegung zur Fürstenenteignung 1926)von Otmar Jung...................... ............ .... .................. ........ 189Die "Erbgesundheit" Heinrichs des Löwen.Eine Retrospektive zu den Interpretationen der Grabungsbefunde von 1935in der Gruft des Welfenherzogsvon Niels C. Lösch. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227Regionalhistorisehe Forschungen zur NS-Zeit. Ergebnisse und Defizitevon Hans-Ulrich Ludewig ................ .... ........................... ....... 249Kleinere BeiträgeWann kam Hieronymus von M ünchhausen (1720-1791) nach Rußland?von Leonid Lewin .............................................................. 263


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650BibliographieBibliographie zur <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesgeschichte 1996- mit NachträgenvonEwa Warmuth. .. . . .... . .... .. . . ..... . . .. .... . . ... ... .. ....... ...... ... .. ... 267Rezensionen und AnzeigenBe d die s, T.: Becken und Geschütze. Der Harz und sein nördlichesVorland als Metallgewerbelandschaft in Mittelalter und früher Neuzeit(M. Wiswe) ..................................................................... 306Bei der Wie den, C.: Vom Seminar zur NS - Lehrerbildungsanstalt(J. Schmid) ....... .......... ........... ........ ..... ... ..... ....... ....... ....... 334Bei n, R.: Zeitzeugen aus Stein. Bd. 2: <strong>Braunschweig</strong> und seine Juden(D. Lent) . .. . . . .. . . . . .. .. . .. .. .... . .. .. .. . ... . . .. . .... . .. ... .... .. ... .. .. .. ... ... 336Bei s s w a n ger, G.: Arzneimittelversorgung im 18. Jahrhundert.Die Stadt <strong>Braunschweig</strong> und die ländlichen Distrikte im Herzogtum<strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel (u. Strauß)....................................... 322Schloß Bevem. Gebaute Geschichte als Aufgabe (e. Römer) ........ ..... ... 319Bie ge I, G. (Hg.): Auf dem Weg in die Demokratie (D. Lent) ... .... ....... 341B 0 e t t ic her, A. v.: Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkreises Peine(W. Meibeyer) .................................................................. 300Ca sem i r, K. - 0 hai n ski, u.: Das Territorium der WolfenbüttlerHerzöge um 1616 (S. Brüdermann). ...... ........ ... ..... ... .......... ........ 317C r e y d t, D. - Me y e r, A.: Zwangsarbeit in Südniedersachsen und imOberwesergebiet, 3 Bde. (D. Lent) ............................................ 339D ü we I, A.: Sozialrevolutionärer Protest und konservative Gesinnung(E. Eschebach) ................................................................. 332Ern e s t i, e. - Li I g e, G.: Sie waren unsere Nachbarn. Die Geschichte derJuden in Stadtoldendorf (D. Lent) ............................................. 336Fre i, N.: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und dieNS-Vergangenheit (K. E. Pollmann)... ..... ........... .... ..... ..... ... ....... 341Fr i e den t hai, R.: Herzog Heinrich J ulius von <strong>Braunschweig</strong> alsDramatiker (G. Schwarz)............................. .................. ........ 315Gar z man n, M. R. W. - S c h u e g r a f, W.-D. (Hg.): <strong>Braunschweig</strong>erStadtlexikon - Ergänzungsband (u. Strauß) .................................. 298He n sei, H. M. - Ga t t, J. (u. a.): Italo Svevo. Samuel Spiers Schüler(K. E. Pollmann) ............................................................... 333


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650H ö ge man n, J.: Eisenbahnen im Harz, 2 Bde. (H.-M. Amoldt)............ 330H u c k e r, B. U. - Sc hub e r t, E. - W eis b rod, B. (Hg.):Niedersächsische Geschichte (D. Lent) .................... ...... ...... ........ 295K i m p fl i n ger, W. (Bearb.): Baudenkmale in Niedersachsen,Bd. 1.2: Stadt <strong>Braunschweig</strong> (U. Strauß) ................ ...................... 329K I i t t ich, K.: Das Kunstwerk als Historische Quelle an Beispielenaus dem <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesmuseum (B. Marnette-Kühl) ... ........ 299La n g e, H. -G.: Die Geschichte der Juden in Goslarvon den Anfängen bis 1933 (D. Lent) .......... ............ ........ ........... 336Le Ca m, J.-L.: La politique scolaire d'August Le Jeune de Brunswick-Wolfenbüttel et I'inspecteur Schrader (1635-1666/80) (c. Römer) ......... 320Li n dem a n n, M.: Health & Healing in Eighteenth-Century Germany(U. Strauß)...................................................................... 322Mo der ha c k, R.: <strong>Braunschweig</strong>er Stadtgeschichte mit Zeittafelund Bibliographie (M. R. W. Garzmann) . . . . .. . . .. . . .. . . . .. . .. .. . . . . .. ... .. . . . 297M ö Il n e y, U.: Norddeutsche Presse um 1800 (S.Brüdermann) ............. 328Mo m mse n, H. - G rie ge r, M.: Das Volkswagenwerk und seine Arbeiterim Dritten Reich (H.-u. Ludewig) ...................... ....................... 337Naß, K.: Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsischeGeschichtsschreibung im 12. Jahrhundert (U. Schwarz) ...................... 305Pis c h k e, G. - F ö r s t e r I i n g, R.: Gitter. Zwölf Jahrhunderte Geschichte(D. Lent) . ... . . .. . . .. . .. . . . . ... .. . .. . .... . .. . . ... .. .. .. .. . ..... .. .... . . .. ... . . . .. 302Pu h I e, M. (Hg.): Hanse, Städte, Bünde. Die sächsischen Städte zwischenEibe und Weser um 1500 (J. Dolle) ............ .............. ...... ........... 309R i e sen e r, D. - E g ger s, c.: Velpke. Geschichte einer Gemeinde undihrer Ortsteile Meinkot, Wahrstedt, Büstedt (J. Schmid)...................... 303Rund, J.: Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkreises Gifhom(W. Meibeyer) ........................... ......... ...................... ........ 300Sc h mit t, H. - Alb r e c h t, P. (Hg.): Visionäre Lebensklugheit - JoachimHeinrich Campe in seiner Zeit (1746-1818) (A. Boldt-Stülzebach) ......... 324Sc h mit t, H. (Hg.): Briefe von und an Joachim Heinrich Campe, Bd. 1 .(A. Boldt-StüIzebach) .............. ............................................ 326Sc h 0 r n - S c h ü t t e, L.: Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit(S. Brüdermann) ................................................................ 316S pie s, G.: <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiede, 3 Bde. (M. Wiswe) ............. 310Tri e b s, M.: Die Medizinische Fakultät derUniversität Helmstedt (1576-1810) (W. Amold)............................. 318


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650V e d deI e r, P.: Das Niedersachsenroß - Geschichte des niedersächsischenLandeswappens (B. Mamette-Kühl)................................... ........ 307We ihm a n n, S.: "Die sind doch alle weggemacht".Juden in Helmstedt 1933-1945 (D. Lent)..................................... 336NachrufHans-Peter Runte 1927-1997von Horst-Rüdiger Jarck ....................................................... 343ChronikChronik des <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichtsvereinsvon Oktober 1996 bis September 1997 . ...... ... ...... ................. ....... 345VERZEICHNIS DER AUTORENDr. Dörte Becker, HolzmindenDr. Annette von Boetticher, HannoverPriv. Doz. Dr. jur. utr. Otmar Jung, BerlinDr. Leonid Lewin, Orel (Rußland)Dr. Niels C. Lösch, BerlinDr. Hans-Ulrich Ludewig, SchöppenstedtDr. Christiane Raabe, MünchenDr. Kerstin Rahn, SchwerinDr. Gesine Schwarz, WolfenbüttelDr. Ulrike Strauß, <strong>Braunschweig</strong>Prof. Dr. Jürgen Udolph, SieboldshausenEwa Warmuth, VolzumVERZEICHNIS DER REZENSENTEN:Dr. Werner Amold, Wolfenbüttel - Hans-Martin Amoldt, <strong>Braunschweig</strong> -Dr. Annette Boldt-Stülzebach, <strong>Braunschweig</strong> - Dr. Stefan Brüdermann, Hannover­Dr. Josef Dolle, <strong>Braunschweig</strong> - Dr. Erika Esehebaeh, Braunsehweig - Dr. ManfredR. W. Garzmann, Braunsehweig - Dr. Dieter Lent, Wolfenbüttel - Dr. Hans­Ulrich Ludewig, Schöppenstedt - Dr. Beatrice Marnette-Kühl, Wolfenbüttel -Prof. Dr. Wolfgang Meibeyer, Braunsehweig - Prof. Dr. Klaus Erieh Pollmann,Braunsehweig - Dr. Christof Römer, Braunsehweig - Joaehim Sehmid, Veltheim­Dr. Gesine Schwarz, Wolfenbüttel - Dr. Ulrieh Schwarz, Wolfenbüttel - Dr. UlrikeStrauß, <strong>Braunschweig</strong> - Dr. Mechthild Wiswe, <strong>Braunschweig</strong>


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Probleme und Wege der Namenforschungim <strong>Braunschweig</strong>er Land 1vonJürgen UdolphEinleitung. Grundsätzliches zur Bedeutung der geographischen NamenDas besondere Interesse, das die Orts-, Rur- und Gewässernamen immer wieder hervorrufen,ist sprachgeschichtlich begründet. Das Phänomen der Veränderlichkeit derSprachen bringt es mit sich, daß Wörter, die früher einen festen Platz innerhalb einerSprachgruppe hatten, sterben und verschwinden. Jedes Wort erlebt in seiner Geschichteeine Entstehungsphase, eine Blütezeit und einen Niedergang, der bis zumvollständigen Verlust führen kann. Das bedeutet, daß das Wort in der lebenden Sprachenicht mehr verwendet wird und nur noch aus Texten, Wörterbüchern und schriftlichenAufzeichnungen gewonnen werden kann. Im Endstadium kommt es gelegentlichzu der Erscheinung, daß Wörter aus der normalen Umgangssprache verschwindenund in einer gehobenen, leicht angestaubt wirkenden Form weiterleben. So verwendetman etwa Roß für Pferd, Eiland für Insel, geläutert (ein geläuterter Charakter)für ehrlich, rein usw.Zusammenfassend gesagt: Wörter verschwinden und sterben. Aber sie leben oftweiter: in den Orts-, F1ur- und Flußnamen, denn diese sind zäh mit dem Boden verhaftet.Zwar wandelt sich ihre sprachliche Gestalt, indem sie Lautveränderungen, deneneine Sprache immer unterworfen ist, mitmachen, aber sie bleiben konstant amOrt und - was sie besonders wertvoll macht - sie überstehen selbst Völkerwechsel.Mit anderen Worten: "Namen sind der Friedhof der Wörter", denn ein einmal entstandenerName verändert sich nicht mehr. Niemand wird auf die Idee kommen, zu<strong>Braunschweig</strong> jetzt Magdeburg zu sagen oder zur Oker etwa Weser. Die Namen werdenvon Generation zu Generation weitergegeben, ohne Diktat von außen, alleindurch mündliche Überlieferung von der Mutter auf das Kind, von diesem als Erwachsenenwiederum weiter usw.Daher hat das Wort von Jacob GRIMM nach wie vor Gültigkeit: Es gibt ein lebendigeresZeugnis über die Völker, als Knochen, Waffen und Gräber, und das sind ihreI Dieser Aufsatz beruht in wichtigen Teilen auf einer gemeinsam mit H. BLUME (Rraunschweig) 1996veranstalteten Übung zu den Ortsnamen der Stadt <strong>Braunschweig</strong>. In den Text sind auch Gedanken,Meinungen und Ideen der Teilnehmer der Übung eingeflossen. Allen Mitwirkenden - vor allem aberH. BLUME - sei an dieser Stelle für ihre Beiträge herzlich gedankt.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265010 J. UdolphSprachen 2 , und an anderer Stelle: Ohne die Eigennamen würde in ganzen frühenJahrhunderten jede Quelle der deutschen Sprache versiegt sein, ja die ältesten Zeugnisse,die wir überhaupt für diese aufzuweisen haben, beruhen gerade in ihnen ...eben deshalb verbreitet ihre Ergründung Licht über die Sprache, Sitte und Geschichteunserer Vorfahren 3.Ortsnamen sind daher für die Geschichte eines Landes von erheblicher Bedeutung.Das ist auch jedem sprachwissenschaftlichen Laien bewußt. Es gibt keine Ortsgeschichte,die nicht - und zumeist gleich am Anfang der Darstellung - auf den Ortsnameneingeht. Schließlich ist der Name der Siedlung das, was alle Menschen einesOrtes verbindet: ich komme aus Wolfenbüttel sagt nicht nur ein Einwohner, sondernsagen i!lli< Einwohner. Was Wolfenbüttel aber eigentlich bedeutet, wissen nur wenigeExperten. Es ist gerade das Geheimnis der Namen, ihre Undurchsichtigkeit, die dashohe Interesse hervorruft. Verbunden ist dieses nicht selten mit Versuchen, den Namenzu deuten.Eine überzeugende Erklärung eines alten Namens ist jedoch von Laien nicht zu leisten;es sind dazu Kenntnisse der sprachlichen Entwicklung aller auf dem entsprechendenGebiet einmal gesprochenen Sprachen und Dialekte notwendig. Die Aufgabeerfordert ferner enge Vertrautheit mit germanischer Laut- und Wortgeschichte, mitder Bildung altgermanischer Wörter und Namen, z. T. darüber hinausgehend auchKenntnisse indogermanistischer Methoden, denn Namen wie Lamme, Drütte, Sickte,Uehrde u. a. sind nicht immer aus dem Germanischen heraus zu erklären. Vor allemdie osteuropäischen Sprachen, darunter in erster Linie das Baltische, z. T. aber auchdas Slavische, spielen eine wichtige Rolle.So verwundert es keineswegs, daß diese schwierigen Namen den interessierten laienvor große und z. T. unlösbare Aufgaben stellen.Geschichte der ForschungWie im gesamten Land Niedersachsen läßt die Bearbeitung der Ortsnamen des Landes<strong>Braunschweig</strong> sehr zu wünschen übrig. Sieht man von den Beiträgen von W.FLECHSIG 4 ab, so können nur einige wenige Arbeiten genannt werden. Nur am Randesei ein Versuch von H. v. FALLERSLEBEN erwähnt, in dem es auch mehr um Familien-2 J. GRIMM, Geschichte der deutschen Sprache, Leipzig 11145, S. 5.3 Ders., Kleinere Schriften, Bd. 5, Berlin 1871, S. 297.4 W. FLECHSIG, Das nördliche Harzvorland als geschlossener Siedlungsraum in vorgeschichtlicher Zeit,<strong>Braunschweig</strong>ische Heimat 25, 1934, S. 106-112; ders., Das Rätsel der Klinte. Ein namenkundlicherBeitrag zur frühen Besiedlungsgeschichte Ostfalens, <strong>Braunschweig</strong>ische Heimat 44, 1958, S. 36-44;ders., Der Name der Stadt <strong>Braunschweig</strong>, in: Forschungen zur braunschweigischen Geschichte undSprach kunde, hrsg. v. F. TlMME, <strong>Braunschweig</strong> 1954, S. 20-54; ders., Die Ortsnamen des Kreises<strong>Braunschweig</strong> als siedlungsgeschichtliche Quellen, Heimatbote des Landkreises <strong>Braunschweig</strong> 5,1959, S. 37-46; ders., Früh- und vorgermanische Sprachreste in ostfälischen Namen, <strong>Braunschweig</strong>ischeHeimat 66, 1980, S. 11-20,70-87,113-119; ders., Waren Skandinavier oder Holsteiner an derBesiedlung des nördlichen Harzlandes im Mittelalter beteiligt?, Zeitschrift des Harz-Vereins 33,1981,S.23-44.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Namenforschung im <strong>Braunschweig</strong>er Land 11namen als um Ortsnamen geht 5 • Noch immer nicht überholt ist das große Werk vonE. FÖRSTEMANN in der Bearbeitung von H. JELLINGHAUS 6 , allerdings sind darin nurNamen behandelt, die vor dem Jahr 1200 in den Quellen erscheinen. Nicht übergangenwerden kann der namenkundliche Teil in R. ANDREEs <strong>Braunschweig</strong>er Volkskunde7 • In der großen und wichtigen Arbeit über die Flurnamen des Salzgittergebietes hatM. WISWE auch die Ortsnamen einbezogen 8 • Standardwerke wie A. BACHS DeutscheNamenkunde9 oder E. SCHWARZS Deutsche Namenforschung lO haben Norddeutschlandziemlich unbeachtet gelassen. Die Arbeiten von H. KUHNIl sind wegen ihrer umstrittenenThesen (vorindogermanisches Substrat in Norddeutschland) nur bedingtempfehlenswert. In den Fachzeitschriften Beiträge zur Namenforschung 12 und NamenkundlicheInformationen 13 hat Niedersachsen bisher keine große Rolle gespielt.Immer wieder diskutiert wurde die ehemalige Ausbreitung slavischer Orts- undFlurnamen im östlichen Niedersachsen l 4, wobei nicht selten - vor allem bei schwierigenNamen wie Gifhorn, Knesebeck, Ehmen, Olper, Mörse, Velstove, Brome, Ehra,Schwülper - gern zum "Allheilmittel" einer slavischen Deutung gegriffen wurde. Wirwerden darauf zurückkommen.Das große Werk von H. KLEINAU, Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landes<strong>Braunschweig</strong> 15 gibt keine Erläuterungen zu der Herkunft der Namen. Die Untersuchungenvon U. OBERBECK-lACOBS 16 und W. MEIBEYER 17 haben einen siedlungsgeographischenSchwerpunkt. Vereinzelt wurden schließlich Ortsnamen des Braun-5 H. v. FALLERSLEBEN, <strong>Braunschweig</strong>isches t-:amenbüchlein. Einwohner-Namen der HerzoglichenHaupt- und Residenzstadt <strong>Braunschweig</strong>, nach ihrer Bedeutung erläutert, <strong>Braunschweig</strong> 1867.6 E. FÖRSTEMANN, Altdeutsches Namenbuch, Bd. 1: Personennamen, 2. Aufl., Bonn 1900. Bd. 2: Ortsundsonstige geographische Namen. I. Hälfte A-K, 2. Hälfte L-Z und Register, hrsg. von H. JELLING­HAUS, Bonn 1913-1916.7 2. Aufl., <strong>Braunschweig</strong> 1901.• <strong>Braunschweig</strong> 1970; zu den Ortsnamen: S. 465-483.9 Die deutschen Personennamen, T. 1-2; Die deutschen Ortsnamen, T. 1-2; Registerband. Heidelberg1952-56.10 Bd. 1-2, Göttingen 1950.11 Im wesentlichen enthalten in: H. KUHN, Kleine Schriften, Bd. 1-4, Berlin-New York 1969-1978.12 Bd. 1-16, Heidelberg 1949/50-1965 bzw. Neue Folge, Bd. 1 ff., Heidelberg 1966ff.13 Zuvor: Informationen der Leipziger namenkundlichen Arbeitsgruppe an der Karl-Marx-Universität,H. 1 ff., Leipzig 1964 ff.14 R. ANDREE, Die Wendendörfer im Werder bei Vorsfelde, Globus 66,1894, S. 109-114; ders., SlaviseheSiedlungen im westlichen Deutschland, Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen inBöhmen 10, 1872, S. 132-138; P. ROST, Die Sprachreste der Draväno-Polaben im Hannöverschen.Leipzig 1907; P. KÜHNEL, Die slavischen Orts- und flurnamen im Lüneburgischen, Nachdruck Köln­Wien 1982." Teil 1-3, Hildesheim 1967-1968.16 Die Entwicklung der Kulturlandschaft nördlich und südlich der Lößgrenze im Raum um <strong>Braunschweig</strong>,Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft zu Hannover für die Jahre 1956 u. 1957, Hannover1957, S. 25-138.17 Siedlungsgeographische Beiträge zur vor- und fTÜhstädtischcn Entwicklung von <strong>Braunschweig</strong>,<strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch 67, 1986, S. 7-40; ders., Siedlungskundliches über den Papenteich. DieBesiedlung des alten Nordwaldes zwischen Gifhorn und <strong>Braunschweig</strong> während des frühen Mittelaltersim Lichte der Ortsnamen, Gifhorn 1994.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265012 J. Udolphschweiger Landes in neueren namenkundlichen Arbeiten herangezogen 18 • Die Straßennamender Stadt <strong>Braunschweig</strong> hat seinerzeit H. MEIER bearbeitet 19 , einzelne Namenkorrigiert H. BLuME 2o •Vergleicht man mit diesem Überblick etwa die Arbeiten in den neuen Bundesländern,so sind für das Land Brandenburg in der Reihe Brandenburgisches Namenbuchbereits zehn Bände erschienen (zuletzt: S. Wauer, Die Ortsnamen der Uckermark),während der Süden der ehemaligen DDR in bisher 38 Bänden vor allem durch Namenforscherder Universität Leipzig in vorbildlicher Art und Weise bearbeitet wordenist. Gerade dort wartet man auf die Deutung der niedersächsischen Ortsnamen alsdem Heimatland zahlreicher ostdeutscher Siedler, wobei das östliche Niedersachsenzweifellos eine zentrale Stelle einnimmt.Es ist - so hoffe ich - deutlich geworden, daß die Aufarbeitung der Namen des altenLandes <strong>Braunschweig</strong> und der angrenzenden Gebiete noch viel zu wünschen übrigläßt. Bei einem seit Jahren laufenden Versuch, die Orts- und Wüstungsnamen desLandes Niedersachsen systematisch aufzuarbeiten, berührten wir auch das ehemaligeLand <strong>Braunschweig</strong> 21 • Aus diesen Versuchen werden in den nächsten Monaten undJahren erste zusammenfassende Publikationen entstehen, die dem Manko abhelfenwollen 22 •Unter Einbeziehung dieser Arbeiten soll im folgenden versucht werden, erste Ergebnisseder namenkundlichen Untersuchung von Gewässer- und Ortsnamen desehemaligen <strong>Braunschweig</strong>er Landes und seiner unmittelbar benachbarten Gebiete zuumreißen." R. MÖLLER, Niedersächsische Siedlungsnamen und Flurnamen in Zeugnissen vor dem Jahre 1200,HeideIt>erg 1979; ders., Dentalsuffixe in niedersächsischen Siedlungs- und Flurnamen in Zeugnissenvor dem Jahre 1200, Heidelberg 1992; J. UOOLPH, Die Ortsnamen auf -ith~ in: Probleme der älterenNamenschichten, Heidelberg 1991, S. 85-145; ders., Namenkundliche Studien zum Germanenproblem,Berlin - New York 1994." Wolfenhüttel 1904.20 <strong>Braunschweig</strong>er Straßennamen: Hutfiltem, Kaureppein und Abelnkarre, <strong>Braunschweig</strong>er Heimat1994, S. 99-111; ders., in: <strong>Braunschweig</strong>er Stadtlexikon (Ergänzungsbd.), <strong>Braunschweig</strong> 1996.21 Ortsnamenkundliche Veranstaltungen am Sprachwissenschaftlichen Seminar der Universität Göuingen:WS. 1990/91: Kreis Wolfenbüttel (z. T.); SS. 1991: Altkreis Göttingen; WS. 1991/92: AltkreisDuderstadt; SS. 1992: Altkreis Hann. Münden; WS. 1992/93: Kreis Osterode/Harz; SS. 1993: KreisGoslar; WS. 1993/94: Kreis Northeim; SS. 1994: Kreis Holzminden; WS. 1994/95: Kreis Hildesheim;SS. 1995: Kreis Hameln-Pyrmont; WS. 1995/96: Kreis und Stadt Hannover (Teil I); SS. 1996:Stadt <strong>Braunschweig</strong> (gemeinsam mit H. Blume, <strong>Braunschweig</strong>); Slavische Ortsnamen in Niedersachsen;WS. 1996/97: Kreis und Stadt Hannover (Teil 11); SS. 1997: Kreis und Stadt Hannover (TeillII).22 U. OHAINSKI, J. UDOLPH, Die Orts- und Wüstungsnamen des Kreises und der Stadt Hannover (Fertigstellung:März 1998); K. CASEMIR, Die Ortsnamen auf -büttel, Leipzig 1997; H. BLUME, Die OrtsundWüstungsnamen der Stadt <strong>Braunschweig</strong> (in Vorbereitung); K. CASEMIR, Die Orts- und WÜstungsnamendes Kreises Wolfenbüttel und der Stadt Salzgitter (Diss. Göttingen; in Vorbereitung);TH. ORTHMANN, Die Orts- und Wüstungsnamen des Kreises f\ortheim (Diss.-Vorhaben Göttingen).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Namenforschung im <strong>Braunschweig</strong>er Land 13FlußnamenOft unbemerkt von der landesgeschichtlichen Geschichtsforschung haben sich in derUntersuchung der europäischen Gewässernamen in den letzten Jahren entscheidendeFortschritte erzielen lassen. Sie sind vielleicht deshalb übersehen worden, weil dabeider Osten Europas eine sehr wichtige Rolle spielt, man sich aber bisher kaum vorstellenkonnte, daß von dieser Region aus Hinweise für die Lösung mitteleuropäischerNamen kommen könnten.Die modeme Erforschung der Fluß namen (Hydronyme ) ist mit dem Namen vonHANS KRAHE verbunden. Seine grundlegenden Untersuchungen der GewässernamenEuropas 23 haben deutlich gemacht, daß unter einer einzelsprachlichen Schicht vonNamen (also germanischen, slavischen, keltischen usw.) ein noch älteres Substrat vonaltertümlichen Hydronymen liegt, dessen Entstehung in die Zeit vor der Herausbildungder indogermanischen Einzelsprachen zu setzen ist. Wie sonst ließe sich erklären,daß ein Name wie der der Aller « "Alara) mit dem der Ola in Weißrußland, derA/lia in Latium, der Alme in Westfalen, mit I1menau, Alle (Allenstein), Elz (·Alantia)und E/senz (*Alisontja) verglichen werden und an eine vor allem in den baltischenSprachen bezeugte indogermanische Wurzel "e/-I*o/- "fließen, strömen" angeschlossenwerden kann? Wie soll man Nidda bei Frankfurt mit der Nida bei Krakauvergleichen, wenn nicht unter Zuhilfenahme von altindisch nedati "fließt, strömt"?Weder kann man die Nidda aus dem Slavischen, noch die Nida bei Krakau aus demKeltischen erklären. Es bleibt nur übrig, die Entstehung derartiger Namen, die manseit H. KRAHE der A/teuropäischen Hydronymie zurechnet, in die Zeit vor die Aufspaltungder indogermanischen Einzelsprachen zu legen. Damit aber geraten wirleicht in eine Zeit vor Christi Geburt, wahrscheinlich sogar in das zweite vorchristlicheJahrtausend.Wichtige Modifikationen der Alteuropa-Theorie H. KRAHES hat W. P. SCHMID vorgenommen24 • Zum einen konnte er durch den Nachweis, daß sich in den europäischenFlußnamen Typen befinden, die ausschließlich mit Hilfe von ostindogermanischen(indischen, iranischen, hethitischen) Wörtern (Appellativa) etymologisiert werdenkönnen (man vergleiche oben Nida, Nidda und altindisch nMati), H. KRAHES Meinungkorrigieren, an der alteuropäischen Hydronymie hätten nur westindogermanischeSpraehgruppen Anteil und die Gewässernamen repräsentierten eine Art Zwischenschicht.In den alteuropäischen Hydronymen verbergen sich vielmehr Namenindogermanischer Herkunft, deren unterschiedliches Alter und unterschiedlicheStreuung noch diskutiert wird.23 H. KRAHE, Unsere ältesten Flußnamen, Wiesbaden 1964; ders., Die Struktur der alteuropäischen Hydronymie,Mainz-Wiesbaden 1962; ders., Aufsatzreihe: Alteuropäische Flußnamen, Beiträge zur Namenforschung1-16, Heidelberg 1949-1965.2. W. P. SCHMID, Alteuropäisch und Indogermanisch, Mainz-Wiesbaden 1968; ders., Baltische Gewässemamenund das vorgeschichtliche Europa, Indogermanische Forschungen 77, 1972, S. 1-18.ders., Die alteuropäische Hydronymie, Stand und Aufgaben ihrer Erforschung, Beiträge zur Namenforschung,Neue Folge 16, 1981, S. 1-12. Jetzt zum größten Teil zugänglich in: W. P. SCHMID,Linguisticae Scientiae Collectanea. Ausgewählte Schriften, Berlin - New York 1994.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265014 J. UdolphZum andern hat W. P. SCHMID gezeigt, daß sich im Baltikum ein Zentrum alter Namenherausarbeiten läßt, das sich auch in den Flußnamen wiederfindet. Daß derOsten Europas von besonderer Bedeutung auch für deutsche Namen ist, konnte unlängstanhand einer detaillierten Untersuchung der polnischen Gewässernamen vorslavischerHerkunft weiter gestützt werden 25 • Die hier skizzierten Untersuchungenhaben auch Konsequenzen für Fluß- und Ortsnamen in <strong>Braunschweig</strong> und Umgebung.Das gilt z. B. für Schunter und Ehmen.Unter Zusammenfassung der bisherigen Erörterungen zur Schunter2 6 (zu der sichu. a. auch schon J. GRIMM geäußert hatte), läßt sich sagen, daß der Name zu einerGruppe von deutschen und skandinavischen Flußnamen gehört, die auf einen Ansatz·skeud- weisen, wozu aind. skundate "eilt", Iit. skudrUs, skaudrUs "flink" und germ.·skeud- in ais!. skj6ta, alteng!. sceotan "schleudern, stoßen, schießen", dt. schießengehören. Daneben ist aber im Germanischen eine im auslautenden Dental abweichendeVariante *skut- bezeugt: eng!. shudder, dt. schaudern, ags. scüdan, ais!. skynda.Die Schunter gehört zur ersten Variante, zeigt aber zusätzlich eingeschobenes -n­(sogenanntes -n-Infix), das nach Auffassung früherer und neuerer Forschungen oftein Kennzeichen voreinzelsprachlicher Herkunft ist. Somit stcht die Schunter sowohlin Beziehung zum germanischen Wortschatz wie auch zu einer älteren, voreinzeIsprachlichverbreiteten Bildungsweise. Verwandte Namen wie Schondra (Nfl. derSaale, auch ON.), Schutter (Nfl. d. Kinzig und der Donau), Scho(t)zach (Nfl. d. Nekkar),Schussen, Fluß z. Bodensee und der Seename Skundern in Södermanland bestätigendieses.Die Schunter bildet somit eine Art Bindeglied. Um so bemerkenswerter ist die Tatsache,daß der Osten Europas Namen kennt, die zur weiteren Aufhellung beitragenkönnen. Das ist zum einen der Orts- und Gewässername Szkotowo bzw. Szkotawa beiAllenstein (Ostpreußen), alt Skottaw, Schkottau, Skotaw, den R. PRZYBYTEK 27 mit denlitauischen Gewässernamen Skutulas, Skutu!e sowie skutule, skutulas .. etwas ausgemeißeltes;Quirl, Stab zum Durchrühren" verbindet, zum anderen der inzwischen verschwundeneFIN. Chytra im Gebiet des Westlichen Bug, alt Chytra, der auf ·sküt-rzurückgehenkann 28 •Die Stützen im Osten sind besonders deutlich im Fall des bisher unklaren undz. T. für slavisch gehaltenen 29 Ortsnamens Ehmen (heute OT. von Wolfsburg). Die2' J. UDOLPH, Die Stellung der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuropäischen Hydronymie, HeideIberg1990. Vgl. schon früher ders., Ex oriente tux - Zu einigen germanischen flußnamen. In: Beiträgezur Namenforschung, Neue Folge 16, 1981, S. 84-106; ders., Ex oriente tux - auch in deutschenflurnamen. In: Gießener flurnamenkolloquium, Heidelberg 1985, S. 272-298.26 A. GREULE, Vor- und frühgermanische flußnamen am Oberrhein, Heidelberg 1973, S. 216; H. KRA­HE, Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 69, 1947, S. 483-485; ders., Namenforschung,Fs. f. A. BACH, Heidelberg 1965, S. 193 ff.; A. SCHMID, Beiträge zur Namenforschung13, 1962, S. 103 f.; S. STRANDBERG, in: Probleme der Namenbildung, Stockholm 1988, S. 18; ders.,Namn och Bygd 71,1983, S. 143; UDOLPH, Studien (wie Anm. 18) S. 71-74.27 Onomastica 30, 1986, S. 106; 31, 1987, S. 47.21! E. BILUT, Gewässemamen im flußgebiet des Westlichen Bug, Stuttgart 1995, S. 32.29 P. KÜHNEL (wie Anm. 11), S. 349; W FLECHSIG, Historisch-Landeskundliche Exkursionskarte vonNiedersachsen. Blatt Wolfsburg, Erläuterungsheft, Hildesheim 1977, S. 91, 100.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265016 J. UdolphA.) Hochdeutsche NamenDer <strong>Braunschweig</strong>er Ortsteil Gartenstadt entstand als Siedlung erst im 20. Jh. (1933Dietrich-Klagges-GartenstadP6). Der ursprünglich im Namen erscheinende DietrichKlagges (NSDAP) war seit 1930 Innenminister und von 1933 bis 1945 Ministerpräsidentdes Freistaats <strong>Braunschweig</strong> 37 • Die Bedeutung des Namens ist klar.Hochdeutschen Ursprungs könnte auch Steinhof, Gut bei WatenbüttcJ, sein. Dieälteren Formen (1523 By dem Stein, 1539-46 im Stein usw. 38 ) zeigen hochdeutscheLautung (aIIerdings kann auch Verhochdeutschung eines ursprünglich niederdeutschenNamens vorliegen). Der Name ist leicht zu deuten (Stein-hof); der Zusatz -hofscheint erst später hinzugetreten zu sein.Die relativ lcichte Deutung hochdeutscher Namen ist dureh die Nähe zum heutigenWortschatz verständlich. Die Schwierigkeiten erhöhen sich, sobald man in zeitlich frühereSchichten vordringt.B.) Niederdeutsche Namen sind sehr viel häufiger anzutreffen. Heutigen Bewohnern<strong>Braunschweig</strong>s und der Umgebung ist oft nicht mehr bewußt, daß das Niederdeutschediejenige Sprache gewesen ist, die bis in die jüngere Vergangenheit hinein gesprochenwurde. In den Namen kann man diese Spuren leicht erkennen, aIIerdings hat dasHochdeutsche nicht selten zu einer Überlagerung alter Lautungen geführt. Entscheidendfür die Beurteilung sind die historischen Belege eines Namens.a.) Bildungen mit -husenDie alten Belege von Riddagshausen (1146 Ritdageshvsen, Reddageshusen, 1150Riddageshusen, 1160 Riddageshusen USW. 39 ) zeigen deutlich, daß im Grundwort (dasist der zweite Teil des Namens) niederdeutsch -husen vorliegt, ein alter Plural zu hüs"Haus, Niederlassung, Siedlung". Das Bestimmungswort (der erste Teil des Namens)enthält einen Personennamen Rik-dag- (das in Riddag- übergeht), dessen zweiter Teilauch vorliegt in den Ortsnamen Levedagsen, Voldagsen, Eldagsen, Odagsen. ImKreis Hameln ist zudem eine Wüstung bezeUgt40, deren Name Riddagsen eine genaueEntsprechung zu Riddagshausen ist 41 .b.) Bildungen mit -wortHohewort, eine Anhöhe an der Oker, heute ein Straßenname in <strong>Braunschweig</strong>, erscheint1529 als Hogeworr4 2 • Der Name enthält ndt. höch, hög "hoch" und ein Wort,das vor allem aus Orts- und Flurnamen bekannt ist. Zugrunde liegt rondo wurt, wort,36 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil I, S. 210.37 Für Hinweise danke ich H. BLUME (<strong>Braunschweig</strong>) sehr herzlich.30 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 2, S. 595.39 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil I, S. 100.40 Vgl. RUDORFF, Das Amt Lauenstein, Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen 1858,S.264ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Namenforschung im <strong>Braunschweig</strong>er Land 17altsächs. wurdh "Boden", altengl. wordh "Straße vor einem Haus", womit zunächstwohl eine erhöhte Stelle bezeichnet worden ist. Hierher gehört zum Beispiel auch derLandschaftsname Wursten, der mit der Wurst nichts zu tun hat, sondern die Wurt-satten,"die auf den Wurten Sitzenden", meint. Davon abgeleitete Namen erscheinen vorallem in Norddeutschland und England 43 •Das Wort ist alten Ursprungs, denn mit Wechsel des Vokals (Ablaut) ist es verwandtmit dem altgermanischen Wort für die " Insel" , werder (Dt. Insel ist Lehnwortaus dem Lateinischen). Die Verbreitung der mit werd(er) gebildeten Ortsnamen 44deckt sich im wesentlichen mit der von wort-. Wir beobachten in beiden Verbreitungenbesondere Beziehungen zwischen Norddeutschland und England 45 •c.) Bildungen mit -hemDie alten Belege für Broitzem 116C Brochem, (um 1200) (K. 14. Jh.) Brochem, 1179Brotseim, (1219-1225) Brotsem 46 zeigen, daß neben ndt. -hem "Heim, Siedlung,Dorf" ein Element brök- vorliegt, ein Wort, das im Hochdeutschen als Bruch bekanntist und im Althochdeutschen "Sumpf, Sumpfboden" und im Altenglischen "Bach"bedeutete.Interessant ist der Name vor allem deshalb, weil er Spuren des sogenannten "Zetazismus"enthält, einer altniederdeutschen Entwicklung, die altes -k- zu -Z-, -tz- veränderthat. Wir kennen es auch aus den Namen Zeven, Eitzum, Elze, Celle, Itzehoe,lerze, Wietze, Sickte, Broistedt und anderen. Wichtige Beiträge zu dieser Erscheinunghaben unter anderem W. SEELMANN 47 , A. LASCH 48 , C. WALTHER 49 und H. WESCHE sOvorgelegt, man vergleiche auch A. BAcu sl .Diese Entwicklung ist nicht immer genügend beachtet worden; vor allem bei derFrage von mutmaßlich slavischen Ortsnamen im östlichen Niedersachsen - und damitauch im <strong>Braunschweig</strong>er Gebiet - ist Vorsicht geboten.Stöckheim, OT. von <strong>Braunschweig</strong>, 1007 (A. 14. Jh.) Stokkem, um 1166 (A.14. Jh.) Stokhem, 1179 Stochern usw.sz zeigt durch seine Belege, daß hochdeutsch-heim erst sekundär eingedrungen ist. Auszugehen ist von der niederdeutschen Form43 Vgl. A. ThOMSEN, .wort" und .wert"-Namen in den Küstenländern der Nordsee, Diss. Hamburg1962; J. UOOLPH (wie Anm. 18), S. 750 f.44 Ausführlich zu werder: J. UOOLPH (wie Anm. 18), S. 729ff.45 Zur Auswertung dieses Sachverhaltes: J. UOOLPH, Die Landnahme Englands durch germanischeStämme im Lichte der Ortsnamen. In: Nordwestgermanisch, Berlin-New York 1995, S. 223-270... H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 1, S. 107.41 Der Zetacismus und seine Verbreitung in Niedersachsen, Niederdeutsches Jahrbuch 12, 1886,S.64-74 ... Palatales k im Altniederdeutschen. Neuphilologische Mitteilungen 40, 1939, S.241-318 und387-423.49 Der Name Itzehoe, Korrespondenzblau des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 32, 1911,S.83-87.so Zetazismus in niedersächsischen F1urnamen, in: Indogermanica. Festschrift f. W. KRAUSE, Heidelherg1960, S. 230-248." Deutsche Namenkunde, Bd. 2, Teil 1, Heidelberg 1953, S. 36.52 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 2, S. 602.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265018 1. Udolph-hem. Im ersten Teil des Namens erkennt man niederdeutsch, hochdeutsch Stock, einElement, das in Ortsnamen häufig erscheint, die Namengebung bezieht sich zumeistauf bei der Rodung stehengebliebene Wurzelstöcke.Zu der seit o. BETHGE 53 immer wieder vertretenen Ansicht, Stockheim-Namenkönnten wegen ihrer stereotypen Bildungsweise und im Zusammenhang mit Namenwie Bergheim, Talheim, Kirchheim, Nordheim, Ostheim, Südheim, Westheim auffränkische Siedlungen in der Nähe eines Königshofes o. dgl. hinweisen 54 , werde ich ananderem Ort ausführlich zurückkommen 55 • Aber schon D. RosENTHAL verwies 56 aufdänische Ortsnamen, bei denen fränkischer Einfluß von vornherein unmöglich ist.d.) Bildungen mit -rodeDie auf eine Rodung weisenden Ortsnamen bieten nur wenige Probleme. Abgesehenvon Bildungen mit Himmelsbezeichnungen (Osterode, Westerode) stecken vor allemPersonennamen im ersten Teil der Namen, so auch in Gliesmarode, 1031 Glismoderoth,1150 Lismoderothe, 1211 Glismoderoth 57 ein Personenname Glismod, in Melverode,1007 (A. 14. Jh.) Meinoluesrode, 1179 Meinolueroht, 1186 (A. 14. Jh.) Melveroth58 ein Personen name Maginwolf, Meinwolj. In Völkenrode, 1307 van VOlclingherode,1344 (K.) Volklingerode, 1352 van Volkelingerode5 9 , und Volkmarode, 1154de Volcmariggerod, 1160 de Folkmerrothe 60 liegt die in Ortsnamen rund um den Harzbeliebte Kombination -ingerode vor, am bekanntesten vielleicht durch Wemigerode 61 •Keinen Personennamen enthält allerdings Mascherode, 1192 Marscheroth, 1204(villa) Mascherode, 1219 (?) Marskeroth 62 , vielmehr ist hier an deutsch Marsch, dialektalauch Masch, anzuschließen, worin eine altgermanische Bildung *mar-isk- vorliegt,eine Ableitung zu dem weit verbreiteten Wort für Meer, germanisch mari, dasursprünglich nicht "offenes Meer, hohe See" bedeutete, sondern "Teich, Sumpf, Mo-53 Frankische Siedelungen in Deutschland, aufgrund von Ortsnamen festgestellt, in: Wörter und Sachen6, 1914, S. 58-89. Dazu jetzt ausführlich C. JOCHuM-GODGLÜCK, Die orientierten Siedlungsnamenauf -heim, -hausen, -hofen und -dorfim frühdeutschen Sprachraum und ihr Verhältnis zur fränkischenFiskalorganisation, Frankfurt/Main 1995.,. Vgl. etwa D. ROSENTHAL, Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 14, 1979, S. 361 und H.-J. NITz,Historische Kolonisation und Plansiedlung in Deutschland (Ausgewählte Arbeiten, Bd. 1), Berlin1994, S. 101 (der mit Recht eine Lösung von Seiten der Namenforschung fordert)." J. UDOLPH, Fränkische Ortsnamen in Niedersachsen, Druck vorgesehen in: Göttinger Forschungenzur Landesgeschichte, Göttingen 1998, S. 1-70.56 In: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 14, 1979, S. 390.57 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil I, S. 96.58 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 1, S. 97.59 Urkundenbuch der Stadt <strong>Braunschweig</strong>, Bd. 2, Nr. 301; H. KLEII


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Namenforschung im <strong>Braunschweig</strong>er Land 19rast, Binnengewässer"63. Anders wäre sonst zum Beispiel die Existenz eines Meerdorfnordwestlich von <strong>Braunschweig</strong> nicht zu erklären 64 •e.) Bildungen mit -vordel-fördeDas aus Namen wie Eckernförde, Königsförde und Herford bekannte niederdeutscheWort für die "Furt" mußte sich, den Lautgesetzen des Germanischen und Niederdeutschenentsprechend, im Nebenton zu einem abgeschwächten -jerde oder nochweiter zu einfachem -erde entwickeln 65 • Daher ist dieses Wort auch enthalten in Afferde,Esperde, Hasperde, Lafferde, Latjerde, Lauenförde, Leiferde und anderen Ortsnamen.Hierzu zählt auch Leiferde südlich von <strong>Braunschweig</strong>, 1176 (A. 14. Jh.) Lefvorde,1181 (A. 14. Jh.) Lefforde, 1268 Henricus de Leyferde 66 • Die Furt ist leicht zu erkennen,noch heute führt die Straße nach Osten über die Oker. Nicht so leicht zu lösen istjedoch der erste Bestandteil des Namens. Geht man von einem frühen Verlust einesalten H-Anlautes aus (wie etwa bei h1uttar > lutter, lauter), so wird man auf ein germanischesWort geführt, das K. BlscHoFF ausführlich behandelt hat 67 : es ist germanisch*h1aiwa "Hügel", auch "Grabhügel", zum Beispiel in altnordisch hlaiwa-, einWort, das nach K. BlscHoFF "zum frühesten Bestand des Germanischen gehört", daes mit lateinisch cJivus "Hügel" urverwandt ist.Wie man es nicht anders erwarten kann, rechnet man auch in diesem Fall - wirwerden noch weitere kennen lernen - mit nordischem Einfluß. Nach Darlegung verschiedenerArgumente heißt es bei K. BISCIIOFF: Die nach Süden vordringenden Germanenhaben es in der Frühzeit und bei späteren Schüben mitgenommen. Die Unhaltbarkeiteines Zuzuges aus Norden zeigt sich aber schon an einer Bemerkung vonH. KUHN: In den nordischen Ortsnamen ist *hlaiwaz, soviel ich weiß, nirgends eindeutigfaßbar.Es schien daher nötig, sich ein Gesamtbild der Verbreitung der h1aiwa-Namen zumachen und eine Kartierung der zugrunde liegenden Namen vorzunehmen 68 • Diesezeigt folgendes Bild: Skandinavien ist frei von *hlaiwa-Namen. Aufgrund diesesSachverhaltes verwundert es, daß man behauptete, von Norden einwandernde Germanenhätten diesen Ortsnamentypus nach Süden, sprich Deutschland, gebracht.Nicht nur in diesem Fall (zu weiteren Argumenten s. u.) sprechen die namenkundli-63 Ausführlich zu mari, mare, 'mar-isk-, Marsch einschließlich Kartierung: J. UDOLPH (wie Anm. 18),S. 330ff... Zu diesem Namen ausfilhrlich: J. UDOLPH, Der Ortsname Meerdorf, in: Festschrift zur 8S0-Jahrfeiervon Meerdorf (im Druck) .• , Zu diesem Wort und damit gebildeten Namen vgl. H. TIEFEN BACH, Furtnamen und Verwandtes, in:Untersuchungen zu Ilandcl und Verkehr der vor- und früh geschichtlichen Zeit, Teil V, Göttingen1989 (= Abhandlungen der Akad. d. Wiss. Göttingen, Phil.-hist. Klasse, Nr. 180), Göttingen 1989,S.262-290.fo6 H. KLF.INAU (wie Anm. 15), Teil 2, S. 368.67 K. BISCHOFF, Germ. 'hlaiw- ,Grabhügel, Grab, Hügel' im Deul~chen (= Abhandlungen der GeistesundSozialwiss. Klasse der Akad. d. Wissenschaften u.d. Literatur zu Mainz, Jg. 1979, Nr. 3), Mainz­Wiesbaden 1979.... Vgl. J. UDOLPH (wie Anm. 18), S. 863 ff. mit Karte 67 (S. 865).http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265020 J. Udolphchen Fakten - und darunter als ein Mosaikstein auch der Ortsname Leiferde - gegeneine nordische Zuwanderung. Ganz anders stellt sich dagegen die Beziehung zu Englanddar. Es zeigt sich eine weitgehende Übereinstimmung mit der Streuung der schonbehandelten Namen auf -wort, die um so bedeutsamer ist, als man mit K. BISCHOFFkonstatieren muß, daß das Wort vom Festland auf die Insel mitgebracht worden ist 69 •Es darf noch verwiesen werden, daß nach bisheriger Erkenntis Leiferde ein Unikumin der germanischen Namenwelt ist: kein anderer Name enthält hlaiwa + ford"Furt". Leiferde im Kreis Gifhorn geht auf altes Lit-forde zurück.C Slavische Namen?In der Umgebung von <strong>Braunschweig</strong> hat man in den Ortsnamen nicht selten slavischeRelikte finden wollen. Es steht völlig außer Frage, daß Niedersachsen entsprechendeReste der slavischen Besiedlung kennt1°. Die sichersten Spuren finden sich im benachbartenKreis Gifhorn in den Namen Culeitz, Küstorf, Lessien, Lüben, Plastau,Teschendorf und Tü!au, also ca. 40-50 km von <strong>Braunschweig</strong> entfernt. Der KreisGifhorn enthält aber auch viele nichtslavische Namen, die gelegentlich aus Mangel ansicheren Deutungen für slavisch gehalten worden sind. Ich nenne hier nur - ohne aufEinzelheiten eingehen zu können - Boitzenhagen, Brome, Croya, Dragen, Ehra, Eischott,Eutzen, Gifhorn 71, Jembke, Knesebeck, Lüsche, Mahnburg, Osloß, Schwülper,Stüde, Tiddische 72 •Aus der näheren Umgebung von <strong>Braunschweig</strong> sind gelegentlich als slavisch bezeichnetworden: Olper (s. u.), Wenden 73 , Wendeburg, Wendezelle, Wendessen, Ehmen(vgl. oben), Mörse, Velstove, Wendschott, Rennau, Wendhausen. Alle diese Ortetragen keinen slavischen Namen, wie eine detaillierte Untersuchung im Rahmen einesSeminars 74 gezeigt hat.Es darf als gesichert gelten, daß die slavische Besiedlung das <strong>Braunschweig</strong>er Landnur gestreift hat. Es ergibt sich daraus aber sofort die Frage, welcher Art die vor dieniederdeutsche Zeit zurückreichenden Toponyme sind. Nicht selten hat man deshalbzu Slavischem gegriffen, weil eine zufriedenstellende Deutung nicht gelingen wollte.Es war jedoch, wie schon oben bemerkt wurde, ein Notbehelf. Die Problematik liegtin dem hohen Alter der Ortsnamen und in der Schwierigkeit ihrer Deutung .• 9 K. BISCHOFF (wie Anm. 67), S. 4.70 Zur Frage der Heimat der Slaven aus namenkundlicher Sicht s. J. UDOLPH, Studien zu slavischen Gewässernamen und Gewässerbezeichnungen. Ein Beitrag zur Frage nach der Urheimat der Slaven, Heidelberg1979.71 Vgl. vorerst Aller-Zeitung Nr. 240 vom 11. Oktober 1996.72 Auf die Überbetonung des sla\ischen Elements bei J. D. BÖDECKER, Das Land Brome und der obereVorsfelder Werder, 2. Aufl., <strong>Braunschweig</strong> 1986, wird an anderer Stelle bei der Behanctlung der Ortsnamendes Kreises Gifhorn zurückzukommen sein.73 Aus germ.·Win-ith~ vgl. UDOLPH (wie Anm. 18), S. 276-284.74 Vgl. Anm. 21.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Namenforschung im <strong>Braunschweig</strong>er Land 21Die älteste OrtsnamenschichtDie Untersuchung der germanischen Namen steht - so seltsam das auch klingen mag- erst am Anfang ihrer Geschichte. Bis vor wenigen Jahren galt es als völlig sicher, daßmit altertümlichen Namen nur im Norden Europas zu rechnen sei. Diese Bemerkungkann mit Dutzenden von Zitaten belegt werden 7 S, einige wenige mögen genügen.So äußerte W. FLECHSIG 1981 76 : Seit der späten Bronzezeit erreichten wiederholtsüdwärts wandernde Siedlergruppen verschiedener Stammeszugehörigkeit aus demgermanischen Norden meist wohl auf dem Wege über die Mitteieibe das nördlicheHarzvorland .... Vehement hat sich vor allem E. SCHRÖDER für nordischen Einflußausgesprochen: so werden die Warnen mit den -leben-Namen verknüpft und ausSkandinavien hergeleitet, auch die -büttel-Siedler, die weit später kamen, [waren} echteNordländer . .. So haben sie mitgebracht das dänische wedel für ,Furt' ... , weiter daseminent skandinavische klint ... Vor allem aber -wie: ... es ist der nordische ... Ausdruckfür Meeresbucht 77 • Und für skandinavische Forscher ist es selbstverständlich,daß - mit den Worten von o. BANDLE - Skandinavien den größten Anteil einstämmigerFlußnamen germanischer Herkunft aufweisr7 8 •Wenn man bedenkt, daß die skandinavische Heimat der Germanen bereits denWeg bis in jedes Schulbuch gefunden hat1 9 , so wird man sich fragen, ob das nicht auchden Tatsachen entspricht. Nun, wir hatten schon oben im Fall des nach K. Bischoff ältestengermanischen Hügelwortes hlaiwa gesehen, daß man offenbar so sehr von dernordischen Heimat überzeugt ist, daß eine Überprüfung überhaupt nicht mehr stattfindet.Es sind aber gerade die geographischen Namen, die hier entscheidende Auskünftegeben und der allgemein vertretenen Ansicht nachhaltig widersprechen. UndNamen aus der <strong>Braunschweig</strong>er Gegend und des Mitte\clbegebietes sind in dieserHinsicht besonders wichtig.a. Thune, OT. von <strong>Braunschweig</strong>, 1273 (A. 14. Jh.) Castrum Thune, 1293 Tvne,1347 von dem Thune usw. 80 gehört zu einer umfangreichen Gruppe von Namen ausallen germanisch besiedelten Ländern, die ein Wort für "Stadt, Siedlung", teilweiseauch "Zaun" enthalten. Es ist urverwandt mit keltisch -dunum (vgl. Lopodunum"Ladenburg" , Kambodunum "Kempten"). Besonders häufig ist es in englischen Ortsnamenals -ton nachweisb3l; z. B. Weston, Eaton, Norton, Hampton, Remington,Horton usw. Der Norden kennt es als Altuna, Dingtuna, Frästuna, Hovtun, Nicktuna," Vgl. J. VDOLPH (wie Anm. 18), S. 830ff.76 Waren Skandinavier oder Holsteiner an der Besiedlung des nordlichen Harzrandes im Mittelalter beteiligt?,Zeitschrift des Harz-Vereins 33, 1981, S. 23-44; hier: S. 23.77 Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 10, 1933, S. 18.7. Zur Typologie der germanischen Außnamen, in: Florilegium Nordicum (Festschrift f. S. FRIES), Vmeä1984, S. 19. Dagegen: J. Vom.PH, Germanische Hydronymie aus kontinentaler Sicht. In: Beiträge zurNamenforschung. Neue Folge 24, 1989, S. 269-291.79 Auf die Tatsache, daß auch nationalistische Tendenzen eine Rolle gespielt haben, gehe ich hier nichtein. Man findet dazu wichtige Einzelheiten bei R. HACHMANN, Die Goten und Skandinavien, Berlin1970; L. RÜSEKEIL, Suebica. Völkemamen und Ethnos, Innsbruck 1992, S. 75 ff.; K. v. SEE, Barbar,Germane, Arier. Die Suche nach der Identität der Deutschen, Heidelberg 1994.RU H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 1, S. 619.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265022 J. UdolphSigtuna u.a.m., aus Norddeutschland nenne ich Anderten, Barnten, Bovenden, Dörnten,Giften, Uten, Lochtum, Nörten bei Göttingen 81 •b. Lehre im Kreis Helmstedt, 830-840 (A. 12. Jh.) Lerin, 8.19. Jh. (Abschr.12. Jh.) Lerim, 888 Leri, gehört zu der großen Gruppe der -Iar-Namen um Buttlar,Dorlar, Fritzlar, Geislar, Goslar, Lindlar, Dinklar, Uslar, Leer, Lahr, Beukelaar, Heßlar.H. DITTMAIER hat die Namen zusammengestellt 82 und in ihnen ein Wort für "Hürde,Pferch" gesehen. Das wird kaum richtig sein. Es besteht die Möglichkeit, eine Verbindungmit dem wichtigsten slavischen Wort für den "Wald", russisch les, polnischlas, herzustellen. In jedem Fall handelt es sich um ein altes Wort. Dem Norden ist esunbekannt 83 •c. Weddel (Kr. Wolfenbüttel), um 1226 Wedele, 1231 Wedele, 1381 Weddele, gehörtzu den Namen, die nach H. Wesche, E. Schröder u. a. aus dem Norden eingewandertsind. Bei E. Schröder heißt es: Es kann mithin kein Zweifel sein: Wedel unddie Bildungen mit -wedel kennzeichnen den Weg einer s k a n d i na vi sc he n Invas ion . .. 84. Darauf aufbauend hat W. Flechsig eine Karte entwickelt, die unterdem Titel "Nördliche Einfälle in den ostfäIischen Orts- und Flurnamen (,Wedel',,Büttel', ,Klint')" die südlichsten Vorposten nördlich des Harzes aufzeigen so1l85.Der Name enthält ein altes Wort für eine Furt, vgl. mnd. wedel, asä. widil, anord.vadhell, vadhall, vadhill "seichte Stelle im Fjord zum Hinüberwaten" , norweg. val,vaul "seichte Fjordstclle", aus germ. *wa15ila, vgI. Watt, waten,lat. vadum "Furt". Davonabgeleitete Namen sind Bruchwedel, Hohenwede/, Hol/wedel, Langwedel, Nordwedel,Osterwedel u.a.m., am bekanntesten wohl Salzwede/; aus den Niederlanden,Luxemburg, Belgien und Nordfrankreich Waalre, Wedelhorst bei Zutphen u. a.Eine erneute Zusammenstellung der Namen und deren KartierungB6 scheint einerAusbreitung aus dem Norden recht zu geben. Aber es ist zur Vorsicht zu mahnen. Sohat dazu P. HEssMANN geäußert: "wir {können] E. Schröders Ausführungen nicht zustimmen.Erstens erlauben die im großen ganzen doch sehr lückenhaften niedersächsischenFlurnamensammlungen nicht, das Verbreitungsgebiet eines einzelnen Namensgenau zu umreißen ... , und zweitens kann es sich ohne weiteres um gemeingermanischeWörter handeln, die als Relikte in Nordwestdeutschland bewahrt sin~7. Wir werdenim weiteren noch sehen, daß alle anderen Namenstreuungen aus guten Gründenfür die Ablehnung einer Nord-Süd-Streuung sprechen. Allein Wedel könnte auch andersinterpretiert werden. Es wäre dann aber ein isolierter Fall.d. Die lange diskutierten Ortsnamen auf -büttel, etwa Abbesbüttel, Bechtsbüttel,Harxbüttel, Lagesbüttel, Watenbüttel, Wolfenbüttel sind vor kurzem erstmals umfas-"' Eine ausführliche Diskussion dieses Onsnamengrundwortes findet sich einschließlich einer Kanierungbei UDOLPH (wie Anm. 18), S. 609-729."2 H. DITTMAlER, Die (h)/ar-Namen. Sichtung und Deutung, Köln-Graz 1963 (mit Kanierung, auf derLehre allerdings fehlt).83 Zu den Einzelheiten s. UOOLPH (wie Anm. 18), S. 473-497... E. SCHRÖDER, Deutsche Namenkunde, 2. Aufl., Göttingen 1944, S. 313 .•, <strong>Braunschweig</strong>ische Heimat 36, 1950, S. 85... UOOLPH (wie Anm. 18), S. 892-906 mit Karte 71.H7 In: Gießener Aurnamenkolloqium, hrsg. v. R. SCHÜTZEICH~L, Heidelberg 1985, S. 200.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Namenforschung im <strong>Braunschweig</strong>er Land 23send untersucht worden. Kirstin CASEMIR hat in ihrer Göttinger Magisterarbeit 1994 88alle nachweisbaren -büttel-Orte erfaßt, die urkundlichen Belege gesichtet und mit archäologischenFundangaben konfrontiert. Kurz zuvor hatte ich mich unabhängig davonebenfalls mit dem Typus befaßt 89 • Wir erkannten, daß bei der bisherigen Untersuchungder -büttel-Namen von allen Untersuchenden ein entscheidender Fehler gemachtworden ist.Letztlich hat man sich auf J. Pokorny90 berufen und etwa wie folgt argumentiert.Das Grundwort ist mnd. -bütle, -bötle, nnd. büttel, -bötel ... aso gibutli, -gibudli bzw.-butli, afries. bold, ags. botl, bold "Haus, Wohnung, Halle, Tempel", westgerm.*bub/a- neben *bobla- aus *bhö(u)tlo-. Urverwandt sind mittelirisch both "Hütte",kymr. bod, Iit. butas "Haus", buklas "Tierlager" , bukla" Wohnung". Bei altsächs.-butli handelt es sich um eine Bildung mit einem ja-Suffix und eine Kollektivform zugerm. *bublaz, ·bublam, aso bodal "Grundbesitz".Der Fehler liegt in der Entwicklung des Dentals: indogermanisch *-t- hätte über-b- zu -d- führen müssen, -büttel enthält aber ein -t-.lch will die sich daraus ergebendenKonsequenzen hier nicht weiter ausführen, da die Einzelheiten doch sehr kompliziertsind. Nur so viel: -büttel verlangt einen germanischen Ansatz *-budil, der miteinem sehr frühen Konsonantenwechsel 91 wiederum auf *butil- zurückgehen kann.Und dann wird man zum Altpreußischen, der ausgestorbenen baltischen Sprache, geführt,in der man einen Ansatz *but-il- in Ortsnamen wie 1423 Buteliten, 1507 Bot­IWenn (in Ostpreußen), Iit. Buteliun~ km., kurisch 1355-1362 Butilie u.a.m. gewinnenkann, die man als Ableitung zu litauisch butas, apreuß. buttan "Haus" stellt 92 •Das alles bedeutet für das Grundwort -büttel vor allem: das von verschiedenen Seiten93 angesetzte junge Alter des Namentyps kann nicht stimmen. Dagegen sprichtauch das gern übersehene Fehlen der -büttel-Namen im mittel- und ostdeutschen Ko­Ionisationsgebiet.e. Ältere Bildungen mit -hem. Das altsächsische und mittelniederdeutsche -hem"Heim, Siedlung, Dorf" war ein beliebtes Element zur Bildung von Ortsnamen. Vielfachtrat es an Personennamen an, Hildesheim ist ein bekanntes Beispiel 94 • Es konnteaber auch an appellativische Grundlagen angefügt werden.Aus dem <strong>Braunschweig</strong>er Umland gehört hierher Querum, OT. von <strong>Braunschweig</strong>,1148 Querenhem, 1161 Quernhem, 1248 Quernem 95 • Querum ist ein Musterbeispieldafür, daß sich in den Ortsnamen alte, ausgestorbene Wörter als Fossilienerhalten können, oft unerkannt und von heutigen Sprechern nicht zu entschlüsseln.SS Erschienen als Beiheft 19 zu den Namenkundlichen Informationen (Leipzig 1997).89 UOOLPH (wie Anm. 18), S. 418-445.90 J. POKORNY, Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, Bd. 1, Bern-Frankfurt 1959, S. 149.91 Zu dieser auch für die norddeutschen Ortsnamen wichtigen Erscheinung vgl. UOOLPH (wie Anm. 18),S.50-118.92 Vgl. UOOLPH (wie Anm. 18), S. 443 f.9' Beginnend mit L. FIESEL.'U Zu mutmaßlichen "fränkischen" Namen vg!. den Hinweis in Anm. 55.9S H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 1, S. 99.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265024 J. UdolphDabei ist die Deutung klar: der Name gehört zu dem alten germanischen Wort fürdie "Mühle". Unser heutiges Wort Mühle ist ein Lehnwort aus lateinisch molina (ausälterem mola), echt germanisch aber war ein anderes Wort: es ist gotisch qairnus (asi­[u-qa{rnus "Eselsmühle"), ais!. kvern, schwed. kvarn, asä. quern, mnd. querne, afries.quern, ae. cweorn, cwyrn, cweorne, ahd. quirn, chuirna, tiefstufig chum, mhd. kum,kürne. Es steckt nicht nur in Querum, sondern auch (worauf mich H. Blume nochmalshinwies) in Querenhorst, ON. bei Helmstedt, 1203 Quernhorst, auch Wald, 1225Quernhovrst 96 , ferner in Kirn; Kirnach; Körnbach; Kürnach, Quarn(e)bek, Quarnstedt,Querenbek, Querenberg, Querenburg, Querfurt an der Querne 97 •Der Name des am frühesten erwähnten niedersächischen Dorfes Ohrum, Kr. Wolfenbüttel,747/748 Horhein, Horoheim, Orhaim, Orheim, lIorahim, Horoheim, 748Horahim, Horoheim, Orham, Orheim, Orheym, Ende 8. Jh. Horaheim, Horoheim,Horheim, Orchaim, Orhaim, Orheim, 1022 (Fälschungen) Arem, Horem, Arem,12. Jh. Orem, Orim, Horem, 13. Jh. Arem, Orem (sehr häufig), Horum, Orum usw.,war bis vor kurzem ohne sichere Deutung.Man hat versucht, ihn mit althochdeutsch horo "Schlamm, Brei, Schmutz, Kot,Erde, Sumpfboden" zu verbinden, ein Wort, das in Harburg vorliegt und uns bei Hordorfnoch interessieren wird, aber der Ort heißt Ohrum, nicht Hohrum. Auch dasdeutsche Wort Ohr, Nadelöhr paßt nicht, der Ort heißt Ohrum, nicht Ohrum.Schließlich hat man an deutsch Ort-erde, ör " Raseneisenstein, Eisensandstein, Brauneisenstein"gedacht, aber das verlangt alten Dental im Auslaut.Vor kurzem gelang es jedoch, eine neue und offenbar überzeugende Deutung zufinden 98 , aus der hier nur kurz referiert werden soll. Ohrum geht auf altes *Aur-hemzurück. Daß im zweiten Teil -hem vorliegt, ist klar. Der erste Teil findet einen sicherenAnschluß in den nordgermanischen Sprachen 99 : es ist altnordisch aurr "sandiger Boden","Kies, mit Stein untermischter Sand", neuisländisch aur "Lehm, Schmutz;Schlamm, Schlick; Geröll, Schotter", norwegisch auT, aurr, €Jr "Bodensatz, Hefe, sandigerGrund, grober Sand; Boden, Erde, Kieserde, harte Erde; Gemisch aus Kies undSand; Delta, Sandbank". Es steckt auch in vielen Ortsnamen, so in Or, Ora, Orby,Orebro, Oregund, in dem bekannten Oresund, weiter in Orgryte, Oringe, Ortomta,Oren (Seename ), in KOTS€Jr, Ske/sk€Jr, dem bekannten He/sing€Jr mit dem {:}resund,ferner in {:}rhy, {:}rbrek, Drag€JT, L€Jgst€Jr und Skan€Jr (am Öresund).Das Wort ist somit im Germanischen gut bezeugt, aber im Deutschen nicht mehrbekannt. Da jedoch alte Wörter gerade in den Ortsnamen zu finden sind und die Beschreibungenvon Ohrum darauf verweisen, daß sich bei dem Ort an der Oker durcheine diluviale Endmoränenkiesbank eine günstige Passiermöglichkeit ergeben hat lOO ,darf in Ohrum mit guten Gründen eine Grundform *Or-hem und älter *Aur-hem an-96 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 2, S. 465 .• 7 Ausführlich und mit Kartierung der Namen behandelt bei UDOLPH (wie Anm. 18), S. 573-587 ... K. CASEMIR, J. UDOLPH, Der Ortsname Ohrum, in: Festschrift zur 1250-Jahrfeier von Ohrum (Kr.Wolfenbüttel), Ohrum 1997, S. 36-40.!I'J Für wichtige Hinweise ist H. BLUME (<strong>Braunschweig</strong>) zu danken.100 Freundlicher Hinweis von E. Reifenstein, Hornburg.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Namenforschung im <strong>Braunschweig</strong>er Land 25genommen werden, in der neben niederdeutsch hem "Siedlung, Hof, Dorf, Heim"das verschwundene und nur im Nordgermanischen bewahrte Wort aur "Kies, Sand,Sandbank" verborgen ist. Die Namengebung bezog sich also auf die Kiesbank in derOker, an der der Ort lag und liegt.Es bleibt die Frage, wie man das Vorkommen eines nordgermanischen Wortes ineinem niedersächsischen Ortsnamen erklären soll. Spricht nicht dieses Faktum dafür,daß Nordgermanen nach Süden gelangt sind und Örtlichkeiten aus ihrem, dem Deutschenfremden Wortschatz benannt haben?Die Beschäftigung mit den Ortsnamen führt zu einer anderen Erkenntnis 101 : sie hatgezeigt, daß die Sprache, aus der sie gegeben worden sind, das entsprechende Wortnoch in ihrem Wortschatz gekannt hat. Zur Zeit der Namengebung war es ein lebendigesWort der namen gebenden Siedler. Diejenigen germanischen Stämme, die früheran der Oker bei Ohrum lebten, besaßen also noch das Wort aur( a) "Kies, Sand(bank)" und benutzten es, um die Lage des Ortes an einer Kiesbank in der Oker zucharakterisieren. Später verschwand das Wort aus ihrer Sprache, nur im Nordgermanischenüberlebte es.Eine Heimat der germanischen Stämme kann aber nur dort gesucht werden, wosich im Namenbestand möglichst Spuren aus dem Wortschatz aller altgermanischenSprachen (Gotisch, Altnordisch, Altenglisch, Altsächsisch, Altniederfränkisch, AItfriesisch,Althochdeutsch) finden lassen. Das ist weder in Skandinavien, noch inSchleswig-Holstein, dem nördlichen Niedersachsen, England oder Süddeutschlandder Fall. Aus diesem Grund ist der Name Ohrum ein wichtiger Stein im Mosaik deraItgermanischen Toponymie.f. Ältere Bildungen mit -dorp. Das niederdeutsche Wort -dorp ist häufig mit einemPersonennamen verbunden, zum Beispiel in Ortsnamen wie Boimstorf, Dibbesdorf,KästorJ. Daneben gibt es aber auch Bildungen, die im ersten Teil ein altertümlichesElement enthalten, das auf die geographische Lage der Siedlung Bezug nimmt. Dazugehören Hordorfund Lehndorf.Hordorf (Kr. Wolfenbüttel), 1299 Hordorpe, 1334 Hordorp102, steht in Deutschlandnicht allein. Verwandte Namen gibt es in Bayern, bei Halle an der Saale und ander Bode. Der Name ist leicht zu erklären: neben niederdeutsch dorp "Dorf, Siedlung"enthält er im ersten Teil ein heute im Deutschen nur noch in Dialekten bezeugtesWort, das früher aber weit verbreitet war. Es ist ahd. horo "Schlamm, Brei,Schmutz, Kot, Erde", adjektivisch horawig, horawin "sumpfig", mhd. hor, hore"Sumpfboden, kotiger Boden, Kot, Schmutz, Schlamm", auch als dialektale Nebenformhur, hurwe "Schmutz", ferner asä. horu "Kot, Schmutz", horh "Rotz, Nasenschleim",horo "Fäulnis", mnd. hor "Iuturn; Dreck, Unrat; Schlamm, Moorerde,Lehm"; nnd. Mir "Schmutz, Kot", afries. als hore "Schlamm, Kot", mndl. hore, hor"Iuturn; Modder", jünger hore "modderpoel", aengl. horh, horu "filth, dirty"103.ICII Der Fall Ohrum ist dem der Rhön (dazu UDOLPH (wie Anm. 18), S. 888-892) parallel.102 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 1, S. 306.\03 Zum appellativischen Bestand, den davon abgeleiteten Ortsnamen und der Gesamtverbreitung derNamen s. UDOLPH (wie Anm. 18), S. 318-330.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265026 J. UdolphDa das zugrundeliegende Wort seit eingen Jahrhunderten nicht mehr produktiv ist,gehört Hordorf zu den älteren Ortsnamenbildungen im <strong>Braunschweig</strong>er Raum. Da ..gilt auch für Lehndorf(OT. von <strong>Braunschweig</strong>), 1067 Lenthorp, 1219-25 Linthorp,1226 in Lenthorpe 104 • Dieser Name wird gern mit deutsch Lehen, mittelhochdeutschle(he)n, althochdeutsch le(ha)n, altsächsisch lehan aus germanisch ·laihwna- "überlassenesGut, Lehen", einer Ableitung von leihen, verbunden.Gegen diese Verbindung 105 sprechen sowohl lautliche Gründe (vor allem das inden Belegen auftretende -i-), sachliche Argumente (weIcher Ort war nicht einmal zuLehen gegeben?) und auch historische Überlegungen: der Name ist sicher älter, alsdaß er mit dem Lehnswesen verbunden werden könnte. Er wird vielmehr mit Namenwie Lienen, Leina, Linnep, Linse zu althochdeutsch (h)lina, lena "Berglehne" gehören,einem Wort, das wir noch aus der Lehne und anlehnen kennen. AltertümlicheOrtsnamen wie Bildungen auf -ithi (dazu s. auch unten) bestätigen diese Verbindung,man denke an Leinde (WF), 1178 Lenethe, 1191 Linethe, 1242 Lenedhe; Lenne beiOlpe, 1547 Lente; Lenthe, Provo Overijssel (NL), 1133 Lenethe, 1172 Lente; Lenthebei Hannover, 1055 Lente, 1288 Lente.g. Bildungen mit -lage. Dieses Element enthalten die Namen Hondelage, OT. von<strong>Braunschweig</strong>, 1179 in Honloge, Ho/laghe, 1223 Ludolfo de Honlage USW. 106 , Schandelah(Kr. Wolfcnbüttcl), (um 1200) (K. 18. Jh.) Schanlege, 1311 (K. 14. Jh.) u. ö.Schanieghe 107 und die Wüstung Walkleghe, 1271 Walkelege, 1319 Walkleghe 108 , beiZweidorf.Diese Namen sollen hier nur kurz behandelt werden. Ihre Deutung ist - so weit esden zweiten Teil, das Grundwort -lage, -lege betrifft - nicht problematisch. Es ist mitdeutsch legen, liegen, Lage zu verbinden, wahrscheinlich trifft FLECHslGS Vermutungeiner "freien, offenen Fläche zwischen Wäldern" zu.Hinweisen möchte ich hier vor allem auf zwei Dinge: zum einen auf eine Untersuchung,die vielfach völlig unbeachtet geblieben ist, da sie nur in einer maschinenschriftlichenForm vorliegt. Es ist die Magisterarbeit von H. SIEBEL, Die norddeutschenFlur- und Siedlungsnamen auf -lage/-loge, Münster 1970. In ihr werden dieentsprechenden Namen fast VOllständig aufgelistet und die Bestimmungswörter behandelt.Es handelt sich zweifelsfrei um einen fast ausschließlich germanischen, aufNorddeutschland beschränkten Typ. Zum anderen konnte ich auf der Grundlage derSammlung SIEBELS eine Kartierung anfertigen, die die Streuung der Namen sehr deutlichzeigt 109 und die für sich selbst spricht: der Norden hat an ihr - obwohl die zugrundeliegende Wurzel ·legh-/*Iogh- in fast allen indogermanischen Sprachen bezeugt ist- keinen Anteil.104 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 1, S. 96.10' Wir folgen einem Vorschlag von H. BLUME (<strong>Braunschweig</strong>).1116 B. SCHNEIDMÜLLER, <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch 67, 1986, S. 56,58; Urkundenbuch der Stadt<strong>Braunschweig</strong>, Bd. 2, S. 23.107 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 2, S. 535.1011 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 2, S. 669.109 UOOLPH (wie Anm. 18), S. 805. Diskussion des Namenmaterials: ebda., S. 801-809.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265028 J. Udolphsten Vertretern Weimar, Geismar und Wismar gehören. In Niedersachsen gehören sienach übereinstimmender Ansicht zu den ältesten Siedlungen überhaupt.Etymologisch stehen sie mit einer hochaltertümlichen Bildung, die Entsprechungenim Altindischen besitzt 1l3 und urgermanisch mari- "größeres stehendes Gewässer","Küstengewässer" zu *möra "Moor, Sumpf" in einem sehr alten Verhältnis. Siegehören zusammen mit dt. Meer und Moor zu einer Wortgruppe, die mit" Wasser,Sumpf, Feuchtigkeit, Morast, Binnensee" in Verbindung steht. Dazu gehört auch alsaltgermanische -isk-Ableitung niederdeutsch Marsch, gelegentlich auch Masch.Der Blick auf die Verbreitung der -mar-Namen 1l4 zeigt starkes Vorkommen imkontinentalgermanischen Bereich (mit einem Schwerpunkt im Bereich der deutschenMittelgebirge zwischen Rhein und EIbe sowie in den Niederlanden und Belgien), einedeutlich erkennbare Brückenfunktion der südlichen Niederlande, Belgiens (vor allemFlanderns) und Nordfrankreichs zwischen Mitteleuropa und England, einen starkenAnteil der Namen in England und geringeres Vorkommen im Norden.Suffixale OrtsnamenbildungenWir haben bis hier den größten Teil der Ortsnamenbildungen des <strong>Braunschweig</strong>erLandes behandelt. Dennoch bleiben noch einige Namentypen zurück, die nicht nurbesonders alt sind, sondern für die Frage nach germanischer Wortbildung und damitnach altgermanischer Namengebung von ganz entscheidender Bedeutung sind.Das hängt mit einer allgemeinen Entwicklung zusammen, die die germanischenSprachen insgesamt durchgemacht haben und die es erlaubt, zwischen ältesten und älterenSchichten zu unterscheiden. Diese Erscheinung ist schon Jacob GRIMM aufgefallen:"Es ist die unverkennbare Richtung der späteren Sprache, die Ableitungen aufzugebenund durch Kompositionen zu ersetzen. Dieses betätigt uns eben, daß jetzt erloscheneAbleitungen vormals lebendig, jetzt unverständliche oder zweideutige vormalsfühlbar und deutlich gewesen sein müssen 115".Mit anderen Worten: jüngere Bildungen im Deutschen bestehen aus zwei Wörtern,also etwa Altewiek, Neustadt, Dankwarderode, einer Formation, die auch schon in ältererZeit produktiv war. Wir können aus den behandelten Namen fast alle anführen:Riddags-hausen, Stöck-heim, Völken-rode, Bechts-büttel, Querum (aus Quern-hem),Ohrum (aus Aur-hem) usw.Ältere germanische Wörter und Namen sind ganz anders zusammengesetzt: aus einemStamm und einem Ableitungselement, das kein Wort ist, sondern nur ein einfachesElement. Der Sprachwissenschaftler nennt das Suffix.Diese Namen sind 1.) seltener als Komposita; 2.) schwer zu erkennen und3.) schwer zu erklären. Sie sind aber durch ihr Alter die wichtigsten Zeugen für alt-113 G. DARMS, Schwäher und Schwager, Hahn und Huhn. Die Vrddhi-Ableitung im Germanischen,München 1978.114 UDOLPH (wie Anm. 18), S. 375; ausführliche Diskussion des Namenmaterials ebda., S. 330-377.115 Deutsche Grammatik, 2. Teil, 3. Buch, Göttingen 1826, S. 403.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Namenforschung im <strong>Braunschweig</strong>er Land 29und urgermanische Namenbildung, Namengebung und damit auch Besiedlung. Ichwill aus dem <strong>Braunschweig</strong>er Land nur zwei Typen aufgreifen; es sind eine Bildungmit dcm Suffix -r- und fast ein Dutzend mit dem Element -ithi.Der ON. Olper, heute OT. von <strong>Braunschweig</strong>, ist zunächst recht konstant überliefcrt:1251 Elbere apud Bruneswic, 1277 EIbere, 1302 villam EIbere, 1311-1425 EIbereusw., erst später setzen Formen mit -o-Vokal ein: 1433 Olbere, 1443 Olber, 1515de Olber molen 116. Dieses zeigt, daß das hcutige -ö- für die Deutung zu vernachlässigenist. Auszugehen ist von einer Form Elber(e), die in zwcifacher Art zerlegt werdenkann: entweder trennt man als zweite Silbe -ber ab und verbindet dieses mit cincmaltenglischen Wort für den Wald (bearu), wobei man auch Schwülper einbeziehenkann, oder aber man sieht in dem Namen wie in Lamme, Gitter, Hilter, Letter, Limmer,Mahner, Schlutter, Reder und andcren Namen ein -r-Suffix.Die zweite Möglichkeit ist vorzuziehen, weil man dann eine Verbindung zu Oelberim Kr. Wolfenbüttel herstellen kann, das nicht zu trennen ist von den benachbartenGroß und Klein Eibe, bei denen wie bei Dingeibe nahe Hildesheim sicher ist, daß sieauf eine Grundform "Alb-ithi zurückgeführt werden können (s. auch unten). Weiterkann angeschlossen werden Albungen, OT. von Eschwege, 1075 de Albungun l17 •Sieht man in Olper altes "Alb-ira, so zeigt sich die alte Verwandtschaft der Namenrecht deutlich.Das Nebeneinander von "Alb-ira in Olper, Oelber am weißen Wege, "Elb-ithi inGroß Eibe, Klein Eibe, Dingeibe und Albungen erlaubt es, von einer alten Basis·Alb- auszugehen. Das Etymon findet man im Nordgermanischen in schwed. alf"Kiesschicht unter der Ackererde" , verwandt mit dt. dia!. alben "Iose Kalkerde unterder Ackererde, die, wenn sie aufgepflügt wird, diese unfruchtbar macht" 118. Mit dieserVerbindung läßt sich Oelber am weißen Wege bestens kombinieren.An einer letzten Suffixreihe möchte ich die spezifisch germanische Namengebungdes <strong>Braunschweig</strong>er Landes noch einmal herausstellen. Es ist eine Sippe, der manschon einmal im Überschwang "steinzeitliches Alter" zugesprochen hat 119. Das ist genausoverfehlt wie die allerjüngste Meinung, es ließen sich in ihnen noch frühmittelaltcrlicheNamengebungsakte erkennen 120. Die Wahrheit liegt in der Mitte; aber dasist interessant genug.Die altgermanischen Sprachen kannten ein Bildungselement, das schon im Gotischenbezeugt ist, am häufigsten aber im Althochdeutschen und Altsächsischen begegnet.Es geht auf eine Lautfolge -ithi zurück und ist noch in althochdeutschen Formenwie juhhidi "Gespann" (zu Joch), jungidi "Junges" (zu jung), hertida "Härte"(zu hart) enthalten. Es ist ein typisch germanisches Element, das schon lange nicht116 H. KLEINAU (wie Anm. 15), Teil 1, S. 98.117 Zum Typus der -ungen-Namen s. UOOLPH (wie Anm. 18), S. 153ff.118 Hj. FALK, A. TORP, Norwegisch-Dänisches etymologisches Wörterbuch, 2. Auflage, Bergen-Heidelberg1960, Bd. 1, S. 19.119 B. CROME, Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deut


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265030 J. Udolphmehr produktiv ist, also nicht mehr zur Bildung von neuen Wörtern verwendet wird.Damit ausgestattete Wörter und Namen müssen daher einer älteren Schicht angehörenl21 •Ortsnamen mit diesem Element sind in ganz Norddeutschland mit über 200 Namenvertreten, darunter etwa Belle bei Schieder, 9. Jh. Wegbalithi, Wegbal/idi; Bierde,1187 in Birethe; Birgte, 1088 Bergithi; Bleckede an der EIbe; Dingden bei Bocholt,1163 Tingethe, zu ahd. thing, ding "allgemeine Volksversammlung"; Döhren,OT. von Hannover, um 990 Thurnithi; Dörenthe, 11./12. Jh. Thurnithi, Thurneze;Essen, 9. Jh. Astnide; Geesthacht, 1216 in Hachede; Gimbte, 1088 Gimmethe;Grohnde, (1237-47) in Gronde; Günne, 1245 Gunethe; Helle bei Wiedenbrück,Ende 12. Jh. Helethe; Huckarde, OT. v.Dortmund, 947 Hucrithi; Hüsede,12. Jh. Husithi; Lengede, 1151 Lencethe; Mengede, OT. von Dortmund, 10. Jh. Megnithi,Mengide; Meschede, 913 Meschede, 1015-25 Meschethi; We/sede, 1269 Welsede;Sehnde, 1147 Senethe; Sömmerda, 876 Sumiridi item Sumiridi; Störmede,822-826 in Sturmithi; Strünkede, 1163 Strunkede.In diesen Toponymen steckt niemals ein Personenname, sondern ein Hinweis aufdie Bodenbeschaffenheit, auf Gewässer, auf das Klima, die Farbe oder Beleuchtung,auf Geländeformen, Wald- und Baumarten, Pflanzen oder Tiere. Etwa ein Drittel der-Uhi-Namen ist noch ohne ansprechende Erklärung. Das gilt auch für die <strong>Braunschweig</strong>erNamen, die ich hier nur kurz ansprechen kann.Broistedt, 1151 122 Broscethe, 12./ 13. Jh. Brozithe, 1219-1225 Brothstethe, Brozethe,1252 Brotzede, 1301 Brotcedhe, ist kein alter -stedt-Name, sondern enthält eineGrundform 'Brokithi und (mit Zetazismus; vgl. oben unter Broitzem) niederdeutschbrök "Bruch".Groß und Klein Denkte, 965 (A. 12. Jh.) Dengdi, 1202 Dencthe, 1206 Dengte,1332 groten Dengte, 1248 in parwo Dencthe, ist noch ohne sichere Deutung, kannaber zum einen an slav. *dQga « *danga) "Bogen", lit. danga "dass." angeschlossenwerden, zum andern aber auch mit einem altertümlichen Konsonantenwechsel an'dheng/4o- "neblig, trüb, feucht".Drütte, 8./9. Jh. Tritidi, 1022 Thritithe (2mal), Thrittithe, 2. H. 11. Jh. Dretida,1124 u. ö. Threttethe, Gf. * Thrut-ithi, ist zu vergleichen mit dem bisher kaum geklärtenON. Trittau bei Hamburg, alt Trutava. Auch hier fehlt noch eine sichere Erklärung,immerhin bieten sich mit keltischen Bezeichnungen für "Aussatz, Schuppen,Moos", got. ]:Jrüts-fill "Aussatz" oder altisl. prütinn "geschwollen", prütna "schwellen",altengl. t1rütian ,,(vor Hochmut oder Zorn) schwellen" Deutungsmöglichkeitenan.Geite/de, 780-802 (?) (A. Mi. 12. Jh.) Getilidishusen 123 , 1067 Getlithi, 1194 (A.14. Jh.) Getlede, 1194 (A. 14. Jh.) Ghetlede, ist nicht zu trennen von Gittelde (Kr.Osterode), 965 (A. 11. Jh.) Getlide, 973 Getlide, 973-975 (A. 15. Jh.) Getlithi, auchnicht von Geisieden bei Heiligenstadt, 1022 in villa Geizlaha dicta, 1028 Geiz lide,121 Zur Diskussion um -ithi vgl. J. UOOLPH (wie Anm. 18); R. MÖLLER (wie Anm. 18).122 Die folgenden Belege zumeist aus H. KLEINAU (wie Anm. 15).123 Mit willkürlich angefügtem -husen.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Namenforschung im <strong>Braunschweig</strong>er Land 31Gezlethi, Geizlethe, zu 1028 Geizlethe, und auch nicht von Gitter (Salzgitter), 1086lehtere, 1125 in Gethere, 1131 in Gethere, das natürlich kein -ithi, sondern ein -r-Suffixenthält.Die geographische Lage von Geite/de, Gitter, Gittelde, Geisieden ist bei allen Ortcnähnlich: sie liegen an einem Durchgang, einer Öffnung zweier oder mehrerer Berge,Berg- oder Hügelvorsprünge. Von hier aus ist eine Verbindung zu anordisch gat"Loch, Öffnung", altenglisch geat "Türe, Öffnung", englisch gate, altsächsisch gat"Loch", dt. Gasse, wahrscheinlich, und der Vergleich mit dem Gatter, auch einer Ableitungzu den oben genannten Wörtern, bietet sich auch sprachlich an. Allerdingsverlangen Gitter, Gittelde usw. eine andere indogermanische Ablautstufe als gate,Gasse.Heerte, um 1050 (A. 2. Jh.) Herte, um 226 u. ö. Herte, später Herthe, Herte, ist wieHeerde, Gelderland, 1190 Herthen, 1203 Herde, wie Heerde bei Wiedenbrück, 1088Herithi, -the, aber auch Harithi, 1192, 1198 Herthe und wie Heerdt, OT. von Düsseldorf,kurz nach 1116, 1135 Herde zu erklären. Am ehesten lassen sich Verbindungenzu indogermanischen Wur7..eln herstellen, die auf "Stein, Fels" oder aber auf "abbrökkein,zerfallen" hinweisen. Weitere Untersuchungen sind notwendig.Leinde wurde oben bei der Diskussion um Lehndorf schon angesprochen. DerName gehört zu dt. Lehne, anlehnen, hier bezogen wahrscheinlich auf die Lage amHang.Lengede, 1151 Lencethe, ca. 1168 Lengethe, enthält wie Lengde (Kr. Goslar),1178 Leggethe, Lentthe, Lenghedhe und Groß-, Kein Lengden bei Göttingen,822-840 Lengidi, 997 (ca. 1001-02?) Lengithi, 1022 Lengithe, Lengede, ca. 1070Lengede eine Grundform • Lang-ithi, eine Verbindung mit germ. lang, wohl bezogenauf eine längliche Ausdehnung der Siedlung, des Siedlungsgrundes oder ähnliches.Sickte, 888 Kikthi, 1060 Xicthi, 1024 Sicudi, um 1160 Xiethe, 1318 Tziete, um1200 Tsikthe, verlangt mit Zetazismus eine Grundform *Kik-ithi und ist am bestenmit norwegisch keik "Biegung, Drehung, Schiefheit" zu verbinden. Die Karte zeigteine Lage an einem gekrümmten, leicht ansteigenden Hügel. Wahrscheinlich bezogsich die Namengebung auf diese Lage.Thiede, 780-802 (?) Tihide, 1007 Thidhi, 1166 u. Ö. Thide, 1191 Thidhe, ist einwichtiger Name: er geht auf * Th ie-ith i zurück, ist an niederdeutsch T(h)ie, mnd. ri(g)"öffentlicher Sammelplatz eines Dorfes", anzuschließen 124 und einer der ältesten Bildungeninnerhalb der Thie-Namen. Das Wort Thie ist sehr alten Ursprungs, es ist verwandtmit deutsch zeihen in verzeihen, aber auch in der altertümlichen Wendung erzieh ihn eines Vergehens, hat Entsprechungen im Altindischen und Griechischen undweist auf einen Platz, an dem Anschuldigungen vorgetragen wurden, an dem also Gerichtgehalten wurde.124 Zu diesem Wort vgl. K. BISCHOFF, Der Tie (Abhandl. d. Geistes- u. Sozialwiss. KI. der Akad. d.Wiss. und der Ü!. Mainz, 19. 1971, Nr. 9), Mainz-Wiesbaden 1971; ders., Der Tie II (= Abhandl. d.Geistes- u. Sozialwiss. KI. der Akad. d. Wiss. und der Li\. Mainz, Jg. 1972, Nr. 7), Mainz-Wiesbaden1972; ders., Nachträge zum Tie, Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 101,S. 1978, S. 158-159; UOOLPH (wie Anm. 18), S. 602-609.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265032 J. UdolphUehrde, 888 Urede, 983 Urithi, Anf. 11. Jh. UUerithi, Urithi, 1160 Urethe, 1291Urede wird gern als "Auerochsort" aufgefaßt und zum Wort Ur gestellt. Seit der Erkenntnis,daß sich in Ohrum, Oerie bei Hannover und anderen niedersächsischenOrtsnamen ein nordgermanisches Wort für "Kies, Sand" verbirgt (vgl. oben unterOhrum), ist vielleicht neues Licht auch auf Uehrde gefallen.Schließlich ist noch Wenden zu nenen, 1031 Guinittun, 1211 Wineden, 1233(Heinrico) de Wenethen, 1236 H(einricus) de Weneden. Dieser Name hat nichts mitden Slaven zu tun, sonden ist eine echt germanische Bildung Winithi 125 und identischmit Breden bei Höxter, 9. Jh. in Wynithun, 1158 Winethen; Vinte bei Bersenbrück,Mitte 12. Jh. Wienethe, 1158 Vinnethe; Weende bei Göttingen, 966 Uuinide, 973 Winithi,1013 (F. 12. Jh.) Winithi, 1022 (F. 12. Jh.) Winithe, Winithi; Wehnde bei Leinefelde,alt Winedhe, Wenedhe, Wenden; Wenden bei Melsungen, 1074 Winuthunu.a.m. Seine Ableitungsgrundlage ist germanisch vinja "die Weide".Mit den -ithi-Namen sind wir in eine Schicht von Namen vorgestoßen, die zum einengermanisches Gepräge in Reinkultur enthalten, zum andern aber noch ältere, bisheute noch nicht entschlüsselte Wurzeln enthalten. Daß diese Namen eher älter alsjünger sind, ist klar.Was wir mit den -ithi-Bildungen vor uns haben, ist Ausfluß einer Namengebung,die einerseits noch indogermanische Elemente, andererseits germanische Eigentümlichkeitenenthält. Warum das so ist, erhellt sich dann, wenn man sich die Frage stellt,wie eigentlich eine altgermanische Namenlandschaft aussehen muß. Da sich das Germanischenicht aus dem luftleeren Raum heraus entwickelt hat, sondern aus einer indogermanischenGrundlage heraus seinen Anfang genommen haben muß, haben wirin den -ithi-Namen (aber auch in anderen Typen, so in den Bildungen mit -tun, -/ar,-mar und in den suffixalen Typen) genau das vor uns, was eine urgermanische Namenlandschaftenthalten muß. Ein kurzer Vergleich etwa mit Schleswig-Holstein,dem Gebiet, das immer als Kernland germanischer Siedlung genannt wird und dasuns dank der Arbeiten von W. LAUR 126 toponymisch bestens bekannt ist, zeigt dassehr deutlich: es fehlen dort fast alle alten Namentypen, die Südostniedersachsen(und das <strong>Braunschweig</strong>er Land) und Teile Sachsen-Anhalts und Thüringens aufweisen.Ergebnisse und zukünftige AufgabenDie zumeist in relativer Kürze behandelten Namen und Namentypen des <strong>Braunschweig</strong>erLandes haben - so hoffe ich - gezeigt, daß die Untersuchung der Gewässer-und Siedlungsnamen dieses Gebietes in mehrfacher Hinsicht zu neuen Erkenntnissengeführt hat und alte Probleme in einem zum Teil neuen Licht erscheinen.1.) Die ältesten Spuren sprachlicher Äußerungen finden sich in den Gewässernamen.Deren Untersuchung führt zu der Erkenntnis, daß auch die Flußnamen des12' Vgl. UOOLPH (wie Anm. 18), S. 274-288.126 Historisches Ortsnamenlexikon von Schieswig-Hoistein, 2. Auflage, Neumünster 1992.


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental im12. und in der ersten Hälfte des 13. JahrhundertsvonChristiane RaabeDie Geschichte des Zisterzienserklosters Mariental bei Helmstedt hat die Forschungin den letzten Jahren wiederholt beschäftigt. Die Baugeschichte der romanischen Klosterkirchewurde erforscht!, und die Diskussion um einen asketisch-zisterziensischenBaustil sowie einen von Mariental geprägten Kolonialtyp ist geführt worden 2 • Die Besitz-und Wirtschaftsgeschichte der Abtei wurde aufgearbeitet 3 und die Rolle des reformiertenMarientals im Fürstentum <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg beschrieben 4 • Die Geschichteder Äbte im Mittelalter ist hingegen bisher unberücksichtigt geblieben. DieÄbteliste des Helmstedter Geschichtsprofessors Heinrich Meibom der Ältere, Kernstückseines Chronicon Marienthalense, das 1651 posthum veröffentlicht wurde 5 , istnach wie vor der einzige Beitrag zu diesem Thema. Die oft unzuverlässigen Mitteilun-Christiane SEGERS-GLOCKE, Die ehemalige Zisterzienserklosterkirche MarienthaI. Ein bauhistorischerBeitrag zu ihrer ursprünglichen Gestalt. Diss. Berlin 1977. - Dies., Mariental zwischen zisterziensischemVorbild und lokaler Bautradition. In: Das Zisterzienserkloster Maiental bei Helmstedt1138-1988. Hg. <strong>Braunschweig</strong>ischer Vereinigter Kloster- und Studienfonds. München 1988.S. 21-34. - Mathias HAENCHEN, Romanische Baukunst in Mariental. In: Ebd., S. 45-74.2 Wolfgang BICKEL, Die Kunst der Cistercienser. In: Die Cistercienser. Geschichte, Geist, Kunst. Hg.Ambrosius SCHNEIDER. Köln 3. Auf). 1986. S. 190-340. Hier S. 233.3 Christiane RAABE, Das Zisterzienserkloster Mariental bei Helmstedt von der Gründung 1138 bis 1337.Die Besitz- und Wirtschaftsgeschichte unter Einbeziehung der politischen und ordensrechtlichen Stellung.(Berliner Historische Studien 20 - Ordensstudien IX) Berlin 1995. - Dies., Die frühe BesitzundWirtschaftsgeschichte des Zisterzienserklosters Mariental. In: Das Zisterzienserkloster Mariental,1988 (wie Anm. 1) S. 127-136. - Oemens U.UFKÖTER, Die wirtschaftliche Lage der ehemaligen<strong>Braunschweig</strong>ischen Zisterzienserklöster Michaelstein, Mariental und Riddagshausen bis zum Jahr1300. (Beitr. f. d. Gesch. Nds. u. Westf. 49) Hildesheim 1919. - Hans WISWE, Grangien niedersächsischerZisterzienserklöster. Entstehung und Bewirtschaftung spätmittelalterlich'frühneuzeitlicherlandwirtschaftlicher Großbetriebe. In: BsJb. 34, 1953, S. 5-134.4 Christoph RÖMER, Zisterzienserkloster im Lutherischen Landesstaat. Mariental bei Helmstedt und seineÄhte 1568-1918. In: Das Zisterzienserkloster Mariental, 1988 (wie Anm. 1) S. 168-186. - Ders.,Mariental. In: Germania Benedictina Bd. 12: Norddeutschland. Die Männer- und Frauenklöster derZisterzienser in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg, 1994, S. 463-517. Bes. S. 476 ff. -Gottfried ZIMMERMANN, Heinrich Meiboms Chronik des Klosters MarienthaI 1138-1629. (Einleitung).Mariental 1988.S Heinrich MEIBOM, Chronicon Marienthalense. Opus posthumum. Helmstedt 1651. Auch in: Ders.,Scriptores Rerum Germ. 3. Helmstedt 1688. - In der Literatur zu Mariental wird die fehlerhafte AbtsserieMeiboms bis heute ühernommen. Vgl. RÖMER, Mariental, S. 501. - Das Zisterzienserkloster Mariental,1988 (wie Anm. 1) S. 200.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265036 eh. Raabegen des humanistischen Gelehrten über die Marientaler Äbte, die ihm zur historischenExemplifizierung moralischer Normen seiner Gegenwart dienten, können heutigenAnsprüchen nicht mehr genügen. Meibom begnügte sich, Amtsantritt und Sterbedatumder Marientaler Äbte zu benennen, und füllte die Äbtebiographien mit assoziativzusammenhängenden Nachrichten aus der klösterlichen Privilegien- und Besitzgeschichte,aus der politischen Geschichte Sachsens und des Reichs sowie mit Genealogienzu den führenden adligen Geschlechtern des Raums. Der Leser erfährt dabeiviele besitz- und ereignisgeschichtliche Details, aber nichts über die Bedeutungder Abtei als Niederlassung des Zisterzienserordens.IDas Zisterzienserkloster Mariental war Glied eines Ordens, der anders als die älterenBenediktiner anstrebte, einen der Einheit und Uniformität dienenden überregionalenVerband von Mönchen zu bilden. Während das Reformmönchtum von Ouny, Gorzeund Hirsau die innere Reform bestehender Benediktinerabteien verfolgte, verzichtetendie Zisterzienser auf Reformarbeit in bestehenden Klöstern und wollten von Beginnan eine Erneuerung des Mönchtums aus sich selbst, in Abgrenzung zur Außenweltund zum älteren Mönchtum, erreichen. Abgeschieden von der Welt, in einerselbstgeschaffenen Einsamkeit, suchten die Wegbereiter des Ordens an der Wendezum 12. Jahrhundert zur reinen Auslegung der Benediktregel zurückzukehren. Siewaren von einem Idcal mönchischen Lebcns bcscc\t, das sich, nach dem Vorbild derWüstenväter, in Konzentration auf sich selbst, in einer der Askese und Einsamkeitverpflichteten, durch ein Selbstversorgungssystem geschützten Sonderwelt, der Zisterze,entfalten sollte. Diese Zellen monastischen Lebens wollten die Väter der zisterzicnsischenVerfassung durch ein System der Mitsprache und Kontrolle, der ÜberundUnterordnung fest in den Orden einbinden, um die Konformität aller Mitgliederzu wahren. 6Die angestrebte Einheit der Observanz sollte durch eine für alle Häuser verpflichtendeVerfassung gewährleistet werden, die in der "Charta Caritatis" niedergeschriebenwurde 7. Darin war vorgesehen, daß die Ordenshäuser durch ein hierarchisches Fi-6 Textus Exordii Cisterciensis coenobii. In: ASOC 4, 1948. S. 32-35. und In: BOUTON/VAN DAMME,Les plus anciens textes de Citeaux. Sources, textes et notes historiques. (Citeaux - Commentarii Cisterciensis- Studia et Documenta II) Achel 1974. S. 54-86. - Jean LECLERCQ, The Intention of theFounders of the Cistercian Order. In: Cistercian Studies Series 3: Tbe Cistercian Spirit. A Symposium.Hg. Basil PENNINGTON. Shannon-Irland 1970. S. 88-133. - Louis J. LEKAI, Geschichte und Wirkender Weissen Mönche. Der Orden der Cistercienser. (Dt. Ausgabe v. Ambrosius SCHNEIDER). Köln1958. - H.-M. KLINKEN BERG, Citeaux - Spiritualität und Organisation. In: Die Zisterzienser. Ordenslebenzwischen Ideal und Wirklichkeit. Hg. Kaspar ELM u. a. Katalog zur Ausstellung des LandesverbandesRheinland, Rheinisches Museumsamt, Brauweiler: Aachen 1980. (Schriften des Rhein. Museumsamtes10) Bann 1980. Erganzungsband, Köln 1982. S. 13-28. (Ergänzungsband).7 Textus Chartae Caritatis Prioris. Hg. Joseph TuRK. In: ASOC 1, 1945, S. 53-56. - Textus Chartae Caritatisprioris et posterioris. Hg. Joseph TURK. In: ASOC 4, 1948, S. 109-114. - Zum folgenden vgl.auch Christian MosslG, Verfassung des Zisterzienserordens und Organisation der Einzelklöster. In:Die Zisterzienser (wie Anm. 6) S. 115-124.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650DieÄbte von Mariental 37Iiationssystem und ein jährlieh tagendes Generalkapitel eng miteinander verbundenwurden. Jede Neugründung war zwar ein selbständiges Vollkloster, angeführt von einemAbt, stand aber gleichzeitig hinter dem Mutterkloster, das die Besetzung übernommenhatte, am Ende eines Filiationsstrangs, der bei einer der vier PrimarabteienClairvaux, Morimond, Pontigny und La Ferte zusammenlief. Die Verfassungsgrundsätzeregelten das Verhältnis von Mutter- und Tochterkloster detailliert. Der Vaterabtsollte die Tochterabtei jährlich visitieren, die Einhaltung der Zisterziensergewohnheitenüberwachen und bei Abtvakanz die Verantwortung für das monastische Lebenund die Verwaltung übernehmen. Abtwahlen sollte er beratend begleiten und auf dieNeuwahl consilio et voluntate Einfluß nehmen. Umgekehrt war der Tochterabt zumBesuch des Mutterklosters verpflichtet und sollte ebenfalls der Wahl des Vaterabtsbeiwohnen. Als Abt durfte nur ein Mönch aus dem Konvent oder aus einem anderenZisterzienserkloster designiert werden, keinesfalls ein Würdenträger aus einer ordensfremdenAbtei.Die Regelung der Beziehung von Mutter- und Tochterkloster, wie sie in der "ChartaCaritatis" vorgesehen war, sollte zwischen den einzelnen Ordenshäusern ein engesBand knüpfen, das durch den ganzen Filiationsstrang hindurchlief. Um der Gefahrvorzubeugen, daß sich die einzelnen Filiationen verselbständigten, richtete der Ordenein Generalkapitel ein, das alle Äbte besuchen mußten. Hier wurden jährlich im Septemberin Citeaux schwere Disziplinarverstöße in den Einzelklöstern vorgetragen undabgeurteilt, ordenspolitische Standpunkte gesucht und durch Einzelbestimmungendas Ordensrecht modifiziert 8 • Durch die Generalkapitel sollten die Einzelklöster indem weitverzweigten europäischen Klosternetz mit mehr als 600 Niederlassungenam Ende des 12. Jahrhunderts 9 auf die Einheitlichkeit der Observanz verpflichtetwerden.Die Architektur der Ordensverfassung zielte auf den inneren Zusammenhalt derZisterziensergemeinschaften und schloß theoretisch Abhängigkeiten von der Außenweltweitgehend aus. Die Ordensgrundsätze beschnitten beispielsweise die Aufsichtsrechtedes Diözesanbischofs, indem Abtwahlen und Disziplinarmaßnahmen als ordensinterneAngelegenheit betrachtet wurden und die Abteien vom Besuch der Synodenbefreit waren lO • Hat es den in der "Charta Caritatis" entworfenen idealen Or-• Die Generalkapitelbeschlüsse sind in den dreißiger Jahren herausgegeben worden. Statuta CapitulorumGeneralium Ordninis Cisterciensis ab anno 1116 ad annum 1786. Hg. Joseph-Marie CANIVEZ8 Bde. (Bibliotheque de la Revue d'histoire ecclesiastique 9-14b) Louvain 1933-41. (Im ff. abgekürztmit Can ....)9 Zu der Entwicklung des Ordens vgl.: Gerhard B. WINKLER, Die Ausbreitung des Zisterzienserordensim 12. und 13. Jh. In: Die Zisterzienser (wie Anm. 6), S. 86-92. - R. A. DONKIN, The Growth andDistribution of the Cistercian Order in Medieval Europe. In: Studia Monastica 9, 1967, S. 275-286.tu Zum Verhältnis der Zisterzienser zur Diözesangewalt vgl. Georg SCHREIBER, Kurie und Kloster im12. Jh. Studien zur Privilegierung, Verfas.~ung und besonders zum Eigenkirchenwesen der vorfranziskanischenOrden, vornehmlich auf Grund der Papsturkunden von Paschalis 11. bis auf Lucius III.(1099-1181)(Kirchenrechtl. Abhandlungen 65/66), bes. Bd. 1 S. 88. - Friedrich PFURTSCHELLER, DiePivilegierung des Zisterzienserordens im Rahmen der allgemeinen Schutz- und Exemtionsgeschichtevom Anfang bis zur Bulle "Parvus fons" (1265). Ein (,lberblick unter besonderer Berücksichtigungvon Schreibers "Kurie und Kloster im 12. Jahrhundert". (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23,


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265038 eh. Raabedensverband aber jemals gegeben und wenn ja, wie lange? Funktionierte der durchdas Filiationssystem und die Generalkapitel erzeugte Zusammenhalt? Waren dieMönche von den monastischen Idealen erfüllt genug, um ihnen Wirklichkeit zu verschaffen,und ließ die Wirklichkeit eine Realisierung der Ideale überhaupt zu? DieseFragen sollen die Abhandlung über die Geschichte der Marientaler Äbte im folgendenbegleiten. Die Äbte repräsentierten nicht nur ihr Kloster, sondern waren auch Repräsentantendes Ordens. Ihr Streben nach Übereinstimmung mit den Grundsätzendes Ordens aber auch ihr Wirken auf Abwegen ist somit ein Gradmesser für den innerenZustand des Ordens. Inwiefern erwiesen sie sich als Bewahrer der Verfassungsgrundsätze?Es gilt zu untersuchen, woher sie kamen und weIche Bedeutung die Filiationund der Gesamtorden in der Geschichte der von ihnen geführten Abtei hatten.Dabei ist sowohl das Verhältnis zur Mutterabtei zu berücksichtigen als auch die Beziehungzu den von Mariental im 13. Jahrhundert beaufsichtigten Tochterklöstern zuverfolgen. Läßt sich eine Sonderstellung Marientals als Haus eines europaweit wirkendenOrdensverbands in der ostsächsischen Klosterlandschaft erkennen oder unterschiedsich die zisterziensische Gemeinschaft gar nicht so sehr von dcn benachbartenKlöstern? Nebenbei wird es auch darum gehen, die oft fehlerhaften MitteilungenHeinrich Meiboms über die Marientaler Äbte zu berichtigen, da Meiboms Angabenbis heute als Grundlage für eine Marientaler Äbteliste herangezogen werden.IIDie Anfänge des Zisterzienserklosters Mariental im Lappwald fallen in das Jahr 1138,als Pfalzgraf Friedrich 11. von Sommerschenburg, einer der mächtigsten DynastenOstsachsens, auf der politischen Höhe seines Lebens den Entschluß faßte, ein Hausklosterzu gründen ll • Für dieses Vorhaben gewann er Mönche aus dem jungenReformorden von Citeaux, der sich seit dem zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhundertszunächst in Frankreich, dann über die Grenzen hinweg in ganz Europa ausbreitete.Friedrich 11. von Sommerschenburg ließ sich bei der Entscheidung für eine Gemeinschaftdes neuen Ordens, den 1138 noch keine Niederlassung nach Ostsachsen geführthatte, von dem frommen Vorbild seiner Stiefbrüder, der Grafen von Berg, leiten12 • Everhard von Berg war 1129 nach einem Konversionserlcbnis als Mönch in dasZisterzienserkloster Morimond eingetreten, hatte dort mehrere Jahre zurückgezogengelebt, ehe er in seine Heimat zurückkehrte 13 • Er überredete seine Brüder, Graf AdolfII. von Berg und Erzbischof Bruno von Köln, den Stammsitz bei Köln in ein KlosterTheologie Bd. 13) Bem-Frankfurt a. M. 1972. - Bemhard SCHIMMELPFENNIG, Zisterzienser, Papsttumund Episkopat im Mittelalter. In: Die Zisterzienser (wie Anm. 6), S. 69-85.11 Zur Gründung Marientals vgl. ausführlich RusE, MarientaI. 1995 (wie Anm. 3) S. 17 ff.12 Die Mutter Friedrichs 11. von Sommerschenburg, Adelheid von Laufen, war in erster Ehe mit GrafAdolf I. von Berg verheiratet.13 Herbert GRUNDMANN, Adelsbekehrungen im Hochmittelalter. Conversi et nutriti im Kloster. In: Adelund Kirche. G. TeIlenbach zum 65. Geburtstag. Hg. Josef FLEcKENsTEIN und Karl SCHMID. Freiburg1968. S. 325-345. Hier S. 341 f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental 39umzuwandeln und mit Mönchen aus Morimond zu besetzen. Im Jahr 1133 bewg derGründungskonvent die neue Abtei Altenberg, in die Graf Adolf 11. später als Möncheintrat. Was lag für Friedrich 11. von Sommerschenburg näher, als Mönche aus demvon seinen Stiefbrüdern gestifteten Altenberg für seine Klostergründung zu gewinnen?Der junge Refonnorden, aus dem der redegewandte Prediger, Politiker und MystikerBernhard von Clairvaux stammte, erfreute sich außerordentlicher Beliebtheitunter den adligen Familien, die seit Ende des 11. Jahrhunderts zu politischer Machtaufstiegen und den allmählich aussterbenden älteren Dynastenadel ablösten. PfalzgrafFriedrich 11. gehörte zur dritten Generation der Sommerschenburger und hattedie von seinem Vater geerbte Herrschaft gefestigt und ausgebaut l4 • Die Gründung einesKlosters mußte sein Ansehen und das seiner Familie noch einmal steigern, zumalwenn es sich um ein Haus der Zisterzienser handelte, die um ein strenges, reinesMönchtum rangen. Es gelang ihm, Mönche aus Altenberg nach Ostsachsen zu holen.Mariental wurde das erste Tochterkloster Altenbergs.Über den Marientaler Gründungskonvent ist so gut wie nichts bekannt. Man mußdavon ausgehen, daß er sich aus zwölf Mönchen unter Leitung eines Abts zusammensetzte.Die Mönche stammten aus dem Kölner Raum, einige von ihnen waren vielleichtsogar aus Frankreich über Altenberg nach Mariental gekommen. Angeführtwurden sie von Abt Bodo, einem ebenso diplomatisch geschickten wie gebildetenMann 15, der in dem knappen Marientaler Gründungsbericht im ältesten Kopialbuchdes Klosters aus den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts genannt wird l6 • Im ChroniconMarienthalense heißt es, Bodo sei vorher Mönch in Amelungsborn gewesen,wohin er aus Altenberg gekommen sei. Diese Nachricht ist bemerkenswert, weilAmelungsborn nicht zur Altenberger Klosterfamilie gehörte, sondern von Altenkampbesetzt worden war l7 • An der Gültigkeit der Meibomschen Angabe besteht jedochkein Zweifel, weil Bodo auch in anderen Berichten als Mönch in Amelungsborngenannt wird l8 •.. Zur den Pfalzgrafen von Sommerschenburg Heinz-Dieter STARKE, Die Pfalzgrafen von Sommerschenburg(1088-1179) In: Jb f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 4, 1955, S. 1-72. - Bernd UlrichHUCKER, Friedrich 11. von Sommerschenburg, Pfalzgraf von Sachsen, Reichsfürst und Klostergründer.In: Das Zisterzienserkloster Mariental bei Helmstedt, 1988 (wie Anm. 1) S. 114-126.IS Heinrich Meibom berichtet, Bodo habe einen Codex, Flores Bodensis, verfaßt: Super est in Valle-Mariaeliber in membrana scriptus, cui titulus, Flores Bodonis ...16 VB H Halb I. Nr. 257.: Anno dominice incamationis millesimo centesimo xxx octavo ... fundatus estlocus iste qui vocatur Vallis sancte Marie a venerabili Friderico palatii comite pie memorie, domno Bodonetune existente abbate, in honorem sanete et individue Trinitatis ...17 Zu Amelungsborn vgl. Nicolaus C. HEUTGER, Das Kloster Amelungsborn im Spiegel der zisterziensisehenOrdensgeschiehte. Hildesheim 1968. - Der vorübergehende Aufenthalt Bodos in Amelungsbornmag auch die Erklärung dafür liefern, daß die ältere Forschung Mariental für ein TochterklosterAltenkamps hielt. Vgl. Paul Jonas MEIER, Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums <strong>Braunschweig</strong>:Kreis Helmstedt 1. Wolfenbüttel 1896, S. 28 - HEUTGER, ebd., S. 53; - Hermann HOOGE­WEG, Verzeichnis der Stifte und Klöster Niedersachsens bis zur Reformation. Hannover-Leipzig 1908,S.89.18 Vgl. z. B. die Marientaler Klosterchronik des Prior Johann Nikolaus KRE!oIER. StAWf VII B Hs 347-Johann Georg LEUCKFELD, Chronologia abbatum Amelunxbornensium oder Verzeichniß derer vormahlsim Closter Amelunxborn gelebten Cistercienser-Äbte. Wolfenbüttel 1710. S. 26f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental 41Dieser Besitz wurde der Abtei 1147 von Papst Eugen III. erstmals bestätigt24. Nachdemdie Grundausstattung gesichert war, sorgte die Unterstellung der Abtei unter denHalberstädter Stuhl 1146 für eine feste Verankerung der Zisterze im Bistum Halberstadt.Der Stifter, der die Vogteirechte behielt, hatte die Kommendation vorgenommen,um seine Gründung vor dem aggressiven Machtanspruch Heinrichs des Löwenzu schützen 25 . Ein Einvernehmen zwischen dem Stifter und dem Gründungsabt ist fürdie Kommendation vorauszusetzen. Das Jahr 1146 läßt sich demnach als Abschlußdes mehrjährigen Gründungsvorgangs in Mariental bezeichnen.Die Gründung zeigt sich als ein Akt der materiellen und rechtlichen Absicherungder jungen Abtei. Die von den Eremiten der Urkirche durchwanderten Wüsten mitihren Entbehrungen und Herausforderungen für Geist und Körper gab es im HohenMittelalter nicht mehr, so daß sich Freiräume für radikale Lebensentwürfe nur auf derGrundlage von Zugeständnissen erkämpfen ließen. Solche Kompromisse ging derOrden auch in Mariental ein. In nüchternen Verhandlungen, unter Berücksichtigungder machtpolitischen Konstellation der Region, suchten die Ordensleute und der Stifterihre Interessen in Übereinstimmung zu bringen. Dabei nahm Mariental die dynastischenAnsprüche des Klostergründers auf ein Hauskloster in Kauf und akzeptiertedie Gründervogtei, erhielt dafür ein relativ abgeschiedenes Tal, umgeben von Waldund Mooren, beinahe ideal für die Verwirklichung zisterziensischer Lebensträumehinter den Klostermauern. Sümpfe und Täler sollt ihr aufsuchen und mit eurer eigenenHände Arbeit aus der Wüstenei ein blühendes irdisches Paradies schaffen, hatteBernhard von Oairvaux seinen Ordensbrüdern gepredigt. Das Gründungstal imLappwald war eine solche sumpfige Ödnis. In mühseliger Arbeit mußten die Möncheden Grund und Boden entwässern, um die Fundamente für die Klosterkirche undKlausurgebäude legen zu können 26 • Der Gründungskonvent von Mariental unter AbtBodo war durchaus vom Geist der Ordensgründer erfüllt.Abt Bodo hat nur den ersten Bauabschnitt, der mit der Weihe des Ostchors 1146endete, betreut. Er soll nach Heinrich Meibom bereits am 23. August 1147 verstorbensein 27 . Da Papst Eugen III. eine auf den 25. August 1147 datierte Urkunde für Bodos24 Acta pontificum Romanorum inedita I. Urkunden der Päpste vom Jahr 748 bis zum Jahr 1198. Hg.J. v. PFLUGK-HAKTUNG. Tübingen 1881. (Im ff. angegeben mit Acta pont. 1.) Nr. 214.25 Ausführlich über die Hintergründe RAABE, Mariental, 1995 (wie Anm. 3) S. 26ff.26 Das haben bauarchäologische Untersuchungen in Mariental gezeigt. Vgl. Karl Bemhard KRUSE, Dasehemalige Zisterzienserkloster Marienta!. Die Ergebnisse der bauarchäologischen Untersuchungen1983-1986. In: Das Zisterzienserkloster Mariental, 1988 (wie Anm. 1) S. 35-44. - Vgl. auch RAABE,MarientaI, 1995 (wie Anm. 3) S. 91 f.27 MEIBOM (wie Anm. 5) - Die Angaben Meiboms zu den Todestagen der Marientaler Äbte stammenaus dem Marientaler "Memorienbuch", das heute nicht mehr existiert. Aus den Angaben Meibomskann auf die Anlage des Memorienbuchs geschlossen werden. Es muß sich um ein kalendarisch aufgebautesNekrologium gehandelt haben, wie es auch in anderen Zisterzienserklöstern seit Ende des13. Jahrhunderts geführt wurde. Aus dem niedersächsischen Raum ist da~ Amelungsbomer Anniversarienbuchzu nennen. (Hans DÜRRE, Anniversaria fratrum et benefactorum ecclesia Amelungsbornensis.In: Zs d. hist. Vereins f. Nds 1877, S. 1-106. - Vg!. auch weiter unten die AJtenberger Memorienüberlieferung.)- In diesen Nekrologien sind gewöhnlich die Todestage der Äbte, Konventsmitgliederund weniger Laien verzeichnet. Jahresangaben fehlen. Das mag der Grund gewesen sein,daß Meibom nur den Todestag jener Äbte mitteilt, die er aufgrund ihres Namens eindeutig identifi-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265042 eh. RaabeNachfolger Abt Heinrich ausstellte 28 , kann das von Meibom überlieferte Todesjahrjedoch nicht zutreffen. Nun ist im Altenberger Totenbuch unter dem 21. August (!)ein Abt Bodo genannt 29 • Dieser lebte noch in den siebziger Jahren und stand damalsals Abt dem Altenberger Konvent vor. Er soll im Jahr 1181 gestorben sein 3o • Ist eineIdentität zwischen dem Marientaler Gründungsabt und dem späteren AltenbergerAbt Bodo denkbar? Die Geschichte des Ordens ist reich an Beispielen für bewegteKarrieren von Äbten, zumal wenn sie sich als Führungspersönlichkeiten auszeichneten.In der Filiation von Eberbach hat Meyer von Ermgassen beispielsweise einen regenpersonellen Austausch in den Spitzenpositionen nachweisen können 31 • AuchBodo wirkte innerhalb eines Jahrzehnts in drei Klöstern: Altenberg, Amelungsbornund Mariental. Materiell und rechtlich war Mariental 1146 gefestigt. Deshalb ist esnicht auszuschließen, daß der Altenberger Vaterabt Bodo zu diesem Zeitpunkt ausMariental abrief. Altenberg hatte nach Mariental in den vierziger Jahren die Besetzungvon zwei weiteren Abteien übernommen. Für den Aufbau der polnischen OrdensniederlassungenLekno und Lad benötigte die Mutterabtei erfahrene Mönche.Bodo war ein solcher erprobter Ordensvertreter. Sollte er nach Polen gegangen sein,so war der Marientaler Abbiat für ihn nur ein Aufenthalt auf einem langen Weg imDienste der Altenberger Klosterfamilie. Am Ende kehrte er dorthin zurück, wo ereinst begonnen hatte, in sein Stammkloster Altenberg.Ihm folgte Abt Heinrich 32 , ein Mönch, der wahrscheinlich mit dem Gründungskonventaus Altenberg nach Mariental gekommen war. Über ihn ist nur so viel bekannt,daß er die Interessen des Ordens bei der Besetzung Michaelsteins am Ostharzdurch Altenkamp verfolgte 33 • In Michaelstein lebte bereits seit längerem eine geistlicheGemeinschaft ohne feste Regel, als sich die Äbtissin Beatrix von Quedlinburg derGruppe annahm und den Ort dem Orden unterstellte. In der undatierten, zwischen1147 und 1149 ausgestellten Gründungsurkunde wird Abt Heinrich von Mariental alszieren konnte wie Bodo, Dudelin oder Ernst. Für Äbte mit den weitverbreiteten Namen Heinrich oderJohann fehlen hingegen die Todestage im Chronicon. Das Todesjahr ermittelte Meibom durch seinUrkundenstudium. Die Zuverlässigkeit der Meibomschen Angaben kann in einigen Fällen nicht mehrnachgewiesen werden, in anderen Fällen sind seine Angaben fehler- oder lückenhaft. Für sich genommensind die Mitteilungen Meiboms über Amtsantritt und Tod der Äbte daher mit Vorsicht zu nehmen.28 Acta pont I. Nr. 214.29 In Altenberg wurde für die klosterinterne Memoria ein eigenes Nekrolog geführt, das in Auszügen indas Altenberger Totenbuch, das Ende des 18. Jahrhunderts entstand, übertragen wurde. Die Jahresangabenim Totenbuch sind in vielen Fällen unzuverlässig. - Ein Totenbuch der Abtei Altenberg. Hg.G. WELLSTEIN. In: Cistercienser-Ouonik 21, 1909, S. 257-266; 291-299; 324-333. Hier S. 259.JO Vgl. VB der Abtei Altenberg. Bearbeitet v. Hans MOSLER. (Urkundenbücher d. geistlichen Stiftungend. Niederrheins 3: Abteilung Altenberg.) Bonn 1912. S. XIX.31 Heinrich MEYER VON ERMGASSEN, Untersuchungen zur Abtsserie von Kloster Eberbarb im Rheingau.In: Nassauische Annalen 85,1974, S. 43-70.32 Heinrich ist erstmals in der Urkunde Papst Eugens IlI. vom 25. August 1147 nachzuweisen. Acta pont.I. Nr. 214.33 Zur Gründungsgeschichte Michaelsteins A. DIESTELKAMP, Die Anfänge des Klosters Michaelstein. In:Sachsen und Anhalt 10, 1934, S. 106-118.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Abte von Mariental 43Zeuge genannt 34 • Vermutlich hatte er die Visitation in Michaelstein durchgeführt. Eswar üblich, daß ein neuer Gründungsort nicht von dem Abt der zukünftigen Mutterabteivisitiert wurde, sondern von einem benachbarten Abt. Daß Heinrich dabei inenger Absprache mit der Ordensleitung in Citeaux und dem Vaterabt in Altenbergvorging, ist vorauszusetzen, so daß wir Mariental in den Aufbau des expandierendenKlosternetzes einbezogen sehen. Dabei spielte die Filiationsstellung keine Rolle - Michaelsteinwurde von Altenkamper Mönchen besetzt - vielmehr läßt sich, wie schonim Falle Amelungsborns, ein Zusammenwirken zwischen den beiden Kölner ZisterzenAltenkamp und Altenberg erkennen, getragen von dem sie verbindenden Ordensgedanken.Heinrich, der in der Marientaler Überlieferung nur 1147 belegt ist,soll nach Meibom 1155 gestorben sein 35 • Für dieses Jahr spricht, daß wir den Amtsantrittseines Nachfolgers Dudelin im Jahr 1155 wahrscheinlich machen können.Dudclin war zweiter Abt des Mutterklosters Altenberg, als er die Führung des MarientalerKonvents übernahm. In der Altenberger Überlieferung ist er 1151 als Abturkundlich belegt und soll 1155 verstorben sein 36 • Der beste Kenner der mittelalterlichenGeschichte von Altenberg, Hans Mosler, hat vermutet, daß Dudelin zunächst alsMönch in die Primarabtei Morimond eingetreten und von dort als Prior des Gründungskonvents1133 nach Altenberg gekommen sei, weil er in der Altenberger Abtschronikmit dem Zusatz gallus verzeichnet ist 37 • Nach dem Tod des ersten AltenbergerAbts Berno habe man ihn zu dessen Nachfolger gewählt; 1155 sei er verstorben,da er seit diesem Jahr nicht mehr in Altenberg nachzuweisen ist 38 • Dudelin verschwandjedoch nicht aus den Altenberger Quellen, weil er starb, sondern weil er1155 nach Mariental wechselte. Der für das Jahr 1155 überlieferte Amtsantritt einesneuen Abts mit dem für den ostsächsischen Raum ungewöhnlichen Namen Dudelinlegt diese Vermutung nahe. In diesem Zusammenhang ist auch eine Mitteilung HeinrichMeiboms über Dudelin aus einer heute nicht mehr verfügbaren Quelle beachtenswert.Dudelin sei, heißt es im Chronicon Marienthalense, ein Freund Ottos vonFreising gewesen, mit dem er einst gemeinsam in Morimond lebte 39 • Da Otto vonFreising 1133 mit Freunden als Mönch in die Abtei Morimond eintrat 40 , ist dieseNachricht Meiboms durchaus glaubwürdig. Man kann deshalb davon ausgehen, daßmit Dudelin ein Mitglied aus dem Mutterkloster zum Marientaler Abt gewählt wurde.Der Lebensweg Dudelins, der ihn von Morimond über Altenberg nach Marientalführte, spiegelt geradezu exemplarisch die ungeheure Dynamik der frühen Ordensentwicklungwider. Daß ausgerechnet unter seiner Führung die Einheit des Ordens34 Cod. dipl. Anhaltinus. Hg. Otto V. HEINEMANN. 6 Bde. Dessau 1867-1883. Bd. I. Nr. 535.3S MEIBOM (wie Anm. 5).36 WELLSTEIN (wie Anm. 28) S. 259.37 Eine Abtschronik von Altenberg. Hg. Friedrich KÜcH. In: ZBergV 29, 1893, S. 171-191. Die A1tenbergerAbtschronik wurde 1517 verfaßt.38 Hans MOSLER, Die Cistercienserabtei Altenberg. (Germania Sacra NF 2. Die Bistümer der KirchenprovinzKöln. Das Erzbistum Köln 1) Berlin 1965. S. 13!l.39 MEIBOM (wie Anm. 5).4() Zum Leben Ottos von Freising vgl. Walter LAMMERs, Einleitung zur zweisprachigen Ausgabe derChronik Ottos von Freising. In: I-VStA 16, 1960. S. XI-LXVIII.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265044 eh. Raabezerschlagen wurde und Mariental dabei in Gegensatz zur französischen Ordensleitunggeriet, hat in gewisser Weise etwas Tragisches.Dudelin war neben Bodo die stärkste Abtspersönlichkeit in Mariental im 12. Jahrhundert,er war ehrgeizig und politisch ambitioniert. Seine Wahl zum Marientaler Abt1155 sicherte Mariental eine starke Führung, an der Altenberg interessiert war, nachdemdas Bistum Halberstadt unter Bischof Ulrich (1149-1160) ins Spannungsfeld desterritorial- und reichspolitischen Kräftemessens geraten war. Bischof Ulrich hattenach seinem Amtsantritt 1149 in Rückbesinnung auf die Reformpolitik seines VorgängersBischof Reinhard die bischöfliche Herrschaft intensiviert und geriet dabei inGegensatz zu Herzog Heinrich dem Löwen, der Einfluß auf das benachbarte Bistumzu gewinnen suchte. Obwohl der Bischof den Reichsdienst vernachlässigte, ging KönigFriedrich I. Barbarossa zunächst nicht gegen ihn vor, weil ihm ein Gegengewichtzur wachsenden Macht Heinrichs des Löwen - trotz des welfisch-staufischen Bündnisses- nicht unlieb war 41 • Als Ulrich von Halberstadt jedoch 1154 Friedrich I. aufdessen Italienfeldzug keine Heerfolge leistete, strafte der Staufer ihn mit dem Entzugder Lehen. Durch den politischen Kurs Bischof Ulrichs brachen innere Gegensätze inder Halberstädter Geistlichkeit hervor. Die Domkanoniker und ein Teil der Benediktineräbtefielen von Ulrich ab, während die Augustinerchorherren weiter die bischöflichePolitik unterstützten 42 • In dieser angespannten Situation trat Dudelin die NachfolgeAbt Heinrichs von Mariental an. Wie die meisten deutschen Zisterzienser war erstauferfreundlich gesinnt 43 und führte Mariental politisch auf die Seite der Bischofsgegner.Dies schien ihm dringlich zu sein, nachdem Abt Heinrich durchaus in gutemEinvernehmen mit Bischof Ulrich gestanden hatte und von diescm eine Bestätigungder Gründung sowie ein umfangreiches, aufgelassenes Ministerialenlehen entgegengenommenhatte 44 •Dudelin schloß sich den Gegnern Bischof Ulrichs an und war maßgeblich an derAbsetzung Ulrichs von Halberstadt auf dem Konzil von Pavia beteiligt. Kaiser FriedrichI. hatte das Konzil für das Jahr 1160 einberufen, um das 1159 ausgebrocheneSchisma zwischen Alexander III. und Viktor IV. in seinem Sinne, nämlich mit der Anerkennungdes kaiserlichen Kandidaten Viktor IV. beizulegen. Da Bischof Ulrich vonHalberstadt sich ausdrücklich zu Alexander III. bekannte und nicht bereit war, auf diekaiserliche Seite zu wechseln, war der Zeitpunkt, gegen Ulrich beim Kaiser vorzugehen,für seine Gegner günstig. Gemeinsam mit einer Abordnung aus dem BenediktinerklosterIIsenburg reiste Abt Dudelin von Mariental nach Pavia und trug die Beschwerdender Halberstädter Geistlichkeit gegen ihren Bischof dem Kaiser vor. Ulrich4' Vgl. Joachim EHLERS, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat. In: Friedrich Barbarossa.Handlungsräume und Wirkweisen der staufischen Kaiser. Hg. Alfred HAvERKAMP (VuF 40) Sigmaringen1992. S. 435-466. Hier S. 453.42 Karlotto BOGUMIL, Das Bistum Halberstadt im 12. Jh. Studien zur Reichs- und Reformpolitik des BischofsReinhard und zum Wirken der Augustiner-Chorherren. (Mitteldt. Forsch. 69) Köln-Wien1972. S. 239f.43 MOSLER (wie Anm. 38) S. 60 ff... UB H Halb I. Nr. 257 und Nr. 258.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Abte von Mariental 45von Halberstadt wurde daraufhin abgesetzt 45 • Daß der Konflikt mit dem Bischof vomSchisma überlagert wurde, hatte für Mariental weitreichende Folgen. Denn bereits inPavia zeichnete sich ab, daß der Orden für Alexander III. eintreten würde 46 : Dudelinvon Mariental war einer der wenigen Zisterzienseräbte, die am Konzil überhaupt teilnahmen.Auf den Generalkapiteln im September 1160 und 1161 legte die Ordensleitungsich endgültig auf Seiten Alexanders III. fest und wurde fortan zu einer starken Stützeder alexandrinischen Politik. Die deutschen Häuser sollten laut Generalkapitelbeschlußdie Verbindung zum Kaiser und zur viktorianischen Partei abbrechen. Abt Dudelinstand vor der schweren Entscheidung, seine bisherige Politik vollkommen zu revidierenoder sich der Autorität des Ordensbeschlusses zu widersetzen. Seine Entscheidungwar nicht nur eine Frage der Loyalität gegenüber dem Generalkapitel, sondernbetraf die Existenz des Klosters, nachdem Friedrich I. auf den Generalkapitelbeschlußscharf reagiert und den deutschen Ordenshäusern befohlen hatte, entwederVictor IV. anzuerkennen oder das Reich zu verlassen 47 • Bekanntlich hat dieser Konfliktdie Einheit des Zisterzienserordens stark belastet und einen tiefen Riß im Ordensverbandhinterlassen. Nur wenige deutsche Zisterzienser wie der Konvent vonEberbach gingen ins Exi1 48 , während die meisten Äbte versuchten, ihre Gemeinschaftdurch eine zurückhaltende neutrale Politik gegenüber beiden päpstlichen Lagern überdie Zeit des Schismas zu retten. Für Mariental war die Situation um so brisanter, alsAbt Dudelin sich 1160 eindeutig zu Victor IV, bekannt hatte und das Kloster in einemZentrum der kaiserlich-viktorianischen Partei lag. Nach der Absetzung Bischof UIrichsvon Halberstadt hatte der Viktorianer Heinrich der Löwe zunehmend Einflußauf das Bistum gewonnen, das nun von Bischof Gero (1160-1177) geführt wurde.Abt Dudelin, der mittlerweile ein hohes Alter erreicht hatte - er starb 1162 - besaßnicht die Standhaftigkeit, sein Kloster der nicht ungefährlichen Gegnerschaft des Kaisersund Löwen auszusetzen 49 • An der Politik seiner Nachfolger, die im Einvernehmenmit dem neuen Bischof Gero die Sicherung und den Ausbau der klösterlichenBesitzungen verfolgten 5o , läßt sich ablesen, daß Mariental keine Kursänderung vor-., Zu den Ereignissen vgJ. BOGUMIL (wie Anm. 42) S. 240f. - RAABE Mariental, 1995 (wie Anm. 3)S. 52 f. - In Pavia ließ sich Abt Dudelin alle Besitzungen Marientals von Viktor IV. bestätigen. Actapont. 1. Nr. 321.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265046 eh. Raabenahm. Dabei handelten Dudelin und seine Nachfolger durchaus im Einvernehmenmit Altenberg, das ebenfalls vom ordenspolitischen Standpunkt abfiel. Das BergischeHauskloster, in das Mitglieder des erzstiftischen Adels eintraten, war fest in die Interessendes Kölner Erzbistums eingebunden und brach die Beziehung zu Rainald vonDasseI, dem fanatischen Gegner Alexanders 111., nicht ab. Als dieser 1167 vor Romstarb, wurde sein Name im Altenherger Memorienbuch verzeichnet 51 • Damals warDudelin bereits seit 5 Jahren verstorben. Seine mönchische Laufbahn schien in geradezuidealer Weise zu verbürgen, daß er vom übergreifenden europäischen Ordensgedankenerfüllt war. Statt dessen engagierte er sich von Beginn an im Bistum Halberstadt,schloß sich den Benediktinern an, die gegen Bischof Ulrich opponierten, undlegte, als die Auseinandersetzung um die bischöfliche Politik durch Ausbruch desSchismas in den Sog des europäischen Kirchenstreits hineingezogen wurde, Marientalauf einen die Autorität des Generalkapitels untergrabenden Standpunkt fest. Der AbfallMarientals von der Politik der Ordensleitung band die Abtei fortan stärker an dasBistum, in dem Abt Dudelin zum erstenmal Anspruch auf Einfluß angemeldet hatten.Unter der Belastung des Schismas hatte sich der verfassungsmäßig konstruierteZusammenhalt des Ordens aufgelöst, während sich gleichzeitig die Filiationsbindungzwischen Mutter- und Tochterabtei verselbständigte. Beide, Mariental und Altenberg,schlugen einen Weg ein, auf dem sie die Existenz des Klosters weit über die als abstrakterfahrene Einheit des Ordens stellten.Über die personalen Verhältnisse in Mariental nach dem Tod Dudelins 1162 ist sogut wie nichts bekannt. Sicher ist, daß Dudelins Nachfolger Ludolf 1164 im Amtwar 52 • Über seine Herkunft und Dauer der Amtszeit läßt sich allerdings ebensowenigermitteln wie über den von Meibom erwähnten Nachfolger Ernst, den wir heute garnicht mehr nachweisen können. Im Chronicon Marienthalense wird die RegierungszeitAbt Ernsts in die Zeit von 1172 bis 1180 gelegt. Erst mit dem 1180 als MarientalerAbt nachweisbaren Arnold bessert sich die Quellensituation. Sein Amtsbeginn fälltzusammen mit dem Ende des Schismas. Vieles weist darauf hin, daß Arnold seinenVorgänger bereits zu Lebzeiten ablöste. Das von Meibom überlieferte Sterbedatumfür Abt Ernst am 30. November 1180 ist auf keinen Fall haltbar, da Arnold schon am1. Juli 1180 in einer Urkunde Papst Alexanders III. belegt ist 53 • Aber hier scheintnicht nur ein Irrtum der Datierung des Todesjahres vorzuliegen, wie er Meibom öfterunterläuft. Vielmehr ist zu vermuten, daß der Abtswechsel in Mariental mit den Umwälzungenim Bistum Halberstadt am Ende der siebziger Jahre zusammenhing.von Halberstadt (965-1241). In: Archiv für Urkundenfoschung 16, 1939, S. 1-101. Bes. S. 65ft.­Die Mariental betreffenden Urkunden: VB H Halb I. Nr. 267, 270 und 276." Das Memorienregister der Abtei Altenberg. Hg. Woldemar HARLEss. In: ZBergV 31, 1895,S. 119-147 (unter dem 14. August). - Die älteste Memorialquelle aus Altenberg ist ein im 13. Jahrhundertangelegtes Nekrolog, das Eintragungen bis ins 18. Jahrhundert enthält. Die fragmentarischüberlieferte Handschrift enthält vornehmlich Eintragungen von adligen und geistlichen Gönnern desKlosters.52 VB H Halb I. Nr. 267.53 Acta ponl. I. Nr. 307.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental 47Nach dem Bruch zwischen Heinrich dem Löwen und Friedrich I. und der Annäherungzwischen Alexander III. und dem Kaiser war Bischof Gero abgesetzt wordenund Ulrich aus seinem Salzburger Exil in das Bistum Halberstadt zurückgekehrt, ausdem er 1160 vertrieben worden war. Ulrich ergriff nach seiner Restitution durchgreifendeMaßnahmen zur Reform und Erneuerung der Halberstädter Kirche und Geistlichkeit,die sich zu dem Viktorianer Gero bekannt hatte. Arnold von Lübeck berichtetin seiner Slavenchronik, daß Ulrich die von seinem Amtsvorgänger erteilten Weihennicht anerkannte, da Gero für ihn ein Schismatiker war. Deshalb suspendierte erKleriker und Äbte, die von Gero die Benediktion erhalten hatten 54 • Er ging vor allemgegen den Halberstädter Domklerus und die Benediktineräbte vor, aber auch gegendie beiden Halberstädter Zisterzienserabteien Michaelstein und Mariental. Währendder Michaelsteiner Abt sich der Suspendierung widersetzend an die Kurie reiste unddarum bat, Geros Weihen mögen anerkannt werden 55 , scheint man in Mariental dieAbsetzung von Abt Ernst hingenommen und zur Neuwahl geschritten zu sein.Mit Arnold wurde wieder ein Kandidat aus Altenberg nach Mariental gerufen. Erist neben Bodo und Dudelin der dritte Marientaler Abt, der in der Altenberger Memorialüberlieferungverzeichnet ist. Sein Name steht sowohl im Martyrolog-Necrologals auch im Totenbuch. Sein Sterbetag wurde in Altenberg unter dem 30. April 1204verzeichnet, in Mariental dagegen für den 16. September 1203 geführt 56 • In der AItenbergerAbtschronik aus dem 16. Jahrhundert ist Amold zwischen den bis 1202amtierenden Abt Goswin und den seit 1203 nachweisbaren Abt Rudolf eingereiht 57 •Daß Arnold kurzerhand zwischen Goswin und Rudolf dazwischengeschoben wurde,war sicher eine Verlegenheitslösung des Chronisten aus dem 16. Jahrhundert, demder Name des abbas arnoldus aus dem Martyrolog-Necrolog bekannt war. Urkundlichist Arnold in Altenberg als Abt nicht nachweisbar. Da er dieses Amt in der Mutterabteinie bekleidete, die aus dem Altenberger Konvent gewählten MarientalerÄbte aber im Totengedenken ihres Herkunftsklosters berücksichtigt wurden, ist eineIdentität zwischen dem im Martyrolog-Necrolog verzeichneten Abt Amold und demNachfolger Abt Ernsts von Mariental anzunehmen.Durch die Wahl Arnolds zum Marientalcr Abt spätestens zu Beginn des Jahres1180 suchte Altenberg erneut Einfluß auf die Führung der Tochterabtei zu nehmen.Die Suspendierung Abt Ernsts kam der Mutterabtei dabei gelegen. Der Beweggrundfür eine Stärkung der Altenberger Interessen in Mariental war nicht, wie man meinenkönnte, eine von oben verordnete Disziplinarmaßnahme gegen die im Schisma abgefalleneGemeinschaft durchzuführen. Altenberg war ja selbst während des Kirchenstreitsmit einer eigenmächtigen antialexandrinischen Politik vorangegangen. DieEntfremdung des Mutterklosters, aber auch vieler anderer deutscher Zisterzienserabteienvon den ursprünglichen Zielen des Ordens war mittlerweile dahin gekommen,54 ARNOLD VON LÜBECK, Chronica Slavorum, ed. J. M. LAPPENBERO. MGSSrer. Germ. i.u.s. 14. Hannover1868. 11, 3. - Vgl. auch BOGUMIL (wie Anm. 42) S. 248 f." Ebd. II, 9.56 WELLSTEIN (wie Anm. 29), S. 260. - MEIBOM (wie Anm. 5).51 MOSLER (wie Anm. 38) S. 140.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265048 eh. Raabedaß die Chance, nach Beendigung des Schismas die Einheit des Ordensverbands wiederherzustellen,gar nicht ins Bewußtsein trat. Altenberg war fest in die Interessen derKölner Diözese eingebunden, der ideale Impuls der Gründer durch die Zwänge derWirklichkeit gebrochen, so daß das Kloster seine Ordensstellung in erster Linie alsMittel nutzte, politischen Einfluß in den Tochterklöstern geltend zu machen. So standhinter der Wahl Arnolds die Absicht, die Tochterabtei in der politisch angespanntenSituation nach der Rückkehr Ulrichs von Halberstadt und dem Sturz Heinrichs desLöwen auf einen von der Kölner Mutterabtei verfolgten antiwelfischen Kurs zu bringen.Altenberg vertrat dabei die Interessen der expandierenden Diözese Köln unterLeitung Erzbischof Philipps von Heinsberg, einem Neffen des Marientaler KlostergründersFriedrichs II. von Sommerschenburg 58 • Zu Erzbischof Philipp unterhielt derAltenbcrger Konvent ebenso wie zu dessen Vorgängern Rainald von DasseI und ErzbischofFriedrich gute Beziehungen, die durch die Aufnahme des Heinsbergers in dasAltenberger Gedenken vertieft wurden 59 • Philipp von Köln, der durch den SturzHeinrichs des Löwen das Herzogtum Westfalen gewonnen hatte, war einer der mächtigstenGegner des Welfen. Für letzteren hatte das Aussterben der Marientaler Stifterfamilie1179 mit dem Tod Pfalzgraf Adalberts von Sommerschenburg die Möglichkeiteröffnet, Einfluß auf die Abtei an der Grenze seines östlichen Herrschaftsbereichs zunehmen, solange Mariental ohne weltlichen Schutz wati°. Erzbischof Philipp vonKöln konnte seinerseits über den verlängerten Arm des Filiationsverhältnisses zwischender Kölner Zisterze und Mariental politisch gegen die ExpansionsbestrebungenHeinrichs des Löwen im Bistum Halberstadt vorgehen, indem in Mariental ein Abtdie Führung übernahm, der die Kölner Interessen vertrat. Aufgrund der VerwandtschaftErzbischof Philipps von Köln mit der Marientaler Gründerfamilie fiel der Blicknicht zufällig auf das Tochterkloster von Altenberg. Das Aussterben der Sommerschenburgerim männlichen Zweig fiel mit der Suspendierung des Marientaler AbtsErnst zeitlich nahezu zusammen. Das Vorgehen Bischof Ulrichs gegen die HalberstädterZisterzienser kam also keineswegs ungelegen. Durch die Neuwahl konnte dasantiwelfische Mutterkloster nun die Kölner Interessen in Mariental zur Geltung bringen.In der Tat hat sich die Halberstädter Zisterzienserabtei unter Abt Arnold derwelfenfeindlichen Partei zugewandt und konnte sich erfolgreich einer Vereinnahmungdurch Heinrich den Löwen entziehen 61 •Die enge Beziehung zwischen Altenberg und Mariental seit Beginn der sechzigerJahre, die durch die Wahl Arnolds erneut bestätigt wurde, begann sich allerdings baldzu lösen. Hintergrund für die Verschlechterung des Verhältnisses waren Ereignisse inder Marientaler Schwesterabtei Zinna im Land Jüterbog. Die Zisterzienserniederlassung,die Erzbischof Wichmann von Magdeburg 1170 gegründet und mit Mönchen58 Die Mutter Erzbischof Philipps von Köln, Adelheid, war die Schwester Friedrichs 11. von Sommerschenburg.Zur Genealogie der Sommerschenburger vgl. Hucker (wie Anm. 14) S. 126.'9 HARLESS (wie Anm. 51).60 Zu den Vogtei- und Schutzverhältnissen in Mariental ausführlich RAABE, Mariental, 1995 (wieAnm. 3) S. 29ff.61 Ausführlich zur politischen Stellung Marientals am Ende des 12. Jhs. bei RAABE, ebd. S. 33 ff. undS.55f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental 49aus Altenberg besetzt hatte, war 1180 von Slawen auf Veranlassung Heinrichs des Löwenzerstört worden. Die im Aufbau stehende Klosteranlage wurde niedergebrannt,der Konvent zerstreut. Die Mönche, sofern sie ihr Leben retten konnten, sammeltensich in der nahegelegenen Stadt Jüterbog und mußten, vollkommen mittellos, vomBettel ihren Lebensunterhalt verdienen 62 • Die Mutterabtei scheint daraufhin den Klostergründer,Erzbischof Wichmann, und Mariental um Hilfe für die verarmte Gemeinschaftvon Zinna gebeten zu haben. Im einzelnen lassen sich die Maßnahmen,die die Schwesterabtei aus dem Lappwald einleitete, nicht erkennen. Sicher ist nur,daß Abt Arnold 1191 mit Gunther von Jüterbog (Zinna) und Erzbischof Wich mannvon Magdeburg zusammentraf, und eine Landübertragung von Gütern bei Zinna anMariental vereinbart wurde 63 • Der Grund und Boden sicherte den Marientaler Brüdern,die nach Jüterbog zur Unterstützung Zinnas gegangen waren, den lebensunterhalt.Diesen Besitz hat Mariental später, als der Neubeginn Zinnas materiell abgesichertwar, an die Schwesterabtei abgetreten 64 •In der schwierigen Zeit nach der Zerstörung Zinnas entzog sich Altenberg weitgehendder Verantwortung, die es als Mutterkloster an sich hatte, und wälzte sie auf denAbt von Mariental ab. Nicht einmal seiner Visitationspflicht kam das Mutterklosternach. Die Äbte der beiden Tochterabteien beklagten sich deshalb 1192 beim Orden,und das Generalkapitel verhängte eine Strafe über Abt Goswin von Altenberg 65 • Außerdementzog die Ordensleitung - vermutlich an läßlich der Disziplinierung - dieAufsichtsrechte über Zinna der Kölner Zisterze und übertrug diese Mariental. DiePaternität Altenbergs ist seit dem 13. Jahrhundert in Zinna nicht mehr nachzuweisen;in einem Altenberger Stammbaum der Filiationsklöster, der sich in der Klosterchronikaus dem 16. Jahrhundert befindet, fehlt die Magdeburger Gründung unter denTochterabteien des Kölner Klosters ti6 • Statt dessen können wir den Marientaler Abtbis in die zwanziger Jahre des 13. Jahrhunderts bei wichtigen Schritten, die Zinna zumWiederaufbau unternahm, an der Seite der Brüder aus Brandenburg nachweisen 67 •Daß damit die Verbindung nicht beendet war, zeigt, daß ein Zinnaer Abt namens Giseleram Ende des 13. Jahrhunderts in Mariental eintrat und dem greisen Abt Reinholdnach dessen Resignation im Amt folgte 68 •• , Zur Geschichte Zinnas: Willy HOPPE, Kloster Zinna. Ein Beitr. zur Gesch. des ostdeutschen Kolonisationslandesund des Cistercienserordens. (Veröff. d. V. f. d. Geschichte der Mark Brandenburg)München-Leipzig 1914. - G. WENZ, Das Zisterziensermönchskloster Zinna. In: Germania Sacra: DieBistümer der Kirchenprovinz Magdeburg. 1. Abt. Bd. 3, Teil 2: Das Bistum Brandenburg. Berlin1941. S. 199-242.63 UB Erzst. Magdeburg I. Nr. 431... Franz WINTER., Zur Geschichte des Klosters Zinna: In: Geschichtsbl. f. Stadt und Land Magdeburg 11,1876, S. 290-306. Hier S. 301.6' Can. I. Stat. 1192:44.66 MOSLER (wie Anm. 37) S. 81..7 Dazu ausführlich weiter unten."" Abt Giseier ist Heinrich Meibom nicht bekannt gewesen. Er ist vermutlich um 1290 unter Abt Reinholdin den Marientaler Konvent als einfacher Mönch eingetreten, da er damals eine Urkunde als Giselerusquondam abbas in Cenna bezeugte. 1292 ist er als Cellerar belegt, seit 1295 bis 1298 als MarientalerAbt. (Vgl. StA Magdeburg U 9: Stift Quedlinburg IX Nr. 78 und 79.) - Abt Reinhold, der


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265050 eh. RaabeDie Klage der Altenberger Tochterklöster über die Versäumnisse des pater abbasauf dem Generalkapitel und die Unterstellung Zinnas unter die Aufsicht Marientalszeugen von einer tiefen Mißstimmung in der Altenberger Filiation am Ende des12. Jahrhunderts. Altenberg gelang es in den folgenden Jahren nicht mehr, die Einheitder Klosterfamilie wieder herzustellen. Das wird nach Ausbruch des staufischwelfischenThronstreits 1198 deutlich. Während Altenberg die Interessen des KölnerErzbischofs vertrat und sich zu OUo IV. bekannte 69 , bezog Mariental auf staufischerSeite Stellung. Bischof Gardolf von Halberstadt (1193-1201) und sein NachfolgerKonrad von Krosigk (1201-1208), unerbittliche Gegner des Welfen 70, fanden in AbtArnold von Mariental einen treuen Parteigänger 7 ). Dieser knüpfte nun auch innerhalbdes Ordens neue Beziehungen an. Am Halberstädter Hof traf er mit dem Abtvon Michaelstein zusammen, der ebenfalls die Politik der Diözesane unterstützte. Gemeinsambezeugten die Zisterzienseräbte 1202 eine Urkunde Bischof Konrads vonHalberstadt für das Ordenskloster Siuichenbach, in das Konrad nach seiner Resignationals Mönch eintrat 72 •Abt Arnold muß damals schon hoch betagt gewesen sein. Er soll nach HeinrichMeibom am 16. September 1203 verstorben sein 73 • Da er am 15. Dezember 1203noch urkundete 7 4, ist dieses Sterbedatum allerdings nicht haltbar. Mit Arnolds Nachfolgerwird man also frühestens 1204 rechnen können, urkundlich nachweisbar ist ererstmals 1207 75 • Vielleicht ist das übermittelte Sterbedatum aus dem Altenberger Totengedenkenfür den 30. April 1204 zutreffend. 1180 war Arnold aus dem AltenbergerKonvent in das Kloster im Lappwald gekommen, um die politischen Interessender Kölner Mutterabtei in der unruhigen Lage nach dem Sturz Heinrichs des Löwenim Bistum Halberstadt zu vertreten. Als Angehöriger des Altenberger Konventsbrachte er die besten Voraussetzungen mit, das Band zwischen Altenberg und Marientalzusammenzuhalten. Doch verfolgte er schon bald eine eigenständige Politik, beider er sich stärker als der Vaterabt auf sein Zisterziensertum besann. Sein Identifikationmit den zisterziensischen Grundsätzen war so weit ausgeprägt, daß er sich, umdie Ordensdisziplin zu erhalten, beim Generalkapitel über den Vaterabt beklagte. Diebereits 1243 in Mariental als Mönch nachgewiesen werden kann, stand dem Kloster seit 1264 als Abtvor und resignierte 1295 aus Altersgründen. Als er 1299 starb, setzte die Gemeinschaft ihn im Kapitelsaalbei. Vg!. StAWf VII B Hs 347.69 MOSLER (wie Anm. 38) S. 49.70 Alfred J. ANDREA, Conrad of Crosigk, Bishop of Halberstadt, Crusader and Monk of Sittichenbach:His ecc1esiastical career, 1184-1225. In: Analecta Cisterciensia 43,1987, S. 11-91.71 Vg!. RAABE Mariental, 1995 (wie Anm 3) S. 55 f.72 VB der Klöster der Grafschaft Mansfeld. Bcarb. v. Max KÜHNE. (Geschichtsquell. d. Provinz Sachsen20) Halle 1888. Abt. Sittichenbach Nr. 18. - Zur Datierungsproblematik des Stücks vg!. ANDREA (wieAnm. 70) S. 24 f.73 MEIBOM (wie Anm. 5).,. H. LANGERFELDT, Einige Urkunden des Klosters Mariental in Bezug auf den Lappwald. Aus dem herzoglichenLandes-Hauptarchiv in Wolfenbüttel mitgeteilt. In: Zs d. Harzvereins 11, 1818, S. 90-100.Hier 94ff." VB des Klosters Berge bei Magdeburg. Bearb. v. H. HOLSTEIN. (Geschichtsquell. d. Provinz Sachsen9) Halle 1879. Ne. 55.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental 51inneren Spannungen in der Filiation führten zum Abbruch der engen Beziehung, undMariental ging, auch politisch als Anhängerin der staufertreuen Bischöfe von Halberstadt,einen eigenen Weg. Am Ende von Arnolds langem Abbiat waren Mutter- undTochterabtei einander weitgehend entfremdet. Mariental war aus dem Schatten AItenbergsherausgetreten und dabei den Ordenstraditionen wieder nähergekommen.Gleichzeitig läßt sich nicht übersehen, daß die Loslösung der Abtei aus der Filiationsbindungmit einer Regionalisierung verbunden war. Bis zum Ende des 12. Jahrhundertshatte Mariental im Spannungsfeld zwischen den regionalen machtpolitischenKräften und dem Altenberger Einfluß gestanden. Nun gewann der Rückhaltder Abtei im Bistum zunehmend an Bedeutung. Das wird durch ein Ereignis bestätigt,das gleich in das zweite Amtsjahr von Arnolds Nachfolger Johann fällt, aber Entscheidungenseines Vorgängers Arnold betraf. 1205 mußte sich der Abt von Marientalvor dem Generalkapitel wegen des Begräbnisses eines Grafen im Oratorium verantworten76 • Der zisterziensische Begräbnisbrauch war streng und exklusiv. Da dasmonastische Leben als ausgewogene Einheit von Kontemplation und Arbeit abseitsaller außerklösterlichen Lebensbezüge, zu denen auch die Seelsorge gehört, verstandenwurde, war das Begräbnis von klosterfremden Personen strengstens verboten 77 •Zwar hatte das Generalkapitel 1157 weltlichen Fundatoren einen Begräbnisplatz inder Abtei, allerdings nicht in der Kirche, zugestanden und das Begräbnisverbot fürKönige und Königinnen, für Erzbischöfe und Bischöfe aufgehoben 78 , nachdem vorallem in Frankreich zahlreiche Zisterzienser zu Bischöfen und Erzbischöfen aufstiegenund der Orden am staufischen und französischen Königshof zu einer angesehenenpolitischen und kirchlichen Kraft geworden war. Doch von diesen Ausnahmenabgesehen blieben die Vorschriften streng. In Mariental sind seit Beginn des 13. JahrhundertsLaien bestattet worden: 1203 der Ministeriale Ludolf I. von Esbeck, 1204Adelheid von Krosigk, die Mutter Bischof Konrads von Halberstadt1 9 . Bereits 1162war der Klostergründer Pfalzgraf Friedrich 11. von Sommerschenburg im Kloster feierlichbeigesetzt worden 8o • Es ist unklar, welches Begräbnis auf dem Generalkapitelvon 1205 gemeint war, denn kurz nach 1200 wurden in Mariental keine Laien bestattet,die einen Grafentitel führten. Da das Generalkapitel eine sehr schwere Strafe verhängte- der Prior, Subprior und Cellerar mußten die Abtei verlassen und in einemanderen Kloster Aufnahme suchen -, ist nicht auszuschließen, daß das Grab des Klostergründersdamals ins Oratorium verlegt wurde 8l • In unserem Zusammenhang sei76 Can r. Stal. 1205: 15.77 Zu den Bestimmungen im Exordium parvum und in den Generalkapiteln vgl. P. Georg MÜLLER, CistercienserKlöster als Begräbnisstätten. In: Cistercienser-Chronik 34, 1922, S. 97-100; S. 116-118;S. 154-156.78 Can r. 1157:63.79 Origines Guelficae. Hg. G. W. LEIBNIZ. 5 Bde. Hannover 1750-1780. Bd. IV. Nr. 10 - VB H Halb I.Nr.442.110 Origines Guelficae III. Nr. 78.8' Wo genau der Pfalzgraf 1162 beigesetzt wurde, ist anhand der Urkunden nicht zu erkennen. HeinrichMeibom will das Grab zu seinen Lebzeiten im unteren Teil des Chors gesehen haben. Allerdings hatman es dort bei Ausgrabungen in den siebziger Jahren nicht finden können.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265052 eh. Raabevor allem festgehalten, daß Mariental seit Beginn des 13. Jahrhunderts auch im liturgischenBereich seiner sozialen Umwelt gegenüber Verpflichtungen auf sich nahmund damit eine traditionelle Funktion erfüllte, die der Adel vom Mönchtum erwartete,während die Zisterzienser sich ursprünglich dagegen verweigert hatten. Ein weitererSchritt der Einbindung des Klosters in seine soziale Umwelt unter Aufgabe zisterziensischerGrundsätze war getan.Amolds Nachfolger Johann stammte aus dem Marientaler Konvent und hatte Anfangdes Jahrhunderts die innere Leitung der Gemeinschaft als Prior übemommen 82 •Während seines Abbiats normalisierte sich zwar das Verhältnis zur Mutterabtei undkehrte zu einem reibungslosen Miteinander zurück, doch die enge Mutter-Tochter­Bindung aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stellte sich nicht wieder ein.1207 finden wir den Altenberger Abt gemeinsam mit seinem Amtsbruder aus Altenkampim Bistum Halberstadt auf Visitationsreise. Beide bestätigten ein Tauschgeschäftzwischen Abt Johann von Mariental und Abt Dietmar von Michaelstein 83 • Esist das erstemal, daß die Visitation des Vaterabts in Mariental schriftliche Spuren hinterlassenhat. Gleichzeitig ist das Beispiel aufschlußreich für die Organisation der verfassungsmäßigfestgelegten Visitation der Zisterzienser im 13. Jahrhundert in Ostsachsen.Offenkundig machten sich die beiden Kölner Vateräbte gewöhnlich gemeinsamauf den Weg nach Nordosten zu ihren Tochterklöstern. Im Jahr 1231 führten dieÄbte von Altenberg und Altenkamp beispielsweise eine Disziplinaruntersuchung inMariental durch 84 • Bei der Befragung waren außerdem die Äbte von Riddagshausenund Amelungsborn zugegen. Die Vermutung liegt nahe, daß der Altenberger und AltenkamperAbt zunächst die Kamper Filialabtei Amelungsbom besucht hatten. Dortschloß sich ihnen der Abt von Amelungsborn an, und zu dritt reisten sie in das BistumHalberstadt weiter, wo die Altenkamper Tochter Michaelstein, die AmelungsbornerTochter Riddagshausen sowie das Altenberger Filialkloster Mariental lagen. Manmuß ferner annehmen, daß es anläßlich der jährlichen Visitation seit Beginn des13. Jahrhunderts zu einer regelmäßigen Zusammenkunft der Halberstädter Zisterzienserkam. Mit Ausnahme von Mariental gehörten alle ostsächsischen Zisterzienserklösterder weitverzweigten Altenkamper Klosterfamilie an. Die beiden Filiationszweige(Altenbergl Altenkamp) grenzten sich keineswegs streng voneinander ab,sondern waren durchlässig, wie schon die Verbindungen Marientals zu Amelungsbornund Michaelstein im 12. Jahrhundert zeigten. Dennoch war die FiliationsbindungMarientals an Altenberg für die Entwicklung und politische Orientierung derAbtei im 12. Jahrhundert der bestimmende Faktor gewesen. Wie wir schon sahen, ändertesich das in den letzten Jahren unter Abt Arnold von Mariental. Seither ist zu beobachten,daß der regionale Zusammenschluß der ostsächsischen Zisterzienserklösteran Bedeutung gewann und dabei die Filiationsbindung allmählich in den Hintergrundtrat. So finden wir zu Beginn des 13. Jahrhunderts zum ersten Mal Äbte der benach-R2 LANGERFELDT (wie Anm. 74) S. 94 ff."3 UB Kloster Berge Nr. 55.H4 StAWf VII B Hs 340 S. 199. - Ein Mönch namens Balduin hatte den Marientaler Cellerar Ludger verdächtigt,eine größere Geldsumme unterschlagen zu haben.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von M arien tal 53barten Ordensniederlassungen in Marientaler Urkunden als Zeugen oder als Geschäftspartner.Im Jahr 1212 und 1215 bezeugte der Abt von Michaelstein beispielsweisezwei Urkunden, die für den Konvent von Mariental ausgestellt wurden 85 • MarientalerDignitäre vermittelten ihrerseits als Schiedsrichter in Streitfällen, die ihre benachbartenOrdensbrüder auszufechten hatten. Zur Beilegung eines Streits zwischender Gemeinschaft von Riddagshauscn und Bauern aus Schöppenstedt wurden 1218der Vaterabt aus Amelungsborn sowie Abt Johann von Mariental und die Pröpste vonSchöningen und Hamersleben hinzugezogen 86 • Dieses Beispiel spricht nicht nur fürden Kontakt der Ordenshäuser einer Region untereinander, sondern zeigt noch etwasanderes: Wie die älteren Benediktinerklöster und Stifte der Diözese Halberstadt wurdendie Zisterzienser nun auch in die inneren Belange der Diözese, vor allem als geistlicheSchiedsrichter, einbezogen. Die gemeinsame Vermittlung von Zisterzienseräbtenund Augustinerchorherren, die 1218 für den Riddagshäuser Streit belegt ist, warkein Einzelfall. Im selben Jahr beauftragte Papst Honorius III. die Äbte von Riddagshausenund Mariental sowie den Abt der Benediktinerabtei Huysburg, eine Dissonanzzwischen dem Hildesheimer Domdechanten und dem Paderborner Dompropstbeizulegen 87 • An der Kurie sowie an den Bischofssitzen betrachtete man Mariental alsfesten Bestandteil der Halberstädter Kirche. Damit war der Integrationsprozeß Marientalsinnerhalb der Diözese abgeschlossen, den Abt Dudelin mit seinem Engagementim Streit um Bischof Ulrich an der Seite der älteren Benediktinergemeinschaftenangestoßen und den Abt Arnold durch die Loslösung von Altenberg weiter vorangetriebenhatte.War Mariental zu einem Kloster rein regionaler Ausstrahlung geworden, nachdemsich die einst lebendige Filiationsbindung zu Altenberg gelockert hatte und nun nurnoch ein formal geregeltes, verfassungsmäßig vorgesehenes Verhältnis war? Keineswegs.Wie sein Vorgänger war Abt J ohann durchaus im Dienste des Ordens tätig. Geradein seine Amtsjahre fiel der Aufschwung Zinnas, nachdem Erzbischof Albrecht 11.von Magdeburg die materielle Grundlage für einen Neubeginn gesichert hatte. DerMarientaler Abt nahm an der Entwicklung der Schwesterabtei, die seit Ende desJahrhunderts seiner Aufsicht unterstand, lebhaft Anteil und reiste 1221 gemeinsammit dem Abt von Zinna nach Rom, wo sie sich die Grundausstattung der erzstiftischenAbtei bestätigen ließen und Privilegien einholten 88 • Auch besuchte Johann vonMariental regelmäßig das Generalkapitel, eine Reise, die die Äbte gewöhnlich gemeinsammit dem Vaterabt von Köln aus antraten. Dort erteilte der Orden ihm 1219den Auftrag, zusammen mit dem Abt von Zinna einen Ort für eine Neugründung derMarkgrafen von Brandenburg zu inspizieren R9 • Selbstverständlich fehlte Johann auch., StAWf 22 Vrk 28 - VB H Halb I. Nr. 485.•• StAWf VII B Hs 359b (Copialbuch aus Riddagshausen) S. 37.'7 UB H Hild. I. Nr. 714.•• StAWf VII B Hs 340 S. 25 und 31. - Druck: WINTER (wie Anm. 64) S. 295 ff. und S. 299 ff. - EineAbschrift der Besitzbestätigung Honorius 111. für Zinna aus dem Jahr 1221, die die Bedeutung einerzweiten Gründungsurkunde besaß, bewahrte Mariental im Klosterarchiv auf.•• Can. I. Stal. 1219:59.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265054 eh. Raabenicht auf der feierlichen Äbteversammlung in Walkenried im Mai 1209, die durch denBesuch OUos IV. und dessen Aufnahme in die Gebetsgemeinschaft des Ordens gekröntwurde 9o • Die Ordenszughörigkeit hatte nach wie vor Geltung, doch besaß sienicht mehr die integrationsbildende Kraft, um die Gemeinschaft in Abgrenzung nachaußen fest in die Altenberger Klosterfamilie einzubinden.Abt Johann amtierte bis zu Beginn der zwanziger Jahre. Sein Sterbedatum läßt sichnicht genau bestimmen, muß aber in die Zeit vor Ende 1222 gefallen sein, da seinNachfolger Heinrich 11. am Ende 1222 urkundlich bezeugt ist 9l • Im Chronicon Marienthalensewird 1220 als Todesjahr Johanns genannt und ein kurzer Abbiat einesGottfrieds für 1220 bis 1222 angeführt 92 • Hier liegt jedoch ein Irrtum vor, da Gottfriedzwischen 1219 und 1222 als Prior Marientals nachgewiesen werden kann. Möglicherweiseverwechselte Meibom ihn mit Abt Gottfried von Altenberg, der zwischen1225 und 1227 den Konvent der Mutterabtei leitete 93 • Ein Wechsel des MarientalerPriors Gottfried nach Altenberg kann ausgeschlossen werden, da die Herkunft AbtGottfrieds aus dem Altenberger Konvent gesichert ist.Ob Heinrich Mönch in Mariental war, als er zum Abt gewählt wurde, ist ungewiß.Als Kämmerer hat er jedenfalls nicht gewirkt, wie Meibüm für das Jahr 1207 mitteilt,weil damals ein Mönch namens Wilhelm dieses Stelle besetzt hatte 94 • 1208 ist zwar eincamerarius H. in einer Urkunde der Grafen von Roden-Limmern bezeugt 95 , dochmuß H. nicht Heinrich abkürzen, sondern kann ebenso für Heribürd oder Hermannstehen, Namen, die in dieser Zeit in der Marientaler Überlieferung belegt sind. AbtHeinrich war ein außerordentlich geschickter Politiker. In den vier Jahren, die er Marientalvorstand, setzte er erfolgreich die Interessen seiner Abtei in den Prozessen umden LappwaId durch 96 • Nach nunmehr beinahe 90 Jahren, die seit der Gründung vergangenwaren, hatte Mariental durch Schenkungen, Tausch und Kauf einen beachtlichenTeil des Lappwalds erworben, etliche Siedlungen in Grangien, zisterziensischeEigenbaubetriebe, umgewandelt, Wälder gerodet, Moore entwässert und Teiche an-90 Im Mai 1209 trafen sich 53 Zisterzienseräbte in Walkenried, unter ihnen Abt Heidenreich von Morimond,zahlreiche Äbte aus süddeutschen Häusern und sämtliche ostsächsischen Zisterzienseräbte.Vgl. dazu ARNOLD VON LÜBECK (wie Anm. 53) VII, 17. - Heinrich BÜNTING, <strong>Braunschweig</strong>-LüneburgiseheChronica (Magdeburg 1584) Ediert von Heinrich MEIBOM: Newe volstendige <strong>Braunschweig</strong>­Lüneburgische Chronica, Magdeburg 1620, S. 186 f. - Heinrich ECKsTORM, Chronicon Walkenredensesive catalogis abbatum. Helmstedt 1617, S. 74f.9. StAWf 22 Urk 39 - Fehlerhaft gedruckt und datiert bei Lothar v. HEINEMANN, Heinrich von <strong>Braunschweig</strong>,Pfalzgraf bei Rhein. Ein Beitr. zur Geseh. des staufischen Zeitalters. Gotha 1882. UrkundenanhangS. 331.92 MEIBOM (wie Anm. 5).93 MOSLER (wie Anm. 38) S. 141.9. VB Kloster Berge Nr. 55.95 Regesten und Urkunden des Geschlechts von Blankenburg-Campe. Aus der Zeit von 1120-1607. Hg.A. H. A. FREIHERl V. CAMPE. 2 Bde. Berlin 1892-1893. Nr. 130... Zu den Lappwaldprozessen und dem folgenden vgl. RAABE Mariental, 1995 (wie Anm. 3) S. 142 ff. -Helmut BEUMANN, Der Streit der Stifte Marienthai und Walbeck um den Lappwald. In: StMGBO 36,1935, S. 376-400.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental 55gelegt 97 . Die auf wirtschaftliche Autonomie und bald auch auf Ertragsoptimierungzielende Wirtschaftsweise der Zisterzienser stieß auf heftigen Widerstand der geistlichenGrundherren, die alte Rechte im Lappwald besaßen und sich und ihre Bauernvon der ausgreifenden Wirtschaftstätigkeit Marientals bedroht sahen. Am heftigstenwehrte sich das wenige Kilometer östlich der Abtei gelegene Stift Walbeck, das sich anBischof Friedrich von Halberstadt (1209-1236) wandte. Dieser stellte sich in derAuseinandersetzung zwischen der Zisterzienserabtei und dem Stift auf die Seite Walbecks.Doch Abt Heinrich von Mariental gewann unter Ausnutzung seiner Verbindungenzum Orden einen mindestens so mächtigen Fürsprecher: Konrad von Urach,Bischof von Porto und St. Rufina, vormals Abt von Citeaux und nun als päpstlicherLegat auf Reisen. Als dieser 1225 nach Magdeburg kam, trat Heinrich an seinen Ordensbrudermit der Bitte um Vermittlung heran. Konrad bestimmte daraufhin einSchiedsgericht, das eine für die Zisterzienser befriedigende Entscheidung im Lappwaldprozeßherbeiführte.Auf die Begegnung zwischen Abt Heinrich und Konrad von Urach 1225 ist es zurückzuführen,daß der päpstliche Legat kurz darauf, während seines Aufenthaltes inKöln im Februar 1226, Abt Heinrich und dessen Prior Hermann sowie dem Abt vonAmelungsborn die Untersuchung einer Klage des Bischofs von Verden gegen ErzbischofGerhard von Bremen übertrug 98 . Heinrich hat die Untersuchung allerdingsnicht zu Ende geführt. Bis Mitte des Jahres 1226 stellte er noch drei Urkunden aus,dann ist im Herbst plötzlich ein Abt Johann nachweisbar 99 • Es ist nicht auszuschließen,daß Heinrich 1226 nach Altenberg wechselte, wo seit diesem Jahr ein PriorHeinrich urkundete, der später den Altenberger Abtstuhl bestieg. Für diese Überlegungspricht die Nachricht, daß der Papst Abt Heinrich von Altenberg 1234 mit derVisitation der Benediktinerabtei Werden beauftragte, in der ein schwerer Konfliktzwischen dem Abt und Konvent nicht ohne Schlichtung von außen beigelegt werdenkonnte 100. Der Abt von Werden, der in Personalunion auch das Ludgerikloster beiHelmstedt leitete, hielt sich öfter im Bistum Halberstadt auf und war 1225 mit Heinrich,damals noch Abt von MarientaI, zusammengekommen 101 • Die Herkunft Heinrichsaus Mariental sowie seine Bekanntschaft mit dem Werdener Abt mögen einGrund gewesen sein, ihm die Visitation anzutragen. Allerdings ist hier keine letzte Sicherheitzu gewinnen. Es ist ebenso denkbar, daß Heinrich von MarientaI im Sommer1226 überraschend verstarb.97 Ausführlich zu der Besitzentwicklung und Nutzung des Lappwalds durch Mariental bei RAAIlE Mariental,1995 (wie Anm. 3) S. 84ft. und S. 140ft.9/! C. L. GROTEFEND, Der Streit zwischen dem Erzbischof Gerhard 11. von Bremen und dem Bischof Isovon Verden wegen der geistlichen Gerichtsbarkeit über das Schloß Ottersberg im Jahre 1226. In:Z.d. Hist. V. f. Nds. 1871, S. 1-45. Hier S. 4.99 GROTEFEND ebd., S. 14.100 Vgl. Die Urbare der Abtei Werden an der Ruhr. (Pub\. d. Gesell. f. Rhein. Geschichtskunde 20.)Rheinische Urbare 2: Die Urbare vom 9.-13. Jh. Hrsg. Rudolf KÖTZSCHKE und F. KÖRHOLZ. Bonn1906. S. 359f. Urkunde Nr. 2.101 StAWf VII B Hs 68 (Copialbuch des Ludgeriklosters von Henning Hagen) BI. 2 - Die beiden Äbtebekräftigten damals eine Absprache zwischen dem Ludgerikloster und Mariental, die 1203 getroffenworden war.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265056 eh. RaabeNicht sehr viel länger als Heinrich war dessen Nachfolger Johann im Amt. SeinName und Abbiat ist Heinrich Meibom nicht bekannt gewesen. Da er als MarientalerMönch oder Amtsträger nicht nachgewiesen werden kann, läßt sich nicht mehr sagen,woher er kam, ob aus Mariental oder einem anderen Kloster. Abt Johann führte dieUntersuchung in der Streitsache zwischen Bischof Iso von Verden und ErzbischofGerhard 11. von Bremen zu Ende I02 • In seiner richterlichen Funktion hielt er sich öfterim Er.lbistum Bremen auf, was den Bremer Erzbischof und die Grafen von Oldenburgveranlaßt haben mag, ihm die Besetzung des verwaisten Klosters Bergedorf anzutragenI03 • Johann stellte daraufuin einen Konvent zusammen, der 1232 in das Bergedorfbenachbarte Hude zog. Die Mutterabtei Altenberg war an der Besetzung Hudesdurch Mariental nicht unmittelbar beteiligt. Soweit erkennbar hielt sich der AltenbergeAbt nur einmal während Johanns Regierungszeit in der Tochterabtei auf, als ergemeinsam mit seinem Amtsbruder aus Altenkamp 1231 Anschuldigungen einesKlerikers gegen den Marientaler Cellerar untersuchte I04 • Man wird allerdings annehmendürfen, daß anläßlich der Visitation auch über die Besetzung Hudes verhandeltwurde.Johann schloß sich möglicherweise selbst dem Gründungskonvent an, der von demMarientaler Mönch und Notar Osmand angeführt wurde, denn 1232 folgte ihm derlangjährige Cellerar Konrad als Abt von Mariental. Das könnte auch erklären, weshalbMeibom Johann in der klösterlichen Überlieferung nicht nachweisen konnte. InEberbach fehlen in den älteren Abtserien beispielsweise alle Äbte, die resigniertenund in ein anderes Kloster eintraten 105 • Da von Johann 11. keine Urkunde aus Marientalvorliegt, die er in seiner Funktion als Abt ausstellte, sondern sein Name nurdurch die Stader Urkunden zu dem Streit zwischen Bremen und Verden überliefertist, konnte Heinrich Meibom ihn mit Hilfe seines Urkundenstudiums unmöglich ermitteln.Abt Konrad I. stellte 1233 eine Urkunde aus, die er mit abbatie nostre prima datierte106 • Durch diese Angabe ist sein Amtsantritt für das Jahr 1232 gesichert. In diesemJahr ist er auch das erste Mal in einer Urkunde Erzbischof Gerhards 11. von Bremenerwähnt I07 • Konrad stammte aus Mariental, wo er in den Jahren 1219 bis 1225als Cellerar für die Verwaltung der Klostergüter verantwortlich war. In der urkundenarmenZeit Johanns 11. ist er in keinem Amt mehr überliefert. Daher nahm HeinrichMcibom, dem Johann 11. nicht bekannt war, an, Konrad habe bereits 1226 den Abtsstabgenommen.tu2 Johann ist im November 1226 erslmals als Marientaler Abt nachgewiesen. Vgl. GROTEFEND (wieAnm. 98) S. 14.tu] Zur Gründung Hudes ausführlich Gerd AHLIRS, Die Geschichte des Klosters Hude in den Beziehungenzur weltlichen und geistlichen Gewalt. Göltingen 1984. - Im Überblick: RAABE MarientaI, 1995,(wie Anm. 3) S. 68 f.104 StAWf VII B Hs 340 S. 199.10' Vgl. MEYER-ERMGASSEN (wie Anm. 31) S. 62ff.10


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental 57Die neue Filiationsstellung Marientals, das seit 1232 nicht mehr nur Verpflichtungengegenüber Altenberg sondern nun auch als Mutterkloster gegenüber Hude hatte,läßt erwarten, daß sich die Aktivitäten des Marientaler Abts in der Filiation verstärkten.Der Enthusiasmus, den Ordensleute wie Abt Bodo einhundert Jahre zuvor beflügelthatte, war jedoch geschwunden. Mariental hatte es mittlerweile zu Wohlstand gebrachtund war so sehr in regional politische Belange verwickeln, daß der ursprünglichüberregionale antiweltliche Anspruch des Ordens in Vergessenheit geraten war. Konradist der erste Marientaler Abt, der sich den überregionalen Verpflichtungen zugunsteneiner Konzentration seiner Aktivitäten auf den ostsächsischen Raum vollkommenentzog. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit, im Jahr 1232, trug ihm der Orden an,die Aufsichtsrechte über das Zisterzienserinnenkloster Liliental, eine Gründung ErzbischofGerhards 11. von Bremen, zu übernehmen. Konrad lehnte diese Aufgabe mitdem Argument ab, die Visitationsreisen seien ihm zu beschwerlich, stellte aber dieEinbindung Lilientals in die Altenberger Filiation sicher, indem er vorschlug, seinTochterkloster Hude solle an seiner staU die Disziplinaraufsicht über die Ordensschwesternausüben. Erzbischof Gerhard 11. von Bremen trug Liliental daraufhin demAbt von Citeaux auf, der die Aufsichtsreehte an Abt Osmand von Hude weitergab 108 •Die Visitationsfrage war gerade geklärt, als Hude während des Stedingeraufstands1233 schwer verwüstet wurde. Nur eine Urkunde aus dem Jahr 1242 enthält einenAnhaltspunkt dafür, daß Mariental sich um die materielle Sicherung seiner Tochterabteizumindest bemühte. Der Marientaler Prior Johann bezeugte damals eine Schenkungsurkundeder Äbtissin Gertrud von Quedlinburg und ihres Bruders Dietrich fürHude 109 • Gertrud von Quedlinburg stammte aus dem ostsächsischen Edelfreiengeschlechtvon Amfurth, das mit den Grafen von Oldenburg, den weltlichen GründernHudes, verwandt war. Gleichzeitig zählte die Familie von Amfurth seit Mitte des12. Jahrhunderts zu den Gönnern Marientals llo . Es ist anzunehmen, daß Prior JohannGertrud und ihren Bruder Dietrich dazu ermutigte, ihre Besitzungen im Oldenburgischenan die junge Abtei Hude abzutreten. Darüber hinaus fehlen Hinweise aufeine Verbindung oder gar Unterstützung Marientals beim Wiederaufbau Hudes.Statt dessen betrieb Abt Konrad eine solide, auf Festigung der klösterlichen Steilungim ostsächsischen Raum zielende Politik im Einvernehmen mit dem HalberstädterBischof und dem welfischen Herzog OUo dem Kind. Diesem verdankte das Klosterdie Übertragung aufgelassener welfischer Lehen im Lappwald, die zur Konzentrationdes klösterlichen Besitzes entscheidend beitrugenilI. Konrad hielt sich damalsoft am herzoglichen Hof in <strong>Braunschweig</strong> auf, wo er mit einem weiteren VertrautenOUos des Kinds, dem Abt von Riddagshausen, zusammentraf. Gemeinsam bezeugten1111< Ebd."19 Ebd. Nr. 249.1111 Vgl. RAABE Mariental, 1995 (wie Anm. 3), S. 354.111 Vgl. im einzelnen Originies Guelficae Bd. IV, Nr. 2, 10 und 11. - Asseburger UB. Urkunden und Regestenzur Gesch. des Geschlechts Wolfenbüttel-Asseburg und seiner Besitzungen. Hg. Johann Grafv.BOCHOLTz-AsSEBURG. 3 Bde. Hannover 1976-1905. ND Osnabrück 1975. Bd.l. Nr. 194.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265058 eh. Raabedie heiden Zisterzienseräbte 1241 die Kreuznahme des Herzogs gegen die Tartaren 1I2 •Die Beziehung zwischen den beiden benachbarten Äbten war bald so eng, daß derAbt von Riddagshausen seinen Ordensbruder um Unterstützung bei der Besetzungdes neuen Ordenshauses Isenhagen bat. Die Witwe Pfalzgraf Heinrichs, Agnes vonMeißen, hatte dem Riddagshäuser Abt Geld zur Verfügung gestellt, von dem diesereinen Gründungsort von Otto dem Kind erwerben sollte 113. Ob die anschließende BesetzungIsenhagens mit einem gemischten Konvent aus Riddagshäuser und MarientalerMönchen ausschließlich auf Absprache der beiden befreundeten Zistert:ienseräbtegeschah oder ob der Hermg den Wunsch äußerte, Mariental solle an der Besiedlungbeteiligt werden, ist ungewiß. In jedem Falle kam er kurz darauf über die Aufsichtsrechtein Isenhagen zum Zerwürfnis, da Abt Konrad von Riddagshausen die Paternitätfür sich alleine beanspruchte und sich diese von Agnes von Meißen bestätigenließ 114.Die Auseinandersetzung um Isenhagcn ereignete sich bereits am Ende von KonradsAbbiat. Er ist im August 1247 zum letzten Mal urkundlich nachweisbar 1l5 undsoll nach Meibom noch in diesem Jahr verstorben sein. Abt Konrad war ein Regionalpolitiker,kein Ordenspolitiker, der sich von überregionalen Ordensaktivitäten weitgehendzurückzog und statt dessen die Beziehungen der Abtei zu den benachbarten Gewalten,vor allem zu den Welfen, festigte. Durch seine langjährige Tätigkeit als Cellerarin wirtschaftlichem Denken geschult, war ihm besonders am weiteren Ausbau derBesitzungen durch eine kluge Erwerbspolitik gelegen. Dabei verlor er aus dem Auge,in welchen Traditionen die Abtei verwurzelt war, mit welchen Vor- und Grundsätzensie einst begonnen hatte. Während seiner 15jährigen Sendenzzeit verlor die Bindungzum Mutterkloster und zu der jüngst besetzten Tochterabtei Hude vollkommen anBedeutung. Mariental war zu einem Kloster geworden, das sich von den älteren BenediktinerabteienOstsachsens kaum noch unterschied.Zum Nachfolger Konrads wählte der Marientaler Konvent Ludolf de Luttere 1l6 ,der vorher nicht als Mönch greifbar ist, doch ziemlich sicher im Kloster gelebt hatte,weil er aus einem bei Königslutter ansässigen welfischen Ministerialengeschlechtstammte. Mitglieder der Familie, die ursprünglich Lehensgüter der Welfen in Rottorfbei Königslutter verwalteten, hatten im 13. Jahrhundert mehrfach die Vogtei in Königslutterinne und scheinen sich seither öfter de Luttere genannt zu haben 117. Die112 Ebd. Bd. I Nr. 216.113 Heinrich MEIBOM, Chronicon Riddagshusense. Helmstedt 1605, S. 356. - Zur Geschichte Isenhagensvgl. auch Horst ApPUHN, Kloster Isenhagen. Lüneburg 1966.114 Urkundenbuch des Klosters der Mutter Maria zu Isenhagen. Bearbeitet von Heinrich BÖTTGER. LüneburgerUB Abt. 5 hg. von W. v. HODEN BERG. Hannover 1870. Nr. 15.115 VB H Halb 11. Nr. 780.116 Der Name Ludolf de Luttere ist erst in den secbziger Jahren belegt. Vgl. StAWf 22 Urk 118; 22 Urk126 und VII B Hs 340 S. 231.117 Namensgleichheit, politischer Wirkungskreis und ein Vergleich der Besitzgrundlage machen es wahrscheinlich,daß die Herren von Rottorf und de Luttere verwandt waren. Der Name de Luttere ist 1224erstmals belegt, als ein Ollravinus de LUllere eine Urkunde Pfalzgraf Heinrichs bezeugte. Vgl. HElNE­MANN (wie Anm. 89) S. 337. - Bereits seit 1182 wird der Name Ottravinus in der Familie von Rottorfgeführt. Außer Ottravinus sind Ludolf und Johann für das Geschlecht der Rottorfs leitnamengebend.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental 59" Rottorf-Luttere" ,ergebene welfische Dienstmannen, waren seit Beginn des 13. Jahrhundertshäufig Zeugen in den Urkunden der Herzöge für Mariental 1l8 und fast immeranwesend, wenn sich die Welfen mit kirchlichen Belangen im Helmstedter Raumbefaßten. Deshalb waren sie mit den Verhältnissen in Mariental gut vertraut und zeigtensich überdies als Gönner des Klosters, indem sie den Zisterziensern Lehensgüterin Amfurth und Schoderstedt schenkten 119 •Durch die Wahl Ludolfs zum neuen Abt von Mariental bestätigte der Konvent diePolitik des verstorbenen Konrad, da zu erwarten war, daß Ludolf die Bindung zumwelfischen Hof ausbauen würde. In der Tat hielt sich Ludolf öfter in <strong>Braunschweig</strong>beim Herzog auf l20 , doch war er anders als sein Vorgänger auf eine Rückbesinnungauf die ordensrechtliche Stellung seines Klosters als Haus des Zisterzienserordens bedacht.Er ließ sich die Ordensprivilegien bestätigen, um die Abtei vor einer Unterordnungunter die weltliche Gewalt der Herzöge und die geistliche Gewalt der HalberstädterBischöfe, die sich seit den vierziger Jahren abzeichnete, zu schützen: Im Jahr1252 wandte er sich an den jungen König Wilhelm von Holland, der in <strong>Braunschweig</strong>seine Hochzeit mit der Tochter Herzog Ottos feierte, und erbat eine Schutzurkunde,in der die im königlichen Auftrag ausgeübte Schutzvogtei (detensio) der welfischenHerzöge festgelegt wurde l21 • Diese Urkunde rief in Erinnerung, daß die Welfen inMariental nicht eine Erbvogtei, sondern lediglich eingeschränkte Rechte aus der detensiogeltend machen durften. Während das einvernehmliche Verhältnis zu den welfischenHerzögen dadurch keinen Einbruch erfuhr, stieß Ludolfs Politik beim HalberstädterBischof Meinhard auf tiefe Verstimmung. Das Bistum befand sich seit Mittedes 13. Jahrhunderts nach einer aufreibenden Fehde gegen die Markgrafen von Brandenburgin finanziellen Nöten. Zur Restaurierung der territorialen Grundlagen forderteder Bischof von Mariental alle Zehnten zurück, die der Abtei einst von den Bischöfenaufgetragen worden waren l22 • Ludolf verweigerte dem Bischof die Zehntrechteund ließ sich vom Kardinallegaten Hugo sämtliche Zehntrechte bestätigen, diedie Zisterzienser im Bistum Halberstadt jemals aus Laienhand durch den Diözesanerhalten hatten 123 • Vorher war er schon nach Rom gereist und hatte sieh von Papst InnocenzIV. 1249 ein Privileg ausstellen lassen, daß die Äbte des Ordens vom Besuchder Diözesansynode befreite l24 • Daraufhin brachen die Verbindungen zwischen Ma-Beide Namen sind auch für die de Luttere nachgewiesen. Vgl. zu den Rottorfs Herwig LUBENOW, Diewelfische Ministerialität in Sachsen. Ein Beitr. zur Standesgesch. der Stauferzeit. Maschschr.Diss. Kiel 1964. S. 327 f. - Zu der Familie de Luttere ebd., S. 154. und Sigurt ZILLMANN, Die welfischeTerritorialpolilik im 13. Jh. (1218-1267). (Brsger Werkstücke 52) Bs. 1975, S. 300.IIR Origines Guelficae II1, Nr. 135, Bd. IV, S. 134 - VB H Halb I. Nr. 587.119 UB H Halb 11. Nr. 687 - StA Wolf. VII B Hs 342, S. 108.120 1252 war er beispielsweise in <strong>Braunschweig</strong> bei der Hochzeit Wilhclms von Holland mit der TochterHerzog Ottos des Kinds anwesend.l2J Origines Guelficae IV, Nr. 113. - Die Urkunden Heinrich Raspes und Wilhelms von Holland. Bearb.Dieter HÄGERMANN und Jaap G. KRUISHEER (MGH DD Die Urkunden der deutschen Könige undKaiser 18) Hannover 1988. DD W. Nr. 171.122 Ausführlich dazu RAABE Mariental, 1995 (wie Anm. 3) S. 59f.123 StA Wolf. VII B Hs 340, S. 99.I" StA Wolf. VII B Hs 342 S. 155.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265060 eh. Raaberiental und Meinhard von Halberstadt, die unter Abt Konrad ausgezeichnet gewesenwaren 125 , abrupt ab.Obgleich Ludolf bestrebt war, die Stellung der Abtei fest auf der privilegien rechtlichenGrundlage des Ordcns zu verankern, hat er während seines Abbiats nicht, wiezu vcrmuten wäre, nach Rückhalt für seine Politik in der Filiation gesucht. Er standlediglich im Austausch mit dem Abt von Amelungsborn, der 1254 ein für Marientalwichtiges Gütergeschäft mit Corvey vermittelte 126 • Ludolf setzte die Mittel, die ihmals Mitglied des Ordens zur Verfügung standen, ein, um die Stellung der Abtei in Ostsachsenzu stärken und das Kloster vor einer Vereinnahmung durch den HalberstädterBischof zu schützen. An einer Rückführung und stärkeren Einbindung seiner Abtei indie Filiation war ihm nicht gelcgen. Weder verstärkte er die Kontakte zu dem TochterklosterHude, noch läßt sich erkennen, daß er zu Altenberg einen neuen Fadenknüpfte. Seine offensiven Maßnahmen waren kein Ausdruck einer Rückbesinnungauf die zisterziensische Tradition, mit Ludolf von Marientallebte auch nicht die Forderungnach eincr inneren Erneuerung auf, wie sic von den Gründungsvätern verfolgtwurden, Ludolf hatte bei seiner Politik allein die wirtschaftliche Sicherung und Stärkungseiner Abtei im Blick.Der eigenwillige Kurs Ludolfs scheint im Marientaler Konvent, der sich im13. Jahrhundert vorwiegend aus Abkömmlingen ostsächsischer Adels- und Ministerialenfamilicnzusammensetzte 127 , nicht ohne Widerspruch geblieben zu sein. Dazutrug entschcidend bei, daß die Abtei in dieser Zeit untcr schweren Rückschlägendurch die Zerstörung der Grangie Mammendorf durch Otto von Hadmersleben 1250und Überfälle im Lappwald zu leiden hatte. Ein Teil des Konvents scheint aus ProtestMariental sogar vorübergehend verlassen zu haben 128 • Untcr diesem Druck entschloßsich Ludolf zu resignieren. 1254 urkundete er das letzte Mal l29 , im darauffolgendenJahr stcllte sein Nachfolger Dietrich seine erste Urkunde aus 130 •12' Zwischen 1241, dem Amtsantritt Meinhards, und 1146, dem Tod Abt Konrads, bestätigte BischofMeinhard den Zisterziensern mehrmals aufgelassene Lehen seiner Ministerialen und vermittelte inRechtsstreitigkeiten. UB H Halb 11. Nr. 713,716,742,745,771 und 780. - Konrad von Mariental hatteaußerdem 1245 gemeinsam mit den Zisterzienseräbten von Sittichenbach und Pfona einen Streitzwischen dem Halberstädter Bischof und dem Erzbischof Meinhard von Magdeburg geschlichtet. UBH Halb. II Nr. 756.12. Westfälisches UB IV. Die Urkunden des Bisthums Paderborn vom Jahr 1201-1300. Bearb. RogerWILMANS und Heinrich FINKE. Münster 1877-1894. Nr. 560.127 Seit den zwanziger Jahren des 13. Jhs. läßt sich in Mariental die Herkunft einiger Konventsmitgliederermitteln. Die Mönche stammten aus ostsächsischen Familien, die zu den Wohltätern der Abtei zählten,oder sind vor Eintritt in das Kloster als Donatoren nachweisbar. Zur Zeit Abt Ludolfs lebten inder Abtei beispielsweise Hildebrand von Seehausen, Friedrich und Heinrich von Schönigen, Otto vonGlinde, Johann von Uhrsieben und Wasmod von Esbeck.121< UB zur Geschichte der Herzöge von <strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg und ihrer Lande 1 (bis zum Jahre1341) Hg. Hans SUDEN DORF. Hannover 1859. Nr. 34.12' W. ZÖLLNER, Die Urkunden und Besitzaufzeichnungen des Stifts Hamersleben (1108-1462) (Studienzur Kathol. Bistums- und K1ostergesch. 17) Leipzig 1979. Nr. 56.1)0 StA Magdehurg, UB SI. Agnatis Nr. 12.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental 61Die freiwillige Resignation war seit den Anfängen des Ordens ein verbrieftesRecht!3!. Das Generalkapitellcgte 1202 alten oder kranken Äbten sogar nahe, ihrAmt aufzugcben 132 • Der resignierte Abt trat anschließend zurück in die Reihe derProfessen, wechselte manchmal auch das Kloster oder konnte später wieder ein Klosteramtübernehmen. In der Geschichte des Ordens ist die freiwillige Resignation vonÄbten keine Seltenheit 133 , zumal sich seit Mitte des 13. Jahrhunderts eine Sonderstellungfür resignierte Äbte herausbildete, die das Generalkapitel 1288 nachträglichdurch ein Statut rechtlich fixierte: Äbte, die sich um die Führung ihres Klosters verdientgemacht hatten, sollten eine pensio oder provisio erhalten 134. Ludolf resigniertenicht aus Altersgründen, sondern um die Einheit der Mönchsgemeinschaft zu bewahren,die unter seinem Abbiat auseinanderzubrechen drohte. Er ist in den folgendenJahren in Mariental noch mehrmals belegt. 1262 vermittelte er als quondam abbaseine Güterschenkung der Gräfin Adelheid von Ravensberg in Rottorf 135 , 1264 und1268 bezeugte er Urkunden seiner Nachfolger Dietrich und Reinhold!36. Seine exponierteStellung in den Zeugenreihen hinter dem Prior Hildebrand von Ütze und vorden übrigen Amtsinhabern zeigt, daß man ihn in der Mönchsgemeinschaft mit Hochachtungbehandelte und seine Person würdigte. Mitte des 13. Jahrhunderts hatten resignierteÄbte in Mariental demnach eine Sonderstellung inne.IIIUnter Ludolfs Nachfolger Dietrich (1255-1264) und Reinhold (1264-1295) entwikkeltesich Mariental in einem geradezu atemberaubenden Tempo zu einem der reichstenGrundbesitzer Ostsachsens. Eine intensive auf Besitzausbau und -konzentrationzielende Erwerbspolitik, die die ökonomische Krise vieler Halberstädter Grundherrenausnutzte, ermöglichte den steilen wirtschaftlichen Aufstieg der Abtei 137 • Es liegtin der Logik einer asketischen Arbeitsauffassung, daß sich Reichtum ansammelt, dernach einiger Zeit die Wurzeln angreift, aus dem er einst hervorging: die Geisteshaltungder Entsagung und Selbstbeschränkung. Aus dieser Geisteshaltung, die gleichzeitigein Protest gegen ein zu reich, bequem und weltlich gewordenes Mönchtum war,war der Zisterzienserorden in die Geschichte getreten. Die Gründungsväter wolltenweitabgewandt, arm und unabhängig von säkularen Bindungen und Verführungenwie Besitz, Macht und Herrschaft leben und sich einem schlichten benediktinischenMönchtum in Gebet und Arbeit hingeben. Doch in der ständisch gegliederten Gesell-131 Can I. 1234: 1.132 Can I. 1202: 39. - Vgl. zur Resignation von Zisterzienseräbten Carl L. NOSCHITZKA, Die kirchenrechtlicheStellung des resignierten Regularabtes unter besonderer Berücksichtigung der geschichtlichenEntwicklung im Zisterzienserorden. In: ASOC 13, 1957, S. 149-314.133 Ebd. S. 221.IJ4 Can. I1I, 1288: 6.m Andreas LAMEY, Diplomatische Gesch. der Grafen von Ravensbcrg. Mannheim 1779. Cod. dipl.Nr.40.136 StAWf 22 Urk 126; VII B Hs 340, S. 231.137 Ausführlich vgl. RAABE Mariental, 1995 (wie Anm. 3) S 359ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265062 eh. Raabeschaftsordnung des Hochmittelalters war ein solcher Ausbruch aus dem funktionalenGefüge, in dem die Aufgaben der einzelnen Stände aufeinander bezogen waren undsich ergänzten, nicht realisierbar. Wenn die Verwirklichung der radikalen Lebensentwürfeder Ordensväter nicht schon in den Anfängen scheiterten, so deshalb, weil derOrden unter der überragenden Persönlichkeit Bernhards von Oairvaux die Rolle deschristlichen Streiters für Papsttum und Kirche übernahm. Was sich im Großen vollzog,ist im Kleinen auch an der Geschichte Marientals zu beobachten: Eine Anpassungan die Erwartungen von außen von Beginn an. So beruhte bereits die GründungMarientals auf einem Komprorniß. Die Zisterzienser erfüllten die Ansprüche desFundators auf ein Familienkloster, indem sie die Gründervogtei duldeten und PfalzgrafFriedrich 11. 1162 im Kloster bestatteten und für sein Seelenheil beteten.Mariental war in der Expansionsphase des Ordens gegründet worden und in denersten beiden Jahrzehnten stark in die Dynamik des schnell auf ganz Europa ausgreifendenOrdens einbezogen. Der erste Marientaler Abt Bodo wirkte in Altenberg undAmelungsborn, ehe er nach Mariental kam, und scheint nach Sicherung der pfalzgräflichenGründung in weiteren Filialklöstern Altenbergs tätig gewesen zu sein. BodosNachfolger Heinrich visitierte im Auftrag der Ordensleitung den Gründungsplatz fürMichaelstein, während Dudelin über Morimond und Altenberg als dritter Abt in denLappwald kam. Die verfassungsmäßig festgelegte Filiationsbindung zwischen MutterundTochterabtei prägte zwar das entstehende Klosternetz, doch waren die Filiationssträngein der Aufbauphase keineswegs strikt getrennt noch standen sie in Konkurrenzzueinander. Die beiden Kölner Zisterzen Altenberg und Altenkamp, von denenzahlreiche Neubesetzungen im norddeutschen Raum ausgingen, unterstützten sichvielmehr gegenseitig. Der Altenberger Mönch Bodo hielt sich beispielsweise vorübergehendin dem Altenkamper Filialkloster Amelungsbom auf oder der MarientalerAbt Heinrich beobachtete die Altenkamper Klostergründung in Michaelstein. In diesergemeinsamen Pionierzeit mag begründet liegen, daß die beiden Kölner Vateräbtespäter, nachweisbar im 13. Jahrhundert, die Visitationsreise nach Ostsachsen undNorddeutschland gewöhnlich zusammen antraten.Die ersten zwei Jahrzehnte in der Marientaler Geschichte standen also ganz unterdem Zeichen des Aufbaus, nicht nur der eigenen Abtei, sondern auch eines ostsächsischenzisterziensischen Klosternetzes. Das änderte sich mit dem Ausbruch desSchisma 1159, das die Einheit des Ordens einer Belastungsprobe aussetzte, der sienicht standhielt. Dazu trugen Ordensangehörige wie Abt Dudelin von Mariental bei,der die Existenz seines Klosters über die Loyalität zur französischen Ordensleitungstellte. Er schloß sich der viktorianischen Partei im Bistum Halberstadt an und bandMariental damit enger an seine Umgebung. Gleichzeitig intensivierte sich in dieserZeit die Bindung zwischen Mariental und der Mutterahtei Altenberg, das als Hausklosterder Grafen von Berg und Kölner Erzbischöfe ebenfalls gegen die alexandrinischePosition der Ordensspitze Stellung bezogen hatte. Die enge Beziehung zwischender Mutter- und Tochterabtei prägte die nächsten Jahrzehnte, mindestens drei MarientalerÄbte aus dem 12. Jahrhundert stammten aus Altenberg, im Mutterkloster betetendie Mönche zumindest für alle Brüder, die nach Mariental gegangen waren.Nach Beendigung des Schismas blieb der nun in erster Linie machtpolitisch motivierte


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Äbte von Mariental 63Einfluß Altenbergs auf Mariental zunächst weiterhin bestehen, bis es in den neunzigerJahren zu einer Entfremdung kam. Auslöser dafür war der Wiederaufbau der zerstörtenAltenberger Filiation Zinna, um die sich vor allem der Marientaler Abt Arnoldkümmerte, während Altenberg seiner Fürsorgepflicht nicht nachkam. Eine Klage derÄbte von Zinna und Mariental auf dem Generalkapitel bewirkte, daß der Vaterabtbestraft und Zinna fortan Mariental unterstellt wurde. Damit hatte sich Mariental ausdem überregionalen Einflußbereich der Kölner Zisterze weitgehend gelöst. An dieStelle der Filiation traten neue Bindungen, vor allem an die Bischöfe von Halberstadtund an die benachbarten adligen Familien. Erstmals können in dieser Zeit Begräbnisseostsächsischer Adliger in Mariental nachgewiesen werden, die darauf hinweisen,daß die Zisterzienser nun auch den Erwartungen der Donatoren auf eine liturgische"Gegengabe" in Form von Gebeten und Begräbnissen entgegen kamen.Der Regionalisierungsprozeß, der seit Beginn des 13. Jahrhunderts zu beobachtenwar, setzte sich unter den Nachfolgern Abt Arnolds fort. Die ostsächsischen Zisterzienserklöster,die bis auf Mariental zur Altenkamper Klosterfamilie gehörten, schlossensich stärker zusammen, während die überregionale Ordensbindung nur noch formaleBedeutung besaß, geschickt ausgenutzt von Abt Heinrich, der zur Durchsetzungder Interessen seiner Abtei den Zisterzienser und päpstlichen Legaten Konrad vonUrach bemühte. Die Äbte von Mariental besuchten selbstverständlich das Generalkapitelund inspizierten gelegentlich im Auftrag der Ordensleitung einen neuen Gründungsplatz,wesentlich mehr waren sie jedoch in die geistliche Schiedsgerichtsbarkeitder Diözese Halberstadt eingebunden, die sie gemeinsam mit ihre Ordensbrüdernund den Äbten der alteingesessenen Benediktinerabteien oder den Pröpsten der Augustinerchorherrenstifteausübten. Wie weit das Filiationssystem als tragende Stützeder zisterziensischen Verfassung im 13. Jahrhundert bereits an Bedeutung verlorenhatte, zeigt die Besetzung Hudes 1232 durch Mariental: Eine Verbindung zwischender Mutter- und Tochterabtei läßt sich in den folgenden Jahren so gut wie nicht nachweisen.Vielmehr lehnte es der Marientaler Abt Konrad ab, sich weiter im norddeutschenRaum zu engagieren und überließ die Betreuung der Zisterze Liliental seinerTochterabtei Hude. Mariental war zu einem Kloster ohne überregionale Ausstrahlunggeworden. Der Konvent setzte sich ausschließlich aus Angehörgen der welfischen undHalberstädter Ministerialität und des ostsächsischen Adels zusammen. Aus diesenKreisen stammte auch Abt Ludolf de Luttere, der frühzeitig resignierte, weil er eineunbequeme, auf die Privilegien des Ordens gestützte Politik betrieb. Er war sich derzisterziensischen Traditionen bewußt, nutzte sie aber nicht für eine Erneuerung desOrdens gedankens, sondern für eine Stärkung der wirtschaftlichen Position seiner Abtei.Nachdem er resigniert hatte, trat er nicht als einfacher Profeß in die Reihe derMönche zurück, sondern behielt als ehemaliger Abt eine herausgehobene Sonderstellunginne. Er hatte sich nicht weniger als sein Vorgänger von dem anti weltlichen, Hingabeund Entsagung fordernden Ideal der Gründungsväter entfernt, das in Marientalnicht länger als zwei Generationen Geltung besessen hatte und bereits in den sechzigerJahren in ein Ringen um Existenzsicherung, im 13. Jahrhundert in Eigeninteresseumgeschlagen war.


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fallersleben im MittelaltervonAnnette von Boetticher1. Der Name FallerslebenBekanntermaßen muß die erste schriftliche Nennung eines Ortes nicht unbedingt ausseiner Entstehungszeit stammen. In den meisten Fällen fehlen aus dieser Phase jeglicheschriftlichen Hinweise. Archäologische Grabungen und siedlungsgeographischeUntersuchungen könnten weiterhelfen und Anhaltspunkte liefern, in welche Siedlungsperiodeein bestimmter Ort einzureihen ist. Für Fallersleben gibt es jedoch auchkeine archäologischen Funde, die Rückschlüsse auf die Entstehung der Siedlung zuließen.Fest steht aber, daß der Ort viel älter ist als seine erste urkundliche Erwähnungum die Mitte des 10. Jahrhunderts!.Allein die Ortsnamenforschung kann hier einige siedlungsgeschichtliche Hinweisegeben. Fallersleben erscheint im 10. Jahrhundert als Valareslebo (942), Valresleba(973), später als Valirslive (1244), Vallersleve (1326, 1374). Der Ort gehört damit zudenjenigen Siedlungsplätzen, die im Neuhochdeutschen die auffällige Endung auf,,-Ieben" aufweisen. Die Verbreitung dieser Orte ist ziemlich genau zu bestimmen: Siezieht sich von Thüringen aus über das heutige östliche Niedersachsen hin bis nach Dänemarkund Schweden 2 , wo Orte mit der entsprechenden Endung auf ,,-Iöv" zu findensind. Dieses Suffix leitet sich vom gotischen ,,-leiba" ab und bedeutet soviel wieHinterlassenschaft oder Erbe.Allerdings tut sich die Ortsnamenforschung recht schwer mit der zeitlichen undstammesgeschichtlichen Einordnung jener Orte 3 • Nur soviel läßt sich sagen: Die "Ieben"-Endungtaucht in der Regel im Zusammenhang mit einem Personen namen auf,der weder der Karolinger- noch der Ottonenzeit zugerechnet werden kann. Die Verbreitungsolcher Namen wird in Zusammenhang gebracht mit der späten Völkerwanderungszeit,vor allem mit dem ostfälischen Stamm der Warnen, durch die diese Ortemöglicherweise eine Süd-Nordbewegung erhielten. Als ungefähre zeitliche Einordnunggilt das 8. Jahrhundert. Keinesfalls kann aufgrund dieser vagen Datierung eingenaueres Entstehungsdatum von Fallersleben angegeben werden. Lassen wir es vielmehrmit dem Hinweis auf das vermutlich hohe Alter dieser Siedlung bewenden.1 s. Abschnitt 2.2 Käthe MITTELHÄUSSER. Ländliche und städtische Siedlung; in: Gesch. Niedersachsens, hg. von H. PAT­ZE. Bd. 1. 1977, S. 265 f.3 Vgl. Ernst SCHWARZ, Deutsche Namenforschung. Bd. 2: Orts- und Aurnamen. 1950, S. 81 f.; HeinrichWESCHE, Unsere niedersächsischen Ortsnamen. 1957, S. 55ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265066 A. v. Boetticher2. Erste Erwähnungen des Ortes vor dem Jahr 1000Erstmals urkundlich erwähnt wird Fallerslcben in der Namensform Ualareslebo in einerUrkunde des deutschen Königs Otto 1., als dieser der dortigen St. MichaeliskircheLändereien von fünf Hufen im südlich von Fallersleben gelegenen Ort Ehmen übertrug4 • Als Datum in jener Urkunde ist Mittwoch, der 5. Oktober des Jahres 966 angegeben(anno dominicae incarnatioinis CCCCCLXVI, indictione XlIII, feria IIII,data III non. octobris). Ausgestellt wurde das Diplom in Magdeburg. Die Jahresangabejedoch gibt Rätsel auf, da sie in der Urkunde eindeutig vom Urkundenschreibernachgetragen wurde. Das tatsächliche Ausstellungsjahr ist mit Sicherheit früher anzusetzen.Hans Sudendorf, der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Urkundender Herzöge von <strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg edierte, setzte sich ausführlich mit diesemProblem auseinander 5 : Weder im Urkundentext, noch in der Umschrift des Siegelsbezeichnet sich Otto als Kaiser; die Urkunde dürfte deshalb aus der Zeit vor seinerKaiserkrönung am 2. Februar 962 stammen. Der Text der Urkunde legt weiterhinnahe, daß zum Zeitpunkt ihrer Abfassung die erste Gemahlin Ottos I., Königin Edgitha,bereits verstorben war (pro remedio animae dilectissimae coniugis nostrae Aedgidis).Da Edgitha am 26. Januar 946 starb, wäre das Diplom nach diesem Datumausgestellt worden. Wciter ist zu berücksichtigen, daß am Ende der Urkunde in derRekognitionszeile Kanzler Bmno für Erzkanzler Friedrich, den damaligen Erzbischofvon Mainz, auftritt (Brun cancellarius ad vicem Friderici archicancellarii recognovi).Da Bruno seit dem Jahre 940 als Kanzler zeichnete, bevor er im Jahre 953 selbst zumErzkanzler erhoben wurde, ließe sich die Abfassung der Urkunde damit noch weiterauf den Zeitraum zwischen 946 und 953 eingrenzen. Schließlich macht Sudendorfdarauf aufmerksam, daß Otto in der Urkunde seinen Sohn Ludolf freundschaftlicherwähnt (pro salute filii nostri Liudulfi). Da sich die beiden aber im Winter 951 überwarfen,möchte er das Diplom auf die Zeit davor datieren. Die Urkunde stammtedemnach aus dem Zeitraum zwischen 946 und 951. Während dieser Jahre fiel alleinim Jahre 949 der 5. Oktober auf einen Mittwoch (Jeria I1Il); eine Anwesenheit KönigOttos in Magdeburg um diese Zeit wäre ebenfalls bezeugt. Sudendorf vermutet deshalbals wirkliches Ausstellungsdatum der Urkunde den 5. Oktober 949. Bei seinenÜberlegungen hat er jedoch nicht auf den Originaltext der Urkunde zurückgreifenkönnen, sondern stützte sich allein auf eine Abschrift.Zu einer anderen Interpretation des Datums kommt dagegen Sickei, der die UrkundeOttos I. auch in paläographischer Hinsicht untersuchte 6 • Er ging davon aus,daß der Schreiber der Urkunde nicht, wie Sudendorf aus der ihm vorliegenden Abschriftannahm, bei der "Römerzahl" die 9. Indiktion (indictione VIIll), sondern die14. Indiktion (XIlII indictione) geschrieben hat. Aufgrund seiner Untersuchungen an4 MGH DO 1/50., Hans SUDENDORF (Hg.), Urkundenbuch zur Gcsch. der Herzöge von <strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg undihrer Lande. 1859-1880. Bd. V, Nr. 35 S. 44, Anmerkung.• Theodor SICKEl, Beiträge zur Diplomatik. Bd. 6. 1877, S. 437.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Fallersleben im Mittelalter 67anderen Kaiserurkunden war er zu dem Ergebnis gekommen, daß ein KanzleischreiberOttos I. in den frühen vierziger Jahren des 10. Jahrhunderts bei der Angabe der"Römerzahl" eine gewisse Unsicherheit zeigte: Regelmäßig scheint er sich um eineIndiktion verrechnet zu haben. Sickel schloß daraus bei unserer Fallerslebener Urkundeauf das Jahr 942, denn allein in diesem Jahr fiel der 5. Oktober auf einen Mittwoch,während gleichzeitig die Indiktion 15 galt, die nach der Gewohnheit jenesSchreibers als ,,14. Indiktion" angegeben wurde.Diese etwas mühsame, aber durchaus plausible Argumentation läßt ein ArgumentSudendorfs unberücksichtigt, auf das Sickel nicht näher eingeht: der Hinweis darauf,daß zum Zeitpunkt der Ausstellung Königin Edgitha, die erste Gemahlin Ottos, bereitsverstorben sein sollte. Die Formulierung pro remedio anime, die in derselben Urkundezwar mit dem Hinweis auf das Seelenheil von Ottos Sohn (pro salute anime)korrespondiert, hat Sudendorf jedoch zu einseitig übersetzt. In der lateinischen Urkundensprachewird diese Formulierung durchaus auch für Lebende verwandt? SudendorfsBeweisführung wäre damit hinfällig. Seine übrigen Hinweise zur Datierungreduzieren sich auf einen Zeitraum zwischen 940 und 951. Zweimal fiel in diesen Jahrender 5. Oktober auf einen Mittwoch: 942 und 949; nur eines dieser beiden Datenläßt sich mit der in der Urkunde angegebenen Römerzahl in Verbindung bringen. SikkelsVorschlag, dem auch die Edition der Monumenta Germaniae Historica folgte, istdamit eindeutig der Vorrang zu geben: Die Ersterwähnung Fallerslebens dürfte sichaller Wahrscheinlichkeit nach auf das Jahr 942 beziehen.Als eindeutig gesichert jedoch kann erst eine Erwähnung des Ortes aus dem Jahre973 gelten. In einer am 4. Juni in Magdeburg für die dortige Kirche ausgestellten UrkundeKaisers Ottos 11. bestätigt dieser die Privilegien seines Vaters, insbesondere Immunität,Bann und freie Vogtswahl. Unter zahlreichen anderen Dörfern, in deren Besitzer die Magdeburger Kirche bezeugt, wird ausdrücklich auch Fallersleben erwähnt,geschrieben als Ualresleba. Der Ort zählte damals - ebenso wie die gleichfalls genanntenDörfer Schauen (Kreis Halberstadt) und Bardorf (Kreis Helmstedt) - zumHarzgau (in pago Hardago).Zwei Jahrzehnte später erscheint Fallersleben in einer Urkunde Ottos III. aus demJahre 997, als der Kaiser Bischof Amulf von Halberstadt und seinen Nachfolgern denWildbann über mehrere Wälder verlieh 8 • Bei der geographischen Lagebeschreibungder Forste HackeI, Huy, Fallstein, Asse, Elm und Nordwald heißt es, sie lägen zwischenden Flüssen Schunter (Scuntera) und Aller (Alerus) an einem Weg, der nachFallersleben führte (per viam quae tendit ad vicum Feleresleua).3. Fallersleben als dorp, civitas und wicbeldIn den mittelalterlichen Quellen findet man in Verbindung mit dem Namen Fallerslebenverschiedene Begriffe, die sich auf den Charakter der Ortschaft beziehen. In der7 Du CANGE, Glossarium mediae et infimae latinitatis. 1883-1887. Bd.7 (Nachdruck 1954), S. 118.• MGH DO 111/243.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265068 A. v. BoetticherUrkunde Ottos I. von 942 wird Fallersleben als villa 9 bezeichnet, 997 als vicus lO , alsoals "Dorf'. Im Jahre 1244 heißt der Ort civitas {"Stadt")ll; im Spätmittelalter findetman sowohl die Bezeichnungen dorp und villa (1337)12 als auch wicbeld (1344)13.Unter "Dorf" ist eine ständig bewohnte, geschlossene Siedlung der Landbevölkerungmit der dazugehörigen Nutzfläche, der Dorfmark oder Dorfflur zu verstehen.Als dörfliche Ansiedlung dürfte sich Fallersleben als Zweireihen- oder Einwegdorfentlang der heutigen Marktstraße entwickelt haben l4 • Wann es zur weiteren Ausdehnungdurch spätere Zusiedlungen kam, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Wahrscheinlicherfolgte die Bebauung zunächst nach Westen entlang der späteren Westernstraße,dann gegen Ende des 14. Jahrhunderts die Ausdehnung entlang der Kampstraße.Die Kirche wurde etwas oberhalb des Ortes errichtet. Diese Abseitslage läßtdarauf schließen, daß es sich dabei um eine Taufkirche gehandelt hat, die nicht nur fürFallersleben, sondern für mehrere Gemeinden zuständig war und deshalb an einemfür alle gleichermaßen erreichbaren Platz erbaut worden war.Warum Fallersleben um die Mitte des 13. Jahrhunderts bereits civitas genanntwird, bleibt unklar. Diese Bezeichnung stammt von dem Schreiber der Goslarer Vogtcigeldkasse15, der möglicherweise keine genaue Kenntnis vom Ort Fallersleben hatte.Andererseits mehren sich im folgenden Jahrhundert Anzeichen, die deutlich über denRahmen des "Dorfes" hinausweisen. Spätestens seit dem Jahre 1371, vermutlich aberbereits viel eher, lag dort eine "Feste", später ein landesherrliches Schloßl6. Wohl imZusammenhang damit ergab sich eine gewisse Sonderstellung des Ortes, wie sie beivielen späteren "Flecken" in Niedersachsen zu beobachten ist!7: In der Nähe einerBurg entstand in der Regel eine kleine Ansiedlung von Handwerkern und Kaufleuten,die bald gewisse Marktrechte besaßen und zumindest ansatzweise die Möglichkeiteiner eigenen Verwaltung erhielten, ohne daß daraus wirkliche Stadtrechte hervorzugehenbrauchten. Damit wäre die Bezeichnung "Weichbild" erklärbar, die fürFallersleben im Jahre 1344 erstmals urkundlich belegt ist. Wenige Jahrzehnte spätererscheint in der Überlieferung zum ersten Mal ein "Rat zu Fallersleben"18 - jedochnicht in der Funktion städtischer Selbständigkeit, sondern lediglich im Zusammenhangmit einer Geldabgabe der Gemeinschaft an die welfischen Herzöge l9 .• MGH 00 I/50.10 MGH 00 I1I/243.JJ VB der Stadt Goslar und der in und bei Goslar belegenen geistlichen Stiftungen, bearb. von GeorgBODE. Bd. 1. 1893, NT. 606 S. 562.12 SUDENDORF (wie Anm. 5) Bd. I, NT. 618 und 619 S. 317.13 SUDENDORF (wie Anm. 5) Bd. V, Nr. 4 und 5, S. 46." Der Landkreis Gifhorn. Bd. 2: Gemeindebeschreibungen. 1975, S. 232." s. Abschnitt 7.16 s. Abschnitt R.11 Käthe MIITELHÄUSSER. Der Flecken in Niedersachsen zwischen Dorf und Stadt. In: NdsJb. 63, 1991,S.210f.IR SUDENDORF (wie Anm. 5) Bd. VIII, Nr. 21 S. 12 f.19 s. Abschnitt 8.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fallersleben im Mittelalter 69Die unterschiedlichen Bezeichnungen zeigen die Schwierigkeit, das mittelalterlicheFallersleben einem bestimmten Ortstypus zuzuordnen. Durch das landesherrlicheVerwaltungszentrum im 14. Jahrhundert war Fallersleben weit mehr als ein bäuerlichesDorf. Es dürfte sich vielmehr zu einer Ansiedlung Handel- und Gewerbetreibenderentwickelt haben, die sich eine gewisse Selbstverwaltung zur Wahrung bzw.Durchsetzung eigener Interessen geschaffen hatte. Ein eigenes Stadtrecht wurde Fal­Iersleben im Mittelalter jedoch nicht verliehen. Dieses erhielt der Ort erst im 20. Jahrhundert.4. Die Kirche in FallerslebenDie heute evangelisch-lutherische Michaelis-Kirche in Fallersleben wird das erste Malin der bereits erwähnten Urkunde Ottos I. von 942 genannt. Die Kirche war dem ErzengelMichael sowie den Heiligen Cosmas, Damian, Alexander, Eventius und Theodolusgeweiht. Fallersleben besitzt damit eine der ältesten christlichen Kirchenstiftungender Region, von deren Existenz im 10. Jahrhundert bekannt ist.Mehreren mittelalterlichen Quellen zufolge, der Chronik des Heinrich von Herford2o , der Stiftungsregister der sächsischen Kirchen bei Leibniz 21 , der Metropolis desAlbert Krantz 22 , der Mindener Chronik 2 3, hat Kar! der Große im Jahre 783 ein Bistumzu Schieder gestiftet, das später dureh die sächsischen Fürsten Bruno und Tankwardnach Fallersleben, schließlich von Heinrich I. nach Frohse (in Nordthüringen)und dann von Otto I. nach Magdeburg verlegt worden sei. Als Bischof in FaIIerslebensei der später heilig gesprochene Marco eingesctzt worden, der auch dort gestorbensein so1l24.Bereits G. F. FiedeIer hat im vorigen Jahrhundert darauf hingewiesen 25 , daß in diesemFall den mittelalterlichen Geschichtsschreibern kaum Glauben geschenkt werdendarf, da ihre Aussagen sich auf eine nicht mehr erhaltene sächsische Chronik stützten,die erst im 13. Jahrhundert verlaßt wurde. Fest steht lediglich, daß Otto I. dem ErzstiftMagdeburg im Jahre 937 die Stadt Frohse schenkte und daß Otto III. dem Erzbistumim Jahre 997 Schieder übertrug. Von Fallersleben oder gar einem Bistum Fallerslebenist in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Die Schenkung von Fallersle-20 Zitiert nach G. F. FIEDELER, Zur Gesch. des Fleckens Fallersleben. In: Zs. des Historischen Vereins fürNiedersachsen 34, 1869, S. 111.21 Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, Scriptores rerum Brunsvicensium. Bd. 1. 1707, S. 260.22 A. KRAN TZ , Metropolis, Buch III, Kap. 11, zitiert nach FIEDEL ER (wie Anm. 20) S. 111.2J Mindener Chronik; in: LEIBNIZ (wie Anm. 21). Bd. 2, S. 158.24 Vgl. auch Peter Wilhelm B[IIRENDs, Urkunden nehst historischen Nachrichten, betreffend die Kirchenund Pfarren einiger Orte des Königlich Hannoverschen Amtes Fallersleben und des anliegenden Herzoglich<strong>Braunschweig</strong>ischcn Landes .... ; in: Archiv des Historischen Vereins für Niedersachsen. 1849,S. 21 f.; Hermann SCHULZE, Geschichtliches aus dem Lüneburgischen. Gesch. der Ämter und OrtschaftenGifhorn, Fallersleben, Meinersen, Isenhagen nebst Knesebeck.1877 (Neudruck 1978),S. 109ff.25 FIEDELER (wie Anm. 20) S. 111 ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265070 A. v. Boetticherben an den Erzbischof von Magdeburg wurde, wie erwähnt, lediglich in einer UrkundeOttos 11. von 973 bestätigt 26 •Auch die Frage nach der Person des Bischofs Marco dürfte als geklärt gelten. Hierscheinen sich in den genannten Quellen zwei Personen gleichen Namens zu überlagernund dadurch zum Bischof von Fallersleben gemacht worden zu sein. In der UrkundeOttos I. von 942 ist von einem Marco die Rede, der den geschenkten Güternvorstand, was jedoch nicht heißt, daß es sich bei dieser Person um einen kirchlichenWürdenträger gehandelt haben muß. Desweiteren befindet sich in einer UrkundeHeinrichs 11. von etwa 1020 27 ein Hinweis, daß ein Bischof Marco Güter in Fallerslebenbesessen habe. Von einem Bischof von Fallersleben wird dabei nichts gesagt, gemeintscheint hier Bischof Marco von Schleswig zu sein. Die Überlieferung von einemBistum Fallersieben ist deshalb gewiß ins Reich der Legende zu verweisen.Von dem mittelalterlichen Kirchenbau in Fallersleben ist heute nichts mehr erhalten.Bereits 1803 wurde ein um 1474 errichteter spätgotischer Bau abgerissen. Der<strong>Braunschweig</strong>er Hofbaumeister Langwage schuf 1804 den Neubau, eine auf querrechteckigemGrundriß angelegte Saalkirche, deren südlicher Langseite eine Sakristeiund deren nördlicher Langseite ein gedrungener Turm mit einem schlanken Helmund vorgelegtem viersäuligen Portikus mittig hinzugefügt sind. Der flachgedeckte, miteiner ringsumlaufenden holzpfeilergetragenen Empore versehene Innenraum, in dessenMitte sich ein Kanzelaltar befindet, wurde 1954/55 neu ausgemalt 28 • Ob sich dieheutige Gestaltung der Kirche in irgendeiner Weise an dem früh- bzw. spätmittelalterlichenKirchenbau orientierte oder ob es sich dabei um eine vollkommene Neugestaltunghandelt, ist nicht mehr zu ermitteln.In einem 1579 angelegten Kirchenbuch 29 werden die der Kirche gehörigen Güteraufgezählt. Demnach besaß die Kirche in der zweiten Hälfte des 16. JahrhundertsWiesen auf dem Soltbleck, hinter dem Danhop, vor dem Danhop, auf den Vorbecken,vor der Berhorst, am Suhlwege und am Oslischen Wege, außerdem Äcker an dem Laberge,im Galgensieck und im Risfelde, des weiteren Geldzinse von Häusern in Fallerslebenin der Kampstraße, in der Greperstraße, im Rosenwinkel und auf der Westernstraße,zudem in Ehmen, Weihhausen und Sandtkamp. Ein Teil dieser Güterdürfte bereits aus Erwerbungen oder Übertragungen in mittelalterlicher Zeit stammen,wenn dies auch im einzelnen nicht nachzuweisen ist, da die entsprechenden Urkundenfehlen. Auffallend ist aber doch, daß die Kirche immer noch Besitz in Ehmenhatte, jenem Ort, der schon in der ersten Urkunde Ottos I. genannt wird.Urkundliche Erwähnungen der Kirche und Pfarrer von Fallersleben aus dem Mittelalterfinden sich nur sporadisch: Im Jahre 1265 wird ein Pfarrer Johannes von Fallersleben(lohannes plebanus in Valersleve) unter den Zeugen in einer Urkunde des26 FIEDELER (wie Anm. 20) S. 112.27 UB des Erzstifts Magdeburg, bearb. von Friedrich ISRAEL. Bd. I. 1937, Nr. 123a S. 174.28 Historisch-Landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen, Blatt Wolfsburg. Erläulerungsheft.1977. S. 116f.; vgl. auch Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, III: Regierungsbezirk Lüneburg.Bd. 4: Kreis Gitbom, bearb. von Oskar KIECKER und Hans LÜTGENS. 1931, S. 64ff.29 FIEDELER (wie Anm. 20) S. 108 f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fallersleben im Mittelalter 71Vicedominus Burchard von Halberstadt genannt, in der ein Streit zwischen Pfarrerund Gemeinde in Isenbüttel geschlichtet wird 3o , Ein weiterer Pfarrer Johannes vonFallersleben erscheint als Zeuge einer Urkunde von 1325 31 , Möglicherweise ist diesesdieselbe Person wie der 1334 erwähnte Pfarrer Johannes (her ]an perner van Valersleve)32,bei dem es sich um Johannes von Olberneshusen handeln könnte, dessenName in einer zeitgleichen Urkunde mit dem Zusatz rector ecclesie in Vallersleve,Halberstadensis dyocesis genannt wird 33 ,In einer Urkunde vom 27, September 1374 ermächtigt Johannes von Peine, Pfarrerin Fallersleben, den Priester Günther von Lühnde und den Domvikar Eckbert Plumeyerzur Resignation der Pfarre in Fallersleben zugunsten Herwgs Albrecht von Lüneburg,Die Genannten übertragen diese Vollmacht einem Johann von Fallersleben,Vikar des Kreuzstiftes in Hildesheim 34 . In einer Urkunde vom 23. Januar 1389schließlich beauftragt ein päpstlicher Legat den Propst des Domstiftes in Goslar mitder Einsetzung des Priesters Heinrich Hackerode aus Aschersleben in die Pfarre zuFallersleben 35 ,Aus dem Jahre 1334 erfahren wir, daß die Kirche in Fallersleben zumindest vorübergehenddem Kloster Haselndorf übertragen gewesen sein muß36. Aus anderenUrkunden geht dagegen eine enge Beziehung zur Familie von Campe hervor, die umdiese Zeit das Patronat in Fallersleben innehatte. Am 14, Juli 1336 bestätigte BischofAlbrecht von Halberstadt eine Schenkung des Ritters Balduin von Campe für einenAltar in Fallersleben 37 , Mehrfach erscheinen die Pfarrer von Fallersleben bei Güterübertragungender von Campe als Zeugen 38 , Im Jahre 1344 überließ die Familie ihrPatronatsrecht den Herzögen von <strong>Braunschweig</strong> 39 , zu deren Rechtstiteln es seitdemgehörte 40 ,Im Zusammenhang mit der Kirche ist noch das sogenannte "Alte Werk" zu erwähnen,von dessen Existenz wir erstmals in einer Urkunde des Ritters Balduin von Campedem Jüngeren aus dem Jahre 1336 erfahren. Balduin von Campe schenkte dem30 VB des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe, hg. von Gustav SCHMIDT. 1883-1889 (im weiterenVB HHa), Bd. II, Nr. 1114 S. 296f.31 Johannes Friedrich FALKE, Codex traditionum Corbeiensium. 1752, S. 792; FIEDELEK (wie Anm. 20)S. 109f.32 Lüneburger VB, hg. von Wilhelm v. HODEN BERG, 5. Abteilung: Archiv des Klosters der Mutter Mariazu Isenhagen. 1870, Nr. 199 S. 87.33 FIEDELER (wie Anm. 20) S. 110.34 VB des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe, hg. von Kar] JÄNICKE und Hermann HOOGEWEG,1896-1911 (im weiteren VB HHi), Bd. VI, Nr. 149 S. 81; SUDEN DORF (wie Anm. 5) Bd. V, Nr. 35S.44.3S VB Goslar (wie Anm. 5). Bd. 5. 1922, Nr. 746 S. 347.J6 Asseburger Urkundenbuch. Urkunden und Regesten zur Gesch. des Geschlechts Wolfenbüttcl-Asseburgund seiner Besitzungen. Bd. 2, hg. v. 1. GRAF V. BOCHOLTZ-AsSEBURG, 1887, Nr. 969 S. 23f.31 VB HHa (wie Anm. 30) Bd. III, Nr. 2282 S. 387.311 FALKE (wie Anm. 31) S. 792; FIEDELER (wie Anm. 20) S. 109f.; Lüneburger VB (wie Anm. 32),Nr. 199 S. 87.39 SUDEN DORF (wie Anm. 5) Bd. V, S. 46 Nr. 4.4() Vg\. ebd. VI, Nr. 237 S. 261.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265072 A. V. BoetticherAltar im Alten Werk zu Fallersleben (in Antiquo opere opidi Val/ersiehe constructam)zwei Hufen zu Mörse und setzte zu dessen Rektor den Kleriker Johannes, SchülerHerrn Alberts, des Pfarrer zu St. Magni in <strong>Braunschweig</strong>, ein 41 • Aus dem Urkundentextgeht hervor, daß dieses Alte Werk nicht allzu lange als selbstständige Einrichtungneben der Kirche bestanden haben dürfte, denn es war bislang noch nicht mit Besitzausgestattet worden (nondum donatum). Weiter heißt es, daß nach dem Tode desRektors Johannes der Altar wieder mit der Kirche in Fallersleben vereinigt werdensollte, wie dies früher der Fall war. Wahrscheinlich handelte es sich bei diesem AltenWerk um eine der Kirche angegliederte Kapelle, deren Bau und Ausstattung vermutlichauf die Familie von Campe zurückzuführen ist. Um die Mitte des 15. Jahrhundertsmuß dieses Alte Werk noch bestanden haben, denn in einer Urkunde HerzogFriedrichs von Lüneburg von 1451, in der die Gründung eines Johanniterklosters inFallersleben beschlossen wird, wird neben der Kirchspielkirche in Fallersleben auchnoch dat olde werk darsulves 42 genannt. Über seine Funktion zu dieser Zeit wird jedochnichts mehr gesagt.5. Das lohanniterkloster in FallerslebenIm Gegensatz zu vielen anderen geistlichen Stiftungen ist im Falle des Johanniterklostersin Fallersleben eine Stiftungsurkunde in zweifacher Ausfertigung überliefert 43 •Demzufolge hatte Herzog Friedrich von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg am 3. Juli 1451 dieStiftung eines Klosters des Johanniterordens veranlaßt. Herzog Friedrich, der denBeinamen "der Fromme" trug, regierte von 1434 bis 1457 und 1471 44 • Ein Jahr nachder Stiftung des Johanniterklosters in Fallersleben ließ er in Celle ein Franziskanerklostererrichten. Ein Grund für die Klostergründungen wird nirgends genannt, auchist nichts zu erfahren, in welchem Verhältnis der Herzog gerade zu den Johanniternund Franziskanern stand. Die Stiftungen dürften auf seine persönliche Frömmigkeitzurückzuführen sein, denn Klostergründungen dieser beiden Orden, die im 12. und13. Jahrhundert entstanden sind und ihre Blütezeit im 12. bis 14. Jahrhundert hatten,sind in der Mitte des 15. Jahrhunderts eher ungewöhnlich.Die Ursprünge des Johanniterordens, des "Ritterlichen Ordens des heiligen Johannesvom Spital zu Jerusalern" , liegen, wie der volle Name sagt, in Jerusalern, wo im12. Jahrhundert ein Hospital zur Pflege für Pilger und Kranke bestand. Da die Johannitersich sowohl der Krankenpflege als auch der Verteidigung des Christentum verpflichtetfühlten, wurden sie zum geistlichen Ritterorden, der seit 1155 eine eigeneOrdensregel besaß. Der Orden fand zunächst im Mittelmeerraum, dann im übrigenEuropa rasche Verbreitung. In ihren Heimatländern waren die Johanniter in soge-41 BsVB Bd. 3, Nr. 505 S. 377. Bischuf Albrecht von Halberstadt bestätigte am 14. Juli 1336 dieseSchenkung: VB HHa (wie Anm. 30) Bd. I1I, Nr. 2282 S. 387.42 FIEDELER (wie Anm. 20) S. 113 ff .• 3 Beide Urkunden sind ediert bei FIEDELER (wie Anm. 20) S. 114ft... Vgl. Wilhelm HAVEMANN, Gesch. der Lande <strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg. Bd. 1. 1853, S. 695.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fallersleben im Mittelalter 73nannte "Zungen" (d. h. nach Sprachen) organisiert, die in Priorate und Balleien unddiese wieder in Kommenden untergliedert waren.In der sehr ausführlichen Stiftungsurkunde des Herzogs Friedrich von Lüneburgheißt es, daß die Pfarrkirche in Fallersleben mit dem Patronatsrecht und allem Zubehör,vermutlich gehörte dazu auch das "Alte Werk", dem lohanniter-Ordenshaus in<strong>Braunschweig</strong> zur Gründung eines Klosters seines Ordens übertragen werden sollte.Der Prior und seine Priester in <strong>Braunschweig</strong> sollten dieses Kloster in Fallerslebeneinrichten und dort ebenfalls einen Prior und mindestens sechs Priester einsetzen, diedort nach der Ordensregel leben sollten. In der Urkunde werden noch detaillierte Angabengemacht, in welcher Weise bestimmte Heiligentage zu begehen sein sollten undfür welche Personen wann ein Jahrgedächtnis gehalten werden sollte. EventuellenUnstimmigkeiten zwischen dem Kloster und dem Rat zu Fallersleben oder anderenherzoglichen Untertanen wurde vorgesorgt: Man sollte sich in aller Güte einigen unddem Urteilsspruch des Herzogs unterwerfen. Dem Rat und dem Kirchspiel zu Fallers­Ieben wurde außerdem zugesagt, daß deren Rechte bei der Einsetzung der Älterleutein keiner Weise beeinträchtigt würden.Diese Stiftungsurkunde ist zugleich die erste und auch die letzte Nachricht über daslohanniterkloster zu Fallersleben. Weitere Informationen darüber sind nicht auszumachen45 • Nach einer Notiz im Kirchenbuch der Superintendentur zu Fallersleben imJahre 1715 46 wurden auf dem Pfarrhof der Michaeliskirche nahe der KirchenmauerMauerreste gefunden, die einmal zum Fundament eines größeren Gebäudes gehörthaben müssen. Fiedeler vermutete, daß es sich dabei um Reste jenes lohanniterklostergehandelt haben müßte 47 • Eher ist aber anzunehmen, daß es sich bei diesen Überrestenum das bereits obengenannte "Alte Werk", das sich neben der Kirche befundenhaben sollte, handelte. Es ist im übrigen zu bezweifeln, ob es überhaupt zur Errichtungeines eigenen Klostergebäudes für die lohanniter in Fallersleben gekommen ist.Das Fehlen jeglicher Nachrichten aus der Zeit nach der Stiftung läßt eher daraufschließen, daß es aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht zur Ausführungder Ordensgründung gekommen ist. Es wäre ungewöhnlich, daß keine einzige weitereGüterübertragung durch die Herzöge oder durch den in dieser Region ansässigenAdel an diese Stiftung überliefert sein sollte. Offenbar haben Umstände, die uns heuteunbekannt sind, die Realisierung jenes Planes verhindert.6. Die wirtschaftlichen VerhältnisseDie wirtschaftlichen Verhältnisse in Fallersleben während des Mittelalters dürften sichkaum von denen in anderen Dörfern dieser Region unterschieden haben. Gekennzeichnetwar es von der Hufenverfassung, von der bereits in den ersten Urkunden des., Vgl. Gerhard STREICH, Klöster, Stifte und Kommenden in Niedersachsen vor der Reformation. 1986,S.61.46 Vgl. Kunstdenkmäler Kreis Gifuorn (wie Anm. 28) S. 70.47 FIEDEL ER (wie Anm. 20) S. 124.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265074 A. v. Boetticher10. Jahrhunderts die Rede ist, von bäuerlicher Arbeit und grundherrschaftlichen Abgaben.Eine flächendeckende Beschreibung der einzelnen Bauernhöfe ist allerdingsfür die mittelalterliche Zeit in Fallersleben nicht möglich, auch nicht eine Aufstellungsämtlicher berechtigten Grundherren. Nach den sporadischen Hinweisen in einer Reihevon Urkunden hatten in Fallersleben Besitz die Herren von Meinersen, die im Jahre1311 vom Halberstädter Bischof mit dem Zehnten in Fallersleben belehnt wurden48 , die Herren von Bartensleben, die als herzogliche Lehnsinhaber 1330/52 eineHofsteIle als Lehen erhielten 49 , Cord van der Meesne, dem ein Hof und drei Hufenübertragen wurden 50 und Wiger von Campe, der 1383/85 einen Hof und zwei HufenempfingSl.Demgegenüber erlaubt jedoch eine besonders günstige Quellenlage, die Entwicklungeines Hofes über anderthalb Jahrhunderte zu verfolgen und von daher unter allemVorbehalt Rückschlüsse auf die Lage des gesamten Dorfes zu ziehen.Dabei geht es um einen Hof von zweieinhalb Hufen, den das Blasiusstift zu <strong>Braunschweig</strong>im Jahre 1302 in Fallersleben besaß 52 • Die Geschäftsführung dieser geistlichenInstitution hat sich gerade für das 14. und 15. Jahrhundert in für den norddeutschenRaum einmaliger Weise in den "VlZedominatsrechnungen" erhalten S3 , in denenauch jener Hof zu finden ist.Wir erfahren bereits aus dem Jahr 1316 von einem dortigen villicus, d. h. einem"Meier", des Domstifts 54 • Über das genaue Rechtsverhältnis dieses Hofinhabers gehtaus den überkommenen Aufzeichnungen nichts hervor. Eines jedoch ist sicher: Mitdem später in Niedersachsen verbreiteten "Meierrecht"S5 hatte seine Besitzformnichts zu tun. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren die Hufen damals vom Domstiftauf eine bestimmte Frist gegen eine jährliche Abgabe ausgegeben, also zu einer ArtPacht 56 • Erst im Verlauf der folgenden Jahrhunderte wurde daraus jenes erbpachtähnlicheBesitzrecht, durch das der Bauer letztlich zum Eigentümer des Hofes wurde.Aus den VlZedominatsrechnungen geht jedoch noch mehr hervor: Im Jahre 1316hatte jener "Villicus" an einen nicht näher bezeichneten Hugo 3 Schilling zu zahlen 57 ;Ansprüche auf die Einkünfte aus dem Hof in Fallersleben wurden vom Domstift alsounmittelbar weitergegeben. In den folgenden Jahren erscheint in der Abrechnung im.~ SUDENDORF (wie Anm. 5) Bd. I, Nr. 696 S. 350.49 Lüneburger Lehnregister, bearb. von Wilhelm v. HODEN BERG. In: Archiv für Gesch. und Verfassungdes Fürstenthums Lüneburg 9, 1862, Nr. 117.so Ehd. Nr. 664.51 SUDEN DORF (wie Anm. 5) Bd. VI, Nr. 61 S. 65.52 Hermann DÜRRE, Gesch. der Stadt <strong>Braunschweig</strong> im Mittelalter, 1861 (Nachdruck 1974), S. 409.53 Hans GOETTING/Hermann KLEINAU (Bearb.), Die Vizedominatsrechnungen des Domstifts St. Blasiizu <strong>Braunschweig</strong> 1299-1450. 1958.54 Ebd. S. 33.55 Vgl. Z. B. U1rike BEGEMANN, Bäuerliche Lehenshedingungen im Amt Blumenau (Fürstentum Calenberg)1650-1850. Dargestellt anhand der Eheverträge, der Kirchenbücher des Kirchspiels Limmerund anderer registerförmiger Quellen. 1990, S. 6 ff.56 Vgl. Hartmut HOFFMANN, Das <strong>Braunschweig</strong>er Umland in der Agrarkrise des 14. Jhdts. In: DeutschesArchiv für Erforschung des Mittelalters 37. 1981, S. 241.57 GOETTING/KLEINAU (wie Anm. 53) S. 33.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fallersleben im Mittelalter 75Zusammenhang mit den zweieinhalb Hufen in Fallersleben stets ein Heinrich vonCampe, über dessen persönliche Stellung nichts weiter angegeben ist 58 • Es hat denAnschein, daß es sich bei dieser Person nicht um den" Villicus" als eigentlichen Hofinhaberhandelt, sondern einen "Zwischenpächter" , der dem Domstift gegenüber zufesten jährlichen Zahlungen verpflichtet war, und die Hufen zur Bearbeitung weitergegebenhatte 59 •Wie dem auch sei, sicher ist, daß das Domstift von den Gütern dieses Heinrich vonCampe 1315 bis 1321 jährlich ungefähr 30 Schilling erhielt. In den folgenden Jahrzehntenwird eine Abgabe von dieser Höhe genannt, auch wenn nicht deutlich wird,wer dafür aufkam. Im Jahre 1338 erhielt das Domstift vom Hufenland in Fallerslebennoch 34 Schilling, dann sanken die Zahlungen um die lahrhundertmitte auf 28 Schillingund blieben dann auffallend konstant 60 .Es scheint, als habe die verheerende Pest von 1350 auf die wirtschaftliche Lage inFallersleben zunächst kaum Auswirkungen gehabt. Hier zeigt sich, daß die Konjunkturdes 14. Jahrhunderts nicht so sehr durch die einmalige Katastrophe des "großenSterbens" beeinflußt wurde 6 I, sondern durch den nachfolgenden Bevölkerungsrückgang,begleitet von einer jahrzehntelangen Agrardepression 62 • Erst eine Generationspäter werden die Folgen an dem besagten Hufenland in Fallersleben sichtbar: DerHof lag wüst; in den Jahren 1372 und 1380/81 mußte das Domstift auf seine Einkünfteverzichten: "Alles ist vernachlässigt", "alles steht aus" , heißt es in den Vizedominatsrechnungen63 •Erst für 1394 werden wieder Einkünfte von den zweieinhalb Hufen aufgeführt, dieallerdings deutlich niedriger lagen als die Zahlungen zu Beginn des 14. Jahrhunderts:Die Abgaben sollten nun ungefähr um ein Drittel geringer sein, konnten aber nichteinmal mehr in dieser Höhe bezahlt werden 64 • Im Gegensatz zur früheren Zeit ist esnun aber eindeutig der "Meier" persönlich, der dem Domstift gegenüber zur Zahlungverpflichtet war.Selten läßt die Überlieferung für ein einzelnes Anwesen so deutlich die Entwicklungder Agrarkrise im 14. Jahrhundert hervortreten, wie dies für den Hof dem<strong>Braunschweig</strong>er Domstiftes möglich wird. Über die übrigen Bauernstellen in Fallers­Ieben ist damit zwar nichts gesagt, es ist aber anzunehmen, daß sich hier eine allgemeineTendenz abzeichnet, die sicherlich für die Lage im gesamten Dorf im ausgehendenMittelalter typisch war.S. Ebd. S. 26, 32, 35.S. Zur Zwischenpacht vgl. Manfred v. BOElTICHER, Kloster und Grundherrschaft Mariengarten. Entstehungund Wandel eines kirchlichen Güterkomplexes im südlichen Niedersachsen vom 13. bis ins19. Jh. 1989, S. 62 ff.60 GOETTING/KLEINAU (wie Anm 53) S. 42, 56, 76, 80.61 Vgl. Neithard BULST, Der Schwarze Tod. Demographische, wirtschafts- und kulturgeschichtlicheAspekte der Pestkatastrophe von 1347-1352. In: Saeculum 30, 1979, S. 45 ff.62 Vgl. Wilhelm ABEL, Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters. 1976, S. 8ff.63 GOETTING/KLEINAU (wie Anm 53) S. 85, 94: Valersleve., totum est neglectum; Neglectum Vallersleve:totum Testat.M Ebd. S. 99, 106, 112.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265076 A. v. BoetticherDoch zeigen uns die Vizedominatsrechnungen noch mehr. Für das 15. Jahrhundertfinden sich hier Hofnamen und Hofinhaber für jene zweieinhalb Hufen angegeben,die zwar eine gewisse Tradition deutlich machen, zugleich aber auch erkennen lassen,wie wenig Kontinuität man bei den bäuerlichen Familien um diese Zeit vorauszusetzenist 65 • So ist für jene 21/2 Hufen zunächst ein gewisser "Bekman" aufgeführt, seinHof heißt "Bekhof" (curia Bekhof). Später sitzt auf diesem Hof ein Ehepaar Koter,das offenbar von einer Familie Papen, dann' Pawest, abgelöst wird. Demgegenüberbleibt der überkommene Hofname bestehen, der Bezug zu seinem früheren Inhabergeht jedoch verloren: Aus dem "Bekhof" wird ein "Bethof' oder "Bcdhof'.7. Die Besitz- und Herrschaftsverhältnisse im Raum Fallerslebena) Lehnsverhältnisse und HerrschaftsrechteDie mittelalterlichen Quellen der Region Fallersleben sind auf den ersten Blick rechtverwirrend, teilweise sogar widersprüchlich, da hier Lehnsrechte verschiedener Herrschaften,der Erzbischöfe von Magdeburg, des Bischofs von Hildesheim und der Wclfenherzögenicht nur aneinanderstoßen, sondern sich auch zeitlich und räumlich zuüberlagern scheinen.Zum besseren Verständnis der mittelalterlichen Verhältnisse sind ein paar Bemerkungenzum Lehnswesen angebracht 66 • Das Lehnswesen des Mittelalters ist ein aufdas Lehnsrecht gegründetes und den Lehnsgerichten unterworfenes Leiheverhältnis,das sich aus dem germanisch fränkischen Gefolgschaftswesen entwickelte. DerLehnsnehmer erhielt ein weltliches oder geistliches Gut als Gegenleistung für persönliche,in der Regel militärische Dienste sowie Hofdienste, wodurch ein gegenseitigesTreueverhältnis entstand. Formal war der Lehnsherr an den sogenannten Leihezwanggebunden, der ihn zwang, ein heimgefallenes Lehen nach Jahr und Tag wieder auszugeben.Dadurch wurde verhindert, daß Lehnsgüter dem aktiven Lehnsprozeß entzogenwurden. Mit der Herausbildung der Territorien im späten Mittelalter geriet dieseRegel jedoch in Vergessenheit.Lehnsobjekte waren dabei nicht nur Grund und Boden, sondern auch Rechte undEinkünfte verschiedener Art. Auf diese Weise war es möglich geworden, daß ursprünglichkirchliche Rechte, wie Zehnt- und Patronatsrechte in Laienhand fallenkonnten. Da es zur gängigen Praxis wurde, daß die Bischöfe ihr Land und ihre Rechtevom König zu Lehen erhielten, gelang es ihnen andererseits, sich in den Besitz vonweltlichen Rechten, also Grafen- bzw. Gerichtsrechten zu bringen und sich dadurchnicht nur eine kirchliche sondern auch eine weltliche Herrschaft aufzubauen, ein Verfahren,bei dem bisweilen große Mengen an Geld im Spiel waren.65 Ebd. S. 121 f.66 Vgl. Francois Louis GANSHOF, Was ist das Lehnswesen. 1961; Heinrich MITrEIS, Lehnrecht undStaatsgewalt. 1933 (Nachdruck 1958).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fallersleben im Mittelalter 77Es ist ein typisches Merkmal des mittelalterlichen Lehnswesens, daß an einemLehnsgut häufig mehrere Berechtigte beteiligt waren. Daher war es fast unmöglich,sich einen Herrschaftsraum ohne jegliche Beteiligung Dritter oder Vierter zu schaffen.Die meisten Bischöfe im Deutschen Reich wurden auf diese oder ähnliche Weise zuFürstbischöfen und Reichsfürsten mit gräflicher Gerichtsbarkeit und Inhaber der Regalienund konnten somit einen entsprechenden Einfluß auf die Reichspolitik nehmen.Im Laufe des Mittelalters wurden die Lehen erblich. Sie wurden dann auch zuKauf- bzw. Verkaufsobjekten, was ursprünglich nicht beabsichtigt war. Die Veräußerungen,seien es nun Verkäufe oder Schenkungen, konnten aber keineswegs über denKopf des Oberlehnsherren hinweg geschehen. Der Lehnsinhaber mußte in einem solchenFall auf sein Lehen verzichten und es in die Hände des Lehnsherren zurückgeben,der neue Lehnsinhaber mußte dann gegenüber seinem neuen Lehnsherren denTreueid leisten und wurde dann mit dem Lehen investiert. Das Lehngut verändertedadurch nicht seinen rechtlichen Charakter. Daß ein Lehngut aufgekauft und dann inein Allod, also ein Eigengut, umgewandelt wurde, war selten und kam in der Regelnur bei Ankäufen durch geistliche Institutionen vor.Das Lehnswesen bestimmte und beherrschte die mittelalterliche GeschellschaftsundBesitzstruktur. Es schuf klar begrenzte, hierarchische Strukturen, innerhalb dcrersich die einzelnen Bevölkerungsschichten, vor allem der Adel, aber auch das Bürgertum,ihre Einflußbereiche und Machtpositionen schufen. Im Mittelalter gab es zwischenden einzelnen Herrschaften keine Grenzen im heutigen Sinne. Es handelte sichvielmehr um Einfluß- bzw. Machtbereiche, die - wie wir noch sehen werden - je nachpolitischen oder ökonomischen Gesichtspunkten geschaffen oder aus entsprechendenGründen auch wieder aufgegeben werden konnten, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatten.b) Die Grafschaftsrechte der Grafen von WohldenbergDie herrschaftliche Entwicklung für Fallersleben und Umgebung ist zwischen 1100und 1200 ungewiß. Zunächst lag die Hoheit bei den Erzbischöfen von Magdeburg.Wie lange diese jedoch wirklich im Besitz der Herrschaftsrechte geblieben sind und anwen sie ihre Rechte weitergegeben hatten, ist unklar.Im hohen und späten Mittelalter sind es jedenfalls die Grafen von Wohldenberg,die hier ziemlich weit abseits von ihrem eigentlichen Herrschaftsbereich im nördlichenHarzvorland die Grafschaft über den Papenteich, den Stuhl zu Grevenlah und Fallerslebenübernommen hatten.Neuere Forschungen haben ergeben, daß die Grafen von Wohldenberg diesen Besitzbereits um das Jahr 1200 von König Philipp von Schwaben zu Lehen erhalten haben67 • In einer Notiz in der Goslarer Vogteigeldrolle, einem Verzeichnis der mit jährlichenGeldrenten aus der Vogtei zu Goslar belohnten Personen aus dem Jahre 1244,67 Wolfgang PETKE, Die Grafen von Wöltingerode-Wohldenberg. Adelsherrschafi, Königtum und Landesherrschaftam Nordwestharz im 12. und 13. Jh. 1971, S. 337 ff., 356 ff.; vg!. auch Sigurd ZILLMANN,Die welfische Territorialpolitik im 13. Jh (1218-1267). 1975, S. 96 ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265078 A. v. Boetticherheißt es, daß die Grafen Hermann I. und Heinrich I. von Wohldenberg von KönigPhilipp für die civitas Valirslive jährlich 100 Mark aus der Goslarer Vogteigeldkasseerhalten sollten 68 , das war knapp ein Drittel der gesamten Vogteigelder. Von Rechtender Wohldenberger ist zwar erst im Jahre 1264 69 die Rede, berücksichtigt man aberdie politische Konstellation um 1200 im <strong>Braunschweig</strong>er Raum, so liegt der Schlußnahe, daß die Grafen von Wohldenberg zu Zeiten der Thronstreitigkeiten zwischendem Welfen Otto IV. und dem Staufer Philipp von Schwaben in den Besitz von Fallerslebengekommen sein müssen.Der Hintergrund jener Auseinandersetzungen, die 1198 begannen, war folgender:Nach dem Tode Kaiser Heinrich VI. sollte dessen Sohn Friedrich Nachfolger werden.Da dieser damals erst zwei Jahre alt war, beanspruchte der Bruder des Kaisers, HerzogPhilipp von Schwaben, den Thron. Er konnte zwar eine größere Anhängerschafthinter sich vereinigen, seine Wahl entsprach aber nicht dem herrschenden gewohnheitsmäßigenWahlrecht. Der Welfe Otto IV., Sohn Heinrichs des Löwen, erhob ebenfallsAnsprüche auf die deutsche Krone. Seine Gegenwahl war nicht ohne Mängel,auch wenn er darauf Wert legte, daß seine Anhängerschaft aus qualitativ höherstehendenPersonen bestand. Im Jahre 1198 war das Reich somit gespalten in ein staufischesund ein welfisches Lager, die sich jahrelange erbitterte Kämpfe licfcrten 7o • Zuden Welfengegnern gehörte in dieser Situation auch der Erzbischof Ludolfvon Magdeburg,der maßgeblich an der Wahl Philipps beteiligt war, und die Grafen von Wohldenberg,die gegenüber dem Hildesheimer Bischof an der Spitze der Welfenoppositionstanden.Es konnte nur im Interesse Philipps von Schwaben liegen, seine Position im Umkreisdes welfisch-braunschweigischen Raumes zu stärken. In diesem Zusammenhangübertrug er den Wohldenbergern die Lehnsherrschaft über Fallersieben, wobei dieOberlehnsherrschaft des Magdeburger Erzbischofs nicht angetastet wurde. Geradedas Gebiet um Fallersleben hattc für die militärischen Aktionen der Gegenkönige einenganz erheblichen Wert, da Fallersleben unweit von <strong>Braunschweig</strong> an der Heerstraßenach Salzwedellag und damit von strategischer Bedeutung für die staufischePartei war. Als Gegenleistung dafür, daß die Wohldenberger diese Position gegen denWelfen hielten, dürfte ihnen die besagte Rente aus der Goslarer Vogteigeldkasse ausgesetztworden sein. Noch zu einer Zeit (1244), als die Auseinandersetzungen um dieKönigskrone längst entschieden waren, wurden die Zahlungen fortgeführt.Die Belehnung der Grafen von Wohldenberg mit Fallersieben durch den Staufererfolgte ganz offenbar im Einvernehmen mit Erzbischof Ludolf von Magdeburg undgeschah eindeutig unter politischen und militärischen Gesichtspunkten. Die Grafenvon Wohldenberg haben sich in dieser Region bis ins 14. Jahrhundert behauptet. Wir6. UB Goslar (wie Anm. 11). Bd. 1, Nr. 606 S. 562: Comes Hermannus et comes Heinricus de Waldenberchcentum marcas et quinquaginta V marcas sub hoc numero: de rege Philippo pro civitate Valirslivecentum marcas.69 UB HHi (wie Anm. 34) Bd. II1, Nr. 71 S. 31; vgl. PETKE (wie Anm. 67) S. 357.70 Vgl. WINKELMANN, Eduard: Philipp von Schwaben und 0110 IV. von <strong>Braunschweig</strong>. Bel. 1-2.1873-1878 (Nachdruck Darmstadt 1963).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fallersleben im Mittelalter 79wissen jedoch nicht genau, wie die Ausübung ihrer gräflichen Rechte in Fallersleben,Grevenlah und dem Papenteich im einzelnen ausgesehen hat. Es ist aber anzunehmen,daß sie die dortigen Güter an ihre Ministerialen weiterverlehnt hatten. Zwischen1264 und 1272 erscheint bei den Grafen jedenfalls der Ministeriale Eiger von Fallersleben71 •c) Fallersleben unter welfischer HerrschaftIn den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts änderten sich die Herrschaftsverhältnissein und um Fallersleben. Der Thronstreit war längst kein Thema mehr. Seit derVerständigung zwischen Staufern und Welfen, die durch die Schaffung des Herzogtums<strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg durch Kaiser Friedrich 11. im Jahre 1235 besiegeltwurde, waren die Welfenherzöge bestrebt, ihre alte Hausmacht wieder aufzubauenund führten eine zielstrebige, kontinuierliche Erwerbspolitik 72.In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gelang es ihnen zeitweilig, mehrere Bischofstühleder umliegenden Bistümer mit Angehörigen ihres Hauses zu besetzen(Bremen, Minden, Hildesheim, Halberstadt) und ihre Herrschaft über weite Gebieteauszudehnen. Ein in sich geschlossener Herrschaftsraum entstand dadurch jedoch zunächstnoch nicht, zumal die welfische Position an mehreren Stellen auf Ansprüchedes Hochstifts Hildesheim stieß.Eine Lücke im welfischen Gebiet stellte nordöstlich von <strong>Braunschweig</strong> die Regionum Fallersleben dar, die noch unter Magdeburger Oberlehnsherrschaft stand. Vordem Jahre 1330 kann hier kein welfischer Besitz nachgewiesen werden. In der Teilungsurkundevon 1267 allerdings, in der die drei Söhne Herzog Albrechts d. Gr. von<strong>Braunschweig</strong>, Heinrich der Wunderliche, Albrecht 11. und Wilhelm, die Aufteilungdes väterlichen Erbes vornahmen, heißt es, daß das dominium Gifhorn zum AnteilWilhelms gehörte 73. Möglicherweise zählte damit schon ein kleiner Randbereich desPapenteichgebietes zur <strong>Braunschweig</strong>er Landesherrschaft.Spätestens seit den zwanziger Jahren des 14. Jahrhunderts zeigten die welfischenHerzöge zunehmend mehr Interesse an diesem Gebiet. Am 14. Juni 1326 verzichteteRitter Jordan von Campe zugunsten der Herzöge Otto und Wilhelm von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburgauf seine Ansprüche an den Gütern und der Vogtei zu Fallersleben.Er, seine Ehefrau und der an den Gütern berechtigte Johann von Saldem erhieltendafür von den Herzögen 45 Mark Silber 74 •Am 16. Oktober verkauften die Grafen Ludolf, Johann, Burkhard, Gerhard undWilbrand von Wohldenberg den Herzögen Otto und Wilhelm von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburgdas Dorf Fallersleben, den Stuhl zu Grevenlah, das Gericht über alle dazu gehörendenDörfer und die Grafschaft über den Papenteich: we hebbet vorkoft unde la-7J PETKE (wie Anm. 67) S. 357,455.12 Geschichtlicher Handatlas von Niedersachsen, bearb. von Gudrun PISCHKE. 1989, Karte 26.73 ZILLMANN (wie Anm. 67) S. 98.7. SUDEN DORF (wie Anm. 5) Bd. V, S. 45: ... renunciavi et presentibus renuncio omni impeticioni quamhabui in bonis et advocacia in Vallersleve ... Dicti autem principes dabunt michi ac domine Oden uxorinecnon Johanni de Saldere ... quadraginta quinque marcas puri argenti ...


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265080 A. v. Boetticherten den erbaren vorsten ... dat dorp to Vallersleve ... unde den stol to deme Grevenlaunde dat ghericht over al de dorp de dar in horet, unde de grafscop over den Poppendichde angheyt to deme Druchterbeke wen te to den Bolen to dem Knesbeke ... 75. DieselbenGrafen resignierten wenige Tage später, am 21. Oktober 1337, ihrem Lehnsherren,dem Erzbischof zu Magdeburg, die angeführten Lehnsgüter 76 •Mit diesen Urkunden verkauften die Grafen von Wohldenberg ihre Lehnsrechteüber die genannten Güter und ließen sie gleichzeitig dem Erzbischof von Magdeburgals ihrem bisherigen Lehnsherrn auf. Auf welche Weise deren Rechte an die Welfenübergingen, wird aus den überlieferten Urkunden nicht deutlich. Auf jeden Fall erscheinenseitdem die Herzöge in diesem Raum als Inhaber auch der obersten lehnsherrschaft.Mit der Übertragung der Lehngüter an die Herzöge und mit der Lehnsauflassungan den Erzbischof zogen sich die Grafen von Wohldenberg keineswegs aus diesemGebiet zurück 77 • Vielmehr wurden sie nun zu Lehnsleuten der Herzöge, die sie mitden entsprechenden Gütern im Papenteich, Grevenlah und Fallersleben erneut belehnten.Im Lehnsbuch Herzog Ottos von <strong>Braunschweig</strong>, das 1318 begonnen wurde,finden wir einen entsprechenden Nachtrag aus dem 15. Jahrhundert: Ludolfus, Borchardus,Gerhardus, Wilbrandus comites de Woldenberge receperunt in pheodo a dominiduce Ottone de Brunswich vii/am in Valkeresleve, comiciam in Poppendic 7R •Ebenso heißt es im Lehnsbuch dcr Herzöge Magnus und Ernst von <strong>Braunschweig</strong> von1344 (-1365): Ludolfus, Wulbrandus, Gherd comites de Woldenberg comiciam overden Poppendyk, villam Vallersleve ... 79.Wenn Verkäufe oder Verlehnungen der Grafen von Wohldenberg auch nach 1337im Gebiet um Fallcrsleben nachzuweisen sind, heißt das also nicht, daß die Wohldenbergerihre Grafschaftsrechte an die Welfen verkauft, einen Teil ihres Grundbesitzesaber behalten hätten 80. Es bedeutet vielmehr, daß die Grafen nun als Lehnsleute derHerzöge agierten und nach wie vor Güter an ihre Lehnsleute, in der Regel an Ministeriale,weitergaben.Klare Besitzverhältnisse herrschten noch nicht in Fallersleben. Angehörige der Familievon Campe, die Rechte in und um Fallersleben hatten und anscheinend beimVerkauf der Güter durch Jordan von Campe nicht anwesend waren, forderten im Jahre1340 von den Herzögen ihren Güteranteil zurück: To deme ersten vordere we datdorp half to Vallersleve mit allem rechte .. . 81. Sie übertrugen den Rittern Hardneidvon Mahrenholz und Heinrich Knigge die Entscheidung in dieser Auseinandersetzung.Das Ergebnis fiel zugunsten der Herzöge aus, woraufhin die Gebrüder von7S Ebd. Bd. I, S. 317 Nr. 618.76 Ebd. S. 317 Nr. 619.17 Vg\. ZILLMANN (wie Anm. 67) S. 99.78 Bernd FLENTJE/Frank HENRICHVARK, Die Lehnbücher der Herzöge von <strong>Braunschweig</strong> von 1318 und1344/64. 1982,S. 40.79 Ebd. S. 51.80 So ZILLMANN (wie Anm. 67) S. 99 f.81 SUDENDORF (wie Anm. 5) Bd. V, S. 45f. Nr. 3.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fallersleben im Mittelalter 81Campe den Herzögen Sühne gelobten wegen der entstandenen Irrungen: We ... bekennetunde betughet open bare in dessem breve, de beseghelet is mit usen inghesegelen,dat we hebbet ghelovet und lovet mit samender hand intruwen in dessem breveusen vorbenomden heren, hertogen Otten unde hertogen Wilhelme van Brunswichunde Lunebord, ene rechte sone aller schelinghe, de we mit en hebbet ghehatbet indessen dach 82 .Am 4. Juli 1344 verkauften Angehörige der Familie von Campe den HerzögenOtto und Wilhelm von <strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg Besitzteile in und vor dem DorfFallersleben mit allem ZubehörS 3 • Wenige Tage später, am 7. Juli desselben Jahres,gaben weitere Angehörige der Familie ihre Einwilligung zu diesem Güterverkauf andie Herzöge 84 • Möglicherweise handelte es sich hierbei um Campensehen Eigenbesitz,denn in keiner der Urkunden wird gesagt, daß die Güter einem Lehnsherren aufgelassenwurden.d) Die Grafschaftsrechte der Bischöfe von HildesheimWie verwickelt und unübersichtlich die Besitzverhältnisse im Raum Fallersleben waren,wird erst recht deutlich, wenn man erfährt, daß auch die Bischöfe von Hildesheimhier Rechte beanspruchten. Am 30. März 1341 verkaufte Balduin von Wenden zuMeinersen den Herzögen Otto und Wilhelm von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg diegravscop over den Poppendik, die er vom Hochstift Hildesheim zu Lehen hatte, wobeier sich sein lediges Gut, sein Lehnsgut, sein freies Gut und seine freien Leute vorbehielt85 • Diese Mitteilung muß zunächst einmal sehr verwundern, denn schließlich wargenau diese Grafschaft doch bereits vier Jahre zuvor von den Wohldenberger Grafenschon an die Herzöge verkauft worden.Der scheinbare Widerspruch könnte dadurch zu lösen sein, daß sich hier im Spätmittelalterunterschiedliche Rechte unter derselben Bezeichnung gegenüberstehen.Aus der Urkunde geht hervor, daß zumindest die Hildesheimer Rechtsansprücheauch die Herrschaft über freies Land und freie Leute umfaßte; im konkreten Fall bleibendiese dem Verkäufer vorbehalten. "Grafschaftsrechte" können sich demnach sowohlräumlich als auch inhaltlich überschneiden und damit unterschiedlichen Rechtskreisenangehören. Eine Differenzierung dieser Rechte im Einzelnen ist allerdings ausden Quellenberichten nicht zu entnehmen.Eine weitere Quelle mit vergleichbar widersprüchlichem Inhalt macht dieses Problemnochmals deutlich. Am 29. Juni 1384 stellte König Wenzel eine Urkunde für BischofGerhard von Hildesheim aus, in der er diesem die Erbschaft des Grafen Gerhardvon Wohldenberg übertrug, der Vasall der Hildesheimer Kirche gewesen undohne Nachkommen gestorben war (absque herede legittimo)86. Es werden dabei die'2 Ebd.83 Ebd. S. 46 Nr. 4.,. Ebd. S. 46 Nr. 5 .., Ebd. Bd. I, Nr. 696 S. 350.86 VB HHi (wie Anm. 34) Bd. VI, Nr. 639 S. 451 f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265082 A. v. BoetticherHerrschaft im Gau Astfala, im Gretingau und im Derlingau genannt, wozu auch Fallerslebengehört haben müßte, das am Nordrand des Derlingau lag, sowie das bereitseIWähnte Vogteigeld aus Goslar (item de redditibus in Goslaria dictis vogtgelt).Jener Gerhard von Wohldenberg, der als Lehnsmann dcs Hildesheimer Bischofsbezeichnet wird, dürfte aber auch zweifellos zu denjenigen Wohldenbergern gehörthaben, die ihre Güter im Papenteich und um Fallersleben dem Erzbischof von Magdeburgzugunsten der Welfenherzöge aufgelassen hatten. Demzufolge mußte Gerhardvon Wohldenberg sowohl Lehnsmann der Magdeburger als auch der HildesheimerKirche gewesen sein. Gerade im Spätmittelalter war eine derartige Doppelvasal­Iität nicht selten.Was weiterhin velWundert, ist, daß diese Güter zu einem Zeitpunkt dem Bischofvon Hildesheim übertragen wurden, als FaIlersleben sowie die Grafschaft über denPapenteich bereits, wie es scheint, fest in welfischer Hand waren. Während des LüneburgerErbfolgekrieges, in dem das Fallerslebener Schloß für die Welfenherzöge einebedeutende Schlüsselposition einnahm 87 , ließ sich also der Hildesheimer Bischof vomKönig mit angeblichem Reichsgut belehnen (ab imperio in feudum recipere)88 und erhobdamit Ansprüche auch auf Fallersleben.Man kann wiederum nur die Vermutung äußern, daß sich hier Herrschaftsgebietezwar räumlich, aber nicht rechtlich deckten, ohne daß jedoch ein konkreter Anhaltspunktgegeben werden könnte, der die Abgrenzung der inhaltlich-rechtlichen Kompetenzendeutlich machte. Vor allem aber dürfte in den verschiedenen Ansprüchendas unterschiedliche Machtinteresse der jeweiligen Territorialherren zum Ausdruckkommen, die ihre jeweiligen Positionen stets auch rechtlich zu legitimieren versuchten.An der welfischen Landeshoheit, die durch den Ausgang des Lüneburger Erbfolgekriegesbestätigt wurde, änderte sich dadurch für Fallersleben nichts.8. Das Schloß in Fallersleben und die Pfandpolitik der WelfenherzögeWann genau in Fallersleben die Burg, bzw. das Schloß, erbaut wurde, ist nicht bekannt.Die ersten Nachrichten einer Burganlage stammen aus der zweiten Hälfte des14. Jahrhunderts, als sich Fallersleben unter welfischer Herrschaft befand.Um das wechselvolle Schicksal des Fallerslebener Schlosses verstehen und historischeinordnen zu können, ist die damalige politische Lage dieser Region ein wenignäher zu betrachten.In einem Bündnisvertrag von 1371 zwischen den Herzögen Wenzel und Albrechtvon Sachsen mit dem Erzbischof Albrecht von Magdeburg gegen Herzog Magnus von<strong>Braunschweig</strong> 89 wird Fallersleben unter den "Festen" genannt, die einst dem Erzbischofvon Magdeburg gehörte und die für den Fall ihrer Eroberung auch wieder an87 s. Abschnitt 8 .•• VB HHi (wie Anm. 34) Bd. VI, Nr. 639 S. 451..9 Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriftenfür die Gesch. der Mark Brandenburg und ihrer Regenten. Berlin 1838 ff. Bd. 2, S. 507.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fallersleben im Mittelalter 83diesen zurückfallen sollte. Damit stellt sich die Frage, was die askanischen Herzögenun mit dem welfischen Fallerslcben zu tun hatten.Zwei Jahre vor diesem Bündnisvertrag war es zu einem politischen Eklat gekommen,als Kaiser Karl IV. nach dem Aussterben der älteren Lüneburger Linie des Welfenhausesim Jahre 1369 im Interesse seiner brandenburgischen Hausmachtpolitikdas Fürstentum Lüneburg dem askanischen Herzog Albrecht von Sachsen-Wittenbergverlieh. Der in der Erbfolge übergangene <strong>Braunschweig</strong>er Herzog Magnus 11.Torquatus griff daraufhin zu den Waffen; es entbrannte ein heftiger, jahrelangerKampf, der als der "Lüneburger Erbfolgekrieg" in die Geschichte einging. Im Jahre1373 fiel Magnus Torquatus. Seine unmündigen Söhne schlossen daraufhin zunächsteinen Vergleich, der eine alternierende Regierung für das Fürstentum vorsah. Endgültigentschieden wurden die Auseinandersetzungen jedoch im Jahre 1388, als der<strong>Braunschweig</strong>er Herzog Heinrich die Askanier bei Winsen an der Aller schlug unddas Fürstentum für sein Haus zurückerobern konnte.Zuvor hatten sich die gegnerischen Parteien vorübergehend arrangiert. 1381 findenwir die Sachsenherzöge zusammen mit den Welfenherzögen als gemeinsame Inhaberder Schlösser Gifhorn und Fallersleben. Bezeichnenderweise nennen sich Wenzelund Albrecht "Herzöge von Sachsen und Lüneburg" und Friedrich und Bernhard"Herzöge von <strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg"90. Einvernehmlich verpfändeten die vierHerzöge die Schlösser Gifhorn und Fallersleben mit allem Zubehör, jedoch ohne diegeistlichen und weltlichen Lehen, für mindestens acht Jahre an die Stadt <strong>Braunschweig</strong>,die ihnen dafür 2200 Mark zahlte. Weitere 50 Mark sollten zu Baurnaßnahmenan den Schlössern verwendet werden, wobei sich die Sachsenherzöge das Öffnungsrechtvorbehielten. Sowohl den Herzögen als auch dem <strong>Braunschweig</strong>er Ratwurde nach neun Jahren ein Kündigungsrecht eingeräumt.Der <strong>Braunschweig</strong>er Rat seinerseits überließ die Schlösser im Jahre 1382 gegen einePfandsumme von 1000 Mark für sechs Jahre dem Ritter Henning von Walmoden 91 •Die beiden Schlösser müssen aber auch im Pfandbesitz der Stadt Lüneburg gewesensein, denn 1385 erklärte der Knappe Kurt von Marenholz, daß ihm die Städte <strong>Braunschweig</strong>und Lüneburg die Schlösser Gifhorn und Fallersleben, die sie pfandweise vonden Herzögen von <strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg besäßen, überlassen hätten 92 .Nach dem militärischen Sieg der Welfenherzöge über die Askanier im Jahre 1388einigten sich die drei Brüder Friedrich, Bernhard und Heinrich von <strong>Braunschweig</strong> undLüneburg, daß Friedrich und seine Erben das Land <strong>Braunschweig</strong> und dazu vomLande Lüneburg die Schlösser Gifhorn und Fallersleben erhalten sollten 93 • Herzog'0 SUDENDORF (wie Anm. 5) Bd. V, Nr. 217 S. 257f.: We Wentslav undeA/brecht van der gnade goddesherthoghen tho Sassen unde Iho Luneborg unde we Frederik und Bernl van der sulven gnade goddesherthoghen tho Brounswich unde tho Luneborg ...91 DÜRRE (wie Anm. 52) S. 172 .• 2 VB der Stadt Lüneburg bis zum Jahr 1369, bearb. von Wilhlem F. VOLGER. Bd. 2. 1875, Nr. 1015S.376ff.9J SUDENDORF (wie Anm. 5) Bd. VI, Nr. 209 S. 225 f.; vgl. entsprechend das Patronatsrecht in Fallers­Ieben unter den "Pfründen im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong>". die Herzog Friedrich 1388/1400 zu verleihenhatte: Ebd. Nr. VI, Nr. 237 S. 261.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265084 A. v. BoetticherFriedrich versprach daraufhin im folgenden Jahr, die Schlösser für 2250 Mark wiedereinzulösen 94 • Doch der Erbfolgekrieg und die privaten Fehden der Herzöge hatten soviel Geld verschlungen, daß dieses Versprechen nicht eingehalten wurde, zumal Fallerslebennicht das einzige Schloß war, das den bankrotten Herzögen zur Geldbeschaffungdienen mußte. Das Schicksal des Fallerslebener Schlosses sollte damit fürdie nächsten hundert Jahre bestimmt sein. Es kam zu weiteren Verpfändungen undimmer wieder zu neuen Pfandinhabern.1395 verpfändete Herzog Friedrich noch seine Einkünfte von jährlich zwei MarkSilber von den fünf Pfund, die der "Rat" zu Fallersleben ihm jedes Jahr zu entrichtenhatte, an Balduin von leim, von dem er eine Pfandsumme von 20 Mark Silber erhielt95 • Zur gleichen Zeit überließ der Herzog Burchard, Huner und Günther vonBartensleben, sowie Paridam von Knesebeck für 650 Mark Silber die Schlösser Gifhornund Fallersleben mit dem Zoll zu Gifhorn und allem Zubehör. Er gelobte, diebeiden Schlösser von ihnen am nächsten 24. Juni wieder einzulösen, die Pfandsummeihnen zu <strong>Braunschweig</strong> auszuzahlen und dem Geld ein sicheres Geleit auf ein in derNähe von <strong>Braunschweig</strong> gelegenes Schloß zu geben. Der Herzog wollte für eine eventuellenVerteidigung der Schlösser aufkommen und gestattete auch den Pfandinhabern,falls notwendig, zu den Waffe zu greifen 96 •Ungefähr ein Jahr später finden wir jedoch die genannten Pfandinhaber von Bartenslebenund von Knesebeck immer noch auf dem Schloß Fallersleben. Diesmal verpfändeteHerzog Friedrich es ihnen für die Dauer von mindesten zwei weiteren Jahren,da er ihnen die schuldigen 800 Mark nicht zurückzahlen konnte 97 • Es werdenauch nähere Angaben gemacht, was mit zu den Schlössern gehören sollte: der Zoll,die Mühlen, hohe und niedere Gerichtsbarkeit, die Fischerei, 80 Morgen Land mitWintersaat und alles übrige Zubehör außer den geistlichen und weltlichen Lehen.Auf welche Weise es den welfischen Herzögen schließlich gelang, das Schloß Fallerslebenvon den Herren von Bartensleben und von Knesebeck einzulösen, ist nichtbekannt. In der Regel konnten sich die Herzöge nur dadurch von ihren Schulden befreien,daß sie dritte Güter verpfändeten. Doch bald schon mußte sich der von chronischerGeldnot geplagte Herzog nach neuen zahlungskräftigen Pfandnehmern fürsein Schloß Fallersleben umsehen. Er fand sie 1398 in den Rittern Heinrich, Christianund Friedrich von Langeln, Johann, Aschwin und Aschwin von Saldern und in Wernervon Obbrenshusen 98 • Im allgemeinen galten die Bedingungen wie im Jahre 1396bei den Herren von Bartensleben und von Knesebeck. Einige entscheidende Änderungenwurden jedoch festgehalten: Die neuen Pfandbesitzer sollten dem Herzog vonden Einkünften der Schlösser und der Vogteien jährlich 20 Mark Silber abliefern. Außerdemgehörte der Dom, ein waldiger Gebirgsrücken bei Süpplingenburg nicht mehrzur Pfandmasse, da der Herzog diesen inzwischen zu seinem Schloß Schöningen ge-94 Ebd. Bd. VI, Nr. 242 S. 270f.95 Ebd. Bd. VIII, Nr. 21 S. 12 f.96 Ebd. Nr. 33 S. 21.97 Ebd Nr. Nr. 112 S. 103.9. Ebd Nr. 245 S. 332.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fallersleben im Mittelalter 85legt hatte. Vor dem 16. Oktober 1401 durften die Schlösser auch nicht eingelöst werden,es sei denn, daß dies aus seinen eigenen Mitteln geschähe und die unverpfändetenSchlösser unter herzogliche Verwaltung gestellt würden.Auch im 15. Jahrhundert blieben Fallersleben weitere Verpfändungen nicht erspart.1441 verschrieben die Herzöge Otto und Heinrich von <strong>Braunschweig</strong> und LüneburgLand und Leute ihrem Vetter Heinrich für 200 Mark Silber, dazu gehörte diePfandschaft an Fallersleben 99 • Um die Mitte des Jahrhunderts war das FallerslebenerSchloß von den Herzögen Bemhard 11., Ouo 11. und er Witwe Herzog Ottos von derHeide, Elisabeth (geb. Gräfin von Everstein) an die <strong>Braunschweig</strong>er Bürger HeinrichLucke und Heinrich Schwalenberg verpfändet. Kurt von Alten und Friedrich vonZersen erklärten sich im Mai 1462 bereit, den fürstlichen Hof zugunsten der Herzögeeinzulösen 100.Der Sohn Herzog Ottos 11., Herzog Heinrich der Mittlere, verkaufte im Jahre 1482dem <strong>Braunschweig</strong>er Bürger Henning Kalm eine Jahresrente von 240 rheinischenGulden aus den zu den Schlössern Gifhorn und Fallersleben gehörenden Gütern unterVorbehalt des Wiederkaufsrechts für 4000 rheinische Gulden, die er zur Einlösungseines Schlosses Bodenteich benötigte 101.Es fällt auf, daß die Herzöge sich in ihrer Geldnot häufig an Städte wie <strong>Braunschweig</strong>und Lüneburg aber auch an einzelne ihrer Bürger wandten. Dies dürfte keinZufall sein. Angesichts der allgemeinen Agrarkrise, die auch in Fallersleben sichtbarwurde, erlebten die städtischen Einkünfte einen gewissen Aufschwung, der sich vielerortsauch in rechtlichen Formen niederschlug. Seit dem 13. Jahrhundert sahen sichdie Landesherren zunehmend einer immer selbstbewußter werdenden Bürgerschaftgegenüber. In einer Stadt wie <strong>Braunschweig</strong> hatten die Bürger immer mehr Rechte ansich bringen können. Infolge der zunehmenden Autorität des <strong>Braunschweig</strong>er Ratesbesaßen die Herzöge, die ihre stadtherrlichen Positionen nach und nach an die Bürgerschaftverpfändet hatten, kaum noch Einfluß auf die Verhältnisse in der Stadt. DasVerhältnis zwischen Landes- bzw. Stadtherren und Bürgern blieb jedoch ambivalent.Einerseits gab es ständige Auseinandersetzungen, die viel Geld erforderten, andererseitswaren die Bürger oft die letzte Rettung der Herzöge, wenn es um die Geldbeschaffungging.Bezeichnenderweise waren die Abgaben der offenbar nach wie vor überwiegendagrarisch ausgerichteten Einwohner von Fallersleben in diesem Zusammenhang alleinGegenstand der Verpfändungen, Spielball der Mächtigeren. Eine aktive Rolle beider Verpfändung "ihres" Schlosses kam den Einwohnern von Fallersleben zu keinemZeitpunkt zu.Von dem mittelalterlichen Schloß ist heute in Fallerslcben nichts mehr zu sehen;vermutlich wurde es in der Hildesheimer Stiftsfehde zerstört, als der Ort insgesamt einOpfer der Flammen wurde.99 Kunstdenkmäler Kreis Gifhom (wie Anm. 28) S. 71.100 FIEDELER (wie Anm. 20) S. 127 f.101 Ebd. S. 129.


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdomin <strong>Braunschweig</strong> (1471/72 und 1559)*vonGesine SchwarzDer Dom St. Blasii in <strong>Braunschweig</strong> (früher Stiftskirche) geht in Hauptschiff undChor weitgehend auf Heinrich den Löwen zurückl. Seine Nachkommen, die welfischenHerzöge von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg, waren Patrone des Stifts und viele vonihnen nutzten die Kirche als Grablege. Im späten Mittelalter wurden die Seitenschiffedurch gotische Neubauten erweitert bzw. ersetzt 2 • Ihrer Bedeutung gemäß wurde dieStiftskirche immer wieder mit wertvollen Einrichtungsgegenständen und Einbautenversehen, wie die Beschreibungen vom <strong>Braunschweig</strong>er Burgbezirk mit der StiftskircheSt. Blasii seit dem 17. Jahrhundert belegen.Die meisten Fenster von St. Blasii sind heute mit einer Blankverglasung versehen.Doch war die Stiftskirche früher mit farbigen Glasfenstern reich ausgestattet. ZurAusstattung durch den Kirchengründer Heinrich den Löwen werden Reste von Glasfensterngerechnet, die zwei Bischöfe und eine Palmettenborte zeigen und die währendRenovierungsarbeiten im 19. Jahrhundert aufgefunden wurden 3 • Sie stammenvermutlich aus den nördlichen Obergadenfenstern des Langhauses. Abgesehen von* Ohne das anhaltende Interesse und die stete Mithilfe von U1rich Schwarz, meinem Mann, wäre dieserAufsatz nicht zustandegekommen. Frau Hueck half mir, die Distichen aus den Fenstern des 16. Jahrhundertszu verstehen; die Herren Pastor Jünke und Professor Becksmann wiesen mich auf andere,darunter etwa zeitgleiche Glasfenster auch aus anderen <strong>Braunschweig</strong>er Kirchen hin, die sich zum Teilerhalten haben. Frau Thater zeichnete die Fensterskizzen. Die Genehmigung, den Kupferstich vonA. A. Beck zu publizieren (Abb. 1), erteilte Herr Dr. Garzmann, Stadtarchiv <strong>Braunschweig</strong>. Die Wiedergabeder Fotomontage vom Töbingfenster, Wienhausen, (Abb. 4) gestattete Herr Professor Becksmann,Arbeitsstelle des Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland in Freiburg (Akademie der WissenschaftenMainz). Ihnen allen sei Dank. - Abkürzungen: StA WF = StaaL


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265088 G. Schwarzder stilistischen Zuweisung in die Zeit zwischen 1180/90 nimmt man auch die NachrichtGerhards von Steterburg in der Steterburger Chronik dafür in Anspruch, wo essehr allgemein heißt, daß Heinrich der Löwe den Dom mit Fenstern habe verzierenlassen: ... pavimento et Jenestris ipsum monasterium laudabiliter ornavi~.Ein Auftrag, farbige Fenster für St. Blasii neu anzufertigen, ist aus dem Jahr 1345erhalten. In einer Urkunde, die in doppelter Ausfertigung für beide Vertragspartnerangefertigt wurde (Chirograph), wird zwischen den Testamentvollstreckern HerzogsOtto des Milden und mehreren <strong>Braunschweig</strong>er Ratsherren und Bürgern vereinbart,daß die vier westlichen Joche des südlichen Seitenschiffs, das seit den zwanziger Jahrendes 14. Jahrhunderts umgebaut wurde, im Lauf des kommenden Jahres für denGesamtpreis von 110 Mark lötigen Silbers fertigzustellen seien 5 • Dieser Teil, auch alsLaurentiuskapelle bekannt, sollte als Grablege für den erst kürzlich verschiedenenHerzog OUo und seine schon zehn Jahre zuvor verstorbene Gemahlin Agnes vonBrandenburg dienen. Da heißt es: To twen venstren seal men maken ses nye belde vonglase. De anderen venstre seal men maken von den olden venstren, de dar rede sin. Dervenstere scullen werden drye unde eyn sevolt venster boven der dore ... und weiter unten:Ysern unde drat scullet se don to den venstren. Dar scullet se to beholden, wat anden olden vensteren isoHandwerker werden in der Urkunde mit Ausnahme des steynwerchte Andreasnicht namentlich genannt 6 . Er dürfte bereits zuvor den Bau des neuen südlichen Seitenschiffsgeleitet haben und nun erneut verpflichtet worden sein. Von Glasern oderGlasmalern ist nicht die Rede. Erst Anfang des 15. Jahrhunderts läßt sich ein solchermit Namen Hermann in <strong>Braunschweig</strong> nachweisen 7 • Die Formulierung läßt jedoch• Annales Steterburgenses, in: MGH SS 16 (1859) S. 230 (1194).> L. HÄNSELMANN (Bearb.), VB der Stadt <strong>Braunschweig</strong> Bd. 4 (1912) Nr. 177 S. 186 ff. (25. Mai 1345).Am Ende der Urkunde heißt es: To eyner bewysinge disser dinge is desse bref uthe deme anderen ghe·kervet, de disseme ghelik ludet. Der Text der Urkunde wurde zweimal untereinander auf einen BogenPergament geschrieben und dann wurden die beiden gleichlautenden Texte durch Zackenschnitt getrennt;in diesem Fall liegt der untere Teil der Urkunde vor, da der obere Rand den gleichmäßig geschnittenenZackenrand zeigt. Vgl. dazu A. VON BRANDT, Werkzeug des Historikers, Stuttgart 1963(3. Aufl.) S. 106 f. Eine solche Form haben viele Vertrage mit Handwerkern und Künstlern auch nochim 15. und 16. Jahrhundert, etwa solche, die man mit Tilman Riemenschneider, Adam Krafft, MichaelWolgemut abschloß; vgl. dazu den Anhang bei H. HUTH, Künstler und Werkstatt der Spät gotik,Darmstadt 1967 (= erw. Nachdr. der 1. Auf!. von 1925).6 Ein steynwerchte Andreas - vermutlich handelt es sich um denselben - wird 1353 auch von der Stadt<strong>Braunschweig</strong> beauftragt, die Dornse in der Hornburg 18 km südlich von Wolfenbüttel zu errichten;s. D. HELLFAIER (Bearb.), Das erste Gedenkbuch des Gemeinen Rates der Stadt <strong>Braunschweig</strong>1342-1415 (1422), Bs. 1990, S. 44.7 Am 30. August 1413 schwört Hermen glaswerchte dem Rat seinen Eid; S. HELLFAIER, Gedenkbuch(wie Anm. 6) S. 146. Auf Glasmacher des 14. Jahrhunderts, die noch zu verifizieren wären, weistC. W. SACK, Die Barfüßer und deren Besitzungen zu <strong>Braunschweig</strong>, in: <strong>Braunschweig</strong>isches Magazin51 (1849) S. 405 f. hin. - Nachrichten zu einer Zunft, in der Maler, Kunsthandwerker und Glasmalervereint waren, oder einer Lukasgilde fehlen aus dieser Zeit in <strong>Braunschweig</strong>, allgemein dazu K. RAHN,Religiöse Bruderschaften in der spätmittelalterlichen Stadt <strong>Braunschweig</strong> (= Bsger Werkstücke A 38),<strong>Braunschweig</strong> 1994. AlL~ Hamburg hingegen hat sich die gemeinsame Zunftrolle der Glaser, Maler,Sattler etc. von 1375 erhalten. Darin wird unter Punkt 7 geregelt: Vortmer de glazewerten scholen makengut glazewerk, dat truwe unde vast si, unde scolen dat wol unde stark blyen unde loden, unde ok datdat blye reyne unde wol gevallen si sunder reIhe ... ; unter Punkt 8: Ok wat tafelen se maken bredere


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 89vermuten, daß um 1345 alle zur Fertigstellung des südlichen Seitenschiffs benötigtenHandwerke in der Stadt <strong>Braunschweig</strong> vertreten waren, also auch die Glasmaler, diemit den ses nye belde von glase beauftragt wurden, zumal in diesen Jahren auch an anderen<strong>Braunschweig</strong>er Kirchen gebaut wurde. Im Dunkel bleibt auch, was auf diesenGlasbildern dargestellt werden sollte und welcher Anteil an den 110 Mark lötigen Silbersden Glasmalern zustand. Aber man hielt in der Urkunde fest, daß abgesehen vonden sechs neuen Glasbildern die übrige Fensterfläche aus den alten Glasfenstern bestücktwerden solle, und auch technische Angahen, nach denen Eisen und Draht ausden alten Fenstern des Vorgängerbaus zu übernehmen sei.Farbige Glasfenster aus Lüneburg für das nördliche Seitenschiff(1471-1472)Genau 120 Jahre nach der Fertigstellung der hochgotischen Laurentiuskapelle begannendie Stiftsherren ein weiteres großes Bauvorhaben, nämlich die Erneuerung desnördlichen Seitenschiffs. Ermöglicht wurde dieser Neubau in den Jahren 1466 bis1472 durch den Stiftsherrn von St. Blasii und Dompropst zu Halberstadt LudolfQuirre, der am Karfreitag 1463 auf dem Sterbebett die Einnahmen zweier Renten,eine aus Hildesheim, die andere aus Halberstadt, testamentarisch dem Blasiusstift zusicherteund sie für den Neubau des nördlichen Seitenschiffs bestimmte (Abb. 1)8.Von den Glasfenstern, die im Lauf dieses Neuhaus eingesetzt wurden, hat sich nichtserhalten. Sie sind aus den Baurechnungen nur zu erschließen und lassen die Ausstattungder Stiftskirche mit kostbaren Glasgemälden in neuem Licht erscheinen.Aus den Jahren ab 1463 bis zur Fertigstellung des neuen Seitenschiffes 1472 sinddie Baurechnungen vollständig überliefert 9 • Die Vorbereitungen bis zum Baubeginnim Juni 1466 verzögerten sich, weil die Domherren in Halberstadt sich zunächst nichtan das Testament des Stifters Ludolf Quirre gebunden fühlten und erst nach wiederholtenZusammenkünften und durch Intervention des Herzogs Heinrich von Wolfenbüttelein Kompromiß gefunden und danach die Renten aus Halberstadt regelmäßigbereitgestellt wurden. In diesen Jahren der Vorbereitungen entstand die Steinmetzhütteauf dem Burgplatz mit Geräteschuppen und Kalkhaus. Die Steinmetze konntenunde lengere wen en half eine, de scolen se butene ummelang mit twevolden blye blyen ... Und unterPunkt 9: Vorrmer de varwen, de man up dat g/az malet, seal men in dat glaz bemen, dat se nicht a[gha;s. O. RÜDIGER, Die ältesten hamburgischen Zunftrollen und Brüderschaftsstatuten, Hamburg 1874(Nachdr. Glashülten 1976) S. 90 f.• Zu seinem Leben und Wirken s. U. SCHWARZ, Ludolf Quirre (gest. 1463). Eine Karriere zwischenHannover, <strong>Braunschweig</strong> und Halberstadt, in: BsJb. 75 (1994) S.29-72; demnächst auchB. SCHWARZ, Die Stiftskirche St. Galli in Hannover. Eine bürgerliche Stiftung des Spätmittelalters, Teil1, in: NdsJb. 68 (1996); Teil 2 ebd. 69 (1997).9 StA WF, 11 Alt Blas 743; vgl. Anm. 2. Die Baurechnungen (im folgenden abgekürzt BR mit Folio­Angabe) umfassen !OS gezählte Blatt; eine Lage ist vertauscht, so daß fälschlich fol. 76r bis 106r denZeitraum vom 15. Mai 1468 bis zum 19. Februar 1470, fol. 44r bis 75v die Zeit ab 26. Februar 1470behandeln. - In den Baurechnungen werden Angaben in rheinischen Gulden (f1or=f1orenus) und in<strong>Braunschweig</strong>ischen Mark (m=marca) und ihren Teileinheiten Viertelmark (f=ferto), Schilling (s=so­\idus; 30s= 1m) und Pfennig (d=denarius; 12d= Is) gemacht.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265090 G. Schwarz'i) I C • f f~/tfJ\.i" -h.>I!. _'1


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650FensterstiJtungen Jür den Blasiusdom 91Wie bei dieser Quellengattung nicht anders zu erwarten, sind peinlich genau alleEinzelheiten festgehalten worden, die es abzurechnen galt ll . So finden sich auch inmitteneiner Fülle von Details zum Bauablauf verschiedene Notizen, die sich auf dieFenster und ihre Stifter, die mit den Arbeiten für die Fenster beauftragten Handwerkerund ihre Bezahlung und alle mit den Fenstern in Zusammenhang stehenden Arbeitsgängebeziehen. Viele Fragen jedoch, die man gern beantwortet wüßte, waren fürdie Rechnungslegung irrelevant; so bleiben die Rechnungen uns darauf eine Antwortschuldig. Wir werden nicht beteiligt an den Überlegungen des Stiftskapitels und derStifter der Fenster, was auf den Fenstern darzustellen sei und es sind auch nicht alleStifter der Glasfenster sicher auszumachen. Doch gerade die technische Seite bei derVerglasung dieser von Fenstern förmlich aufgelösten Wand des neuen spätgotischenHallenraumes ist immer wieder Gegenstand der Baurechnungen, da sie Kosten verursachte.Da dem technischen Aspekt in der Literatur zur Glasmalerei bislang kaum Beachtunggeschenkt wurde, soll gerade auf diese Arbeitsschritte, die das Einsetzen derGlasfenster vorbereiteten und begleiteten, eingegangen werden.]n vielen Eintragungen ist von long; lapides ad Jenestras, magni lapides ad Jenestras,venstersteyn, grote venslersteyn, grote sleyns tho den vensteren die Rede. Sie wurden,so ist den datierten Rechnungsnotizen zu entnehmen, vor allem in der Zeit vonJuni bis Ende August 1466 aus den Steinbrüchen unweit von Königslutter am Elm indie Burg von <strong>Braunschweig</strong> gebracht; aber auch Anfang 1467 werden noch gelegentlichSteine für die Fenster, wie die Baurechnung vermerkt, angcfahren 12 • Da ConradSwane, der als führender Steinmetz auch die Bauarbeiten leitete, schon bei dem Vertragsabschlußmit den Stiftsherren im Oktober 1465 eine Schablone für die Fenster-11 Die Einträge schildern vielfach Unvorhergesehenes, wie etwa kleine Mißgeschicke ausgebügelt odertechnische Unzulänglichkeiten am Bau durch einen Notbehelf behoben werden; z. B. wenn der VizedominusAlbert auf dem Ritt nach Hildesheim, wo er die fallige Rentenzahlung einziehen will, seineSporen verliert, und er dafür 9d aus der Baukasse erhält (BR fol. 42v). Wenn dem Chorschüler Martinein Krug zerbricht, während er gleich anderen auf dem Bau mithilft, wird er ihm aus der Baukasse ersetzt(BR fol. 97r): Item 5d vor eyne berkruken choralibus, dede ene Merten eyntwe warp. Als derSteinmetz Jakob auf dem Gerüst unter dem Gewölbe seinen Rock zerriß, bekam er 5 112s vor 6 elenbruns(wicenses) grawande ... ad tunicam und zwei Wochen darauf wohl die Schneiderkosten ersetzt:Item I s 4d Jacobo /apicidi vor sinen rok aus der Baukasse (BR fol. 56v, 57r). Und als sich im Sommer1469 herausstellte, daß das neue Dach undicht war, erwarb man zusätzlich 400 Dachziegel dat nigedack engher tho makende, diu dar nicht inne regende (BR fol. 48v), während man sich im Februar1472 damit hehalf, 4 molden uppe dat welve (= GewÖlhe), dar id in regende (HR fol. 58r) zu stellen.Umgekehrt ist über viele Vorgänge nichts zu erfahren, weil sie nicht zu Buche schlugen.12 Die erste Eintragung dieser Art verzeichnet die Baurechnung am 23. Mai 1466 (BR fol. 9r), die letzteam 17. August 1466 (BR fol. 29v); doch dürften auch solche Einträge, die nach dem August 1466 wiederkehren,wenigstens teilweise noch Steine für die Fenster meinen, wie z. B. grote steyns, to den steynvor 16s (BR fol. 3Iv); denn auch im Januar 1467 wurden noch einmal Steine für die Fenster erwähnt(BR fol. 33v). Andere Bezeichnungen für die verschiedenartigen Steine, die zum Bau verwendet wurden,sind Schieferstein (= scheversteyn in tho murende, SR fol. 37v; 95r); Kreuzbogensteine (= kruseboghensteyn= Steine für die Rippen des Gewölbes), die vom 21. Mai bis 19. November 1469 gebrachtwurden (BR fol. 93r-98r); mursteyn/teygelsteyn (Ziegelsteine) und duffsteyn (Thffstein, einleichter Kalksinterstein. der unweit von Rottorf bei Königslutter besorgt wurde), beide Steinarten wurdenangeliefert vom 29. Januar 1469 bis zum 25. August 1471 (BR fol. 94v-98v und 54v) und zumAusmauern der Gewölhe verwendet; Dielensteine als Fußbodenhelag (dele51eyn) wurden vom 20.Oktober 1471 bis zum 15. März 1472 geliefert (BR fol. 56r-60r).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265092 G. Schwarzrahmen und -pfosten angefertigt hatte, konnten die ihm unterstellten Steinmetze alsospätestens seit Juni 1466 die Fensterlaibungen nach dieser Vorlage schlagen J3 •Wie weit der Bau bereits im Oktober 1467 fortgeschritten war, zeigt der Eintrag,daß Hermann Hagenbrugge, ein <strong>Braunschweig</strong>er Zimmermann, der zu verschiedenenArbeiten am Neubau immer wieder von den Stiftsherren herangezogen wurde, vierTage lang damit beschäftigt war, ein Gerüst zu errichten, über dem der Fensterabschlußin Stein, während er gebaut wurde, aufliegen konnte (de boghen tho makende,dar me de venster wedder beslot). Damit versah er nur einen Teil der Fenster; im Juni1468 wird er nämlich noch einmal mit derselben Arbeit zweieinhalb Tage lang beschäftigt14. Und Anfang November 1467 waren die Steinmetz- und Maurerarbeitenwenigstens an den ersten Fenstern im Osten soweit gediehen, daß der Schmied Hansvan Alvelde, der ebenfalls schon früher bei den Vorbereitungen zum Neubau mitgearbeitethat, zum Anbringen eiserner Bewehrungen an Fensterrahmen und -pfostenund mit Löten von Blei beschäftigt wurde l5 •In der Woche, bevor Hans van Alvelde an die Arbeit ging, wurde Eisen abgewogenund auch ein kleiner Sack Kohle eingekauft l6 . In den folgenden Jahren wiederholensich die entsprechenden Aufträge und Zahlungen in den Baurechnungen l7 • Ein klei-13 BR fol. 6v, vgl. G. und U. SCHWARZ, Bauhütte (wie Anm. 2) S. 26; S. 52.14 BR fol. 38v zum 11. Oktober 1467; dafür wurde er mit 3s 6d = 42d entlohnt; BR fol. 78r zum 12. Juni1468: de sulven boghen Iho makende, für 2 l/2s = 30d. Andere Arbeiten für den Neubau übernahmer ebenfalls: er konstruierte im Sommer 1466 die Winde, mit der die Steine und Mörtel in die Höhegezogen wurden (BR fol. 26r), und repariene sie auch jedes Frühjahr vor Baubeginn (z. B. im März1471= BR fol. 51r), er errichtete und versetzte wiederholt den berehfred, das Gerüst oder densog. Lehrbogen, über dem die Gewölbe gemauert wurden (Konstruktion ab 20. Februar 1469 = BRfol. 90r; Aufstellung in der Kirche am 16. Juli 1469 = BR fol. 94v, zum ersten Mal umgestellt am 13.August 1469 = BR fol. 95v; endgültig abgebaut am 13. Oktober 1471 = BR fol. 55v). Zu weiteren Tätigkeitendes Hermann Hagenbrugge vgl. G. und U. SCHWARZ, Bauhütte (wie Anm. 2) S. 30Anm.l09." Er erhält für diese Arbeiten am 15. November 1467 zunächst eine halbe Mark (BR fol. 39r) und nachVorlage seiner Abrechnung am 13. Dezember 1467 noch einmal anderthalb Mark dafür: 1 1/2 mHanse van Alueide tabro vor dat iseren tho makende in de twe Yens/eren (BR fol. 40r). Um diesen Betragund die Arbeitsleistung des Schmiedes richtig einzuschätzcn, sei erwähnt, daß der Dachdecker fürdie Abdeckung des alten Bleidachs und das Decken des neuen Daches insgesamt drei Mark erhielt(BR fol. 79r und 80). Das HBleilöten", auf das noch verschiedene andere Hinweise in den Baurechnungengegeben werden, ist, genau besehen, kein Lötverfahren; vgl. dazu J. WOLTERS, Zur Geschichteder LöUechnik, Hamburg 1975, S. 5. Danach sind fürs Löten ein bei niedrigeren Temperaturenschmelzendes Zusatzmetall (Lot) und das Fehlen des Anschmelzens des metallischen GrundstoffesKennzeichen. Blei hat mit 200 bis 400 Grad Celsius einen sehr niedrigen Schmelzpunkt und wird deshalbvielfach als Lot verwendet. In unserem Zusammenhang wird wohl überwiegend Blei - als einzigesMetall seines niedrigen Schmelzpunktes wegen - zum Fassen der Glasscheiben verwendet und auchan die Eisenbewehrungen gelotet, die an Steinlaibung und -pfosten angebracht wurden, um die Scheibenaufnehmen zu können.16 BR fol. 39r: 3 1/2 d pro uno parvo sacco carbonum de iseren in de venster tho lodende, und 1 d vor datbli und iseren Iho den vensler /ho wegende. Das wird auf dem Baumarkt der Stadt geschehen sein undwar deshalb zu bezahlen.17 BR fol. 78v zum 10. Juli 1468: 5 Pfennig für Kohle und Seile (strenge), um die Formen in die Fensterzu löten; und zum 31. Juli 1468: 1 Mark und 10 Schilling für Blei, das an die Formen und Fensterpfostengelötet wurde; BR fol. 93v zum 11. Juni 1469: 1 Mark 21 Schilling 10 Pfennig Henning Wulff(= Wulve im ersten Faszikel fol.1-12), weil er Eisen ausgesägt und Windeisen gemacht habe (u/hgesechtde iseren in 2 vensteren unde de vintiseren in dem nigen glasevens/er boven dal blidack ghema-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 93ner Betrag wurde im November 1468 für drei Matten aufgewendet, um die (vor die?)neuen Fenster zu machen 18 • Diese sind also noch nicht verglast, so kann man dieserNotiz entnehmen. Nimmt man hinzu, daß wenige Wochen zuvor der Stiftsvikar undNotar Johannes Sterneberch, der seit dem Baubeginn 1466 auch die Baurechnungenführte, einen Gulden erhalten hatte, weil er vom Bischof von Hildesheim die Erlaubniseingeholt hatte, die Wand des alten Seitenschiffs abzureißen, so könnte der Kaufder Matten zum Verhängen der Fenster verstanden werden 19 • Es wurde in den nächstenWochen nämlich sogleich begonnen, die Wand des alten Seitenschiffes abzutragen,wie die Eintragungen vom 11. Dezember 1468 an bis weit ins Jahr 1469 beweisen,nach denen die Chorschüler und Ministranten die Mauer abrissen. 2o Schützteman sich mit den Matten in der Kirche gegen Kälte - oder sollten darauf die Fensterentworfen werden?Aus den exakten Angaben über die Löhne für die Schmiede, aber auch für denZimmermann, zu denen noch die Kosten für Eisen und Blei, für Bauholz und Nägelwie für das Abwiegen auf dem städtischen Bauhof kamen, wird deutlich, daß die vorbereitendenArbeiten an den Fenstern, die dem Einsetzen der Glasscheiben vorangingen,die Baukasse beträchtlich belasteten.Doch was ist aus den Baurechnungen zur Verglasung der Fenster selbst zu erfahren?In einer ersten Nachricht vom 11. September 1468 ist vermerkt, daß einem venstermekerein Gottespfennig zum Vertragsabschluß überreicht worden sei 2t • Der Auftraglautet, er möge für viereinhalb Ferding - das entspricht einer braunschweigischenket); BR fol. 45v zum 15. April 1470: Wulffe dem smede 1m 9s 3d vor de vintiseren in dat nige venster... ; BR fol. 50r zum 11. November 1470: Henning Wulffe fabro vor negele dobele unde dat nige i~erenvor dat nige venster ... ; BR fol. 59r zum 5. April 1472: Plachman fabro 1m; zum 21. Juni 1472 =Schlußabrechnung, vgl. unten Anm. 59.,. BR fol. 85v: 3 matten vor de nigen venster tho makende. Sind in diesen Matten Stoffbahnen für eineVisierung der Fenster, d. h. Fensterentwürfe, zu vermuten? Da zu diesem Zeitpunkt noch keine Eintragungdarauf hinweist, daß die Stiftsherren sich bereits mit einem Glasmaler getroffen und geeinigthätten, ist diese Deutung möglich. Zu Gla~fensterentwürfen auf Stoff vgl. H. ROTH, Der Maler HenritzHeyl und die spätgotischen Glasmalereien in der Pfarrkirche zu Friedberg/Hessen in urkundlichenNachrichten, in: Mitt. des oberhessischen Geschichtsvereins N. F. 44 (1960) S. 82-114. - Im Jahr1470 wird der Zimmermann Hermann Hagenbrugge geholt, um die Fenster - wohl mit Holz - zu verschließen(BR fol. 50r).,. BR fol. 84r: ... pro sigillo littere concessionis dicti episcopi ad destruendam dictam partem ecclesie. ZuJohannes Stemeberch vgl. G. und U. SCHWARZ, Bauhütte (wie Anm. 2) S. 11, S. 14 mit Anm. 30,S. 18 f. Als kaiserlich autorisierter Notar und Kleriker der Diözese Köln hat dieser Stiftsvikar vonSI. Blasii zahlreiche Notariatsinstrumente geschrieben. In seiner Funktion als Notar hielt er auch dietestamentarischen Bestimmungen Ludolf Quirres am Tag vor dessen Tod (6. April 1463) fest. Er wares auch, der seit dem 25. Juni 1466 die Baurechnungen für Luder Horneborch führte und aufschrieb(Horneborch führte das Bauamt " officium structure nove). Für seine Tätigkeit erhielt Stemeherch jeweilsum den Jahreswechsel anderthalb oder zwei Schilling (z. B. BR fol. 40v: 10. Januar 1468 und BRfol. 105r: Anfang 1470).20 BR fol. 88r-89r vom 11. Dezember 1468 ab: 1112s pro bibalibus ministris et choralibus ecclesie et aliispro 2 diebus. Danach werden entsprechende Eintragungen seltener, offenbar wurde zunächst amneuen Dach weitergearbeitet. Erst vom 17. September bis zum 22. Oktober 1469 heißt es wicder Wocheum Woche: ... ministrislchoralibus frangentibus murum; pro choralibus, de de muren breken u.ä.(BR fol. 96r-97r).2' BR fol. 83r.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265094 G. SchwarzMark, drei Schillingen und neun Pfennig - ein Fenster verglasen 22 • Die Arbeit wirdauch umgehend in Angriff genommen. Bereits zwei Wochen nach der Vereinbarungist sie abgeschlossen, denn zwei glasewerten, die damit beschäftigt waren, erhaltenbeide zusätzlich zur verabredeten Bezahlung auch je einen Pfennig Trinkgeld. DieVorarbeiten an einigen Fenstern des Seitenschiffs im Bau waren schon so weit fortgeschritten,daß diese mit Glasfenstern hätten versehen werden können. Es wurde aberoffenbar das Glas eines anderen Fensters ausgetauscht, wie die Notiz zum Vertragsabschlußzeigt. Es ging nämlich um dat venster boven by dem hilghen cruce 3 • An andererStelle wird aus dem Zusammenhang deutlich, daß es sich weit oben befundenhaben muß: [tem 2d dem karrentoger, dede halde den scho mid den kabelen de sanctoEgidio, darinne medde stech boven an dat venste,z4. Und schließlich heißt es: [tem 1 m3s 9d dem glasemeker vor de nigen venster boven dat dack by dem cruce 5 • Damitkann kein Fenster des Neubaus gemeint gewesen sein, viel eher ein Fenster in großerHöhe - wozu sonst scho mid den kabelen? -, das im Obergaden des Hauptschiffsüber dem Dach des Seitenschiffs dem Kreuzaltar am nächsten war 26 • Der beauftragtevenstermeker oder glasewerte war wohl in <strong>Braunschweig</strong> ansässig und stand bei Bedarfzur Verfügung, so möchte man aus der schnellen Ausführung des Auftrages und seinerBezahlung in braunschweigischer Währung folgern. Es wird nicht aus den Rechnungendeutlich, ob ein farbiges Glasfenster eingesetzt wurde.Ganz anders steht es mit dem Auftrag an einen zweiten glasewerte, von dem in denBaurechnungen seit Mitte 1469 häufiger die Rede ist. Auch diesem wird bei Vertragsabschlußein Gouespfennig gezahlt, als er sich am 4. Juni 1469 verpflichtet, ein Glasfensterfür zehn Gulden zu liefern. Danach aber hört man über ein Jahr lang nichts22 Zur braunschweigischen Wahrung: Die ihm zu bezahlenden 1m 3s 9d entsprechen etwa drei einhalbrheinischen Gulden, wenn man den Hinweis auf den Umrechnungskurs zugrundelegt, der im Oktober1464 mitgeteilt wird, als der leitende Steinmetz Conrad Swane sein Handgeld erhält (BR fol. 6v); dawerden 2 rheinische Gulden mit 19 Schilling braunschweigischer Währung gleichgesetzt, vgl. G. undU. SCHWARZ, Bauhütte (wie Anm. 2) S. 26. Schwankungen dieses Kurses sind dem Ende des erstenFaszikels der Baurechnungen zu entnehmen, wo Johannes Plettenberg, der bis zu diesem Zeitpunktofficium slruClure nove und Baukasse führt, eine Gesamtabrechnung vorlegt und verschiedene Kursefür den Zeitraum zwischen 1463 und 1466 notiert: 56 rheinische Gulden, den Gulden zu 9s 4d, dann100 rheinische Gulden, den Gulden zu 9s 6d, sowie 100 rheinische Gulden, den Gulden zu 13 altenSchilling. Die Schwankungen des Kurses machen auch einige Umrechnungen, die im folgenden angeführtwerden, deutlich.23 BR fol. 83r vom 11. September 1468.24 BR fol. 83v. Mit kabelen sind fraglos starke Taue gemeint, mit denen auf dem Bau Steine und Mörtelhochgezogen wurden. Bei Baubeginn wurde ein solches Tau aus Magdeburg bezogen und in Guldenbezahlt (BR fol. 26v). Mit scho wurde eine Bestandteil der Winde von großem Gewicht bezeichnet(z. B. BR fol. 96v: [Iem 3s Hanse Runinges vor 2 baren unde den scho, dar me de sleyne midde upwint.. .).2' BR fol. 84r.26 Zur Position des Kreuzaltars im Hauptschiff vgl. KOCH, Innenraum (wie Anm. 1) S. 501, wo eingetragenist, wo die Altäre vor der Reformation, soweit bekannt, standen; der Kreuzaltar z. B. stand imOsten des Hauptschiffs vor der Vierung. Nach der knappen Beschreibung zu schließen, dürfte das gotischeObergadenfenster im Osten des Mittelschiffs gemeint gewesen sein; dazu s. H.-H. GROTE, Diegotischen Obergadenfenster im Dom S1. Blasii zu <strong>Braunschweig</strong> im Kreis ihrer Abstammung, in: Bsg.Heimat 66 (1980) S. 1-11.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Fensterstiftungen für den Blasiusdom 95mehr von ihm. Da sich der Auftrag an ihn in den folgenden Jahren immer mehr ausweitet,werden alle Erwähnungen, die sich auf ihn beziehen, hier zusammengestellt:4. Juni 1469 27 : Item 1d tho godespennig magistro uni in Luneborch tho vor dingendeeyn glasevenster vor 10 gulden.19. August 1470 28 : Item 11 /2s dem glose werten in Luneborch pro expensis huiusmodifactis per eundem propter absenciam ducis Hinrici, quia volebat dare huiusmodiunam fenestram.12. Mai 1471 29 durchgestrichen: Primo 8 florrenenses magistro de Luneborch vor dateyne ander glaseven.~ter tho makende. Et dominus dux Hinricus debet primus dictomagistro 2 flor et !icet (?) debuisset sibi i(ps)os 8 flor solvisse sed non fuit domi velforte noluit. Am Rand ist vermerkt: Solvit dicto dux Hinricus dictos 8 flor, scilicet pro1 flor 10 s brunswicenses; und unter demselben Datum heißt es weiter: Item 2s 3d dictomagistro pro vectura dicte fenestre de Luneborch. Unter demselben Datum ist unterden folgenden Eintragungen vermerkt: Item JOd Hinrico camerario nostro pro expensisusque (?) Wulffenbuttel ad dictum ducem Hinricum ad solicitandum solutionemdictorum 8 flor pro fenestra.1. September 1471 3 °: Primo 4s 1/2d Hinrike Gronaw demfenstermeker van Luneborchpro vectura de Luneborch duarum fenestrarum.8. September 1471 31 : Primo 2 flor renenses facientes 20 1/2s Hinrike Gronaw de Luneborchdem glasewerte super una fenestra, que pro ipsa dati fuerunt 12 flor, et de hiisabbas sancti Egidii soiviI 4 et abbas in Ridageshusen 4 et abbas in Lutere 2 solum solvii.Sic i(st)os 2 flor addidi.29. Dezember 1471 32 : Item 4s 4 1/2d vectori vor dat glasevenster cum armis dominiL. Quirren quondam prepositi van Luneborch her to vorende, und durchgestrichenheißt es weiter: Item 12 flor renen ses facientes 4m 3s pro magistro lIinrico Gronawpro dicta fenestra. Dazu ist am Rand vermerkt: .. Nota testamentarii L. Quirren solventdictos 12 flor.10. Mai 1472 33 : Item 4 112s pro vectura duarum fenestrarum de Luneborch, scilicetconsulatus brunswicensis et capituli huius.27 BR fol. 93r.28 BR fol. 48r.29 BR fol. 52v.JO BR fol. 54v.31 BR fol. 54v.32 BR fol. 57v. Die Zahlung von 12 rheinischen Gulden wurde aus der Kasse des Domschatzes beglichen,s. unten Anm. 48.33 BR fol. 60r.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265096 G. SchwarzUndatiert, aber vermutlich ebenfalls aus dem Jahre 1472 34 : Item 13 flor vor de lestentwe glasevenster facientes 4 m 13s 3d. Item 3s pro vectura de Luneborch earundem.Item 9d pro bibalibus servo magistri earundem. Item 5d vor strenge, de stellingetho den vensteren tho makende. Item 3d uni servo cuidam(?) de de stellinge help maken.Weiter unten heißt es: Item 1s magistro Hermen Haghenbruge vor de stellingetho makende der lesten 2 venster. Item 2m Slachman (sonst: Plachman) fabro vor delesten groten iseren vor de groten vensteren by der dar.Die aus den Jahren 1469 bis 1472 vorliegenden Nachrichten teilen mehr Einzelheitenzu der Ausstattung des nördlichen Seitenschiffes mit Glasfenstern mit, als es zunächstden Anschein hat. Die neue Außenwand nach Norden, durch die das Seitenschiffin seiner Breite verdoppelt wurde, ist durch sieben breite und hohe Fenster gegliedert35 • Das westlichste achte Joch war für das Hauptportal, durch das man vomBurgplatz aus in die Kirche gelangt, vorgesehen. Zwei zweibahnige schmale Maßwerkfensterführen über dem Portal auf eine Höhe mit den übrigen sieben Fenstern.Die erweiterte Westwand ist durch ein weiteres dreibahniges Fenster durchbrochen(Abb. 2). Um diese, im Vergleich zu den romanischen Fenstern des ersten Baues undzu den hochgotischen Fenstern des Südschiffs geradezu überdimensionierten Fensterzu verglasen, gewann man einen auswärtigen Handwerker aus Lüneburg, Hinrik Gronow36 • Er wurde 1469 von den Stiftsherren für ein Fenster zum Preis von zehn Guldenverpflichtet; von anderen Vertragsabschlüssen erfahren wir nichts. Er ist ein LüneburgerGlasmaler, der aus anderem Zusammenhang gut bekannt ist.Folgt man den erhaltenen Fensterbildern und Erwähnungen von Glasmalern inLüneburg, so florierten die Werkstätten dieses Handwerks in Lüneburg schon währenddes Übergangs zum und in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts 3 ? Undnoch einmal gewinnen sie in der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts an Bedeutung.Um 1470 - und damit in dem Zeitraum, der hier interessiert - arbeiteten, wieschriftliche Quellen belegen, Glasmaler in wenigstens zwei, um 1480 in wenigstensvier Lüneburger Werkstätten 38 • Ob das Absatzgebiet der Lüneburger Glaswerkstättenauch in dieser Zeit, wie kunsthistorische Vergleiche nahclegen, von Doberan undHiddensee im Norden bis Bremen und Verden im Westen, Minden und Goslar im Südenreichte, bleibt offen 39 • Hinrik Gronow, mit dem die Stiftsherren handelseins wurden,ist eine der führenden Persönlichkeiten in diesem Handwerkszweig in Lüneburg.J4 BR fol. 62v, wo nach der Schlußabrechnung noch offene Posten zusammengestellt worden sind. AmEnde eines der folgenden Absätze heißt es: ... ad computum in die egidii, womit der 1. September alsterminus an te quem denkhar ist.3S Die sechs Fenster im Osten sind dreibahnig und achtzeilig; das westlichste vierbahnig und sechszeiligund mit Maßwerk versehen. Die Zählung folgt der im CVMA üblichen (5. Anm. 37).36 Die Schreihung folgt der in Lüneburg üblichen; CVMA VII,2 passim (5. Anm. 37).37 Erschöpfend gibt dazu Auskunft H. BECKSMANN, U. KORN, Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburgund den Heideklöstern, Corpus Vitrearum Medii Aevi (künftig CVMA) VII,2, Berlin 1992; zuder Zeit um und nach 1400 s. ebd. S. XLVII mit Anm. 74.3S um 1470: CVMA VlI,2, S. XLlX mit Anm. 78; um 1480: ebd. S. LlII mit Anm. 86.39 So nach der Karte in CVMA VII,2 S. XVIII; darauf sind die verschiedenen Zeithorizonte jedoch nichtgeschieden.


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265098 G. SchwarzSeit 1447 zahlt er nachweislich in Lüneburg Steuern; seit 1455 sind auch Aufträge anihn und seine Werkstatt bekannt, die überwiegend der Lüneburger Rat vergab. Beispielsweisewurde er in den Jahren 1459 und 1460 herangezogen, um die Fenster desneuen Rathausanbaus in Lüneburg farbig zu verglasen, was ihm 16 1/2 Mark (lüneburgiseherWährung) eintrug 4o • Nach der Art des Auftrages an Hinrik Gronow undnach den stolzen Preisen, die für die Glasfenster zu bezahlen waren, zehn, zwölf undeinmal sogar 13 rheinische Gulden für ein Fenster, ist sicher anzunehmen, daß dieFenster des neuen Nordseitenschiffes in <strong>Braunschweig</strong> mit farbigen Glasgemäldenversehen werden sollten, wenigstens in Teilen - auch wenn darüber in den Notizender Baurechnung fast nichts verlautet. Mit einem Umfang um die 100 Gulden ist diesder größte bislang bekannte Auftrag an Hinrik Gronow und seine Werkstatt.Die Stiftsherren hatten also ein ehrgeiziges Projekt in Angriff genommen, als siedie angesehene Lüneburger Werkstatt des Hinrik Gronow mit der Gestaltung derGlasfenster beauftragten. Mit dem Auftrag wird auch der hohe Anspruch der Stiftsherrenvon St. Blasii deutlich und nicht minder der Stifter, die sich dafür fanden: DerStil Hinrik Gronows und seiner Werkstatt entsprach sicher dem Zeitgeschmack, nichtanders als eine Generation zuvor jener von Ebberde dem glasewerten 41 • Bei diesemhatte die Stadt Braunsehweig die Farhverglasungen der neuen Fenster für das Altstadtrathaus1447 in Auftrag gegeben, das sich im Umbau befand. Er kam wahr-411 Die folgenden Nachrichten zu Gronows Wirken im Umkreis Lüneburgs sind übernommen aus denvon F. HERZ regestenartig zusammengestellten Notizen in CVMA VII,2: Nr. 14 S. 260 (1459) 5 112mfür Fenster im Rathaus und der Schreibstube und 11m für 14 Tafeln mit Wappen zum neuen Gemach;Nr. 15 S. 260 (1467) 12 112 m für Fensterwerk am Neuen Haus des Rates am Markt; Nr. 34 S. 266(1471) 26 m für ein Fenster in St. Nikolai; Nr. 48 S. 268 (1474) 5 m für ein Fenster der Kirche inLüne; Nr. 57 S. 271 (1465) 9s für eine tabula vitrea von Kloster Heiligental für Medingen. - ZurWährung in Lüneburg: Sie ist keinesfalls mit der in <strong>Braunschweig</strong> gleichzusetzen (vgl. dazu obenAnm. 22), eine braunschweigische Mark enthielt 30 Schilling oder 360 Pfennig. Eine lübische Mark,der die lüneburgische entspricht, enthielt 16 Schilling oder 48 Witte oder 192 Pfennig, und ein rheinischerGulden war mit 24 lübischen Schillingen, also anderthalb lübischen Mark gleichzusetzen, so istfür 1449 gesichert; vgl. H. DOR~EIER, Verwaltung und Rechnungswesen im spätmittelalterlichen Fürstentum<strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg, Hannover 1994, S. 383. Nach demselben Kurs rechnet auchW. REINECKE, Die Baurechnung der Marianikapelle zu Bardewik (1466), in: Lüneburger Museumsbl.1 (1904) S. 87-96, v. a. S. 86, wo es heißt, daß die mit 6 Gulden bezahlte Weihe der Marianikapelle durch den Bischof 9 Mark Landeswährung entsprochen habe. 1436 ent~prachen nach DOR­MEIER (wie oben) S. 383, einem braunschweigischen Ferding, d. h. einer <strong>Braunschweig</strong>er Viertelmark,23 lübische Schilling.41 Im StadtA BS (B 114:23) sind in den Kämmereirechnungen der Altstadt zum Jahr 1447 zwei Hinweiseauf diesen enthalten. Da heißt es (fol. IOv): 3s 3d C/awes Mysner dem boden to Stendel tom glase wertenund (fol. 27r): J 5m mester Ebberde dem glasewerten dar hefft ome de Rad vor vordinget de vensterto makende to der nigen dornse; 2 goddespenninge deme knechte; J /2 f mester Ebberde to drankge/de;2s 3d vor kost mester Ebberde. Es ist nach diesen Notizen anzunehmen doch nicht zu sichern, daß essich um ein- und denselben Glasmaler handelt; vgl. C. W. SACK, Altertümer der Stadt und des Landes<strong>Braunschweig</strong> 1,2: Das Rathaus und der Marktplatz mit dem Brunnen in der Altstadt zu <strong>Braunschweig</strong>,Bs. 1852, S. 14. - Nach dem zweiten Weltkrieg fand man bei Aufräumungsarbeiten in dersog. Scholteldornse des <strong>Braunschweig</strong>er Altstadtrathauses in einem unversehrten spitzbogigen Fensternach Osten Reste eines farbigen Glasfensters, die angeblich den Namen Christoph Kaie getragenund ins Städtische Museum gelangt sein sollen; vgl. dazu R. FRICKE, Aus der Baugeschichte des A1tstautrathauses,in: <strong>Braunschweig</strong>ische Heimat 38 (1952) S. 107-111, hier S. 109. - In den Kämmereirechnungender Almadt sind aus dem Jahr 1469 auch 3 f vor glasevenster mester Hinrike ... erwähnt(StadtA BS, B 11 4:40 ful. 15r).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 99scheinlich aus Stendal, wohin der Rat im selben Jahr zuvor einen Boten tom glasewertengeschickt hatte. In Stendal wurde seit den zwanziger Jahren des 15. Jahrhundertsder neue spät gotische Domchor der Stiftskirche St. Nicolai mit farbigen Glasgemäldenversehen. Von diesen, nach der zu verglasenden Fläche wie dem Bildprogrammaußerordentlich reichen Glasmalereien hat sich der größere Teil erhalten, so daß Stendalin Norddeutschland bis heute einen der umfangreichsten Bestände farbiger Glasgemäldedes späten Mittelalters besitzt 42 •Doch betrachten wir die Einträge zu Hinrik Gronow und den Glasfenstern für dasneue Seitenschiff näher. Hinrik Gronow wird namentlich erst im September 1471 erwähnt,doch beziehen sich auch die vorangehenden Einträge sicher auf ihn, in denenes um die Verdingung und ersten Lieferungen von Glasfenstern geht. Im Juni 1469hören wir das erste Mal davon, daß in Lüneburg Glasfenster für das nördliche Seitenschiffin Auftrag gegeben wurden 43 • Ein Gottespfennig besiegelt den Vertrag; eskönnte also das erste von den Stiftsherren in Auftrag gegebene gewesen sein. Über einJahr später erst, im August 1470, wird der Glasmaler wieder erwähnt; er kommt nämlichnach <strong>Braunschweig</strong> oder Wolfenbüttel zu Herzog Heinrich, offenbar, weil auchdieser ein Fenster in Auftrag geben will. Doch er traf den Herzog nicht an. Und dieNotiz, daß die Stiftsherren ihm die vergebliche Reise zum Herzog erstattet haben,macht die Zufälligkeit der Eintragungen deutlich: wäre die Reise erfolgreich verlaufenund er mit dem Herzog zusammengetroffen, so hätte die Baukasse seine Reisenicht bezahlt und es hätte keinen Grund für Johannes Sternebereh, der die Baurechnungführte, gegeben, diese Nachricht festzuhalten. Dieser Eintrag wirft auch einSchlaglicht darauf, wie Stifter und Glasmaler miteinander umgingen. Man traf sichzum Vertragsabschluß und verhandelte mit Sicherheit auch, wie das Fenster gestaltetwerden sollte. Doch das ist wiederum keinen Eintrag wert.Fast ein Jahr später, im Mai 1471, wird in den Baurechnungen erwähnt, daß einGlasfenster aus Lüneburg angeliefert wird; für die Anfahrt sind zwei Schilling unddrei Pfennig zu entrichten. Die Stiftsherren geben dem Glasmaler, der die Fuhre, sowird erkennbar, persönlich bringt, dafür acht rheinische Gulden, die sie sich noch inderselben Woche von Herzog Heinrich erstatten lassen. Dieser schulde dem Glasmalerim übrigen 2 Gulden, ob für dieses oder ein anderes Fenster, wird nicht klar. Eswird überraschenderweise als dat eyne ander glasevenster bezeichnet und dürfte alsowohl das zweite farbige Glasfenster (nV) sein, das in der Burg von <strong>Braunschweig</strong> aus-42 Zu den Glasmalereien des Stendaler Doms vgl. K.-J. MAERCKER, Die mittelalterliche Glasmalerei imStemlaler Dom (= CVMA 5,1), Berlin 1988, passim. Dort schritt die Ausstattung mit farbigen Glasgemäldenvom mittleren Chorfenster (I = Christusfenster) aus den zwanziger Jahren zu den Fensterndes Chores und Querschiffs weiter im Westen, z. B. dem Standfigurenfenster (nIV) und Mariae Verkündigungsfenster(sVII) aus den vierziger Jahren, voran.43 Es ist gut möglich, daß dieser Vertrag in Lüneburg verhandelt und abgeschlossen wurde; denn mehrereStiftsherren hatten Ämter auch in anderen Landesteilen inne; z. B. Hildebrand von Eltze, der alsStiftsherr von SI. Blasii das officium armarii führte, zugleich aber auch Propst des Klosters Ebstorfund früher Schreiber der Herzöge in Celle war, oder Dietrich Schaper, einst Lüneburger Stadtschreiber,und nun auch Propst des Klosters Lüne, Vgl. dazu G. und U. SCHWARZ, Bauhütte (wie Anm. 2)S. 7. In den Vizedominatsrechnungen des Jahres 1470 wird festgehalten, daß 3 Pfennige vor wagensmer,alse de heren voren na Luneborch aufzuwenden waren (StA WF, 11 Alt Blas 635 fol. 173r).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650100 G. Schwarzgeliefert und mit dessen Einbau in die mit Eisen bewehrten Fenster wohl auch gleichbegonnen wurde. Gronow hielt sich gelegentlich zumindest eine Woche lang in<strong>Braunschweig</strong> auf, da er in den wöchentlichen Abrechnungen einmal in zwei aufeinanderfolgendenWochen erwähnt wird 44 • Da die Stiftsherren sich umgehend vomHerzog die acht Gulden wiedergeben ließen, ist zu vermuten, daß auch der Glasmalerdie ausstehenden zwei Gulden von Herzog Heinrich bezahlt erhielt. Ein erstes Fensterdürfte ebenfalls von ihm - oder einem anderen Mitglied des welfischen Herrscherhauses- für den Neubau gestiftet worden und deshalb nicht in die Baurechnungen geratensein 45 •Nach diesem ersten, von Lüneburg nach <strong>Braunschweig</strong> gebrachten Fenster, vondem wir hören, dauert es rund vier Monate, ehe Gronow, wiederum persönlich, diesmalzwei Fenster nach <strong>Braunschweig</strong> liefert. Anfang September 1471 wird die Anfahrtin doppelter Höhe - viereinhalb Schillinge für zwei Fenster - verbucht. Für diese,vermutlich das dritte und vierte (nVI und nVII), erfahren wir wiederum nur füreines, wer es bezahlte, und das heißt auch: stiftete. Die Kosten teilen sich das BenediktinerklosterSt. Ägidien in der Stadt <strong>Braunschweig</strong>, das Zisterzienserkloster Riddagshausenvor den Toren der Stadt mit je vier Gulden; und auch das BenediktinerklosterKönigslutter, am Ostrand des Elms, legt zwei Gulden zu, so daß die Stiftsherrenaus der Baukasse noch zwei Gulden zuschießen müssen, um den Preis von zwölfrheinischen Gulden begleichen zu können.Und wieder vier Monate später, am 29. Dezember 1471, wird das fünfte Fensteraus Lüneburg gebracht; dicsmal ist cs cin Fuhrmann, der für die Anfahrt - erstaunlichhoch - etwa denselben Preis erhält, der im September für die zwei herangefahrenenFenster zu zahlen war. Also dürften auch diesmal zwei Fenster (nVIII und nIX) gebrachtund nur eines erwähnt und von den Stiftsherren bezahlt worden sein. Und diesesFenster ist das einzige, für das ein bescheidener Hinweis gegeben wird, was - vermutlichunter anderem - darauf abgebildet war: das Wappen nämlich von LudolfQuirre, dem schon vor über acht Jahren verstorbenen Stifter des neuen nördlichenSeitenschiffs, der mit diesem Fenster herausgehoben wird. Sein Wappen war an andererStelle, nämlich über dem Portal zum Burgplatz, bereits 1469 angebracht worden,wo es auch heute noch zu sehen ist 46 •Nach noch einmal gut vier Monaten wird wiederum berichtet, daß zwei Glasfenster- also wohl das siebte und achte (nX und nXII) - aus Lüneburg in <strong>Braunschweig</strong> anlangtenund auch diese Fuhre wurde, wie für zwei Fenster üblich, mit viereinhalbSchilling bezahlt. Als Stifter des einen wird der Rat der Stadt <strong>Braunschweig</strong>, als Stifter44 1. und 8. September 1471..5 Es ist nicht mehr als Spekulation, wenn wir den Eintrag im Jahr 1471 in den Vizedominalsrechnungen,das Stiftskapitel habe dem Rat der Stadt Lüneburg 1 Stübchen (stoveken), vermutlich gefüllt mit EinbeckerBier, zukommen lassen, mit dem Geschäft, das die Stiftsherren mit Hinrik Gronow abwickelten,in Verbindung bringen (StA WF, 11 Alt Blas 635 fo!. 198v).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 101des zweiten das Stiftskapitel von St. Blasii selbst genannt. Ende Juni sind die Bauarbeitenfast vollständig ahgeschlossen, wie auch die Endabrechnungen mit verschiedenenHandwerkern, allen voran mit den Steinmetzen, aber auch dem Dachdecker undmit zwei Schmieden, zeigen.Wann "die beiden letzten Fenster" genau von Gronows Gesellen oder Knecht gebrachtwurden, ist unhekannt. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich dabei um dasüber dem Portal in die Höhe führende doppelte Maßwerkfenster (nXI) handelte, dasaus zweimal zwei Bahnen besteht. Dafür sprechen mehrere Indizien: Das ist einmalder für zwei Fenster im Vergleich geringe Preis von 13 Gulden, der zudem aus derBaukasse gezahlt wurde, wie auch die um ein Drittel niedrigeren Kosten der Anfahrtdurch einen Mitarbeiter aus Gronows Werkstatt. Legen wir die Beobachtung zugrunde,daß immer je zwei der Fenster zuvor im Abstand von rund vier Monaten angeliefertwurden, so dürfte dieses Fenster vor September 1472 nach <strong>Braunschweig</strong> gelangtsein. Auch die Tatsache, daß neue Gestelle vom Zimmermann zum Einsetzen diesesFensters zu bauen waren, spricht dafür, daß dic von den anderen Fenstern nicht zuverwenden waren, ergo das Fenster über der Tür einzusetzen war. Schließlich werdendem Schmied Plachmann die Kosten für die "letzten großen Eisen" bezahlt und zwar"für die großen Fenster bei der Tür".Mit den Fensterlieferungen hat sich Hinrik Gronow wohl an gesetzte Termine gehalten.Die sich regelmäßig wiederholenden Anfahrten im Abstand von rund vierMonaten lassen aber auch die Frage zu, ob seine Werkstatt in vier Monaten mit zweisolchen Fenstern bereits ausgelastet war. Wenn er die letzten Fuhren nicht mehr begleitete,so sicher auch, weil es nun nicht mehr darum ging, weitere Aufträge zu erhaltenund zu besprechen.Während der Stifter des ersten Fensters unbekannt bleibt, erfahren wir aus denBaurechnungen, daß das zweite von Herzog Heinrich aus Wolfenbüttel bezahlt wurde(Abb. 3). Diese beiden ersten wurden sicher am weitesten im Osten des neuen Seitenschiffesund unweit des Trinitatisaltars eingebaut, wo man mit allen Etappen des voranschreitendenBaues begann 47 • Auch das folgende dritte Fenster wurde von einemuns nicht bekannten Stifter bezahlt - sollten für das erste und dritte Glasfenster wiefür das zweite einer der welfischen Herzöge aufgekommen sein? Das vierte Fenster jedenfallsstifteten die befreundeten Klöster aus der Stadt <strong>Braunschweig</strong> und ihrer Umgebung;das fünfte (oder sechste) wird von den Stiftsherren aus dem Fonds des officiumarmarii bezahlt, d. h. aus dem Fonds des Domschatzes, und ist dem Gedenken anden Stifter des neuen nördlichen Seitenschiffs, Ludolf Quirre, gewidmet 48 • Ein sech-47 Zum Standort des Trinitatisaltars im Osten des alten und neuen Seitenschiffs vgl. KOCH, Innenraum(wie Anm. 1) S. 486; S. 501.48 Der Betrag wird am 3. Januar 1472 in den Rechnungen des officium armarii für die Baukasse verbucht,StA WF, 11 Alt Blas 657, fol. 7v, vgl. G. und U. SCHWARZ, Bauhütte (wie Anm. 2) S. 14Anm. 32. Da notiert der Stiftsherr Hildebrand von Eltze und zugleich Propst von Kloster Lüne, derdas officium armarii führt, daß auf Beschluß des Kapitels 12 Gulden aus dieser Kasse an die Baukassezu übergeben seien; und Johannes Stemeberch, der die Baurechnungen führt, hält fest: Item recepi 12flor a diclO domino Hilbrando de Eltu ex parte capituli concessos ad diclum officium OClava Johannisevangeliste (= 3. Januar 1472) anno 1472 et dan fuerunt pro una fenestra ... (BR fol. 22v).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650102 G. SchwarzIV t\\J l 11111 1 111 I I ?V([J ! ! ! ! ! ! I Hz. Heinrich von BS (-WF)VI (\!! I ! ! ! 111 ?VII (\1 1 I ! III1 KlösterVIII (! ! I ! 11 ! I, ~~i~i~~a a[~Q~\irreIX ~IIIIIIIII 0x .m Stadt BS oder Stift St. Blasii'B'~XIBaukasseStift St. Blasiioder Stad t BS< NAbb. 3:Die Fenster des Nordschiffs mit Angabe der Stifter von 1471/1472


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 103stes kam von nicht bekannter Seite 49 • Das siebte und achte schließlich stifteten dieStadt <strong>Braunschweig</strong> und das Kapitel des Blasiusstifts. Das Maßwerkfenster über demPortal wurde aus der Baukasse bezahlt. Diese Reihenfolge der Stiftungen entsprichtder Denkweise in festgefügten Hierarchien, die Fensterstiftungen in Kirchen andererRegionen nicht weniger deutlich vor Augen führen 5o • Und mit der Ausnahme desFensters über dem Portal wurden alle Fenster aus Stiftungen bezahlt; selbst dasjenige,das an Ludolf Quirre, den Stifter des Nordseitenschiffs, erinnern sollte, für das dieStiftsherren von St. Blasii aufkamen, wurde nicht aus der Baukasse, sondern aus denMitteln des officium armarii bestritten. Wir erfahren nicht, aus welchem Fonds dasachte, das Fenster der Stiftsherren, bezahlt wurde.Diese Fensterstiftungen bezeugen das Wohlwollen, das der Herzog in Wolfenbüttel,die Klöster und die Stadt <strong>Braunschweig</strong> dem Bauvorhaben der Stiftsherren entgegenbrachten.Es läßt sich aber nicht daraus ableiten, daß das Herzogshaus auch nurals Nebenstifter für das neue Seitenschiff zu betrachten wäre. Der Löwenanteil derverbauten Mittel stammt eindeutig aus dem Vermächtnis Ludolf Quirres. HerzoglicheZuwendungen für den Neubau sind unter den Einkünften der Baukasse nicht verbucht.Die Baukasse trug mit der Bezahlung für das Einsetzen der Fenster auch einenerheblichen Anteil der gesamten Kosten für die Verglasung 51 •Bevor wir der Frage nachgehen, wie die Glasfenster gestaltet waren, ist die technischeSeite des Unternehmens noch einmal gründlicher zu betrachten. Das Seitenschiffwurde, das ist aus vielen verschiedenen Eintragungen deutlich, fortschreitend vonOsten nach Westen gebaut 52 • So war die Konstruktion der Fensterrahmen und -pfostender zwei Fenster im Osten bereits im Winter 1467/68 beendet, bevor der4. Das Fenster wird in der Baurechnung nicht eigens erwähnt; seine Lieferung ist aus der Höhe derTransportkosten zu erschließen (29. Dez. 1471).'" Da läßt sich vor anderen die Tübinger Stiftskirche anführen, deren Chor mit Glasgemälden ausgestattetwurde, die Graf Eberhard von Württemberg bei auswärtigen Werkstätten hohen Ranges (z. B. demWerkstattkreis des Peter Hemmel in Straßburg) bestellt hatte, vgl. R. BECKSMANN (Hg.), DeutscheGlasmalerei des Mittelalters I. Voraussetzungen, Entwicklungen, Zusammenhange, Berlin 1995,S. 205 ff. R. BECKSMANN schildert das Bildprogramm der Chormittelfenster (also I, nll, sll) wie folgt(ebd. S. 207). Diese Mstellten mit ihren Stifterbildern und Wappen eine monumentale Ahnenprobedar, auf die auch die Darstellungen von Sündenfall und jüngstem Gericht Bezug nahmen; das allein erhaltengebliebene Achsenfenster ist Maria als Patronin gewidmet und enthält, eingeleitet von einerWurzel Jesse, neun Darstellungen aus der Annen-Marien-Legende. Im nächsten Fensterpaar schlossensich die Stiftungen der Stifts- und Pfarrgeistlichkeit an, wobei die in einem Gruppenporträt dargestelltenStiftsherren zugleich die ersten Rektoren und Professoren der Universität waren. Die übrigenFenster des Chores blieben Stiftungen der Räte und Beamten Eberhards vorbehalten." - Ein anderesBeispiel ist die Wallfahrtskirche in Lautenbach, s. R. BECKSMANN, Die Stifterfenster der Wallfahrtskirchezu Lautenbach, in: Vitrea dedicata. Das Stifterbild in der deutschen Glasmalerei des Mittelalters,Berlin 1975, S. 23-63, wo von der gleichen Werkstatt Heilige auf Wunsch der Stifter dargestelltwurden, die nicht in Zusammenhang zu bringen sind.SI Die These von H. J. BÖKER, der Neubau sei im wesentlichen einer Stiftung des Herzogs Wilhelm d. Ä.zu verdanken, der sich 1482 in dem Nord~eitenschiff bestatten ließ, ist durch die Baurechnungen ebensoy,;derlegt wie sein Datierungsvorschlag; s. DERS., Die spätgotische Nordhalle des <strong>Braunschweig</strong>erDomes, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 26 (1987) S. 51-62.52 Das zeigt sich beispielsweise, wenn das Gerüst flir die Gewölbe von Osten nach Westen fortschreitendumgesetzt wird.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650104 G. SchwarzSchmied Hans van Alvelde sie mit Eisenrahmen bewehrte 53 • Ganz offensichtlich lagendie verschiedenen Arbeitsgänge in verschiedenen Händen: zum ersten die Eisenbewehrungder Fensterrahmen zur Aufnahme der Glasscheiben, sodann die Herstellungder Gläser, zumal dann, wenn sie von Kunsthandwerkern zu farbigen Gemäldengestaltet wurden und schließlich der dritte und letzte Schritt, das Einfügen der Scheibenin die Fenster des neuen Seitenschiffs. Wenn Ende Juli 1468 Kohle und Schnüre(strenge) besorgt wurden, "um die Formen in die Fenster zu löten", so wurden diesevielleicht für die Arbeiten am Obergadenfenster gebraucht, bevor dort im September1468 die Glasscheiben ausgetauscht wurden. Schmiede arbeiten danach erst wiedervor dem Juni 1469 an den neuen Fenstern; dafür erhält der Schmied Henning Wulffeine Mark, 21 Schilling und drei Pfennig - allerdings auch noch für andere Arbeiten,die er alle halbe Jahr in Rechnung stellte 54 • Im Jahr 1470 rechnete Luder Horneborchnoch zweimal mit dem Schmied Wulff ab: Im April über die Anfertigung und denEinbau von Windeisen, die die Glasscheiben horizontal faßten und den Fenstern mitden großen Glasflächen Halt gaben, und im November die Eisenbewchrung für weitereFenster. Für diese Arbeiten läßt sich der Schmied zusammen drei Mark zweiSchilling und neun Pfennig bezahlen, und belegt mit Aufzeichnungen (ur in registrosuo) die Einzelposten 55 • Pfennigbeträge helfen vielleicht, die Lieferung des ersten,sonst nicht erwähnten Fensters aus Lüneburg zeitlich einzugrenzen: insgesamt sechsPfennige nämlich mußten im März 1471 für Kohle bezahlt werden, mit der Bleistegegelötet werden sollten 56 • Im Mai 1471 wird jedenfalls das zweite, das eyne ander venster,geliefert. Die nächste Nachricht zu Fenstern, in der mit sechs rheinischen Guldenfür ein halben Zentner drades Material für den Fenstereinbau (vielleicht Bleistangen)bezahlt wird, fällt zeitlich zusammen mit der Lieferung der nächsten zwei Fenster imSeptember 1471 57 • Bleiben noch die zwei großen Posten kurz vor und in der Endabrechnungvon Johannes Stemeberch. Da wird zum einen Anfang April 1472 einemsonst nicht am Bau beschäftigten Schmied namens Plachmann eine Mark bezahlt, weiler Eisen an die wirten (wohl Bleirutcn) gemacht habe 58 • Zum anderen erhält Henning53 BR ful. 78v (10. Juli 1468; 31. Juli 1468).S4 BR fol. 93v (11. Juni 1469). Zum Schmied Henning Wulffe (= Wulve) und der Art, wie die Schmiedesich vielfach jahrlich oder halbjährlich bezahlen lassen, vgl. G. und U. SCHWARZ, Bauhütte (wieAnm. 2) S. 29f. mit Anm. 107f." BR fol. 45v (15. April 1470): 1m 9s 3d ... vor de wintiseren in dat nige vensteren exceptum de iserenden twen vensteren boven na dem osten; BR fol. 50r (11. November 1470): 1m 23s 9d Wulffe vor ...i.~erne vor dat nige venster. ...56 BR fo\. 51r (17. März 1471): Primo 3d pro carbonibus tho den vensterposten tho lodende; BR fo\. 51v(31. März 1471): 3 d vor 1 bundel kole tho lodende in fenest(ris).>1 BR fo\. 54v (8. September 1471): Item 6 flor domino Johanni (= Stemeberch) ... vor 112 sintenerdradestho den vensteren tho den wirten.,H BR fo\. 59r (5. April 1472): Primo Im Plachman fabro vor 1 iseren an de wirten tho makende eynefensters. Zu dem Begriff wirten: Er ist nicht aufgenommen in K. SCHILLER und A. LÜOOEN, MittelniederdeutschesWörterbuch Bd. 5 (1880), jedoch wird wire f. mit "Metalldraht, etwas das von MetalIdrahtgemacht ist" übertragen (ebd. S. 737); die Belege stammen aus <strong>Braunschweig</strong>er Kämmereirechnungen:Item 3 mark to den bar voten brodem 10 eyner viren vor unse venster in der kerken (1451). ZurGleichsetzung cancellas vel de wirten (s. Anm. 60) bietet das Mittellateinische Wörterbuch Bd. IILief. 1 (1968) s. v. cancellus ebenfalls mehrere Belege im Zusammenhang mit Fenstern, die durch Git-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 105Wulff laut Endabrechnung vom 21. Juni 1472 zehn Mark acht Schilling und zwar fürEisen und Windeisen in sieben und Gatter (gader) in drei Fenstern 59 • Und nach Abschlußder Baurechnungen werden dem Schmied Plachmann ein weiteres Mal zweiMark bezahlt.In der Endabrechnung hat Johannes Sterneberch, der die Baurechnungen seit 1466für Luder Horneborch geschrieben hat, zwei weitere wichtige Notizen eingetragen.Außerdem sind auch im Anschluß an die Endabrechnung von anderer Hand nochzwei weitere wichtige Notizen festgehalten worden. Eine besagt, daß Johannes Sterneberch,der die Baurechnung seit 1466 für Luder Horneborch geschrieben hat,20 Schilling für Draht zu den wirten erhalten habe, die zweite, daß er nichts bezahlterhielt, als er die cancellas vel de wirten eingesetzt hat 60 • Sternebereh trägt persönlichim Jahr 1473 nach, er habe vier Mark für seine Arbeiten an den wirten erhalten undstellt auch noch erhebliche Mengen an Material in Rechnung 61 • Johannes Sterneberehbegegnet uns also nicht nur als Schreiber der Baurechnungen, sondern aueh als technischversierter Stiftsvikar, der imstande war, bestimmte Arbeiten, die mit dem Einsetzender Scheiben einhergingen, durchzuführen 62 • Da der Begriff wirten sonst nichtter unterteilt werden. Da die Ausstattung der Fenster mit wirenlwirten offenbar zwingend ist, ist fürdie Fenster des neuen Seitenschiffs von SI. Blasii dieselbe Bedeutung anzunehmen.S9 BR fol. 61r(21. Juni 1472): Item 10m 8s Henning Wulffefabro vorde iseren in 7 venster, undede wintiserenin den sulven vensteren unde 3 gaderen vor dren vensteren ... - ob mit den Eisen in den FensternWindeisen, d. h. die horizontalen Eisenverstärkungen gemeint waren, die die Scheiben oben und untenbegrenzten, bleibt fraglich. Windeisen werden meist eigens genannt. Mit gader (wörtlich - Gatter)können zu öffnende und verschließbare Fensterluken gemeint sein.60 BR fol. 61r (21. Juni 1472): ... 20s domino Johanni Sterneberge vor 16 punt drades tho den wirten vorde venster, vor dat punt 15d. - BR fol. 63r (von anderer Hand geschrieben, ohne Datum): Item nichilsolutum est domino Johanni Sterneberge de sallario (!) suo, qui fecit cancellas vel de wirten vor de venster.Wichtig ist darin auch die Gleichsetzung cancellas vel de wirten, weil so die Bedeutung des bislangnicht belegten Wortes wirten eingegrenzt wird.61 In BR fol. 63v sowie 70r geben drei Eintragungen in ähnlichem Wortlaut denselben Sachverhalt wieder;sie sind undatiert und die abgerechneten Beträge dürften im Zeitraum nach der Endabrechnungbei Fertigstellung des Baus nach dem Juni 1472 angefallen sein; zweimal wird Draht tho den wirten zu1m 4 1I2s und zu 1m 2s Id bezahlt -letzterer wurde bei Meister Jordan in der Beckenwerkerstraßegekauft. - Und außerdem erhielt der Schreiber der Baurechnungen seinell Lohn: Item 4m dicta dominoJohanni Sterneberge pro labore suo, dar he de wirten vor 7 groten venster vor ghemaket had.62 Von handwerklich geschickten Klerikern, die imstande waren, Arbeiten an Fenstern durchzuführen,wird häufiger berichtet. Es war eine Nonne des Katharinenklosters in Nürnberg, die Anfang des16. Jhdts neben Anweisungen, wie kirchliche Gewänder und Zeugdruck zu verfertigen seien, im drittenTeil ihres Büchleins aufschrieb, wie gemolt glas vnd scheybenglas, rautenglas, vnd was zu ydem gehörtherzustellen seien. Es wurde zuletzt vorgelegt und kommentiert von E. E. PLOSS, Ein Buch vonalten Farben, München 1967 (2. Aufl.) S. 103-125, v. a. S. 122-124. Am interessantesten für uns sinddie Anweisungen Nr. 88: Rauttenglas zu machen und Nr. 90: Scheibenglas ze machen: ... ein stuck,so sagt es dir gerecht zu vnd nym den vor hin die schewben vnd vmb zeuh sie mit dem bereitten pley vndlot tkls pley zu, so machstu gut gerecht ding. Da wird erkennbar, daß die Glasscheiben von stock blei(= wirten?) eingefaßt wurden, die beidseitig zuvor mit Rillen versehen waren - wie Ploss ergänzt -,um die Glasscheiben zu fassen. - In aus bei Gandersheim, rund 50 km südlich von <strong>Braunschweig</strong>,wurde der spätgotische Chor (1485-1487) nach der Fertigstellung, so ist tiberliefert, von dem MönchKonrad Hammcnstedt nicht nur mit Fresken sondern auch mit bemalten Glasfenstern versehen, vgl.H. GOETTING, Das Benediktiner(innen)k1oster Brunshausen, das Benediktinerinnenkloster SI. Marienvor Gandersheim, das Benediktinerkloster Clus, das Franziskanerkloster Gandersheim (= GermaniaSacra N. F. 8,2), Berlin - New York 1975, S. 175. - Und nach der Chronik des Klosters Wienhausen,


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650106 G. Schwarzbelegt ist, bleibt unklar, was Sterneberch eigentlich aus dem vielen Material machte,das er u. a. einmal in der Beckenwerkerstraße erstand. Es spricht jedoch einiges fürdie Vermutung, daß daraus die im Querschnitt U- oder doppelt T-förmigen Bleirutenentstanden, die die Scheiben faßten 63 • Ebenso ist die Verwendung von Schnüren oderSeilen (strenge), die wiederholt "zum Löten" gekauft wurden, nicht recht verständlich64 •Rechnet man zusammen, wie viel für Blei, Eisen und Draht wie für die vielfachenArbeiten der Schmiede im Lauf der Jahre für Vorbereitungen zum Einsetzen der Fensteraufgewendet werden mußte, so ergibt das knapp 25 Mark braunschweigischerWährung, d. h. über 78 rheinische Gulden, einen beachtlichen Betrag also, der imVergleich zu den rund 100 Gulden für die bemalten Glasfenster, die von den Stifternund aus der Baukasse bezahlt wurden, durchaus ins Gewicht fiel und die Kosten fürdie Fenster fast verdoppelt.Wie hat man sich die farbigen Glasfenster vorzustellen? Viele Anhaltspunkte sindes nicht gerade, die die Baurechnungen dazu mitteilen. Am aussagekräftigsten istnoch der Eintrag, daß es Hinrik Gronow oder seine Werkstatt war, die diesen Auftragerhielt. Sie erfreute sich in den fünfziger und sechziger Jahren eines guten Rufs, wiedie wiederholten, gut dokumentierten großen Aufträge des Lüneburger Rats zeigen.Aber die Werkstatt florierte auch noch in den siebziger Jahren 65 • Es kann kein Zweifeldarüber bestehen, daß die Stiftsherren und mit ihnen alle anderen Stifter - die welfischenHerzöge, die Äbte der umliegenden Klöster und die Stadt <strong>Braunschweig</strong> - einein ganz Norddeutschland bekannte Werkstatt heranzogen, deren Stil dem Zeitgeschmackentsprach. Sie wollten mit diesen Glasfenstern Zeitgenossen wie Nachweltan sich erinnern; und es war ihnen wichtig, daß ihr Andenken oder ihre Memoria innaher und ferner Zukunft gepflegt werden würde. Außerdem ging es ihnen allen natürlichauch darum, das neue Kirchenschiff zu verschönern 66 •45 km nördlich von <strong>Braunschweig</strong>, war es dort Anfang des 16. Jahrhunderts die Laienschwester AIheidisSchrader, die solche Arbeiten durchführen konnte, vgl. H. ApPuHN (Hg.), Chronik des KlostersWienhausen mit Totenbuch, Celle 1968 (2. Aufl.), S. 15.63 Dieser Nachtrag, der auf die Arbeiten Johannes Sterneberchs eingeht, läßt sich unterschiedlich deuten:Entweder hat der Schreiber und Notar seine Handwerksleistungen erst später in Anschlag gebracht,vielleicht, weil dem Stiftskapitel in der Baukasse das Geld ausging; oder Sterneberch hat auchnach dem eigentlichen Abschluß des Neubaus noch an den Fenstern gearbeitet, vielleicht, weil dasEinsetzen der Glas.~cheiben Mühe oder Probleme bereitete.04 Schnüre (strenge) wurden mehrere Male zum Löten von Blei(fassungen) und zum Einsetzen von Fensterngekauft: am 10. Juli 1468 (BR fol. 78v), vgl. Anm. 17, und am 17. Mai 1472 im Zusammenhangmit der vorletzten Fensterlieferung aus Lüneburg Item 6d vor strenge, do me de glasevenster satte, scilieetconsulum brunswicensium er capiruli (BR fol. 60v). Das läßt darauf schließen, daß diese schongelieferten Scheiben noch nicht endgültig in die Fenster gelangt waren. Die Abrechnung des SchmiedsWulff ist ebenfalls erst im Juni 1472 bezahlt worden.6' Hans Grassow nämlich arbeitete schon seit 1468 in Gronows Werkstatt und führte sie nach 1475, demJahr von Gronows Tod, bis 1479 weiter und machte erst danach seine eigene Werkstatt auf. Vgl. dazuCVMA VlI,2 S. 136 mit Anm. 17.66 Zwar sollte der Neubau prächtig ausgestattet werden, doch war den Stiftern mindestens ebenso darangelegen, ihr Gedächtnis in der Erinnerung der nachfolgenden Generationen zu sichern.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Abb.4:Sch warzweißrekonstruktiondes Töbingfenstersvom NonnenchorWienhausen (um 1470)


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650108 G. SchwarzVon den vielen Glasfenstern, die der schriftlichen Überlieferung nach aus HinrikGronows Werkstatt kamen, ist auch nicht eines erhalten. Wir wissen einzig und alleinvon zwei erhaltenen Glasgemälden auf dem Nonnenchor in Wienhausen, die nach stilistischenKriterien einer Lüneburger Werkstatt um 1470 zugewiesen worden sind 67 •In dem nach seinem Stifter genannten Töbingfenster (Nonnenchor sXI) stehen dieHeiligen Georg und Alexander in je einem Architekturtabernakel nebeneinander(Abb. 4). Jeder von ihnen nimmt eine Bahn des mehrbahnigen Fensters ein. Daruntergeben zwei Wappen mit Helmzier und die Namen Hinrik Töbing und Geseke Snewerdingdie Stifter preis. Der Lüneburger Patrizier Hinrik Töbing hat diese Glasgemäldezu seiner und vermutlich seiner Frau Erinnerung gestiftet, auch wenn die Stellungder Wappen, einander abgewandt, nicht dafür spricht, daß die beiden einanderverbunden waren. Dieses Glasfenster wird derselben Werkstatt zugeschrieben, die inden Jahren vor 1486 auch die Chorfenster der Ramelsloher Stiftskirche mit farbigenGlasgemälden ausgestattet hat 68 • Von diesen stiftete das mittlere der Bremer Erzbischof,die beiden Fenster rechts und links davon Herzog Heinrich der Mittlere aus derLüneburger Linie (1478-1522). Die Bezahlung dieser letzten beiden Fenster, so vermutetman, erfolgte nach dem Tod Hans Grassows an seine Witwe durch den Rat derStadt Lüneburg 69 . Da Hans Grassow schon seit 1468 in der Werkstatt Hinrik Gronowsmitarbeitete, kann er sowohl an der Arbeit am Wienhäuser Töbingfenster alsauch an den Glasgemälden für die Stiftskirche St. Blasii in <strong>Braunschweig</strong> beteiligt gewesensem.Auf dem Umweg über diese noch vorhandenen Glasgemälde vom WienhäuserNonnenchor und aus dem Chor der Ramelsloher Stiftskirche erhalten wir zumindesteine Vorstellung, wie die Glasfenster des Nordseitenschiffs vom Blasiusdom in <strong>Braunschweig</strong>ausgesehen haben könnten. In ihrer Farbigkeit und Anordnung ähnelten siediesen Fenstern vermutlich. Und auch in ihrer Thematik dürften sie sich nicht allzusehr unterschieden haben. Dann wären szenische Darstellungen aus dem Leben Jesu- vielleicht anknüpfend an den Trinitatisaltar, den Hauptaltar im Osten dieses Seitenschiffes- oder Heilige - u. a. vielleicht St. Blasius und Johannes der Täufer als Patronedes Blasiusstifts - dargestellt gewesen, die der Tradition der Stiftskirche nach wichtigwaren oder andere, die den Stiftern am Herzen lagen; unter diesen Bildfeldern wärendie Wappen der Stifter zu denken, wie es das Töbingfenster und gleich ihm vieleandere Glasgemälde in Fenstern dieser Zeit zeigen 7o •67 CVMA VII,2 S. 232 ff., Taf. XXX und Farbtafel X sowie Kat. S. 240-242.68 CVMA VII,2 S. 238.69 Zu den Chorfenstern in der ehern. Ramelsloher Stiftskirche vgl. CVMA VII,2 S. 170ff., v. a. S. 173f.und Regest. Nr. 68.70 In Ramelsloh im mittleren Chorfenster (I) sind über den Stifterwappen die Heiligen Sixtus, Ansgarund Sinnitius zu sehen. Der heilige Ansgar steht in der Mitte, da Ramelsloh der Bremer Kirche verbundenwar und Ansgar von Bremen und Hamburg aus den Norden christianisierte; die beiden Heiligenzu seiner Seite sind die Patrone des Stifts; die Chorfenster rechts und links davon zeigen nachNorden hin die Verkündigung Mariä (nIl) und die Anbetung der Könige (sll); vgl. CVMA VIl,2S. 175 f. und Taf. XIX sowie Taf. 49 bis 56.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 109Glasfenster zu stiften, war im ausgehenden Spätmittelalter schon fast eine Modeerscheinung,was vielleicht auch die Zunahme der Glasmalerwerkstätten in Lüneburgzwischen 1470 und 1480 erklärt. In Wienhausen etwa, keine 50 km nördlich von<strong>Braunschweig</strong>, weiß man aus dem Totenbuch des Klosters von 37 Fensterstiftungenfür 54 Fenster 71 • "Etliche Fenster sind von Fürstlichen Personen, etliche von anderngeist- wie weltlichen Standes verehret, wie man denn noch sehen kann", so berichtetdie Klosterchronik, die 1692 nach damals noch vorhandenen Vorlagen des 15. und16. Jahrhunderts neu verfaßt wurde, über die vielen neuen Fenster aus der Zeit ab1501, was nicht heißt, daß nicht auch schon vorher Fenster gestiftet worden wären 72 •Das Töbingfenster ist nur eines davon.Auf ein quellenmäßig besonders gut belegtes Beispiel für Fensterstiftungen in Süddeutschlandsei hier hingewiesen, auf die zahlreichen Fensterstiftungen eines einzelnenMannes aus Nürnberg nämlich. Se bald Schreyer, der von 1483 bis 1505 Kirchenmeisterder Sebalduskirche in Nürnberg war, hat in seinen Rechnungsbüchern ausführlichüber alle seine Stiftungen, darunter die für 21 Fenster, Buch geführt 73 . Vielfachhat er genau angegeben, wie diese Fenster gestaltet waren, was auf den "geprennetscheiben", d. h. auf den bemalten und danach gebrannten Glasscheiben dargestelltwar, wo sie im Fenster angebracht waren und auch, wie viel er für die anderenFensterteile aus "venedischem Glas", d. h. Butzenscheiben, zu zahlen hatte. Aus seinenAufzeichnungen über drei Jahrzehnte hinweg ist ablesbar, welche Motive er imLauf der Zeit bevorzugte und worum es ihm in erster Linie bei diesen Fensterstiftungenging. Um es vorweg zu nehmen: Sein Wappen fehlt nur zweimal in den Fenstern,und zwar den beiden ersten, die er stiftete 74 • Ergänzt um die Helmzier sollten sie anihn, den großzügigen und gottesfürchtigen Stifter, erinnern. Neben sein Wappen wurdemeist das seiner Frau, Margarethe Kammermeister, gestellt (12x). Einige Malewählte Schreyer seinen und seiner Frau Namenspatrone, die Heiligen Sebaldus und7t Sie sind alle in den Regesten des CVMA VII,2 S. 274f. aufgeführt. Das Totenbuch verzeichnet unterdem Sterbedatum der Stifter, wofür sie zu Lebzeiten gespendet hatten. Dafür hatte das Kloster anihrem Todestag eine Messe zu ihrem Gedenken zu lesen. Da werden nicht nur Glasfenster gestiftet,sondern es wird alles vermacht, was dem Kloster und seiner Wirtschaft irgend nützlich sein kann, vgl.ApPuHN, Chronik (wie Anm. 62) S. XXXIV-LXXV. Es kehren immer Mitglieder derselben Familiendarin wieder, wie die Töbing aus Lüneburg, so aus <strong>Braunschweig</strong> beispielsweise die Broitzem undKemme. Mit Hilfe dieser Eintragungen unter dem Tagesdatum des Todes läßt sich vielfach das Sterbedatumpräzisieren, z. B. des Gerwin von Hameln (gest. 1496) am 11. November; vgl. zu letzteremA. HAucAP-NAss, Der <strong>Braunschweig</strong>er Stadt~chreiber Gerwin von Hameln und seine <strong>Bibliothek</strong>,Wiesbaden 1995, S. 41 mit Anm. 242.72 Von 1501-1549 leitete die Äbtissin Catharina von Remstede die Geschicke des Klosters und entfaltete- sicher v. a. in der Zeit, bevor die Unruhen in der Folge der Reformation solche Maßnahmen verhinderten- eine rege Bautätigkeit. Für die meisten der durch sie renovierten oder neu errichtetenBauten waren die Fenster bestimmt: 7 für die Abtei oder die Stube in der Abtei, 5 fürs Aeischhaus, je2 fürs Refektorium und für das Sommerrefektorium, den Kapitelsaal, das Krankenhaus, vgl. ApPuHN,Chronik (wie Anm. 62) S. XXXIV-LXXV.73 A. GÜMBEL, Kirchliche Stiftungen Sebald Schreyers 1477-1517, in: Mitt. des Vereins für die Gesch.der Stadt Nürnberg 18 (1908) S. 99-133; DERS., Sebald Schreyer und die Sebalduskapelle zu Schwäbisch-Gmünd,ebd. 16 (1904) S. 125-150.7. 1485: Auf dem Michaelschor von St. Sebaldus ist eine Kreuzigung mit Maria und Johannes dargestellt;die Darstellung der Stiftung von 1489 ist unbekannt.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>110 G. SchwarzMargarete für die Hauptbilder über den Wappen. Der Erinnerung an seine Elterndienten Darstellungen ihrer Wappen - und zwar sogar beider Frauen seines Vaters-,einige Male anstelle des Wappens seiner Frau 75. Im Lauf der Jahrzehnte werden biblischeSzenen immer seltener und auch Heiligenbilder mit Stiftern oder Stifterwappennehmen zugunsten der ausschließlich mit Wappen bemalten Scheiben deutlich ab -doch diese Entwicklung bahnt sich erst an, als die Fenster des Nordseitenschiffs vonSt. Blasii in <strong>Braunschweig</strong> schon eine Generation lang eingesetzt sind. Nach 1508 läßtSebald Schreyer keine Heiligen mehr abbilden, sondern nur noch sein Wappen unddas seiner Frau. Nur einmal berücksichtigt er bei der Wahl der darzustelIenden Heiligenden Ort des Fensters, und wählt den Heiligen, dem der nächst gelegene Altar geweihtist; einmal auch nur folgt er einem generelIen Bildprogramm, das das Leben vonAnna, der Mutter Marias, schildern soll, wie es der Abt des Nürnberger Karmeliterklostersvorgegeben hatte, für dessen Kreuzgang das von Schreyer gestiftete Fensterbestimmt war 76 •Vergleicht man die Ausgaben für diese Fensterstiftungen, so sind es nicht nur die"gemalten und geprennet scheiben" vom Glasmaler gewesen, die die Kosten für dieGlasfenster in die Höhe getrieben haben. Auch die BIankverglasungen um die bemaltenScheiben hatten ihren Preis. In der Regel ließ Se bald Schreyer vier bis sechs "Blätter",d. h. Glasscheiben, bemalen und von "venedischen Scheiben" (= Butzenscheiben)einfassen. Die Anzahl der Butzenscheiben macht sich im von ihm notierten Preisfür die Fenster deutlich bemerkbar. Für ein erstes kleineres, vollständig mit gemaltenScheiben versehenes Fenster im Jahr 1485 zahlte Schreyer vier rheinische Gulden,ebenso wie für ein Fenster von St. Wolfgang in Buschendorf, das 1496 in Auftrag gegebenwurde und nur den heiligen Sebaldus zeigte, während zwei Jahre zuvor die Libereyder Sebalduskirche mit einem Fenster ausgestattet wurde, das ebenfalls denHeiligen zeigt und sechs rheinische Gulden kostete. In dieses letzte, deutlich teurereFenster waren außer den gemalten Scheiben in die übrigen Felder auch 350 "venedischeScheiben" eingesetzt worden 77 •" Am interessantesten ist ein Fenster gestaltet, in dessen Mitte vun links nach rechts die Heiligen Margarete(= Namenspatronin seiner Frau), Genovefa (Namenspatronin seiner Mutter), Johannes derTäufer (Schreyers Vater hieß Hans) und Sebaldus vereint sind.76 Szenen aus dem Leben Annas und Marias.77 Folgend sind die Nachrichten über Fenster mit Butzenscheiben zusammengestellt, sofern Schreyer inseinen Rechnungsbüchern ihre Anzahl mitteilt. Damit ist auch die Größe der Fenster berücksichtigt,die für den Endpreis ausschlaggebend war. Über Fragen zum Geldwert und seine Stabilität im Laufder Jahre muß hier hinweggegangen werden: 32 rheinische Gulden für ein Fenster mit 2675 Butzenscheiben(1489); 24 Gulden für ein Fenster mit 1360 Butzenscheiben (im weiteren: Scheiben) undeine Abendmahlsszene (1504); 13 Gulden für ein Fenster mit 948 Scheiben und vier Wappenfeldern(1513); 7 1/2 Gulden für ein Fenster mit 630 Scheiben und mit Wappenfeldern (1511); 6 Gulden fürein Fenster mit 350 Scheiben und Sebaldusdarstellung (1493); 6 Gulden für ein Fenster mit 500Scheiben und Wappenfeldern (1511); 5 1/2 Gulden für ein Fenster mit 255 Scheiben und zwei vierfachenbemalten Rauten (1494); 1 Gulden 16d für ein Fenster mit 150 Scheiben mit zwei Wappenfeldern(1508). - Die Furm der Einbettung einer oder mehrerer erzählender Bildscheiben in eineBlankverglasung läßt sich für das letzte Drittel des 15. Jahrhunderts vielerorts und häufig belegen. EinBeispiel ist wiederum die Tübinger Stiftskirche, "wo nur das Achsenfenster vollständig, die Flankenfensterzu zwei Dritteln und die Langchorfenster zur Hälfte farbig verglast waren", wie BEcKsMANN,Glasmalerei (wie Anm. 50) S. 205, ausführt.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 111Diese Form, inmitten einer Blankverglasung farbige Scheiben mit Wappen mehrund mehr ausschließlich der eigenen Memoria zuliebe einzufügen, wurde immer häufigerund ist der Beginn einer Entwicklung, die dazu führte, daß schließlich die bemaltenScheiben nicht mehr nur in Fenster von Kirchen und Rathäusern eingesetzt wurden,sondern auch in die von Bürger- und Wirtshäusern 78 •Die Vielzahl der belegbaren Fensterstiftungen, von denen als Beispiele diejenigenan das Kloster Wienhausen wie die eines einzelnen wohlhabenden Bürgers aus Nürnbergdienten, zeigt, daß es in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts weithin üblichwar, für Memoria und Seelenheil Fensterbilder zu stiften 79 • Für die Glasbilder desHinrik Gronow im Blasiusdom von <strong>Braunschweig</strong> läßt sich aus diesen, räumlich wiezeitlich näheren und weiter abgelegenen Beispielen vermuten, daß die großen Fenstervielleicht mit einem einheitlichen Bildprogramm, das die Stiftsherren entwickelt unddie Stifter akzeptiert hatten, versehen waren; wahrscheinlicher jedoch ist, daß die Stifterdie ihnen wichtigsten Heiligen, etwa die Stadt-, Stifts- oder Namenspatrone in ihreFenster setzen ließen. Es standen Wappen unter den farbigen Glasbildern - oder sindauch Stifterbilder vorhanden gewesen; und vermutlich waren die Fenster in Teilenblankverglast.Die Glasgemälde mit Bildnissen der welfischen Herzöge von 1559In frühen Beschreibungen der Stadt <strong>Braunschweig</strong> und ihrer Burg, die sich seit 1654,dem Erscheinen von Merians "Topographia und Eigentliche Beschreibung der vornembstenStäte, Schlösser auch anderer Plätze und Örter in denen Hertzogthümern<strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg, und denen dazu gehörenden Grafschafften, Herrschafftenund Landen" mehren, wird die Stiftskirche in aller Regel hervorgehoben. Immerwird das dem Burgplatz zugewandte nördliche Seitenschiff erwähnt und vor allemsein Bleidach und die vorzüglichen Glasgemälde in seinen Fenstern als besondere Sehenswürdigkeiterwähnt. In den Beschreibungen aus der Zeit nach Merian, d. h. vonKranich 1667, Rehtmeyer 1707, Ribbentrop 1789 bis hin zu Görges 1815, Schiller1853, Knoll1899 und auch in den neueren Publikationen von Koch 1985 und Böker7~ Dieser Vorgang wurde prägnant als die .Privatisierung des Sakralen" bezeichnet; vgl. H. SCHOLZ, Entwurfund Ausführung. Werkstattpraxis in der Nürnberger Glasmalerei der Dürerzeit, Berlin 1991, S. 4Anm.12.79 Beispiele, wie die Kunstindustrie im Spätmittelalter florierte und mit neuen Formen der Umsetzungund Vervielfältigung ihrer Produkte einem allgemeinen Bedürfnis entgegenkam, bietet U. SCHÄFER,Kunst in Zeiten der Hochkonjunktur, Münster/New York 1991, S. 244-251. Er weist nach, daß verschiedeneHolzschnitzerwerkstätten bestimmte Figurenkompositionen und Motivkombinationen wiederholtarbeiteten, wodurch eine größere Nachfrage befriedigt werden konnte; nicht anders haben dieGlasmaler der Spätgotik verschiedene Fenster nach denselben Vorlagen hergestellt und nur die Details,z. B. Heiligenattribute, bei Bedarf ausgetauscht; dazu H. SCHOLl, Entwurf (wie Anm. 78)S. 227 ff. Zur Befriedigung entsprechender Bedürfnisse in einer ärmeren Bevölkerungsschicht dientendie auf Massenproduktion eingestellten Bilderbäcker-Werkstätten. zuletzt dazu R. NEU-KoK, Eine.Bilderbäcker"-Werkstatt des Spätmiuelalters an der Goldgasse in Köln, in: Zs. für Archäologie desMittelalters 21 (1993, pub1.1995) S. 3-70.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650112 G. Schwarz1987 wird ihr hohes Alter unterstrichen 8o • Sie werden 1654 bei Merian ausführlichbeschrieben und seit Rehtmeyer wird beklagt, daß diese Gemälde 1687 von HerzogRudolph August bei der von ihm durchgeführten Renovierung gegen einfache Blankverglasungenausgetauscht wurden. Diese vielgerühmten Glasgemälde stammten jedochnicht aus der Erbauungszeit des nördlichen Seitenschiffs.Alle Beschreibungen der Fenster des nördlichen Seitenschiffs durch die Jahrhundertegehen auf Merian zurück oder verdanken diesem zumindest entscheidende Informationen,die unterschiedlich gewichtet werden. Bei Merian heißt es: "In den Fensterndieser Stifftskirchen nach dem Lewen stehen folgende Fürsten und Fürstinnen invölliger lebensgröße mit schönen Farben auff die Gläser gebrennet ... " und es folgtdie Aufzählung von den auf den Glasgemälden dargestellten fünfzehn Fürstlichkeitenmit ihrer TitulaturB 1 • Außerdem werden für elf Gestalten Distichen, Zweizeiler in lateinischerSprache, zitiert. Sie enthalten recht allgemein gehaltenes Fürstenlob, nureinzelne beziehen sich auf einen aktuellen politischen Anlaß.Im Staatsarchiv Wolfenbüttel befinden sich ein paar Blätter aus dem Jahr 1610, diedieselben Texte zu diesem Personenkreis mit gleichlautender Titulatur bieten und dieDistichen wie Merian im Wortlaut wiedergcben 82 • Im Unterschied zu Merian werdendie fürstlichen Gestalten in leicht variierter Reihenfolge aufgezählt. Überschriebensind diese Blätter: lnscriptiones et elogia ducum Brunswicensium et Luneburgensiumin Jenestris ecclesiae S. Blasii in Brunswig.Da Merian und der handgeschriebene Text von 1610 im Wortlaut weitgehendübereinstimmen, dürften die Gewährsleute des Merian die Distichen und Beischriftenzu den Fürstenbildern an Ort und Stelle ahgeschrieben haben. nicht anders als derSchreiber der Blätter rund vierzig Jahre zuvor. Dieser gliedert außerdem die 15 aufgelistetenNamen mit den Beischriften in fünf Abschnitte, die jeweils drei Bildnisseumfassen und zählt sie von (1) bis (5) durch. Diese Gliederung erweist sich als einSchlüssel zum Verständnis des Bildprogramms jener Fenster - denn es werden damitdie Fürstenbilder zusammengefaßt, die je eines der dreibahnigen Fenster füllten 83 • Imfolgenden werden sie hier in der Reihenfolge der Abschrift von 1610 aufgezählt. Dievon Merian abweichende Anordnung der Abschrift ist vermutlich darauf zurückzu-110 Diese Werke werden in chronologischer Reihenfolge genannt. J. G. KRANICHS kurze Beschreibung"Von der fürstlichen Burg- und Thumkirchen St. Blasii in der Stadt <strong>Braunschweig</strong>" (<strong>Braunschweig</strong>1667) bleibt unberücksichtigt, da Kranich darin wörtlich Merians Text übernimmt und nur Schreibungengeringfügig variiert. Ausführlicher ist Ph. J. REHTMEYER. Antiquitates ecclesiasticae inclytae urbisBrunsvigae oder der berühmten Stadt <strong>Braunschweig</strong> Kirchenhistorie, Bs. 1707, S. 94, S. 107 und BeilageNr. 16 S. 91 f. - Ph. Chr. RIBBENTROP, Sanct Blasius - Burg oder Dohmkirche, 1789/91. DERs.,Beschreibung der Stadt <strong>Braunschweig</strong>, Bs. 1789, S. 175. - F. GÖRGES, Der von Heinrich dem Löwenerbaute Sankt Blasius Dom, Bs. 1815, S. 43. - C. W. SCHILLER. Die mittelalterliche Architektur <strong>Braunschweig</strong>sund seiner nächsten Umgebung, Bs. 1852, S. 21. - F. KNOLL, Die evangelischen Kirchen derStadt Hraunschweig, in: Festschrift der Gustav-Adolf-Stiftung, Bs. 1899, S. 83. - KOCH, Innenraum(wie Anm. 1) S. 487, S. 493. - HÖKER. Nordhalle (wie Anm. 51) S. 59." MERlAN, Topographia ... 1654, S. 52 und S. 54f..2 StA WF, 11 Alt Blas 729.83 Im folgenden wird dieser Aufstellung gefolgt. Die Lebensdaten der Fürsten sind P. ZIMMERMANN,Stammtafel des Hauses <strong>Braunschweig</strong>, Beilage zum Hof- und Staatshandbuch des Herzogtums <strong>Braunschweig</strong>für 1910, entnommen.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 113führen, daß darin wohl die mittlere Gestalt jeweils an erster Stelle genannt wird. JedeDrciergruppe wird nämlich von der ranghöchsten oder ältesten Persönlichkeit angeführt,die am ehesten die mittlere Bahn eines Fensters eingenommen hat. Ich gebe denText der Inschriften im folgenden nach der Abschrift von 1610 wieder8 4 •1. Von Gottes gnaden Heinrich derJunger Hertzog zu BraunschwigVnd Luneburg.V. G. G. Maria geborne Von WirtenbergkHenzogin zu Braunschwigk VndLuneborgh.Von gottes gnaden Sophia geborneauß konniglichem Stam zu PolenHertzogin zu Brauns. Vnd Luneb.2. Von Gottes gnaden Ernst, Hertzogzu Braunseh. Vnd LuneborgConstans assenor fidei, bellator et acerErnestus, sese nomina digna gerit.Von Gottes gnaden PhilippusHertzog zu Brauns. Vnd Luneborglngenti studio fraterna exempla PhilippusDum sequitur, laudis non habet ille minus.Von Gottes gnaden WulffgangHenzog zu Brauns. Vnd Luneb.Nec, Wolfgange, latet pietas tua et inclyta virtusTe clarum heroem Gallica bella canunt.3. Von Gottes gnaden Erich derElter, Hertzog zu BraunschwigVnd LuneborghQua jacet uberibus praelustris Hagona terris,lmperii acta gerens clarus Ericus obit.Von Gottes gnaden Erich derJunger Herfzog zu Braun-S4In der Abschrift von 1610 wird vermutlich die Zeilenaufteilung der Inschriften gewahrt. Bei den dreiersten dargestellten Persönlichkeiten ist schon Herzog August d. J. 1653 aufgefallen, daß keine Distichenbeigegeben waren, s. unten S. 116. Ein Distichon fehlt auch im dritten Fenster für HerzoginSidonia. Und es hat es auch nie gegeben, wenn man der Abschrift glauben darf, da die Titulaturennicht auf zwei Zeilen beschränkt, sondern unabgekürzt auf drei Zeilen wiedergegeben sind. LediglichErich d. Ä. und Erich d. J. im dritten Fenster haben Beischriften aus fünf Zeilen erhalten. - Die geringfügigenAbweichungen im Druck von Merian berücksichtige ich hier nicht; hingewiesen sei nurdarauf, daß bei MERlAN, Topographia, S. 54 f. die Angabe zu Herzogin Sidonia .gcborne Hertwgin zuSachsen" fehlt, sowie auf die Lesung pia statt pio im Distichon auf Herzog Franz Otto im vierten Fenster.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650114 G. Schwarzschwig Vnd LuneborghEt tibi bellipotens sublimia pectora Mavors,Queis tua fama diu vivet, Erice, dedit.Von Gottes gnaden SidoniaHertzogin zu BraunschwigVnd Luneborg geborneHertzogin zu Sachsen.4. Von Gottes gnaden Frantz OttoHertzog zu Brauns. Vnd Luneb.Vix Sprea Francisco nuptam piscosus Othonijunxerat, ilIa pio nunc regit orba viro.Von Gottes gnaden HeinrichHertzog zu Brauns. V. Luneb.Heroum soboles Heros c/arißime, magnumDe te Henrice sibi patria spondet humus.Von Gottes gnaden Wilhe1mHertzog zu Br. Vnd LuneborgSanguis avitus inest tibi dux, generose Wilhelme.Laude igitur dignus, dignus es elogio.5. Von Gottes gnaden Carolus,Herfzog zu Brauns. Vnd Luneb.Labitur ex saevo bombardae Carolus ictu,Quando fugat patriae bella cruenta suae.Von Gottes gnaden PhilippusMagnus, Hertzog zu Br. V. Luneb.Bella sequi, belloque mori tua strenua virtuste iuvit clari stirps quoque c/ara patris.Von Gottes gnaden JuliusHertzog zu Brauns. Vnd Luneb.Ex Fabiis Fabium Mars texerat omnibus unum,Fratribus extinctis Julius esto super.Wir sehen also auf dem ersten Fenster (nIV), im Osten wohl, Heinrich den J üngeren,Herzog von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel (1489-1568); zwischen Maria vonWürttemberg (1496-1541) und Sophia von Polen (1522-1575). Maria heirateteHeinrich d. J. 1515; Sophia im Jahre 1556 (Abb. 5)85. Bereits die Lebensdaten dieserdrei Persönlichkeiten, Herzog Heinrichs d. J. aus dem Hause Wolfenbüttel und seinerbeiden Gemahlinnen, zeigen eindeutig, daß diese Glasgemälde nicht, bevor Heinrichseine zweite Ehe einging, d. h. nicht vor 1556, entstanden sein können.R' Die Daten hier und im folgenden nach ZIMMERMANN, Stammtafel (wie Anm. 83).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom115IV~i i i i i i iMaria vonWUrttemberg (t1541)Heinrich d. JüngereSophia von PolenvPhilippErnstWolfgang.~ ~s:: bO.- cu...J..c... s::., .,"0 .D'" :::l:::l ...cuOVIErich d. JüngereErich d. Altere (t 1540)Sidonia von Sachsen11 I I I I I I IVII ( I I I I I I I IHeinrichFranz Otto (t 1559)WilhelmQ)c'- bO...J ...... ::sQ).D"0 .,:::l '" ::::l ccu...JVIIIPhilipp Magnus ('>:1553)Karl Viktor (X 1553)Julius< NAbb.5:Die fünf östlichen Fenster des Nordschiffs mit den Fürstenbildnissen von 1559


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650116 G. SchwarzMit Heinrich d. 1. ist eine der kraftvollsten Persönlichkeiten des welfischen Herzogshausesjener Zeit dargestellt worden 86 • Weder für Heinrich noch für seine Gemahlinnensind Distichen notiert. Da Merian und die handschiftliche Überlieferungdarin übereinstimmen, dürften sie tatsächlich nicht vorhanden gewesen sein, zumalHerzog August d. J. 1653 bei den Stiftsherren anfragte, die die Vorlage für Merian anSchottelius geliefert hatten, ob sie vergessen hätten, die Distichen für diese drei fürstlichenPersonen mitzuteilen 87 •Das zweite Fenster (nV) zeigte auf den Glasgemälden die Herzöge Ernst(1518-1567), Philipp (1533-1596) und Wolfgang (1531-1595) aus der Linie Grubenhagen,alle drei Söhne Philipps des Älteren (1476-1551) (Abb. 5). Im Gegensatzzu den Glasgemälden, die Heinrich d. J. und seine Frauen darstellten, werden zu diesendrei Herzögen der jüngeren Generation Distichen mitgeteilt. Sie halten sich insehr allgemeinem Rahmen. In unserem Zusammenhang ist lediglich anzumerken, daßbereits ihr Vater zum lutherischen Glauben wechselte und sich erfolgreich bemühte,diesen in seinem Landesteil durchzusetzen 88 •Das dritte Fenster (nVI) vereint Erich den Älteren (1470-1540), Erich den Jüngeren(1528-1575) aus der Linie <strong>Braunschweig</strong>-Calenberg und und die Gemahlindes zweiten, Sidonia aus dem wettinischen Haus der Kurfürsten zu Sachsen(1518-1575) (Abb. 5). Für die beiden Erich, den Älteren und den Jüngeren, Vaterund Sohn, aus der Calenberger Linie des Herzogshauses werden Distichen mitgeteilt,nicht aber für Sidonia von Sachsen. Erich d. Ä., Bruder Heinrichs d. Ä. und damitOnkel Heinrichs d. J., war dem Kaiser und der katholischen Sache zwar treu - als jungerMann war er nach Jerusalem gezogen und hatte Jahre am Hof Maximilians verbracht,dem er freundschaftlich verbunden war -, doch nahm er der neuen Lehre gegenübereine versöhnliche Haltung ein und versuchte zwischen Heinrich d. J. und denlutherisch gesinnten Verwandten der Lüneburger und Grubenhagener Linien zu vermitteln.Gerade als dies von größtem Gewicht für den weiteren Gang der immer heftigerenAuseinandersetzung gewesen wäre, starb er jedoch, und zwar während desReichstages von Hagenau im Elsaß 1540 89 • Und darauf spielt das Distichon an.Auf den Glasgemälden des vierten Fensters (nVII) waren die Herzöge Franz Otto(1530-1559), Heinrich (1533-1598) und Wilhelm (1535-1592) zu sehen (Abb. 5).86 Vgl. die ausgezeichnete Biographie von R. TÄUBRICH, Herzog Heinrich der Jüngere von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel(1489-1568). Leben und Politik bis zum Primogeniturvertrag von 1535. Bs.1991."' StA WF, 2 Alt 2777, fo1.44.S8 P. ZIMMERMANN, Das Haus <strong>Braunschweig</strong>-Grubenhagen, ein genealogisch-biographischer Versuch,Wolfenbüttel 1911, Nr. 55 (Philipp d.Ä.). Ins Fenster gelangten die 1559 noch lebenden Söhne(Nr. 59, Nr. 67, Nr. 66). Ein erstgeborener namens Philipp starb noch als Kind, ein zweiter Sohn, AIbrecht(1521-1546), der in Wittenberg 1535 Rektor der Universität war, fiel als Rittmeister derSchmalkaldener; ein weiterer Sohn namens Philipp erreichte nur das achte Lebensjahr; der vierteSohn mit Namen Johann (1526-1557) fiel in SI. Quentin im spanischen Lager, wo auch seine überlebendenBrüder Ernst und Philipp gegen Karl V. kämpften.s, Neue Deutsche Biographie Bd. 4, Berlin 1959, S. 584 s. v. Erlch 1. Herzog von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg.Zur Beziehung Erlchs d.Ä. von <strong>Braunschweig</strong>-Calenberg zu Kaiser Maximilian s. M. NIx, DerAdler, der Löwe und die Lilie. Ein weiteres Lied Hermann Botes zur Hildesheimer Stiftsfehde? in:BsJb. 75 (1994) S. 73-84; v. a. S. 76f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 117Es sind dies drei Söhne des lüneburgischen Herzogs Ernst des Bekenners, der gemeinsammit dem Vater der Grubenhagener Brudertrias, die in das zweite Fenster gelangtist, ein besonders scharfer Gegner Heinrichs d. J. war, - einmal, weil er schonfrüh und energisch in seinem Landesteil, das im Süden an die Stadt <strong>Braunschweig</strong> angrenzte,auf die Einführung des lutherischen Glaubens sah, zum anderen, weil er sichden Übertritt <strong>Braunschweig</strong>s 1528 zum lutherischen Glauben zunutze zu machensuchte und dort die Gegner Heinrichs unterstützte, um sein eigenes politisches Gewichtzu stärken 9o . Das Distichon auf den ältesten seiner Söhne lautet: Kaum hatte diefischreiche Spree die Braut mit Franz Ouo verbunden - er hatte kurz vor seinem Todeeine Brandenburger Prinzessin geheiratet -, herrscht jetzt jene, des frommen Mannesberaubt. Diese Anspielung auf sein frühes Dahinscheiden und die junge Witwe gibtuns wiederum einen wichtigen Hinweis zur Datierung dieses Fensters, das erst nachseinem Tod am 29. April 1559 entstanden sein kann.Das fünfte Fenster (nVIII) schließlich zeigte die drei Söhne Heinrichs d. J.: KarlViktor (1525 -1553); Philipp Magnus (1527 -1553) und Julius (1528-1589). Eindrittes Mal also sind es drei Brüder der jüngeren Generation, die in einem Glasfenstergemeinsam verewigt wurden (Abb. 5). Das Distichon für den jüngsten der drei, HerzogJ ulius, der nach dem Tode seines Vaters 1568 den <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesteilregieren und dort, neben anderen wichtigen Reformen, die Reformation durchführenwird, nennt ihn den einzigen der drei Brüder, der noch am Leben ist; der Gott desKrieges raffte seine Brüder dahin, so heißt es. Es handelt sich um eine regelrechte Totenklage:Die beiden älteren Söhne Heinrichs d. J. - anders als Julius bis zu ihremEnde der katholischen Sache wie ihr Vater ergeben - fielen in der entscheidendenSchlacht von Sievershausen unweit von Peine im Juli 1553, auf der Gegenseite kostetesie den ältesten Sohn Erichs des Bekenners das Leben. In den Jahren nach 1553 verschlechtertesich das Verhältnis zwischen Heinrich d. J. und dem einzigen überlebendenSohn Julius zunächst zunehmend 91 .Terminus post quem der Herstellung der Fenster ist der Tod des lüneburgischenHerzogs Franz Otto am 29. April 1559. Zu dem Jahr 1559 wird im Staatsarchiv Wolfenbüttc1ein dünnes Briefkonvolut aufbewahrt 92 • Es sind die Reste eines Briefwechselsder Stiftsherren von St. Blasii mit den Herzögen von Calenberg, Grubenhagenund Lüneburg. Da schreibt man im Stift an Herwg Erich d. J., er möge 17 Taler fürdie Bildnisse seines Vaters, seiner Frau Sidonie und von ihm selbst bezahlen, die dieStiftsherren in die Fenster haben setzcn lassen, wie dies" von den anderen Patronenauch geschehen"93. Dieses Schreiben läßt sich auf das mittlere der fünf neu mit Glas-9" Neue Deutsche Biographie Bd. 4, Berlin 1959, S. 608 s. v. Ernst der Bekenner.9' Das schwierige VerhaItnis zwischen Heinrich d. 1. und Julius behandelt ausführlich W. -D. MOHRMANN,Vater-Sohn-Konflikt und Staatsnotwendigkeit. Zur Auseinandersetzung zwischen den HerzögenHeinrich d. J. und Julius von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüuel, in: BsJb. 76 (1995) S. 63-100.92 StA WF, 11 Alt Blas 297. Ein weiterer Brief hat sich im Hauptstaatsarchiv Hannover erhalten;CaI.Br. 21 Nr. 37.93 Aus dem Brief an Erich d. J. von <strong>Braunschweig</strong>-Calenberg vom 8. Juli 1559: "Wir geben Euern fürstlichenGnaden in Underthenigkeit zu erkennen, daß wir alhie in unserer Kirchen aller unser gnedigenPatronen Fenster und iren Waffen und Bildnussen in die Fenster haben richten und setzen lassen. Weill


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650118 G. Schwarz• 4gemälden versehenen Fenster beziehen. Es zeigt uns, wie die Stiftsherren die Glasbilderfinanzierten. Jede der Linien hatte für das Fenster aufzukommen, auf dem ihreAngehörigen abgebildet waren, so scheint es. Diese Annahme wird durch die übrigenerhaltenen Briefe bestätigt. Es liegt auch ein Schreiben aus Herzberg vom 22. September1559 vor, aus dem hervorgeht, daß die Herzöge Philipp, Ernst und Wolfgangdas Schreiben der Stiftherren mit der Bitte, die Glasfenster zu bezahlen, erhalten hätten,und geneigt seien, dem Ansinnen zu folgen. Damit sind auch die Kosten für daszweite Fenster - von der Grubenhagener Linie - übernommen worden. Die Bezahlungdes vierten Fensters ist durch ein kurzes Begleitschreiben aus Celle belegt, wo dieBrüder des verstorbenen Herzogs Franz Otto, Wilhelm und Heinrich aus der LüneburgerLinie, residierten. Sie schickten den Stiftsherren auf ihre Bitte am 27. September1559 15 Taler für das Fenster mit ihren Bildnissen. Ob die Stiftsherren oder -wahrscheinlicher - Herzog Heinrich d. J. von Wolfenbüttel die übrigen zwei Fensterbezahlte - das erste, das Heinrich zwischen seinen beiden Gemahlinnen zeigt, unddas fünfte, auf dem seine drei Söhne gemeinsam verewigt sind -, geht aus den nochvorhandenen Unterlagen nicht hervor, aber es ist kaum anders denkbar, als daß auchHeinrich d. J. seinen Anteil an der neuen Ausstattung mit Glasgemälden trug 94 • Unterden Gestalten waren außer der Titulatur und den Distichen auch die herzoglichenWappen ins Fenster gesetzt, läßt uns das erste Schreiben an Erich d. J. wissen.Im zweiten erhaltenen Brief an Erich d. J. nennt der Senior des Kapitels vonSt. Blasii den Grund für die Erneuerung der Glasfenster: "daß in diesen vergangenKriegs Jharen und Emporungen, darinnen Gehorsam und Ordnung selten gehaltenkann werden, die Fenster und Wapen S. F. G. Voreltern in diesem Stifft und unserKirchen Sancti Blasii gantz vernichtigt und außgeworffen sein, daß wir solehs S. F. G.Mitpatronen haben angezeigtt." Und den Anlaß seines Schreibens: "Als ist unß vonIhren F. G. befolen und zur Antwortt gegeben, wir solten solchs S. F. G. und anderenMitpatronen auch vermelden, und damit halten wie vor alters hergekomen, dieweilleß dann also hergebrachtt, daß die Patronen dieses Stiffts die Fenster und Wapen darinhaben gegeben und erhalten, wie dannoch heutigs tags die alten Fenster daß außnunEure fürstliche Gnaden derselben unsere gnedigen Patronen einer ist, als haben wir nicht alleinunserer fürstlichen Gnaden sondern auch Eurer fürstlichen Gnaden Herrn Vaters hochlöbliches Gedechtnusund Euer fürstliche Gnaden Gemahls Waffen und Bildnussen auch darein an seine gebürlicheStadt setzen lassen ...... Im Hauptstaatsarchiv Hannover ist ein Schreiben vom 23. September anErich d. J. erhalten (Cat.Br. 21 Nr. 37), wo noch einmal um die Zahlung von fünfzehn Talern für diesesFenster gebeten wird .Hinweise auf den Glasmaler, der diese Fenster herstellte, liegen nicht vor. Doch im Städtischen Museum<strong>Braunschweig</strong> haben sich drei annähernd zeitgleiche Glasfenster aus dem Chor der Katharinenkircheerhalten, die 1553 entstanden sein dürften, nach der Jahreszahl, die eines dieser Fenster bewahrt.Dankenswerterweise wies mich Prof. R. BECKSMANN, Freiburg, auf diese noch erhaltenen Fensterhin. Dazu B. BILZER, R. HAGEN, 1861-1961. Städtisches Museum <strong>Braunschweig</strong>. Ein Überblicküber die Sammlungen, Bs. 1961, S. 68 Nr. 1. Zu wenigstens einem dieser Fenster haben sich im Registerder Katharinenkirche des Jahres 1553 die folgenden Eintragungen erhalten (StadtA BS, F 14:51fot. lOv): 4 1/2s vor ein glasseffensther tho machen der parker( che)n; und weiter unten auf derselbenSeite: 23s Hans Ruedem dem smedhe vor 8 issem slanghen sowie auf der folgenden (fot. Ur): 4 marck22 1/2s Jost Gharwen dem glaser ghegewen vor ein nie ffensther up dhem koer hir lho ghedaen920ffenedessch schiwen (=venedische Scheihen, s.ohen Anm. 78). Und direkt anschließend daran: 8sHans Esseher dem smede vor 27 windltiserenn, 2 stanghen und 2 schock neggell.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 119weißen, daß sie von den Patronen S. F. G. Voreltern und andren Ihren Vettern in dieseKirche gegeben seint, wie augenscheinlich zu besehen."Die fünf Fenster (Abb. 5) bilden zusammengenommen eine Überschau über dievier Linien des welfischen Herzogshauses im Jahr 1559. Eindeutig dominiert die WolfenbüttelerLinie, da Herzog Heinrich zwischen seinen beiden Gemahlinnen das ersteFenster, seine drei Söhne das äußere Fenster auf der anderen Seite füllen. Es fällt insAuge, daß je drei Brüder der jüngeren Generation, die zwischen 1518 und 1533 geborensind, drei Fenster füllen: die Söhne der Herzöge Philipp von Grubenhagen imzweiten, Ernsts des Bekenners der Lüneburger Linie im vierten und Heinrichs d. J. imfünften Fenster. Aus Heinrichs Generation, recht besehen sogar der seines Vaters, istaußer ihm und seiner ersten Gemahlin Maria nur Erich d. Ä. im mittleren dritten Fenstervertreten.Aus dem Verhältnis Heinrichs d. J. zur Stadt <strong>Braunschweig</strong> und zu seinen Lüneburgerund Grubenhagener Vettern wird das Bildprogramm dieser neuen Glasgemäldebesser verständlich. Er galt - wie alle welfischen Herzöge - als Stadtherr und dasals Vertreter der Wolfenbütteler Linie in stärkerem Maße als die drei anderen Liniendes Hauses <strong>Braunschweig</strong>. Durch die Reformation geriet er in zunehmenden Gegensatzzur Stadt <strong>Braunschweig</strong>. 1525 beteiligte sich Heinrich d. J. an der Niederschlagungder Bauernhorden des Thomas Müntzer, was seine Einstellung zum lutherischenGlauben kennzeichnet 95 • Im Jahr 1526 wurden Gegensätze im Blasiusstift offenbar,als die Stiftsvikare zu Ostern eine deutschsprachige Messe abhielten und sich damit inoffenen Widerspruch zu Kapitelherren und Herzog stellten 96 • Es gärte schon seit Jahrenin der Stadt <strong>Braunschweig</strong>, die 1528 geschlossen zum lutherischen Glauben übertrat.Dem folgenden Bildersturm fielen viele der steinernen Einbauten in städtischenKirchen zum Opfer 97 • Das änderte nichts daran, daß in St. Blasii, St. Cyriaci undSt. Ägidien, die wie die Burg landesherrlicher Besitz waren, weiterhin nach altem RitusGottesdienst gefeiert wurde.Auf die Spitze getrieben wurde der Gegensatz zwischen Heinrich d. J. und derStadt, als <strong>Braunschweig</strong> sich 1532 dem Schmalkaldener Bund anschloß und 1538 fürdiesen gar die Bundesversammlung ausrichtete. Herzog Heinrich verweigerte demKurfürsten von Sachsen und dem Landgrafen von Hessen Philipp das Geleit durchsein Territorium. Er hinwiederum mußte es als Zumutung empfinden, daß in derBurg zu <strong>Braunschweig</strong> neben dem herzoglichen ein städtischer Vogt eingesetzt wurdeund seine Mitpatrone der Stiftskirche, die Herzöge Ernst der Bekenner und Philipp95 Heinrich d. J. stand zeitweilig den Thesen Luthers aufgeschlossen gegenüber, doch dürfte er, ausmachtpolitischen Erwägungen und Treue dem Kaiser gegenüber, zu keiner Zeit einen Übertritt erwogenhaben. Vgl. TÄUBRICH, Herzog Heinrich d. J. (wie Anm. 86) S. 80 f.96 Der Abschnitt folgt im wesentlichen W. SPIESS, Geschichte der Stadt <strong>Braunschweig</strong> im NachmitteIalter.Vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende der Stadtfreiheit (1491-1671), 2 Bde, Bs. 1966. Zuden Verhältnissen 1526 im Blasiusstift s. Bd. 1 S. 52. Außerdem wurde herangezogen G. HASSE­BRAUK, Heinrich d. J. und die Stadt <strong>Braunschweig</strong> 1514-1568, in: Jh. des Geschichtsvereins für dasHerzogtum <strong>Braunschweig</strong> 5 (1906) S. 1-61.97 Die ausgesonderten Steineinbauten - Lettner etwa, Heiligenstatuen, Grab- und Gedächtnissteine -wurden angeblich dazu verwendet, die Stadtmauer am Neustadttor auszubessern, dazu SPIESS, <strong>Braunschweig</strong>im Nachmittelalter (wie Anm. 96) Bd. 1, S. 62.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650120 G. Schwarzvon Grubenhagen, von denen der erste sich schon in den zwanziger Jahren dem neuenGlauben zuwandte, 1540 den katholischen Gottesdienst in St. Blasii und St. Cyriaciverboten. Als die Stiftsherren sich diesem Verbot widersetzten, wurde der herzoglicheVogt gefangengenommen und St. Blasii geschlossen - die Stiftsherren flüchteten nachHalberstadt. An diesem Punkt versuchte Erich d. Ä. von Calenberg zu vermitteln,doch sein Tod in Hagenau vereitelte diesen Versuch. Die Lage verschärfte sich weiter.Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann es zum bewaffneten Konflikt kommenwürde. Als Heinrich d. J. 1542 seine Truppen dem Kaiser gegen die Türken zuführte,schickten die Schmalkaldener Bündnispartner ihm den Fehdebrief (13. Juni 1542).Nun ging es Schlag auf Schlag: Ende Juli stürmten <strong>Braunschweig</strong>er Bürger Riddagshausenund Steterburg, wo auch die herzogliche Gruft geöffnet wurde und der Leichnamder erst vor wenigen Monaten gestorbenen Maria von Württemberg, Heinrichserster Gemahlin, den Schweinen zum Fraß vorgeworfen sein soll. Am 12. Augustwurde die Festung Wolfenbüttel übergeben, eine Woche darauf tagten die Schmalkaldenerin <strong>Braunschweig</strong> und kurz darauf nahm der Lüneburger Herzog Ernst der Bekennervon der Dechanei in der Burg Besitz. Mitte Oktober schlossen der Kurfürstvon Sachsen, der Landgraf von Hessen und die Stadt mit den "fürstlichen Patronen"- ohne Heinrich d. J. - einen Vertrag über die "Stiftskirche auf der Burg", und dieStiftsherren, aus Halberstadt zurückgekehrt, mußten den Schmalkaldern den Treueeidschwören und die lutherische Form des Gottesdiensts akzeptieren.Im Jahr 1545 scheiterte ein Rückeroberungsversuch Heinrichs, schlimmer noch, erund sein ältester Sohn Karl Viktor wurden gefangengenommen. Erst 1547, als sichdas Kriegsglüek wendete, wurden sie freigelassen. Heinrich sicherte zwar der Stadtfreie Religionsausübung zu, wollte aber nach dem Augsburger Reichstag in St. Blasiiden katholischen Gottesdienst wieder einführen - eine Provokation für die Stadt. Dieseit 1550 andauernden Scharmützel zwischen katholischer Liga auf der einen, denSchmalkaldern auf der anderen Seite wurden am 9. Juli 1553 durch die Schlacht beiSievershausen für Heinrich und seine Bündnisgenossen entschieden. Der folgendeWolfenbütteler-<strong>Braunschweig</strong>er Friedensvertrag hatte den Charakter eines Kompromisses;er sicherte die freie Religionausübung in der Stadt und erklärte den Verzichtauf den katholischen Gottesdienst in der Stiftskirche; aber die Stadt mußte sich erneutdem Herzogshaus - angeführt von der Wolfenbütteler Linie - unterordnen. Sie erkanntein Heinrich eher den Stadtherrn an als in dem Sohn Erichs des Bekenners, dernach dem Tode seines Vaters 1546 den lüneburgischen Landesteil regierte. Als dieTürkensteuer eingezogen werden mußte, versuchten beide, diese zu erheben; gezahltwurde sie an Heinrich d. J. Den Jahreswechsel 1554 auf 1555 feierte Heinrich in undmit der Stadt <strong>Braunschweig</strong> - sichtbarer Ausdruck guten Willens auf beiden Seiten.Heinrich d. J. nahm Quartier bei Franz Kaie, der seit 1536 immer wieder in dreijährigemTurnus als Großer Bürgermeister der Altstadt tätig, und dann Repräsentant derGesamtstadt war - und in den vorangehenden Jahrzehnten einer seiner schärfstenGegner im Rat gewesen war.Als 1559 die Stiftskirche mit den später so häufig gerühmten Glasgemälden ausgestattetwurde, setzte man auch damit ein Zeichen. Die Bildnisse in den Fenstern warenMemoria und Memento mori zugleich für die in der Schlacht von Sievershausen ge-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 121fallenen Söhne Heinrichs d. J. inmitten ihrer noch lebenden Vettern der Lüneburgerund Grubenhagener Linien, Memoria auch für Heinrichs erste, so schmählich von derVolkswut behandelte Gemahlin, aber auch für seinen älteren und letzten Parteigängerin Norddeutschland, Erich d. Ä. Die beiden früh zum lutherischen Glauben übergetretenenVettern, Ernst den Bekenner und Philipp von Grubenhagen, setzte mannicht ins Bild. Die Glasfenster von 1559 stellen überwiegend die lebenden Herzögealler Linien einträchtig nebeneinander dar; sie erinnern zugleich daran, daß alle linienRechte an der Stiftskirche hatten, die sich z. B. seit Jahrhunderten in der Präsentation,d. h. dem Recht, die Stiftsherren in festgelegtem Turnus zu bestellen, äußerten.Mit der Bezahlung kamen die braunschweigischen Her.löge aller Linien einer ausder Tradition gewachsenen Verpflichtung, diese Fenster zu erhalten und gestalten,nach, wie dies auch die früheren Stadtherren von Nürnberg, die Markgrafen vonBrandenburg-Ansbach für ein Fenster der Sebalduskirche in der Reichsstadt taten, alssie dessen Glasmalereien 1514 erneuerten 98 • Es sei daran erinnert, daß 1471/72 daszweite Fenster (nV) von dem Wolfenbütteler Herzog Heinrich gestiftet worden war.Die Vermutung, daß damals auch das erste und dritte Fenster (nIV und n VI) von welfischenHerzögen, nämlich der Lüneburger und der Grubenhagener Linie, bezahltworden seien, wird in den Schreiben der Stiftsherren aus dem Jahr 1559 bestätigt.Das Wappenfenster der <strong>Braunschweig</strong>er Patrizier und seine DatierungÜber die Jahrhunderte hat sich länger als alle anderen ein Fenster des Nordseitenschiffeserhalten, von dem noch nicht die Rede war. Es wird bei Rehtmeyer 1707 daserste Mal beschrieben: "In dem Fenster gegen Westen sind noch zu sehen die Namenund Wapen der alten <strong>Braunschweig</strong>ischen Patricien-Geschlechter, welche zweiffelsohndiese Kirche werden beschenket haben. Oben über stehet mit lateinschen Buchstaben:Anno 1700 sind diese Wapen der Patricien in <strong>Braunschweig</strong>, in der Ordnung,wie sie vor gar alten Zeiten hero in diesem Fenster gestanden, wieder erneuert." Undes folgen, offensichtlich ebenso angeordnet wie vor der Renovierung von 1700, dieNamen der Patriziergeschlcchtcr in drci Bahncn, von denen die beiden äußeren Bahnenje acht, die mittlere sieben Namen übereinander enthalten 99 :98 Das sog. Markgrafenfenster (sll) der Sebalduskirche in Nürnberg, wurde von den früheren Stadtherren,den Grafen von Brandenburg-Ansbach, alter Pflicht nach, dieses Fenster zu erhalten, 1514/15ausgetauscht: Es zeigt die markgräfliche Familie unterm Kreuz: Friedrich der Ältere von Brandenburg-Ansbachmit seiner Gemahlin Sophia von Polen sowie in den Feldern darunter angeordnet achtihrer Söhne, s. dazu F. R. HOFMANN, Das Markgrafenfenster in Sankt Sebald zu Nürnberg, in: Hohenzollem-Jb.9 (1905) S.67-77; zu seiner kunsthistorischen Einordnung s. SCHOLZ, Entwurf (wieAnm. 78), S. 153-163. Die fünf nebeneinander angeordneten Fenster des Nordseitenschiffs vonSt. Blasii, die die vier Linien des welfischen Hauses vorführen, enthalten allerdings, ihrer Entstehungszeitentsprechend, ein politisches Programm.99 REHTMEYER, Kirchenhistorie (wie Anm. 80) S. 107. - Auch um die Mitte des 19. Jhdts wurde diesesWappenfenster noch einmal renoviert. Dazu StA WF, 76 Neu, Fb.2, Nr. 2774; vgl. KOCH, Innenraum(wie Anm. 1) S. 493 mit Anm. 70. - W. A. lÜNKE, Zerstörte Kunst aus <strong>Braunschweig</strong>s Gotteshäusern.- Innenstadtkirchen und Kapellen vor und nach 1944 -, Groß Oesingen 1994, bildet mehrereFotos mit Fenstern des Nordseitenschiffs ab, die in der Zeit nach der Umgestaltung von 1935 bis 1940


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650122G. Schwarz"Die KahlenDie von DammDie von der LeineDie BreigerDie von WalbeckenDie Reinerdes (lies: Remerdes)Die von KalmeDie EhlersDie DöringeDie ScheppcnstedtDie VelstedtDie SchwalenbergeDie WittekoppeDie von PeineDie von BrockeDie von VecheldDiePaweleDie GlümerDie von StrombeckDie HornburgeDie TwedorpffeDie von BreutzenDie Barpke."Wenn wir die von Rehtmeyer überlieferte Aussage in dem Fenster ernst nehmen:" ... in der Ordnung, wie sie vor gar alten Zeiten hero in diesem Fenster gestanden" ,ist aus den Namen der aufgeführten Patriziergeschlechter und der Stellung ihrer Wappeninnerhalb des Fensters vielleicht zu erschließen, wann dieses Fenster entstand.Gibt es Familien, deren Wappen in diesem Fenster dargestellt waren, die vor allemin der Zeit kurz vor oder um 1470 in der Stadt eine wichtige Rolle spielten? Oderspiegelt das Fenster eher die politische Situation der Zeit um 1559? Wurden die Glasmalereienauch dieses Fensters ausgetauscht und möglicherweise an die Stelle deseinst vom Rat der Stadt <strong>Braunschweig</strong> gestifteten Fensters gesetzt?Die <strong>Braunschweig</strong>er Ratsverfassung ist besonders komplex, weil <strong>Braunschweig</strong>sich aus fünf Weichbilden oder Teilstädten zusammensetzt, die alle ihren eigenen Ratwählten. Nur aus ihrer Kenntnis werden die Positionen einzelner Patrizier und ihrerFamilien in der Stadt verständlich 100. Alle drei Jahre wurde in jedem derfünf WeichbildeAltstadt, Hagen, Neustadt, Altewiek und Sack von den Bauerschaften der Rateines jeden Stadtteils gewählt. Alle zusammen, 103 Personen, bildeten den VollenRat, aus dem jeder der Teilstadträte eine nach der von 1346 bis 1614 gültigen Verfassungfestgelegte Anzahl Ratsherren, nämlich die alle drei Jahre gewählten Bürgermeiundvor den Kriegszerstörungen 1944 aufgenommen wurden. Darunter sind zwei Wappenfenster. Beidem einen handelt es sich um ein dreihahniges Fenster, vermutlich das, in dem die Wappenscheiben"seit alters" eingesetzt waren; vgl. JÜNKE (wie oben) S. 140. Die Wappenfelder sind nur schwach erkennbar,doch dürften in der untersten Reihe nicht die Wappen der Ehlers, Broke und Barbke stehen,wie nach Rehtmeyers Aufstellung zu erwarten wäre, sondern es sind vage die der Broitzem, van Dammund von der Leine zu erkennen. Das würde bedeuten, daß bei der Renovierung des 19. Jahrhunderts,oder bereits bei einer vorangehenden, von der wir keine Nachricht haben, die Reihenfolge der Wappenverändert wurde. Das andere stand im ersten Fenster im Osten (Ji:NKE wie oben S. 133) und zeigt daszwölffeldrige Gesamtwappen des Herzogtums <strong>Braunschweig</strong> mit dem Sachsenroß in der Helmzier unddem 1834 gestifteten Orden Heinrichs des Löwen, s. die Beschreibung von H. BÖnGER, Das braunschweig-lüneburgischeWappen zur Feier des tausendjährigen Bestehens der Stadt <strong>Braunschweig</strong> herausgegeben,Hannover 1861. Das dritte, mit Figuren geschmückte Fenster des Nordseitenschiffs, dasim Foto festgehalten ist und in dem Heinrich der Löwe zwischen Bernhard von Oairvaux und demHl. Norbert steht; vgl. JÜNKE (wie oben) S. 134, wurde 1865 von dem <strong>Braunschweig</strong>er Maler L. Tackeentworfen und 1873 fertiggestellt; s. G. SPIES, Der <strong>Braunschweig</strong>er Historienmaler L. Tacke(1823-1899) (= Arbeitsberichte aus dem Städtischen Museum Bs. 21), Bs. 1972, Nr. 65 S. 14. Möglicherweisespiegelt sich darin noch das Konzept der Fürstenfenster von 1559. Seine Stellung in derFensterreihe ist aus dem Foto nicht zu erschließen.100 Über die politischen Aktivitäten der Mitglieder dieser Familien gibt Auskunft S. REIDEMEISTER, Genealogien<strong>Braunschweig</strong>er Patrizier- und Ratsgeschlechter (= Werkstücke aus Museum, Archiv und<strong>Bibliothek</strong> der Stadt Bs. 12), Bs. 1948. Wichtige Informationen enthält darüber hinaus W. SPIESS, DieRatsherren der Hansestadt <strong>Braunschweig</strong> 1231-1671 (= Bsger Werkstücke 42), Bs. 1970.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fensterstiftungen für den Blasiusdom 123ster in den sog. Küchenrat (später Engen Rat) zur Verwaltung der gesamten Stadt,entsandte. Jeder dieser drei Bürgermeister führte lediglich in einem der drei Jahre dieGeschäfte als amtierender Bürgermeister; die anderen beiden fungierten als Beisitzeroder Berater. Die traditionsreiche Altstadt dominierte diese, wie die Zahl der Bürgermeisterzeigt: Es kamen nämlich für jedes Jahr je zwei aus Altstadt und Hagen, dersog. Große Bürgermeister und der Kleine Bürgermeister, und nur je einer aus Neustadt,Altewiek und Sack. Da das Bürgermeisteramt jährlich wechselte, die Wahlenaber nur jedes dritte Jahr stattfanden, waren in Altstadt und Hagen sechs, in der Neustadt,Altewiek und im Sack drei Bürgermeister gleichzeitig zu wählen, das macht zusammennicht weniger als 21. Alle diese Repräsentanten der Teilstädte bildeten dieeigentliche Stadtregierung. Der jeweils ein Jahr amtierende Große Bürgermeister derAltstadt hatte den Vorsitz im Küchenrat und war Repräsentant der gesamten Stadt.Jede Teilstadt besaß ihre Kämmerei; dazu kam als sechste die der Gemeinen Stadt,deren Vermögen die drei Küchenkämmerer der Altstadt und der sog. Bruchkämmereraus der Neustadt verwalteten. Letzterer war für die Rechnungslegung der Küchenkämmerei(also der gesamten Stadt) verantwortlich. Die 21 auf drei Jahre gewähltenBürgermeister aller Teilstädte und der Bruchkämmerer aus der Neustadt bestimmtenalso im wesentlichen das Geschick der ganzen Stadt 101 • Die Gerichtsherren waren fürdie Rechtsprechung verantwortlich.Mitglieder aller Patrizierfamilien, deren Wappen in dem Fenster zu sehen waren,haben wichtige Funktionen in ihrem Stadtteil oder in der allgemeinen Stadt wahrgenommen- und das über Jahrhunderte, wie der anschließende grobe Querschnittzeigt: Nach der sog. Hollandsehen Schicht, dem folgenreichen Aufstand des Jahres1488, dankten die Ratsherren ab, die in einer der Teilstädte und der Gesamtstadt führendgewesen waren. Unter diesen 22 Personen sind - und wir folgen den Wappenund Namen im Fenster als Richtschnur - Angehörige der Doring, Scheppenstede,Glümer, Breyer, Horneborg, Twedorp, Kalm und Broitzem (neben anderen, derenWappen nicht im Fenster erscheinen)102. Die Namen führender <strong>Braunschweig</strong>er ausPatrizierfamilien, die nach der Brabandtschen Revolution im Jahr 1602 abdankten,gehören zum Teil wiederum denselben Familien. Da sind es Angehörige der FamilienKaIe, Doring, van Damm, Scheppenstede, Strombeck, Walbeck, Wittkop, Horneborg,Twedorp, Kalm (neben anderen, deren Wappen nicht im Fenster erscheinen),während sowohl 1488 wie 1602 diejenigen, die sie ersetzen, nicht aus namhaften Familienstammen 103 • Soviel wird klar: Alle Familien, deren Wappen in das Fenster gelangten,nahmen im politischen Leben der Stadt über lange Zeit hin eine Vorrangstellungein.101 Die Ratsverfassung <strong>Braunschweig</strong>s erklärt SPIESS, Ratsherren (wie Anm. 100) S. 15-20.102 Nach SPIESS, Ratsherren (wie Anm. 100) S. 33 f.103 Nach SPIESS, Ratsherren (wie Anm. 100) S. 39 f. - Es wäre möglich, eine drine Schnittstelle gleicherArt zu legen. Im Jahr 1529 wurden diejenigen Ratsherren abgelöst, die am alten Glauben festhielten,nachdem der Rat aller fünf Weichbilde, die gemeine Stadt und alle städtischen Pfarreien und Korporationendas lutherischen Bekenntnis gemeinsam annahmen. Doch gehen in diesem Fall die Frontenquer durch alle Familien, so ist von einer solchen Analyse abzusehen. S. dazu SPIESS Ratsherren (wieAnm. 100) S. 36f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650124 G. SchwarzWelche Geschlechter traten vor allem - oder mehr noch: ausschließlich - um 1470in besonderer Weise hervor? Um 1470 spielen nur Angehörige von drei Familien, derenWappen ins Fenster gelangten, eine Rolle in der Stadtverwaltung. Aus der Familievon Velstede, einer Ratsfamilie von Goldschmieden und Gewandschneidern aus derAltstadt, war Hinrik von Velstede von 1457 bis 1474 als Stadtkämmerer tätig. Hinrikvon Walbeck, der 1435 von Helmstedt nach <strong>Braunschweig</strong> wechselte und zunächstRatsherr der Altstadt, dann Bruchkämmerer und Kleiner Bürgermeister wurde, warzwischen 1464 und 1483 schließlich Großer Bürgermeister. Von keinem seiner Nachfahrenist eine ähnliche Karriere bekannt. Die van dem Brocke hatten wichtige Ämtervor allem im 15. Jahrhundert und bis 1523 inne.Vor und um 1559 sind es andere Geschlechter, deren Wappen in dem Fenster zusehen waren, von denen auch einzelne in den Wirren der Reformationszeit das Geschickder Stadt <strong>Braunschweig</strong> bestimmten (Abb. 6). Wir wollen sie - mit Ausnahmeder Familien von Velstede, von Walbeck und van dem Brocke, die nachweislich um1470, aber nicht mehr um1559 und in den Jahrzehnten zuvor im öffentlichen Lebender Stadt eine Rolle spielten - Revue passieren lassen, und dabei im wesentlichen nurdrei Fragen nachgehen.Zum ersten: Sind unter den Wappen solche von Familien, deren Mitglieder 1559im Rat der Teilstädte oder sogar im Engen Rat - und damit in der Stadtregierung -mitwirkten? Diese Frage trifft in überraschender Weise ins Schwarze, denn von den23 durch Wappen im Fenster hervorgehobenen Patriziergeschlechtern ist aus 15 wenigstensein Familienmitglied, bei einigen sind sogar mehrere im Jahr 1559 in derStadt politisch tätig 104 • Mit den zwei gleichzeitig das Amt des Großen Bürgermeistersder Altstadt wahrnehmenden Patriziern Herman von Vecheld und Henning van104 Mitglieder folgender Familien waren 1559 im Rat einer Teilstadt oder im Engen Rat der Gesamtstadtfaßbar - in der Reihenfolge, wie die Wappen der Patriziergeschlechter von links oben nach rechts untenim Fenster erscheinen -: Als Kleiner Bürgermeister der AltstadtJobst Kaie von 1541 bis 1559 (seit1560 Großer Bürgermeister). Hans Doring gehörte dem Rat der Altstadt als Küchenkämmerer an undwar als solcher auch im Engen Rat (1563 wird er Großer Bürgermeister). Vor Jobst Kaie u. a. nahmenHermen van Vecheld (von 1543 bis 1559), Henning van Damm (von 1551 bis 1565) das Amt des GroßenBürgermeisters der Altstadt wahr, während Bemt von Scheppenstede (von 1542 bis 1557 oder1559) wie Hans Doring und Gerke Pawel Küchenkämmerer der Altstadt war - und als solche warenalle drci ebenfalls im Engen Rat. Von Bodo von Glümer ist bekannt, daß er seit 1557 dem Altstadtratangehörte (und 1565 Kleiner Bürgermeister werden würde). Dietrich von der Leine war zwischen1543 und 1574 immer wieder im Rat der Altstadt und zwar als Gerichtsherr, Küchenkämmerer (1562)und später als Kleiner und Großer Bürgermeister. Er ist in diesem Jahrhundert der einzige politischaktive Angehörige seiner Familie. Bodo von Velstede war im Rat der Altstadt und zwischen 1551 und1557 dort Gerichtsherr. Bodo Glümer seit 1557 im Altstadtrat. Im Engen Rat war Hans Schwalenbergals Kleiner Bürgermeister des Hagens (ab 1551, er wurde 1567 zum Großen Bürgermeister gewählt).Melchior von Strombeck gehörte zwischen 1553 und 1561 dem Rat der Altstadt an - vielleicht war erGerichtsherr. Ludeke Remmerdes gehörte als Kleiner Bürgermeister der Altstadt (seit 1537) nachweislich1559 dem Engen Rat an, ebenso wie Olto l\vedorp, der zwischen 1552 und 1565 als Bürgermeisterder Neustadt fungierte, nicht anders als Bemt von Broitzem (von 1552 bis 1559); sein VerwandterLuthert von Broitzem war gleichzeitig Ratsherr der Altstadt. Autor von Peine war zwischen1551 und 1563 Kleiner Bürgermeister der Altstadt, Hinrik von Peine im Rat der Altewiek(1536-1567). Olrik Ehlers war ab 1539 im Rat des Hagen und zwischen 1557 und 1566 als GroßerBürgermeister im Engen Rat. Hermen Ehlers d. J. war zwischen 1551 und 1567 im Rat der Altewiekund 1559 dort Gerichtsherr.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Fensterstiflungen für den Blasiusdom125~ ~KALE DORING v.VECHELDA A Av. DAMM SCHEPPEN- PAWELA STEDE A Av.d. LEINE VELSTEDE GLÜMERA A ABREYER SCHWALEN- v.STROM-A BERG H BECK Av.WALBECKAHORNEBORGHREMMERDES WITTKOP TWEDORPA H Nv. KALM v.PEINE v.BROITZEMH A NEHLERS v.d.BROCKE BARBKEH.AWAbb. 6:Das Fenster mit den Bürgerwappen (1559), in der Anordnung nach Rehtmeyer(A =Altstadt, H=Hagen, N=Neustadt, A W=Altewiek)Nhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650126 G. SchwarzDamm sowie Gerke Pawel, Hans Doring und Bernt von Scheppenstede (?) als Küchenkämmerernder Altstadt im Engen Rat, deren Familienwappen in den beidenoberen Reihen des Fensters standen, begegnen wir den Hauptrepräsentanten derStadt aus dem Jahr 1559. Es erscheinen auch die Wappen von zwei Kleinen Bürgermeisternder Altstadt des Jahres 1559 im Fenster (Jobst KaIe, Autor von Peine), nichtanders als die von zwei Gerichtsherren dieser die Stadt dominierenden Teilstadt(Bodo von Velstede, von Melchior von Strombeck?). Zwei Bürgermeister der Neustadt(Otto Twedorp, Bernt Broitzem) und je ein Großer und Kleiner Bürgermeisterdes Hagens sind ebenfalls vertreten (Olrik Ehlers, Hans von Schwalenberg). Aus demWeichbild Altewiek sind die Wappen des Gerichtsherrn Hinrik von Peine und einesRatsmitgliedes ins Fenster gekommen. Da 1560 ein Wahljahr (ein sog. Körjahr) war,an dessen Anfang in allen Teilstädten die Wahlen der Bürgermeister, d. h. der Stadtregierung,für die kommenden drei Jahren anstand, signalisiert diese Häufung vonWappen so vieler Bürgermeister (vier aus der Altstadt, je zwei aus dem Hagen undaus der Neustadt), den drei Küchenkämmerern und zwei Gerichtsherren der Altstadt,sowie einem solchen aus der Altewiek, daß das Wappenfenster der <strong>Braunschweig</strong>erPatrizier etwa im gleichen Zeitraum wie die Fenster mit den Fürstenbildnissen entstandensein dürfte.Zum zweiten: Erweitern wir den Zeitraum, der interessiert, auf die drei Jahrzehntevor 1559 und fragen, ob Wappen von Persönlichkeiten, die in dieser bewegten Zeitder religiösen Auseinandersetzungen für die Stadt <strong>Braunschweig</strong> wichtig waren, imFenster auftauchen. Da ist an erster Stelle an den Großen Bürgermeister der Altstadt,Franz KaIe, zu erinnern, dessen Wappen als erstes oben links im Fenster stand. Erführte die Geschicke der Stadt jedes dritte Jahr seit 1536 bis 1556 und war vielleichtder erbitterteste Gegner Herzog Heinrichs d. J. Als Repräsentant der Stadt war erHeinrichs Gastgeber bei der Sylvesterfcier, die Herzog und Stadt zum Zeichen ihrerVersöhnung 1554 auf 1555 gemeinsam feierten. Aber auch die Wappen anderer GroßerBürgermeister der Altstadt, die sich in der Leitung der Stadtregierung in alljährlichemTurnus abwechselten, sind aus dieser Zeit ins Fenster gesetzt worden. GerkePawel, gleichnamiger Enkel des Großen Bürgermeisters während der HollandschenSchicht 1488, nahm dieses Amt in den Jahren zwischen 1506 und 1540 wahr; LudelefBreyer in den Jahren zwischen 1521 und 1535, d. h. in der Zeit des Religionswechselsund den damit einhergehenden Unruhen. Cort Horneborg war in Jahren zwischen1524 und 1532 Kleiner Bürgermeister des Hagen, Albert Kalm dagegen 1538, als derSchmalkaldische Bund in <strong>Braunschweig</strong> die Bundesversammlung hatte, dort GroßerBürgermeister.Alle diese Anzeichen sprechen dafür, daß auch dieses Fenster mit den Wappen alterbraunschweigischer Patriziergeschlechter in dem Jahr 1559 oder kurz zuvor ausgetauschtund neu gestaltet wurde. Es bleibt, drittens, die Frage, ob es 1559 aktuelleGründe gab, das Wappen der noch nicht genannten Familie Wittkop aus dem Hagenin dieses Fenster setzen zu lassen, das in der politisierten Atmosphäre jener Zeit ebenfallsprogrammatischen Charakter hatte. Auch sie hatten Vorfahren, auf die sie zurechtmit Stolz verweisen konnten, nicht anders als die übrigen Familien, deren Wappenins Fenster gelangten. Gcrwin Wittkop hatte sich in und nach der Hollandsehen


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Fenstersti/tungen für den Blasiusdom 127Schicht von 1485 bis 1508 als Großer Bürgermeister bewährt; doch das Wappen derWittkop wurde wohl eher ins Fenster gesetzt, weil sein gleichnamiger Enkel, der beiMelanchthon in Wittenberg studiert hatte, 1553 Pastor zu St. Blasii geworden war.(Kaum anders dürfte auch das Strombecksche Wappen ins Fenster geraten sein. Derbereits erwähnte Me1chior von Strombeck war 1532 bei Mclanchthon in WittenbergStudent gewesen und nun im Rat der Altstadt.) Die Angehörigen der angesehenenFamilie Horneborg aus dem Hagen hatten außer Ratsmitgliedern im 15. Jahrhundertimmer wieder Stiftsherren von St. Blasii gestellt 105 • Einer von ihnen war auch 1559dort Stiftsherr, während andere Familienmitglieder gleichzeitig lutherische Geistlichewaren. Stellt man die Frage nach der Religionszugehörigkeit während der vorangegangenenbewegten Jahrzehnte, so ist auch in anderen Familien, deren Wappen imFenster erscheinen, ein bewegtes Auf und Ab erkennbar. Wer nämlich 1528 dem EngenRat und damit der Stadtregierung angehörte und sich nicht bereit fand, den vonden Räten der TeiIstädte, dem Engen Rat, allen städtischen Pfarreien und Korporationengemeinsam gefaßten Entschluß, zum lutherischen Glauben zu wechseln, mitzutragen,mußt als "Papist" 1529 aus dem Amt scheiden. Zu ihnen gehörten Angehörigeder Familien Glümer, von Kalm und Barbke. Ihre Wappen wären allerdingskaum in das Fenster gelangt, wenn nicht eine Generation später ihre Söhne oder Neffenwieder in öffentliche Ämter gewählt worden wären.Diese Revue wichtiger <strong>Braunschweig</strong>er Familien bedient sich der ins Fenster gesetztenWappen als Leitfaden, um Anhaltspunkte für die Entstehungszeit des Fensterszu erhalten. Sie zeigt, daß nach der Stellung ihrer hervorragenden Vertreter inder Verwaltung der Stadt <strong>Braunschweig</strong> auch dieses Fenster wahrscheinlich um dasJahr 1559 und damit etwa gleichzeitig wie die Fürstenbildnisse entstand. 17 Angehörigedieser Patrizierfamilien sind 1559 im Rat ihrer TeiJstadt, zwölf von diesen bestimmenals Bürgermeister oder Küchenkämmerer der Altstadt das Geschick <strong>Braunschweig</strong>sim Engen Rat. Andere dieser Familien wie die Wittkop und Horneborg steilenGeistliche beider Glaubensrichtungen. Die Vorherrschaft der Altstadt ist mit14 Wappen in diesem Fenster überdeutlich. Anschauungsmaterial zu den Wappenbietet das Schichtbuch des Hermann Bote von 1514. Es enthält in einem Abschnitt dieWappen aller genannten Geschlechter - neben solchen vieler anderer <strong>Braunschweig</strong>erFamilien 106.In diesen Patrizierfamilien gab es einzelne Mitglieder, die sich schon früh klar zumlutherischen Glauben bekannten. Andere waren dem alten Glauben über 1528 hinaustreu und mußten ihre Ämter in den Teilstädten oder im Engen Rat 1529 aufgeben."I> Einer von ihnen ist Luder Horneborch, der Stiftsherr, der zwischen 1466 und 1472 die Baukasse fürden Neubau de.~ nördlichen Seitenschiffs führte. Vgl. oben S. 93 Anm. 19.106 Das Original des Schichtbuchs von H. Bote besitzt die Herzog August <strong>Bibliothek</strong> in Wolfenbüttel;s. auch: Die Chroniken der niederdeutschen Städte. ßraunschweig, Leipzig 1880,2. Bd. S. 491 f. Dortist der einleitende Text wörtlich abgedruckt; statt der Wappenzeichnungen sind die Namen der Familienaufgezählt, deren Wappen abgebildet sind. - Dr. WIEHE, Alte Glasmalerei in <strong>Braunschweig</strong>, in:SI. Lucas. Deutsche Glaser-Zeitung 39, 1928 (Nummer 26), S. 244-249, weist auf verschiedene insStädische Museum gelangte Wappenscheiben des frühen 17. Jhdts. hin, darunter sind auch die Wappender Pawel, van Damm, von Broitzem, Horneborg, von Peine, von Kalm, Ehlers, Strombeck,Scheppenstede.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650128 G. SchwarzErst ihre Nachkommen übernahmen wieder politische Ämter in der Stadt. Auch diesesFenster mit den vermutlich 1559 eingesetzten Wappen führt vor Augen, daß nachden unruhigen Jahrzehnten voller Spannung in Glaubensfragen, die die Familien, dieStadt und ihre Führung gespalten hatten, nun wieder - einmal mehr - in der städtischenVerwaltung die seit alters herrschenden Familien gemeinsame Sache machtenund die Geschicke ihrer Stadt fest in der Hand hatten. Ebenso wie die fünf Fenster mitden Bildnissen der verschiedenen Linien des <strong>Braunschweig</strong>ischen Fürstenhauses spiegeltes, nach der von Rehtmeyer überlieferten Liste der Patrizierwappen, denWunsch, diesmal von Stift und Stadt, versöhnlich miteinander umzugehen 107 •107 Zwei Generationen später, 1601, entstanden die Pläne für Wappenfenster für die Stiftskirche in Ramelsloh;s. D. BKOSIUS, Zur Geschichte des Stifts Ramelsloh im Mittelalter, in: Lüneburger Bll. 25/26(1982) S. 27-70 mit Anhang 11: Zur Baugeschichte der Stiftskirche, S. 61-67. Man wollte neben dendrei Fenstern des Chores aus dem 15. Jahrhundert (s. oben Anm. 69 und 70) die übrigen 15 Fenstermit den Wappen füllen. Die ersten drei waren den Welfen der Lüneburger Linie sowie ihren durchHeirat verbundenen Verwandten vorbehalten, das vierte der Dannenberger Nebenlinie; das für Wappender Land- und Hofräte des Fürstentums Lüneburg; die folgenden vier dem Adel des FürstentumsLüneburg; das zehnte Fenster war den Mönchen des Michaelisklosters in Lüneburg und Stiftsherrenaus Bardowick zugedacht. Im elften Fenster plante man, die Wappen der Hofgeistlichkeit einzusetzen;im zwölften die der Ramelsloher Stiftsherren und Vikare und von Äbtissinnen der lüneburgischenFrauenklöster, doch ein zweiter Entwurf sah dieses Fenster für die Wappen von Städten und Heckendes Fürstentums vor. Die letzten drei Fenster waren für nachgeordnete Amtsleute vorgesehen. Brosius(ebd. S. 64) spricht von einem "auf Glas gemalten Staatshandbuch des Fürstentums Lüneburg für dasJahr 1601, .. ", welches Fürstenhaus, die Landstände mit Ritterschaft, Prälaten und Städten sowie dieBeamtenschaft in Kanzlei und Ämtern nahezu vollständig erfaBte".


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Der Haushalt der <strong>Braunschweig</strong>er WitweLucie Kubbeling im Spiegel einer Rechnungdes Jahres 1520Der moimen register deß hußholdenvonKerstin Rahn1. Die QuelleDer moimen register des hußholden - so lautet die Überschrift einer im Stadtarchiv<strong>Braunschweig</strong> überlieferten, in mittelniederdeutscher Sprache verfaßten Ausgabenrechnungaus dem Jahr 1520'. Sie liegt nicht im Original vor, sondern in der zeitgenössischenAbschrift des öffentlichen Notars Henrik Spange, der durch seine eigeneHandschrift die völlige Übereinstimmung der Copia mit dem Original bezeugt2. Siebefindet sich in einer Akte, die weitere notariell bestätigte Abschriften enthält: dasTestament des <strong>Braunschweig</strong>er Bürgers Tile Kubbeling von 1520, ein Inventar seinesBesitzes, Rechnungen über Einnahmen aus dem Verkauf von Waren, Aufstellungenseiner Witwe Lucie über Ausgaben für die Kinder aus den Jahren 1520 bis 1531 sowieVerträge über den Nachlaß.Die Überschrift Der moimen register . .. läßt den Schluß zu, daß die Abrechnungvon einer Frau - der moime - verfaßt worden sein muß. Der mittelniederdeutscheBegriff kann sowohl die Mutter- oder Vaterschwester, die Mutter oder jedes weiblicheWesen 3 bezeichnen. Das Register ist in der ich-Form geschrieben, wie der Eintrag vimathier vor ii budel Metken und meck 4 zeigt. Da alle Personen des Haushaltes mitAusnahme der Witwe Tile Kubbelings, Lucie, namentlich genannt werden und dieseüberdies im Testament ihres verstorbenen Mannes als mome bezeichnet wird, kannnur sie die in notarieller Abschrift vorliegende Rechnung, vermutlich anläßlich einergerichtlichen Auseinandersetzung um das Erbe, konzipiert haben.Die Quelle besteht aus vier Blättern, auf denen in chronologischer Folge sämtlicheAusgaben des Haushaltes von der Fastenzeit bis zum Sonntag nach der Gemeinwo-I Stadtarchiv <strong>Braunschweig</strong>. Sacksche Sammlung H V Nr. 202, Sp. 143ff.2 H V Nr. 202, Sp. 148a.) Vgl. August LÜ88EN, Mittelniederdeutsches lIandwörterbuch, Darmstadt 1980, S. 234.• H V Nr. 202, Sp. 145.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650130 K. Rahnche, dem 7. Okt. 1520 5 aufgeführt sind. Jedes Blatt ist in zwei Spalten eingeteilt undjede Spalte umfaßt 25 bis 32 Einträge. Notiert wurden die ausgegebene Summe, derAusgabezweck, der Tag des Kaufes und gelegentlich die Person, für welche die Aufwendunggetätigt worden ist. Am Ende jeder Spalte sind die Beträge addiert und amSchluß des Registers aus den Summen den Gesamtbetrag errechnet worden.2. Die ForschungslageDer moimen register des hußholden zählt zum Typus der privaten Haushaltsabrechnungen.In dieser Gattung wurden bislang vor allem Quellen aus "großbürgerlichen"Haushalten untersucht 6 • Auch herrschaftliche Haushaltsrechnungen des Spätmittelaltersund der Frühen Neuzeit sind überliefert und zum Gegenstand des Forschungsinteressesgeworden? Ausgabenregister aus stadtbürgerlichen Haushalten, die nichtüber Spitzeneinkommen verfügten, hat man bisher jedoch kaum analysiert. Die vorliegendeDarstellung des Lebens und Wirtschaftens der <strong>Braunschweig</strong>er FamilieKubbeling will dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.Im folgenden sind zunächst die Termini "Familie" und "Haushalt" zu definieren,bevor die Familie Kubbeling vorgestellt wird. Anhand der Rechnungseinträge sollendanach folgende Fragestellungen untersucht werden: Wie lebt die Familie? Was ißtsie? Wie und mit welchem Aufwand kleidet sie sich? Welche Feste feiert sie? Mit welchenMitteln heizt sie, wie entsorgt sie ihren Abfall und wie ist die Zahlung der städtischenAbgaben und Steuern organisiert? Folgt sie - acht Jahre vor Einführung derreformatorischen Kirchenordnung in <strong>Braunschweig</strong> - religiösen Geboten und Traditionen,praktiziert sie Werkfrömmigkeit? Und: Legt sie Wert auf eine sparsame odereher repräsentative Lebenshaltung?Abschließend soll die Frage diskutiert werden, ob der Kubbelingsche Haushalt"autark" war, sich selbst mit allem zum Leben Erforderlichen versorgen konnte, oderob er in weitgehender Abhängigkeit vom städtischen Markt stand.3. Die Begriffe "Familie und "Haushalt"Was ist unter dem Begriff "Familie" zu verstehen und welche Merkmale unterscheideneine "Familie" von einem "Haushalt"?In der historischen Familien- und Haushaltsforschung gibt es vielfältige Definitionenvon "Familie und Haushalt". Stellvertretend seien zwei Konzepte skizziert. "Fa-, H V Nr. 202, Sp. 143/ Sp. 148a.6 Zum Beispiel der Haushalt des Kölners Hermen van Goch (Franz IRSIGLER, Ein großbürgerlicher KölnerHaushalt am Ende des 14. Jahrhunderts, in: Edith ENNEN, Günter WIEGELMANN (Hrsg.), FestschriftMatthias ZEriDER. Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesgeschichte, Bd. 2, Bonn 1972,S. 635-668) oder die Haushalte der Nürnberger Patrizier Anton Thchcr (Wilhelm LoOSE [Hrsg.l,Anton Thchers Haushalthuch [1507-15171,1877, S. 8-171) und Michael Behaim (J. KAMMAN, AusNürnberger Haushaltungs- und Rechnungsbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Mitteilungen desVereins für Geschichte der Stadt Nürnherg 6. H., 1886, S. 57-122).7 Vgl. Irmintraut RICHARZ, Herrschaftliche Haushalte in vorindustrieller Zeit im Weserraum, Berlin1971.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Haushalt der Witwe Lucie Kubbeling 131milie" wird zum einen verstanden als Personenkreis, der durch mehr oder wenigerenge verwandtschaftliche Bindungen geprägt ist. Erich Maschke beispielsweise benenntdrei genealogisch-soziologische Grundformen der Familie 8 • "Es ist die KleinoderKernfamilie, die aus einem rechtlich verbundenen Elternpaar und den im gleichenHaushalt lebenden unmündigen und beruflich noch unselbständigen Kindernbesteht. Von ihr sind zu unterscheiden die Abstammungsfamilie, die in Aszendenzund Deszendenz direkt miteinander verwandte Menschen umfaßt, also auf einen gemeinsamenStammvater zurückgeht, sowie die Verwandtschaftsfamilie, die außer Elternund Kindern als direkten Verwandten in auf- und absteigender Linie auch dieSeitenverwandten und die Verschwägerungen einschließt, also sowohl die agnatischenwie auch die cognatischen Familienverbindungen berücksichtigt". Von der Familieunterscheidet Maschke den "Haushalt", in dem "eine Familie allein, aber auchfamilienfremde Personen wie Gesellen, Knechte, Mägde" unter einem Dach lcben 9 •Mit dem Gedanken eines durch Gesinde und Gesellen erweiterten Personenkreisesnähert sich Maschke dem Konzept des "ganzen Hauses" , dessen wichtigstes Merkmalnach Otto Brunner die räumliche Verbindung von Werkstatt oder Kontor und Wohnung,von Produktions- und Verbrauchsgemeinschaft ist lO • Das Konzept des "ganzenHauses" spiegelt sich wider in der Ökonomik, der Lehre vom Oikos, welche "die Gesamtheitder menschlichen Beziehungen und Tätigkeiten im Hause, das Verhältnisvon Frau und Mann, Eltern und Kindern, Hausherrn und Gesinde und die Erfüllungder in Haus- und Landwirtschaft gestellten Aufgaben umfaßt" 11.Jedoch nicht immer werden, wie durch Erich Maschke, Familie und Haushalt sodeutlich voneinander unterschieden. Beispielsweise legt es die von der Forschung beobachteteIntegration des Gesindes in den Familienverband, nahe, "die Familie alseine real zusammenlebende Gruppe ... nicht von genealogischen Beziehungen, sondernvon funktionalen Zusammenhängen her zu fassen ... " Michael Mitterauer 12sieht die gemeinsame Arbeit und Gestaltung der Freizeit, das Essen an einem Tischund das Schlafen unter einem Dach als entscheidende Kriterien für die Zurechnungzum Familienverband. "Nach den Funktionen von Sozialisation und Konsumption,von Produktion und Reproduktion läßt sieh die Familie als eine Primärgruppe derVergesellschaftung viel besser bestimmen als nach Positionen im Verwandtschaftssytem".Im folgenden soll der funktionale Familienbegriff Mitterauers Verwendung fin-8 Erich MAscHKE, Die Familie in der deutschen Stadt des Spätmittelalters, Hcidelberg 1980, S. 11 f.9 E. EGNER (Der Haushalt, Berlin 1952, S. 30) definiert Haushalt als "die Einheit der auf Sicherung dergemeinsamen Bedarfsdeckung einer Menschengruppe im Rahmen eines sozialen Gebildes gerichtetenVerfügungen" .10 Vgl. Otto BRUNNER, Das "ganze Haus" und die alteurupäische Ökonomik, in: Ders., Neue Wege derVerfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968, S. 103-127, S. 109.11 BRUNNER, wie Anm. 10, S. 104. Irmintraut RtCHARZ (Oikos, Göttingen 1994) weist darauf hin, daß diealteuropäische Ökonomik keineswegs auf die sogenannte "Deutsche Hausväterliteratur" des 17. und18. Jahrhunderts reduzierbar ist, sondern daß bereits im hohen und späten Mittelalter ökonomischeSchriften entstanden sind.12 Vgl. Michael MrITERAuF.R, Familie und Arheitsorganisation in städtischen Gesellschaften des spätenMittelalters und der frühen Neuzeit, in: Alfred HAVERKAMP (Hrsg.), Haus und Familie in der spätmittelalterlichenStadt, Kolnl Wien 1984, S. 1-36, S. 7.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650132 K. Rahnden. Im Fall Kubbeling erscheint der Erfolg einer genauen Trennung zwischen Familieauf der einen und Haushalt auf der anderen Seite fraglich, da im Haushalt außerder Familie nur eine Magd lebt, die in den Quellen kaum genannt wird.4. Die Familie KubbelingZu Beginn des Jahres 1520 befindet sich Lude Kubbeling an einem Wendepunkt ihresLebens. Sie erlebt, wie ihr Mann - den Tod offensichtlich vorausahnend - einedetaillierte Aufstellung seiner Außenstände 13 macht, wie er versucht, seine zahlreichenSchuldner zur Zahlung zu bewegen und wie er am Sonnabend nach dem achtenTag des Dreikönigstages, dem 14. Januar, sein Testament verfaßt 14 • Bald darauf, inder Fastenzeit des Jahres 1520, muß er tot gewesen sein, denn am Dienstag nach MisericordiaDomini 15 wird das Hausinventar des Verstorbenen in Gegenwart zweierRatsherren des Hagen aufgenommen 16 •In seinem Testament hatte Tile die von ihm eingesetzten Vormünder gebeten, seine- eher geringfügigen - Schulden zu bezahlen und zugleich mine weddersculde truwelikenna vormeldinge miner rekensboke wedder inmanen. Diese Aufgabe haben dieTestamentsvollstrecker in den folgenden Jahren erfüllt, wie ihre Abrechnung zeigt.Ihre Einnahmen aus dem Verkauf von Tiles Handelsgütern, Zahlungen seinerSchuldner, seinen Stadtrcnten und Hauszinsen, belaufen sich bis zum Jahr 1531 aufinsgesamt 936 Gulden 17 • Von Beruf vermutlich Krämer, führte Tile Kubbeling einenflorierenden Handel mit Tuch, Wolle, Wachs, Bier, Korn, Malz, Hopfen, Fischen undPferden in und außerhalb <strong>Braunschweig</strong>s 18 • Laut Testament kann er Haus und Hof, jeeinen Hopfengarten vor dem Neustadttor und bei Gliesmarode sowie mobilen Besitzsein eigen nennen. Obwohl er nicht unvermögend war, zählte er nicht zur städtischenFührungsschicht, da er weder Angehöriger einer Geschlechterfamilie war noch einpolitisches Amt ausübte. Auch seine Frau Lude gehörte nicht zu den Geschlechtern,stammte jedoch offensichtlich aus einer Familie, die auf den Erwerb guter Schreib-,Lese- und Rechenfähigkeiten Wert legte 19. Der Besitz eines kleinen Vermögens wirdes dem Ehepaar erleichtert haben, in eine der renommiertesten <strong>Braunschweig</strong>er Bruderschaften- den Kaland St. Matthäi - aufgenommen zu werden 2o • Tile Kubbeling13 H V Nr. 202, f. 23-31.14 Testamentbuch des Hagen BI 23, 8, f. 44f.; Abschrift in H V Nr. 202, f. 17ft.15 Der zweite Sonntag nach Ostern.16 H V Nr. 202, f. 21 f.17 H V Nr. 202, f. 68.l' H V Nr. 202, f. 23 ff.19 Überliefert sind aus dieser Zeit auch andere Abrechnungen von Frauen, u. a. das Rechnungsbuch derKölnerin Elisabeth Horns, vgl. Klaus J. MATTHEIER, Das Rechnungsbuch der Elisabeth Horns, in:Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 26/27, 1981/82, S. 31-56.20 Aufnahmebedingungen im Kaland St. Matthäi waren die Fähigkeit, die onera - in Gestalt der religiösenund finanziellen Verpflichtungen - tragen zu können sowie ein guter Ruf und ein entsprechenderLebenswandel, vgl. Kerstin RAHN, Religiöse Bruderschaften in der spätmittelalterlichen Stadt <strong>Braunschweig</strong>,<strong>Braunschweig</strong> 1994, v. a. S. 83 ff.; Ordinarius SI. Matthäi G 1117, 21, f. 21.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Haushalt der Witwe Lucie Kubbeling 133konnte sich jedoch nur noch knapp vier Jahre am Bruderschaftsleben beteiligen. Mitseiner Aufnahme in die Bruderschaft hatte er jedoch nicht nur für Geselligkeit zuLebzeiten gesorgt, sondern sich zugleich die gemeinschaftliche Fürbitte nach seinemTod gesichert. Jedoch glaubte Tile vor seinem Tod noch mehr tun zu müssen und bestelltebei seiner Bruderschaft ein ewiges Gedächtnis für seine Seele sowie ein Heiligenfest21 • Auch in seinem Testament hat er weitere Verfügungen zugunsten seinesSeelenheils getroffen und verschiedene Stiftungen getätigt. Tile Kubbeling kümmertesich aber nicht nur um sein Seelenheil, sondern auch um das weitere Schicksal seinerKinder und seiner zweiten Frau Lucie. Mit ihr hatte er einen Sohn, namens Hans, undeine Tochter, genannt Anne, die beide zum Zeitpunkt seines Todes noch unmündigwaren. Aber nicht nur ihnen galt seine Sorge, sondern auch seinen beiden ebenfallsnoch nicht erwachsenen Kindern aus erster Ehe, Hinrik und Mette.In einer, nachträglich angefügten, Klausel seines Testamentes verfügt er für denFall, dath siek min huß[ruwe wo dat keme voran deren worde, und mine kindere Hinrikund Metken by siek nicht luden wolde e[te mine [runde de kinder tho seek und van ohrnemen, daß die Bewohner seines Hauses den Kindern Hinrik und Mette die Hälftedes jährlichen Unterhaltes zahlen sollen. Zunächst scheint sich Tile Kubbeling unnötigGedanken gemacht zu haben, denn im Verlauf des Jahres 1520 lebt Lucie mit ihrenStiefkindern und Kindern im Haus am Steintor. Die Kosten des gemeinsamen Lebenssind durch die HaushaJtsrechnung dokumentiert, beispielsweise die Käufe von Schuhenfür jedes Kind, der Schmuck für Mette oder die Ausgaben für Wein, Gewürzeund Obst für den erkrankten Hinrik. Zu Beginn des neuen Jahres verlassen Hinrikund Mette jedoch Stiefmutter und Stiefgeschwister, um in anderen Haushalten zuwohnen. Himik besucht zwischen 1521 und 1524 die Schule 22 und lebt in dieser Zeitunter anderem bei dem Geistlichen Everd Schmed 23 und dem GoldschmiedemeisterHans Wulf 24. 1524 jedoch wendet sich Himik dem Schneiderhandwerk zu, denn vonnun an wohnt er bei einem Schneider, gibt der Schneidergilde drei Pfund Wachs, denSchneidermeistern einen Schilling und kauft sich für einen weiteren Schilling eineSchneiderschere. Zwei Jahre später überläßt er den Meistern der Schneider drei neueSchilling für zwei Pfund Wachs 25 • Im Jahr 1528 wird für Hinrik erstmals zum Schoßgezahlt 26 • Die, soweit bekannt, letzte Nachricht von ihm stammt aus dem Jahr 1536.Er bestätigt, daß ihm sein Stiefbruder Hans 225 Gulden aus dem Erbe seines Vatersgütlich entrichtet hat 27 •21 G 11 17, 14, f. 104; H V Nr. 202, f. 36.22 H V Nr. 202, f. 74 ff. Lucie bezahlt in dieser Zeit Schulgeld und trägt die Kosten für Tinte, Papier undBücher. Vermutlich war Hinrik Schüler der Stiftsschule SI. Cyriacus, denn der Begriff up dem berge isteine gebräuchliche - auch im Testament Tile Kubbelings verwendete - Bezeichnung für das außerhalbder Stadt gelegene Stift.23 H V Nr. 202, f. 69.2. H V Nr. 202, f. 77; vgl. Wemer SPIESS, Die Goldschmiede, Gerber und Schuster in <strong>Braunschweig</strong>.Meisterverzeichnisse und Gildefamilien, <strong>Braunschweig</strong> 1958, S. 28.25 H V Nr. 202, f. 71.26 H V Nr. 202, f. 80.27 H V Nr. 202, f. 163.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650134 K. RahnAuch Hinriks Schwester Mette verläßt zu Beginn des Jahres 1521 das Haus amSteintor und wohnt zunächst by der Hornestersehen auf der Gördelingerstraße 28 , ziehtjedoch noch im gleichen Jahr in die Klause St. Leonhard 29 , wo sie bis 1523 lebt. Zudiesem Zeitpunkt absolviert sie, vermutlich für ein Jahr, eine lere3°. Der mittelniederdeutscheBegriff kann ebenso Lehre wie Unterricht bezeichnen 31 • Da sie aber - imGegensatz zu ihrem Bruder llinrik - weder Papier noch Tinte erhält, hat sie vermutlichkeine öffentliche Schule besucht. Ist Mette in einem fremden Haushalt unterrichtetworden, hat sie Haushaltsführung oder eventuell sogar Grundzüge eines Handwerkserlernt? Von 1523 bis 1527 wohnt sie dann bei der Filtersehen, wo auch ihreHochzeit mit Hermen Vinder vorbereitet wird 32 •Mettes Stiefgeschwister Hans und Anne leben noch über ein Jahrzehnt im Haushaltihrer Mutter Lucie. Hans besucht - ebenso wie sein Stiefbruder Hinrik - fürmehrere Jahre die Schule, was seine Mutter jährlich zwölf Mathier Schulgeld kostet 33 ,hinzu kommen Ausgaben für Bücher, Tinte und Papie~4. Überliefert ist noch eineNachricht aus dem Jahr 1547: Hans versucht, bei dem Lüneburger Kaufmann StaciusBorcholte Schulden des verstorbenen Peter Hornehorch bei der Familie Kubbelingeinzumahnen. Seine Bemühungen führen jedoch nicht zum Erfolg, da Borcholte dieZahlung der Schulden Horneborchs ablehnt 35 • Hans' Schwester Anne absolviertebenso wie ihre Stiefschwester Mette eine lere, wofür 1527 als einmalige Zahlungzwölf Mathier, ausgegeben werden 36 • Ohne verheiratet gewesen zu sein, stirbt diejüngste Tochter Tiles und Lucies im Jahr 1534 37 •5. Leben und Wirtschaften im Haus KubbelingDer Einblick in die Situation der Familie Kubbeling erleichtert es, das breite Spektrumder Aufgaben und Ausgaben des Haushaltes zu verstehen und einzuordnen.Nur so wird erklärlich, warum die ersten acht Einträge der Rechnung die Finanzierungreligiöser Handlungen dokumentieren. Sie zeigen das Bemühen Luciens, in angemessenerWeise für das Seelenheil ihres verstorbenen Mannes zu sorgen. Sie folgtvermutlich den testamentarischen Verfügungen ihres Mannes, der dem <strong>Braunschweig</strong>erStift St. Cyriaeus, der Altstädter Kirche St. Michaelis, den Paulinern, der Pfarr-2~ H V Nr. 202, f. 89.29 H V Nr. 202, f. 89.JO H V Nr. 202, f. 88.31 August LÜBBEN (wie in Anm. 3), S. 203.32 H V Nr. 202, f. 87: u. a. dieser Eintrag: Item iii gulden geven der Viltersehen vor Metten vor i/ii jar inkost do se myt ohr woß van pasken wen/he michaeliß datum xxiiii.33 1527 bis 1531. Ein Mathier sind drei Pfennig.34 1530: 2 Mathier für Tinte und Papier.3' H V Nr. 202, f. 155.36 H V Nr. 202, f. 107: xii mathier vor Anneken in de lere.37 Einem Vertrag vom Januar 1535 ist zu entnehmen, daß sich ihre Verwandten im Streit um das Erbe anden <strong>Braunschweig</strong>er Rat gewandt hatten. Der Rat wies Lucie Kubbeling die Hinterlassenschaft ihrerverstorbenen Tochter zu (Sacksche Sammlung H V Nr. 202, f. 161).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Haushalt der Witwe Lude Kubbeling 135kirche des Hagen St. Katharinen (miner hovetpatronen) und dem Kloster zu Königslutterje einen Gulden 38 hinterlassen hat. Die doppelte Summe sollten die AltstädterKirche St. Ulrici, das Kloster Vogtsdahlum 39 bei Schöningen für Wein und Oblatenund auch die armen lude im dortigen seken hus erhalten. Aus einem Rechnungseintraggeht hervor, daß Lude Kubbeling bis Anfang Oktober verschiedenen Gotteshäusern7 1/2 Gulden gezahlt hat. Sie versucht außerdem, für die Seele ihres Mannesin den Zeiten zu sorgen, in denen diese nach mittelalterlicher Auffassung besondereFürbitte benötigt: in den ersten vier Wochen sowie dem ersten Jahr nach dem Todestermin.Lucie zögert nicht, fünf Schillinge vor vigilie de veer weken zu geben und demPrediger der <strong>Braunschweig</strong>er Katharinenkirche einen Gulden auszuhändigen, eyn jarumme to bidden. Den brodem - eine gebräuchliche Bezeichnung für die Mönche desAltstädter Franziskanerklosters - läßt sie Brotpitanzen ausgeteilen, damit sie für TilesSeele beten. Darüber hinaus kauft sie vier Pfund Wachs, aus denen sie eine Kerzeherstellen und in einer Kirche aussetzen läßt 4o •Den Abschluß der eingeleiteten "Sofortmaßnahmen" für das Seelenheil des Verstorbenenbildet ein von Lucie Kubbeling organisiertes Seelbad. Für acht Pfennig läßtsie den Armen bekanntmachen, daß für ihren verstorbenen Gatten ein Seelbad mitanschließender Armenspeisung stattfinden wird 41 • Nach zeitgenössischer Ansichtkonnten mit Hilfe der Gebete von Geistlichen und Armen, die Läuterungsqualen derSeele im Fegefeuer gemildert werden.Zu Pfingsten läßt Lucie wiederum Gebete für das Seelenheil ihres verstorbenenMannes lesen, sie gibt je eine Meßfeier in der Neustädter Pfarrkirche St. Andreas, imHagener Paulinerkonvent und im Riddagshäusener Zisterzienser kloster in Auftragund spendet verschiedenen städtischen Kirchen Kerzen.Ebenfalls zum Umkreis der Handlungen für das Seelenheil Tile Kubbelings könnendie Ausgaben für das Kalandsmahl gezählt werden.In der Kalandsbruderschaft St. Matthäi ist es üblich, daß die Angehörigen eines verstorbenenKalandsmitgliedes das gemeinschaftliche Mahl ausstatten. Die Mahlzeitenfinden im Verlauf der dreimal jährlich gefeierten Kalandstage statt: an den Montagenund Dienstagen nach Ostern, St. Margarete 42 und St. Galli 43 • Für etwa acht Gulden erwirbtdie Familie Kubbeling vor Pfingsten Einbecker Bier 10 dem kalande4 4 und vorSt. Margarete 45 insgesamt 33 Hühner, frische Butter, Gebäck, Gewürze, Pfeffer, Käse,Honig, Weißbrot und anderes Brot, Rindfleisch, Essig 46 , Salz, Milch und Erbsen 47 •" Testamentbuch des Hagen B I 23, 8, f. 44 f.39 Heute Groß-Dahlum [Kr. Wolfenbüttelj.40 H V Nr. 202, Sp. 143.41 Zu dieser Zeit gab es in <strong>Braunschweig</strong> elf städtische Badestuben.42 13. Juli.43 16. Oktober.44 Vgl. die Einträge in Sp. 146 (H V Nr. 202).4> Vgl. Sp. 147/ 148.46 Essig galt wegen seiner Schärfe als wichtiges Beiz- und Würzrnittel und wurde im Spätmittelalter auchhäufig zum Kochen von Fleisch und Fisch verwendet.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650136 K. RahnIm Vergleich zu den Gesamtausgaben des Haushaltes in Höhe von etwa 55 Guldenmachen die Ausgaben für das Kalandsmahl immerhin einen Anteil von 14,5 % aus.Dienen diese Aufwendungen eher repräsentativen Zwecken, so ist zu fragen, mitwelchen Lebensmitteln sich die Familie versorgt hat. Das wichtigste mittelalterlicheGrundnahrungsmittel, das Getreide, kann sie offensichtlich kostenfrei aus dem HandelTiles beziehen, da in der Rechnung keine Ausgaben für den Getreidekauf zu findensind. Für das Mahlen des Korns erwirbt sie bei der Zollbude am NeustadtrathausTeken zum Zeichen, daß die Mette, die städtische Mahlgebühr, bezahlt worden ist.Zusammen mit den Teken ist das Korn in eine der städtischen Mühlen zum Mahlengeliefert worden 48 • Vor Himmelfahrt gibt man im Haushalt Kubbeling dreißig Pfennigvor teken vor me/ und nach Himmelfahrt noch einmal vier Pfennig für Weizenmahlzeichenaus. Wievicl Korn konnte mit Hilfe dieser Mahlgebühr gemahlen werden? ImJahr 1501 beträgt die Mahlgebühr vom Scheffel Roggen 49 sechs Pfennig, im Jahr1513/14 zehn Pfennig. Das Mahlen des Weizens ist teurer und beträgt im Jahr 1501vom Schcffel Weizen 7 1/2 Pfennig. Da in den folgenden Jahren auch hier die Preisegestiegen sind, werden als Rechengrundlage zwölf Pfennig zugrunde gelegt. Vermutlichhat es sich bei dem meJ um Roggenmehl gehandelt, so daß drei Scheffel, insgesamt607 kg, gemahlen worden sind, vom wertvolleren Weizen hingegen nur etwa einDrittel Scheffel, nämlich 61 kg 50.Die Wcitcrverarbeitung des gewonnenen Mehls kann nicht durch die Hausfrau unddas Gesinde geschehen sein, da Lohnkosten vermerkt sind. Item tho backeion sowiefür Bier und Salz zahlt Lucie Kubbeling insgesamt vier Gulden. Vermutlich wird vondem Geld Brot gebacken, denn die Kosten für die Herstellung von Gebäck sind in anderenEinträgen aufgeführt. Um zu Ostern und zu Pfingsten mit Safran 5l zubereitetekloeven essen zu können gibt man jeweils sechs Pfennig aus, das Backen in der gesamtenFastenzeit kostet fünf Mathier. Die Lohnkosten deuten jedoch darauf hin, daß LucieBrot und Gebäck hat backen lassen. Roggenmehl konnte von den Innebäckernverarbeitet werden, die den fremden Teig buken. Da sie nicht über eigene Backöfenverfügten, mußten sie die Öfen der Gildebäcker in Anspruch nehmen 52 • Im Gegen-.7 ii gulden vi ß viii d vor Embeck bere, v mauhier vor iiii honre, iii mattier vor verske bouern, iiii mattiervor ii honre, i ß vor backen, i gulden vor xxiiii honre, xiii mathier vor negelken, xii mathier vor langenpeper, iii marhier vor ii honer, x d vor keße, v ß vor witbroth, vi d brodt, ii i/ii gulden vor ryntflesk, xviid vor etik, ii mattier vor solt, ii mathier vor i i/ii punt honnig, i mathier dem bradenwender, xvi d vorveer stoveken melk, vii maltier vor vii stoveken melk, vii malthier vor arvethe, xi mathier dem koke todem kalande (H V Nr. 202, Sp. 146-148)... Es gab zu dieser Zeit insgesamt fünf Stadtmühlen: die Südmühle am Bruchtor, die Dammühle amDamm, die Burgmühle östlich des Burgbezirks, die Neustadtmühle am Neustadttor und die Wendenmühleam Wendentor.49 1 Scheffel = 3,114 Hektoliter. 1 Hektoliter = ca. 65 kg Weizen und Roggen oder ca. 59 kg Gerste (vgl.Ernst DÖLL, Die Kollegiatstifte SI. Blasius und SI. Cyriacus zu <strong>Braunschweig</strong>, <strong>Braunschweig</strong> 1967,S. 358).so Werner SPIESS, Geschichte der Stadt <strong>Braunschweig</strong> im Nachmittelalter. Vom Ausgang des Mittelaltersbis zum Ende der Stadtfreiheit (1491-1671), <strong>Braunschweig</strong> 1966, S. 582.51 H V Nr. 202, Sp. 145.>2 SPIESS (wie in Anm. 50), S. 501. Bis 1555 gab es neben 44 Vullbäckern 28 Innebäcker. 1555 wurde dieselbständige Ausübung des Innebackens aufgehoben.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Haushalt der Witwe Lucie Kubbeling 137satz zu den Innebäckern hatten die Bäcker, die eine der ältesten Gilden bildeten, denRohstoffeinkauf, die handwerkliche Tätigkeit und den Warenverkauf fest in derHand. Sie handelten mit Brot und Gebäck in den Scharren auf den Weichbildmärkten,wo die Familie KubbcIing jedoch nur zu besonderen Anlässen kaufte, beispielsweiseWeißbrot in unser leven Fruwen avende krutwy.Eine Analyse des Kubbelingschen Getreideaufwands stößt jedoch an Grenzen, dader Brotverbrauch quantitativ nicht bestimmt werden kann. Außerdem muß die FamilieKubbeling das Getreide nicht kaufen wie viele andere mittelalterliche Familien,ihr Getreidekonsum ist daher nicht repräsentativ. In ihrer Rechnung sind lediglich diestädtischen Mahlgebühren, die Lohnkosten für den Backvorgang sowie einige Summenfür den Kauf einer unbekannten Brot- und Gebäckmenge genannt.Deutlichere Konturen gewinnt der familiäre Fischkonsum. In dem gesamten Rechnungszeitraumsind zahlreiche Fischkäufe für eine Gesamtsumme von etwa drei Guldenverzeichnet, insgesamt zwei Gulden werden jedoch bereits in der Zeit vonAschermittwoch bis Ostern ausgegeben. Der im Vergleich zur übrigen Zeit extrem erhöhteFischverbrauch ist auf das von der Familie befolgte Abstinenzgebot vonFleisch, Milch und Milchprodukten in der vierzigtägigen Fastenzeit zurückzuführen.Aber auch zu anderen Terminen ist kirchlicherseits der Verzehr von Fleisch untersagtgewesen, unter anderem an den vier Quatembern, den Vorabenden der Apostelfesteund den Freitagen 53 • Daß der Freitag der wöchentliche Abstinenztag war, zeigt sichdeutlich in der Haushaltsrechnung, denn an diesem Tag werden die Frischfischkäufegewöhnlich getätigt54. Auch an den Vigilien der Aposteltage ißt die Familie Kubbelingbevorzugt vißk, beispielsweise am St. Peterstag und -abend, am St. Jacobs- undSt. Bartolomäusabend sowie in der quatemper und am St. Matthäusabend 55 . Leiderist jedoch nur in Einzelfällen erkennbar, welche Sorte gekauft worden ist: zu Himmelfahrtwerden Schollen erworben, wie folgende Käufe zeigen: i mathier vor schullendeß fridages na der himmelvarth, i mathier vor i par schullen, i matier vor i par schullenin dem aven~6. Die Ausgaben für das Nahrungsmittel, das nicht nur als alsFleischersatz betrachtet wurde, sondern auch als typisches Merkmal gehobener Lebensführunggalt 57 , sind sehr regelmäßig und ausgeglichen. Für jeden Einkauf verausgabtdie husfruwe etwa einen Mathier, selten mehr.Einen weiteren wichtigen Bestandteil der Ernährung bildet Fleisch. Erstmals zuOstern kommt die Familie Kubbeling nach Beendigung der Fastenzeit in den Genußeiner opulenten Fleischmahlzeit, die aus einem halben Lamm besteht. Weitere Ausgabenfür Fleisch und Geflügel folgen, jedoch gibt die Rechnungsführung hinsichtlichder Fleischkäufe Rätsel auf. In insgesamt sieben Einträgen werden die Fleischkäufe53 Jährlich verbleiben maximal 230 Fleischtage.54 H V Nr. 202, Sp. 144/ 145.55 St. Petersabend: 28. Juni, St. Jacobstagsabend: 24. Juli, SI. Bartholomäusabend: 23. August, St. Matheusabend,20. Sept.56 H V Nr. 202, Sp. 145.57 Vgl. Franz IRSIGLER (wie in Anm. 6), S. 641; Herbert HITZBLECK, Die Bedeutung des Fisches für dieErnährungswirtschaft Mitteleuropas in vorindustrieller Zeit unter besonderer Berücksichtigung Niedersachsens,Göttingen 1971.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650138 K. Rahnexplizit genannt, wie z. B.: vi d vor fleißk verteynnacht na Pasken oder vi d vor fleisckin sünte Worborgen avende. Die Käufe über eine Summe von je sechs Pfennig erfolgenin den drei Wochen nach Ostern sowie zum Margaretentag im Juli, zum Jacobtag imJuli und zum Laurentiustag im August. Darüber hinaus muß es noch weitere Fleischkäufegegeben haben, die aber nicht eindeutig als solche ausgewiesen sind. Am Donnerstagvor St. Servatius beispielsweise kauft man im Scharren, ebenso zu Himmelfahrt,zu Pfingsten und an elf weiteren Tenninen. Immer handelt es sich um Ausgabenvon fünf oder sechs Pfennig, die terminiich niemals mit den ausgewiesenen Fleischkäufenzusammenfallen. Der Rhythmus der Käufe und ihre regelmäßige Höhe sowiedie wenigen ausgewiesenen Fleischkäufe sprechen dafür, daß die Familie in denScharren Fleisch erworben hat. Denkbar wären aber auch Mischkäufe von Brot,Fleisch oder anderen Gütern, die von der Verfasserin unter der Bezeichnung "Scharren"verbucht worden sind 58 •Wenn Lucie Kubbeling in ihrem Weichbild einkaufen wollte, so konnte sie unterdem Angebot von etwa 45, in der Ladenzeile neben dem Paulinerkloster stehenden,Fleischscharren wählen. Die Stände wurden von Mitgliedern der Hagener Knochenhauergildebetrieben, die das Schlachtvieh ankauften, es schlachteten, zerlegten unddas Fleisch als Frisch- oder Dauerware verkauften. Um die leicht verderbliche Wareöffentlich kontrollieren zu können, durfte Frischfleisch nur in den Scharren feilgebotenwerden. Die Bindung des Flcischverkaufs an die Fleischbänkc hatte aber nicht nursanitäre Gründe, sie ermöglichte auch, die Menge des von jedem Knochenhauer geschlachtetenViehs zu überwachen. Geschlachtet wurde am Dienstag, Donnerstag undSonnabend. Die Familie Kubbeling hat ihre Fleischkäufe an den Wochenenden getätigt,vor allem am Samstag, vermutlich weil an diesem Tag am meisten geschlachtetwurde und daher das Frischfleichangebot am größten war. Zum Scharren ist man jedoch- trotz des Gebots der Sonntagsheiligung - auch am Sonntag gegangen, wie vierder dreizehn Käufe zeigen.Der Speisezettel der Familie ist auch durch en gros eingekauftes Geflügel ergänztworden. Einmal erwirbt man xii honre dath par vii d, ein andennal xvi honre dath parv i/ ii d und noch einmal fünf Hühner für 16 1/2 Pfennig. Im Verlauf der Rechnungszeitwerden für den häuslichen Verzehr insgesamt 33 Hühner für 102 1/2 Pfennig gekauft.Darüber hinaus tätigt die Familie weitere Käufe für eine weit höhere Summe,diese Hühner sind jedoch für das Mahl in der Kalandsbruderschaft St. Matthäi bestimmt59 •Bereichert wird die Palctte tierischer Produkte durch gelegentlich erworbene Eier.Auf den Zukauf von Milch und Käse ist die Familie jedoch nicht angewiesen, dennSH In den Scharren der Stadt <strong>Braunschweig</strong> kann man vor allem Fleisch, aber auch Brot kaufen.S9 Insgesamt 41 Hühner für 186 Pf.: fünf Mathier für vier Hühner zum Kaland, einen Gulden für 24Hühner zum Kaland, vier Mathier für drei Hühner, zehn Mathier für acht Hühner, drei Mathier fürzwei Hühner.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Haushalt der Witwe Lucie Kubbeling 139sie verfügt über eigene Kühe und muß daher für ihren eigenen Verbrauch keinGeld ausgeben 60 .Als typisches Kennzeichen der anspruchsvollen mittelalterlichen Küche gilt dasÜberwürzen der Nahrungsmittel mit kostspieligen Importgewürzen 61 . In der FamilieKubbeling kommen importierte Gewürze wie Safran 6Z und Pfeffer bevorzugt an besonderenFesttagen auf den Tisch, denn zu Ostern werden für einen Schilling Safranund für einen Mathier Pfeffer gekauft. Auch zu Pfingsten gibt man acht Pfennig fürSafran aus, um mit ihm die gebackenen kloeven zu würzen und zu färben. Die Spezereienaus Übersee finden jedoch nicht nur Verwendung, um Speisen schmackhafterund bekömmlicher zu machen, sondern dienen auch als Heilmittel. In der Osterzeit istHinrik erkrankt und wird mit gekauften Gewürzen, Obst, Wein und Honig versorgt63.Die nahrhafte Kost scheint zur baldigen Gesundung Hinriks zu führen, denn man verzichtetauf medizinische Hilfe. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Importgewürze,sofern sie im Haushalt verwendet werden, nur anläßlich hoher kirchlicher Festtageoder im Krankheitsfall gekauft werden. Tief in den Geldbeutel greift man dann, wenndas Mahl des angesehenen Kalands St. Matthäi angemessen auszustatten ist. Die Aufwendungenfür das Bruderschaftsessen in Höhe von 82 Pfennig 64 übersteigen denhäuslichen Gewürzaufwand von 37 Pfennig 65 um ein Vielfaches, was auf eine überlegteVerwendung der teuren Spezereien schließen läßt 66 •Wie Gewürze sind auch Obst und Gemüse sehr geschätzt und von allen Bevölkerungsschichtengegessen worden. Verbreitet waren Kirschen, Pflaumen, Schlehen,Zwetschken, Äpfel, Birnen, Mispeln, Hasel- und Walnüsse sowie Beerenobst. Angesichtsder großen Beliebtheit des Obstes ist auffallend, daß die Familie KubbelingAufwendungen für Obst oder Gemüse, mit Ausnahme von Beeren, vermeidet. Rosinen,Beeren und Äpfel werden nur zugekauft, solange Hinrik krank ist.Auch Gemüse ist selten auf der "Einkaufsliste" zu finden, beispielsweise werdenzur Bereicherung des Kalandsmahles für sieben Mathier Erbsen gekauft. Da die Familiesicherlich nicht völlig auf den Verzehr von Obst und Gemüse verzichtet hat, muß60 Gelegentlich entlohnt sie den Kuhhirten für seine Dienste: ii mOIhier dem koherde (H V Nr. 202,Sp. 145); iii mOIhier dem herde (H V Nr. 202, Sp. 147).61 Hans WISWE, Ein mittelniederdeutsches Kochbuch des 15. Jahrhunderts, in: <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch37, 1956, S. 19-55.62 Vgl. Hansjörg Küster, Wo der Pfeffer wächst. Ein Lexikon zur Kulturgeschichte der Gewürze, München1987, S. 220 ff. Safran ist ein in den Mittelmeerländern und im Balkangebiet aus den Narben desgelhen Krokus gewonnener Würz- und Farbstoff.63 i malhier vor krude 10 koken 10 backen Hinrike, vgl. H V Nr. 202, Sp. 144. Der Begriff krude ist derübliche Sammelname für Gewürze, vgl. Hans WISWE (wie in Anm. 61), S. 23.64 Natürlich kauft die Familie auch Salz, das zum Würzen und zum Konservieren leicht verderblicherNahrungsmittel, wie Fleisch, Fisch oder Butter, benötigt wird. Die Kosten für Salz sind jedoch unbekannt,da alle Ausgaben für Kovent, Backlohn, Bier und Salz zusammengefaßt wurden .• , Zu Preisen für Gewürze, vgl. Hans Heinrich MAIJRUSCHAT, Gewürze, Zucker und Salz im vorindustrieHenEuropa. Eine preisgeschichtliche Untersuchung, Göttingen 1975.66 Es sind jedoch nur Importgewürze in der Rechnung erfaßt, Ausgaben für einheimische Würzpflanzenwie Minze, Salbei, Raute, Anis, Lauch, Zwiebeln, Knoblauch, Petersilie, Fenchel, Dill und Kümmelfehlen. Vermutlich verfügte die Familie über einen Garten, in dem sie einheimische Gewürze undKräuter anbaute.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650140 K.Rahnsie über einen Gemüsegärten und eigene Obstbäume verfügt haben, die den eigenenBedarf decken konnten.Gekaufter Wein ist im Jahr 1520 ebenfalls nicht zum alltäglichen Verzehr bestimmt,denn er wird für Hinricke do he kranck waß erworben 67 • Vermutlich hat essich um CIaret gehandelt, dem heilende Kräfte zugeschrieben wurden. Im Vergleichdazu scheut man bei Bier keine Kosten, wie die Gesamtsumme für Bier, Dünnbierund andere, nichtspezifierte Aufwendungen in Höhe von vier Gulden zeigt68. ImHaushalt Kubbeling ist jedoch, wie in zahlreichen anderen <strong>Braunschweig</strong>er Häusern,unter Verwendung von Hafer, Gerste und Weizen, auch selbst gebraut worden 69 •Durch Kochen aus den keimenden Körnern hat man das Bier gewonnen, dessen Haltbarkeitund Geschmack durch hinzugegebenen Hopfen verbessert worden ist. Die FamilieKubbeling verfügt sowohl über Getreide als auch Hopfen aus ihren Hopfengärtenund muß nur mit Ausgaben für die städtische Bieraecise rechnen 70.Zum Spektrum der haushälterischen Aufgaben zählt jedoch nicht nur die Sorge umSeelenheil und Ernährung, die Angehörigen des Hauses müssen auch mit Kleidungund Schuhen ausgestattet werden. In weIcher Form das geschieht, richtet sich auchnach dem Vermägensstand und dem Repräsentationswillen.In der Versorgung mit Kleidung hat die Familie Kubbeling einen wesentlichen Vorteilgegenüber anderen Haushalten. Sie kann sich aus dem Handel des verstorbenenKrämers Tile Stoffe beziehen und bezahlt nur die Löhne - den Tuchscherer für dasScheren des Tuches, den Schneider für das Nähen neuer Gewänder und den Altflikkerfür das Flicken gebrauchter Kleider.Das Anfertigen eines Obergewandes für die Stieftochter Mette kostet fünf Mathier,weitere 25 Mathier werden als ein Ausgabenposten notiert: xxv mattier vor kleder 10negen in sammelh 71 • Vergleichsweise gering sind die Aufwendungen in Höhe von einemMathier für das Flicken getragener Kleidung. Die Familie vermeidet es sichtlich,geflickte Sachen zu tragen 72 • Folglich mißt Lucie Kubbeling der Kleidung nicht nureine wärmende und schützende Funktion zu, sondern sieht sie auch als Ausdruck deseigenen sozialen Anspruches und als Indikator der Bedeutung und Stellung ihrer Familieinnerhalb der braunschweigischen Stadtgesellschaft.Eine Prestigefunktion hat ebenfalls der für die Stieftochter Mette Kubbeling gekaufteSchmuck. Mette erhält ein parlebindeken im Wert von neun Schilling sowieeine Kette - vermutlich eine dünne Silberkette - für annähernd zwölf Mathier. InMettes Schmuck ist folglich mehr Geld investiert worden als in die Kleidung aller Familienmitglieder.Vermutlich hat die Familie die Schmuckstücke bei hiesigen Goldschmiedemeisternfertigen lassen. Denn die amtlich genehmigten Gold- und Silberfa-67 H V Nr. 202, Sp. 144.68 Ilem tho backeion, to sammeln, to badende vor koventhe vor beer vor solth, iiii gulden to hope insammeth.69 Vgl. SPIESS (wie in Anm. 50), S. 501.70 So zahlt Lucie Kubbeling zunächst sieben Mathier, um das Malz zu verzollen, später dann nur vierPfennig für ein Malzzeichen, um Kovent brauen zu können (H V Nr. 202, Sp. 143/145).71 Insgesamt gibt die Familie für das Nahen der Kleidung etwa 90 Pfennig aus.72 SPIESS (wie in Anm. 50), S. 501.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Haushalt der Witwe Lucie Kubbeling 141brikate der <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiede, die eine der ältesten Gilden der Stadt bildeten73 und unter obrigkeitlicher Aufsicht arbeiteten, garantierten den vorgeschriebenenFeingehalt1 4 •Aus weniger wertvollem Material waren die von der Familie Kubbeling gekauftenSchuhe gefertigt. Jedes Familienmitglied hat im Rechnungszeitraum zwei neue PaarSchuhe erhalten, die je nach Qualität und Verarbeitung des Leders zwischen zwei undfünf Mathier kosteten 75. Es muß sich um leichte, niedrige Lederschuhe ohne festeSohle gehandelt haben, über denen bei Bedarf Holzschuhe getragen worden sind 76 •Lucie und ihre Stieftochter Mette haben außerdem je ein Paar Pantoffeln bekommen.Die in Höhe von 143 Pfennig getätigten Aufwendungen für den Schuhverbrauch wirkeneher bescheiden im Vergleich zu den jährlichen Käufen von 19 Paar Schuhendurch den Nürnberger Anton Tucher für seinen Bedarf 7 •Neues Schuhwerk ist durch die gilde fähigen Schuster hergestellt worden, die diewenig lukrativen Flickarbeiten den Schuhflickern oder Altschustern überlassen haben.Letztere übten ein zwar selbständiges, aber nicht sonderlich geachtetetes Gewerbeaus, das erst nach 1671 eine eigene Gildeordnung erhieIt1 s . Ebensowenig wie dieAltflicker haben auch die Schuhflicker an der Familie Kubbeling verdienen können,denn die moime gibt nur etwa zwölf Pfennig für das Ausbessern von Schuhen - meistfür den Hausgebrauch bestimmte Pantoffeln, sowie Schuhe der Kinder - aus. DerKleidungs- und Schuhbedarf wird folglich lieber durch Neuanfertigung und Kauf alsdurch das Ausbessern getragener Sachen gedeckt.Lucie Kubbeling sieht sich jedoch nicht nur in den Scharren und Buden der ansässigenHandwerker und Händler um, sondern studiert auch das Angebot angereisterHändler. Für Hinriks senke[79, werden zwischen Himmelfahrt und Pfingsten in demjarmarkede drei Pfennig ausgegeben. Zu dieser Zeit findet auf dem HagenmarktB° derzehntägige CantatemarktBI statt, zu dem auch fremde Krämer zugelassen werden. Lu-73 Gildeprivileg der Goldschmiede von 1231 (UB BS I, S. 7). Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts lebtendie <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiede nach ihrer zweiten Gildeordnung von 1320 (VB BS 11, S. 517)(SPIESS, S. 329).7. Hermann DÜRRE, Geschichte der Stadt <strong>Braunschweig</strong> im Mittelalter, <strong>Braunschweig</strong> 1861, S.621.Amtlich genehmigtes Silber mußte einen Feingehalt von elf Lot haben.7S Die Schuhe für die Kinder Hans und Anne kosten etwa 2 Mathier das Paar, die Schuhe und PantoffelnLucie Kubbelings vier bis fünf Mathier.7. Vgl. die Abbildung von Grabungsfunden, in: Cord MEcKsEPER (Hrsg.), Stadt im Wandel, Ausstellungskatalog1, Stuttgart 1985, S. 301 f., Nr. 239/240.77 Ulf DIRLMEIER, Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschenStädten des Spätmittelalters, Heidelberg 1978, S. 284.7. SPIESS (wie in Anm. 50), S. 290.79 Senkel: mnd. Schnalle, Nestei, Schnürriemen, vg!. LÜBBEN (wie in Anm. 3), S. 345.'0 Cantate: 4. Sonntag nach Ostern; Jahrmarktsprivilegien der Stadt UB I, S. 265 (1498), S. 273 ff.(1505/06), 294 (1521).,. Ursprünglich der Walpurgismarkt, da er zunächst am 1. Mai, dem Walpurgistag stattfand. Sein Beginnwurde, in Rücksicht auf die Leipziger Messe, auf Himmelfahrt (1505) und später (1521) auf MisericordiaDomini (2. Sonntag nach Ostern) verlegt, vgl. SPIESS (wie in Anm. 50), S. 422. Seit 1505 besaßdie Stadt ein kaiserliches Privileg zur Abhaltung zweier großer Messen.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650142 K. Rahncie hält den Jahrmarkt jedoch ersichtlich nicht für den angemessenen Ort, um größereAusgaben zu tätigen, denn es bleibt beim Kauf einer Kleinigkeit.Kleidung und Schuhe jedoch reichen nicht aus, um sich gegen Kälte zu schützen,man benötigt darüber hinaus Brennmaterial, um die Häuser - vielmehr einzelne Räume- zu erwärmen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wird in <strong>Braunschweig</strong> meist mitHolz geheizt. Bauern fahren es aus den umliegenden Wäldern heran, und verkaufenes vor den Toren der Stadt 82 • Ein gleichermaßen beliebtes Brennmaterial ist die in denHarzer Kohlenmeilern fabrizierte Holzkohle. Auch die Familie Kubbeling heizt mitihr, denn in der Fastenzeit, einige Tage nach dem Heiligkreuztag 83 , und zweimal nachUnser Lieben Frauen Abend Krautweih 84 kauft sie jeweils einen Sack Kohle fürdurchschnittlich neun bis zehn Pfennig.Während aus der Rechnung hervorgeht, welche Heizmittel verbraucht wurden,sind für häusliche Beleuchtungsmittel keine Ausgaben notiert. Die in Auftrag gegebenenkostbaren Wachskerzen finden im Haushalt keine Verwendung, sondern sind fürreligiöse Zwecke bestimmt 85 • Verbreitet ist im Spätmittelalter die Beleuchtung durchHerdfeuer, Kienspäne, tierische und pflanzliche Fette oder die Talg (Unschlitt)-kerze,die wegen der geringen Kosten allgemein verbreitet warB 6 • Nach Ulf DirimeierB 7 gehörtder Aufwand für Heizung und Beleuchtung zu den quantitativen Unterscheidungsmerkmalenfür die Lebenshaltung verschiedener Sozialschichten. Bei privatenHaushalten, so Dirlmeier, betragen die Kosten für Heizmittel in der Regel 12 bis 20 %des jährlichen Aufwandes, mit zunehmenden Lebensstandard ist der Ausgabenanteilfür den Grundbedarf rückläufig. Vergleicht man diese Ergebnisse Dirlmeiers mit demprozentualen Anteil der Kubbelingschen Heizkosten von 0,6 %88, dann ist dieser Anteilerstaunlich niedrig. Sogar im Haushalt des überaus wohlhabenden Anton Tucherstellen die Ausgaben für Brennholz noch 6 bis 8 % der Gesamtausgaben. Die niedrigenHeizmiuelausgaben lassen sich zum Teil mit dem geringen Verbrauch im Sommerhalbjahrerklären, denkbar ist auch, daß die Familie noch über Vorräte verfügthat.Zum Aufgabenkreis eines spätmittelalterlichen <strong>Braunschweig</strong>er Haushaltes gehörtauch die Reinigung von Haus und Hof sowie die Instandhaltung und Säuberung desSteinweges vor dem Haus 89 • Besonders gründlich wurde das Steinpflaster vor St. Walpurgis,vor St. Margarete in der ersten Julihälfte und vor Allerheiligen gesäubert.'2 SPIESS (wie in Anm. 50), S. 390/391.H3 3. Mai.•• 15. August.R5 Einmal gibt die Familie fünf Mathicr für ein halbes Pfund Wachs aus, bei dem nicht erkennbar ist, daßes für religiöse Zwecke verwendet werden soll (H V Nr. 202, Sp. 146) ..c. Harry KÜHNEL, Das Alltagsleben im Hause der spälmiuelalterlichen Stadt, in: Alfred HAVERKAMP(Hrsg.), Haus und Familie in der spätmitlelallerlichen Stadt, Köln/Wien 1984, S. 55.H7 DIRLMEIER (wie in Anm. 77), S. 250 ff.8. Die Ausgaben der <strong>Braunschweig</strong>er Familie für Kohle betragen etwa vierzig Pfennig, die Gesamtausgahenliegen bei 55 Gulden.•• Der Rat veranlaßte die Reinigung der Märkte, der Steinwege vor öffentlichen Gebäuden und derBrücken.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Haushaltder Witwe Lucie Kubbeling 143Dreimal wird der dreck 90 des Hauses am Steintor abtransportiert, jedoch stimmen dieTermine nicht genau mit den im Echteding angesetzten Zeitpunkten privater Entsorgungüberein. Vor Ostern zahlt die Familie zwci Groschen, um Unrat aus dcm Hoffahren zu lassen 91 • Anfang Mai gibt sie mit 16 Mathier die höchste Summe für dieEntsorgung aus, um Mist 92 - eine Hinterlassenschaft ihrer Nutztiere - abfahren zulassen 93 • Wenige Tage nach St. Michaelis 94 läßt sie nochmals für zwei Mathier Dreckentfernen, der jedoch kein Nebenprodukt ihrer Viehhaltung zu sein scheint 95 •Ein städtischer Privathaushalt des Spätmittelalters hat auch Abgaben zu leisten.Die Familie Kubbeling zahlt im Rechnungszeitraum Verbrauchssteuern, außer der bereitsgenannten Korn- und Bieraccise das wachtegeld. Diese Steuer hat jeder Hausbesitzerzur Finanzierung der für die nächtliche Sicherheit sorgenden Nachtwächter zuentrichten. Sie wird von der Familie Kubbeling an zwei Terminen gegeben, vor Himmelfahrtund nach St. Michaelis. Von jedem Reihenhause sind jährlich sechs Pfennig,von jeder Bude drei Pfennig erhoben worden, für das Haus am Steintor müssen alsozweimal im Jahr drei Pfennig gezahlt werden 96 •Zum Familienbesitz gehören außer dem Stadthaus noch zwei Gärten. Der schlotegardenliegt vor dem Neustadttor und besitzt nach der Schätzung Tile Kubbelings einenWert von sechzig Gulden 97 • Der andere Garten befindet sich außerhalb der Stadt,bei Gliesmarode. In seinem Testament vermacht Tile den hoppengarden belegen thoGlißmeroden seinen Kindern aus erster Ehe, van orer moder medegaft wegen. Auchdas Landstück vor dem Neustadttor ist als Hopfengarten genutzt worden, denn dieFamilie tätigt von Ostern bis Pfingsten zahlreiche, nicht unbeträchtliche Ausgaben fürHopfenstangen und Löhne der arbeideßlude, welche die Hopfenstangen in den Bodensetzen und den Hopfen später ernten 98 • Sicherlich hat die Familie Kubbeling ausbeiden Gärten mehr Hopfen erhalten als zum Brauen für den eigenen Bedarf nötigwar, so daß immer ein Teil der eigenen Ernte im Handel Tile Kubbelings umgesetztwerden konnte.Im Rahmen der Untersuchung der moimen register des hußholden sind bestimmtefamiliäre Verhaltensweisen erkennbar geworden.Augenfällig ist vor allem die religiöse Ausrichtung des familiären Lebens. Die Nahrungsaufnahmeorientiert sich konsequent an kirchlichen Vorgaben, Fasten- und Abstinenzgebotewerden gehorsam befolgt. Darüber hinaus zählt die Familie zu den Anhängernfrommer Werke. Zwei Jahre, bevor der Benediktiner Gottschalk Kruse in90 dreck: mnd. Dreck, Kot, vgl. LÜBBEN (wie in Anm. 3), S. 84.91 ii krossen vor dreck uthto voren, iiii mathier vor dreck in dem hove uthto voren (H V Nr. 202, Sp. 143).92 meß = mnd. Mist, Dünger, vgl. LÜBBEN (wie in Anm. 3), S. 227.93 xvi mathier vor meß 10 vorende (H V Nr. 202, Sp. 143).9' SI. Michaelis: 29. September.9S ii mathier vor dreck uthto vorenden (H V Nr. 202, Sp. 149) ... DtJRRE (wie in Anm. 74), S. 325.97 Er erhielt ihn, zusammen mit einem Schuldbrief über 100 Gulden 1518 vom <strong>Braunschweig</strong>er HinrikReimer als Ausgleich für dessen beträchtliche Schulden in Höhe von 160 Gulden (H V Nr. 202, f. 23).90 H V Nr. 202, Sp. 143 ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650144 K. Rahn<strong>Braunschweig</strong> Vorlesungen über den Römerbrief nach lutherischer Auslegung hält 99und acht Jahre vor Einführung der reformatorischen Kirchenordnung 1OO , sorgt siedurch vielfältige Stiftungen tür das Seelenheil des Verstorbenen, und nutzt gekonntdas verfügbare Ensemble der Fürbittechancen - Gedächtnisse, Kerzenstiftungen,Seelbäder und Bruderschaften.Die Ausgaben für religiöse Zwecke dienen jedoch nicht nur dem Seelenheil desVerstorbenen, sie haben auch eine repräsentative Funktion. Ebenso wie exklusiveNahrungsmittel, neugefertigte Kleidung aus wertvollen Stoffen und teure Schmuckstückedokumentieren und erhöhen religiöse Stiftungen, Memorienbestellungen, öffentlichvon der Kanzel verkündete Seelbäder sowie Kerzenspenden den sozialen Anspruchund den Status eines Familienverbandes und seiner Mitglieder. Auch die Mitgliedschaftin der angesehenen Kalandsbruderschaft St. Matthäi hat zweifellos dasAnsehen Tile und Lucie Kubbelings gesteigert. Jedoch ist die Zugehörigkeit zu derBruderschaft mit nicht unbeträchtlichen Kosten verbunden. Als Tile Kubbeling stirbt,hat seine Witwe nach Bruderschaftssitte das Kalandsmahl auszurichten. Für die Mahlzeiterwirbt sie neben vielem anderen auch Einbecker Bier und exklusive Gewürze,die sie tür den hausinternen Verbrauch nicht gekauft hätte. An der Kalandstafelherrscht ein Standard, dem man sich anpassen muß, um vor den Augen der Brüderund Schwestern bestehen zu können. Im häuslichen "Alltag" 101 jedoch gelten andereGesetze, vor allem das Prinzip sparsamer und maßvoller Haushaltsführung und Ernährung.Man vermeidet nicht nur die Verwendung teurer Wachskerzen und verzichtetauf den Kauf exklusiver Lebensmittel, sondern beobachtet den Verbrauch undversucht, die Höhe der Ausgaben zu planen.6. Autarke Versorgung oder Marktabhängigkeit?In der älteren Forschung ist vielfach die Ansicht vertreten worden, die deutschenHaushalte hätten sich bis ins 18. und 19. Jahrhundert hinein selbst versorgtlO2. Studiender letzten Jahrzehnte haben diese Behauptung jedoch widerlegen können 103 und.. Vgl. Olaf MORKE, Rat und Bürger in der Reformation. Soziale Gruppen und kirchlicher Wandel in denwelfischen Hansestädten Lüneburg, <strong>Braunschweig</strong> und Göttingen, Hildesheim 1983.'Oll H. LIETZMANN (Hrsg.), Johannes Bugenhagens <strong>Braunschweig</strong>er Kirchenordnung, Bonn 1912.10, Vgl. zum Begriff des .AlItags": Hans-Werner Goetz, Geschichte des mittelalterlichen Alltags. Theorie-Methoden-Bilanzder Forschung, in: Mensch und Objekt im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit.Leben-Alltag-Kultur. Internationaler Kongreß Krems an der Donau 27. bis 30. September 1988,Wien 1990, S. 67-102; Norbert Elias, Zum Begriff des Alltags, in: Kurt Hammerich/Michael Klein(Hrsg.), Materialien zur Soziologie des Alltags, Opladen 1978, S. 22-29; Klaus Tenfelde, Kommentar,in: Mensch und Objekt im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Leben-Alltag-Kultur. InternationalerKongreß Krems an der Donau 27. bis 30. September 1988, Wien 1990, S. 445-452.102 H. J. TEUTEBERG, Studien zur Volksernährung unter sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Aspekten,in: Ders.l G. WIEGELMANN, Der Wandel der Nahrungsgewohnheiten unter dem Einfluß der Industrialisierung,Göttingen 1972, S. 12-221, S. 89; U. HAI:SCHILD, Studien zu Löhnen und Preisen in Rostockim Spätmittelalter, Köln/Wien 1973, S. 153f.103 Vgl. die Untersuchung von Irmintraut RICHARZ (wie in Anm. 7). Sie kommt zu dem Ergebnis, daßzwischen Haushalten und Markt eine weitaus engere Verbindung vorlag, als bisher angenommen wur-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Haushalt der Witwe Lucie Kubbeling 145auf die Marktabhängigkeit der Privathaushalte in wirtschaftlich entwickelten Städtenhingewiesen 104 • Diese These erscheint plausibel, denn ohne die Nachfrage nach Güternund Dienstleistungen und ohne die Verlagerung von Produktions- und Bearbeitungsstufenin das Gewerbe hätte sich die, für größere spätmittelalterliche Städte typische,spezialisierte Berufsstruktur nicht entwickeln können. So stellen sich hinsichtlichder vorliegenden Quelle folgende Fragen: Wie autark war der spätmittelalterlicheHaushalt einer Krämerfamilie? Welche Arbeiten verrichtete man im Haus? WelcheProdukte und Dienstleistungen wurden über den städtischen Markt bezogen?Am Beispiel der Familie Kubbeling scheint sich die These der Marktabhängigkeit zubestätigen. Wenn Fisch, Fleisch, Geflügel, Eier, Importgewürze, Wein und EinbeckerBier ins Haus kommen sollten, war man auf Kauf angewiesen. Wollte die Familie Brotessen, so ließ sie das Getreide in der städtischen Mühle mahlen und das Mehl anschließendzu Brot oder Gebäck weiterverarbciten. Mit der Herstellung von Kleidung wurdenTuchscherer und Schneider beschäftigt, gelegentlich auch die Dienste des Altflikkersin Anspruch genommen. I05 Gegen Entlohnung ließ die Familie Arbeiten in denGärten verrichten, nahm für die Viehhaltung die Dienste von Kuhhirten und Hirten anund bezahlte Arbeiter, die Unrat aus dem Hof entfernten. Hatte sie die Absicht, eineKerzenspende zu tätigen, mußte Wachs gekauft, ein Kerzenmacher für seine Tätigkeitentlohnt und das fertige Licht vom zuständigen Opfermann am Altar ausgesetzt werden.Um für das Seelenheil des verstorbenen Tile angemessen zu sorgen, war sie auf dieGebetsdienste von Geistlichen und Armen angewiesen. Einige Tätigkeiten wurden jedochauch im Haushalt ausübt, beispielsweise das Brauen von Bier und Kovent, derAnbau von Obst und Gemüse, die Milchgewinnung und Käseherstellung.Zusammenfassend ist jedoch festzuhalten, daß der Kubbelingsche Haushalt, vermutlichaus Kostengründen, einen großen Teil der benötigten Lebensmittel, Produkteund Dienstleistungen vom städtischen Markt bezogen hat l06 •ResümeeVersucht man, sich mit Hilfe der moimen register deß hußholden dem Leben unddem Haushalten einer <strong>Braunschweig</strong>er Familie zu nähern, so werden bald die Grenzender Quelle erkennbar. Generell fehlen Gewichts- und Mengenangaben, so daßdeo Die herrschaftlichen Haushalte waren keineswegs ökonomisch autark, wie ihre Nachfrage nachGütern und Dienstleistungen zeigte. Ein Haushalt konnte über den Markt mit Gütern und Dienstleistungenversorgt werden und war kein selbstgenügsam-autonomer Mikrokosmos.104 Ulf DIRLMEIER, Zum Problem von Versorgung und Verbrauch privater Haushalte im Spätmittelalter,in: A. Haverkamp (Hrsg), Haus und Familie in der spätmittelalterlichen Stadt, Köln/Wien 1984,S. 257-288, S. 264ft. Als Indikatoren der Marktahhängigkeit der Städter nennt Dirlmeier u. a.: diebegründete Sorge vieler Stadtobrigkeiten vor Unruhen aufgrund von Versorgungsstörungen, die Einrichtungneuer Fleischmärkte, beispielsweise in Augsburg, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.Außerdem sei ein hoher Anteil des Brotbedarfes in den spätmittelalterlichen Städten durchden Verkauf von Brot gedeckt worden.10' Die Kleidung ist jedoch, da keine Ausgaben verzeichnet sind, im Haushalt gewaschen worden.1


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650146 K. Rahnsich weder die Höhe des Verbrauchs bestimmen, noch Preise errechnen lassen 107 •Aufgrund der Rechnungsführung können die Käufe am Scharren nicht klar eingeordnetwerden und auch die Vorratshaltung ist nicht ausgewiesen.Zu Fehleinschätzungen kann der verhältnismäßig kurze, halbjährige Rechnungszeitraumveranlassen. Verschiedene Ausgaben wie beispielsweise die Aufwendungenfür die religiösen Stiftungen und das Mahl des Kalands St. Matthäi anläßlich des TodesTile Kubbelings sind situationsbedingt geschehen. Es handelt sich folglich nichtum ein "normales halbes Jahr" aus dem Kubbelingschen Familienleben. Die Quellekann allenfalls als "Momentaufnahme" eines "gutsituierten" <strong>Braunschweig</strong>er Haushaltesim Sommerhalbjahr des Jahres 1520 interpretiert werden.Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen werden mit Hilfe der Rechnungjedoch Lebens- und Wirtschaftsformen der Witwe Lucie Kubbeling und ihrer Kindererkennbar. So gewinnt das Leben der husfruwe Lucie im Kreis ihrer Kinder und StiefkinderKonturen - zwischen "Alltag" und "Fest", sparsamer Lebensführung und repräsentativemAufwand, der Sorge um das Seelenheil ihres toten Mannes und derPflege ihres erkrankten Stiefsohnes, den Käufen von Schmuck und Schuhen, denGängen zum Markt zum Erwerb von Lebensmitteln, der Haushaltsorganisation undder Rechnungsführung.Ausgaben der Familie Kubbeling im Sommerhalbjahr 1520Religiöse Stiftungen12,00 GuldenKaland8,00 GuldenNahrungsmittel u. Getränke 11,00 GuldenKleidung u. Schuhe2,20 GuldenSchmuck1,20 GuldenHeizmaterial0,33 GuldenEntsorgung0,55 GuldenLohn (Kuhhirte, Magd etc.) 0,75 GuldenSteuern1,13 GuldenGarten13,80 GuldenReisekosten und Zehrgeld 0,65 GuldenSonstiges2,39 GuldenGesamtausgaben55,00 Gulden21,8%14,5%20,0%4,0%2,2%0,6%1,0%1,4%2,1%25,1 %1,2%4,3%100,0%107 Vgl. auch Harry KÜHNEL, Die Sachkultur bürgerlicher und patrizischer Nürnberger Haushalte desSpätmittelalters und der frühen Neuzeit, in: Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit.Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 6.-9. Juni 1990 in Bonn, hrsg. von Trude EHlERT,Sigmaringen 1991, S. 15 ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Haushalt der Witwe Lucie Kubbe/ing 147Abb.1:• Der moimen register deß hußholden" (Sacksehe Sammlung H V Nr. 202. Sp. 143/144)


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschiffkapitän, AbenteurerUnbekannte Quellen 1673-1675 aus dem Wolfenbütteler Nachlaßdes Christian August von Holstein-NorburgvonUlrike StraußIm September 1780 trafen im Fürstlichen Archiv in Wolfenbüttel in zween Coffresund einem Verschlage Urkunden und Akten aus dem Besitz des wenige Monate zuvorverstorbenen Herzogs Karls I. ein. Darunter befanden sich (wie aus dem beigefügtenReskript ersichtlich ist) auch verschiedene Scripturen, welche aus den nachgelassenenPapieren der Höchstseeligsten Herzogin Elisabeth Sophie Marie Durchlauchtherrühren. Sie war eine Tochter des Herzogs Rudolf Friedrich von Schleswig­Holstein-Sonderburg in Norburg gewesen, und so verwundert es nicht, unter Nr. 118des Zugangsverzeichnisses die militärische Tätigkeit ihres Vaters von 1666 bis 1687dokumentiert zu sehen. Unerwarteter ist da schon der nächste Eintrag (Nr. 119):Eines Englischen Seecapitains Augustus Lhosteine auf dem Schiffe Antelope Papirein Englischer Sprache, bestehen nur in Listen, Musterrollen, Schifrechnungen undandern zum Dienste gehörigen Nachrichten aus den Jahren 1671-1679'. Enthaltensind darin beispielsweise die beiden Ernennungen jenes Augustus Lhosteine zum Kapitänder Schiffe Anthelope (1673, Abb. 1) und Newcastle (1677, Abb. 2), Abendmahlszeugnissefür ihn sowie seine Tagebuchaufzeichnungen für die Zeit von 1673bis 1675. Weiterhin finden wir Soldlisten bzw. -quittungen sowie Stammrollen (muster-books)der Seeleute, Verzeichnisse der Ausstattung, Ausgabebücher und Abrechnungenfür beide Schiffe - durchweg amtliche Unterlagen aus dem Einsatz diesesKapitäns im sogenannten Holländischen Krieg, die eigentlich in das Public RecordOffice in London gehören und die bisher in der Forschung gänzlich unbekanntwaren 2 •I Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel (künftig StAWf) 36 Alt 190, Fasz. 101 (Reskript von1780 Sept. 8); 36 Alt 33 (Zugangsverzeichnis). Darin "Nr. 118" (Herzogs Rudolph Friderich vonSchleswig-Holstein Regiment in Holland [sowie seine Kompanie in Schweden] betr.): jetzt 1 Alt 5Nr. 183; "Nr. 119": jetzt IX Hs 34 (auf dieses Archivale machte mich freundlicherweise Herr ArchivoberratDr. Dieter Lent aufmerksam).2 Ernennung Ant(h)elope 1673 März 28 a.St./ April 7 n.St. (StAWf IX Hs 34, BI. 3); ErnennungNewcastle 1677 April 4 a.St./ April 14 n.St. (ebd. BI. 2); Abendmahlszeugnisse: ebd. BI. 1 u. BI. 123;Tagebuchaufzeichnungen: ebd. BI. 135-165. Einige ältere Unterlagen ab 1671 stammten offenbarvon Lhosteines Amtsvorgimger auf der Anthelope (Captain White: ebd. BI. 135r). - Der "HolländischeKrieg" (1672-1678) wird auf dem Festland auch .Zweiter Devolutionskrieg gegen Holland" ge-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650150 U. StraußDie heiden Faszikel wurden zwar zusammen übernommen (und erhielten daheivon dem bearbeitenden Archivar den Vermerk: nullius momenti - "von keinemWert" oder, in heutiger Archivterminologie, "nicht archivwürdig"), eine Beziehungzwischen ihnen sah man gleichwohl weder 1780 noch in den nächsten rund hundertJahren, als dieser Zugang sukzessive auf andere Bestände verteilt wurde. Darüberhinaus ging auch infolge dieser Aufteilung die Kenntnis des ursprünglichen Überlieferungszusammenhangesverloren, die Frage nach einem etwa vorhandenen Entstehungszusammenhangstellte sich deshalb gar nicht mehil.Jener vermeintliche Engländer Augustus Lhosteine war freilich in WirklichkeitHerzog Christian August von Holstein-Norburg, Rudolf Friedrichs älterer Bruder. Eskann deshalb als sicher angenommen werden, daß Elisabeth Sophie Marie die Unterlagenihres Oheims zusammen mit jenen ihres Vaters erhalten hat. Doch nicht nurdiese Papiere der beiden Brüder sind seit fast zweihundert Jahren voneinander getrenntgelagert, auch Christian Augusts Nachlaß selbst hatte schon vorher eine Aufsplitterungerfahren: Während jene gerade erwähnten Pergamenturkunden, losenSchriftstücke und dünnen Amtsbücher ihrem Erscheinungsbild entsprechend als Archivgutangesehen wurden, gelangte ein umfangreicher Bestand seiner Handschriften,die alle mit zeitgenössischen festen Einbänden versehen sind und daher buchmäßigaufgestellt werden können, in die Herzog August <strong>Bibliothek</strong> in WoIfenbütteI 4 •Die Einkünfte aus jenen militärischen Diensten im Ausland, die in beiden Nachlässenbelegt sind, waren zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Herzöge RudolfFriedrich (1645-1688) und Christian August (1639-1687) gewiß dringend nötig,muß die finanzielle Situation der Familie doch jahrzehntelang als desolat bezeichnetwerden: Der älteste Bruder, Johann Bogislaw (1629-1679), verpraßte das ohnehinnannt; die englische Bezeichnung .. Third Dutch War" bezieht sich auf die Jahre 1672-1674 (s. u., zuAnm. 28-34). - Zu den Datierungen: Der Gregorianische Kalender wurde in Frankreich, Spanien,Portugal und Holland bereits 1582 eingeführt, in den evangelischen deutschen Staaten 1700, in England1752. In den Kapitänspapieren werden dementsprechend in der Regel Datierungen im Alten Stil( .. a.SI.") verwendet. In der vorliegenden Ausarbeitung erfolgt zusatzlich die Angabe der Daten imNeuen Stil ("n.SI."). - Zur Transkription der Zitate: englischsprachige Quellen werden buchstabengetreuwiedergegeben, in deutschen wird die Groß- und Kleinschreibung normalisiert. Die Zeichensetzungerfolgt in allen Zitaten nach Sinnzusammenhang, eindeutige Abkürzungen sind ohne Kenntlichmachungaufgelöst, fragliche stehen in runden Klammem.3 Rudolf Friedrichs Papiere wurden 1888 konsequent zu einer Gruppe von Archivalien mit Holstein­Norburg-Bezügen gelegt. Die englischen Kapitänsumerlagen dagegen hatten eine lange und nichtmehr lückenlos nachvollziehbare Odyssee durch mehrere Wolfenbütteler Archivbestände hinter sich,als sie schließlich zwischen 1967 und 1972 in den Bestand IX Hs ( .. Hand~chriften, die sich auf außerbraunschweigischeTerritorien beziehen") aufgenommen wurden.4 Vermutlich im Jahre 1767 zusammen mit der großen <strong>Bibliothek</strong> der verstorbenen Herzogin: vgl. zuihrem Buchnachlaß u. a. Karl Ph. ehr. SCHÖNEMANN, Umrisse zur Geschichte und Beschreibung derWolfenbüttler <strong>Bibliothek</strong>. In: Serapeum. Zs. für <strong>Bibliothek</strong>swissenschaft, Handschriftenkunde und ältereLitteratur 14,31.7.1844, S. 217-220, hier S. 219. Christian Augusts Hand~chriften wurden in dieGruppe der "Extravagantes" eingereiht (zu den Signaturen s. u. Anm. 10). Der <strong>Bibliothek</strong>ar ErnstTheodor Langer verzeichnete diesen Bestand 1782-1786 in einem ersten, nicht veröffentlichten Repertorium,inzwischen liegen modeme Titelaufnahmen vor: Die neueren Handschriften der GruppeExtravagantes. Beschrieben von Wolf-Dieter OTTE. Teil 1-3. (Kataloge der Herzog August <strong>Bibliothek</strong>Wolfenbüttel: 17-19). Frankfurt am Main 1986ff., T. 1: S. 147, T. 2: S.67-68, S.74, T. 3: S.4,S. 24, S. 110-111.


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650(, ." l l' ~'\(~\. ,/' lt \ ., ;) .... ~I ,. ~.r:.-:/ d'r :;.;~j '...-- - ;!, (/'. '.....I/"/' -: "' , ,""-::; ""' ""~" ... 11 1 • , " • ~ " . ~, , • " \, ... '- ....':-. -: ..... /' '_. J ~, ..... ~ ~ .... V't 1 . '1Jl /~ -:t:'~." • • .1" • • 1 •••. •' . ' ,"[) (l ~j ,". ' " \">1.:.':' '.~! ':"/' ... 1,' 'f \.' /, .t.. " ... 7~,_ .. f#/' .'....A ,. "":~ -:-:L0("'t t ,,,,C\;l ... .......... " ./ f.:;, _~ ,-.... / • _Lk;;;. .., .-"i~ ~ ~ _ ,4.. _ "7" I, , _ t1t11., , ~ "', ... /J :: ... /)~ '+... ; .... , t.. ... ,,,,i., • .• '_,-, , .• (0_ I ... '\v /, •. '.1."" 7 "4 ... 1 _ .. l- ,#.. i . ""'\. • , \".,./" 1~'" ..,.', . J 1 • /'}"'/: •• /\/ a.,, ~;.:: ..,.~':, "/,,,. ',;".. ~ \..-. . ,- ). .-VC 11~('l; .. J.... · t ... t'- .; f ,.~: l' \:.f!.'.,.:..l r.' 1('1: t,. !;.!T t/.:-c,l/:r.:...:.... ~~::,J'L.'.ll:.:~.:.~t.--.:t. .. "'..,J.- .. l n ~ -.... r #/.1'1 .' • "y, '" l !j I ". f ... ..' T . 'l,.. /?:lI tt"" : _t.'i. !: ~t"', c·.t ." .... ~{·~ ... l\1.-..,;.. ....:;,~· t l·+:l .. _ ~. ~~,: .:·;..,l..·T .. 1:",1" ....!i}·t ... t':,.t.I .. ''J;~t llc.,.; .... . . ~ ~ . , f: __ ,--,-f) ...... ' .'- • J. , .... ....", "-~-fI, .. :i..-lil'i,..," ;..,,~ 1- I... 1 ( ... ~ S ~l'" .t;( ~.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschijjkapitän, Abenteurer 153bereits verschuldet übernommene Erbe und war weder in der Lage noch willens, seinenfünf Geschwistern die im Erbvertrag ausgesetzten Apanagen regelmäßig und involler Höhe auszuzahlen 5 •Rudolf Friedrich befehligte zunächst ab Mai 1666 als Rittmeister eine von ihmselbst aufgestellte und in Deutschland stationierte schwedische Kompanie, die zweieinhalbJahre später im Zuge eines Truppenabbaus wieder aufgelöst wurde. Am17. Juni 1673 erhielt er durch Wilhe1m III. von Oranien, den Statthalter der Republikder Vereinigten Niederlande, die Ernennung als Oberst eines Regimentes 6 und bliebinsgesamt etwa vierzehn Jahre lang im Dienst der Generalstaaten bzw. der ProvinzenHolland und Friesland. Es ist nicht auszuschließen, daß für diese Bestallung seinenahe Verwandtschaft mit dem hochgeachteten Feldmarschall der Generalstaaten, JohannMoritz Fürst zu Nassau-Siegen 7 , hilfreich war. Rudolf Friedrich genoß aber aufjeden Fall unabhängig davon hohes eigenes Ansehen, begleitete z. B. mit seinem RegimentWilhelm III. nach England. Er starb am 14. November 1688 auf seinem GutFürstenau in Schlesien, drei Jahre nach dem Tod der Gattin Bibiane (geborene Gräfinvon Promnitz). Den zermürbenden Kampf um die Auszahlung der Deputatgelderhatte er stets neben seinem Beruf stellvertretend für alle Geschwister geführt. Vonden vier Kindern, die aus der Ehe hervorgingen, erlebten die beiden älteren, Karl undBibiane Amalie, ihren ersten Geburtstag nicht mehr. Die beiden jüngeren, ElisabethSophie Marie (1683-1767) und Ernst Leopold (1685-1722), wuchsen in Wolfenbüttelbei ihrem Vormund Herzog Anton Ulrich auf, der mit einer Schwester RudolfFriedrichs und Christian Augusts verheiratet warB. Elisabeth Sophie Marie ging spätereine zweite Ehe mit Herzog August Wilhelm von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel ein,, Zu diesen Finanzproblemen ausführlich: Friedrich v. KROGH, Beitr. zur älteren Geschichte des HausesHolstein-Sonderburg. Berlin 1877; Paul v. HWEMANN, Beitr. zur älteren Geschichte des Hauses Holstein-Sonderburg.In: Zs. d. Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Gesch. 31, 1901, S. 1-38. BeideAutoren werteten die Unterlagen im Archiv der Familie von Hedemann-Heespen zu Deutsch-Nienhof(in der dortigen Abteilung "Öffentliches Archiv") und wohl auch im "Archiv der Deutschen Kanzlei"im dänischen Reichsarchiv in Kopenhagen aus. Das damit eng verzahnte, umfangreiche MaterialStAWf 1 Alt 5 Nr. 180-182 und Nr. 184-187 sowie 1 Alt 23 Nr. 295 kannten sie aber offenbar nicht.- Zu Christian Augusts Geldangelegenheiten in England: Ernst Theodor LANGER, Einige Merkwürdigkeitenvon Herzog Christian August von Holstein-Sonderburg. In: Neues Göttingisches historischesMagazin, von C. MEINERS und L. T. SPITTLER, IHen Bandes Hes Stück. Hannover 1792,S. 524-543, hier v. a. S. 533-535. Offenbar erhielt der Herzog in seinen letzten Lebensjahren einekleine, unregelmäßig ausgezahlte Pension des englischen Königs (s. u. Anm. 42).6 StAWf 1 Alt 5 Nr. 183, auch für 1666-1668; Ernennung 1673 ebd. BI. 31a (Perg. mit Siegel) mit Erneuerungvon 1674 (ebd. BI. 31 = Transfix an BI. 31a) und ebd. BI. 102 (Perg. mit Siegel).7 Die Mutter des Johann Moritz war eine Schwester des Vaters von Rudolf Friedrich (und Christian August):Europäische Stammtafeln. Neue Folge, hg. v. Detlev SCHWENNICKE. Bd. I: Die deutschen Staaten.Marburg 1980, Tafel 116. Zu Johann Moritz (Prince Maurice) Alfredo SCHMALZ, Johann Moritz;in: Neue Deutsche Biographie. Bd. 10. Berlin 1974, S. 502-503, und sehr ausführlich Murk VAN DERBIIL (t), Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679): eine vermittelnde Persönlichkeit; in: Oranien-Nassau,die Niederlande und das Reich. Beitr. zur Gesch. einer Dynastie, hg. v. Horst LADEMA­CHER (Niederlande-Studien 13). Münster 1995, S. 125-154.• Rudolf Friedrichs Englandexpedition: Freundliche Auskunft des niederländischen Reichsarchivs inDen Haag/s'Gravenhage (künftig: RA Den Haag). Zu Rudolf Friedrichs Tod und der VormundschaftAnton Ulrichs für die Kinder vgl. StAWf 1 Alt 5 Nr. 186. S. a. Louis BOBE, Rudolf Frederik; in: DänischesBiographisches Lexikon. Bd. 14. Kopenhagen 1900, S. 413.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650154 u. Straußund ihr Gemahl war es dann auch, der die beträchtlichen Schulden seines Schwiegervatersregeln mußte.Im Vergleich zu Rudolf Friedrich führte sein Bruder Christian August ein unstetesLeben. König Friedrich III. von Dänemark, Oberlehnsherr von Holstein-Norburg,ließ ihm von 1655 an eine mehrjährige Ausbildung an einer Ritterakademie zuteilwerden. Nach deren Abschluß scheint er bis Anfang der siebziger Jahre keine Versucheunternommen zu haben, es seinem Bruder gleichzutun und militärische Aufgabenzu übernehmen. Er war zeitlebens auf Reisen, in nahczu ganz Europa und im VorderenOrient, bis etwa 1670 und ab ca. 1680 wahrscheinlich aus privatem Interesse (diesbedürfte noch der eingehenderen Untersuchung), dazwischen überwiegend, wennauch nicht ausschließlich, in dienstlichem oder halboffiziellem Auftrag. Immer wiederhielt er sich dabei, oft nur für kurze Zeit und in der Regel auf der Durchreise, im Fürstentum<strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel auf, wo, wie wir sahen, einige seiner Verwandtenlebten 9 • Überraschend ist die ausgeprägte Schreibfreude, mit der er auf diesenReisen Tagebuch führte. Die Notizen, die er unterwegs anfertigte und von denen einTeil noch vorhanden ist, übertrug er später in einen Sammelband, der die Jahre von1655 bis 1685 umfaßt. In dieser Reinschrift verweist er auf zusätzliche, nicht transkribierteHefte für einzelne Unternehmungen. Auch hiervon sind einige erhalten gebliebenJO •Eine seiner Handschriften hat er mit einem Geleitwort versehen, das durchaus seinLebensmotto gewesen sein könnte:Sleep not too much nor longer then a ) a sleepWithin thy bed thy lazie body keepll.So reizvoll es wäre, den Lebensweg dieses ungewöhnlichen Mannes im Detailnachzuzeichnen, ist hier nicht der Platz dafür: das Interesse der folgenden Ausführungengilt vorrangig seinen bislang nicht bekannten Aufzeichnungen aus den Jahren1673 bis 1675. Deshalb ist für biographische Hinweise weiterhin auf den knappen(und der Persönlichkeit Christian Augusts nicht gerecht werdenden) Aufsatz aus derFeder Ernst Theodor Langers aus dem Jahr 1792 zu verweisen, wiewohl manche• Besuche in <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel z. B.: Herzog August <strong>Bibliothek</strong> Wolfenbüttel (künftig:HAB) 257.3 Extravagantes BI. 8v-Ur, 13v (1659), BI. 197r-v (1664), B~ 277r, BI. 283v-284r (1666),BI. 352v-353r (1681). Seine Schwester Dorothea Hedwig war bis 1678 Abtissin im Stift Gandersheim(s. u. Anm. 36).10 Tagebücher: HAB 221 Extravagantes - Direktschrift mit Einträgen für 1664-1670 und Ergänzungenbis 1678/81; 257.3 Extravagantes - Sammelband, Einträge 1655-1685, Reinschrift wohl bereits 1665begonnen; 125.3 Extravagantes - Abschrift des Newcastle-Tagebuches mit Kopien von Korrespondenzen(s. u. Anm. 36); StAWf IX Hs 34, BI. 135-165 - Anthelope-Tagebuch und Aufzeichnungen1674-1675; Public Record Office (künftig: PRO) London Adm. 51/4271 (Newcastle 1677-1679,Ausfertigung). Außerdem: HAB 64.24 Extravagantes, BI. 333v-334r - Gefechtsordnung für dieNewcastle 1678; HAB 125.17 Extravagantes - Lehr- oder Handbuch (s. u., zu Anm. 24-26); HAB222 Extravagantes - Übersetzung eines erbaulichen Werkes (s. u. Anm. 17). Vgl. auch OrrE (wieAnm.4).11 HAB 125.17 Extravagantes, Innenseite des vorderen EinbanddeckeIs; (a) ~ than.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschiffkapitän, Abenteurer 155Aussage darin an dem inzwischen erweitert vorliegenden Quellenmaterial überprüftwerden müßte l2 •Im Juli 1670 nahm Christian August das Pseudonym Augustus von Lohstein an l3 ,ein Anagramm, aus dem später Augustus Lhosteine wurde, in anderen Schreibungenz. B. LHostein, Loshtaine, Loshteine, von ihm eigenhändig Lostine, Lhostine bzw.Looesteine. Wir finden sogar Gustav(us) Lhoesteine l4 , mit welchem Vornamen ihnauch ein umfassendes biographisches Lexikon für die englische Marine vom Ausgangdes 18. Jahrhunderts führt:"L'HOLSTEIN, Gustavus, - said to have been a noble Swede, who entered intothe English navy, and was naturalised: he was appointed commander of the Antelopein 1673, and of the Newcastle on the 4th of April 1677."15Zum ersten Mal besuchte er England (nur London und Umgebung) wohl im Mai1664. In seiner Beschreibung fällt die rein phonetische Orthographie englischer Orts-12 LA.~GER (wie Anm. 5). Einige Ergänzungen und Korrekturen ergeben sich bereits in den vorliegendenAusführungen. Langer stand diesem in der Welt herumziehenden, ständig von der Hand in den Mundlebenden Abenteurer mit spürbarer Mißbilligung gegenüber; Christian Augusts Humor und Selbstironie(vgl. dazu ein Beispiel unten, zu Anm. 41) beispielsweise scheint er gar nicht bemerkt zu haben.13 HAB 221 Extravagantes, BI. 118v. Ob er mit der Entscheidung für Pseudonyme - er nannte sich zeitweiseauch "Baron von Bin(nen)dorf" (s. u., zu Anm. 72) - nur einer beliebten Mode folgte, oder obein Grund vorlag, seine Herkunft zu verbergen, geht aus den erhaltenen Unterlagen nicht hervor. SeinBruder Rudolf Friedrich blieb jedenfalls auch als Oberst in Holland stets der Hertogh van Holsteyn(vgl. StAWf 1 Alt 5 Nr. 183).14 Schreibvarianten durch Dritte u. a.: StAWf IX Hs 34, BI. 122, BI. 123, BI. 24r; eigenhändige Formen:ebd. BI. 166r, BI. 18v und BI. 133r; Vorname Guszav(us): HAB 64.24 Extravagantes BI. 333v,BI. 334r; in eigenhändigen Abschriften von an ihn gerichteten Briefen z. B.: HAB 125.3 ExtravagantesBI. 43r Eintrag I'\r. 54 (AuGustavus [!] Lhoesteine, korrigiert aus Lhoosteine), BI. 44v EintragNr. 59 (Gustavus Losten)." John CHARNOCK, Biographia navalis, or impartial memoirs of the lives and characters of officers of thenavy of Great Britain, frum thc year 1660 tu the present time. 6 Bände [London] 1794-1798 (hier zitiertnach der Mikrofiche-Reproduktion: British Biographical Archive. [19861, Fiche No. 686, EintragNr. 134). - Das Herzogtum Holstein-Sonderburg befand sich zwar in der fraglichen Zeit unter dänischerOberherrschaft, in der zweiten Hälfte d. 17. Jhdts wurden jedoch die dänisch-schwedischen Gegensätzein Schleswig-Holstein mit wechselnden Bündnissen ausgetragen, in denen sich z. B. Holstein-Gottorpeng an Schweden anlehnte (J. RARF.N, Die regierenden Herzöge zu Norburg. In: Heimatblätteraus Nordschleswig, 1943, S. 65-83, hier S. 70); die Insel Als, auf der Nor(d)burg und derspätere Wohnsitz Osterholm liegen, stand 1658 und 1659 kurzzeitig unter schwedischer Besatzung. Zuden Bündnissen z. B.: Geschichte der deutschen Länder (= • Territorien-Ploetz"), hg. v. Georg WilhelmSANTE. Bd. 1: Die Territorien bis zum Ende des alten Reiches. Würzburg 1964, S. 438-442. Außerdemwurde Christian August von Holstein-Norburg offenbar verwechselt mit einem gleichnamigenHerzog von Holstein-Gottorp (obwohl jener aufgrund seiner Lebensdaten gar nicht am HolländischenKrieg teilgenommen haben konnte: vgl. SCIIWENNICKE, wie Anm. 7, Tafel 94). So führt eine französischeListe der englischen Flotte mit dem Stand vom 30. Mai/9. Juni 1673, die vielleicht Charnock vorgelegenhat, für den Kapitän der .Anthilop" die Initialen .D. of G." an. Hermann Tbeodor COLEN­BRANDER, der diesen Text abdruckt (Bescheiden uit vreemde archieven omtrent de groote Nederlandschezeeoorlogen 1652-1676. Bd. 2. Tbe Hague/s'Gravenhage 1919, S. 228), wundert sich in seinemKommentar (ebd. S. xxxi):. Wat D. of G. beteekent ... , begrijp ik niet. De kapitein der Antelope heetteAugustus L'Hostein." - Diese Abkürzung kann aber unschwer als .Duke of Gottorp" aufgelöstwerden. Auf dieselbe Quelle dürfte sich auch J. C. M. WARNSINCK, Admiraal de Ruyter, de Zeeslag bijSchoneveldt. 1930, S. 20, mit seiner Angabe .August I'Hostein duke of Gottorp" (Zitat mit Beleg:freundliche Auskunft RA Den Haag) beziehen.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650156 U. Straußbezeichnungen auf, seine Englischkenntnisse sind zu diesem Zeitpunkt noch rechtbegrenzt:zu ehering erox [Charing Cross] at the bak o[ the new pele male [Pall Mall]Grenwitz [Greenwich] und Hamtencort [Hampton Court] ... unweit von derTamis [Thames]Winsen [Windsor], 10. mi/es von Hambteneort l6Um so eindrucksvoller ist dann die spätere Vertrautheit mit dem Englischen, dieweit über seine durchaus bemerkenswerten Fertigkeiten in anderen Sprachen (Italienisch,Französisch, Niederländisch, Spanisch l7 ) hinausging. Englisch war ihm bis zumFrühjahr 1673 unübersehbar zu einer zweiten Muttersprache geworden, die er geläufigund in zeittypischem Gebrauch nicht nur in seinen amtlichen Korrespondenzen alsKapitän verwendete (was ja zu erwarten wäre), sondern auch für Tagebuchaufzeichnungenwährend eines Aufenthaltes in den Niederlanden bzw. auf einem holländischenSchiff. (Darauf ist noch einmal zurückzukommen.) Beachtlich ist ebenfalls einsorgfältiges Glossar, das er mitten im Seekrieg gegen Holland angelegt hat und dasihm möglicherweise bei der Vernehmung von Gefangenen nützlich sein sollte l8 •Hautnahe Eindrücke von dem ersten großen Seegefecht des Holländischen Krieges,der Schlacht von Sole Bay (Southwold) am 28. Mai 1672, bekam Christian Augustan Bord des englischen Schiffes Tyger (Tygar)19. Eigene Schiffskommandos erhielter dann 1673/74 und 1677/79 2 °, wie wir schon sahen, und mit der Zeit von Mai1674 bis Februar 1675 werden wir uns noch näher beschäftigen. 1675/76 war er offensichtlichwieder ohne amtlichen Auftrag unterwegs. Soweit er nicht ab 1679 - ver-•• Zitate: HAB 257.3 Extravagantes, BI. 189v, 191r, 191v.17 Während der Rückreise von Palästina übersetzte Christian August z. B. ein Werk von Luis de la Puenteaus dem Spanischen in das Deutsche (= HAB 222 Extravagantes), dazu LANGER (wie Anm. 5)S. 539-541." HAB 125.17 Extravagantes, BI. 1r-32r, datiert vom 25. Okt./4. Nov. 1673, als er selbst Beuteschiffeeskortierte und Gefangene verhörte (the prisoners to be examined: StAWf IX Hs 34, BI. 148; s. auehunten, Anm. 40). Die englischsprachigen Begriffe werden darin zunächst ausführlich nochmals inEnglisch erläutert, dann übersetzt in das Niederländische, ein Teil von ihnen außerdem in weitereSprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch - und Lateinisch). Mit Christi an Augusts umfangreichemNachlaß liegt eine ergiebige Materialbasis für philologische Studien zu Erwerb und Gebrauch der englischenSprache durch Deutsche im 17. Jh. vor .•• Zur Seeschlacht: C.T. ATKINsoN, Tbe Wars (1664-74); in: Tbe Cambridge Modern History. Bd. 5.Cambridge 1908, Nachdr. 1969, S. 178-197, hier S. 192-193. Vermutlich wurde Christian August aufdiesem Schiff, mit dem er bereits seit Juni 1671 im Mittelmeer unterwegs gewesen war, zum Kapitänausgebildet. Dafür kann auch Indiz sein, daß die Tyger (Tygar) im vieren Rang stand. wie die Anthelopeund die Newcastle: Zu den Rangeinstufungen aller drei Schiffe z. B. das undatierte AugblattLyste: Staet en quantiteyt van alle sijn Majesteyts Schepen. - The disposall 01 all his Majesties Shipps(in StAWf 29a Z, Bd. 1, o.S., einliegend in Drucken von 1687 und 1688). LANGER (wie Anm. 5)S. 538 sieht zwar auch diese Möglichkeit, ist aber skeptisch, ob jemand im Alter von beinahe 32 Jahrennoch einen Beruf von den ersten Anfängen her erlernen könne. Das Tagebuch, auf das ChristianAugust für diese Zeit verweist und das Aufschluß geben könnte, ließ sieh bisher nicht ermitteln.2() Zu seinen Einsätzen mit der Anrhelope s. u., zu Anm. 37-42. Mit der Newcastle nahm er u. a. unterdem Kommando des Admirals Sir John Narborough (Narbrough) im Mittelmeer am Krieg gegen AIgierteil: LANGER (wie Anm. 5) S. 526-528 (nach HAB 125.3 Extravagantes); vgl. auch Aorence E.DYER. Tbe Life of Admiral Sir John Narbrough. London 1931, S. 165-175 (Einsatz der Newcastle:S. 172).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschiffkapitän, Abenteurer 157mutlich ebenfalls privat - immer wieder auf Reisen ging, lebte er in London 21 • Dortstarb er unverheiratet und kinderlos am 5.115. Januar 1687 nach empfundener Leibesschwachheit,worwieder alle gebrauchte diensahme Medicamenten nichts verfangenwollen. Herzog Rudolf Friedrich zeigte diesen ohnvermuhteten Todesfall einenMonat später von Hamburg aus Herzog Rudolf August von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburgin einem Zeremonialschreiben an 22 • Es ist denkbar, daß er zuvor selbst nach Londongereist war, um die Angelegenheiten des Bruders zu regeln, dabei dessen Papiere undTagebücher im Quartier vorfand und sie mitnahm. Nach seinem eigenen Tod gelangtensie dann mit seinem Nachlaß in die Verfügung seiner Tochter und mit deren Unterlagenauf dem bereits geschilderten Wege in die Bestände der Herzog August <strong>Bibliothek</strong>und des Staatsarchivs in Wolfenbüttel.Ob Christian August ein tüchtiger Kapitän war, muß hier unentschieden bleiben -ein Huldigungsgedicht aus dem Jahr 1718 zum Geburtstag der Herzogin ElisabethSophie Marie, in dem dies behauptet wird, kann kaum als objektive Aussage gelten:" ... Der Andre [d. i. Christian August] war im Kriege.Nun dieser muntre Prinz vermehrte zwar die Zahl,Jedoch nicht seines Stamms, nur seiner tapfem Siege."Gewiß war er aber nie Admiral, wie es in der Literatur kolportiert wird 23 • Mit Fragender Theorie der Schiffsführung und des Seekrieges beschäftigte er sich allerdingsintensiv, wovon ein Lehr- oder Handbuch 24 zeugt, das er im Sommer 1674 an Borddes niederländischen Schiffes Hollandia kompilierte. Der Band handelt nahezu alleBereiche der (Kriegs-)Sehiffahrt mit einem Großsegler ab, enthält z. B. nautischeAufgaben und ihre Lösungen mit vielen exakten mathematisch-naturwissenschaftli-21 Archivalisch belegt sind z. B. 1679 und 1680 Aufenthalte zu Hause in Osterholm sowie eine Audienzim Juni 1681 in Stockholm vor König Karl XI. von Schweden (Dänisches Reichsarchiv Kopenhagen,Archiv der Deutschen Kanzlei, inländische Abteilung B 40: 1679 Nov. 18 und 1680 Jan. 12; StAWf 1Alt 5 Nr. 180, BI. 90-91: 1681 Sept. 9 zu 1681 Juni 25). - Zu Christian Augusts Lebenslauf ab 1679,soweit er aus seinem Sammeltagebuch (HAB 257.3 Extravagantes) ersichtlich ist (über seine letzteLebenszeit ab Ende 1685 fehlen darin Informationen), und seinen Bemühungen um die englischeGnadenrente; LANGER (wie Anm. 5) S. 532-536.22 StAWf 2 Alt 226, BI. 12-13 (8./18. Februar 1687).23 Huldigungsgedicht: StAWf DiBihl. M 1621. - Die Marinegeschichtsschreibung und -forschung (v. a.in Großbritannien) hat sich ausführlich mit den Kriegshandlungen der Jahre 1672-1678 beschäftigt.Es liegen umfangreiche Quellen vor, insbes. im PRO London, im National Maritime Museum inGreenwich und in der British Library in London, zudem sind zahlreiche Schiffstagebücher anderer Kapitänebereits ediert, (z. 8.: Journals and narratives of the Third Dutch War, hg. v. Roger Charles AN­DERSON (= Navy Records Society LXXXVI. London 1946.). Auf dieser Basis ließe sich der militärischeAnteil Christian Augusts an den Kämpfen gut beurteilen. - Angabe des Admiralstitels z. B. beiSCHWENNICKE (wie Anm. 7) Tafel 90b; v. KROGH (wie Anm. 5) S. 52. Tatsächlich ist ein AugustusLhosteine nicht in der Liste der Admiräle aufgeführt (in; Joseph HAYDNS Book of Dignitaries, 1880,S. 813): freundliche Mitteilung der British Library in London, Department of Manuscripts. Es ist außerdemanzunehmen, daß Rudolf Friedrich eine so hohe Würde seines Bruders in der erwahnten Todesanzeige,die alle Titel des Verstorbenen aufführt, nicht unterschlagen hätte.24 HAB 125.17 Extravagantes. Möglicherweise war das Ahfassen von derartigen Handbüchern eine zeittypischeErscheinung, ein vergleichbares (gedrucktes) Werk nennt z. B. Karl-Heinz MARQUARDT, DasOberhram- oder Royalsegel. Ein historischer Rückblick. In: DAS LOGBUCH 32. Jg., 1996, H. 3,S. 135-138, hier S. 136-137.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650158 U. Straußchen Zeichnungen sowie das schon vorgestellte Wörterbuch. Mustertexte für Dienstinstruktionenfand er in ihm vorliegenden, aktuellen englischen und niederländischenOriginalen 25 • Fachliche Unterstützung erhielt er vom Obersteuermann Jan Devos 26 ,der ihm offenbar auch eine geographische Beschreibung mit dem Titel Afrika vanCaep de mont tot Lawange toe2 7 zum Geschenk machte.Bevor wir uns mit diesem Aufenthalt Christian Augusts auf der Hollandia und derExpedition jenes Schiffes näher befassen, ist ein Blick auf die historischen Gegebenheitennotwendig.Die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts war geprägt von den französischen Bestrebungen,die Hegemonie über Europa zu erlangen. Es war zugleich eine Periode wirtschaftlicherInteressenkollisionen zwischen den Seemächten Holland (d. h. der Republikder Vereinigten Niederlande) und England, das seinerseits mit Frankreich undder von Ludwig XIV. angeführten antiholländischen Koalition verbündet war, die imMärz 1672 die Vereinigten Niederlande mit Krieg überzog. In England bewirktegleichzeitig die Restauration der Stuarts und der anglikanischen Staatskirche massiveKonflikte und Intrigen der Opposition, wobei sich die Differenzen zwischen Königund Parlament vornehmlich an der Konfessionsfrage und an der Außenpolitik entzündeten.Damit das Parlament das dringend nötige Geld für diesen inzwischen drittenKrieg gegen Holland und die Subsidienzahlungen an Frankreich bewilligte 28 ,mußte KarJ 11. mehrere erst wenige Monate zuvor von ihm erlassene prokatholischeBestimmungen wieder aufheben und 1673 der "Test Act" des Parlaments zustimmen.Jenes Gesetz verlangte von allen Beamten und Inhabern militärischer Rängeden Nachweis ihrer Zugehörigkeit zur Anglikanischen Kirche. Als Lord High Admiral,Oberbefehlshaber der Marine, hatte bis dahin Jakob (James Duke of York) amtiert,der Bruder des Königs und Thronerbe. Er verweigerte den Religionstest undmußte im Juni 1673 sein Amt aufgeben. Am 21. November desselben Jahres heirateteer Maria Beatrice d'Este, Prinzessin von Modena, eine Katholikin: Bei vielen hatteer bereits seit längerem im Verdacht gestanden, dem Katholizismus zugewandt zusein, und die antikatholischen Gegner Karls 11. verlangten immer drängender den2> Vgl. z. B. den Ex/rae/ of /he General Ins/rue/ions for /he Antelope, /he 28. of march 1673(ehd. BI. 124v). Die Ausfertigung dieser Instruktion befindet sich in StAWf IX Hs 34, BI. 35-49.26 Vgl. HAB 125.17 Extravagantes, BI. 125v: De Kunst der Stuermansehap, angefangen mi/ Jan de Vos,opper stuerman in he/ Sehip Hollandia, den 15/25 JuJij 1674.21 StAWf IX Hs 34, BI. 111-121, undatiert, gebundene Lage, Folioformat, niederländisch; beschriebenwird das westafrikanische Küstenstück zwischen einer Landspitze im Norden von Monrovia in Liberiaund Loango südlich von Pointe Noire im Kongo[-Brazzaville].2' Überblicke über die Machtbündnisse, ihre Hintergründe und die politische Entwicklung Europas in d.zweiten Hälfte des 17. Jhdts bieten z. B. Heinz SCHILLING, Höfe und Allianzen. Deutschland1648-1763. (= Siedler Deutsche Geschichte: Das Reich und die Deutschen [Bd. 5]). Berlin 1989, hierv. a. S. 198-240; Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, hg. v. Fritz WAGNER(= Handbuch der Europäischen Geschichte, hg. v. Theodor SCHIEDER. Bd. 4). Stuttgart 1968, hier v. a.S. 10-61, S. 308-378, S. 636-659. Zur Seemacht-Rolle Englands: James Rees JONES, Britain and theWorld 1649-1815. Brighton und New Jersey 1980, hier v. a. S. 17-178. Einen Einblick in die innerenenglischen Verhältnisse gibt Kenneth Harold Dobson HALEY, William of Orange and the English opposition,1672-1674. Oxford 1953, Nachdr. 1975.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschijjkapitän, Abenteurer 159Bruch des Bündnisses mit Ludwig XIV. sowie den Ausschluß Jakobs von der Thronfolge29 •Im Zuge der Neuorganisation der Marineverwaltung übernahm Karl 11. das Amtdes Lord High Admiral selbst und setzte für die übrigen Aufgaben eine Kommissionaus zwölf Mitgliedern ein. Ihren Vorsitz übertrug er seinem Vetter Ruprecht von derPfalz (Prince Rupert). Eine Schlüsselrolle nahm dabei Samuel Pepys ein, der dankseiner besonderen Tüchtigkeit den Herzog von Y ork auf sich aufmerksam gemachthatte. Der Karrieresprung von 1673, seine Beförderung zu einem der beiden PrincipalSecretaries der Admiralität (wodurch er dem König und der Kommission direktunterstellt wurde), kam daher nicht überraschend. Durch ihn behielt Jakob auch nachseinem Rücktritt im Juni 1673 großen Einfluß in der Marine 3o • Solch eine Konstellationwar aber der Führungsposition von Prince Rupert nicht zuträglich, der sich ständigder Einmischung durch Jakobs Vertrauensleute ausgesetzt sah. Als seinen stärkstenWidersacher aus diesem Lager empfand er Sir John Werden, Kommissionsmitgliedund mit Pepys ranggleicher Sekretär. Dessen Intrigen einerseits und RuprechtsBestrebungen andererseits, nur noch eigene Parteigänger ("who owed everything tohirnself') zu Schiffskapitänen berufen zu lassen, spaltete die Offiziere in Fraktionen3 !.Als sogar der erfahrene Kriegsmann Ruprecht von der Pfalz den Erfolg nicht erzwingenkonnte (woran die gespannte Stimmung innerhalb der Marineführung sicherauch ihren Anteil hatte), schloß Karl 11. im Februar 1674 mit Holland den Separatfriedenvon Westminster. Damit wechselte England für den weiteren Verlauf desKrieges in die mittlerweile große antifranzösische Allianz der kontinentaleuropäischenMächte über und trat so (trotz der fortbestehenden "emotionalen und geschäftlichenAbneigungen" gegen die Konkurrenzmacht 32 ) an die Seite der Republik der29 Vgl. u. a. WAGNERISCHIEDER (wie Anm. 28) S. 312-313; Max IMMICH, Gesch. des Europäischen Staatensystemsvon 1660 bis 1789 (=Handbuch der Mittelalterlichen und Neueren Gesch. Abt. 11: PolitischeGesch.). München, Berlin 1905, S. 79. - Modena galt als von Frankreich protegiert, Jakobs Eheschließungals "a demonstration of his francophile sympathies": James Rees JONES, The Anglo-DutchWars of the Seventeenth Century. London, New York 1996, S. 15.JaZu Prince Rupert, Pfalzgraf bei Rhein (1619-1682), Herzog von Cumberland, Sohn des "Winterkönigs"Friedrichs V. von Böhmen: HE~K, Ruprecht, Pfalzgraf ... ; in: Allgemeine Deutsche Biographie.Bd. 29. Leipzig 1889, S. 743-746; seine Schwester Sophie wurde Kurfürstin von Hannover und wardie Mutter König Georgs I. - Joseph R. TANNER, Samuel Pepys and the Royal Navy. Cambridge 1920,hier S. 18, S. 30; Pepys, Samuel (1633-1703); in: The Dictionary of National Biography, hg. v. LcslicSTEPHEN und Sidney LEE. Bd. XV. London 1917 ff., S. 805-811. Für Pepys (1633-1703) hatte sein bekanntgutes Verhältnis zum Herzog nicht nur positive Auswirkungen: 1679 wurde er wegen angeblicherkatholischer Neigungen (eine falsche Anschuldigung, wie sich später herausstellte) aus dem Amtentlassen. 1686, als Jakob den Thron geerbt hatte, erhielt Pepys seine Position in der Admiralität zurück,verlor sie aber endgültig drei Jahre später nach dessen Absetzung. - Noch 1677 benutzte diesparsame Admiralität übrigens gedruckte Dienstanweisungen für die Schiffskapitäne, in denen ursprünglichJames Duke of York als Aussteller genannt worden war; dieser Text wurde überklebt undstattdessen handschriftlich By the Lords Commissioners for Executing the Office 0/ Lord High Admiral0/ England eingetragen (StAWf IX Hs 34, BI. 24r, für Augustus Lhosteine als Kapitän derNewcastle).31 JONES 1996 (wie Anm. 29) S. 203.32 SCHILLING (wie Anm. 28) S. 220.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650160 U. StraußVereinigten Niederlande. Jenem Bündnis hatte sich unter dem zunehmenden Druckder französischen Bedrohung bereits im Winter 1673/74 das bislang neutrale Spanien,von dem sich die nördlichen Niederlande knapp hundert Jahre zuvor losgesagthatten, angeschlossen. Dadurch verlagerte sich ab September 1674 der Seekrieggegen Frankreich weitgehend in das Mittelmeergebiet, die Spanischen Niederlande(v. a. Flandern und Brabant) wurden zu einer Art Pufferzone zwischen Holland undFrankreich 33 • England beteiligte sich seit dem Frieden von Westminster nicht mehraktiv am Krieg. Karl 11. versuchte allerdings, hinter diesem Schirm der NeutralitätFrankreich weiterhin Vorteile zu verschaffen, indem er Ludwig XIV. mit Truppenunterstützte. In Reaktion darauf bemühte sich Wilhelm III. von Oranien, Statthalterder Vereinigten Niederlande (ein Neffe Karis 11. und Jakobs von York), um Verbündeteunter den mit dieser Regierungspolitik unzufriedenen einflußreichen Engländern:Die holländischen Botschafter in England sollten dort insgeheim ihrerseitsTruppen gegen Frankreich werben und die Stimmung zugunsten Wilhelms und dervon ihm gewünschten Heirat mit seiner Cousine Maria beeinflussen: Sie war dieTochter des Herwgs von York aus dessen erster Ehe und nach ihrem Vater Anwärterinauf den Thron. Diese Eheschließung kam 1677 denn auch zustande, Wilheimund Maria wurden nach der Revolution von 1688 und der Absetzung Jakobs 11. imJahr darauf gemeinsam König (Sovereign) von England und Schottland 34 •An dieser Stelle soll die Frage von Christian Augusts Naturalisierung wenigstenskurz gestreift werden: Sie wird nur von Chamock behauptet und ist in den amtlichenQuellen nicht nachzuweisen 35 • Für den uns interessierenden Zeitraum ist es allerdingsnicht von Bedeutung, ob er tatsächlich, wie Langer vermutete, von dem Sog, derschließlich zu Pepys' Entlassung führte, mit erfaßt wurde (so lohnend eine genauereBeschäftigung mit dieser Problematik auch wäre): Beide Kapitänsernennungen wurdenohne erkennbare Schwierigkeiten durchgefÜhrt, woraus geschlossen werdenkann, daß es zumindest bis 1677 keine Verdachtsmomente gegen ihn gab 36 • Die ersteBestallung erfolgte zwar in der Tat mit dem noch von Jakob von York ausgefertigtenJJ Zum Seekrieg im Mittelmeer: u. a. HALEY (wie Anm. 28) S. 63, JONES 1980 (wie Anm. 28) S. 124,IM MICH (wie Anm. 29) S. 82-84, S. 87. - Zu den Spanischen Niederlanden als Pufferzone: WernerHAHLWEG, Barriere - Gleichgewicht - Sicherheit. Eine Studie über die Gleichgewichtspolitik und dieStrukturwandlung des Staatensystems in Europa 1646-1715. In: Historische Zeitschrift Bd. 187,1959, S. 54-89, hier S. 66-69.)4 HALEY (wie Anm. 28) S. 106-107, S. 193; WAGNERISCHIEDER (wie Anm. 28) S. 322-326.J5J6CHARNOCK (wie Anm. 15); Auskunft PRO London, 11. Okt. 1994: "A search of the indexes to naturalisations,HO 1, for an entry pertaining to Christian August, proved unsuccessful:'LANGER (wie Anm. 5) S. 541-542 glaubte, daß man Christian August spätestens seit 1678 für einen(heimlichen) Katholiken hielt und ihm deshalb die Einbürgerung verweigerte. Es kann als sicher gelten,daß seine englischen Vorgesetzten Lhosteines wahre Identität kannten, zumindest wußten, daß erkein gebürtiger Engländer war (vgl. HAB 125.3 Extravagantes, BI. 45r). In zeitlicher Hinsicht ist auchdurchaus eine Verbindung zwischen jenem Briefwechsel des Jahres 1678, den Langer als Beleg anzieht(z. T. bilaterale Serie: HAB 125.3 Extravagantes, BI. 52-64), und der sich verstärkenden Katholikenhetzein England, der Samuel Pcpys im Mai 1679 zum Opfer fiel (s. o. Anm. 30), möglich. Auffällig istauch, daß gerade in diesem Jahr Christian Augusts Schwester Dorothea Hedwig zum katholischenGlauben übertrat und deshalb ihr Amt als Äbtissin des Stiftes Gandcrshcim aufgeben mußte (vgl.dazu z. B. StAWf 11 Alt Gand Fb. 1): Vielleicht verursachte jene Entwicklung in Christian Augustsenglischer Umgebung die von Langer beobachteten Irritationen.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschiffkapitän, Abenteurer 161Patent vom 28. März/7. April 1673 vor der beschriebenen Umstrukturierung derAdmiralität, aber bereits nach der Verabschiedung der "Test Act". Am 27. April!7. Mai nahm Christian August gemeinsam mit anderen Offizieren in Portsmouth dasanglikanische Abendmahl ein (Abb. 3) und ließ sich dies vom Pfarrer gleich zweimalbescheinigen; am 7./ 17. Mai leisteten seine Schiffsoffiziere, die Besatzung und erselbst den Treueid (I took the oath of Religion and Supremacy)37 - alles gen au nachden Bestimmungen der "Test Act".Die Übernahme der Amhelope fand am 5./15. Mai 1673 in Woolwich bei Londonstatt. Das Schiffstagebuch beschreibt nun alle amtlichen Aktivitäten des Kapitäns, jedenEinsatz seines Schiffes in diesem Krieg, die Wetter- und Strömungsbedingungenfür jeden Tag. Erkennbar wird daraus, daß Christian August im Sommer 1673 in ersterLinie für den recht schwierigen Nachschub zuständig war und zwischen denStreitkräften auf See und der englischen Küste hin und her pendelte. Die großeSchlacht vor Texel am 11./21. August, die mit erheblichen Verlusten aller beteiligtenFlotten endete, erwähnt er nur ganz beiläufig, lediglich mit der Wiedergabe einer Informationaus zweiter Hand (By the re port we had afterwards, our fleet was engagedtoday), den Tod seines Admirals Spragge überhaupt nicht 38 • Er selbst war zu jenerZeit in Harwich zur Aufnahme von Proviant. Dieser Auftrag bewahrte ihn wahrscheinlichdavor, seinem eigenen Bruder als Gegner im Kampf gegenüberzustehen:Am 25. Juli/4. August 1673, im Vorfeld der Seeschlacht, wehrten Soldaten von "einerFahne Fuß-Volck vom Holsteinischen Regiment" unter der Führung des HerzogsRudolf Friedrich mit 18 Kanonen an der Küste von Scheveningen englische Angriffeauf den Hafen ab 39 • Im Oktober und November finden wir Christian August häufig inder persönlichen Umgebung des Konteradmirals Sir John Narborough, dessen Kommandoer spätestens seit Ende September unterstellt worden war. Er wurde unter anderemeingesetzt zur Feindbeobachtung sowie (wie schon erwähnt) zur Überführunggekaperter Schiffe mit den darauf befindlichen Gefangenen nach England 4o • Gemeinsammit Narborough war er am 21. November/3. Dezember 1673 anwesend beider Hochzeitsfeier des Herzogs von York mit Maria Beatrice d'Este auf dessen Schiffvor der Küste von Dover. Kurz nach Weihnachten erkrankte Christian August soschwer (I was dead siek), daß er sein Testament abfaßte und Abschiedsbriefe an seineFamilie sandte (/ made my will and did write soma) kind of pittifulletters into Germany)41.37 Ernennungen und Abendmahlszeugnisse: StAWf IX Hs 34 (wie Anm. 2); Erwähnung des Abendmahlsim Tagebuch: ebd. BI. 135r; Dienst- bzw. Treueid: ebd. BI. 135v (Zitat).38 Zitat: StAWf IX Hs 34, BI. 142r, zu Spragges Tod: u. a. ATKINSON (wie Anm. 19) S. 196.3. ~ Theatrum Europaeum XI" = MERlAN und GÖTZ, Hg., Theatri Europaei Eilffter lbeil (1672-1679).Frankfurt/Main 1682, S. 495 (Zitat). Vgl. auch A. HALLEMA, Cornelis Martensz. Tromp. Den Haago. J., S. 164 (freundliche Auskunft RA Den Haag).40 Unter Narboroughs Kommando: StAWf IX Hs 34, BI. 144 für den 20./30. Sept. 1673. Nach ANDER­SON (wie Anm. 23) S. 401 hatte die Anthelope auch im August Beuteschiffe eskortiert. Zu den Kriegsereignissenzwischen Mai 1673 und dem Friedensschluß im Februar 1674 z. B. ATKINSON (wieAnm. 19) S. 194-197; JONES 1996 (wie Anm. 29) S. 201-216.41 StAWf IX Hs 34, BI. 154r: 3./13. Jan. und 10./20. Jan.; (a) = some.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650162 U. Straußl Jr >,t L·t f. ",.; !>,'h., t I,,, ... J ... , •..... ~. .tl. Jt! ..{ ,( lt~ ..,,·. ,',,' ~ lQ R ,h.., " _ #10...f. ~ .. ~".l )f. n. .. -~' ;! ; .l.. u( rcl' "" "',1"... ""'.'1' -. ("1',....../ / · t,« ll",,~ r d .... n .-., vj ,T ~ n J ~"7JC."'. t, J I,t, (,J"j('", iA,r~"'t~ ".",L"", t .#, .... ~ IJ -- "Li., .. ," "'" ~,.::.u. J ~ 7r.7 -= ".~..;,..Ih.f7':.. ~_\Abb.3:Erste Seite des SChiffstagebuches mit Erwähnungder Teilnahme am Abendmahl (Sunday ... 27) (StA Wf IX Hs 34, BI. 135r).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschiffkapitän, Abenteurer 163Mitte März t 674 erhielt er die Nachricht vom Friedensschluß zu Westminster. Ungeachteteines ihm zunächst erteilten neuen Auftrages hatte die Admiralität danndoch keine weitere Verwendung mehr für ihn - ein zu jener Zeit durchaus normalerVorgang und ganz sicher nicht gegen seine Person gerichtet: Eine Daueranstellung,die auch die (reduzierte) Besoldung im Winter oder in Friedenszeiten sowie Pensionszahlungennach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst einschloß, gab es damalsnur für Kapitäne von Schiffen höheren Ranges 42 • Bei der Übergabe der Anthelopehätte der scheidende Kapitän dem anwesenden Kommissionsmitglied auf jedenFall sein Schiffstagebuch und die Stammrollen aushändigen müssen: tatsächlich verbliebendiese Unterlagen aber weiterhin in seinem Besitz. Am 20./30. April 1674 endetefür Christian August alias Augustus Lhosteine zunächst einmal der aktiveKriegsdienst für den englischen König 43 .Kaum drei Wochen nach der "Abwicklung" der Anthelope wird dann überraschendunter dem 18. Mai n. St. 44 das Tagebuch fortgesetzt (Abb. 4), als Direktschriftmit einer Vielzahl von Streichungen und Nachträgen: Christian August reistevon London nach Harwich, dann mit einem Postschiff (packet boat) bis Brielle inHolland, wo er am 21. Mai eintraf. An den nächsten elf Tagen war er in Holland undBrabant unterwegs, über das Itinerar hinaus erfahren wir fast nichts: Den Haag, Leiden,Amsterdam, Haarlcm; wieder Dcn Haag, Delft; Rotterdam, Dordrecht (Dort).Am 27. Mai bestieg er ein Segelschiff nach Antwerpen. Von hier aus erreichte er am29. Mai Duffel (Duflen), where His Highness the Prince of Oranges quarter. I delivereda letter of the Ambassadour Red unto Sir Bentingen. Und für den 30. Mai notierter: After having received a letter from His Highness for the General Horn in thefleet and dined with Prince Maurice, I went to Eppingen [Eppegem zwischen Mechelenund Brüssel], my brothers quarter4 5 •Das sind nun allerdings faszinierende Informationen: Den ehemaligen Kapitäneines englischen Kriegsschiffes führte wenige Wochen nach dem Friedensschluß einebesondere Mission in die direkte Umgebung Wilhelms 111. von Oranien (HisHighness), der sich seinerseits zu jener Zeit in den Spanischen Niederlanden aufhielt- Beleg für die neue Bündnispolitik mit Spanien. Unklar bleibt, ob Christian Augustdem Statthalter dort auch persönlich begegnete, wie er es für den GeneralfeldmarschallJohann Moritz von Nassau-Siegen (Prince Maurice) ausdrücklich vermerkt:Ihr gemeinsames Essen ist auch ohne Erwähnung der tatsächlich zwischen ihnen be-42 Michael LEWIS, England's Sea-Officers. The Story of the Naval Profession. London 1939.2. Aufl. 1948, S. 65-67, hier bes. S. 66: Bei der von LANGER (wie Anm. 5) genannten Pension desenglischen Königs für Christian August kann es sich nicht um ein reguläres Ruhegehalt gehandelthaben, sondern nur um eine individuell gewährte Gnadenrente.43 StAWf IX Hs 34, BI. 156v.44 StAWf IX Hs 34, BI. 157r-165r, beginnend mit einigen Notizen über die Bewaffnung der Amhelope,die in den nachfolgenden Zusammenhang nicht eingeordnet werden können. Christian August übrigensführt diese Notizen als gesondertes Tagebuch auf ( ... the Journal kept in the same book - HAB257.3 Extravagantes, BI. 332r): eine so klare Unterteilung läßt der Band nicht erkennen. In dem Augenblick,da er holländischen Boden betrat, werden die Datierungen von ihm sowohl im Alten wie imNeuen Stil angegeben, zitiert wird hier nur mit dem Neuen Stil.4S StAWf IX Hs 34, BI. 157r.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>164U. Strauß•..I 1'" .. '" r-" 6,.. t' r.. ,,~.; ...... . ~ "~ "1t1l:"'- .. y-~) ....-_,h''''''';''$-]5,.,.., I~.~,.,. I'"5). ".Abb.4:Tagebuchseite mit dem Itinerar der Mission in Holland von der Abreise aus Londonbis zur Obernachtung in Moerdijk (SLA Wf IX Hs 34, BI. 157r).http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschiffkapitän, Abenteurer 165stehenden Verwandtschaft ein deutlicher Hinweis auf die hohe gesellschaftliche Stellungdes Besuchers aus England. Außerdem finden wir an dieser Stelle den einzigenHinweis auf Herzog Rudolf Friedrich in diesem Tagebuch.Christian August bewegte sich hier in einer von politischen Verflechtungen und offenenwie verdeckten diplomatischen Aktivitäten gekennzeichneten Atmosphäre:Während des Krieges 1672-1674 waren viele der Gegner Karls 11. nach Holland insExil gegangen. Es ist weiterhin bekannt, daß jenes packet boat von Harwich nachBrielle für die Beförderung geheimer Postsendungen genutzt wurde (hinüber wie herüber)und daß es in Flandern von Agenten aller Seiten wimmelte 46 • In AmbassadourRed, dessen Schreiben Christian August überbrachte, können wir ohne Mühe Frederikvan Reede erkennen, einen der drei im Mai 1674 nach England entsandten holländischenBotschafter, der dort mit der innerenglischen Opposition gegen Kar! 11.Kontakt aufnahm. Bei Sir Bentingen, dem Empfänger dieses Briefes, dürfte es sichum den Freiherrn Hans Wilhelm von Bentinck (Hans-Willem Bentinck) gehandelthaben, den "damals vertrautesten Ratgeber" Wilhelms 111. 47 Auch spielten die niederländischenStädte als politische Körperschaften in jener Zeit eine wichtige Rolle:Amsterdam hatte bis zum Frieden von Westminster uneingeschränkt die Politik WilhelmsHI. gefördert. Die militärischen Erfolge Ludwigs XIV. veranlaßten die Stadtaber - dabei unterstützt von Leiden, Dordrecht, Delft, Schiedam und Enkhuizen - zudem Wunsch nach einer Übereinkunft mit Frankreich. Dieser "Pro-Frans"-Gruppestand die "Pro-Engels"-Gruppe gegenüber: die holländische Ritterschaft und dieStädte Haarlem und Rotterdam hielten weiterhin zu Wilhelm III. und seinem Bestreben,England fest in die antifranzösische Koalition einzubinden 48 •Zwischen dem 31. Mai und 2. Juni kehrte Christian August von Eppegern auf demkürzesten Wege über Mechelen, Antwerpen, Zevenbergen, Moerdijk und Dordrechtnach Rotterdam zurück. Noch in der Nacht bestieg er dort ein Schiff, das ihn nachVIissingen beförderte. Am 10. Juni traf er als Gast an Bord der Ter Goes, die ihn aufder IIalbinseI Walcheren aufgenommen hatte, in Südengland ein 49 • Mit der Versammlungder niederländischen Flotte vor Torbay begann einer der "Nebenkriege"jener Zeit gegen Frankreich: Ein Teil der Schiffe sollte unter dem Kommando Admiralde Ruyters die karibische Insel Martinique, die im Besitz Frankreichs war, für Hol-4


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650166 U. Straußland erobern (was jedoch fehlschlug). Die andere Hälfte der Flotte stand unter demOberbefehl des Admiralleutnants Cornelis Tromp (Sohn des populären AdmiralsMartin Tromp) und heahsichtigte eine Landung an der französischen Küste: Manwollte dort französische Streitkräfte binden, um den Druck auf die binnenländischeGrenze zu verringern 5o •Ein niederländischer Historiker sieht allerdings als Hintergrund einen"Zusammenhang mit dem Plane, einen großen Hugenottenaufstand in Frankreichzu organisieren, namentlich an der Westküste und in Languedoc und in der Provence.Tramp sollte diese Pläne mit einer Flotte unterstützen, auf der ein kleinesLandungsheer eingeschifft werden sollte. Die Verschwörung, die von dem Abenteuererde Sardan und einigen jungen Hugenotten geleitet wurde, war aber vonviel geringerem Umfang, als die Anstifter den Prinzen glauben machen wollten; siewurde außerdem verraten, und aus der ganzen Sache wurde nichts anderes als eineunter diesen Umständen mit geringem Nachdruck durchgeführte Flottendemonstrationan der französischen Küste. "51Diese Begründung findet sich in keiner der neueren, hier beigezogenen Darstellungen.Dennoch erscheint sie nicht ganz abwegig, bedürfte aber der genauen Überprüfung.Im Tagebuch jedenfalls taucht der Name Serdam the persen 3 ) aup2 - es könntesich hierhei um eine phonetische Schreibweise des Namens ,,( de). Sardan", aber ebensogutauch nur um ein zufälliges Zusammentreffen handeln.Christian August went on board Hollandia and presented to Heern 3 } AdrianCount Horn, General of the Artillerie, His lIigh(ness')s lette,s3. Dieses SchreibenWilhelms III. von Oranien hatte er, wie wir gesehen haben, am 30. Mai in Duffel inEmpfang genommen. Im Tagebuch folgt ab dem 11. Juni sein detaillierter Augenzeugenberichtüber die Expedition mit ausführlichen Schilderungen der militärischenLandungen und Aufenthalte auf Belle He und He dc Noirmoutier vor der Bretagne­Küste. Nach den erfolglos abgebrochenen Besetzungen jener beiden Inseln und strategischunergiebigen Scharmützeln mit den Franzosen ging die Fahrt Ende Juli überLa Rochelle weiter nach San Sebastian in Spanien (3. August). Hier finden wir die amSeitenrand nachgetragene Bemerkung: As I found it out afterwards, the chief} cominghither of our fleet heer was that we should have landed the landforces an b ) joynedthem with some Spanish troupes an b } Cavalry to make an attempt upon Bayon [Bayonne 1 or some other place, but we did find no one men 54 ! Nach Rittmeyer wurde dieOrder, die Fahrt in das Mittelmeer fortzusetzen, von der "spanischen Regierung" ersoRudolph RITTMEYER, Seekriege und Seekriegswesen in ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung. Bd. I:Von den Anfängen bis 1740. Berlin 1907, mit ausführlicher Beschreibung des FlouenzugesS. 362-367, Zitat S. 362. Eine kurze Erwähnung auch bei IMMICH (wie Anm. 29) S. 83.SI P. J. BLoK, Geschichte der Niederlande. (= Allgemeine Staatengeschichte, hg. von K. LAMPRECHT.Erste Abteilung: Geschichte der europäischen Staaten 33) Bd. 5. Gotha 1912, Zitat S. 398 (unterBezug auf eine ältere niederländische Ausarbeitung).S2 StAWf IX Hs 34, BI. 165r; (a) = parson.S3 StAWf IX Hs 34, BI. 158r; (a) Anfangsbuchstabe zerschrieben.S4 Bericht über die gesamte Expedition: StAWf IX Hs 34, BI. 157r-165r, Zitat BI. 160r: (a) zu ergiulZenist wohl reason; (b) = and.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschiffkapitän, Abenteurer 167teilt 55 • Mehrere Schiffe wurden am 9. August abgeordnet to convoy the sma/l craft~)to the Channell and then b ) to waU upon the si/ver fleet, therewith went 6 horses sendfrom the King of Spain to the Prince of Orange5 6 • Bis Ende September war die spanischeKriegsflotte vor Barcelona 57 , die französische nördlich davon im Golf vonRosas eingetroffen. Am 24. September vereinigten sich die holländischen Schiffe mitder Armada, am 2. Oktober befand man sich gemeinsam in der Bucht von Rosas.Doch erst am 7. Oktober wurden 16 Kompanien Soldaten von den Schiffen an Landgebracht, und bereits am Tag darauf sandte der Anführer der Spanier gegen die Franzosen,der Herzog von St. Germain, ein Schreiben: a compliment, and that it was to a )late in the year to do an y action in a short time and so thankt for the intended help offorces 58 • Daraufhin wurden die Truppen an Bord zurückbefohlen, die Schiffe, die sieaufnehmen sollten, blieben noch in der Bucht vor Anker. - Der Krieg ging in dieWinterpause, Admiralleutnant Tromp machte sich mit fünf oder sechs Fregattenvorab all alone homewards auf den Weg 59 •Darunter befand sich auch die H ollandia mit Christian August. Nach jahreszeitbedingtstürmischer Rückfahrt erhielt das Schiff kurz vor der Ankunft in schwerer Seeam 28. November drei Lecks im Rumpf. Die Pumpen waren unentwegt im Einsatz, sodaß man am 3. Dezember wenigstens mit eigener Kraft vor Oosterend auf Texel vorAnker gehen konnte. Admiralleutnant Tromp und Mr. Martin Tromp (vermutlichsein Neffe), Christian August, ein Mann namens Shriyver sowie der bereits erwähntePfarrer Serdam erreichten am 4. Dezember Amsterdam 6o • Christian August hielt sichanschließend noch weitere zwei Monate im Land auf. Über seine Aktivitäten erfahrenwir, wie am Beginn seiner Reise nach Holland, nur wenig: Am 8. Dezember nahmer in Den Haag ein Zimmer, unter dem 24. Dezember lesen wir den mysteriösen Eintrag:Eyed the liften( ant)-Colonel Castro in the Haye 61 , am 28. Dezember folgte der" RITTMEYER (wie Anm. 50) S. 366.,. StAWf IX Hs 34, BI. 160r: (a) übergeschrieben für gestrichen vessels; (b) Vorlage evtl. there. Ein sichwohl auf das gleiche Geschenk beziehender Eintrag unter dem 25. September lautet: Tromp did receivethe King o[ Spains present, sb: picture in a box o[ diamonds (ebd. BI. 161 v)." StAWf IX Hs 34, BI. 161r." SIAWf IX Hs 34, BI. 162v, (a) = tao.'9 Nach RITTMEYER (wie Anm. 50) hatte Tromp das Ansinnen der Spanier abgelehnt, die spanische flottebei ihrer Expedition nach Messina zu unterstützen - vgl. dazu auch die Darstellung im "DiariumEuropaeum" (s. u. Anm. 63).60 StAWf IX Hs 34, BI. 164v-165r. - Comelis Tromp hatte zwei Brüder, Marten Harpertsz (bzw. HarpertMartenszoon, seit 1688 Bürgermeister der Stadt Delft: Abraham Jakob VAN DER AA, BiographischWoordenboek der Nederlanden. Voortgezet onder redactie van HARDERwllK en Dr. C. D. J. SCHOTEL.Haarlem 1852, Nachdruck Amsterdam 1969, S. 69), und Adrien (La Vie de Comeille Tromp, Lieutenant-Amiral-Generalde Hollande et de West-Frise. Ou L'on Verra tout ce qui s'est passe de plusmemorable sur Mer, dans les Guerres que la Hollande a eu 11 soiitenir contre la France, D\ngleterre etles autres Puissances de I'Europe. A la Haye 1694, S. 516; hierbei handelt es sich um die Übersetzungder Biographie: Leven en Bedrijf van den vermaarden Zeeheld Cornelis Tromp ... , Amsterdam 1692.Eine englische Ausgabe erschien wenige Jahre später: The Life of Comelis van Tromp, Lieutenant­Admiral of Holland and Westfriesland ... London 1697).61 StAWf IX Hs 34, BI. 165r. Es ließ sich bisher nicht klären, wen er im Haag "erspäht" hatte: Der FamiliennameHede) Castro" ist in Spanien und Portugal sehr häufig, eine eindeutige Zuordnung warüber das Archivio Biognifico de Espaiia, Portugal e Iberoamerica, München, New York, Paris 1986,


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650168 U. StraußUmzug nach Amsterdam, am 1. Februar begann schließlich seine Rückreise überBrielle und Harwich (wieder mit dem Post schiff) nach London. Mit seinem Eintreffenim früheren Quartier am 6. Februar enden die Notizen 62 •Tromps Aktionen in der zweiten Hälfte des Jahres 1674, die Christian August soausführlich beschreibt, waren Randbegebenheiten im Krieg gegen Frankreich undwerden in modernen Überblieksdarstellungen gar nicht erwähnt. Die größere militärischeund psychologische Bedeutung kam zweifellos zwei anderen Ereignissen desJahres 1674 zu: der blutigen Schlacht von Seneffe im August und dem Aufstand vonMessina, der seit dem Herbst die militärischen Kräfte der Gegner Frankreichs für längereZeit im Mittelmeer band. Doch auch wenn es sich hier fraglos nicht um ein Unternehmengehandelt hat, das europäische Geschichte machte, fand es doch das Interesseder Mitwelt und wurde in der Publizistik des ausgehenden 17. Jahrhundertsgewürdigt.Bei genauer Lektüre einiger dieser Veröffentlichungen verblüffen unverkennbareÜbereinstimmungen mit Christian Augusts Tagebuchaufzeichnungen. Dieser Befundist jedoch nicht mehr erstaunlich, wenn man die Namen der offizielIen Verfasser jenerso ähnlichen Berichte (in erster Linie Tramp und Graf van Hoorne), deren Ausstellungsorte(die Hollandia vor He de Noirmoutier) und Datierungen (Ende Juli 1674)ansieht: Sie sind eindeutige Anhaltspunkte dafür, daß Christian August tatsächlich anihrem Wortlaut mitgewirkt hat. Es handelt sich um die Sendschreiben 63"Missiv WeIches der Herr Admiral Lieutenant Tramp an die Hoch-Mögende HerrenGeneral Staaten der Vereinigten Niederlande auß dem Schiff Hollandia / alses bey Noirmentiers unter Segel gelegen / den 26 Julij 1674 abgehen lassen. Außdem Holländischen ins Teutsche übersetzt.""Missive WeIche Se. Excell. der Herr Graff von Horn an die Hochmögende HerrenGeneral-Staten der Vereinigten Niederlanden / aus dem Schiff Hollandia / sovon Narmontiers gesegelt I den 27. Julii 1674 abgehen lassen."Aus diesen Vorlagen entstanden die Flugschriften 64Journael van's Landts Vloot, Zeylende in de Bocht van Vranckrijck: En het veroveren[siel] van diversehe Eylanden, &c. aldaer: Getracken uyt de Brieven vanden Heer U. Admirael Tramp, Grave van Hornes ende andere Officieren. Haerlern,... 1674. [1 BI. ]Relation Oe Tout ce qui s'est passe sur la Flote des Provinces Unies depuis le 18Juin jusques au 26 Juillet 1674. En deux Lettres ecrites du Vaisseau Amiral, parMonsieur Tromp & Monsieur le Comte de Horne. Amsterdam, ... 23 Aout 1674.[4 S.]nicht möglich. Sicher ist nur, daß er kein Offizier der Hollandischen Armee war (freundliche AuskunftRA Den Haag).62 StAWf IX Hs 34, BI. 165r .. 63 Abdrucke (offenbar z. T. mit Kürzungen: vgl. mit den Texten der flugschriften in Anm. 64) in der periodischenZeit~chrift "Diarium Europaeum" (wie Anm. 49) Bd. XXIX, Frankfurt/Main 1674, "Appendix",S. 241-248 (Tromp) und S. 249-252 (van Hoorne).6< <strong>Bibliothek</strong> der niederländischen Reichsuniversität Leiden, Bestand" Verzamelingen van de Bibliotheekvan Joannes Thysius", Nr. 4150 (»Journal .. .") und Nr. 4151 ("Relation ... ").


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschi[[kapitän, Abenteurer 169Diese Darstellungen beschreiben unterschiedlich ausführlich und mit variierendenSchwerpunkten die Geschehnisse bis zum Verlassen der He de Noirmoutier. In eineranonym verfaßten und zuerst 1692 gedruckten Biographie des AdmiralleutnantsCornelis Tromp wird dagegen ein deutlich als Zitat kenntlich gemachter Bericht inseriert,der die gesamte Flottenunternehmung, einschließlich der Fahrt nach Spanien,umfaßt. In den Frankreich betreffenden Teilen stimmt er derart genau mit einem entsprechendenAbschnitt in der periodischen Zeitschrift" Theatrum Europaeum" überein,daß beide wie gegenseitige wörtliche Übersetzungen wirken. Dies lieBe sich nochals tatsächliche Übernahme aus der zehn Jahre älteren deutschen Publikation erklären,lautete nicht das Rubrum des Inserts vollständig: "Relation de ce qui arriva parMer en 1674 tiree des principaux Memoires de Lieutenant Amiral Tromp"65! Zudembeinhaltet die Biographie an einigen Stellen geringfügig mehr Informationen als das"Theatrum Europaeum". Es muß also noch mindestens eine weitere Darstellung existierthaben, deren Autor vermutlich Cornelis Tromp allein war und die bereits 1682den Herausgebern des "Theatrum Europaeum" vorgelegen hat 66 . Dieser Text dürftein weiten Teilen auf den vorgenannten "Missiven" basiert haben - mit einer solchenAnnahme ließen sich jedenfalls die auch hier ganz deutlich in Erscheinung tretendenÄhnlichkeiten mit Christian Augusts Formulierungen plausibel erklären.In diesem Zusammenhang ist aber noch etwas anderes auffällig: Das "TheatrumEuropaeum" zeigt an jener sich an die Abreise von Noirmoutiers anschließendenSpanienfahrt kein nennenswertes Interesse, und Tromps eigene, gerade genannte"Relation" fällt hierzu gleichermaßen kurz aus. Das "Diarum Europaeum" hingegenwidmet diesen Ereignissen nicht nur erstaunlich viel Platz6 7 , sondern äußert sichzudem ausnehmend kritisch über den Ablauf der Aktion sowie über Tromps und vanHoornes Verhalten. Diese Kritik war gewiß nicht ganz unberechtigt, hatten doch diebeträchtlichen Versorgungs kosten, die der Flottenzug rund sechs Monate lang verursachthatte, vor dem Hintergrund seiner Nutzlosigkeit besonders ungünstig zu Buchegeschlagen. Ferner war, wie wir von Christian August erfahren haben, mindestenseines der beteiligten Schiffe nahezu seeuntüchtig zurückgekehrt. Und es gab in derTat für die Verantwortlichen noch ein unangenehmes Nachspiel:"Schon mit der Fahrt nach dem Mittelmeer überhaupt hatten die holländischenChefs eine große Verantwortung übernommen, und tatsächlich wurde Tromp spätervon der Admiralität Amsterdam - da der Zug nur so wenig Erfolg gehabt -65 Tromps Biographie (wie Anm. 60, französische Ausgabe von 1694) S. 504-515, Frankreich betreffend:S. 505-513, Zitat S. 504. - .Theatrum Europaeum XI" (wie Anm. 38) S. 718-720, "Berichtvon Verrichtung der Landes-Flotte", aus niederländischer Sicht.66 Zu den Vorlagen, die die Herausgeber des "Theatrum Europaeum" benutzten und wie sie sie auswerteten:Hermann BINGEL, Das Theatrum Europaeum - ein Beitrag zur Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts.(Diss.) München 1909, Nachdr. 1969.67 Zwei kurze Absätze im "Theatrum Europaeum XI" (wie Anm. 39) S. 734, in Tromps Biographie (wieAnm. 60, französische Ausgabe) S. 513-515; im "Diarium Europaeum" (wie Anm. 49) dagegen größerePassagen innerhalb der Darstellung der Niederlandischen Geschichte (u. 3. S. 102, S. 530-531,S. 562-574, S. 592, S. 597, S. 599).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Herzog, Kriegsschiffkapitän, Abenteurer 171Die zweite These ist zwar gewagter, stützt sich aber durchaus auf konkrete Indizien:Es spricht einiges dafür, wie wir gesehen haben, daß er an den diplomatischenVorbereitungen des Flottenzuges im Mai beteiligt war und die ganze Aktion dann alsBeobachter begleiten sollte. Als Auftraggeber und mögliche Empfänger eines Berichtes,für den seine ausführlichen Aufzeichnungen die Grundlage bilden konnten,kämen beide Seiten in Frage, zu denen Christian August bekanntermaßen persönlicheBeziehungen hatte.Auf niederländischer Seite waren dies Wilhelm III. von Oranien und seine engerenVertrauten - Hans Wilhelm von Bentinck, Botschafter van Reede, Johann Moritzvon Nassau-Siegen, Rudolf Friedrich von Holstein-Norburg (die beiden letzterenzudem nahe Verwandte von Christian August). In England (von wo aus die Flotte imJuni gestartet war) könnten König Karl 11. seihst sowie Ruprecht von der Pfalz, Jakobvon Y ork oder Samuel Pepys die Adressaten sein. Sie waren nicht nur alle ChristianAugusts frühere Vorgesetzte, die drei letztgenannten förderten ihn auch - was vordem Hintergrund der Zwistigkeiten unter ihnen doch erstaunt. Vielleicht gehörteChristian August sogar zu denjenigen Kapitänen, die auf Ruprechts Wunsch in dieMarine aufgenommen wurden, eine Begebenheit von Juni 1673 legt diese Interpretationzumindest nahe: Mit nachdrücklicher Unterstützung von Prince Rupert ließ ersich nämlich auf persönlichen Konflikt mit dem Sekretär Sir John Werden ein (der einigeWochen zuvor seine Kapitänsernennung gegengezeichnet hatte). Jener war, wiewir schon sahen, Vertrauensmann des Herzogs von York und Ruprechts ärgster Widersacher.Gegenstand des Streits war die Zuteilung von einigen Soldaten und Matrosen:... His Highness [= Prince Rupertj was pleased to give me the liberty of keepingthem, and when the next day the Secretaries") letter from London ordered me torelease them, the Prince continued in his former desire, and the ludge Advocat hadorder to keep the Commission and the press warrant besides Sir lohn Werdens andmy letters to iudge further of the case 72 .Derart vielschichtige persönliche Verbindungen Christian Augusts zu Vertreterngegensätzlicher politischer Parteiungen, dazu die skizzierte intrigengesättigte Atmosphäreim damaligen Verhältnis zwischen England und den Vereinigten Niederlanden,aber auch in England selbst, und die Umgebung, in der er sich vor allem im Mai1674 bewegte, lassen auf alle Fälle genügend Spielraum für Mutmaßungen über Hintergründeund Kontext seiner Reise. Hier ist auch noch einmal zu erwähnen, daß ersein Tagebuch zwischen Mai 1674 und Februar 1675 auf Englisch führte (mit nur we-72 StAWf IX Hs 34, BI. 137r; (a) falls Seeretaries hier im im Plural gebraucht wird, wäre auch Pepys in dieAngelegenheit verwickelt gewesen. Zu den Gruppenbildungen in der Marineführung s.o., zuAnm. 31. Es ist bedauerlich, daß uns Christian August die juristische Entscheidung nicht mitteilt. -LANGER (wie Anm. 5) S. 526 und 538 vermutete übrigens bereits Ruprechts Protektion für ChristianAugust, seine Begründung dafür (die gleiche nationale Herkunft, ebd. S. 526) ist allerdings wenigüberzeugend.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650172 U. Straußnigen deutschen und vereinzelten niederländischen Einschüben 73 ): Es könnte die Interpretationder disparaten Informationen, die wir bisher über seine Rolle in jenenMonaten besitzen, vielleicht erleichtern, wenn wir wüßten, ob diesem Sachverhalteine besondere Bedeutung beigemessen werden muß.Zugespitzt gefragt: War Herzog Christian August von Holstein-Norburg einAgent im Holländischen Krieg? Nach dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisseüber sein Leben können wir davon ausgehen, daß er einem riskanten Unternehmenwohl nicht abgeneigt war, sofern es ein aufregendes Erlebnis zu werden versprach. ImJahr 1665 beispielsweise reiste er unter dem Pseudonym "Baron von Bin(ncn)dorf"mit der kaiserlichen Großbotschaft unter der Führung des Geheimrates Walter Grafvon Leslie von Wien nach Konstantinopel 74 • Und obwohl Rudolf Friedrich ganz offenbarenergisch die Rückkehr seines Bruders nach Hause verlangt hatte, trennte sichdieser in Konstantinopel von der Reisegruppe und brach am 4./14. Dezember zueiner Expedition in das Heilige Land auf1 s . Bezeichnend für ihn ist die geheimnisvollformulierte, seine tatsächliche Entscheidung verschweigende Nachricht, die er nurwenige Tage zuvor abgesandt hatte: Er hätte seinem Bruder nicht früher auf dessenBrief antworten könnenwegen ein und ander Ursach, so mir nicht gebricht zu schreiben . .. Selbiges hat mirauch meinen Willen, den Weg zu verkürtzen, gantz umbgestoßen, daß ich also einglückliches Ende von der Ambassade undt fernern Außgang erwarten muß. 76Die Übernahme eines Geheimauftrages im Jahr 1674 erscheint bei Christian AugustsAbenteuerlust also keineswegs abwegig. Klarere Konturen, die eine fundierteAussage erlaubten, könnte sein Porträt gewiß gewinnen, wenn die zwar über halb Europaverteilten, an ihren Aufbewahrungsorten gleichwohl gut zugänglichen und aussagekräftigenQuellen umfassend ausgewertet und dabei auch seine anderen Unternehmungenin ihre zeitgeschichtlichen Zusammenhänge gestellt würden. Der vorliegendeBeitrag möchte zu weiteren (mit Sicherheit lohnenden) Forschungen über diesenHerzog, Kriegsschiffkapitän und Abenteurer anregen, denn darin ist Ernst TheodorLanger auch heute noch zuzustimmen: "Daß es hier noch irgend einen Hauptknotenzu entwickeln gebe, ist Ref. beynahe überzeugt. "7773 Deutsche TextsteIlen: StAWf IX Hs 34, BI. 147r, 158r, 159v, 163v; niederländische Einsprengsel:ebd. BI. 164r, 164v.74 Vgl. hierzu Ekkehard EICKHOfF, Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa1645-1700. München 1970, S. 222-226, ausführlich auch Martin MEYER, Theatri Europaei NeundterTheil (1660-1665). Frankfurt/Main 1672, S. 1513-1641, mit kurzer Fortsetzung im nächsten Band:Wolffgang Jacob GEIGER, Theatri Europaei Zehender Theil (1665-1671). Frankfurt/Main 1677,S. 177.75 HAB 257.3 Extravagantes BI. 245r-v; er erhielt für diese Reise einen venezianischen Paß. Am20./21. Dezember (n.St.) begann in Konstantinopel die Rückreise der Reisegruppe um Leslie, imMarz 1666 erreichte man wieder den Ausgangspunkt Wien.76 StAWf 1 Alt 5 Nr. lR2c, BI. 5: 1665 Dez. 2 (n.St.).77 LANGER (wie Anm. 5) S. 538.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Eine mittelalterliche Mitraaus St. Aegidien zu <strong>Braunschweig</strong>Ein Grabfund aus dem ehemaligen Kloster CorveyvonDörte BeckerDas Fürstentum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel und das geistliche Fürstentum Corveyhatten in den vergangenen Jahrhunderten eine gemeinsame, an der Weser verlaufendeTerritorialgrenze; die Beziehungen waren außerdem durch die braunschweigischeSchutzherrschaft über den kleinen Nachbarstaat geprägt. Zeitweise waren die politischenBerührungspunkte freundschaftlich, aber hin und wieder kam es auch zu Streitigkeiten,zumal wenn es um die Grenze und um Gebietsansprüche ging. Die Landesherrenbeider Territorien waren stets gut miteinander bekannt, doch nur zwischenHerzog Anton Ulrich und Fürstabt Florenz van de Velde entwickelte sich auch eineenge Freundschaft. Sie kannten sich bereits, als heide noch nicht regierende Landesherrenwaren. Gerade wohl deshalb konnten sie miteinander unbelasteter persönlicheKontakte pflegen und entwickeln. Zahlreiche schriftliche Quellen berichten anschaulichvon dieser außergewöhnlichen Verbindung, und einige wenige erhaltene Gegenständedokumentieren heute noch die gegenseitige persönliche Wertschätzung l .Das Kloster CorveyEine der bedeutendsten karolingischen Klostergründungen in Deutschland war dieAbtei Corvey2. 822 wurde sie zwei Kilometer östlich von Höxter - villa huxori - entferntim Weserbogen von Ludwig dem Frommen gegründet. Schon sein Vater, Karlder Große, hatte hier ein Kloster geplant, um den christlichen Glauben in Sachsen zufestigen und weiter auszubreiten. Diese Tochtergründung des Klosters Corbie an derSomme (bei Amiens in der Picardie) wurde von adligen Benediktinermönchen besie-1 SfA Münster, Corveyer Akten, Mscr. I 149-153, 159; Hans Joachim BRÜNING, Herwg Anton U1richvon <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg zu Wolfenbüttel und Abt Florenz von Corvey. In: Westfälische Zs.126./127. Bd., 1976/77.2 Literatur zusammenfassend bei W. STÜWER, Corvey. In: Die Benediktinerklöster in Nordrhein-Westfalen.Bearb. von Rhaban Haake (= Germania Benedictina Bd. VIII), St.Ottilien 1979; sowieM. Sagebiel, Corvey, In: Westfälisches Klosterbuch (Veröff. d. HIKO f. Westfalen XLIV: QuF zur Religionsgesch.Bd. 2), Münster 1992.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650174 D. Beckerdelt; auch der erste Abt kam von dort nach Corbeia nova - Corvey. Schon nacheinem Jahr, 823, verlieh Ludwig der Fromme dem Kloster mit der villa huxori undseinen Besitzungen den Status einer reichsunmittelbaren Abtei. Aufgrund derReichsunmittelbarkeit verstanden sich die adligen Fürstäbte von Corvey vorrangig alsLandesherren und erst in zweiter Linie als geistliche Oberhäupter. Als äußeres Zeichendieses Selbstverständnisses erbauten sie für das im Dreißigjährigen Krieg zerstörteund dann abgebrochene Kloster und seine Kirche eine Residenz, die die größtebarocke Anlage Norddeutschlands darstellt. Residenz-, Konvents- und Wirtschaftsgebäudeund die Kirche mit dem karolingischen Westwerk (873 bis 885) sind weithinals Herrschaftszeichen sichtbail.Den Grundstein des Hauptgebäudes legte am 25. Mai 1699 Fürstabt Florenz. Inseinem Tagebuch machte er sich Notizen über seine Bauvorhaben und holte sich Ratbei Herzog Anton Ulrich, wie aus ihrem Briefwechsel hervorgeht. Dieser beriet mitseinen reichen Erfahrungen, die er beim Bau seines Schlosses Salzdahlum gesammelthatte, seinen Freund und sandte ihm sogar aueh einige Handwerker4. Die Größe dergesamten Klosteranlage stand schon um 1700 im Widerspruch zur Anzahl der Konventualen,die durchschnittlich etwa 30 betrug. Im 18. Jahrhundert nahm die Zahl derMönche weiter ab, so daß 1784 nur noch 16 Mönche in Corvey lebten; in dieser Zeitwar auch nur noch ein Neueintritt zu verzeichnen.Das Klosterleben bedeutete im 18. Jahrhundert, trotz Lockerung der Ordensregelnund neuer Freiheiten für den Adel, keine deutliche Alternative mehr zum höfisch-barockenLebensstil. So war zu befürchten, daß das Kloster wegen Nachwuchsmangelaufgelöst werden würde. Theodor von Brabeck, seit 1776 Fürstabt in Corvey,leitete deshalb 1786 beim Heiligen Stuhl in Rom die Säkularisation ein, indem er dieAufhebung des Klosters und gleichzeitig eine Erhebung zum Bistum forderte. Nachlangen, schwierigen Verhandlungen wurde am 20. Mai 1792 in Rom beim HeiligenStuhl die Auflösung der Abtei und die Erhebung zum Bistum genehmigt, jedoehmußten die vom Kaiser in Wien und vom Erzbischof von Mainz angemeldeten Bedenkenerst noch ausgeräumt werden. Am 19./20. Februar 1794 konnte die Bisturnserhebungdann endlich vollwgen werden. Theodor von Brabeck wurde der ersteBischof von Corvey, doch er starb schon am 25. Oktober 1794 5 •Die FreundschaftAb 1694 berichten über die außergewöhnliche Freundschaft zwischen Herzog AntonUlrich (04.10.1633 bis 27.03.1714) und Florenz van de Velde (18.02.1643 bis04.02.1714) schriftliche Quellen, der Beginn des persönlichen Kennenlernens läßtsich jedoch nicht mehr feststellen. Florenz war zu diesem Zeitpunkt noch nicht Fürst-3 Michael METTE, Studien zu den barocken Klosteranlagen in Westfalen, (Denkmalpflege und Forschungin Westfalen Bd. 25), Bonn 1993, S. 14-37.4 Monastisches Westfalen, Klöster und Stifte 800-1800, Münster 1982, S. 334-336,489-4\13., Georg FÖLLINGER, Corvey - Von der Reichsabtei zum Fürstbistum (Paderborner Theologische StudienBd. 7), Bonn 1978, S. 26-37.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Eine Mitra aus St. Aegidien 175abt von Corvey, er wurde erst am 18.06.1696 zum Nachfolger von Christoph vonBellinghausen gewählt, und Herzog Anton Ulrich war seit 1685 Mitregent seinesBruders Rudolf August.Bis zu ihrem Tod - beide Freunde starben kurz nacheinander im Jahr 1714 -haben sie eine ausführliche Korrespondenz gepflegt, sich fast täglich Briefe geschrieben,sich häufig gegenseitig besucht und dabei auch Geschenke ausgetauscht. HerzogAnton Ulrich wcilte zwischen 1694 und 1714, zumeist mehrere Tage, z. T. bis zu zweiWochen, zwölfmal in Corvey und Fürstabt Florenz ebenso lange im gleichen Zeitraumvierzehnmal in Salzdahlum, Wolfenbüttel und <strong>Braunschweig</strong>. Im Tagebuch desAbtes sind die Besuche, deren Verlauf, die teilnehmenden Personen und natürlichauch die fürstlichen Präsente beschrieben, wobei Florenz hauptsächlich religiöse GegenständeerhieIt6.Am 2. September 1707 berichtet Florenz in seinem Tagebuch über ein Geschenk,das ihn besonders erfreut hat, eine ... alte und kostbare mitra, gemmis et lapidibus,pretiosa omata . .. 7 aus dem Aegidienkloster in <strong>Braunschweig</strong>. Er bewertete sie alsAntiquität und hat sic als ganz persönliche, wenn auch inoffizielle Ehrung und Auszeichnungdurch seinen Freund verstanden. Eine Mitra stand nämlich nur infuliertenÄbten und Bischöfen zu; Corveyer Äbte waren nicht zum Tragen der Inful, d. h. derMitra, berechtigt. Der Herzog sandte vermutlich diese schöne Mütze als Dank an seinenFreund, da er ihm in schweren Stunden seines Lebens beigestanden und ihn in religiösenEntscheidungen beraten hatte.Schwere Stunden des Abschieds und der Entscheidungen waren vorausgegangen.Am 26. Januar 1704 war Rudolf August, der Bruder des Herzogs, gestorben und nurwenige Tage später, am 4. Februar 1704, Herzogin Elisabeth Juliane, Anton UlrichsGemahlin. In dieser Trauerzeit spendete Florenz ihm Trost und hat ihn mehrmals fürlängere Zeit besucht. Auch in den folgenden drei Jahren reiste Florenz mehrfach nachWolfenbüttel und Salzdahlum, während Anton Ulrich, wohl aufgrund seines Altersund seines Gesundheitszustandes, immer seltener die weite Reise nach Corvey unternahm.Im Frühjahr 1707 kam Florenz aus besonderem Grund für fast zwei Wochen zuseinem Freund. Dieser war nach dem Tode Rudolf Augusts nun Alleinregent undhatte ungeachtet seines hohen Alters von über 70 Jahren noch weitreichende Pläne fürsein Haus. Zu den daraus resultierenden Problemstellungen gehörte auch die KonversionAnton Ulrichs und seiner Enkelin Elisabeth Christine zum Katholizismus.Anton Ulrich hatte sich vergeblich um die neunte Kurwürde im Reich bemüht, die1692 Herzog Ernst August von Hannover erhielt. 1706 erkannte Anton Ulrich erstnach Ermahnung durch den Kaiser die Hannoversche Kurwürde an und von nun ansetzte er auf die Heiratspolitik, um seinem Haus zu höherem Ansehen zu verhelfen.Seine älteste Enkelin, Tochter Ludwig Rudolfs, Elisabeth Christine, geboren am28.08.1691, beabsichtigte er mit dem Habsburger Erzherzog Karl, Karl III. Königvon Spanien, seit 1711 als Karl VI. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, zu ver-6 STA Münster, Corveyer Akten, A V 13, Bd. 1 und 4, und wie Anm. 1.7 Diarium a Cel. Principe Abbate Corbeiense l'lorentio von der Velde conscriptum ..., ohne Seitenzahl(Tagebuch des Florenz van de Velde, vom 23.06.1660 bis 26.10.1713).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650176 D. Heckermählen. Schon 1704 begannen für diese Heirat die Verhandlungen, bei denen letztlichdas einzige Hindernis das protestantische Bekenntnis der Prinzessin war. EineKonversion zum katholischen Glauben war also unabdingbar, und so war es fürAnton Ulrich naheliegend, sich in dieser Entscheidung mit seinem Freund Florenz zuberaten. Die Prinzessin konvertierte 1708 kurz vor ihrer Eheschließung, der Herzogselbst offiziell erst am 11. April 1710 in Bamberg und ließ gleichzeitig den Grundsteinfür die katholische Nicolaikirche in <strong>Braunschweig</strong> legen. Vermutlich war er inoffIziellschon eher zum Katholizismus übergetreten, wie indirekt aus einer Notiz inFlorenz' Tagebuch am 2. Juli 1708 hervorgeht: in einem Zimmer, Worin Ihre fürstlicheGnaden, sonsten pflegten die Meße zuhalten, allerhandt kostbare und pretioseReliquiae ... 8 •Naheliegend ist dieser Gedanke insofern, da die Hochzeit seiner Enkelin schon1708 stattgefunden hatte. Mit dem Glaubenswechsel hat Anton Ulrich sich fast sechsJahre auseinandergesetzt, wobei er alle religiösen Fragen und Probleme mit Florenzbesprach, wie aus dessen Tagebuch und aus ihrer gemeinsamen Korrespondenz zuentnehmen ist. Die ehrgeizigen dynastischen und heiratspolitischen Pläne besprach ermit Florenz jedoch nicht; in dessen Aufzeichnungen ist keine persönliche Stellungnahmezu dieser Konversion zu finden.Während der Vorbereitungszeit erwarb 1707 Anton Ulrich aus dem noch vorhandenenalten Kirchenschatz des ehemaligen Aegidienklosters in <strong>Braunschweig</strong> Reliquien,Paramente und liturgisches Gerät, das alles zusammen - so vermerkte späterFlorenz - 300 Taler gekostet hat 9 • Anton Ulrich plante also schon so weit voraus, daßer auch an die Gründung eines katholischen Gotteshauses und dessen Ausstattungdachte. Von diesen Kostbarkeiten schenkte er dann allerdings die meisten Stücke seinemCorveyer Freund, so auch die erwähnte mitra pretiosa. Ihr Verbleib war bis 1976unbekannt.Die GrabungAls das Westfälische Amt für Denkmalpflege des Landschaftsverbandes Westfalen­Lippe, Münster, vor Beginn der Installation einer Fußbodenheizung in der ehemaligenAbteikirche des Klosters Corvey umfangreiche archäologische Untersuchungenim Kircheninnenraum durchführte, wurden wichtige Entdeckungen gemacht lO •An der Südwand der einschiffigen Barockkirche befindet sich eine kleine 1790 angebauteklassizistisch ausgestattete Marienkapelle, die in die Grabungen miteinbezogenwurde. Dabei wurde 1976 zufällig auch das Grab des ersten Corveyer Bischofs,Theodor von Brabeck, angeSChnitten und der Inhalt in einer Notgrabung geborgen.Das bedeutendste und relativ am besten erhaltene Stück der Beigaben und der Be-• Wie Anm. 7 und Gerlinde KÖRPER, Studien zur Biographie Elisabeth Christines von Braunsehweig­Lüneburg-Wolfenbüuel, Maseh. sehr. Diss. phi!., Wien 1979.• STA Münster, Corveyer Akten, A VB, Bd. 4, S. 1-35.10 Zs." Westfalen", S. 432-434, Münster 1984.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Eine Mitra aus St. Aegidien 177kleidung ist eine kostbare, bestickte Mitra, die offensichtlich nicht aus der Zeit derBestattung, also der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, stammt, sondern im wesentlichenspät gotisch zu sein scheint. Ob Theodor von Brabeck zu seiner Amtseinführungeinen neuen Bischofsornat hat anfertigen lassen, ist unbekannt. Es spricht manchesdafür, daß er diese alte Mütze nicht getragen hat, da ihre Form und ihre Stickereienviel zu altmodisch waren. Er ist aber kurze Zeit später damit bestattet worden.Da die Paramente Besitz des Klosters bzw. der Kirche und in der Anschaffung sehrteuer waren, wurden für die Bekleidung des Leichnams nur alte, nicht mehr benötigteStücke genommen. In Corvey existiert heute noch ein Gemälde, das den letztenFürstabt im Dreiviertelporträt zeigt. Der unbekannte Künstler hat den wichtigstenAugenblick in dessen Amtszeit festgehalten und zeigt ihn mit schwarzem Ordenshabitbekleidet, in der Hand einen versiegelten Brief haltend - sicherlich die Nachrichtaus Rom - und neben ihm am Rand des Bildes eine Mitra.Die MitraDie ausgegrabene Mitra dürfte mit ziemlicher Sicherheit mit der von Herzog AntonUlrich an Florenz van de Velde geschenkten identisch sein. Das beträchtliche Alterder Mitra schon bei der Bestattung 1794 und die fast 200jährige Lagerung im Grabhaben starke Spuren der Zerstörung hinterlassen, dennoch konnten die wichtigstenTeile als Fragmente geborgen werden: die beiden Hörner mit ihren bildlichen Darstellungenund ein Stofffragment mit Stickereien, das den Kopfteil zwischen den Hörnernabdeckte. Nach den Restaurierungsmaßnahmen, die von 1977 bis 1981 in derWerkstatt des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg vorgenommen wurden,kann die Mitra und ihr ursprüngliches Erscheinungsbild ziemlich genau beschriebenwerden.Für die Mütze ist purpurfarbener gemusterter Seidendamast verwendet worden,der mit Goldfäden, Silberfäden und farbigen Seidenfäden bestickt ist. Die Farbigkeitist zu einem schmutzigen Braun verändert, und die Metallfäden sind teils korrodiertund angegriffen, teils aber auch noch in gutem Zustand. Eine Vielzahl von Heft- undNähfäden und Abdrücken von vermutlich gefaßten Schmucksteinen unterschiedlicherGröße lassen auf eine reiche Dekorierung mit Perlen, wohl (F1uß-)perlen, undSteinen schließen, die aber irgend wann abgetrennt worden oder durch Brüchigkeitder Fäden abgefallen sind (Abb.l, Abb. 2).Der Grabungsbericht gibt leider keine Auskunft darüber, ob im Sarg noch Perlenund Steine gefunden worden sind, so daß nicht mehr sicher festgestellt werden kann,wann die Verzierungen entfernt bzw. verloren gegangen sind. Die Stickerei ist in Anlegearbeit,Abhefttechnik, Nadelmalerei und Perlstickerei ausgeführt, wobei eineetwas feinere und eine etwas grobere Ausführung der Stickerei zu erkennen ist.Die Stoffabdeckung zwischen den Hörnern war ebenfalls aus ursprünglich rotemSeidenstoff mit Goldstickerei gefertigt, von dem heute nur noch ganz kleine bräunlichePartikel erhalten sind.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650178 D. BeckerAbb.1:Mitra aus SI. Aegidien um 1500:Verkündigung -li. Maria, re. der Engel.Abb.2:Mitra aus St. Aegidien um 1500: li. ht. Aegidiusmit dem Pfeil in der rechten Hand, re. ht. Auctor.Abb. 1 und 2:Grabfund in Corvey, Zustand nachder Restaurierung. KirchengemeindeSt. Stephanus und Vitus, Corvey.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Eine Mitra aus St. Aegidien 179Bei der Auffindung im Grab war die Mitra mit erdigem Schmutz und toten Insektenbedeckt, sehr trocken, spröde, brüchig und flach zusammengedrückt, so daß dieSpitzen der Hörner ausgebrochen sind. Im übrigen ist die Substanz jedoch einigermaßenerhalten. Die Rückseite ist stark schwarz-braun korrodiert. Die zugehörigen Behängeder Mitra - die Infeln - fehlen, sie sind offenbar schon lange vor der Grabbeigabeabgetrennt worden.Dieser Befund ließ eine Herstellung der ursprünglichen Mützenform nicht mehrzu. Deshalb sind die Hörner getrennt, jedes für sich auf einem neuen Trägerstoff, gesichert;ebenso wurde die Stoffabdeckung auf brauner Seide fixiert.Eine dünne, vollständig erhaltene Goldkordel gibt die Umrisse der Hörner wieder,so daß die Größe annähernd bestimmt werden kann: Höhe ca. 32 cm, Breite ca.30 cm, errechneter, recht großer Umfang ca. 58 bis 60 cm. Daraus ergibt sich eine fürdie Mitte des 15. Jahrhunderts typische, spätgotische Mitraform, die dadurch gekennzeichnetist, daß die Höhe und die Breite nahezu gleich sind. Die Stickereien, derrote Stoff und die Verzierungen kennzeichnen sie als "mitra pretiosa."Die schriftlichen QuellenÜber dieses Geschenk der "mitra pretiosa" gibt es mehrere schriftliche Quellen. Dasvon Herzog Anton Ulrich erworbene Kirchengerät gehörte ursprünglich dem Aegidienklosterin <strong>Braunschweig</strong>, welches 1528 sich der lutherischen Lehre anschloß.Viele Ausstattungsstücke sind während der Reformation zerstört worden oder abhandengekommen. In St. Aegidien sind jedoch, im Gegensatz zum Vorgehen in vielenanderen Kirchen, die meisten Stücke der früheren Ausstattung nur zur Seite geräumtoder gelegentlich sogar noch benutzt worden. So haben sie gute Voraussetzungendafür gefunden, die nachreformatorische Zeit zu überdauern. Von 1528 bis 1744sind verschiedene Inventare und Auflistungen angefertigt worden, wobei die älterenVerzeichnisse fast nur über den reichhaltigen Hausrat und weniger über die kirchlichenGegenstände Auskunft geben 11.Im 17. Jahrhundert erinnerte sich die arme evangelisch-lutherische KirchengemeindeSt. Aegidien an ihre alten Kirchenschätze und begann, sie zu veräußern. Zudiesem Zweck ließ sie mehrere Inventare aufstellen, die teilweise vor Ort verlaßt wurdenund später als Vorlagen für Abschriften dienten. Einen dieser Verkäufe nutzteHerzog Anton Ulrich später und erwarb eine umfangreiche Sammlung.In den Aufstellungen werden immer wieder ein oder auch zwei Mitren genannt:1538: ... im Citer ... Int issernen schap hinter de dar gesettet.eine Abts krone mit dem sulvern Crutsse in ein swarten [[oder ge/echt mititlichen handschen ...noch eine nige abts krone mit Eddelen steinen in eine Dock gewunden11 Ute RÖMER-JOHANI'SEN, Der Kirchenschatz des Bsger Benediktinerklosters St. Aegidien und seinSchicksal. In: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart, 49. Jg., 1981, S. 33-56.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650180 D. Becker1560/64: Ihn einem schape up de Huskamer befinden sich zwei Mitren und einAbtsstab.1596: Ein Bischofshutt mit Perlen gestickt1615: Ein Bischoffshutt mit! Perlen gestickt l2 •Die Verwaltung der Klöster wurde in der Nachfolge der 1653 eingesetzten Klostcrinspektorenab 1674 durch die Klosterratsstube betrieben. Von 1681 bis 1684ließ Herzog Rudolf August von der Fürstlichen Kommission ein Inventar des Aegidienklostersanlegen: Acta der Fürstl(ichen) Kommission. Inventar des Aegidienklostersaufgenommen 1681f[13Im Verzeichnis des Closters Aegidii 24 Nov. 1681-29April1687wurde am 15. Juni1682 genannt:Im Schapp in der Wandt Eingangs der Stuben zur rechten handt mit zwoen ThürenNo. 7 Ein mit Perlen bildern wohl bestücketer Bischoffs huet so mit allerhand demansehen nach rechten oder guten Edelgen steinen besetzet.Im gleichen Verzeichnis wird noch eine zweite Mitra aufgeführt am 12. Juli 1682:auß dem eichenen Schappe in der Closterkuche zu der rechten Hand, ist nachbeschriebenesheraus genommen.No. 62 Eine Bischoffsmütze so reichlich mit Perlen besetzt, worauf zwene Bildnissgesticket, und umb und umb mit steinen außgezieret, auch auff der einen Seite einBischoffsstab mit Silber befindlich, nebst einigen kleinen Thürmlein von Silber,ohn Zweiffel eine Stadt vorbildendt. 14Dieses Inventar diente Herzog Anton Ulrich offenbar als Orientierungshilfe beiseinem Erwerb von Paramenten, Büchern und liturgischem Gerät aus dem Kirchenschatz.Am 8.1 11. August 1707 wählt er anhand der Listen die Stücke aus, die er erwerbenwollte: Meßgewante Casel/ und Leibrocke (Alben) so der Bischof!smützekönnen gebraucht werden .. . 15. Damit war die 1682 unter Nr. 62 genannte Mitra gemeint.Weder der Herzog noch der Klosterverwalter Stisser, der den Kauf abwickelte,haben die Stücke selbst in Augenschein genommen. Die Beschreibungen wurden fastwörtlich übernommen.Am 23. August 1707 ordnete Herzog Anton Ulrich an: Der Closterverwalter Stisserhat uns die hirin verzeichneten Meßgewande, Casell und Leibröcke einzusendenl6 , nämlich nach Salzdahlum. Der Klosterverwalter konnte jedoch mitteilen, daßer die Bischofsmütze schon längst abgesandt habe. Dieses Drängen des Herzogs hatteseinen Grund, denn er wollte rechtzeitig zum Namenstag des hl. Aegidius, am 1. September,die Mitra seinem Freund Florenz überreichen, wie er in einem Brief vom31. August 1707 schreibt:12 StAWf 11 Alt Aegid Fb 1 NT. 1.13 Stad tA Bs. G 11 14, NT. 1.14 Wie Anm. 12.I' Wie Anm. 12.16 Wie Anm. 12.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Eine Mitra aus St. Aegidien 181Beikommende geistliche Mütze hätte ich Euer Liebden selber gerne aufgesetzt, dievordem der Abt in dem berühmten Aegidienkloster zu <strong>Braunschweig</strong> getragenYDieses Ereignis hat Florenz in seinem Tagebuch am 2. September 1707 ausführlichfestgehaIten:Aus freigiebigem und fürstlichem Wohlwollen des durchläuchtigsten Herzogs von<strong>Braunschweig</strong>, Anton Ulrich, das er schon oft gegen mich wiederholt hat, kamhier eine alte und kostbare Mitra an, mit Juwelen und kosten baren Steinen geschmückt,die aus dem Benediktinerkloster St. Aegidien in Braunsch weig stammt.Sie ist mit den Bildern der Verkündigung der seligen Jungfrau Maria auf der einenSeite, und des hl. Aegidius und eines anderen Heiligen, wohl des hl. Autor, Erzbischofvon Trier, auf der anderen Seite, aus echten und kostbaren Steinen kunstfertigund elegant gearbeitet.Dieses bedeutende Geschenk wollte der Herzog mir in Person überreichen, da eraber auf der Reise von einem Unwohlsein befallen wurde, mußte er umkehren, undschickte es mir durch einen Boten. Nach dem Tode der Markgräfin von Sachsen,Gertrudis, die 1117 starb, folgte ihr ihre Tochter, die ebenfalls Gertrudis hieß, diespäter als Gattin des Königs Lothar Königin wurde. Sie hat dieses Aegidienklostermit kostbaren Kirchenzieraten beschenkt, denn auf ihre Veranlassung hin hat derAbt die Erlaubnis erhalten, Mitra und Stab zu benutzen. 18Vom 1. Oktober 1708 bis 23. August 1713 führte Florenz ein Verzeichnis über dievon seinem Freund Herzog Anton Ulrich erhaltenen Geschenke mit geschätztenWertangaben. Die sehr lange Liste, gegliedert nach verschiedenen Objektgruppen,nennt unter dem Titel Disignatio der heil. Reliquien und anderen Kirchen Zieratennoch einmal die Mitra:2. Ao. 1707 d. 2. Sept. wurde mir ohnvermutl. von Herzog eine alte doch kostl.Myter geschicket, aus dem berühmten S. Aegidii Closter binnen <strong>Braunschweig</strong>, istgezieret mit 20 große Edelgesteine, über 200 kleinere und etzliche 1000 feine Perlen,ist mit viel überguldetes Silber werk künstl. durcharbeitet.NB. Kombt ex Monasterio S. Aegidii orel. S. Benedicti, da eben der Tag vorher S.Aegidii gewöhnl. Feiertag war.Plura vide in annalibus nostris Ao. et die ut supra, alwo zu sehen, daß diese Myterbei die 500 Jahre alt ist.3. Ao. 1708 denuo pluribus Ss. Reliquiis ab alte et saepe memorato Duce donatisumus, quae omnes et singulae suis antiquissimis scedulis notatae erant.De s. Auetore, de s. Bartolomaeo, Cosma, Mauritii et sociis MM., Aegidio, Panfretaex eongreg. Xl mit. virg., et pluribus aliis uti in Copionali publico 2do. fol. 9notatum est. Cum his multa antiqua paramenta accepimus auro et margaritis co-11 StA Münster Corveyer Akten, A V :-.Ir. 13, Bd I, S. 280.'" Wie Anm. 7.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650182 D. Beckerpiose ornata, quae ob antiquitatem usui esse non poterant, margaritae et unionespassim, decidebant ob ti/orum putretactionem, hinc illae allis ecc/esiae paramentisapplicatae sunt. ([Zusatz von Florenz Hand:] Variae et elegantes capsulae reliquiarum,etiam ex cupro deauratae monstrantiae etc.) Haec uti my tram , de qua hicnumero praecedenti, ex mon ast. s. Aegidii ord. nostri ipse Dux pretio 300 Imp. redemit,si aurum et plurimae margaritae et uniones computentur, ultra 100 Imp. aestimandasunt. 19Die Ikonographie der MitraObwohl die Mitra nicht gut erhalten ist und größere Fehlstellen aufweist, könnendennoch Aussagen über die Ikonographie und die Stickereien gemacht werden. Diebeiden Schauseiten der Hörner sind nach demselben Prinzip gegliedert. Der Titulus,ca. 4,5 cm breit, und der Circulus, ca. 5,5 cm breit, sind, recht ungewöhnlich, aufgesticktund nicht in Form von Bändern aufgenäht. Der Fond ist in Goldgarn ausgeführtund darauf ist üppiges Akanthusrankenwerk in Silbergarn aufgebracht. Mit Rücksichtauf die Darstellung ist der Titulus nicht genau in der Mitte, sondern etwas nachrechts bzw. links verschoben. Dies wird besonders an der Spitze der Hörner sichtbar.Der Hintergrund der Bildfelder ist mit deckendem, etwas wolkig wirkendem Rankenwerkin Silbergarn und der Vordergrund mit einem perspektivisch angelegten Fußbodenausgefüllt, ebenfalls aus Silber- und Goldgarn gefertigt. Der Titulus nimmt keineRücksicht auf die Anordnung des Fußbodens.Die Darstellung auf der Rückseite der Mitra (Abb. 1) - die Verkündigung Mariens- heute völlig schwarz-braun korrodiert - zeigt im linken Bildfeld Maria, kniendund leicht schräg dem Betrachter zugewandt. Sie trägt einen langen Mantel, dessenSchleppe hinter ihr den Boden bedeckt. Der Engel in der rechten Bildhälfte ist in seinenUmrissen noch gut erkennbar. Er kniet Maria direkt gegenüber und ist dem Betrachterseitlich zugewandt. Die Szene wird ohne Rücksicht auf den inhaltlichen Zusammenhangvom Titulus durchschnitten. Beide Figuren sind fast gleich groß. DieHandhaltung des Engels läßt vermuten, daß er in der linken Hand möglicherweiseeinen Stab hielt und mit der rechten Hand vielleicht auf ein Spruchband wies. DasGewand des Engels ist mit Silber- und Goldfäden in kleinem Muster ausgestickt.Die Vorderseite der Mitra (Abb. 2) hingegen zeigt keine erzählende Darstellung,sondern links den hl. Aegidius, rechts den hl. Auctor. Der hl. Aegidius sitzt halbschräg dem Betrachter zugewandt auf einer spätgotischen Bank. Seine liturgische Gewandungbesteht aus einer Albe, die fein gemustert aus Silber- und Goldfäden, genausowie das Gewand des Engels, gestickt ist. Der weite Mantel wird oben am Halsvon einem Querriegel zusammengehalten, fällt faltenreich auf die Sitzbank und istvorn über die Knie gezogen. Querriegel, Kanten des Mantels und die Falten sind mitGoldgarn abgesetzt bzw. hervorgehoben, und das Innenfutter des Umhangs ist mitrotem Seidengarn in der Technik der Nadelmalerei ausgestickt. An den beiden unter19 Wie Anm. 9, S. 21-22.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Eine Mitra aus St. Aegidien 183dem Umhang hervorschauenden Armen sind die Ärmel des Untergewandes zusehen. Normalerweise erscheint der hl. Aegidius im Habit eines Benediktinerabtes.In Pontifikalkleidung, wie hier, wird er nur sehr selten dargestellt. Seit Anfang des15. Jahrhunderts sind der Pfeil und die Hirschkuh seine Attribute, hier hält er jedochin der rechten Hand in Brusthöhe - nur schwach erkennbar - den Pfeil. Den linkenArm streckt er leicht abgewinkelt hervor. Die Handhaltung läßt vermuten, daß er ursprünglicheinen Abtsstab hielt. Vielleicht war dieser plastisch durch Perlen undSchmucksteine hervorgehoben. Der Darstellung des hl. Aegidius fehlt das zweite typischeAttribut, nämlich die Hindin. Vermutlich war sie ursprünglich auch nicht vorhanden,denn trotz des schlechten Zustandes sind keine größeren Fehlstellen auf derlinken Hälfte der Mitra zu bemerken und die Darstellung wirkt in sich geschlossen.Der hl. Auctor, leicht schräg dem Betrachter zugewandt, sitzt ebenfalls auf einerspätgotischen Bank, von der hinter ihm noch ein kleines Stück zu sehen ist. Der Heiligeist mit einer in Silber und Gold fein gemusterten Albe und einer Kasel bekleidet,wobei die Falten auch hier durch Goldgarn hervorgehoben sind und ein Gabelkreuzandeuten.Die Kasel hat genau wie der Umhang des hl. Aegidius ein rotes Futter aus Seidengarnin Nadelmalerei, wie am rechten Arm sichtbar wird. Als Kopfbedeckung trägtder hl. Auctor eine Mitra, welche ihn zusammen mit dem vollen Ornat als Bischofkennzeichnet. Zwischen den Hörnern ist seine Mitra mit rotem Seidengarn ausgestickt.Seine Attribute sind verlorengegangen. Vermutlich hielt er in der rechtenHand den Bischofsstab und in der linken ein weiteres Attribut. An dieser Stelle ist jedochein Loch im Stoff, so daß nur vermutet werden kann, daß sich dort ein mehroder weniger vollplastischer Gegenstand - vielleicht aus Perlen, Steinen und Silber -befunden hat, der aufgrund seines Gewichtes ausgebrochen ist.Mit Hilfe der schriftlichen Quellen läßt sich die Stickerei ikonographisch ergänzenund interpretieren. Besonders hilfreich sind hier die ab 1681 vor Ort auf VeranlassungHerwg Rudolf Augusts aufgestellten Inventare, sowie die 1707 auf Veranlassungseines Bruders angefertigte Liste und die Tagebuchnotiz des Corveyer AbtesFlorenz 2o •Aus der Inventarbeschreibung vom 12. Juli 1682 ist unter Nr. 62 zu entnehmen,daß die Bischofsmütze - tatsächlich war es eine Abtsmitra, da die Äbte von St. Aegidienwohl seit dem letzten Vicrtel des 12. Jahrhunderts infuliert waren, doch zu dieserZeit kein Unterschied mehr zwischen einer Bischofs- und einer Abtsmitra gemachtwurde - mit Perlen und Steinen reichlich besetzt war, zwei gestickte Bildnisse,einen Bischofsstab von Silber und ein Modell einer Stadt mit einigen kleinen Türmenaus Silber hatte 2 ! •Die Stickerei mit Perlen und Steinen entspricht dem Befund an Heftfäden und Abdrücken.Mit den zwei Bildnissen könnten sowohl die Bilder auf den beiden Hörnerngemeint sein wie auch die beiden Heiligenfiguren auf der Rückseite der Mitra, die fürden Bearbeiter des Inventars offenbar die interessantere Seite war. Der Bischofsstab20 Wie Anm. 13, Anm. 12, Anm. 7.21 Wie Anm. 12.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650184 D. Reckerund das Stadtmodell von Silber gehören zur Darstellung des hl. Auctors. Wie schonerwähnt, läßt die Haltung der rechten Hand das Umfassen eines Stabes vermuten undan der linken Körperseite muß sich ein größerer Gegenstand - also vielleicht einStadtmodell - befunden haben.Der hl. Aegidius kann nicht gemeint sein, da er in der rechten Hand einen Pfeil hält.Außerdem hatte er als Schutzpatron des Klosters in nachreformatorischer Zeitam Ende des 17. Jahrhunderts keine Bedeutung mehr und war sicherlich auch nichtallgemein bekannt. Die Figur des hl. Auctors war dem Verfasser des Inventars bestimmtbesser vertraut, da dieser Heilige schon seit dem Ende des 12. Jahrhundertszum gemeinsamen Schutzpatron der fünf Weichbilde <strong>Braunschweig</strong>s erkoren wordenund sein Bild an verschiedenen Gebäudefassaden aufgestellt war. Ob der Schreiber dasim Inventar genannte Modell richtig als Stadtansicht erkannt hat oder ob es sich um dasModell des Aegidienklosters handelt, kann nicht mit Sicherheit geklärt werden.Die Aufzeichnungen im Tagebuch des Abtes Florenz bestätigen die Provenienzder Mitra sowie auch die Themen der bildlichen Darstellungen und die reiche Verzierung,nennen aber kein Modell als Attribut. Für Florenz - selbst Abt eines adligenBenediktinerklosters - war die Abbildung des hl. Aegidius, der ebenfalls Benediktinerabtwar, in seinem Tagebuch besonders erwähnenswert, zumal Florenz zum1. September 1707, dem Tag des hl. Aegidius, die Mitra erhalten hatte. Der hl. Auctorist für ihn der Erzbischof von Trier, daß er auch der Schutzpatron der Stadt<strong>Braunschweig</strong> ist, wußte er offenbar nicht. Seine Vermutungen hinsichtlich des Altersder Mitra sind sicherlich nicht richtig. Er ist der Ansicht, daß Gertrud, Pfalzgräfin vonOrlamünde, die Tochter der Klostergründerin und Gattin Kaiser Lothars III., das Aegidienklosterreich beschenkte und den Abt infulierte, so auch diese Mitra gestiftethabe.Über die Gründungsausstattung des Klosters ist wenig bekannt und über weitereStiftungen von kirchlichem Gerät sind auch nur spärlich Nachrichten überliefert, aberdie Rechte eines infulierten Abtes dürften wohl im letzten Viertel des 12. Jahrhundcrtsan Abt Rcngerus verliehen worden sein. Die Mitra war, als Florenz sie geschenktbekam, aller Wahrscheinlichkeit nach erst 200 Jahre alt, denn ihre Form istspätgotisch und typisch für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts. Während ein Teilder Stickereien aus der Entstehungszeit stammt, scheint ein anderer Teil wesentlichjüngeren Datums zu sein.Paramentenstickereien in dieser Art wurden bis zur Reformation in den Frauenklösternam Harz und in der Lüneburger Heide angefertigt, vor allem ist die Region inder zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts für ihre Perlstickerei berühmt. Woher dieNonnen für ihre Arbeiten Anregungen und Vorlagen erhielten, ist bislang noch ungeklärt.Sicherlich haben sie auf bekannte bildliehe Darstellungen für die verschiedenenThemen zurückgegriffen oder vielleicht von Tafelmalern sich Zeichnungen an-Abb. 3: Meister der <strong>Braunschweig</strong>er Sippentafeln:Braunsehweiger Sippenaltar um 1500; rechter Flügel oben: hl. Auetormit dem Stadtmodell, <strong>Braunschweig</strong>isches Landesmuseum VM 6202.


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650186 D. Beckerfertigen lassen. Eine genaue Vorlage für die Mitra aus St. Aegidien läßt sich bislangnicht nachweisen. Für die Darstellung des hl. Auctors gab es jedoch besonders im15. Jahrhundert mehrere Vorbilder. Die älteste, heute noch vorhandene Darstellungdes hl. Auctors im Bischofsornat mit dem Modell der Aegidienkirche auf dem linkenArm ist die auf dem Siegel der Meinheit von 1445. Der gleiche Typus, jedoch nichtganzfigurig sondern als Hüftbild, findet sich auf den 1499 und 1500 geschlagenenGroßen und Mittleren Auctorgroschen 22 • Zum ersten Mal wird in der Chronik desAegidienabtes Berthold 11. Meier der hl. Auctor zusammen mit der Stadtansicht von<strong>Braunschweig</strong> in einer Miniatur dargestellt. Der Verfasser legt in diesem Buch die Legendedes Heiligen dar und widmet es dem <strong>Braunschweig</strong>er Rat. Die Reliquie deshl. Auctors hat die Stifterin des Aegidienklosters, Markgräfin Gertrud, der Überlieferungnach selbst aus Trier mitgebracht, wo er - wie auch in Metz - als Bischof undHelfer bei der Verteidigung der Stadt verehrt wurde. Diese Rolle kam ihm auchschon bald in <strong>Braunschweig</strong> zu, als 1200 eine Belagerung durch den GegenkönigPhilipp von Schwaben erfolgreich abgewehrt werden konnte. Zunehmend wurde ervon nun an verehrt, weil ihm die friedliche Beilegung von städtischem Zwist zugeschriebenwurde. Der Rat stiftete 1298 ein Auctorfest und bald auch Prozessionen;bis zur Reformation waren es drei im Jahr2 3 •So gelobte 1445/46 der <strong>Braunschweig</strong>er Rat der Auctorreliquie einen neuen silbernenSchrein als Dank für die relativ friedliche Beendigung des Streits zwischenRat, Gilden und Meinheit zu stiften, die dem Schutzpatron der Stadt zugeschriebenwurde. Als Gegengabe erhielt der Rat 1457 bei der feierlichen Translation der Reliquiein den Silbersarg die Chronik mit der Auctorminiatur, in der der Heilige als Bischofin riesenhafter Größe über der Stadtansicht <strong>Braunschweig</strong>s schwebt. Diese ikonographischeVeränderung - das Vertauschen des Kirchenmodells gegen das Stadtmodell-symbolisiert sinnfällig das Schutzpatronat. 1494 stiftete der Rat dem Klostereinen silberbeschlagenen Radleuchter mit der Stadtsilhouette, die von einer Auctorfigurbekrönt wurde, die berühmte "Silberne Stadt <strong>Braunschweig</strong>", deren Holzkernnoch 1709 vorhanden war. Um 1500 ist endgültig das Kirchenmodell als Attributvom Stadtmodell abgelöst worden.Die erste Abbildung, auf der der hl. Auctor sein neues Attribut auf dem linkenArm trägt, ist die Darstellung auf dem "Sippenaltar" um 1500 (<strong>Braunschweig</strong>ischesLandesmuseum VM 6202) des "Meisters der <strong>Braunschweig</strong>er Sippentafeln"(Abb. 3). Auf dem rechten Flügel in der oberen Hälfte ist ganzfigurig der hl. Auctormit dem Stadtmodell zu sehen. Ob sich ursprünglich dieser Altar ganz oder auch nurTeile davon in der Aegidienkirche befanden, ist bislang nicht geklärt, aber offenbardiente dieser Darstellungstypus als Vorbild für die Mitra.Die Physiognomie des Heiligen auf der Mitra ist - so weit heute noch erkennbar -der der Figur auf dem "Sippenaltar" sehr ähnlich. Eine weitere ikonographische Be-22 Festschrift SI. Aegidien zu Bs. 1115-1979, Hrsg. Ute RÖMER-JOHANNSEN, Hildesheim 1979, Abb.S. 91.23 Klaus NASS, Der Auctorkult in <strong>Braunschweig</strong> und sein Vorläufer im frühen Mittelalter. In: NdsJb.,Hannover 1990, S. 167-203.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Eine Mitra aus St. Aegidien 187sonderheit weist auf den "Meister der <strong>Braunschweig</strong>er Sippentafeln" , nämlich dieAnordnung der Personen in seinen Verkündigungsszenen. Maria setzt der Maler stetsin die linke(!) und den Engel in die rechte(!) Bildhälfte; beide Figuren sind einanderzugewandt und fast gleich groß. Diese völlig unübliche Darstellungsweisc ist auch aufder Mitra zu finden. Auch dies kann ein Argument dafür sein, daß der "Sippenaltar"als Anregung und Vorbild gedient hat. Das Bildprogramm der Mitra drückt so die besondereBedeutung des Aegidienklosters auf sinnfällige Weise aus: der hl. Aegidiusist der Schutzpatron des Klosters und der hl. Auctor dcr Schutzpatron der Stadt, dessenReliquie sich auch im Aegidienkloster befand 24 •Der heute bekannte Quellenbestand liefert keine Hinweise, wer die Mitra angeschaffthat; vermutlich war es der vorletzte Abt Arnold 11 Papenmeier (1500(?) bis1510). Schon zu Beginn der Amtszeit des letzten Abtes, Dietrich IV Koch (1510 bis1528), breitete sich die Lehre Luthers im Aegidienkloster aus, es wurde sogar zumAusgangspunkt der Reformation in <strong>Braunschweig</strong>25.Der heutige Zustand der Mitra läßt eine weitere stilkritische Untersuchung nichtzu. Erschwerend kommt hinzu, daß sie 1710 schon einmal überarbeitet worden ist,wobei nur die Form und Teile der Stickerei aus der Entstehungszeit erhalten gebliebensind. Die spätgotische Form, die Perlstickerei als gestalterisches Mittel, die perspektivischeRaumgestaltung durch den Fliesenfußboden, die Ikonographie, aberauch kleine Details wie das Gabelkreuz auf der Kasel des hl. Auctors und die sicherlichvorhanden gewesene plastische Reliefstickerei sprechen deutlich für eine Datierungum 1500.Die Mitra war über 200 Jahre alt, als Abt Florenz sie erhielt. Stickereien mit Metallfädenkorrodieren und bewirken Zerstörungen am Stoff und Stickgarn. Schon1708 vermerkte Florenz, daß an den Paramenten, die er von Herzog Anton Ulrichgeschenkt bekommen hatte, die Fäden der Perlen schadhaft scien und sich lösen würden,sie könnten jedoch anderen Paramenten aufgenäht werden 26 • Seine Tagebuehnotizvom 2. September 1707 über die Mitra ergänzt Florenz 1710 auf derselbenSeite:'NB. Weil aber die seiden den Fäden und anderer Zierat dieser Mitra durch ihrAlter von fast sechshundert Jahren so mürbe waren, daß die Perlen teilweise sichlösten und abfielen, habe ich auf mehrfachen Rat die Mitra renovieren lassen.Diese Mühe und Arbeit nahm die Domina von Heiningen mit einigen ihrer Klosterjungfrauenauf sich, wobei sie ermahnt wurden, die Form und das Aussehender alten Mitra ebenso wie die Bilder beizubehalten. Dieser Arbeit haben sie dreiMonate gewidmet, und fast 20 Taler für seidenes, goldenes und silbernes Garnausgegeben. Dafür und für die Arbeit habe ich der erwähnten Domina 50 Talerüberreicht im November 1710. 2724 Hans Georg GMELIN, Spärgotische Tafelmalerei in Niedersachsen und Bremen, München 1974,S. 407-434, Abb. 134, 135.7.2' Wie Anm. 11.26 Wie Anm. 9.27 Wie Anm. 7.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650188 D. BeckerEr ließ also die Mitra 1710 im Kloster Heiningen renovieren, von restaurieren, etwanaeh unserem heutigen Verständnis, kann wohl nicht die Rede sein. Florenz hat dieseWerkstatt gewählt, da die anderen niedersächsischen Klöster, in denen bis zur ReformationStickereiwerkstätten existierten, in evangelische Damenstifte umgewandeltworden waren. Das Kloster Hciningen war jedoch 1643 zum katholischen Glaube zurückgekehrt.Dort war, an die alte Tradition anknüpfend, eine Paramentenwerkstattwieder eingerichtet worden. Hier wirkten um 1700 auch einige Konventualinnen ausCorvey28. Florenz' exakte Angaben von drei Monaten Arbeit zum Lohn von 30 Talernund 20 Talern für seidenes, goldenes und silbernes Garn lassen auf eine umfassendeRenovierung schließen. Die Form ist beibehalten worden, ebenso die Bilder,d. h. die Figuren, der Fußboden und die Sitzmöbel. Das barocke Rankenwerk desHintergrundes, Titulus und Circulus sind hingegen neu gestickt, wie auch am Garnund an der Ausführung in wesentlich gröberen Stichen zu erkennen ist. Die Ermahnungendes Abtes haben die Stickerinnen also nur teilweise befolgt.·2> Gerhard TADDEY, Das Kloster Heiningen von der Gründung bis zur Aufhebung (Veröff. des Max­Planck-Institutes für Gesch. 14 = Studien zur Gennania Sacra 4), Göttingen 1966.• Mein besonderer Dank gilt Frau Anneliese STREITER, Textilrestauratorin im Germanischen NationalmuseumNürnberg, für die Angaben zum Befund und zur Restaurierung der Mitra.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingtDas Exempel des Streits um das Kammergutzwischen dem Freistaat <strong>Braunschweig</strong> und dem ehemaligen Herzog(von der Novemberrevolution bis zur Volksbewegungzur Fürstenenteignung 1926)1vonOtmar Jung1. Der historisch-politische Rahmen:Sturz der Monarchie und DomänenproblemGestürzte Herrscher können außer Landes gehen. Von ihrem Besitz mögen sie mitnehmen,so viel sie tragen können - die Hauptmasse ihres Vermögens wird immer imLande bleiben. Über sein Schicksal ist nach jeder Staatsumwälzung zu bestimmen. Insofernsetzte die Novemberrevolution 1918 in allen 23 bis dahin monarchisch regiertenBundesstaaten des Reiches ein strukturell gleiches Problem auf die politische Tagesordnung.Freilich lassen sich dabei zwei verschiedene Problemprofile unterscheiden.Auf der kleinstaatlichen Ebene, wo die Fläche des Domaniums über 20% desTerritoriums ausmachte - in den beiden Mecklenburg sogar 43 bzw. 55 % - und dieErträge des Domaniums etwa in der gleichen Größenordnung den Staatshaushaltmittrugen, betraf die sogenannte Domänenfrage die Lcistungs- und damit Existenzfähigkeitdes Landes schlechthin; die Übernahme des Domaniums war dort Bedingungder Selbständigkeit, ein ungünstiger Domanialabschluß bedeutete Staatsbankrouund Anschluß. Umgekehrt spielten in den Groß staaten die Domänen quotenmäßigkeine Rolle, aber fünf Promille der Landesfläche in Preußen bedeuteten in absolutenZahlen 168599 ha, und das reichte anderwärts zum ganzen Herzogtum. Ähnlichschreckten die absoluten Wert- bzw. Ertragszahlen: 300 Mio. M waren eine solcheGrößenordnung, daß die Antwort politisch werden mußte, in wessen Händensich ein solches Potential befand.Die neuen Herren mußten also aus zwei Gründen alles daransetzen, das Domänenproblemzugunsten des Staates zu lösen: erstens, um die Selbständigkeit des landeszu erhalten und darüber hinaus die Chance zu wahren, einen sozialen VolksstaatIZugleich eine Auseinandersetzung mit Burkhard SCHMIDT, Der Herzogsprozeß. Ein Bericht über denProzeß des welfischen Herzogshauses gegen den Freistaat Bs. um das Kammergut (1921/25) (= Beih.zum BsJb. Bd. 12). Wolfenbüttel 1996.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650190 o. Jung- wie man damals sagte - aufzubauen; zweitens, um der Konterrevolution vorzubeugenund nicht den geborenen Feinden der neuen freistaatlichen Ordnung die Mittelfür einen Kampf um die Macht in die Hände zu geben. Jencr Grund entsprach denspezifischen Zielen der Sozialdemokratie, die in der ersten Zeit nach der Novemberrevolutiondie Verantwortung in Deutschland trug und auch weitgehend die Politikbestimmte. Dieser resultierte aus dem Interesse aller neuen Herren an der reinenSelbsterhaltung; die französische Verfassungsgeschichte des letzten Jahrhundertszeigte, wie der Kampf zwischen Republik und Monarchie hin- und hergehen konnte.Um die Domänen für das jeweilige Land zu sichern, gab es wiederum zwei Wege,die sich jedenfalls theoretisch klar unterscheiden lassen. Man konnte erstens, wennman diese für günstig hielt, auf die gegebene Rechtslage abstellen. Gehörten die Domänennämlich bereits dem Staat, war gar keine Rechtsänderung erforderlich; eineeventuelle (verfassungs-) gesetzliche Regelung hätte nur deklaratorische Bedeutung.Möglichen Rechtsstreitigkeiten - zu entscheiden nach altem Recht - konnte man gelassenentgegensehen. Dieser Weg war also bequem, aber riskant: Wenn die Prämissenicht stimmte, gerieten die beiden Ziele, die der Staat mit der Übernahme der Domänenverfolgte, in höchste Gefahr. Dieses Risiko bestand nicht bei der anderen Strategie,die bewußt eine Änderung der Rechtslage herbeiführen wollte. Die Domänenverhältnissesollten also neu geregelt werden; die entsprechenden Rechtsakte hättenkonstitutive Wirkung. Freilich mußten solche Gesetze erst einmal politisch erkämpftwerden; insofern war dies ein mühsamer Weg. Aber danach brauchte man sich vorProzessen ebenfalls nicht zu sorgen: Alle ordnungsgemäß bekanntgemachten Gesetzemußten - wie die bisherigen Verfassungen, in <strong>Braunschweig</strong> die sogenannte NeueLandschafts-Ordnung (NLO) von 1832, eingeschärft hatten - von den Gerichten befolgtwerden (§ 100 Abs. 2 NLO); von einem materiellen richterlichen Prüfungsrechtwar damals noch keine Rede 2 •Das Augenmerk auf die Gestaltung der sozialen Demokratie richtete idealtypischdie MSPD. Ihrer attentistischen Grundeinstellung entsprach auch die Strategie, aufdie gegebene Rechtslage, die sie für günstig hielt, zu setzen. Die USPD dagegen verfochtjeweils die schärfere Variante. Sie sah auch die Notwendigkeit, die junge Republikgegen die Konterrevolution zu sichern, und sie scheute sich nicht die errungeneMacht einzusetzen bzw. - demnächst demokratisch legitimiert - die sprichwörtliche"Klinke der Gesetzgebung" zu drücken. In der praktischen Politik wurden freilichvon den meisten sozialdemokratischen Politikern beide Ziele mit beiden Strategienzugleich bzw. nacheinander verfolgt, was zu einer gewissen Widersprüchlichkeit führte.Vollends unübersichtlich wurde die Situation, wenn wegen der Notwendigkeit derKoalitionsbildung bürgerliche Parteien mit ins politische Spiel kamen. Sie hatten ander sozialen Demokratie kein besonderes und an der Sicherung der Republik wenigoder kein Interesse. Strategisch setzten sie ebenfalls auf die gegebene Rechtslage -2 Vgl. Ulrich SCHEUNER, Die Cberlieferung der deutschen Staat,gerichtsbarkeit im 19. und 20. Jahrhundert,in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz. Festgahe aus Anlaß des 25jährigen Bestehensdes Bundesverfassungsgerichts, hg. v. Christian STARCK, Tübingen 1976, Erster Bd., S. 1-62(39ff.,51).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 191wie sie sie sahen: Demnach wären die Domänen jedenfalls zu einem guten Teil Privateigentumder gestürzten Landesherren gewesen. Die gegenteilige Ansicht derMSPD erschien den bürgerlichen Politikern als Wunschrecht. Wer der beiden Koalitionspartnerinsoweit recht hatte, würde - das war noch einmal ein besonderes Risikofür die MSPD im Procedere - die fachliche Ansicht von Rechtsexperten bestimmen,die - angesichts der allgemeinen Situation in Deutschland unvermeidlicherweise -bürgerlicher Herkunft und in der Monarchie sozialisiert sein würden. Die schärfereVariante der USPD dagegen setzte auf das politische Wollen der Mehrheit der Volksvertretung,die durch Wahlen vom Volk demokratisch legitimiert wäre. Mit ihremAnsatz unterwarf sich die MSPD - könnte man pointieren - einer rechtsgeschichtlichenVergangenheit, über die sie selbst kaum befinden konnte. Die USPD dagegenwollte hier und heute für die Zukunft gestalten und verließ sich dabei auf ihre eigeneKraft.Dies etwa ist der historisch-politische Rahmen, innerhalb dessen sich auch die einschlägigeAuseinandersetzung in <strong>Braunschweig</strong> vollzog. B. Schmidt hat nun jüngsteine Monographie über "den Herzogsprozeß" vorgelegt, die sich auf die juristischenAspekte konzentriert und den besonderen prosopographischen Hintergrund der imLande <strong>Braunschweig</strong> damals an verantwortlicher Stelle handelnden Personen beleuchtet.Aufgrund seines Ansatzes bleiben einige Fragestellungen ausgeklammert:Die Domänenfrage wird kaum als gemeindeutsches Problem gesehen.Weil der Streit um das sogenannte Kammergut in <strong>Braunschweig</strong> im wesentlichenals eine Vermögensauseinandersetzung verstanden wird, gerät der Aspekt derFundierung der Republik weitgehend aus dem Blickfeld.Die Auseinandersetzung um das Kammergut wird zudem auf den einschlägigenProzeß fokussiert, und dabei liegt noch einmal ein Schwerpunkt auf der Personengeschichteder zeitgenössischen <strong>Braunschweig</strong>er Justiil.Ein anderer und überregionaler Blickwinkel ergibt sich durch die Hinzuziehungweiterer wichtiger wissenschaftlicher Literatur. Die bislang eingehendste zeitgeschichtlicheund rechtshistorische Erörterung des <strong>Braunschweig</strong>er Kammergutsstreits,dargestellt im Rahmen einer Schrift über die Vermögensauseinandersetzungenzwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten in der Weimarer Zeit insgesamt,wird bei Schmidt nicht berücksichtigt 4 • Auch für sein abschließendes Kapitel überden Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926 zieht Schmidt das Standardwerkvon U. Schüren nicht heran 5 •3 Manche der zahlreichen Einzelangaben über Examensqualifikationen und Karriereverläufe mögen jarelevant sein, wenn man einen Zusammenhang mit inhaltlichen Entscheidungen annimmt; aber giltdies auch für bloß beurkundende Justizpersonen (vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 113, 134)? WelchenBelang haben in diesem Zusammenhang Daten über militärische Beförderungen während der Kriegszeit(vgl. EBD. S. 95 Anm. 430)?4 Vgl. Otmar JUNG, Volksgesetzgebung. Die" Weimarer Erfahrungen" aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzungenzwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten. Hamburg 1990, 2. Auf!. 1996,S.56-76., Vgl. U1rich SCHÜREN, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926. Die Vermögensauseinandersetzungenmit den depossedierten Landesherren als Problem der deutschen Innenpolitik unter besondererBerücksichtigung der Verhältnisse in Preußen (= Beitr. zur Gesch. d. Parlamentarismus und d.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650192 O. JungDie Arbeit Schmidts, ein "Bericht über den Prozeß", setzt andere Schwerpunkte.Sie enthält eine ausführliche Schilderung der Vorgänge in <strong>Braunschweig</strong> und wertetvor allem - ein wirklicher Fortschritt - die seit 1989 zugänglichen Quellen "der anderenSeite" aus (der Verwaltung des ehemaligen Herzogshauses). Aber jene Schilderungbleibt eher deskriptiv, als daß sie wirklich analysieren würde. Um das aneinem zentralen Punkt zu exemplifizieren: Schmidt stellt in zwei Kapiteln die verschiedenenRechtsauffassungen zu den Eigentumsverhältnissen am Kammergut darund gibt dabei eine Übersicht über die Meinungsäußerungen zwischen 1831 undHerbst 1918 6 . Er analysiert - seinem gewählten Arbeitsansatz entsprechend - nichtdie System-Begrenztheit der einschlägigen Argumentationen. Dabei handelte es sichja durchweg um Meinungsäußerungen innerhalb eines auf dem monarchischen Prinzipaufgebauten Rechtskosmos. Als schlimmstmöglicher Fall erschien damals die Depossession,sozusagen ein kollegiales Mißgeschick, für das natürlich standesgemäßeFinanzvorsorge angebracht war. Nun aber war eine Revolution passiert; statt einerUmgruppierung innerhalb des Systems (Depossession) war das ganze monarchischeSystem überwunden, und für die jetzt zu bewältigende Situation besagten jene gewissermaßenimmanenten Stellungnahmen gar nichts. Die Vorstellung, daß auf den Landesherrnvereidigte Professoren, Richter und sonstige Beamte schriftstellerisch schoneinmal die finanzielle Abwicklung der Monarchie nach ihrem eventuellen gewaltsamenSturz hätten diskutieren können, ist grotesk; es wäre nichts weniger als Vorbereitungzum Hochverrat gewesen. Sie erinnert an den juristischen Irrwisch, daß einRegime die Modalitäten seiner eigenen Liquidation mit Verbindlichkeit für jene, diees dereinst revolutionär überwinden würden, zu regeln vermöchte 7 •Wider eine solche "Scheuklappen"-Argumentation sei betont, daß der eingangsskizzierte historisch-politische Rahmen eben nicht beliebig benutzt bzw. auf ihn verzichtetwerden kann. Das Zusammentragen vieler Einzelinformationen, wie esSchmidt getan hat, ist eine notwendige Arbeit; aber sie sollte durch ihre Einordnungin einen übergreifenden Zusammenhang erweitert werden, der aus der Vielzahl derMosaiksteinchen erst ein Bild macht und so Verstehen ermöglicht. Im folgenden solldaher der Streit um das Kammergut zwischen dem Freistaat <strong>Braunschweig</strong> und dempolitischen Parteien Bd. 64). Düsseldorf 1978. Der ncuere forschungsstrategische Einstieg zur Befassungmit jenen Vermögensauseinandersetzungen ist, vermittelt über den Volksentscheid zur Fürstenenteignung1926 - den ersten Volksentscheid in Deutschland -, das Interesse am Thema Direkte Demokratie,vgl. Otmar JUNG, Direkte Demokratie in der Weimarer Republik. Die Fälle "Aufwertung","Fürstenenteignung", .,Panzerkreuzerverbot" und" Youngplan". Frankfurt a. M. 1989. Siehe aus deraktuellen Forschungsdebatte nur die Kontroverse: Stefan MEINEKE, Die antiplebiszitäre Grundsatzentscheidungdes Parlamentarischen Rates - eine Fehlverarbeitung der Gesch.?; in: Jb. für Politik 2,1992, S. 203-230; Otmar JUNG, Die "Weimarer Erfahrungen" mit der Volksgesetzgebung: Kritik undTragweite; in: Jb. für Politik 3, 1993, S. 63-92; MEINEKE, Die Weimarer Erfahrungen mit der Volksgesetzgebung:Bilanz der Forschung und Kritik neuerer Revisionsversuche; in: Jb. für Politik 4, 1994,S. 105-156; JUNG, Zur Revision der "Weimarer Erfahrungen" mit der Volksgesetzgebung; in: Jb. fürPolitik 5, 1995, S. 67-116; abschließend Stellung nimmt Reinhard SCHIFFERS, "Weimarer Erfahrungen":Orientierungshilfe für die Aufnahme plebiszitärer Elemente in das Grundgesetz? (Zur Debattezwischen Meineke und Jung), in: Zs. für Politikwissenschaft 6, 1996, S. 349-374.6 Vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 12-28.7 Vgl. JUNG, Volksgesetzgebung (wie Anm. 4) S. 587 ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 193ehemaligen Herzog noch einmal kurz nachgezeichnet werden; dabei sind die einschlägigenjuristischen Probleme - von Schmidt m. E. viel zu kurz behandelt - unterangemessener Berücksichtigung der Justizgeschichte hervorzuheben (11.). Nach einerEinordnung der <strong>Braunschweig</strong>er Vorgänge in den gemeindeutschen zeitgeschichtlichenZusammenhang folgt ein Ausblick auf die Volksbewegung zur Fürstenenteignung1926 (III). Am Schluß soll eine politikwissenschaftliche Gesamtbetrachtungim Rückblick erfolgen (IV).11. Der Streit um das Kammergut zwischen dem Freistaat<strong>Braunschweig</strong> und dem ehemaligen Herzog1. Zur DomänensituationIn <strong>Braunschweig</strong> war die verfassungsrechtliche Qualität des als "Kammergut" zusammengefaßtenKomplexes von Domänen, Forsten und Bergwerken seit langem umstritten.Auch bei den Verhandlungen über die Neue Landschafts-Ordnung von 1832gelang insoweit keine Einigung, so daß man es bei einem Verweis auf die bisherigenRechtsverhältnisse beließ und sich auf die Regelung seiner Verwaltung und die Verwendungseiner Erträge beschränkte. Das Kammergut war unveräußerlich, staatlichverwaltet und landständisch kontrolliert. Aus seinen Erträgen sollten nach § 169Abs. 1 NLO zunächst und zuvörderst [J der Bedarf des Landesfürsten und SeinesHauses, im übrigen die Bedürfnisse des Landes bestritten werden. Der erste Posten,die landesfürstliche Rente, war durch besondere Vereinbarung mit den Ständen (Finanznebenvertragvon 1832) festgesetzt. 1849 versuchte der Landtag vergebens, hier"gründlich aufzuräumen": Der Entwurf eines neuen Staatsgrundgesetzes erklärte dasgesamte Kammergut "rundweg für Staatseigentum". Die einsetzende Reaktionmachte diesen Bemühungen ein Ende.Mit 97 161 ha umfaßte das Kammergut 26,4 % des Staatsgebiets. 1908/10 gingen1,89 Mio. M p. a. - gut die Hälfte des Rohertrags - als Überschuß an das Land unddeckten knapp 13% des eigentlichen Staatshaushaltes 8 •2. Von der Revolution zur Verfassung: die Ära OerterAuch in <strong>Braunschweig</strong> traten Anfang November 1918 neue Leute an, aber mit zweiBesonderheiten. Erstens: Im Unterschied zu anderen kleinen Staaten, bei denen sichauch in der Revolution oft bemerkenswert viel Kooperation, ja Kontinuität zeigte,und entgegen den Erwartungen der Mehrheitsparteien des Herzogtums vollzog sich8 Vgl. Albert RHAMM, Das Staatsrecht des Hzgtms Bs. (= Das öffentliche Recht d. Gegenwart Bd. IV).Tübingen 1908, S. 72 ff., 87; DERS., Die Verfassungsgesetze des Hzgtms Bs., Bs. 2. Auf!. 1907, § 164Anm. 1. Ferner Rudolf BEsTIAN, Entwicklung und volIc,wirtschaftliche Bedeutung der bsg. Domänenund Klostergüter (= Greifswalder Staatswiss. Abhandlungen Bd. 30). Greifswald 1927, S. 54;SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 12 ff., 20 ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650194 O. Jungdie Umwälzung in <strong>Braunschweig</strong> ohne jede Beteiligung von bürgerlicher Seite 9 •Zumal mit dem rein ständischen Landtag, dem seit 1895 erst einmal (1909) ein Sozialdemokrat- für vierzehn Tage - angehört hatte und der noch in seinen Parlamentsferienweilte, war es einfach vorbei. Zweitens hatte die regionale Entwicklung der Arbeiterbewegungdahin geführt, daß die SPD des Herwgtums seit der Parteispaltung1917 ganz überwiegend der unabhängigen Richtung angehörte, während die nachReichsrnaßstäben sogenannte "Mehrheits"sozialdemokratie in <strong>Braunschweig</strong> nureine geringe Rolle spielte lO • Die linke USPD, zumal ihr spartakistischer Flügel, unddie Obleute der Betriebe, koordiniert im sogenannten "Revolutionsklub" , führtendenn auch die revolutionäre Bewegung in <strong>Braunschweig</strong>. Ihre besten Köpfe traten,verstärkt um einige Vertreter des aufständischen Militärs, am 8. November als Arbeiter-und Soldatenrat zusammen und nötigten den Herwg zum Thronverzicht ll , derdie Regierung in die Hände des Arbeiter- und Soldaten rates legte 12 ; dieser gab zusammenmit dem Wortlaut der Abdankung bekannt, daß die regierende Gewalt jetzt vollständigin seinen Händen liege l 3, und bekräftigte anderntags, daß er die öffentlicheMacht und ihre Ausübung übernommen habe 14 •Für diesen Arbeiter- und Soldatenrat verfaßte Sepp Oerter 15 , bis zur Spaltung Redakteurder örtlichen Partcizeitung, demnächst Volkskommissar für Inneres und Finanzenund schlechthin die führende Persönlichkeit der revolutionären Wochen, eineProklamation "An Alle!", die am 10. November in einer Sonderausgabe des vom"Sozialdemokratischen" zum "Republikanischen Organ" umgetauften "Volksfreunds"erschien 16 • Eingeordnet in Skizzen des Übergangs vom Kapitalismus zurvollen Demokratie und zum Sozialismus, lauteten die Kernsätze: Vorbehaltlich derZustimmung der [aID} späteren Wahlen hervorgegangenen Landesvertretung erklärtder Arbeiter- und Soldatenrat das Land <strong>Braunschweig</strong> zur Republik. Damit sind alleherzoglichen Domänen und Güter zum Eigentum der Republik erklärt und alle per-• Vgl. Friedhelm BOLL, Massenbewegungen in Nds. 1906-1920. Eine sozialgesch. Untersuchung zuden unterschiedlichen Entwicklungstypen Bs. und Hannover (= Veröff. d. Instituts für Sozialgesch. Bs.- Bonn). Bonn 1981, S. 259, 262.\0 Vgl. Torsten KUpFER/Bernd ROTHER, Der Weg zur Spaltung: Die Ursachen der Richtungskämpfe inder deutschen Sozialdemokratie 1890-1920 am Beispiel der Länder Anhalt und Bs., in: IWK 29,1993, S. 139-177.11 Im landesgeschichtlichen Vergleich bemerkt insoweit nichts Besonderes zu Bs. Helmut NEUHAUS, DasEnde der Monarchien in Deutschland 1918; in: Hist. Jb. 111, 1991, S. 102-136 (110,129).12 Vgl. die Abdankungsurkunde des Hzgs vom 8.11.1918, faksimiliert bei Peter BERGER, Brunonia mitrotem Halstuch. Novemberrevolution in Bs. 1918/19. Hannover 1979, S. 139, sowie bei ReinhardBEIN, Bs. Stadt und Hzgtm 1890-1918. Materialien zur Landesgesch. Bs. 1985, S. 269.13 Abdankung des Hzgs Ernst August, Volksfreund, Sonderausgabe vom 8.11.1918, wiedergegeben beiBERGER (wie Anm. 12) S. 52, sowie bei BEIN (wie Anm. 12) S. 270.14 An Alle! Volksfreund, Sonderausgabe vom 9.11.1918, wiedergegeben bei BERGER (wie Anm. 12)S.140.15 Vgl. Abg. Oerter (fraktionslos), Verhandlungen des Landtags des Freistaates Bs. (LT) 25.9.1924,Sp.5534; Jellinek (LT Drucksache (Ds) 680 vom 12.5.1924, S. 41-47 (46» vermutete insoweitfalsch.16 An Alle! Volksfreund, Sonderausgabe vom 10.11.1918, nochmals abgedruckt unter der ÜberschriftEine Prokklmation des Arbeiter- und Soldaten rates tür die Republik <strong>Braunschweig</strong> in VolksfreundNr. 3 vom 11.11.1918.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 195sönlichen Titel und Vorrechte aufgehoben. Es folgten unter anderem die Einrichtungdcr Volkskommissariate, Appelle zur Ordnung und zur Mitarbeit (Das Vorstehendeist unser Programm. Helft uns in seiner Durchführung.) und als Schluß ein Es lebedie sozialistische Republik!Der Gedankengang Ocrtcrs war deutlich genug: Die Verstaatlichung der Domänenwurde ebenso als Konsequcnz (Damit) der Republikanisierung aufgefaßt 17 wie,worin später die Weimarer Reichsverfassung (WRV) (Art. 109 Abs. 3 und 4) mitging,die Aufhebung persönlicher Privilegien. Gleichwohl verstand ein verängstigtesBürgertum ihn nicht 18 , und das Volkskommissariat des Innern und der Finanzen sahsich alsbald veranlaßt, in einer weiteren Proklamation wider alle Gerüchte daraufaufmerksam zu machen, daß kein Privateigentum konfisziert wird 19 • Von Dezemberan jedenfalls mußte der hisherige Herzog die Einkünfte aus dem Kammergut entbehren.Weiteres geschah in dieser Angelegenheit zunächst nicht, erschien den neuenMachthabern offenkundig auch nicht nötig 20 ; dies und die Gesamtentwicklung derRevolution in <strong>Braunschweig</strong>, in der Schritt für Schritt Rätesystem und USPD-Herrschaftzurückgedrängt wurden, dürften dazu beigetragen haben, daß die Diskussionsich rasch auf jenen Aufruf als Hürde oder Strohhalm konzentrierte, ins Nurjuristischeabglitt und als Proklamationsexegese professorale Blüten trieb.17 In einem Brief an den Chef der Vermögensverwaltung des ehemaligen Herzogs, Prof. Dr. Paul Knoke,vom 10.12.1918 dozierte Oerter: Die Erkliirung des Privateigentums des bisherigen Staatsoberhaupteszu Staatseigentum ist ein bei Volksrevolutionen fast regelmäßig eintretender Vorgang. Wenn die Revolutionerfolgreich ist, so sanktioniert die spätere Gesetzgebung den Eigentumsübergang regelmäßig ...Die Vorgänge von 1789 und 1848 sind zu bekannt, als daß sie hier angeführt zu werden brauchten.StAWf, 12 A Neu 13 n, 45101. - Während Oerter hier den Akten der revolutionären Gewalt konstitutiveBedeutung beimaß, verfolgte er bereits zwei Jahre später auch jene andere Strategie, derzufolgedas Kammergut schon zu monarchischen Zeiten "seiner Natur nach Staatsgut" gewesen sei, vgl.SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 55. Rückblickend schwächte er seine Tat endgültig ins Deklaratorische ab:Das Kammergut sei im Laufe der historischen Entwicklung des Herzogtums <strong>Braunschweig</strong> Eigentumdes Staates geworden; er - Oerter - konnte daher in der von ihm verfaßten Proklamation vom10.11.1918 gar keine andere Erkliirung abgeben als die: das Kammergut ist Eigentum der Republik,Oerter an Friedrich Boden vom 4.10.1924, StAWf, 19 B Neu, 984, S. 200-205 (201).10 So behauptete später der Redakteur der "Bsg. Landeszeitung" Hermann Schroff unter dem PseudonymTEl:TONICUS - Bs. unter der Herrschaft der roten Fahne. Meinungen, Stimmungen und Tatsachen.o. O. o. J. IBs. 1919] -, die Revolutionsregierung hätte die Domänen "ohne jegliche rechtlicheBegründung zum Staatseigentum erklärt(e)" (S. 39). Auch Bernd ROTHER, Die Sozialdemokratie imLand Bs. 1918 bis 1933 (= Veröff. d. Instituts für Sozialgesch. Bs. - Bonn). Bonn 1990, S. 30, gibt dieinnere Verknüpfung auf und addiert bloß noch einzelne Maßnahmen. Ebenso jetzt SCHMIDT (wieAnm. 1) S. 11: Statt des originalen Damit, das eine konsekutive Beziehung ausdrückt, heißt es in seinerParaphrase nur temporal "zugleich".19 Volksfreund Nr. 4 vom 12.11.1918; vgl. BERGER (wie Anm. 12) S. 63f.20 Historisch geht daher SCHMIDTS (wie Anm. 1) S. 3D, Kritik fehl, der Staat habe es "verabsäumt", sichetwa in der Vorläufigen Verfassung für den Freistaat Bs. vom 27.2.1919 "in irgendeiner Weise zu demstrittigen Vermögen zu äußern". Erstens war da aus Sicht der Akteure nichts mehr strittig; vielmehrhatten sie am 10.11.1918 eine eindeutige Regelung getroffen. Zweitens stand verfahrensmäßig lediglichdie vorbehaltene Zustimmung des Landesparlaments aus - die Verantwortlichen hatten also gar keineVeranlassung, in dem knappen Organisationsstatut der Vorläufigen Verfassung noch einmal auf dieAngelegenheit einzugehen.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650196 o. JungFreilich zeigte der Arbciter- und Soldatenrat unter dem dominierenden VolkskommissarOerter selbst starkes normatives Bewußtsein: Nur drei Tage nach jenergrundlegenden Proklamation fertigte er bereits ein "Gesetz über die Weitergeltungder bisherigen Landesgesetze und Einrichtungen" - soweit sie nicht durch die neueRegierung aufgehoben sind oder noch aufgehoben werden - einschließlich einer Zuständigkeitsüberleitungaus 21 , und wieder fünf Wochen danach kündigte er schoneine Sammlung der vom <strong>Braunschweig</strong>er A.- und S.-Rat bisher erlassenen Verordnungenund Gesetze an 22 ; daraus wurde allerdings nichts, und auch das spätere parlamentarischeNachprüfungs- und Bereinigungsverfahren erfaßte just jenen Teil desRevolutionsrechts nicht mehr, wo das Domänenproblem angepackt und gelöst wordenwar 23 •Die ersten vier Monate gab sich der Rat der Volkskommissare bzw. Volksbeauftragten,der sich demnächst, nach einigen Querc\en, allein auf die absolute linkeMehrheit in der am 22. Dezember 1918 gewählten Landesversammlung stützte - jeweilsunter Oerter - recht "zugeknöpft". Weder war eine Pension für den bisherigenHerzog vorgesehen 2 4, noch wurde - wie von dessen Vermögensverwaltem gefordert- eine Abfindung für die Verstaatlichung des Kammergutes in Aussicht genommen25 • Die Revolution müsse - so Oerter - nicht nur in öffentlichrechtlicher, sondernauch in privatrechtlicher Beziehung als Grundlage eines neuen Rechtszustandesangesehen werden 26 •Inzwischen machte sich politisch doch geltend, daß bei den Wahlen zur Landesversammlungüberraschenderweise die MSPD die meisten Mandate gewonnen hatte 27 ,und Mitte März schlug der parteilose Finanzpräsident Emil BarteIs schon andereTöne an: Ausgehend von einer konträren Rechtsposition, daß nämlich trotz aller Revolutiondie Privatansprüche des ehemaligen Herrscherhauses auf Bestandteile des21 Gesetz- und Verordnungs-Sammlung für die Bsg. Lande (GVS) lOS, 1918, S. 263.22 Bsg. sozialistische Landeskorrespondenz, Amtliches Organ der Presse- und Propangada-Abteilungdes Arbeiter- und Soldatenrats 1918, S. 11 Anm. (Nr. 3 vom 19.12.1918).23 Die »Bekanntmachung über die Gültigkeit, Abänderung und Aufhebung vom Arbeiter- und SoIdatenratBs. früher erlassener Gesetze und Vorschriften" vom 15.5.1919 (GVS S. 157) bezog sich nur aufeinen Teil der in der GVS publizierten Vorschriften (so Volksbeauftragter Oerter, Verhandlungen derLandesversammlung des Freistaates Bs. (LV) 14.3.1919, Sp. 500; vgl. Ds 8 vom 28.2.1919). Nacheiner vergehlichen Aufforderung der Landesversammlung, dem Ausschusse zur Nachprüfung der Gesetzeauch diejenigen Gesetze und Verordnungen vorzulegen, welche nicht in der Sammlung veröffentlichtsind (LV 14.3.1919, Sp. 509), versuchte dieser in zwei Anläufen, ein Pr'dklusionsgesetz auf denWeg zu bringen (Ds 239 vom 10.11.1919, Ds 323 vom 5.2.1920); dazu kam es his zum Ende der Landesversammlungnicht mehr.24 Vgl. Vermerk Knokes vom 18.11.1918 über eine Unterredung mit Oerter am 16.11.1918, diesem am19.11.1918 ühersandt, StAWf, 12 A Neu 13 n, 45101.25 So die Auskunft des Volkskommissariats fur Inneres und Finanzen an den Lippischen Volks- und Soldatenratvom 27.12.1918, Abschrift, 3. a. o.26 Oerter an Knoke vom 10.12.1918, a. a. O.27 SPD 17, USPD 14 Mandate von 60, vgl. Martin SCHUMACHER, Stabilität und Instabilität. Wahlentwicklungund Parlament in Baden und Bs. 1918-1933; in: Gesellschaft, Parlament und Regierung. ZurGesch. d. Parlamentarismus in Deutschland, hg. v. Gerhard A. Ritter (= Veröff. d. Kommission fürGesch. d. Parlamentarismus und d. politischen Parteien). Düsseldorf 1974, S. 389-417 (395f.); ROT­HER (wie Anm. 18) S. 36 f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 197Kammergutes als des Hausbesitzes der Herzöge ... ein unentziehbarer Rechtstitel gebliebenseien 28 , akzeptierte, ja forderte er (je eher man sie [sc. die Abfindungsfrage]löst, desto billiger voraussichtlich für das Lan~9) gegenüber Oerter eine Abfindungdes früheren Herzogs. Sein konkreter Vorschlag gab sich generös: Man solle dem bisherigenHerzog das Schloß in Blankenburg samt Zuhehör und einem Teil der umgebendenWaldung, zwei naheliegende Domänen und das Hofgestüt Harzburg überlassen.Doch intern schätzte Barteis die höfischen Liegenschaften als Zuschußobjekteein, die aus den Einnahmen der beiden Domänen gerade getragen werden können.Gelänge sein Plan, so geschähe die Abfindung im Grunde für das Land kostenlos 3ooder doch nahezu kostenlos 3 ! - eine Prognose, bei der man sich fragen könnte, obdieser Fachmann, der demnächst in die Regierung aufrücken und die Leitung des Finanzressortsübernehmen sollte, mit seinem Konzept, wenn es denn stimmte, den bisherigenHerzog "hereinlegen" wollte; aber "natürlich" handelte Barteis "nur" gegenüberder republikanischen Regierung iIIoyal 32 •Oerter wehrte das Ansinnen ab. Er könne nicht einsehen, daß der Herr Herzog einRecht auf eine Abfindung habe3 3 • Wenn er Wert darauf lege, könnten ihm einigeRäumlichkeiten des Schlosses in Blankenburg für sich und seine Familie zum Sommeraufenthaltzur Verfügung gehalten werden - aber nicht mehr: Es gehe nicht an,daß man bei der gegenwärtigen Wohnungsnot ein ganzes großes Gebäude für dieWohnzwecke einer einzigen Familie zur Verfügung stellr3 4 • In der Landesversammlungvertrat Oerter bei Gelegenheit ebenfalls seinen Standpunkt, es sei ganz selbstverständlich..., daß das Land keine Verpflichtung zu irgend welchen Abfindungenan den ehemaligen Herrn Herzog habe: der Rat der Volksbeauftragten lehne es jedenfallsprinzipiell ab, die Frage der Abfindung ... weiter zu erörtern 35 • HofmarschallHans-Henrich v. Grone schätzte Mitte Mai 1919 auf der Konferenz der Vertreterfürstlicher Vermögensverwaltungen in Berlin die Verhältnisse in <strong>Braunschweig</strong> dennauch als denkbar ungünstig ein 36 • Diese harte Linie führte schließlich am 15. Juni" Barteis an Oerter vom 14.3.1919, StAWf, 12 A Neu 13 n, 45101, S. 5.2' Barteis an Oerter vom 10.3.1919, StAWf, 12 A Neu 13 n, 45059, BI. 4 S. 4.30 A. a. 0., S. 5.31 Barteis an Oerter vom 14.3.1919, StAWf, 12 A Neu 13 n, 45101, S. 8; jetzt war schon von drei Domänendie Rede.32 Daß Barteis zu .den Gefolgsleuten des Herzogs" rechnete, zeigt SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 40ft.33 Oerter an Barteis vom 15.3.1919, StAWf, 12 A Neu 13 n, 45059, BI. 6 S. 1 (auch in 45101). Oerterfuhr fort: Selbst wenn es zutreffen würde, daß KammerguL5grundstücke aus Privatmitleln gekauft wordensind, so sehe ich nicht ein, weshalb nicht durch eine Revolution derartige alte Rechte, die noch dazuzweifelhaft sind, bezw. noch nicht ganz geklärt, beseitigt sein sollten . ... Meine Ansicht geht dahin, daßdie • Rechte " der Fürsten an Grund und Boden des Landes immer sehr zweifelhafte sind. Und daß fürdiese zweifelhaften Rechte das Volk nicht verpflichtet werden kann, an die Fürsten Abfindungen zuzahlen. (S. 1 f.).34 A. a. 0., S. 2.35 Volksbeauftragter Oerter, LV 4.4.1919, Sp. 838f.36 Hofkammer-Besprechung vom 15.5.1919, Prot. S. 3, StA Bückeburg, K 2 D 6 Nr. 40 Bd. 1.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650198 O. Jung1919 zu einer feierlichen Rechtsverwahrung der herzoglichen Vermögensverwaltungwegen aller Rechte am Kammergut 37 •Doch bald sollte der Regierungskurs wechseln. Im Gefolge der Besetzung <strong>Braunschweig</strong>sdurch Freikorpstruppen wurden Ende April endlich die parteipolitischenKonsequenzen aus dem Wahlausgang gezogen, und der MehrheitssozialdemokratDr. Heinrich Jasper übernahm den Vorsitz in der Regierung - Oerter war schon vorherausgeschieden. Nun wurde zur Jahreswende 1919/20 doch ein Angebot des BartelssehenTyps - mit zwei Domänen, jedoch wollte das Land noch die Pensionenübernehmen - der Herzogsseite untcrbreitct 38 , kam es Ende Februar/Anfang März1920 auch zu zwei Besprechungen zwischen Minister Jasper und dem Chef der Vermögensverwaltung,Knoke, bis dann in Folge des Kapp-Lüttwitz-Putsches die "erfolgversprechendbegonnenen Gespräche ... ein jähes Ende" fanden 39 •Die Wahlen im Mai 1920 stärkten die linke Mehrheit der Landesversammlung, vorallem mußte innerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung die MSPD fastdie Hälfte ihrer Mandate an die unabhängige Konkurrenz abgeben 40 ; Ministerpräsidentwurde wieder Oerter. Bei seiner Regierung einer erneuerten USPD/MSPD-Koalitionmeldete sich im August 1920 Knoke abermals mit dem Wunsch, nunmehr dieAuseinandersetzung hinsichtlich des Kammergutes offiziell zu betreiben 41 •Oerter wehrte Einlcitungsgeplänkel - keine einseitige Regelung durch Landesgesetz(mit Verweis auf die Haltung der Reichsregierung im Falle Waldeck 42 ), keinenProzeß, sondern außergerichtlichen Vergleich - erst einmal mit dem Bemerken ab,daß ein eingehendes Rechtsgutachten über alle in Betracht kommenden Verhältnisse,dessen Erstattung in die Wege geleitet sei, abgewartet werden müßte 43 • Acht Wochen37 Vgl. August HAMPE, Die Abfindungsansprüche des Herzogl. Hauses Bs. vom Standpunkte des Rechtesund der Billigkeit. Eine Aufklärungsschrift. Bs. 1921, S. 3; verlesen LV 1.7.1919, Sp. 2294. DieseEingabe pickte einen Nebensatz aus dem Begleitschreiben zum Entwurf des Staatshaushaltes 1919120(Nachdem das Kammergut zum Staatseigentum erklärt ist ...) auf, den der neue parteilose Volksbeauftragtefür die Finanzen, Barteis, unterschrieben hatte (LV Ds 23 vom 26.4.1919, S. I1I) - womit diepolitische Position dieses Mannes wahrlich verkannt war. - Das argumentativ biedere HAufklärungs"-Schriftchendes kurzzeitigen Justizministers unter Jasper, eines deutschnationalen/wirtschaftsparteilichen/welfischenParlamentariers in Reich und Land, dokumentiert die Korrespondenz Staatsministerium- Vermögensverwaltung 1919/20 exakter als die Parlamentaria. - Vgl. zu dieser Rechtsverwahrungauch SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 32, 39 f.3. Zu diesem Angebot vgl. LV Ds 133 o. D. (1920), S. 6. Oerter behauptete später, den Gedanken, demehemaligen Herzog jene höfischen Liegenschaften und drei Domänen zu geben, habe er seit 1918 gehabt,Oerter an Boden vom 4.10.1924, StAWf, 19 B Neu, 984, S. 200-205 (204); ähnlich Abg. Oerter(fraktionslos), LT 25.9.1924, Sp. 5534 - hier nannte Oerter nur zwei Domänen. Da er in der zeitgenössischenKorrespondenz mit Barteis, wie gezeigt, noch das Recht auf eine Abfindung überhaupt bestrittenhaUe, scheint ihm später die Erinnerung durcheinander gegangen zu sein.39 Vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 42ft.40 USPD 23, SPD 9 Mandate von 60, vgl. SCHUMACHEIl (wie Anm. 27) S. 396; ROTHEIl (wie Anm. 18)S. 110f.4) Knoke an Staatsministerium vom 2.8.1920, HAMPE (wie Anm. 37) S. 3.42 Vgl. zu diesem Fall JUNG, Volksgesetzgebung (wie Anm. 4) S. 375-408 (393-400).43 Oerter an Knoke vom 10.8.1920, HAMPE (wie Anm. 37) S. 3 f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 199später aber forderte er, ohne daß aus dem Gutachten viel geworden war"4, Knoke auf,nunmehr die spezialisierten Forderungen des Herzoglichen Hauses an den <strong>Braunschweig</strong>ischenStaat einzureichen 45 •In der Besprechung vom 18. Dezember 1920 rückte Knoke heraus: Einstimmenderklärte er zu Beginn, daß an sich das gesamte Kammergut Privateigentum des ehemaligenHerzogs wäre; da aber bei Hergabe des ganzen Kammergutes der <strong>Braunschweig</strong>ischeStaat nicht mehr bestehen könne, sei das Herzogliche Haus zu weitgehendemEntgegenkommen bereit. Dann folgten die Forderungen:das Schloß in Blankenburg, das Hofjagdrevier ebendort und das Gestüt zu Bündheim-Harzburg,die der Staat schon sozusagen abgeschrieben hatte bzw. als Lastobjektesogar loswerden wollte; ferner abervier namentlich genannte Forstbezirke, etwa 1/9 der zum Kammergut gehörendenForsten,sieben namentlich genannte Domänen, etwa 1/5 (nach Fläche und Ertrag) derzum Kammergut gehörigen Domänen, dazu einzelne kleinere Forstparzellen imAnschluß an die einzelnen Domänen,Herausgabe der Nutzungen dieser Objekte seit dem durch die Rechtsverwahrungvom 15. Juni 1919 bewirkten Verzugseintritt,Herausgabe bzw. Ersatz sämtlichen Mobiliars der Hofstattgrundstücke,Wahrung des Eigentums des herzoglichen Hauses an der <strong>Bibliothek</strong> in Wolfenbüttelund dem Landesmuseum,Abgabenfreiheit der Auseinandersetzung.Was nun folgte, war selbst in der diplomatischen Sprache des Protokolls eine"Szene": Minister Oerter begrüßte die Forderungen vom politischen Standpunkt.Durch sie werde die Dynastie endgültig erledigt sein. Im übrigen könne er nur sagen:"Komm und hole sie!" Knoke kündigte an, im Falle eines Prozesses werde der frühereHerzog durch einstweilige Verfügung alle Veräußerungen und Belastungen des Kammergutssperren lassen. Minister Oerter erklärte, falls solche Maßnahmen mit Erfolgergriffen werden sollten, so würde in <strong>Braunschweig</strong> eine zweite Revolution ausbrechen,und nicht nur hier, sondern auch im Reiche, eine Revolution, die er für berechtigthalten und mit allen Kräften fördern werde. 46.. Bis zur Besprechung vom 18.12.1920 war kein Rechtsgutachten eingeholt worden (vgl. Oerter, LV Os133 o. O. (1920), S. 7), dies hatte sich verzögert (Minister Oerter, LV 21.12.1920, S. 788). SCHMIDTS(wie Anm. 1) S. 45, Behauptung, daß die Einholung eines solchen Gutachtens auch gar »nicht beabsichtigt"gewesen sei, wird von seinen Quellen nicht getragen. Tatsächlich hatte Bs. am selben10.8.1920 den Prä~identen des Preußischen Staatsministeriums um Überlassung des Rechtsgutachtensdes Justizministers Kurt Roscnfcld (USPO) vom 19.12.1918 (vgl. dazu JUNG, Volksgesetzgebung (wieAnm. 4) S. 437) gebeten und war eine Woche spater auf dessen Veröffentlichung in der »NorddeutschenAllgemeinen Zeitung" (Nr. 117, 4.3.1920 M) verwiesen worden (GStA PK Berlin,Rep. 90/235; zur Einschätzung dieser unzulänglichen Kommunikation auf Staatsseite vgI. JUNG,Volksgesetzgebung (wie Anm. 4) S. 570f.); insofern liegt der Verdacht einer gewissen Hochstapeleinahe.45 Oerter an Knoke vom 7.10.1920, HAMPE (wie Anm. 37) S. 4.46 LV Os 133 o. O. (1920), S. 2-5; vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 46ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650200 O. JungDrohung mit Veröffentlichung der Vorschläge und Warnung vor neuem Bürgerkriegsogar von den SPD-Ministern - die dreiköpfige Delegation des ehemaligenHerzogs, die aus Gmunden in Österreich angereist war und zur Vorbereitung durchausunter der Hand mit einigen hiesigen Persönlichkeiten wegen des Umfanges derForderung Fühlung genommen hatte, war von der Reaktion der Regierungsmitgliedersichtlich überrascht 47 , die diese Forderungen als Grundlage für Verhandlungeneinmütig ablehnten. Minister Oerter kündigte in der Sitzung des Staatsministeriumsan, er werde sein Amt niederlegen, falls die Landesversammlung anders entscheidensollte.Wenn je sich Oerter auf die Mauscheimethode hatte einschwören lassen, die Auseinandersetzungdem Streite der politischen Parteien entrücken und möglichst reibungs-und geräuschlos erledigen zu wollen 4S , wie es die Gegenseite später indigniertdarstellte, war es damit nun vorbei. Auf der nächsten Sitzung der landesversammlungeröffnete Oerter die angesetzte Haushaltsdebatte mit einer Mitteilung über jeneBesprechung und mit Angaben über Flächen - die vier Forstamtsbezirke: 8 634 ha,die sieben Domänen: 3 412 ha - und Summen - eine flüchtige und vorsichtig vorgenommeneBerechnung habe 250 Millionen M ergeben 49 -, die zu drei Tagen Turbulenzund Echauffement und schließlich wieder zu jener seltsamen braunschweigischjuristischenKonstellation führten: Politisch wollte nicht einmal der rechte Landeswahlverbanddie ihm außerordentlich hoch erscheinenden Forderungen akzeptieren50 ; alle bürgerlichen Fraktionen verlangten aber ein Rechtsgutachten, möglichsteiner Universität, einzuholen, wozu auch Jasper persönlich neigte 51 • Die linke Mehrheitder Landesversammlung jedoch trat offensichtlich dem Standpunkt bei, wie ihnder seltsam fahrige Justizminister und seinerzeitige Volkskommissar für das Recht,August Junke (USPD), nun formulierte: Mit der Revolution seien die Ansprüche desfrüheren Herzogs an den Freistaat <strong>Braunschweig</strong> erloschen, ein Rechtsgutachtenüberhaupt einzuholen bedeute schon ein unvertretbares Entgegenkommen, und47 LV Ds 133 o. D. (1920), S. 4f.; der Delegation gehörten außer Knokean KammerherrWemer Frhr. v.Schele und Kammerdirektor Hans v. Kniep. Es ließe sich freilich leicht spotten, daß die Herren wohlbei den falschen "Persönlichkeiten" vorgefühlt hätten; SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 46, nennt die Namen.HAMPES (wie Anm. 37) S. 8, Ansicht, 1/3 der Kammergutseinkünfte, nämlich einen durch Grundbesitzgarantierten Jahresertrag von 325 000 Mark nach Friedenswährung ... zu [ordern, wäre alw dochganz gewiß nicht unbescheiden, war ebenso gewiß nicht repräsentativ für die Lage im neuen Freistaat ... Vgl. HAMPE (wie Anm. 37) S. 4, mit Bezug auf eine Vorbesprechung vom 4.11.1920. SCHMIDT (wieAnm. 1) S. 51, stellt diese nur von Quellen der Herzogsseite getragene Version einfach als Faktumhin. Fast vier Jahre später ist eine entsprechende Rhetorik Oerters ("Parteienzank") allerdings nachweisbar,EBD. S. 119 f.49 Minister Oerter, LV 21.12.1920, Sp. 789, 791; allein die geforderten Wälder und Domänen waren,HAMPES (wie Anm. 37) S. 6f., Goldmark-Zahlen auf P'dpiermark für Dezember 1920 umgerechnet,fast 150 Mio. M wert.so Abg. Rudolf Kaefer (LW), LV 23.12.1920, Sp. 880. Später gab es aber auch andere Einschätzungen imLandeswahlverband, vgl. SCIIMIDT (wie Anm. 1) S. 54.SI Vgl. Abg. Jasper (SPD), LV 22.12.1920, Sp. 856 f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 201wenn wir auch nur im geringsten uns auf die Abfindung einlassen würden, so würdenwir uns . .. versündigen 52 •Knoke versuchte noch, dem verheerenden politischen Eindruck seiner Missionentgegenzuwirken, schickte am 27. Dezember 1920 ein Protokoll jener verunglücktenBesprechung einerseits an die Landesversammlung53, andererseits an die Reichskanzlei5 4, fügte für <strong>Braunschweig</strong> eine Abschrift der Intervention der Reichsregierungin Waldeck bei 55 - umsonst. Als der Abgeordnete August Hampe (LW) förmlichwegen eines Rechtsgutachtens nachhakte 56 , ging sein Antrag einfach unter.3. Verfassungsgebung und ProzeßbeginnNun rüsteten beide Seiten auf je ihrem Terrain. Das Land entwarf seine Verfassung,und der ehemalige Herzog bereitete seinen Prozeß vor. Der Verfassungsentwurf vomApril 1921 statuierte zwar alles Staatsgut als Eigentum des Volkes (§ 12), zählte aberdas Kammergut nur interpretativ (Erläuterung zu § 12) zum Staatseigentum, diesfreilich bereits seit der Neuen Landschafts-Ordnung von 1832 57 • Doch schon in derersten Lesung im Verfassungsausschuß trumpfte die Sozialdemokratie auf mit derFormulierung: Alles Staatsgut einschließlich des Kammergutes ist Eigentum der Gesamtheitdes Volkes 58 • Als diese Fassung im Ausschuß abschließend bestätigt wordenwar 59 , wartete der ehemalige Herzog nicht länger6°, sondern erhob am 3. November1921 beim Landgericht <strong>Braunschweig</strong> Klage und verlangte unter einem ganzenKranz von Ansprüchen Zahlung von 1 200 000 M61. Zwar zeigten die bürgerlichenFraktionen alsbald Wirkung und wollten die Kammergutsfrage jedenfalls bis zumAbschluß des Prozesses ausklammern - der Landeswahlverband, der vom EigentumS2 A. a. 0., Sp. 838; am 18.12.1920 wollte Junke noch mit allem Nachdruck ein Rechtsgutachten angefordertwissen (LV Os 133 o. D. (1920), S. 7), jetzt, vier Tage später, sah er dazu wahrhaftig keine Veranlassung,gab es für ihn nur eins: Ablehnung der Einholung eines Rechtsgutachtens (LV 22.12.1920,Sp. 837 f.). Eine förmliche Abstimmung unterblieb.S3 Veröffentlicht als Os 133 o. D. (1920).54 BA Koblenz, R 43 1/2204, S. 157.S> Abschrift von: Verhandlungen der verfassunggebenden Waldeck-Pyrmonter Landesvertretung1919-22, Anlage 125 (S. 74f.).5tI LV 19.1.1921, Sp. 1616.S7 LV Os 245 vom 14.4.1921, S. 10.SH Den Antrag hatte der Abg. Albert Schelz (MSPD) gestellt, der 1919 kurzzeitig Volksbeauftragter fürVolksbildung gewesen war, vgl. ROTHER (wie Anm. 18) S. 288. Die Ministerialbürokratie warnte. DerMinR im FinM Adolf Degener hielt es vor der Auseinandersetzung mit dem herzoglichen Hause fürsehr bedenklich, das Kammergut schlechthin als Staatsgut zu behandeln. Auch durch ein Verfassungsgesetzwerden bestehende Rechte nicht beseitigt! (cfr Art. 153 der St. V,), Bemerkungen vom 7.8.1921,StAWf, 12 A Neu 13 c, 4328, BI. 81 uRS.S9 In der dritten Lesung am 28.10.1921, a. a. 0., BI. 135. Vgl. LV Os 485 vom 28.11.1921, S. 9; SCHMIDT(wie Anm. 1) S. 62ff.60 Vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 74, 77f.61 StAWf, 12 A Neu 13 n, 45085; Fortsetzung in Nr. 45086,45087; vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 78ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650202 O. Jungdes bisherigen Herwgs am Kammergut ausging, mit den Losungen von Moral undRechtsstaat, dagegen die DDP, welche die Eigentumsverhältnisse wie die Linke sah,aus Gründen der Verfassungsklugheit 62 • Aber die Sozialdemokratie hielt Kurs.Parlamentarische Prozedur und Prozeßstationen näherten sich nun in einem WettlaufHacken auf Hacken:14. Dezember 1921: In 2. Plenarlesung setzte die linke Mehrheit der Landesversammlungihre Fassung durch 63 •17. Dezember: Das Staatsministerium erhob den Kompetenzkonflikt.19. Dezember: Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht<strong>Braunschweig</strong>.22. Dezember: In 3. Lesung lieferte die SPD die Formulierung der endgültigenFassung: Kammergut war und ist Staatsgu(>4. Am selben Tag verwies das Landgerichtden Rechtsstreit an den Kompetenzgerichtshof. Auch ein Appell derherzoglichen Verwaltung an das Reichsinnenministerium um Eingreifen wie imFalle Waldeck 65 half nicht mehr.Politisch war die Linke am Ziel: Die Verfassung trat am 21. Januar 1922 inKraft 66 • Anderntags behaupteten bei den Wahlen zum 1. Landtag die Linke ihreMehrheit und die USPD, wenngleich weniger gut, ihre koalitionsinterne Vormachtstellung67 • Die Linke blieb an der Regierung und hatte die Klinke der Gesetzgebunggedrückt.Ein fulminantes Schreiben, mit dem der Referent des Reichsministeriums des Innern,Oberregierungsrat Hans-Heinrich Lammers, die <strong>Braunschweig</strong>er gleichsamzum Rapport auffordern wollte, wurde von Minister Dr. Adolf Köster gestoppt: Ichbitte, das Urteil der Gerichte abzuwarten 68 • Nun kam es darauf an, was die Vermögensverwaltungauf diesem Terrain zu bieten hatte.Vor dem Kompetenzgerichtshof, der über die Statthaftigkeit der Klage als einerbürgerlichen Rechtsstreitigkeit zu entscheiden hatte, brachte die Herwgsseite wenigerJuristisches denn Politik vor. Daß sie sich bereits an das Reichsinnenministeriumgewandt und was dieses früher im Falle Waldeck geäußert habe, war eine geschickteÜberrumpelung und für das Staatsministerium, das sich eine Woche später daran machenmußte, diese Informationen erst einmal aus Berlin zu beschaffen 69 , deklassie-62 Vgl. LV Ds 485 vom 28.11.1921, S. 3; LV Ds 492 vom 28.11.1921 (Minderheitsbericht), S. 3f.; Abg.Norbert Regensburger (DDP), LV 14.12.1921, Sp. 5766; vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 63.63 LV 14.12.1921, Sp. 5774.64 Antrag des Abg. Albert Schelz (SPD), LV 22.12.1921, Sp. 6125 f.; angenommen ohne AuszählungSp.6126.6S Knoke/v. Schele an RIM vom 25.12.1921, BA Potsdam, RMdI 16520, BI. 2.66 Verfassung des Freistaates Bs. vom 6.1.1922, GVS S. 55.67 USPD 17, SPD 12, KPD 2 Mandate von 60, vgl. SCHUMACHER (wie Anm. 27) S. 397; ROTHER (wieAnm. 18) S. 139 f.6. Entwurf Lammers' vom 6.2.1922, Bemerkung Kösters und Verfügung Lammers' vorn 9.2.1922, BAPotsdam, RMdI 16520, BI. 4uRS.69 Bsg. Staatsministerium, Abt. f. Recht (gez. Junke) an RIM vom 6.2.1922, BA Potsdam, RMdI 16520,BI. 3uRS; Junke forderte auch das waldcckische Material an, obwohl das Staatsministerium schonEnde Dezember den einschlägigen Bescheid des RIM vom 1.10.1919 abschriftlich durch Knoke erhal-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 203rend 7o , gewann ihr aber den Kompctenzkonflikt nicht. Dafür sorgte indes auch ohneSeitenblick auf das Reich ein Richtergremium, das zwar mit Liebe ins Jahre 1235blickte und sorgsam eine Verleihungsurkunde Kaiser Friedrichs 11. von Hohenstaufeninterpretierte, dem aber für die Vorgänge der letzten vier Jahre der Blick getrübt warund das die ganze neun Tage junge Verfassung des Freistaates <strong>Braunschweig</strong> schongar nicht zu deuten vermochte: Art. 7 dieser Verfassung (Kammergut war und istStaatsgut) drücke den Gedanken, daß hier Privat gut für Staatsgut erklärt werdensolle, nicht zweifelsfrei aus; daß das Kammergut Staatsgut war, spreche nur eineRechtsansicht aus. Die Verbindung" war und ist" Staatsgut gibt aber dem GedankenRaum, daß die ganze Vorschrift kein Rechtssatz, sondern lediglich eine Rechtsansichtsein soll, indem gefolgert wird, daß das Kammergut, weil es früher schon Staatsgutgewesen sei, diese Eigenschaft auch jetzt haben müsse. Bei anderer Interpretationhabe der Kläger jedenfalls einen Entschädigungsanspruch wegen Enteignung 71 •Die zitierte Argumentation verdient hinterhältig genannt zu werden. Für jeden Beobachterder <strong>Braunschweig</strong>er Politik lag die Räson der Formel war und ist auf derHand, daß nämlich die linke Verfassungskoalition die beiden eingangs skizziertenWege: den von der MSPD bevorzugten der bloß deklaratorischen Umgestaltung(war) und den von der USPD präferierten der konstitutiven Neuregelung (ist), kombinierenwollte. Beabsichtigt war eine Verstärkung der verfassungsrechtlichen Verteidigunggegen die Ansprüche des ehemaligen Herzogs. Statt dessen spielte der Gerichtshof,ohne nach der Teleologie der Norm zu fragen oder ihre Entstehungsgeschichtezu prüfen, einfach beide Elemente gegeneinander aus 72 •Nun legten die Prozeßparteien zu. Das Staatsministerium ging an die Öffentlichkeitund ließ seine Klagebeantwortung als Broschüre drucken 73 , brachte aber außerder Rechtsantiquität eines Gutachtens, das der Obergerichtspräsident Dr. JohannHeinrich August Hettling (Wolfenbüttel) vor 73 Jahren erstattet hatte 7 4, und eigenenDarlegungen vornehmlich Zitate von Ausführungen über die rechtliche Natur derRevolution, die Profcssor Walther Schücking (Marburg) für das vormalige preußitenhatte (vgl. oben zu Anm. 55). Am 6.3.1922 schickte Berlin das Gewünschte (a. a. 0., BI. 5). Bemerkenswerterscheint die Tatsache, daß ein Kontakt von Bs. nach Arolsen nur über Berlin oderGmunden/Österreich lief.70 Dies gilt bei diesem und bei einer Reihe anderer Beispiele, obwohl da~ Staatsministerium in beiden Instanzenden versierten Berliner Justizrat Juhannes Werthauer als Korrespondenzanwalt zugezogenhatte.n KompGH - 1 E.R.K. 3/21/107 - Urt. vom 30.1.1922, vollständig abgedruckt in LT Ds 680 vom12.5.1924, S. 17-20; auch veröffentlicht in BsgZs. 70, 1924, S. 74-77.72 Vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 93 ("Boomerang"). Im Grunde tat der Gerichtshof so, als hätte Art. 7der Verfassung - in Anlehnung an den Aufruf des Arbeiter- und Soldatenrates von 1918 - gelautet:"war und ist daher". Bei dieser - hypothetischen - Fassung hätte sich zu Recht das Risiko der mehrheitssozialdemokratischenPosition verwirklicht.7J Die Ansprüche des ehemaligen Herzogshauses auf bsg. Staatsgut. Bs. o. J. [1922),48 S.74 Gutachten über die Rechtwerhältnisse des Kammerguts im Herzogtume Bs., und im besonderen überdie Ansprüche des Herzoglichen Hauses und des Landes auf die Einkünfte aus demselben,25.11.1848; in: Ansprüche (wie Anm. 73), S. 30-44; später abgedruckt in LT Ds 680 vom 12.5.1924,S.21-26.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650204 O. Jungsche Königshaus wegen der Kronfideikommißrente gemacht hatte 75 - offenkundigohne zu ahnen, daß Schücking sich schon seit Anfang 1921 für die Interessen des ehemaligenHerzogs engagiert hatte 76 • Der Kläger veranlaßte daraufhin Schücking, eineigenes Gutachten über die Ansprüche des Herzoglichen Hauses <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburgam braunschweigischen Kammergut zu erstatten 77 • Beide Seiten zogen nochje ein preußisches Urteil bei 78 und schritten zur mündlichen Verhandlung, aufgrundderen das Landgericht mit Zwischenurteil vom 12. Oktober 1922 die prozeßhinderndenEinreden des Staates verwarf und den Weg zu Sachentscheidungen frei machte 79 •Dagegen ging das Land in Berufung und beauftragte mit Walter Jellinek (Kiel)einen Rechtswissenschaftier, der bislang eher auf Fürstenseite Vertrauen genoß80,aber nun Schückings Gutachten mit BravcJUr zerpflückte 81 - so vernichtend, daß dieHerzogsseite, nachdem Schücking sich nur noch schwach wehrte 82 , nicht weniger alsdrei ordentliche Professoren gegen Jellinek antreten ließ.Vorher indes wies das Landgericht durch Teilurteil vom 14. Juni 1923 die Zahlungsklageab, verurteilte aber den Staat in puncto Mobilien gemäß den Hilfsanträgen(Bestandsverzeichnis vorzulegen, Auskunft zu erteilen, Inventar nicht zu entfernen)83.Diese Entscheidung war trotz der Teilabweisung für den Staat wegen ihrerBegründung hochgefährlich, denn das Gericht nahm zwar eine Pertinenzqualität derRente an - die also mit der Revolution entfiel-, verneinte dies aber für das Kammergutselbst, bei dem es vielmehr von privatrechtIichem Eigentum des ehemaligen Herzogsan allen Mobilien und Immobilien ausging. Versagte es nun den Entschädigungsanspruch,weil weder der Arbeiter- und Soldatenrat noch die Verfassung den" Rechtsgutachten über die dem vormaligen preußischen Könige und seinem Hause an der Kronfideikornrnißrentezustehenden Ansprüche und die Legitimation zur Vertretung des Königlichen Hausesbei der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung mit dem Staat, undatiert (26.4.1919), BA Koblenz,NL Schücking/12; Zitate in: Ansprüche (wie Anm. 73), S. 20-26. Zum Problem der preußischenKronfideikommißrente vgl. JUl


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 205früheren Herzog (wirksam) enteignet hätten, so kam dies einer Aufforderung gleich,die Zahlungsansprüche einschließlich der Rente zu lassen und die einzelnen Objekteselbst herauszuverlangen, was den Freistaat in eine ganz ummögliche Situation bringenmußte. Beide Seiten legten Berufung ein.Anfang 1924 lieferte dann Rudolf Stammler sein Gutachten ab, schwach wieSchücking und unangenehm durch Weitschweifigkeit gleichermaßen wie rechtsphilosophischeApodiktik 84 ; nach ihm Gerhard Anschütz eine seiner schwächeren 85 , aberimmerhin akzeptablen Arbeiten 86 • Das Jahr darauf gutachteten Max Fleischmann 87 ,ebenfalls annehmbar, und Stammler, wie vordem, im NachtragB8. <strong>Braunschweig</strong> hieltdagegen und tat erneut mit Julius Hatschek, dem Göttinger Staatsrechtler, einen ausgezeichnetenGriffl 9 •Der <strong>Braunschweig</strong>er Rechtsstreit war als Kampf des ehemaligen Herzogs um dasKammergut in zwei Instanzen ein Millionenprozeß; er gibt als wahre Gutachten­Schlacht von schließlich sechs Ordinarien einen Blick frei in deutsche Universitätsvergangenheit,und er geriet schließlich als mehr oder minder reflektierte juristischeAufarbeitung der Novemberrevolution zu einem Stück über das Verhältnis vonRecht und Geschichte sowie ihrer jeweiligen Wissenschaften. Dies lohnt näheres Eingehen9o •4. Die Gutachter-Schlacht: eine juristische TragikomödieEine der scheinbar offenen Flanken der Revolution in <strong>Braunschweig</strong> war die Tatsache,daß der Arbeiter- und Soldatenrat seine einschlägige Proklamation nicht in derGesetz- und Verordnungs-Sammlung, sondern in der Zeitung - eben dem" Volksfreund"- veröffentlicht hatte. Jeder Gutachter fragte nach der Zulässigkeit diesesVerfahrens, keiner nach seinen Gründen. So seien sie nachgetragen: Der" Volks-H4 Rechtsgutachten in Sachen des Herzoglichen Gesamthauses Bs.-Lüneburg und Seiner KöniglichenHoheit des Herzogs Ernst August zu Bs.-Lüneburg gegen den Bsg. Staat vom 8.1.1924, abgedruckt inLT Ds 680 vom 12.5.1924, S. 101-121.8' Gewiß waren das Texte durchweg "angesehener Rechtsprofessoren", wie SCHMIDT (wie Anm. 1)S. 111, betont; deren Prestige für die eigenen Zwecke nutzbar zu machen, gehörte zur klaren Strategieder Fürstenseite, vg\. JUNG, Volksgesetzgebung (wie Anm. 4) S. 604. Aber diese allgemeine Feststellungbzw. Erkenntnis enthebt doch nicht der Pnifung, ob die im speziellen Fall erstatteten Gutachtendem generellen Niveau der Arbeiten entsprachen, denen jene Autoren ihren Ruf verdankten. SCHMIDTweist selbst darauf hin, daß sich der unzweifelhaft bedeutende Staatsrechtier Anschütz mit den Argumentenund Ansichten der Staatsseite "eher schlagwortartig" auseinandersetzte, (wie Anm. 1) S. 112.86 Rechtsgutachten in Sachen des Gesamthauscs Bs.-Lüneburg gegen den Bsg. Staat vom 23.4.1924, abgedruckta. a. 0., S. 122-138.87 Über die Rechtslage des Kammergutes im Staate Bs. insbesondere unter der Einwirkung der Revolutiondes Jahres 1918. Gutachtliche Äußerung o. D., abgedruckt in LT Ds 63 vom 10.8.1925, S. 16-26.88 Über das Eigentum in alter und neuer Zeit, Gutachtliche Äußerung vom 29.12.1924, abgedruckt a. a.0., S. 27-31. Kostprobe: So muß der Gedanke des Rechtes und die ihm entquellende Frage des Eigentumsdurch alle beschränkenden Einze/särze durchleuchten, die in wogendem Wechsel einherwallen.(S. 31).H. Die Rechtslage des Kammerguts in Bs. Ein Rechtsgutachten o. D., abgedruckt a. a. 0., S. 32-68. Allerdingsverlangte der Gelehrte auch ein stolzes Honorar: 10 000 RM, vg\. StAWf, 12 A Neu 13 n,45092. Zu den "Tarifen u vg\. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 140.90 SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 99-102, 111 ff., 127 f., referiert diese Gutachten lediglich.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650206 O. Jungfreund" war ein Symbol; er war nach der Parteispaltung heftig umstritten gewesenund schließlich durch einstweilige Verfügung eines Gerichts der - in <strong>Braunschweig</strong>,wie erwähnt, nur kleinen - "Mehrheits"sozialdemokratie zugesprochen worden 91 •Ihn den Regierungssozialisten, den feigen Räubern und Eideshelfern der kapitalistischenGesellschaft wieder ab(zunehmen)92 war nicht von ungefähr das erste Ziel derRätemacht noch vor dem Zug zum Schloß. Beim "Volksfreund" hatten ferner einigeVolkskommissare früher ihren Arbeitsplatz gehabt 93 ; er war für sie, zumal die Journalisten,ein vertrauter Startpunkt politischer Aktivität. Endlich und vor allem erschiener aber als das richtige Medium der Kommunikation in der gegebenen historischenSituation: Das war ja Revolution und nicht Staatsstreich, hier galt es die Massenzu erreichen und nicht einen Apparat "umzudrehen", proklamiert und appelliertwurde für "Unten" und nicht für "Oben". Statt aber etwas Geschichte der Arbeiterbewegungund Soziologie der Novemberrevolution zu befragen, hielten vor allem dieherzoglichen Gutachter sich lieber an die einschlägige Publikationsverordnung von1814 und verbreiteten sich allgemein darüber, daß auch die Revolution ... ein wesentlichesInteresse daran (habe), für ihre eigenen Erlasse die Rechtskontinuität inden Augen der Bevölkerung zu wahren 94 - dabei kreiste die ganze Diskussion nur umdie wahrscheinlich sehr deutsche Chimäre der "ordnungsgemäßen" Revolution, dieAnschütz einmal unfreiwillig veralberte mit der Frage: oder sind in Br[aunschweigjRevolutionen nur gültig, wenn sie im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet werdentJ5und die selbst aus Hatscheks Nachsicht lugt, wer werde mit dem Revolutionsgesetzgeberso streng wie Anschütz ins Gericht gehen dürfen?J96.Die Herabstufung zum Programmsatz, dieses so beliebte und unter anderem beiden sozialen Gehalten der Weimarer Verfassung "bewährte" Mittelchen der Interpretation,mußte ja schier versucht werden bei einem Normtext, der selbst am Endedas Stichwort (Programm) lieferte, und doch war die Alternative Programmsatz oderunmittelbar geltendes Recht ahistorisch und unpsychologisch. In der konkreten, vielschichtigen,noch ungeklärten Situation der zweiten Novemberwoche 1918 warenmehrere Bedürfnisse zu befriedigen gewesen; Anordnung und Versprechen, Bitteund Drohung, "Wehe" und "Es lebe" hatten sich nicht nur nicht ausgeschlossen, son-" Vgl. BOLL (wie Anm. 9) S. 241 ff.; Hans·Ulrich LUDEWIG, Das Hzgtm Bs. im Ersten Weltkrieg. Wirtschaft- Gesellschaft - Staat (= Quellen und Forschungen zur bsg. Gesch. Bd. 26). Bs. 1984, S. 121 f.;DERS., Die Spaltung der Bsger SPD im 1. Weltkrieg; in: Bs.s Arbeiterschaft 1890-1950. Vorträge zuihrer Gesch. Gehalten beim Arbeitskreis Andere Gesch. (= Bsger Werkstücke Bd.68 (Reihe ABd. 23». Bs. 1988, S. 37-50 (48); ROTHER (wie Anm. 18) S. 23 f.92 Eigenwerbung in Volksfreund (Nr. 1) vom 8.11.1918.93 Oerter als Redakteur, August Wesemeier als Schriftleiter und August Merges als Expedient. Auch derVorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrats, der Husar Emil Schütz, war im Zivilberuf Journalist.94 Fleischmann (wie Anm. 87), S. 24 .., Anschütz (wie Anm. 86), S. 135; daß das nachträgliche Juristenspiele waren, erhellt auch daraus, daßdie bürgerlichen Abgeordneten der Landesversammlung 1919 selbstverständlich von der Publikationsqualitätdes "Volksfreunds" ausgingen, so viel gibt das parlamentarische Bereinigungsverfahrenher, s. oben Anm. 23; ferner Abg. Regensburger (DDP), LV 14.3.1919, Sp. 506.96 Hatschek (wie Anm. 89), S. 67.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 207dem geradezu bedingt97. Doch auch hier wurden die Professoren streng: Ein Aufrufist niemals ein Gesetz im materiellen Sinne9 8 • Wenn der Aufruf mit den Wortenschließt: "Es lebe die sozialistische Republik", so ist gerade daran der programmatischeCharakter des Aufrufes deutlich zu erkennen, denn eine wirklich sozialistischeRepublik ist niemals zustande gekommen 99 • Selbständige, rechtssatzmäjJige, gesetzgeberischeWirkungen, d. h. solche, welche nicht schon aus der vollzogenen Tatsacheder unmittelbar voraufgegangenen Revolution folgten, herbeizuführen, lag ... nichtin der Absicht. Dies ergibt sich aus dem Inhalt, wie aus der Fassung dieses Aufrufs 1 °O.Sogar fachjuristisch waren diese Maßstäbe handgreiflich überzogen. Hatte man nichtseit Jahren aus einem wirklich von Fachleuten vorbereiteten und durchberatenenText wie der Weimarer Reichsverfassung heterogene Bestandteile herauspräpariertund unterschiedliche Geltungsansprüche erarbeitet? Aber dieser früheren und eiligergefertigten <strong>Braunschweig</strong>er Proklamation wurde nun jede Abschichtung verweigertund rigide Homogenität abverlangt - um den gesamten Text als bloßen Aufruf abtunzu können!Dcr Arbcitcr- und Soldatcnrat hatte <strong>Braunschweig</strong> zur Republik und alle herzoglichenDomänen und Güter für Eigentum dieser Republik erklärt vorbehaltlich derZustimmung der [aus} späteren Wahlen hervorgegangenen Landesvertretung. Schükkingund Anschütz bezogen diesen Vorbehalt allen Ernstes auf das parlamentarischeNachprüfungs- und Bereinigungsverfahren des Jahrcs 1919 101 , wo solche Zustimmungtatsächlich fehlte, als ob die Räte jene legislatorische Finesse im Auge gehabthätten. Fleischmann räumte immerhin ein, daß mit dem Vorbehalt die Frage derStaatsform angesprochen wurde und die Landesvertretung bewußtfreie Handbehaltensollte, etwa eine parlamentarische Monarchie einzuführen 102 ; die Konsequenzwg erst Hatschek, daß dann die Verfassung eben jene Ratifikation erteilt habe 103 •97 Zu Unrecht sieht Hans WENZEL, Das Revolutionsjahr 1918/19 in Bs. [Examensarbeit der Kant-Hochschulein] Bs. 1949, S. 60f., dieses "Durcheinander" als Fehler, den er damit entschuldigen will, daß"kein Fachjurist bei der Abfassung Pate stand". Wenn man davon ausgeht, daß eine Revolution geradekein rechtlich einwandfrei durchzuführender Vorgang ist, sondern in erster Linie ein existentiellesWagnis, bei dem alles auf Gelingen ankommt, dann hatte Oerter durchaus fachgerecht gehandelt -aber als "Revolutionsfachmann" und nicht als Staatsrechtsspezialist!•• Schücking (wie Anm. 77), S. 36 ... Schücking (wie Anm. 82), S. 56.100 Anschütz (wie Anm. 86), S. 135. Dagegen hatte sogar der Welfen-Vorkampfer Abg. Hampe 1919noch korrekt von einer Verordnung der Revolutionsregierung gesprochen, die dem parlamentarischenBereinigungsverfahren unterfalle, LV 17.6.1919, Sp. 11l22. Für eine moderne Deutung vgl. Ernst-AugustROLOFF, Bs. und der Staat von Weimar. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 1918-1933 (e BsgerWerkstücke Bd. 31). Bs. 1964, S. 36, der jene Domänen-Erklarung ganz selbstverständlich unter "dieersten revolutionären Gesetze" rechnet, ebenso BERGER (wie Anm. 12) S. 55 ("die ersten Gesetzgebungsmaßnahmen").BOLL (wie Anm. 9) unterschätzt diese angeblich nur als "Regierungserklärung"anzusehende Proklamation (S.278); schwammig (erste konkrete "Maßnahmen") ROTHER (wieAnm. 18) S. 30.101 Schücking (wie Anm. 77), S. 36 f.; Anschütz (wie Anm. 86), S. 135.102 Fleischmann (wie Anm. 87), S. 24.10l Hatschek (wie Anm. 89), S. 67.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650208 O. JungDie Verfassung freilich hatte gegen deutsche Rechtsprofessoren 104 ohnehin keineChance. Zu der Textaussage, daß das Kammergut Staatsgut war, legte Stammler los:Diese bloß doktrinäre Behauptung ist zweifel/os falsch. Es dürfte unter bemerkenswertenBearbeitern dieser Frage noch niemals jemanden gegeben haben, der es geleugnethätte, daß in alten Zeiten das Kammergut im Eigentum des Herzogs oder derHerzoglichen Familie gestanden habe 105 - ohne zu reflektieren, ob der Verfassungsgeberunter jene Bearbeiter überhaupt zutreffend eingereiht wäre, und ohne nach derRäson für diese ungewöhnliche normative Aussage im Präteritum auch nur zu suchen.Desgleichen sah Anschütz in jenem Satz eine völlig falsche Unterstellung 106 ,und nach Fleischmann war er als Konstatierung von Vergangenem ein unverbindlicherGesetzesinhalt 107 • So das Parlament zum Autorenkollektiv gemacht, mit demman disputieren könne 108 , dessen Entscheidungen man aber doch nicht etwa akzeptierenmüsse - dann seine Lesungen wohl zu Redaktionssitzungen und die GesetzundVerordnungs-Sammlung zur parlamentarischen Schriftenreihe -, war die zweiteAussage der Verfassung, daß das Kammergut Staatsgut ist, kein sonderliches Hindernismehr. Da verführte es selbst Anschütz, es dem Kompctenzgerichtshof nachzutunund über die Verbindung war und ist zur bloßen Rechtsansicht zu gelangen 109 , wasHatschek mit der methodischen Rüge quittierte: Dem Gesetzgeber die Formulierungeiner bloßen Rechtsansicht zuzumuten ist jedenfalls dann nicht nötig, wenn die Deutungals Imperativ möglich ist. 110 Letztlich wurde hier die normative Kraft der Verfassungschlichtweg ignoriert bzw. - schlimmer - nicht anerkannt.An zwei Beispielen sei illustriert, wie methodisch haltlos die vier herzoglichen Professoren-Gutachtervorgingen: Zu jenem Rechtsbereinigungsverfahren, auf das esdoch seines Erachtens entscheidend ankam, leistete sich Schücking eine reine offenbar-Deduktionaus der Gesetz- und Verordnungs-Sammlung ohne Blick in die Parlamentarial1l • Als Jellinek daraufhin den Verhandlungsablauf fast vollständig analy-104 In dieser Tradition ignoriert Gerhard SEIDLER (Die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts im Spiegelder "Bsg. Zs. für Rechtspflege"; in: Justiz im Wandel der Zeit. Festschrift des Oberlandesgerichts Bs.,hg. v. Rudolf WASSERMANN. Bs. 1989, S. 191-216 (212» die landesverfassungsrechtliche Entscheidung.Peter FORMER (Die Entschädigung des Welfenhauses durch den Bsger Staat und Preußen; in:Victoria Luise - Kaisertochter, Herzogin und Bsger Bürgerin, hg. v. Gerd BIEGEL. Bs. 1992,S. 143-154 (143, 145» behandelt sie - eine zentrale Schwäche - mehr als beiläufig.10' Stammler (wie Anm. 84), S. 116.106 Anschütz (wie Anm. 86), S. 137.107 Fleischmann (wie Anm. 87), S. 25.101< Vgl. Anschütz (wie Anm. 86), S. 137, Art. 7 S. 1 (Alles Staatsgut ist Eigentum des Volkes) sei eineAussage, die das Prädikat • geistvoll" schwerlich verdient. In dieser Tradition erschien es dem Verwaltungsgerichtshofspäter gewagt, daß Art. 7 die bisherigen Domänen als Staatsgüter bezeichne(te)(VwGH - 60/27 - Urt. vom 22.6.1927, BsgZs. 73, 1927, Beil. S. 33-39 (35».109 Anschütz (wie Anm. 86), S. 137; diese vorgebliche Rechtsansicht setzt Otto DIEDERICHS, Die staatspolitischeund staatsrechtliche Entwicklung des Landes Bs. nach der Revolution von 1918. Jur.Diss. Jena 1930, S. 78, mit der Alternative "Programmsatz" gleich; darum ging die Diskussion zuArt. 7 der Verfassung aber nicht.110 Hatschek (wie Anm. 89), S. 67.111 Schücking (wie Anm. 77), S. 36 f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 209sierte und die hermeneutische Unergiebigkeit des ganzen Verfahrens zeigte 1l2 , halfFleischmann sich unverdrossen mit einigen ad hoc entwickelten Grundgedankenaus l13 • Ferner: Da bis zum Inkrafttreten der Weimarer Verfassung keine Norm eineEntschädigung für Legalenteignungen vorschrieb - jetzt auf dem Boden dieses Ansatzesargumentiert 1l4 -, führte Schücking erst einmal die regelmäßigen Rechtsgepflogenheitenin zivilisierten Staaten ins Feld 1l5 • Nachdem Jellinek auf den entgegenstehenden§ 197 Abs. 2 NLO (Entschädigung nur nach Maßgabe dcs Gesetzes) hingewiesenhatte lI 6, variierte Schücking hilflos zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen ll7 ,während Anschütz 1l8 und Fleischmann 1l9 den Ratifikationszusammenhang, den letztererja einräumte, beiseite schoben und den "Enteignungs"-Vorgang ins nachkonstitutionelleJahr 1922 datierten, um ihn so an Art. 153 WRV scheitern lassen zu können.Indes liegt bei dem <strong>Braunschweig</strong>er Gutachterauftritt mehr vor als das methodischkritikwürdige Vorgehen von Professoren, unliebsamen Verfassungs- und Gesetzesbestimmungenmit Hilfe höchst privater Konstrukte die dispositive Kraft (Anschütz)auszubauen, sie sozusagen in die juristischen Papierkörbe, beschriftet "Programmsätze"oder "bloße Rechtsansicht" , zu legen; das war nicht nur das methodologischeProblem eines Faches, sondern das moralische eines öffentlichen Lebens, das Spielwar falsch und entwürdigend: Hier hatten Leute in einer Krise des ganzen Systemsder aufbrechenden Bewegung der Massen Führung und Ziel gegeben - honett, wieauch Gegner nach längerer Zeit einräumten 120 , und dabei immerhin Kopf und Kragenriskiert. Man braucht sich nur vorzustellen, wie bei einer Niederschlagung derRevolution ihr Ende gewesen wäre. Jahre später nun wußten Bürger, die im November1918 fein zu Hause gewesen waren, ganz genau Bescheid, was damals draußenfalsch gemacht worden sei, und verbreiteten sich mit wissenschaftlichem Anspruch -und für Honorar - über wesentliche Interessen der Revolution (Fleischmann) oderergingen sich in Vermutungen zu sozialistischen Revolutionen (Anschütz) 121 , umdas, was jene Revolutionäre seinerzeit tatsächlich wollten, zu hintertreiben.Im letzten freilich bezog hicr die Linke verdiente Ohrfeigen. Daß so mit der Revolutionumgesprungen wurde, legte deren Schwäche offen, und wenn die Auseinandersetzungschließlich auf einer historisch so ahnungslosen und moralisch abge-112 Jellinek (wie Anm. 81), S. 41 f.113 Fleischmann (wie Anm. 87), S. 25.114 Daß es sich bei der Inanspruchnahme des Art. 153 WRV vor Abschluß der Vermögensauseinandersetzungenum eine monströse Petitio principii von Fürstenseite handelte, ist ausgeführt bei JUNG,Volksgeselzgebung (wie Anm. 4) S. 587 f.IIS Schücking (wie Anm. 77), S. 37.116 Jellinek (wie Anm. 81), S. 46.117 Schücking (wie Anm. 82), S. 56.118 Anschütz (wie Anm. 86), S. 137.119 Fleischmann (wie Anm. 87), S. 25.120 Vgl. Roloff (wie Anm. 100), S. 42.121 Fleischmann (wie Anm. 87), S. 24; Anschülz (wie Anm. 86), S. 135.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650210 O. Jungschmackten, förmelnden Ebene stattfand, kann von Schuld nicht freigesprochen werden,wer all die Jahre Mehrheiten hatte und Regierungen stellte.5. VergleicheWährend der Auseinandersetzung der Gutachter ging die Suche nach anderen Lösungsmöglichkeitenweiter; nach dem vorläufigen Ende der ersten Instanz nahmendie Prozeßparteien im Frühjahr 1924 außergerichtliche Vergleichsverhandlungen aufund schlossen am 15. April einen Auseinandersetzungsvertrag.Die Regierung, seit fast zwei Jahren von SPD und DDP getragen, gab sich formalsichtlich Mühe und legte dem Landtag einen Monat später ein 226 Seiten starkesKonvolut vor, u. a. mit Gutachten und Urteilen aus dem bisherigen Prozeß, dazu eineÜbersicht der Auseinandersetzungsverträge in 13 anderen Ländern. Doch der flaueEindruck der Formulierung des Finanzministers (in Vertretung) Otto Grotewohl(SPD), ein für den Staat günstigerer Vergleich sei nicht erreichbar gewesen 122, erhärtetesich beim Nachrechnen und der Erinnerung an den Vorweihnachtsskandal1920:Schloß und Hofstatt Blankenburg und das Gestüt zu Bündheim-Harzburg sollten,wie gehabt, dem ehemaligen Herzog zufallen.Die damals geforderten vier Forstamtsbezirke, vermessen jetzt mit 8 467 ha - etwa1/9 der zum Kammergut gehörigen Forsten -, hatte das Land zugestanden, dagegenwar der frühere Herzog auf drei Domänen heruntergegangen, die mit 1 688 haweniger als 1/9 statt, wie 1920, 1/5 der jeweiligen zum Kammergut gehörigen Domänenausmachten; die kleinere(n) Forstparzellen von 1920 maßen nun 659 ha.Von den Hofstatt-Mobilien sollte der ehemalige Herzog eine Auswahl erhaltenund für die Sammlungen eine Stiftungslösung gefunden werden; die Nutzungensollten erst seit 1. April 1924 nachgezahlt werden.Das Land sollte das Kammergut im übrigen behalten und die herzoglichen Beamtenübernehmen.Sachlich stand freilich auch die Regierung nicht voll hinter diesem Vergleich. Zwarhatten die Sozialdemokraten Jasper und Grotewohl zusammen mit dem DeutschdemokratenHeinrich Rönneburg gegen ihren Genossen Gustav Steinbrecher durchgesetzt,daß der Vertrag überhaupt unterzeichnet wurde; doch zugleich hatte das Staatsministeriumbeschlossen, sich einer eigenen Stellungnahme zu dem Vertrage (zu) enthaltenl23 • Dementsprechend ersuchte die einschlägige Vorlage den Landtag betontdistanziert, 1. zu entscheiden, ob das Gesetz dem Entwurfe gemäß beschlossen werdensoll, 2. bejahendenfalls .. . 124. Das Fiasko folgte auf dem Fuße. Als die Koalitionsfraktionen,denen die Zugeständnisse überhöht und die Prozeßaussichten dochrecht gut erschienen, im Ausschuß sich querlegten und die Rechte auch nicht allein ja122 LT Ds 680 vom 12.5.1924, S. 13. Ein biographischer Zugriff ist unergiebig, vgl. Bemd ROTHER, OuoGrolewohl (1894-1964). Biographische Skizze seiner Bsger Jahre (1894-1933); in: IWK 28, 1992,S. 523-533 (529 f.).123 SIAWf, 12 A Neu 13 h, 13452, BI. 196a.12. LT Ds 680 vom 12.5.1924, S. 1.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 211sagen mochte!25, ließ die Regierung alsbald den Vergleich fallen, stimmten die Regierungsmitgliedergar diszipliniert gegen ihre eigene Vorlage bis auf MinisterpräsidentJasper, der bei dieser parlamentarischen Beerdigung!26 durch Stimmenthaltung!27eine später mißdeutete Haltung bewahrte.Der Vorgang war in dieser Weise singular. Als Finanzminister Albert Südekum1920 in Preußen mit seinem ersten Hohenzollernvergleich krachend einbrach!28,hatte ihn seine eigene MSPD-Fraktion desavouiert - der Fall illustriert die falscheHandhabung des parlamentarischen Regierungssystems. Hier dagegen "stimmte" dasVerhältnis zwischen Regierung und Mehrheitsfraktionen durchaus; woran es fehlte,war die Konsequenz und Führungskraft bei Jasper und seinen Kollegen, das in derRegierung - mehrheitlich - für richtig Befundene im Parlament auch zu vertretenund durchzusetzen!29. Es bedeutete für den Vertragspartner eine Zumutung, wennfür das Staatsministerium aus einem Vertragsschluß nicht mehr folgte als die Bereitschaft,den Landtag zu unterrichten 130.Hatte schon dieses Septemberdebakel, daß Regierungs- und Koalitionsmeinung -genauer: die Positionen der Regierungsmitglieder im Kabinett bzw. im Parlament -auseinanderscherten, die taktische Position des beklagten Landes geschwächt, so kames binnen eines Vierteljahres zum strategischen Zusammenbruch. Bei den Landtagswahlenvom 7. Dezember 1924 schaffte das zusammengeschlossene rechte Bürgertumerstmals die Mehrheit!3!, was dem ehemaligen Herzog eine Art Ratifikationsgewährdurch diese "Parlamentarische Arbeitsgemeinschaft der nationalen Parteienund des Wirtschaftsverbandes" bescherte. Als aber fünf Tage darauf der 1. Zivilsenatdes Oberlandesgerichts <strong>Braunschweig</strong>, bei dem der ehemalige Herzog vorsorglichBerufung eingelegt hatte - seine Berufungsschrift datierte vom selben Tage, an demer den ersten Vergleich schloß -, in der mündlichen Verhandlung seine vorläufigeRechtsansicht eröffnete, die in wesentlichen Punkten der klägerischen Linie folgte,und jenen eben parlamentarisch verworfenen Vergleich als eine den Interessen beiderTeile gerecht werdende und billige ... Schlichtung des Streites dringend empfahl 132 ,125 Der Finanzausschuß empfahl Ablehnung des Vergleichs mit 6:0:3 Stimmen, LT Ds 710 vom22.9.1924; zur Taktik der Rechten vgl. Ahg. Albert Brandes (DVP), LT 25.9.1924, Sp. 5527; Abg.Ernst August Roloff (BV), a. a. 0., Sp. 5529.126 Der Vergleich fand schließlich ganze drei welfische Ja-Stimmen, vgl. LT 25.9.1924, Sp. 5535, undAbg. Jasper (SPD), LT 10.7.1925, Sp. 1711.127 Jasper hob dies später hervor, um weiteren Legendenbildungen vorzubeugen, LT 17.10.1925,Sp. 2243; solcher erliegen Ursula SCHELM-SPANGENBERG, Die Deutsche Volkspartei im Lande Bs.Gründung, Entwicklung, soziologische Struktur, politische Arbeit (~ Bsger Werkstücke Bd. 30). Bs.1964, S. 125 f., und FORMER (wie Anm. 104) S. 146.12S Vgl. JUNG, Volksgesetzgebung (wie Anm. 4) S. 470-474.'29 Wenig spezifiziert spricht ROTHER (wie Anm. 18) S. 181, von einem wahren .Eiertanz" der Regierung.SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 116ff., referiert insoweit bloß - ohne eigenes Urteil.,:.I Vgl. die Entlastungsversuche des Abg. Henri Schuhmacher (SPD), LT 25.9.1924, Sp. 5525; ebensoAbg. Gerhard v. Frankenberg (SPD), LT 15.10.1925, Sp. 2180.'3' 25 Mandate von 48; der SPD verblieben 19, KPD und DDP erhielten je 2, Vgl. SCHUMACHER (wieAnm. 27) S. 397f.; ROTHER (wie Anm. 18) S. 183.132 So der Stenographische Bericht (S. 26) über die mündliche Verhandlung, StAWf, 23 Neu 2, 91.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650212 O. Jungwar die Stellung der Herzogsseite so stark geworden, daß sie auftrumpfen konnte: Zuden bisherigen Konditionen war sie nun nicht mehr zu haben.Somit stand das neue, politisch getarnte sogenannte Beamtenkabinett vor einemDilemma: Zu den alten Bedingungen wollte es abschließen, aber die Gegenseitemachte nicht mehr mit; zu neuen Bedingungen war die Gegenseite bereit 133 , aber dieshieße innenpolitisch ins offene Messer laufen. Bei aller grundsätzlichen politischenGewogenheit, wie sie etwa Ministerpräsident Gerhard Marquordt in seiner Regierungserklärungbekundete - mit dem bezeichnenden Lapsus, den Rechtsstandpunktheider Teile wahren zu wollen l34 -, blieb so zunächst doch nichts anderes übrig, alsdie Auseinandersetzung in der vorgefundenen Form der justiziellen Konfliktaustragungweiterzuführen 135 •Aus der Klemme half nach fünf Monaten wiederum der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichtsunter seinem deutschdemokratischen Präsidenten Dr. Louis Levin 136 ,indem er in Form eines gerichtlichen Vergleichsvorschlages das Maß des herzoglichenForderungsaufschlags bestimmte 137 : Zum Votjahresvergleich, der aufrechtzuerhaltensei, solle das Land eine jährliche Rente von 100000 RM zulegen. Das nahmsich nun zwar weniger als Vergleich im Sinne gegenseitigen Nachgebens, denn vielmehrals ein Kapitulationsansinnen aus 138 ; es wurde auch auseinandersetzungspolitischabgelehnt, da das Land keine Rentenzahlung mehr wollte, und durch eine entsprechendeErhöhung der Abfindung in Grund und Boden ersetzt 139 • Was aber vorallem zählte bei dem umgehend vorschlagsgemäß abgeschlossenen neuen Auseinandersetzungsvertrag,war die glänzende Bilanz dieses gouvernemental-justiziellen Zusammenspielsunter dem Gesichtspunkt politischer Legitimität:133 Vgl. Vermerk des MinR im FinM Paul v. lIantelmann vom 12.1.1925 über eine Besprechung mitKnoke vom seI ben Tage mit dessen Änderungs- und Nachschlagswünschen, StAWf, 12 A Neu 13 n,45088.134 MinPräs. Marquordt, LT 13.1.1925, Sp. 53; freilich führte dieser Lapsus in der Dehatte zu großer linkerAufregung.13' Die Anfang 1925 aufgenommenen Verhandlungen scheiterten an den herzoglichen Forderungen (soMinister Hans-Udo v. Grone, LT 15.10.1925, Sp. 2133f.); zum Termin vom 13.3.1925 überreichtendie Parteien die Gutachten F1eischmanns, Stammlers und Hatscheks und verhandelten streitig.136 Näher zur Person, aber karg zu dem Vorgang: Rudolf WASSERMANN, Louis Levin. Bsger Oberlandesgerichtspräsident1922-1930. Eine biographische Skizze (= StadtA und Stadtbibl. Bs. Kleine Schriften,H. 19). Bs. 1988, S. 20; vgl. DERS., Zur Geschichte des Oberlandesgerichts Bs.; in: Justiz im Wandelder Zeit (wie Anm. 104) S. 11-110 (36).J37 Unkritisches (institutionelles) Selbstlob dafür im Bericht des OLG-Präsidenten Bruno HEUSINGER vonEnde 1933: Gesch. und Bedeutung des Oberlandesgerichts B5.; in: BsgZs. 79, 1933, S. 65-71 (69)1.lS LT Ds 63 vom 10.8.1925, S. 14 f.; dies gilt jedenfalls auf der Rentenebene: Der Kläger hatte 300 000GM p. a. für die ersten fünf Jahre und 400 000 GM p. a. vom 1. Dezember 1924 an beantragt, dasOberlandesgericht hielt 350 000 GM p. a. für angemessen. Andererseits betonte das Gericht den Verzichtdes ehemaligen Herzogs auf das angebliche Eigentum an den Domänen und Forsten, an denKunst- und Büchereischätzen von Landesmuseum und -bibliothek sowie auf die Rente bis 1.1.1925.Daß dieser" Vergleich" der Verpflichtung des Staates gleichkomme, erklärte auch MinPrä5. Marquordt.LT 15.10.1925, Sp. 2164.139 Vgl. LT Os 63 vom 10.8.1925, S. 13; bemerkenswerterweise zog nun die SPD im Ausschuß eineGeldrente weiterer Landabgabe vor, vgl. LT Os 94 vom 12.10.1925, S. 2.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 213Das Gericht setzte sich inhaltlich durch und hatte den Fall vom Tisch, ohne formellein doch peinliches Millionenurteil gegen <strong>Braunschweig</strong> sprechen zu müssen.Regierung und Koalition stellten zwar die Form des Vergleichs bereit, konntensich aber hinter einem angeblichen - und dabei hochwillkommenen - Zwange derProzeßlage verschanzen 140 und ihre Wünsche zu Tugenden taufen: Aus Nachgiebigkeitgegenüber dem vormaligen Herzog wurde Respekt vor der Justiz; statt deranderen Seite Riesenvermögen zuschanzen, hieß es nun, dem Lande noch schwerereLasten ersparen.Der ehemalige Herzog konnte des Spiels erst recht zufrieden sein, betrugen dochnun seine voraussichtlichen Einkünfte im Ergebnis genau jene 325 000 RM p. a.,die Knoke eingangs der verunglückten Vorweihnachtsbesprechung 1920 mit seinenVorschlägen angepeilt hatte 141 ; rechnete man nach dem Wert der Forsten undGüter, stand er sich wahrscheinlich sogar noch erheblich besser 142 • Größer warsein Latifundium auf jeden Fall gcworden 143 , und da das Land auch noch diehohen Kosten des Rechtsstreits übernahm l44 , hatte er sich sozusagen um den Aufwandvon Zinsen und Nerven voll durchgesetzt.Die linke Opposition - und das war auch sehr schön an der Abfindungsrunde1925 - trug die politischen Kosten, da man ihr, der nun - im nachhinein - auchnicht viel mehr als der Marsch durch alle Instanzen einfiel 145 , im Brustton bürgerlichen-finanziellenVerantwortungsbewußtseins ihre Ablehnung des billigerenVergleichs von 1924 vorhalten konnte.Am 15. und 17. Oktober 1925 wurde der Vergleich in zwei Beratungen parlamentarisch"durchgezogen". Die ganze Debatte war flach, mit viel Gezänk über Ausschußinternaund Bewertungsmaßstäbe, aber praktisch ohne einen politisch-gestalte-14" Diesen Zusammenhang versuchte die SPD wieder ein Vierteljahr später aufzudecken, um die Initiativenauf Reichsebene zu unterstützen (Antrag des Abg. Kuno Rieke (SPD) u. Gen. vom 21.1.1926(Niederschrift 42, XV); Abg. v. Frankenherg (SPD), LT 27.1.1926, Sp. 3120). Nun kehrte die Rechtefreilich ihre Vertragstreue heraus und bekundete Desinteresse an einer reichsgesetzlichen Regelung,vgl. MinPräs. Marquordt, a. a. 0., Sp. 3122; Minister Dr. Wem er Küchenthai, LT 18.3.1926,Sp.3394.141 Zahl für 1920 nach HAMPE (wie Anm. 37) S. 8; Zahlen für 1925: 250 000 RM aus Vertrag 1924 (LTOs 680 vom 12.5.1924, S. 212, vgl. LT Ds 63 vom 10.8.1925, S. 15), 75000 RM Aufschlag 1925(a. a. 0.).142 Vermögenswert der geforderten Domänen und Wälder 1920: 8,25 Mio. GM (nach HAMPE (wieAnm. 37) S. 6f.); Grundsteuerwert der zugestandenen Domänen und Wälder 1925: 12,8 Mio. RM(nach LT Ds 94 vom 12.10.1925, S. 8 ff.).14' Fläche der 1920 geforderten Forstamt~bezirke: 8634 ha (nach Oerter, LV 21.12.1920, Sp. 789); derzugestandenen Forstamtsbezirke und Forste: 10 903 ha (LT Ds 63 vom 10.8.1925, S. 5). Fläche der1920 geforderten Domänen: 3 412 ha (nach Oerter, a. a. 0.); der zugestandenen Domänen: 2018 ha(LT Ds 63 vom 10.8.1925, S. 5). Zusammen wurden 1920 gefordert: 12 046 ha; zugestanden nun:12921 ha.144 § 13 Vertrag; laut Abg. Hans Sievers (SPD) (LT 17.10.1925, Sp. 2255) insgesamt 308 000 RM; angeblichhätten allein die Anwälte des Landes 1,5 Mio. RM verlangen können (a. a. 0., Sp. 2257), begnügtensich aber mit 244 824 RM (Abg. Heinrich Spannuth (DNVP), a. a. 0., Sp. 2223). Vgl.SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 139f.145 Vgl. Abg. v. Frankenberg (SPD), LT 15.10.1925, Sp. 2183; Abg. Grotewohl (SPD), LT 17.10.1925,Sp.2261.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650214 O. Jungrischen Gedanken, und als die Linke noch in der zweiten Beratungjust beim einzigenAbgeordneten der "Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Großdeutschlands" ,Artur Riese, den Hautgout einer eher vorsichtshalber arrangierten Höchsten Beeinflussungwahrnahm, hatte sich der Alibi-Skandal für eine klare politische Niederlagegefunden l46 • Das Vertragsgesetz wurde am 23. Oktober 1925 ausgefertigt und anschließendsamt dem Vertrag veröffentlicht l47 • Eine Verfassungsänderung wurdenicht für nötig befunden 148.Während der Fürstenenteignungskampagne 1926 hielt <strong>Braunschweig</strong> sich starkzurück. Ansonsten kam die Vermögensauseinandersetzung zum Stillstand, wenngleichspäter über Ausführungsdetails durchaus auch noch vor Gericht gestrittenwurde l49 • Aufmerksamkeit fand in den späteren Jahren mehr der Aufwertungsprozeßzum Welfenfonds gegen Preußen, den der ehemalige Herzog bis über das Ende derRepublik hinaus mit äußerster Zähigkeit betrieb 150.III. Der <strong>Braunschweig</strong>er Fall im Kontext: der Streit umdie Fürsten-"abfindungen" bis zum Volksentscheidzur Fürstenenteignung 1926 1511. Die Vermögensauseinandersetzungen im al/gemeinenSo wichtig die minutiöse Erforschung des landesgeschichtlichen Einzelfalls ist, so unerläßlichbleibt die Einordnung in den gemeindeutschen zeitgeschichtlichen Zusammenhang.Gerade auch die Vorgänge in <strong>Braunschweig</strong> können nicht richtig gewürdigtwerden ohne Kenntnis dessen, wie die entsprechenden Auseinandersetzungen inden anderen kleinen Ländern bzw. in den neuen Freistaaten überhaupt vonstattengingen.146 Da der Abg. Regensburger (DDP) als ProzeßbevoIImächtigter des Staates Stimmenthaltung - wieschon zum Vergleich 1924 - ankündigen ließ (vgl. Abg. Otto Keunecke (DDP), LT 15.10.1925,Sp. 2168), hätte der Vertrag passieren können, selbst wenn Riese sich nicht nur enthalten, sonderngegen ihn gestimmt hätte; so lautete das Ergebnis 24:22:2 (LT 17.10.1925, Sp. 2265). Abg. Jasper(SPD) verdächtigte Riese noch in dieser Sitzung (a. a. 0., Sp. 2255 f.). Die Beeinflussung Rieses durchden ehemaligen Herzog, sein Parteiausschluß und der Sturz des Mittelsmannes Hampe spielten in derVolksentscheids-Propaganda eine gewisse RoHe und sind durch die Literatur zur Frühgeschichte derNSDAP mituntersucht worden, vgl. Gerhard SCHILDT, Die Arbeitsgemeinschaft Nord-West. Untersuchungenzur Geschichte der NSDAP 1925/26. Phil. Diss. Freiburg i. Br. 1964, S. 91, 138; ferner Ra­LOFF (wie Anm. 100) S. 120; SCH~IIDT (wie Anm. 1) S. 138, 140-143.147 GVS 112 (1925), S. 255.148 Vgl. LT Ds 94 vom 12.10.1925, S. 2; was DIEDERICHS (wie Anm. 109) S. 78, zurückhaltend "Korrektur"nennt, war wohl eher eine Verfassungsdurchbrechung.149 Vgl. StAWf, 12 A Neu 13 n, 45115, 45116.ISO In diesem Prozeß ergingen 1925 bis 1933 zehn Urteile, darunter aHein vier Entscheidungen desReichsgerichts; die letzten drei: RG - VII 207129 - Urt. vom 14.2.30, - VII 549/30 - Urt. vom9.10.31, - VII 67/33 - Teilurt. vom 10.11.33, sind veröffentlicht in RGZ 143,312 (318, 321, 327).I" Statt Einzelnachweisen beziehe ich mich für dieses Kapitel pa\L~chal auf meine eingehende Untersuchung:JUNG, Volksgesetzgebung (wie Anm. 4).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 215Das Bild, das sich dabei zeigt, ist trübe. Trotz des eingangs betonten volkswirtschaftlichenund politischen Gewichts wurden die Vermögensauseinandersetzungenvon Anfang an auf eine schiefe Ebene gesetzt, als die neuen Herren - im allgemeinenprovisorische Regierungen von Sozialdemokraten - versuchten, durch entsprechendefinanzielle Zugeständnisse die Abdankung der entmachteten Fürsten zu erkaufenbzw. die politische Abstinenz der gestürzten Landesherren zu sichern. Zu diesem verquerenAnsatz kam die deutsche Wirtschaftskatastrophe im Gefolge einer nicht minderunzulänglichen Bewältigung des verlorenen Krieges. Einige der ehemaligen Fürstenhatten auch Umstellungsschwierigkeiten bei der Aufgabe der maßstäblichenHofverklcinerung: vom Landesherrn zum bürgerlichen Millionär. Kein Wunder, daßdie ersten Regelungen nicht hielten und die letzte - in Preußen - erst 1926 zustandekam.Vertragsschluß und Scheitern - Prozeß - Pressionsgesetz - Anrufung einesVermittlers - Vergleich und Widerruf - wieder Prozeß: diese Stationen charakterisiertendie Auseinandersetzungen während der gesamten Zeit der Weimarer Republik,so ging es zum Teil noch während der NS-Zeit weiter und in Ausläufern sogar inder zweiten Hälfte der 40er Jahre in Westdeutschland. Auf Staatsseite lag dasSchwergewicht dabei, jedenfalls anfangs, auf dem Parlament, während die Fürstenseitesich vorzugsweise der Justiz bediente - Demokratie gegen Recht, wenn man sowill-, aber dabei gilt es zu differenzieren: Auch wo Länder gesetzliche Regelungenverkündeten (Lippe, Gotha) oder planten (Reuß j. L., Schaumburg-Lippe, Waldeck),war nicht eigentlich eine einseitige hoheitliche Regelung beabsichtigt. Es handeltesich vielmehr um Pressionsgesetze, mit denen vor allem die Sozialdemokratienach dem Scheitern der ersten Verhandlungsphase die neugewachsenen Muskelnspielen ließ, um die Kontrahenten zu anderweit nicht erreichbaren Konzessionen zubestimmen. Umgekehrt setzten bei aller Prozeßfreude die abgetretenen Fürsten bzw.ihre Berater doch mehr auf ein umfassendes politisches Management, innerhalb dessender Nutzen ständiger Drohung mit der Justiz offenbar höher geschätzt wurde alsder eines isolierten Versuchs, diese Drohung wahrzumachen.Die <strong>Braunschweig</strong>er Auseinandersetzung lag im landesgeschichtlichen Vergleichdurchaus im Rahmen des Üblichen; auf fällt an ihr weniger die angebliche Radikalitätals vielmehr das besondere formaljuristische Profil, das freilich wiederum mit demLinkskurs zusammenhängen dürfte. Ein starkes normatives Bewußtsein, wie es vorallem jener Aufruf des Arbeiter- und Soldatenrats und Art. 7 der Verfassung ausdrückten,verband sich mit einiger Energie - das war doch etwas anderes als jenesBild aus der Gartenlaube der deutschen Revolution, daß Fürst und Sozialdemokratim Dezember 1918 zusammen zum Notar gingen, um die "Abfindung" festzulegen.2. Die sogenannten FürstenprozesseHier sei noch einmal fachlich-juristisch auf die famosen "Fürstenprozesse" eingegangen.Erstens die materielle Seite: Es war just der braunschweigische KammerpräsidentFriedrich Wilhelm Rudolph Zimmermann, der in einer gerade zum Ende dermonarchischen Zeit erschienenen ausführlichen Studie zu dem eigentlich jedenRechtsansatz vernichtenden Schluß kam, "daß es weder ein gemeines Recht gibt, um


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650216 O. Jungdie Eigentumsfrage am Domanium [sc. in Deutschland] danach allgemein zu lösen,noch die genügenden tatsächlichen und rechtlichen Handhaben, um für den Einzelfalldie verschiedenen Bestandteile des Domaniums nach dem Eigentum durchRechtsspruch für die beiden Ansprucherhebenden in gesicherter Weise zu sehe i­den"!52. Gefordert war also im Grunde etwas Unmögliches: daß Gerichte einenSachverhalt nach einer Norm entscheiden sollten, die es weder gab noch geben konnte- kein Regime legt seine eigene Abwicklung fest.Wenn der Richter hier nicht resignieren wollte, blieb ihm nur, etwas Ähnliches zuwagen wie sein Schweizer Kollege, dem Art. 1 ZGB für solche richterliche Lückenfüllungauftrug, "nach der Regel zu entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellenwürde". Freilich wurden damit den Richtern enorme Spielräume des Gutdünkenseingeräumt, in die natürlich auch die soziale Rekrutierung, die professionelle Formalorientierungund nicht zuletzt die alte politische Loyalität mehr oder minder bewußteinströmten. Die Methode der Wahl wäre gewesen, nach der nächsten Fallkonstellation,die am ehesten passen könnte, zu suchen. Am einen Ende einer denkbarenSkala stand dabei der alltägliche Streit von Privatleuten um ein Grundstück: Das Gerichtsieht im Grundbuch nach und entscheidet, wenn kein voller Gegenbeweis geführtwird, zugunsten des Buchberechtigten. Am anderen Ende der Skala konnteman an die völkerrechtliche Praxis bei der Durchführung von Gebietsabtretungendenken, wie sie ja nach dem Ersten Weltkrieg im Osten und Westen Deutschlands aktuellgeworden waren: Das Grundbuch wird gegebenenfalls als unrichtig angesehenund berichtigt, das heißt der französische oder polnische Staat an Stelle des bisherigendeutschen Fiskus als Eigentümer eingetragen. Niemand kam dabei auf die Idee, daßsich im abgetretenen Gebiet das Deutsche Reich nun als Privateigentümer etwa einesBahnhofs gerieren könnte. Wem gleicht - wäre zu fragen gewesen - die Abdankungeines Fürsten und der Übergang von der Monarchie zur Republik mehr, dem Eigentumsstreitbeliebiger Privater oder der völkerrechtlichen Funktions- und damitRechtsnachfolge?Doch statt sieh die normative Aporie einzugestehen und gleichwohl methodischtransparent eine gerechte Lösung zu suchen, klammerten sich die Richter an dasSchlagwort, daß der Staatsumsturz die Privateigentumsverhältnisse unberührt gelassenhabe, und übersahen großzügig, daß die alten Domanialregelungen dem materiellen,oft sogar dem formellen Bereich des alten Landesverfassungsrechts angehörten.Im Ergebnis judizierten sie, als ob es die Revolution gar nicht gegeben hätte. Bis zumEnde des Kaiserreichs wären solche Urteile immanent logisch gewesen - im JahreVier oder Fünf der Republik mußten sie gespenstisch wirken.152 Friedrich Wilhelm Rudolf ZIMMERMANN, Geschichliche Entwicklung und derzeitiger Stand derRechtsverhältnisse am Domanium in Deutschland, in: Finanz-Archiv 35, 1918, S. 395-526 (526).Vgl. ein halbes Jahrhundert später Erich KITTEL, Novemberumsturz 1918. Bemerkungen zu einer vergleichendenRevolutionsgesch. der deutschen Länder, in: BI. für deutsche Landcsgcsch. 104, 1968,S. 42-108 (94): "Eine Aufteilung des in Jahrhunderten gewachsenen Domaniums war exakt wederhistorisch noch juristisch möglich, so daß nur der Weg der politischen Entscheidung oder der Vereinbarungblieb."


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 217Zweitens die formelle Seite: Daß die Abwicklung der Monarchie vor dem Zivilrichterlandete, hing natürlich auch mit dem lückenhaften Rechtsschutzsystem derZeit zusammen - wobei immerhin festzuhalten wäre, daß die gestürzten Herren selbstjene Defizite zu verantworten hatten. Ein Verfassungsgericht, das allenfalls hier zurEntscheidung berufen gewesen wäre, gab es nicht, ebensowenig eine umfassendeVerwaltungsgerichtsbarkeit, so daß die ehemaligen Fürsten taktisch nur richtig handelten,wenn sie die Auseinandersetzungen privatrechtIich "aufzäumten"153. Die angerufenenRichter der ordentlichen Gerichtsbarkeit standen nun vor der Alternative,diese Streitigkeiten als privatrechtliehe anzunehmen oder die Kläger rechtsschutzloszu stellen - auch hier schlugen die Motive soziale Rekrutierung, professionelle Orientierungund politische Loyalität durch. Was geschah, war also m. E. nicht Rechtsbeugungim subjektiven Sinne, sondern - in Anlehnung an Kar! Liebknechts Definitionder Klassenjustiz - eine Art "Systemjustiz"154. So das Zustandekommen derEntscheidungen zu verstehen heißt natürlich nicht, daß am absurden Charakter desErgebnisses zu deuteln wäre. Weder von ihrer Besetzung und Verfahrensordnungnoch von ihrer Ausstattung und Arbeitsweise her waren die ordentlichen Gerichte fürderartige Haupt- und Staatsprozesse geeignet. Novemberrevolution und Verfassungsgebungals bloße öffentlich-rechtliche Vorfragen zivilrechtlicher Zahlungsklagen- ohne jene spezielle politische Konstellation, bei der sich neue linke Regierungenaus der Arbeiterbewegung und ein übernommener konservativ-bürgerlicher Justizapparatgegenüberstanden, ist eine solche Verzerrung samt der daraus resultierendenTragikomödie nicht vorstellbar. Nicht nur nicht die Weltgeschichte, sondernauch schon die erste erfolgreiche Revolution in Deutschland und die Aufgabe derFundierung der sozialen Republik waren nun einmal kein Fall für das Amtsgericht.In diesem Zusammenhang fällt auf, daß <strong>Braunschweig</strong> auf dem Justiz-Terrain -durchaus im Unterschied zum Verhandlungs-Feld davor - eigentlich kaum richtigkämpfte. Wofür gab es denn drei Instanzen - könnte man fragen -, wenn der Freistaatschon auf der Ebene des Oberlandesgerichts und ehe dort überhaupt eine Entscheidunggefallen war - nur aufgrund einer" vorläufigen Rechtsansicht" der Richter-, "einknickte" und nachgab? Niemand wohl wird daran zweifeln, daß der ehemaligeHerzog bei umgekehrter Konstellation durch alle Instanzen gegangen wäre - wie er esin dem Aufwertungsprozeß zum Welfenfonds gegen Preußen später ja vorführte -,.,3 Um das Groteske der Situation an einem aktuellen Beispiel zu verdeutlichen: Man stelle sich vor, dieKirchen wollten den ihres Erachtens gefährdeten grund gesetzlichen Anspruch auf Religionsunterrichtals ordentliches Lehrfach durchsetzen, indem sie vor brandenburgischen Landgerichten die Schulträgerzivilrechtlich auf Gewährung von Zutritt zu Räumen, Erstattung von Kosten für Religionslehrerusw. verklagten.,>4 Wie dies inzwischen verdrängt wird, dafür liefert SCHMIDT (wie Anm. 1) ein Beispiel: Bei der Entscheidungdes Kompetenzgerichtshofs von 1922 - einer zentralen Weichenstellung - sieht er durchaus,daß sich die Urteilsbegründung - »mit den historischen Wurzeln der Verfassungsnorm [sc. Art. 7)und auch der Zielrichtung der Wortfassung .,. nicht auseinander(gesetzt)" hatte (S. 93). Gleichwohlgreift Schmidt bei seiner abschließenden Betrachtung zur "Rolle der Justiz im Herzogsprozeß" (wieAnm. 1) S. 165, HEUSINGERS (wie Anm. 137) S. 69, kräftiges Lob "gründlicher Prüfung des weitschichtigenStreit~toffes in rechtlicher und geschichtlicher Hinsicht", das dieser ausdrücklich dem1. Zivil senat des Oberlandesgerichts und seinem Vorsitzenden gespendet hatte, auf - um diese angeblicheLeistung nun "den Gerichten" schlechthin zu .. bescheinigen", SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 167.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650218 o. Jungund auch andere Länder haben bei ihren Streitigkeiten wegen des Domaniums biszum Reichsgericht "durchgehalten" (Lippe, Gotha, Schwarzburg, aber auch Preußen).Welch ein Kontrast bei den <strong>Braunschweig</strong>er Kontrahenten zwischen einem Privaten,der aUe prozeßrechtlichen Möglichkeiten ausschöpft, und einer Regierung, dieso offenkundig zaudert!Warum hat sich der Freistaat vergleichsweise so nachgiebig verhalten? Zunächstlassen sich einige Legenden aufklären: Auf das Domanium zu verzichten aus Angstvor den Kosten eines Prozesses um selbiges gleicht logisch etwa einem Selbstmord ausAngst vor dem Tode. Es ist auch offensichtlich unbegründet beim Staat, für denz. B. die Gerichtskosten Gedenfalls vor den eigenen Gerichten) gar nicht real anfallen,sondern reine Umbuchungen darstellen, und der überdies prinzipiell unbeschränktMittel zur Verfügung hat. Ein Privatmann mag angesichts zu erwartenderKosten resignieren, beim Fiskus verfängt dieses Argument nicht 155 • Umichtig istauch, daß 8raunschweig bei einem Marsch durch aUe Instanzen wegen der Irrevisibilitätdes einschlägigen Landesrechts keine Erfolgschancen gehabt hätte. Formalmochte sich das so darstellen i56 , aber hätte das Reichsgericht sein Erkenntnis von1932 im lippischen Domanialprozeß, daß nach gemeinem deutschen Privat!ürstenrecht... das Domänenvermögen (Kammergut) im Unterschied von den ein reinesPrivateigentum darstellenden Schatull- oder Kabinettsgütern schon zur Zeit des altenDeutschen Reichs den landesfürstlichen Familien nur als Zubehör der Landeshoheitgehörte, so daß es ihnen im Zweifel nur solange zustand, als sie die Herrschaft imStaat innehatten 157, nicht womöglich schon bei - hypothetischer - Unterbreitung des<strong>Braunschweig</strong>er Falles gewinnen und aussprechen können?Aus welchen tatsächlichen Gründen aber hat <strong>Braunschweig</strong> nun vor Gericht nichtmit aller Hartnäckigkeit um das Kammergut gekämpft? Die Antwort kann nur vorläufigsein, und sie ergibt sich auf der sonst oft überbewerteten, hier aber einmal einschlägigenEbene des Profils der politischen Akteure, wobei man zwei Phasen unterscheidenmuß. Bis zum Machtwechsel bei den Dezemberwahlen 1924 gilt wohl: Dieneuen "Herren", welche die Revolution an die Macht gebracht hatte, erwiesen sich,konfrontiert mit der strategischen Aufgabe der Führung eines Millionenprozesses,eben doch als überforderte Kleinbürger, die sich etwa durch das "Argument" der ungeheuerlichenProzeßkosten ins Bockshorn jagen ließen. Just dafür sorgte der übernommenegouvernementale Apparat jener "Fachleute" , die teils ungeeignet, teils eindeutigilloyal waren. Finanzpräsident bzw. "Volksbeauftragter" Bartels 158 , Justizmi-ISS An dieser Stelle erscheint es besonders mißlich, daß ScHMIDT (wie Anm. 1) die Auseinandersetzungmit der Literatur vernachlässigt hat. Gerade hier hätte man sich die Stellungnahme eines Justizpraktikersgewünscht.156 So formal argumentiert SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 135.151 RG - VI1.445/31 - Urt. v. 27.5.1932, RGZ 136, S. 211,222; vgl. zum Zusammenhang JUNG, Volksgesetzgebung(wie Anm. 4) S. 133f.; SCHMIDT (wie Anm. 1) kennt dieses Urteil (S. 167), aber mißverstehtes, wenn er daraus ableitet, daß "Hoffnungen auf das Reichsgericht" eitel gewesen wären(S. 135).IS8 Vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 40 ff.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 219nister Hampe l59 und Ministerialrat v. Hantelmann l60 fielen unter die zweite Kategorie.Man kann es mit modernen Politik vokabeln sogar noch drastischer sagen: Sicherungder Republik in <strong>Braunschweig</strong> war während des Streits um das Kammergut eineAufgabe, bei der die Verantwortlichen ständig mit alten Herzogs-"Maulwürfen" zutun hatten und überall noch die monarchistischen "Socken" herauslugten l61 • EineRegierung, die das nicht bemerkte bzw. nicht durchgriff, war verloren. Es gibt Einzelbeispieie,daß Entscheidungsträger sich von dem falschen Rat solcher illoyaler "Fachleute"freimachten l62 , aber die kontinuierliche Beeinflussung von dieser Seite scheintdoch insoweit gewirkt zu haben, daß z. B. der außenstehende Berater Justizrat Werthauer(Berlin) mit seinem strategisch richtigen Vorschlag, "zunächst nur das Verfahrenum die formellen Fragen zu betreiben und zum Reichsgericht zu bringen", bei denVerantwortlichen kein Gehör fand 163. Gewiß ist dieser Ansatz auf der Personalebenenicht unproblematisch. Die Grundkonstellation - lautet der Haupteinwand -, daßüberforderte Regierungs-Neulinge mit einem strukturell illoyalen Regierungsapparatarbeiten sollten, bestand schließlich nach 1918 in allen deutschen Ländern, und dochhaben andere Regierungen mit ganz anderer Energie als <strong>Braunschweig</strong> auf dem Terrainder Fürstenprozesse gekämpft. Wahrscheinlich spielten hier auch individuelleZufälle eine Rolle, daß <strong>Braunschweig</strong> etwa kein politisches Naturtalent wie Preußenin Otto Braun besaß.Vom Machtwechsel Ende 1924 an hatte es der Kläger bei der Regierung nichtmehr mit einer echten Gegnerin zu tun. Gewiß besaß auch die bürgerliche Rechtsregierungein funktionales Interesse, das Staatsvermögen zusammenzuhalten, aberweder der Aufbau eines sozialen Volksstaates noch die Sicherung der Republikwaren ihr ein besonderes Anliegen, während umgekehrt dem ehemaligen Herzogviele Sympathien galten.3. Woraus speiste sich die politische Empörung?Zwei Quellen sind hier auszumachen: Da war einmal die Person der Fordernden.Vielleicht nicht bei jedem Duodezfürsten, aber sicher beim preußischen König undDeutschen Kaiser lag die Mitverantwortlichkeit für Beginn und Verlust des Kriegeszutage. Zwar hatte sie dies schon die Throne gekostet, aber mitnichten gingen Wilhelm11. und die anderen ehemaligen Fürsten so aus Krieg und Revolution hervor,daß man allgemein das rechtliche Gefühl hatte, ihnen noch etwas schuldig zu sein.Fürsten"abfindung" , Fürsten"entschädigung" hatte für viele Zeitgenossen, vor allemdie Opfer des Krieges, daher einen geradezu provozierenden Klang.159 Vgl. ERD. S. 42 ff.; dabei spielte z. T. auch der Mehrheitssozialdemokrat Jasper eine höchst problematischeRoUe (EBD. S. 42, 45).160 Vgl. EBD. S. 48, 80.1.1 Dies geht bis in solche Details, daß das Hatscbek-Gutachten, das für <strong>Braunschweig</strong>s Position vonhöchster Bedeutung war, vor dem wichtigen Termin zur Verhandlung vor dem Oberlandesgericht am13.3.1925 zwei Monate lang im Staatsministerium "weitgehend unbearbeitet liegen(blieb)", vgl. EBD.S. 128, 130.162 So lustizminister lunke gegenüber MinR v. Hantelmann, vgl. EBD. S. SOf.163 Vgl. ERD. S. 123.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650220 O. JungHinzu kam der soziale Kontrast. Vielleicht mögen 12,8 Mio. Mark für den ehemaligen<strong>Braunschweig</strong>er Herzog nicht aufregen, wenn man die Milliarden unserer öffentlichenHaushalte betrachtet oder fragt, was heute z. B. schon ein V-Bahn-Kilometerkostet 164. Aber man muß sich klarmachen, daß im selben Herbst 1925, als dieseSumme vereinbart wurde, das durchschnittliche Stundenlohnniveau bei 87,1 Pfennigenlag und daß 1923 in Preußen nach offiziellen Angaben die Hälfte der Schulkinderunterernährt und speisungsbedürftig war.Dennoch bedurfte es eines besonderen Auslösers, damit 1925 eine Volksbewegunggegen die Fürsten in Gang kam, und diesen lieferte das Reich mit seiner verunglücktenAufwertungsgesetzgebung: Die Betrogenen der Inflation, die geprellten Patriotenund um ihr Vermögen gebrachten Mittelständler mußten sich "verschaukelt"fühlen, als das Reich den mit Sachwerten reichlich ausgestatteten Geldschuldnern -von der großen Industrie bis zu den Agrariern - als sogenannte "Aufwertung" einemilde Nachschußpflicht auf den Papiermarkzauber von z. B. 12,5 % bei Sparkassenguthabenund 15 % bei Industrieobligationen auferlegte und sich selbst - nach demKrieg auf Pump den allergrößten Schuldner - gleich besonders drastisch sanierte,indem es seine Kriegsanleihen grundsätzlich mit 2,5 % ihres Nennbetrags "ablöste".Was jetzt politisch-ökonomisch feststand, daß die Lasten des Krieges und seiner Folgenendgültig von den Besitzenden femgehalten und den Lohn- und Gehaltsempfängernaufgebürdet werden sollten, war öffentlich-demokratisch nicht legitimierbar.Die vorgeschützte Argumentation mit wirtschaftlichen Sachzwängen aber vermochtenicht zu verhindern, daß Bitterkeit aufstieg, das allgemeine Gefühl des Betrogenseinsbreitete sich aus, und diescr schlimme Schluß eines üblen Spiels führte zu schwersten,kaum zu überschätzenden politischen Deformationen in Deutschland.In diese geladene Atmosphäre brauchte nur eine Justizentscheidung zu platzen:jener Schiedsspruch, mit dem das Oberlandesgericht Jena Ende Oktober 1925 dieRente des Großherzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach um mindestens 33%, beidemagogischer Lesart aber um sage und schreibe 1 357 % aufwertete - und an diesemKontrast entzündete sich die Volksbewegung gegen die Fürsten. Nach der Novemberrevolutionwaren Millionen ohne Aufhebens geflossen; 100 000 RM, die dasGefühl ungerechter Bevorzugung transportierten, reichten nun hin, einen ganzen Politikbetriebbersten zu lassen.Vor diesem Hintergrund bekommt der Auseinandersetzungsvertrag vom 23. Juni1925, dem der <strong>Braunschweig</strong>ische Landtag am 17. Oktober 1925 zustimmte, seineeigentliche Bedeutung. Jener kam nicht wegen "der übergroßen Kompromißbereitschaftdes Herzogshauses" zustande, wie Schmidt meint, demzufolge der ehemaligeHerzog "nach dem Inhalt der Verhandlungen vor dem Oberlandesgericht bei bloßerAbwägung der Prozeßrisiken" zu solcher Nachgiebigkeit eigentlich keinen Grund gehabthätte 165 • Die Berater des ehemaligen Herzogs dachten eben politisch; sich aufeinen justizinternen Maßstab zu beschränken lag ihnen fern. Die Leistung dieser Be-164 Entsprechendes gilt von dem 10 000 RM-Honorar für ein Rechtsgutachten (s. oben Anm. 89), wennman unreflektiert die heutige Hochschullehrer-Besoldung zum Vergleich nimmt.165 Vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 166.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 221rater bestand darin, daß sie kurz vor der politischen Explosion des Herbstes 1925 -spürten sie schon das Grummeln? - noch die Vermögensinteressen ihres Herrn in Sicherheitund vor allem aus der "Schußlinie" brachten. Die Konzessionen jedenfalls,zu denen das vormalige preußische Königshaus im Herbst 1926 unter dem Eindruckdes Volksentscheids noch genötigt wurde, bliehen dem ehemaligen Herzog von<strong>Braunschweig</strong> erspart.4. Der Volksentscheid zur FürstenenteignungUnabhängige Linke, die KPD und schließlich sogar die SPD machten sich die ansteigendeEmpörung zu eigen - sprangen sozusagen in den Führerstand des Zuges, dersich in Fahrt gesetzt hatte - und beantragten im Wege der Volksgesetzgebung, das gesamteVermögen der Fürsten, die bis zur Staatsumwälzung im Jahre 1918 in einemder deutschen Länder regiert haben, sowie das gesamte Vermögen der Fürstenhäuser,ihrer Familien und Familienangehörigen ... zum Wohl der Allgemeinheit ohne Entschädigungzu enteignen 166 • Es sollte zugunsten der Erwerbslosen, Kriegsbeschädigtenund anderer Benachteiligter verwendet werden. Alle Verfügungen, die nach dem1. November 1918 über diese Vermögen durch Urteil, Vergleich, Vertrag oder aufsonstige Weise getroffen worden waren, sollten nichtig sein.Die Reichspolitik wechselte nun gewissermaßen die Frustrationsform. SiebenJahre lang hatte sie die Länder alleingelassen, das gemeindeutsche Problem ignoriertund sich einer Pseudoneutralität befleißigt - "pseudo", weil die Orientierung auf die"gegebene Rechtslage" und der Verweis auf die Justiz strukturell natürlich eine Parteinahmeeinschlossen. Von mehreren formellen Interventionen wurde diejenige imFalle Waldeck schon angesprochen. Jetzt changierte man zu hektischer Aktivität, umein Abfanggesetz zustandezubringen, das dem bevorstehenden Volksentscheid "denWind aus den Segeln nehmen" sollte - ohne daß diese sogenannte "Kompromißgesetzgebung"tatsächlich zu einem vorweisbaren Ergebnis geführt hätte.Es heißt nicht der Versuchung unangemessener Aktualisierung zu erliegen, wennman den modischen Ausdruck "Politikverdrossenheit" heranzieht, um zu bezeichnen,was damals viele Menschen in puncto Vermögensauseinandersetzungen empfanden:Unmut, ja Ärger darüber, daß das politische System ein gravierendes Problemnicht löste. Dabei unterschieden sich die heiden idealtypischen Varianten kaum:Verdruß provozierten die Konservativen, wenn sie ein ganz offenkundiges Problemignorieren zu können glaubten; Frustration erzeugten die Mittelparteien im Vereinmit der Sozialdemokratie - die hier sozusagen auf zwei Pferden ritt -, wenn aus eifrigsterparlamentarischer Geschäftigkeit sachlich nichts Endgültiges herauskam.166 Mit "Enteignung" hatte dieser Vorgang freilich gar nichts zu tun; darüber besteht mit SCHMIDT (wieAnm. 1) S. 152 Anm. 694, fachliche Ubereinstimmung. Enteignung meint rechtlich Güterbeschaffungfür irgendwelche Projekte überindividueller Nützlichkeit; entfaltet wurde das Enteignungsinstitutals Spezialfall der Eigentumsgewährleistung im Eisenbahnzeitalter, und von daher wird auch seineEntschädigungslogik verständlich - dergleichen wäre bei dem bisherigen Domanium natürlich absurdgewesen. Allerdings unterscheidet Schmidt nicht zwischen politischer Sprache und rechtstechnischerTerminologie bzw. fragt nicht, warum in ersterer so gern ein Begriff verwendet wurde, der nach letzterernicht zutraf.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650222 o. JungAus der Bürgerperspektive - muß man sich klarmachen - interessierten ja Koalitionsspielereien,die "Politik der Diagonale" und dergleichen, was die Professionellenfaszinierte, recht wenig. An der Basis interessierte der Output: Was wurde mit demGeld, wem gehörten die Domänen, schließlich gegen Ende der Republik - wenn dieserkleine Exkurs erlaubt ist - nur noch "Arbeit und Brot". Daß hier das Weimarerpolitische System, genauer: die Berufspolitiker, die ihn ihm agierten, versagten, weilsie zu wenig leisteten, zustandebrachten, änderten und besserten, ja daß die Republikgegen Ende zunehmend gelähmt wirkte, ist ebenso sicher wie das Gefühl vonSchwung, frischem Wind, Energie und Zupacken, das die Nationalsozialisten - unabhängigvon den Inhalten - gleich nach ihrer Machtergreifung vermittelten.1926 nun den gordischen Knoten plebiszitär durchzuschlagen war ein großes Projekt:"Nach jahrelangem Rangeln eine schnelle, harte Entscheidung; statt dem Feilschenvon Gleich zu Gleich ein historisches Gericht; nach der Fixierung auf den eigenenVorteil eine entschlossene Umverteilung zugunsten der Zukurzgekommenen.Unverkennbar hatte dieses Projekt Pathos - im Sinne von Leidenschaft und im Sinnevon Würde." 167 Freund und Feind räumten ihm denn auch die besten Aussichten ein.Auf den demokratischen Prüfstand einer freien Abstimmung des Volkes gestellt, wardie Sache der Fürsten verloren. Retten konnten sie ihre Vermögen nur noch, wenn esgelänge, den Volksentscheid zu hintertreiben, und genau das geschah. Unter zielklarerAusnutzung der Mängel des Weimarer Volksgesetzgebungsverfahrens wurde dasplebiszitäre Projekt zunichtegemacht. Die Enteignungsgegner traten nicht zur Abstimmungan, sondern riefen zum Boykott auf, womit gleichzeitig das Abstimmungsgeheimnisaufgehoben und Sozialdruck in breitem Umfang ermöglicht wurde. Im Ergebnisstimmten 14,455 Mio. Stimmberechtigte für die Enteignungsvorlage und nur586 Tsd. dagegen. Die Strategen der Fürstenseite hatten richtig kalkuliert, daß dasplebiszitäre Projekt damit an dem 50%igen Beteiligungsquorum des Art. 75 WRVscheitern würde.Auf der Reichsebene sind diese Vorgänge hinreichend untersucht. Für die regionaleEbene hat Schmidt einige Ergänzungen geliefert l68 • Indes bleiben noch Nachträgezu machen. Das Projekt "Fürstenenteignung" mußte es jetzt in <strong>Braunschweig</strong>schwer haben. Empörung herrschte in dem weitaus größten deutschen Land, dasimmer noch keine Regelung zustandegebracht hatte, nämlich in Preußen. Noch stärkerepolitischen Energien ließen sich nutzbar machen in jenen Ländern, in denen dieKompromisse der Nachkriegszeit zerbrochen waren und die damals abgefundenenehemaligen Fürsten durch Aufwertungsforderungen oder Anfechtungsklagen für167 Vgl. JUNG, Direkte Demokratie in der Weimarer Republik (wie Anm. 5) S. 54. Diese Bewertung beziehtsich also auf den Lösungsansatz. Wenn SCHIFFERS (wie Anm. 5) S. 359, dagegen kritisch auf denriesigen (Propaganda-)Aufwand - samt allen negativen Begleiterscheinungen - verweist, den dieDurchführung einer Volksabstimmung bei knapp 40 Mio. Stimmberechtigten nun einmal erforderte,so nötigt das nicht, jene Bewertung des Ansatzes zu ändern. Die" Würde" lag in der Einfachheit undGröße. Die Entscheidung: "Das Vermögen der Fürsten wird zugunsten der Kriegsopfer verwendet",die nun erzwungen werden sollte, entsprach einem Satz, der nie von Seiten der ehemaligen Fürstenausgesprochen wurde: "Wir übernehmen die Verantwortung für den Krieg und stehen für seine Folgenein."'68 Vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 144-159.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 223Zündstoff gesorgt hatten. Aber in <strong>Braunschweig</strong>, das gerade einen Vertrag zur Auseinandersetzunggeschlossen und ihn endlich auch durch das Parlament gebrachthatte, bestand - psychologisch verständlich - erst einmal ein gewisses Ruhebedürfnis;angesichts dessen löste die Rückwirkungsklausel des plebiszitären Projekts auchbei manchen Linken wohl eher gemischte Gefühle aus. Jedenfalls mutete der Beginnder sozialdemokratischen Kampagne eher pflichtgemäß an 169 • Beim Volksbegehrendann aber hielten sich die Befürworter des Projekts recht gut. Nicht weniger als94,1 % der Linkswähler der letzten Reichstagswahl trugen sich im Land Braunsehweigin die Listen des Volksbegehrens ein l70 • Die weitere Mobilisierung der Massengelang in <strong>Braunschweig</strong> relativ gut l71 , ehe freilieh aueh hier die üblichen Mechanismenvon Boykott und Sozialdruck griffen 172 • Am Ende lag das Abstimmungsergebnisin <strong>Braunschweig</strong> einigermaßen im Reichsdurchschnitt 173 •IV. Zur politikwissenschaftlichen EinschätzungMustert man rückblickend noch einmal die beiden Gründe, aus denen heraus, wieeingangs gesagt wurde, die neuen Herren alles daran setzen mußten, das Domänenproblemzugunsten des Landes zu lösen, drängen sich heute - 78 Jahre später - docheher skeptische Gedanken auf. Das heißt nicht hinter Ranke zurückfallen, weshalbdiese Nachbetrachtung im Lichte der seitdem gemachten Erfahrungen denn auchausdrücklich als politikwissenschaftlich bezeichnet wird. Zum ersten Grund: Gewiß,der Selbständigkeit des Landes kamen die Übernahme der bis dahin herzoglichenDomänen und Güter während der Novemberrevolution und die Sicherung des staatlichenEigentums am Rest-Kammergut, wie es der Auseinandersetzungsvertrag von1925 bestätigte, zugute; aber war es nach dem Sturz der Dynastie überhaupt ein vernünftigespolitisches Ziel, sich - auch auf diese Weise - dem so evidenten Neugliederungsimperativ(vgl. Art. 18 WRV) zu entziehen? Schließlich hat die britische Besatzungsmachtden Sinn eines eigenen Landes <strong>Braunschweig</strong> verneint, und kaum jemandwird die Vernünftigkeit dieser Antwort von 1946 heute - wieder ein halbesJahrhundert später - in Zweifel ziehen.Doch auch in der Perspektive des Aufbaus eines sozialen Volksstaates ist Skepsisangebracht. War dafür die Verstaatlichung des Kammergutes ein zukunftsfähigesKonzept? Nach dem schmählichen Niedergang der westdeutschen Gemeinwirtschaft,dem spektakulären Zusammenbruch des östlichen Staatssozialismus und angesichtsder allgemeinen Klage über Trägheit und Leistungsschwäche von Staatsunternehmen, •• Vgl. EBD. S. 146 f.110 Vgl. JUNG, Volksgesetzgebung (wie Anm. 4) S. 818 f.; SCUMIDT (wie Anm. 1) S. 148 f., Darstellung istnach Quellen, Literatur und Auswertung bemerkenswert schlicht.171 Vgl. SCUMIDT (wie Anm. 1) S. 155.172 Vgl. EBD. S. 153, 156 ff.173 Vgl. EBD. S. 153, 158. Nur bei der Dissidentenproblematik fällt in der Feinanalyse jedenfalls der - freilichviel größere - Stimmkreis 16 Südhannover-<strong>Braunschweig</strong> etwas auf, vgl. JUNG, Volksgesetzgebung(wie Anm. 4) S. 1002 f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650224 o. Jungbzw. kommunaler Eigenbetriebe ist die Frage unausweichlich, ob jenes Konzept einschließlichder verschärften Variante einer Fürsten"enteignung" 174 - wie alle sozialistischenVorstellungen - nicht einfach "alt" wirkt? Triumphieren nicht Privatisierungund freie Unternehmerinitiative? Die Frage wird noch unterstrichen durch die Beobachtung,daß die sogenannten Hofkammern, denen bis 1918 die Bewirtschaftung desDomaniums oblag, durchweg hocheffektive Unternehmensführungen darstellten.Die häufige linke Klage über die "Hartherzigkeit" der Hofkammern läßt sich durchausauch als Indiz für gutes betriebswirtschaftliches Management werten. In neuemLicht erscheinen auch jene bald nach der Novemberrevolution gerade in Kleinstaatenmannigfach beobachtbaren Bestrebungen vieler "kleiner Leute" - oft unterstütztdurch örtliche Räte -, das jeweilige Domanium nicht zu verstaatlichen, sondern aufzuteilenund den einzelnen Bauernwirtschaften zuzuteilen 175 - eine spontane, basisnaheKonzeption von Vergesellschaftung, die freilich gegenüber dem hergebrachtenEtatismus und Zentralismus der an die Macht geratenen alten Sozialdemokratiekeine Chance hatte. Speziell für <strong>Braunschweig</strong> ist die Frage nach der Zukunftsfähigkeitschwer zu beantworten, weil zu viele Sondereinflüsse (NS-Herrschaft, "Gleichschaltung",deutsche Teilung, Aufgehen im neuen Land Niedersachsen) mitwirken176 • Immerhin kann man wohl negativ formulieren, daß das vom Freistaat übernommeneRest-Kammergut jedenfalls nieht als Musterwirtschaft durch hohen Ertragund eine nachhaltige Stärkung der Finanzkraft des Landes von sich reden machte. Imübrigen blieb dieser "Rest" natürlich von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungnicht ausgenommen, in deren Rahmen der Anteil der Wertschöpfung von LandundForstwirtschaft am Bruttosozialprodukt immer mehr zurückging 177 •Der andere Grund der Sicherung der Republik war schon in der Mitte der zwanzigerJahre in den Hintergrund getreten, in der sich gewissermaßen die mehrheitssozialdemokratischePerspektive durchgesetzt hatte. Wenn die im Auseinandersetzungsvertraggetroffene Regelung "erträglich" genannt wurde, meinte das immer "finanzielltragbar". Und ist die Sicherung der Republik nicht in der Tat überhaupt keinThema, da ja nie ernsthaft versucht wurde, wieder zu einem Herzogtum <strong>Braunschweig</strong>zurückzukehren? So zu antworten wäre vordergründig. Die Art und Weise,wie der Streit um das Kammergut ausgetragen wurde, blieb ja - auch wenn es nichtzur Restauration der Monarchie kam - politisch nicht ohne Folgen. Wie dcr Freistaat<strong>Braunschweig</strong> bei dieser Vermögensauseinandersetzung seine Autorität verlor bzw.Respekt gar nieht erst gewinnen konnte; das Jammerspiel einer republikanischen Regierung,mit der man (nahezu) alles machen und der man (fast) alles zumuten konnte;174 Was nach 1945 in der SBZ bzw. in der DDR geschah: die Enteignung der Fürstenvermögen, um danndie Betriebe verludern und das kulturelle Erbe (Schlösser!) verwahrlosen zu lassen, war ohnehin alsWiederholung nur eine Farce und eine barbarische dazu.m Vgl. JUNG, Volksgesetzgebung (wie Anm. 4) S. 629 f.176 Vgl. den Überblick bei SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 162 ff., mit dem bemerkenswerten Fazit, daß von denRegelungen zum Kammergut kaum etwas "dauerhaft Bestand gehabt" habe.177 Vgl. BEsTIAN (wie Anm. 8) S. 34 ff., 52,55 f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt 225jene verbreitete, offenkundige Illoyalität, die keine Ahndung erfuhr 178 : Könnte essein, daß, was die geborenen Gegner der Republik hier an Unterminierung der freistaatlichenOrdnung leisteten, als Ermutigung für die geschworenen Gegner der Republikwirkte 179 ? So gesehen, käme auch dem Volksentscheid zur Fürstenenteignungeine zweite Funktion zu. Das war eben nicht nur der Versuch, ein vermutlich nichtsehr zukunftsfähiges ökonomisches Leitbild durchzusetzen, sondern diese Kampagneund die Abstimmung führten vor allem politisch zu einer Stärkung der Republik. Unmittelbarbrachten sie, wie schon Zeitgenossen feststellten, den "Tod des monarchischenGedankens"; mittelbar zeigte hier der Weimarer Staat endlich, und sei espotentiell, daß er sich zu wehren, zu schützen, vor allem durchzugreifen verstand. DasProjekt ist bekanntlich gescheitert. Inwieweit die politische Geschichte Deutschlandsim nächsten Jahrzehnt, hätte jenes Projekt Erfolg gehabt, sich anders gestaltethätte1l!o, ist kaum auszudenken.178 Dies reicht bis hin zu dem freilich mehr protokollarischen Detail, daß den dann akzeptierten Vergleichsvorschlagdes 1. Zivilsenats ausgerechnet jener Oberlandesgerichtsrat Carl Seidler verkündete,der sich seinerzeit .als einziger Richter des Freistaates geweigert hatte, den Eid auf die neue Reichsverfassunguneingeschränkt abzulegen", vgl. SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 131, 132 Anm. 579. Zur Besänftigungregionaler Empfindlichkeit und um die Tragweite des Arguments zu verdeutlichen, sei klargestellt,daß sich diese Phänomene "natürlich" bei allen Vermögensauseinandersetzungen in denneuen Freistaaten zeigten.179 Vgl. dazu allgemein Hans U1rich LUDEwIG/Birgit POLUIANN, Bürgertum und Arbeiterbewegung in<strong>Braunschweig</strong> 1870-1933, in: Wiss. Zs. d. BLM I, 1994, S. 63-98 (85-90).180 Dabei geht es natürlich nicht um das von den Konservativen vordergründig an die Wand gemalteSchreckbild von "Präsidentenkrise" bzw .• Staatskrise", sondern um die nachhaltige Stärkung - in gewissemMaße - Linksorientierung und - womöglich - Rettung des Staates von Weimar.


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die "Erbgesundheit" Heinrichs des LöwenEine Retrospektive zu den Interpretationen der Grabungsbefundevon 1935 in der Gruft des WelfenherzogsvonNiels C. LöschEinleitungDaß es in der Geschichtswissenschaft keine absolute Wahrheit gibt, erscheint schonfast als Binsenweisheit. Dabei sollte man sich vor Augen halten, daß jede Generationsich ihre eigenen Interpretationen von historischen Prozessen und Erkenntnissenschafft. Jede Generation bleibt bewußt oder unbewußt in ihrer zeittypischen Befangenheitverhaftet. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Interpretationen um die Ergebnisseder 1935 ausgeführten Grabungen in der Gruft Heinrichs des Löwen.Die ersten Interpretationsversuche 1935 wurden unter den Bedingungen der nationalsozialistischenDiktatur gezielt manipuliert bzw. verhindert und deren Veröffentlichungschließlich unterdrückt. Ein zweiter Anlauf wurde in den fünfziger Jahrenvon einem Beteiligten an den Grabungen von 1935 unternommen, was zu einer lebhaftenKontroverse führte. Der dritte Anlauf wurde schließlich in den siebziger Jahrenunternommen und brachte einen vorläufigen Schlußpunkt in die Diskussion.Heute gibt es Anlaß sich erneut mit dieser Grabung, ihren Befunden und deren Interpretationzu beschäftigen.Auslöser hierfür war meine Beschäftigung mit der Biographie eines deutschenWissenschaftlers, eines Mannes, der als Anthropologe, Rassenforscher, Anatom undVererbungswissenschaftler in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist und dessenName sich fast untrennbar mit der Interpretation der Grabungsfunde in der GruftHeinrichs des Löwen verbunden hat: Eugen Fischer!."Und dann kam Eugen Fischer ... Und bis heute liegt sein Schatten auf demGrab" - mit diesen markigen Worten skizzierte Tilmann Schmidt 1974, sieben Jahrenach dem Tode Fischers, den Einfluß, den dieser auf die Interpretation der Funde inder Grablege des Welfenherzogs Heinrich des Löwen im <strong>Braunschweig</strong>er Dom1 Niels C. löSCH, Rasse als Konstrukt, Leben und Werk Eugen Fischers. Frankfurt a. M. 1997. Im weiterenwerde ich mehrfach auf diese ausführliche Darstellung verweisen müssen, da im Rahmen diesesAufsatzes nur sehr knapp und verkürzt auf Fischer eingegangen werden kann.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650228 N. Löschhatte 2 • Denn Fischer war jener hochkarätige Spezialist, dem das NS-Regime zutraute,ein anthropologisches Gutachten über jenes Skelett in der Gruft anzufertigen, vondem zu vermuten stand, daß es Heinrich dem Löwen gehörte, der im Dritten Reich(auch) zum "Helden" und "Vorkämpfer" des Ringens um neuen "Lebensraum imOsten" stilisiert worden war3. Im Zuge der Bemühungen, die Rolle Eugen Fischersbei der Grabung 1935 und der späteren Interpretation der Befunde zu klären, tauchtenimmer mehr Unklarheiten und Ungereimtheiten auf, so daß es mir lohnenswerterschien, den mehrstufigen Interpretationsprozeß um die Grabung zwischen 1935und 1970 noch einmal historisch-kritisch zu untersuchen und vor allem die jeweiligePerspektive zu berücksichtigen, aus der heraus die Befunde bewertet wurden. Dennan das, was 1935 wichtig erschien, wollte 1950 keiner mehr gerne zurückdenken -anderes rückte in den Vordergrund der Aufmerksamkeit, und 1970 wurden neueSchwerpunkte gesetzt und heftige Kritik an den vorhergehenden Interpretationen derErgebnisse geübt.Auf allen drei Stufen dieses Erkenntnisprozesses spielte Fischer direkt oder indirekteine wichtige Rolle. So muß zunächst die Person Eugen Fischers kurz eingeführtund in ihren historischen Rahmen plaziert werden, bevor dann die Ergebnisse der Interpretationender Grabungsbefunde in den fünfziger und siebziger Jahren kurz rekapituliertwerden und schließlich der Versuch unternommen werden soll, sich über dieHintergründe und Vorgänge von 1935 ein Bild zu machen.1. Eugen Fischer: ... Schatten auf dem Grab des Herzogs?Man kann Eugen Fischer viele Etiketten anheften: Rassenforscher, Anthropologe,Eugeniker, Anatom, Vererbungswissenschaftler oder Erbgesundheitsrichter, aberkeines füllt er so vollkommen aus wie jenes eines hingebungsvoll seiner badischenHeimat, ihrer Mundart und Tradition verbundenen Menschen. Für einen Mann seinerGeneration - er wurde 1874 in Karlsruhe als Sohn eines Kaufmannes geboren -ist dies nicht ungewöhnlich: Die rasch voranschreitende Industrialisierung mit ihrenimmensen negativen Effekten für breite Schichten der Bevölkerung (Verstädterung,schlechte Wohn-, Emährungs- und Hygiene-Verhältnisse) führen zu "antimodernen"Reflexen. Ländlich-idyllisches Leben, arbeiten im Einklang mit der Natur undeine in klar überschaubaren Ständen organisierte Gesellschaft werden propagiert.Aus dieser Haltung entstehen, sehr verkürzt gesagt, gesellschaftliche Strömungen und"Aufbruchsbewegungen" wie die Wandervögel, Naturismus (Freikörperkultur), Ve-2 Vgl. Tilmann SCHMIDT, Die Grablege Heinrich des Löwen im Dom zu <strong>Braunschweig</strong>. In: BsJb. 55,1974, S. 24 f.3 Vgl. dazu Johannes FRIED. Der Löwe als Objekt. In: HZ 262, 1996, S. 673-693.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die nErbgesundheit" Heinrichs des Löwen 229getarismus, Jugendstil, aber auch die Heimat- und Umweltschutz-Bewegung 4 • Geradeder Heimatbewegung war Eugen Fischer früh und wie sich zeigen sollte zeitlebensverpflichtet.Bald nach seinem medizinischen Studium in Freiburg findet Fischer Zugang zuden Kreisen der "Heimatbewegten" im Großherwgtum Baden, wenn auch zunächstüber den "Umweg" archäologischer Grabungen. Seine akademischen Titel erringtder junge Fischer rasch. 1898 promoviert er in Medizin und bereits 1900 hat er sichfür Anatomie an der Universität Freiburg habilitiert, wo er die Unterstützung vonRobert Wiedersheim, Ordinarius und Chef der Freiburger Anatomie, genießt. Dannfreilich stockt die Karriere Fischers, und er hat eine zwölfjährige "Leidenszeit" alskaum bezahlter Privatdozent zu überstehen. 5 Diese Phase sollte für Fischer prägendenCharakter haben. In ihr vollzieht sich die Abkehr von seiner akademischen Forschungsausrichtungals Anatom und seine Hinwendung zur Anthropologie. Zunächstist es mehr eine Verlegenheit, die ihn zwingt, sich mit Anthropologie zu befassen.Denn die klassisch-anatomischen Themen wie Muskellehre, Histologie, Embryologieetc. waren im Anatomischen Institut in Freiburg alle an andere Privatdozenten undProfessoren fest vergeben, und so hatte sich Fischer auf Anweisung seines Chefs Wiedersheimmit Anthropologie zu beschäftigen.Freilich, um 1900 hatte diese Disziplin wenig gemein mit dem, was wir heute unter(naturwissenschaftlicher) Anthropologie verstehen. Damals war das Fach fest in derAnatomie verwurzelt, als eine Teildisziplin, die sich fast nur mit Schädeln und Knochender früheren und jetzigen Menschen oder Menschenaffen beschäftigte. Dies istauch der Grund, warum Fischer schließlich beginnt, keltische Hügelgräber auszugraben,um die dort begrabenen Skelette zu untersuchen. So wendet er sich neben derAnthropologie auch der Archäologie und Heimatgeschichte zu und wird bald ein begehrterReferent in den badischen Geschichts- und Heimatvereinen. Und währendseine akademische Karriere als Anatom stagniert, macht er rasch "Vereinskarriere";bald ist er Vorsitzender des größten Heimatvereins im Großherzogtum Baden, der"Badischen Heimat".Was hier nur knapp skizziert werden kann, ist für die Entwicklung von Fischer vongroßer Bedeutung, denn seine innige Hinwendung zur Heimatbewegung ist Ausdruckeiner "antimodemen" Haltung; für Fischer überwiegen die negativen Aspekteder Industrialisierung und des modemen Fortschritts. Als Mediziner sieht er die Gefahrenfür die körperliche und geistige Gesundheit der Menschen durch die anbrechendeModerne, und er ist sensibilisiert für Konzepte, die einen Ausweg aus dieserMisere versprechen. Eines dieser Konzepte gegen die drohende Verschlechterungder allgemeinen Gesundheit der Bevölkerung, gegen die negativen Auswirkungen• Es sei an diese Stelle nur auf den interessanten Sammelband von Edeltraud KWETING (Hg.): Antimodernismusund Reform, Darmstadt 1991 verwiesen, wo sich u. a. Aufsätze von Werner HAilTUNG,Das Vaterland als Hort von Heimat (S. 112-156), Andreas KNAUT, Ernst Rudorff und die Anfängeder deutschen Heimatbewegung (S. 20-49) und Jürgen RWLEcKE, Wo liegt Falado? (S. 1-19) finden.Vgl. auch Hans-Jürgen TEUTEBERG, Zur Sozialgeschichte des Vegetarismus. In: VSWG 81, 1994,S. 31-65 und Niels C. LöSCH, Rasse als Konstrukt (wie Anm. 1), S. 83-104.S Näheres dazu vgl. LöSCH, Rasse als Konstrukt (wie Anm. 1), S. 35-45.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650230 N. Löschder Verelendung in den städtischen Ballungsgebieten, gegen Alkoholismus, Geschlechtskrankheitenund die allgemein schlechte Konstitution der Bevölkerung istdie "Rassenhygiene"6. Die rassenhygienische Bewegung um Alfred Ploetz propagierteeine zunächst fast utopisch anmutende "Sozialstrategie" , die die "gesunden Anlageträger"in einem Volke in ihrer Fortpflanzung begünstigen wollte und die "negativenAnlageträger" nach Möglichkeit an ihrer unkontrollierten Vermehrung zu hinderntrachtete. Damit war ursprünglich nicht zwangsläufig die Bevorzugung etwa einer"nordischen Rasse" gemeint, sondern die Förderung der Fortpflanzung aller gesundenMenschen innerhalb eines Volkes durch die verschiedensten ("eugenischen")Maßnahmen, während chronisch Kranke, Syphilitiker, Alkoholiker oder Geisteskrankenicht in den Genuß dieser Förderung kommen sollten. Diesem "eugenischenFlügel" der Bewegung stand zwar um die Münchner Ortsgruppe ein "rassenhygienischerFlügel" gegenüber, der eine rassische Bevorzugung "nordischer Elemente" propagierte,doch erst im Nationalsozialismus gewann dieser Flügel die Vorherrschaftund die Kontrolle über die "Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene" (DGfR).Vor dem Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik fand diese Gesellschaftvor allem unter Akademikern, Medizinern, aber auch Intellektuellen Anhänger.Auch Eugen Fischer findet früh zur rassenhygienischen Bewegung, wird 1910 Gründerund Vorsitzender der Freiburger Ortsgruppe der DGfR und verbreitet derenVorstellungen auch gezielt in dem von ihm geleiteten Heimatverein mit immerhinbald über 10.000 Mitgliedern! Die hier skizzierte Ideenwelt war prägend für EugenFischer und beeinflußte geradezu sein wissenschaftliches Werk. Denn Eugen Fischerwäre heute ein längst vergessener Anatomie-Professor, wenn ihm nicht auf einemganz anderen Feld ein enormer Erfolg beschieden gewesen wäre, der ihn zum Begründereiner neuen wissenschaftlichen RiChtung innerhalb der Anthropologie machte.Um 1900 waren die sogenannten "Mendelschen Regeln" wiederentdeckt worden,mit denen vom Augustiner-Mönch Gregor Mendel bereits Mitte des 19. Jahrhundertsbestimmte Gesetzmäßigkeiten bei der Vererbung äußerlich sichtbarer Merkmale(z. B. Farbe und Form von Erbsen) beschrieben worden waren, die heute jedesSchulkind kennt. Zu jener Zeit hatte man aber noch sehr unklare Vorstellungen voneiner wie auch immer beschaffenen "Erbsubstanz" und den Gesetzmäßigkeiten beider Vererbung. Als drei Vererbungsforscher (c. Correns, H. de Vries, E. v. Tschermak-Seysenegg)fast zeitgleich die Bedeutung der Mendel-Regeln wiedererkannten,lösten sie damit den Siegeszug der Genetik in der Wissenschaft aus. Fischers großer"Coup" war es dabei, auf die Idee zu kommen, die Gültigkeit der Mendelschen Regelnbeim Menschen zu überprüfen. Wie er dazu kam und auf welch abenteuerlichemWeg er zu seinen Ergebnissen gelangte, ist ein spannendes Kapitel Wissenschaftsgeschichte,auf das ich den Interessierten nur hinweisen kann 7 • Seine Ergebnisse, die er6 Zur Geschichte der Rassenhygiene existiert inzwischen eine ganze Reihe guter Arbeiten, hier sei nurauf Hans-Walter SCHMUHL, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Güttingen 1987, PeterWEINGART et. al., Rasse, Blut und Gene - Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deut~chland.Frankfurt a. M. 1988 und Sheila WEISS, The Race Hygiene Movement. In: Osiris, 2nd.ser., 3, 1987,S. 193-236, verwiesen.7 Mehr dazu bei LöSCH, Rasse als Konstrukt (wie Anm. 1), S. 53-82.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die ~Erbgesundheit" Heinrichs des Löwen 231an einer sogenannten "Mischlingsbevölkerung" (den "Rehobother Bastards") in derdamaligen Kolonie "Deutsch-Südwestafrika" 1908 sammelte, halten einer kritischenÜberprüfung heute nicht mehr stand! Damals sorgten sie für Furore. Mit seiner Behauptung,die Mendelschen Regeln hätten auch für menschliche Merkmale wieHaar-, Haut- und Augenfarbe etc. Gültigkeit, schuf er die Voraussetzung für eine naturwissenschaftlichbegründete Rassenlehre. Denn Fischer glaubte nun, "Rassenmerkmale"beim Menschen erstmals klar definieren zu können, als Merkmale, diesich gemäß den Mendelschen Regeln vererben würden. Wohlgemerkt, seine Beweiskette,sein statistisches Zahlenmaterial etc. stimmte nicht; was für einige PflanzenundTiermerkmale bei einem "einfach-dominanten" Erbgang zutraf, galt gerade fürdie von Fischer ausgewählten Merkmale beim Menschen nicht - dort liegen die Verhältnissekomplizierter vor. s Aber dies wurde damals mangels Fachkenntnissen nichtbemerkt, vielmehr trafen Fischers Ergebnisse auf ein Klima und ein Publikum, welchesseine Thesen nur allzu begierig aufnahm.Was hat dies alles mit Heinrich dem Löwen zu tun. Wenig, möchte man meinen.Doch mit der Interpretation der Funde in seiner Gruft hat es sehr viel zu tun. Dennmit seiner (vermeintlichen) wissenschaftlichen Großtat stieg Eugen Fischer in derWeimarer Republik zu dem führenden Anthropologen in Deutschland auf, der sichmit bio-genetischen Fragestellungen befaßte; er begründete und leitete diese Disziplin,die man als Bio-Anthropologie bezeichnen könnte und die sich immer stärkermit den Fragen der Vererbung, speziell jener von Krankheiten beim Menschen befaßte.Und während Fischer in Freiburg formal weiterhin Professor tür Anatomie blieb,widmete er sich in Forschung und Publikation ausschließlich Fragen der Anthropologieund Erbbiologie. 1927 wurde er dann Direktor des eigens für ihn gegründeten"Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie" in Berlin-Dahlem, der zentralen Forschungsstellefür Fragen der Vererbung von Krankheiten, der Erforschung von Zwillingenund damit zum Leiter des kompetentesten" Think-tank" für die rassenhygienischenGesetze im Dritten Reich.Paradoxerweise stand Fischer dem plumpen Rassenfanatismus der Nationalsozialistenablehnend gegenüber. Gerade seine Untersuchung über die "Mischlinge" in"Deutsch-Südwest" hatten ihm zu seiner eigenen Überraschung die Leistungsfähigkeitdieser Menschen vor Augen geführt. Und da sich Fischer bei seinen Überlegungenund Theorien sehr stark an den Verhältnissen in der Botanik und Pflanzenzuchtorientierte, hatte er von dort auch die Vorstellung einer besonderen Leistungsfähigkeitder Mischlinge übernommen, den sogenannten Heterosiseffekt! Die von den Nationalsozialistenpropagierte "Minderwertigkeit" der "jüdischen Mischlinge" konnteFischer nicht vertreten, weswegen er kurz nach dem Machtantritt unter heftigen Beschußdurch die NSDAP geriet - was nicht bedeutete, daß Fischer frei von antisemi-~ Zur Kritik an den Ergebnissen Fischers S.: Ebd. S. 65 ff. Freilich bedeutet dies nicht, daß für den Menscheneine Art n50ndergenetik" existiert, Fischer hatte nur im Ggs. zu Mendel das Pech, Merkmaleauszuwählen, für die die von Mendel beobachteten Gesetzmäßigkeiten so nicht zutrafen.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650232 N. Löschtischen Tendenzen war 9 • Fischer wußte sich zu arrangieren, ihm waren eugenischeFragestellungen wichtiger, und hier versuchte er seine Vorstellungen in die Politikund die Gesetzgebung der Nationalsozialisten einzubringen - mit unterschiedlichemErfolg. So bildete er an seinem Institut zahlreiche Beamte, Mediziner und Richter,aber auch SS-Ärzte in "Erbbiologie" aus und trug so zu den Voraussetzungen für denreibungslosen Vollzug der NS-Rassen- und Gesundheitsgesetze bei. Die von ihm undseinen Mitarbeitern angefertigten Gutachten entschieden darüber, ob jemand als"Arier" ein relativ normales Leben führen konnte oder als "Jude" dem Terrorsystemdes Nationalsozialismus ausgeliefert wurde oder als "Erbkranker" seine Fortpflanzungsfähigkeiteinbüßte! Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses"(GzVeN v. 14. Juli 1933) nannte eine ganze Reihe von Erkrankungen, die im Nationalsozialismusals "Erbkrankheiten" eingestuft wurden und bei deren Trägem einezwangsweise Unfruchtbarmachung (Sterilisierung) angeordnet werden konnte. EigeneGerichtshöfe, die sogenannten Erbgesundheitsgerichte, entschieden darüber, wersich im Dritten Reich fortpflanzen durfte! Denn jedes Ehepaar brauchte fortan einespezielle Bescheinigung, die ihm die Freiheit von Erbkrankheiten bescheinigte, erstdann durften sie heiraten. An der Spitze dieses gigantischen "Fortpflanzungs-Kontrollsystems"im "NS-Rassenstaat"l0 stand unter anderem auch Eugen Fischer, derMitglied des Berliner Erbgesundheitsobergerichtes war und zudem einer der einflußreichstenObergutachter.Dies alles muß man wissen, um zu verstehen, weIche Bedeutung es hatte, wenndieser Mann 1935 von den NS-Machthabern an die Gruft Heinrichs des Löwen gerufenwurde. Denn Fischer war eben nicht nur ein Anthropologe, der sich mit "altenKnochen" auskannte (und zudem auf archäologischem Gebiet bestenfalls ein Dilettant).Doch 1935 wurde von der Grabung und den dort auftauchenden Problemenwenig publik. Fischer trat 1942 in den Ruhestand, floh bald darauf vor den anrückendenAlliierten nach Hessen, wo er bis Anfang der fünfziger Jahre in relativer Abgeschiedenheitverharrte. Fischer blieb auch im Alter ein reger und geistig produktiverKopf. Und irgendwann, vielleicht als er bei seiner Rückkehr nach Freiburg seine Papiereordnete, erinnerte er sich an jene Begebenheiten, die sich im Sommer 1935 ander Gruft des Löwen in <strong>Braunschweig</strong> zugetragen hatten - und er fand, sie solltennicht in Vergessenheit geraten!• Dies läßt sich am besten mit dem von S. Volkov geprägten Begriff umschreiben, daß Fischer dem .. kulturellenCode des Antisemitismus" verhaftet war, ohne den mörderischen Antisemitismus der Nationalsozialistenzu teilen. Vgl. dazu Shulamit VOLKOV, Antisemitismus als kultureller Code; in: JüdischesLeben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Dies., 1990, S. 13-36. Speziell zu Fischerund dem Antisemitismus vgl. LÖSCH (wie Anm. 1), S. 278-298.10 Zur Interpretation des Dritten Reiches als "Rassen-Staat" vgl. die wichtige Arbeit von Michael BUR­LEIGH & Wolfgang WIPPERMANN, Tbe Racial State: Germany 1933-1945. Cambridge 1991.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die nErbgesundheit" Heinrichs des Löwen 2332. Die Perspektive der fünfziger JahreAngefangen hatte die AngcJegenheit, die sich im Laufe der nächsten Jahre zu einerveritablen wissenschaftlichen Kontroverse auswuchs, mit einem Artikel Fischers inder Zeitschrift für Universalgeschichte: "Die Welt als Geschichte", aus dem Jahr1952 11 • Nachdem Fischer in sein Haus in Freiburg zurückgekehrt war, verfügte ernun anscheinend wieder über seine Aufzeichnungen und Unterlagen aus der Vorkriegszeit.Voll Arbeitseifer, wie er bis ins hohe Alter war, machte er sich daran, einigeunerledigte Dinge aus vergangenen Zeiten zu bereinigen: Daß er damit eine deram heftigsten geführten Kontroversen auslöste, die ihm in seinem ganzen wissenschaftlichenLeben je widerfuhr, konnte er nicht ahnen. Fischer hatte lediglich in besterAbsicht vor, seine Erlebnisse und seine Expertise in einem interessanten Fall zudokumentieren, der sonst Gefahr gelaufen wäre, in Vergessenheit zu geraten. Wennes auch zwanzig Jahre später für Tilmann Schmidt den Anschein hatte, daß die Kontroverseeher eine peinliche Fehlinterpretation Fischers zu Tage förderte, so darf mannicht übersehen, daß ohne jenen Artikel Fischers von 1952 (vermutlich) bis heuteUnklarheit über den wahrscheinlich richtigen Sachverhalt bestehen würde - so gesehenhat Fischer die Sicht auf die Grablege Heinrichs des Löwen nicht nur mit seinem"Schatten" verdunkelt, sondern auch zu erhellenden Einsichten Anlaß gegeben!In seinem Artikel von 1952 über "Heinrichs des Löwen sterbliche Reste" berichteteFischer über Vorgänge, die längst in Vergessenheit geraten waren und siebzehnJahre zurücklagen. Was Fischer seinen Lesern schilderte, läßt sich in knappen Wortenso referieren: Im Jahre 1935 faßte die damalige <strong>Braunschweig</strong>ische Landesregierungden Entschluß, das Grab Heinrichs des Löwen zu öffnen, um H'" der Unsicherheit,die über dem Grabmal ... lastete, ein Ende zu machen", wie Fischer schrieb, und esdann in "würdiger" Form neu zu gestalten 12 • Zu diesen Arbeiten wurde dann EugenFischer als anthropologischer Experte hinzugezogen, und in seinem Artikel von 1952legte er erstmals öffentlich dar, was er gesehen hatte. Bei der Graböffnung zeigte sich,daß sich unter der Grabplatte von Mathilde, der Gemahlin Heinrichs, ein unberührterSteinsarg befand und unter der Grabplatte Heinrichs des Löwen nur eine schwarzeMasse sowie ein kleiner Steinsarg, der als Kindergrab gedeutet wurde. Die schwarzeMasse entpuppte sich nach näherer Untersuchung als die Überreste eines verrottetenHolzsarges, der einen noch gut erhaltenen Ledersack barg. In dem Ledersackfanden sich die Überbleibsel eines Skelettes, die zu einem sägemehlartigen Pulververgangen waren.Die Aufmerksamkeit aller konzentrierte sich auf den Steinsarg, der offensichtlichbis dahin unberührt geblieben war. Der Deckel wurde entfernt, und zum Vorscheinkam ein Skelett, das vollständig mit Gewandstaub bedeckt war. Nun machte sich Fischerdaran, die Knochen des Skelettes freizulegen. Es zeigte sich, daß ein vollständigesSkelett erhalten geblieben war, mit drei Besonderheiten: 1. Der Schädel und die11 vgl. Eugen FISCHER, Heinrichs des Löwen sterbliche Reste. In: WaG, 1952, S. 223-241. Eine kürzereFassung erschien bald darauf im <strong>Braunschweig</strong>ischen Jahrbuch: Ders., Die anthropologische Untersuchungder Gebeine Heinrichs des Löwen. In: BsJb. 34,1953, S. 135-144 .• 2 Vgl. Ders., Heinrichs des Löwen sterhliche Reste. In: WaG, 1952, S. 234.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650234 N. Löschersten fünf Halswirbel waren zerfallen, 2. Das Skelett war klein und zierlich, 3. Selbstein Laie konnte sehen, daß mit der linken Hüfte und dem linken Oberschenkelknochenetwas nicht stimmte, beide waren deformiert 13 •Dieser Befund war nun außerordentlich betrüblich, wenn man in Betracht zog, daßdie Anwesenden gehofft hatten, die Überbleibsel des Sachsenherzogs zu finden, dergemäß der historischen Überlieferung eher als groß, kräftig und zu sportlichen Heldentatenbefähigt geschildert wurde. Diesen Befund galt es nun zu interpretieren. Inseinem Aufsatz von 1952 entledigte sich Fischer dieser Aufgabe mit einigem Scharfsinn:Den Unterschied im Erhaltungsgrad des Schädels im Vergleich zu dem übrigenSkelett erklärte er damit, daß der Schädel in eine etwas erhöhte Nische des Steinsargesgebettet lag, die über zwei Löcher Verbindung zum Erdreich hatte. So konnte hierGrundwasser leichter ein- und ausdringen als in dem tiefer gelegenen Teil des Sarges.Die größere Schwankung der Feuchtigkeitsverhältnisse führte den schnelleren Verfalldes Kopfskelettes herbei, wobei die Mazeration des Gehirnes, eine postmortale Umgestaltungzu einer wachsartigen dunklen Masse, seine Theorie stützte.Den zweiten Befund, die auffällige Zierlichkeit des Skelettes - Fischer hatte eineGröße von 163 cm errechnet -, interpretierte Fischer als Erbe der italienischen VorfahrenHeinrichs. Die Tatsache, daß im Steinsarg rötliche, 12-14 cm lange Haupthaaregefunden wurden, während Heinrich der Überlieferung nach schwarzhaarigwar, erklärte Fischer mit einer Veränderung der Haarfarbe durch die Lagerung imBoden, wie sie auch von ägyptischen Mumien bekannt sei, was die nach Fischer ursprünglichmittelbraune Haarfarbe verändert habe. Nach Barthaaren wurde ausdrücklich,aber vergeblich gefahndet, zur entsprechenden historischen Überlieferungerklärte Fischer schlicht und bündig: "Der Herzog muß seinen früheren Bart wiederabgelegt haben"14.Bei der Interpretation des dritten Befundes kam Fischer die historische Überlieferungüber Heinrich den Löwen zu Hilfe. Eine mittelalterliche Quelle berichtete, daßHeinrich auf dem Ritt nach Saalfeld im Winter 1193/94 zu dem Versöhnungstreffenmit dem Kaiser von seinem Pferd stürzte und sich das Bein brach, worauf er in das nahegelegeneKloster Walkenried transportiert werden mußte und dort gepflegt wurde.Fischer interpretierte die Veränderungen der linken Hüfte, der Hüftgelenkspfanne,des Oberschenkelkopfes, des Oberschenkelhalses und den gesamthaft verkürztenOberschenkelknochen als Folgen dieses Reitunfalls, der zu einer Ausrenkung desHüftgelenkes und einem Bruch des Oberschenkelhalses sowie Teilen des Gelenkpfannenrandesgeführt habe. "Dieser ganze Befund zeigt deutlich die Folgen einerschweren Verletzung der linken Hüfte. Er zeigt weiter, daß der Tod dieses Manneskeinesfalls sehr rasch nach der Verletzung eingetreten sein kann, da deutlich Heilungsvorgängeund nachträgliche Veränderungen an den Knochen nachweisbar sind.... alle diese Dinge stimmen mit dem, was die Geschichte von der Verletzung desHerzogs durch den Sturz im Februar 1194 erzählt, mit der Tatsache eines langenKrankenlagers und dem Tag seines Todes eineinhalb Jahre nach der Verletzung aus-13 Ebd., S. 235 ff.14 Ebd., S. 241.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die " Erbgesundheit " Heinrichs des Löwen 235gezeichnet überein und beweisen damit einwandfrei, daß die Gebeine die des Sachsenherzogssind und keine andern" 15.Ein gutes Jahr später erschien in einer angesehenen mediävistischen Fachzeitschriftein Artikel unter der Überschrift "Die angeblichen Überreste Heinrich desLöwen", mit der die Kontroverse eröffnet wurde 16 • In diesem Artikel wurde Fischerzum Vorwurf gemacht, eine schwerwiegende Fehldiagnose abgeliefert zu haben, dieden unzweifelhaften Schluß nach sich ziehe, daß in dem fraglichen Steinsarg eineganze Reihe von möglichen Personen begraben sein könnten, nur nicht Heinrich derLöwe! Ausgeführt wurde dieser Schlag gegen Fischers Expertise von dem MediävistenProf. Walther Holtzmann, der sich der Unterstützung des Orthopäden MatthiasHackenbroch versichert hatte. Holtzmann hatte den Artikel Fischers von 1952gelesen, war zunächst wegen Fischers Erklärung der Veränderung der Haarfarbestutzig geworden und wandte sich in der Folge an verschiedene Mediziner. Die Gerichtsmedizinerbestätigten jedoch Fischers Auffassung in diesem Punkt, wiesen denHistoriker allerdings darauf hin, daß der Befund an der Hüfte nicht zwingend unfallbedingterNatur gewesen sein müsse. Holtzmann bat den Professor für OrthopädieHackenbroch um ein Gutachten in dieser Angelegenheit. Das Gutachten wurde alsTeil des Artikels von Holtzmann im "Deutschen Archiv zur Erforschung des Mittelalters"veröffentlicht und stützte sich ausschließlich auf die Beschreibung der anatomischenBefunde des Skeletts und die dort abgedruckten Bilder und Photographien,wie sie Fischer in seinem Aufsatz von 1952 veröffentlicht hatte l7 •Im Kern besagte das Gutachten Hackenbrochs, daß die Veränderungen an der linkenHüftgelenkspfanne und am Oberschenkel so schwerwiegend und in ihrer Naturso typisch seien, daß es sich nur um eine angeborene Form der Hüftverrenkung handelnkönne. Hauptargumente des Orthopäden waren 1. Die typische Entrundung derHüftgelenkspfanne in Form einer sogenannten "Dreieckspfanne" , 2. Die pilzförmigeVeränderung des Oberschenkelkopfes mit verändertem Stellungswinkel zwischenOberschenkelkopf und -hals und 3. Die von Hackenbroch als sehr unwahrscheinlichbezeichnete Kombination einer Oberschenkelhalsfraktur mit Luxation des Hüftgelenkesund einer daran anschließenden knöchernen Heilung bei luxiert bleibenderHüfte, da in diesem Fall der nötige feste knöcherne Kontakt zwischen den Frakturteilenfehle: "Nichts spricht zwingend dafür, daß eine Gewalteinwirkung durch einTrauma den Luxationsbefund verursacht hat, al/es vielmehr dafür, daß es ein Zustandist, der zum mindestens in der Kindheit bereits eingetreten sein muß, wahrscheinlichaber angeboren ist"18. Hackenbrochs Theorie erkläre vor allem zwanglosden von Fischer diagnostizierten, merklichen Unterschied in der Länge und Dickedes Oberschenkels und der Kniescheibe als funktionelle Atrophie durch jahrzehntelangeMinderbeanspruchung. Denn eine so gravierende Veränderung könne niemals" Ebd., S. 238.16 Vgl. Mathias lIACKENBROCH & Walther lIoLTzMANN, Die angeblichen Überreste Heinrich des Löwen.In: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters, Jg. 10, 1953/54, S. 488 ff.17 Ebd., S. 489-495.18 Ebd., S. 491.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650236 N. Löschin den lediglich achtzehn Monaten, die der Herzog nach dem Sturz noch lebte, eingetretensein. Spätestens mit diesem Argument hatte Hackenbroch den wunden Punktin der Argumentationskette Fischers getroffen.Den Rest erledigte Holtzmann mit historisch-philologischen Argumenten: Da dasmedizinische Gutachten für angeborene Hüftgelenksverrenkung (Hüftdysplasie,HO) spreche, sei es unwahrscheinlich, daß den Chronisten ein "hinkender Heinrich"entgangen wäre, falls das Skelett wirklich von Heinrich stamme. Das Gegenteil sei derFall, Heinrich sei in den Quellen als "bene compositus", als wohlgebaut geschildertworden und habe sportliche Leistungen mit über fünfzig Jahren vollbracht, die einerPerson mit HO schwer möglich gewesen seien. Zweitens überprüfte Holtzmann dieÜberlieferung von jenem Reitunfall, der in der Steterburger Chronik Propst' Gerhards11. von Steterburg überliefert wurde. Dort sei die Verletzung aber als "contritiotibiae" bezeichnet, und HoItzmann führte aus: " Wenn im Zusammenhang mit einemSturz vom Pferd von contritio tibiae die Rede ist, so kann man wohl an eine Quetschung,allenfalls an einen Bruch des Schienbeins denken, niemals aber an einenBruch oder eine Verrenkung des Oberschenkels oder des Beckens. Der Oberschenkelhieß im Altertum und Mittelalter wie heute femur . ... Nimmt man die historischeOberlieferung und den richtig gedeuteten anatomischen Befund zusammen, so bleibtnur der Verdacht, daß genau das Gegenteil von dem, was Fischer beweisen wollte,richtig ist, daß nämlich die gefundenen Gebeine nicht die Heinrich des Löwen seinkönnen"19. Holtzmanns Ausführungen endeten mit einem Appell an die" ... wohl erprobtenGeschichtsforscher in Braunsch weig", den Sachverhalt zu klären und zu prüfen,welche anderen im Chorraum des <strong>Braunschweig</strong>er Doms beigesetzten Fürstenfür diesen Fund in Betracht gezogen werden müssen.In der Folge entwickelte sich eine äußerst lebhafte Debatte zwischen den Befürworternund Gegnern der Fischerschen Deutung der Befunde, auf die wir hier nichtnäher einzugehen brauchen, da sie keine neuen stichhaltigen Argumente lieferte 2o •Fischer selbst fühlte sich in seiner Expertenehre schwer getroffen, gerade in einemsolchen Fall von nationaler Tragweite womöglich versagt zu haben. Denn die im Gutachtenvon Hackenbroch beschriebene, dreiecksförmige Umformung der (an sichrunden) Hüftgelenkspfanne als ein typisches Beispiel für die angeborene Form derHüftverrenkung stimmte so offensichtlich mit den Photographien von dem Skelettbefunddes vermeintlichen Heinrichs überein, daß jeder Laie die Argumente des Orthopädenleicht nachvollziehen konnte und die Blamage für Fischer um so schmerzlicher,weil offensichtlich war.Die Argumente seiner Gegner ließen sich auf drei Punkte reduzieren: 1. DieFrage, ob die Hüftveränderungen traumatisch bedingt oder angeborener Naturwaren, 2. Die historische Überlieferung der Verletzung als "contritio tibiae" und3. Die Frage nach der Ursache der auffälligen Verkürzung des linken Oberschenkelknochensim Vergleich zum rechten. Fischer erkannte sehr wohl, daß dies aus medi-19 Ebd., S. 496 f.20 Die wesentlichen Beiträge zu dieser Debatte sind in der Arbeit von Tilmann SCHMIDT (wie Anm. 2),S. 11, Anm. 8, aufgeführt.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die " Erbgesundh eit " Heinrichs des Löwen 237zinischer Sicht das eigentlich stichhaltige Argument Hackenbrochs war, da die ungefähr18 Monate, die Heinrich nach dem Reitunfall noch lebte, für das Entstehen einerAtrophie dieses Ausmaßes nicht ausreichten. Zunächst konterte Fischer mit einemAufsatz in einer unfallchirurgischen Spezialzeitschrift, der zum Zweck hatte, seinenRuf als anatomischer Experte wieder einigermaßen herzustellen. Fischer versuchte,die Argumente Hackenbrochs, die auf eine angeborene Luxation deuteten, zu entkräften,indem er anführte, daß die Veränderungen zwar auch für angeborene Luxationsprächen, diese aber nicht beweisen. Die von ihm am Oberschenkelhals festgestellteKnochennarbe spreche aber eindeutig für eine Fraktur. Besonders fehlten typischeSekundärbefunde einer angeborenen Luxation, wie eine Verbiegung der Lendenwirbelsäule,des Oberschenkelknochens sowie das Fehlen einer sogenannten sekundärenHüftgelenkspfanne (eine Ersatzbildung bei lange bestehender Luxation).Fischer schloß seine Ausführungen mit dem Satz: "Hält man indes alle Befundeund Deutungsmöglichkeiten zusammen, spricht mehr für eine traumatische als füreine angeborene Luxation. Ich glaube, mit diesem unbefriedigenden Schluß müssenwir uns bescheiden"21. Damit hatte Fischer zumindest ein schwaches Unentschiedenan der medizinischen Front der Debatte erzielt, allerdings ließ er die wichtige Fragenach der Ursache der Atrophie, der einseitigen Verkürzung des linken Oberschenkels,einstweilen noch ungeklärt.An der historischen Front des Disputes zeigte sich Fischer konziliant. In einemkleinen Artikel für das <strong>Braunschweig</strong>ische Jahrbuch resümierte er kurz den Inhalt seinermedizinischen Erwiderung und machte dann darauf aufmerksam, daß er 1935, soseine Behauptung, über die bestehenden Unsicherheiten bei der historischen Zuordnungund der Überlieferung des Unfalls als "contritio tibiae" nicht informiert wordensei, und fuhr fort: " ... , daß man mir von all den eigentlichen Problemen überhauptnichts sagte. Ich wurde vor den Sarkophag geführt und hatte lediglich die Aufgabe,"diese Gebeine des Herzogs Heinrich" zu untersuchen"22. Fischer schloß sich demWunsche Holtzmanns an, daß die Geschichtsforscher alles daran setzen sollten, möglicheweitere Fürsten, die mit dem Skelettfund in Verbindung gebracht werden könnten,ausfindig zu machen.Damit hatte Fischer allerdings den schwerwiegendsten Einwand, die Verkürzungdes linken Oberschenkels, noch nicht entkräftet. Diese Sache ließ Fischer keineRuhe. Wie sehr sie den mittlerweile fast achtzigjährigen Mann beschäftigte, geht auseiner Passage in seinem autobiographisch gefärbten Buch "Begegnungen mit Toten"hervor. Ein kleines Kapitel widmete er dem Grab Heinrichs des Löwen und der Kontroverse:"Mich brachte der Einwurf und der Zweifel in größte Unruhe . ... Mir kamder rettende Gedanke, daß jene Knochenschrumpfung, vielleicht überhaupt nicht imLeben vorhanden war, sondern erst postmortal entstanden sein könnte . ... Der ChirurgSudeck hat vor Jahren entdeckt, daß nach schweren Verletzungen von Knochen2. Eugen FISCHER, Angeborene oder traumatische Hüftgelenkluxation an den Herzog Heinrich demLöwen zugeschriebenen Gebeinen? In: Archiv f. Orthopädie u. Unfallchirurgie 48, 1956, S. 366.22 Ders., Neue Zweifel um das Grab Herwg Heinrich des Löwen. In: BsJb. 37, 1956, S. 137. Inwieferndiese Behauptung zutreffend ist, wird weiter unten erönert werden.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650238 N. Löschoder Gelenken im kranken Körper der Kalk aus den benachbarten Knochen gelöstund nach der Bruchstelle hintransportiert wird . ... Man nennt die Erscheinung SudeckscheDystrophie . ... Bei besonders schweren und langsam heilenden Knochenverletzungenist sie am schwersten. Meine Gedanken verfolgten nun die Lage desarmen Herzogs. Sollte er eine starke Sudecksche Dystrophie gehabt und vor derenHeilung gestorben sein ... "23.Fischer begann daraufhin, in einer speziellen Versuchsreihe abzuklären, ob Unterschiedeim postmortalen Erhaltungszustand zwischen entkalkten und normalen Knochenbestünden. Fischer entkalkte künstlich jeweils einen Oberschenkelknochen voneinem Hund, einem Schwein, einer Ziege und einem Menschen und überließ dieseund je ein unbehandeltes Gegenstück für einige Wochen der Fäulnis. Und tatsächlichbrachten seine Versuche den gewünschten Beweis: Die künstlich entkalkten Knochenwaren um bis zu 20 % geschrumpft - der linke Oberschenkel des <strong>Braunschweig</strong>erSkeletts war um 15 % kürzer als der rechte. Damit hatte Fischer eine einleuchtendeErklärung für jenes Phänomen gefunden und den experimentellen Nachweisgleich mitgeliefert. Dieses Resultat erfüllte Fischer mit nicht geringem Stolz. An seinenakademischen Schüler und Intimus, Otmar Frhr. v. Verschuer, dem es gerade gelungenwar, ungeachtet aller Vorwürfe wegen seiner Vergangenheit im Dritten Reichdie humangenetische Professur an der Universität Münster zu übernehmen, schrieber über seine Experimente und das Lob, welches er von seinen Kollegen erhaltenhatte: ,,Aber gerade diese kleine Studie hat mich zu netten Versuchen geführt, die ichin der Anatomie durchführen konnte über das verschiedene Schicksal normaler undkrankhaft kalkarmer Knochen bei der Verwesung im Boden. Das Manuscript ist fastfertig. Das Ergebnis erklärt glatt die so auffällige sog. Atrophie des kranken Beinsdes Herzog Heinrich, die keine Atrophie ist, sondern postmortale Schrumpfung. CollegeRehn hier ist sehr begeistert von dieser Sache, und mir machte es grosse Freude"24.Das Ergebnis seiner Versuche veröffentlichte Fischer dann 1957 in einem eigenenAufsatz in der von ihm herausgegebenen "Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie"25.Damit hatte Fischer seiner Ansicht nach die Einwände seiner Gegner inden wesentlichen Punkten entkräftet und konnte nun selbst wieder an seine Zuschreibungdes Skelcttes an Heinrich den Löwen glauben: "Damit senkt sich die Waageschwer zugunsten meiner Diagnose und gegen die Einwände der Orthopäden. Wir23 Eugen FISCHER, Begegnungen mit Toten, Erinnerungen eines Anatomen. Freiburg i. Br. 1959, S. 2l.24 Vgl. im Nachlaß O. Frh. v. Verschuers (Privatbesitz) die Privatkorrespondenz v. Verschuer: Fischer anv. Verschuer, mBrmU v. 12.08.1956.2S Eugen FISCHER, Postmortale Knochenschrumpfung und Sudecksche Knochendystrophie, Zur Lösungder Frage nach den Gebeinen Herzog Heinrichs. In: Z. Morph. Anthrop. 48,1957, S. 113-125. Wieintensiv sich Fischer mit der Frage der Knochenschrumpfung befaßt hatte, zeigt auch seine Rezension:Ders., G. H. Boume, The Biochemistry and Physiology of Bone (Bücherbesprechung). In: Z. Morph.Anthrop.48, 1957, S. 307-310.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die" Erbgesundheit" Heinrichs des Löwen 239dürfen doch wohl beruhigt vor der Grabstätte Herzog Heinrichs stehen «26. Nach dieserEntgegnung Fischers begann die Kontroverse allmählich einzuschlafen.3. Die Perspektive der siebziger JahreErst mit dem Aufsatz von Tilmann Schmidt aus dem Jahre 1974 wurde die ganzeFrage erneut aufgerollt und der entscheidende Schritt in Richtung einer als sehr wahrscheinlichanzusehenden Klärung der Zuschreibung des Skelettes unternommen.Schmidt verfaßte einen äußerst scharfsinnigen und fundierten Artikel, der sich derwichtigsten Unklarheiten annahm. Vor allem aber stellte er eine ganz entscheidendeFrage: War das Skelett männlich oder weiblich? Bestand nicht die Möglichkeit, daßdas fragliche Skelett gar nicht einem Manne, sondern einer Frau gehörte 27 ?In seinem Aufsatz trug Schmidt Argument für Argument zusammen, um seineThese, daß das Skelett einer Frau gehörte, zu untermauern. Schmidt schlug sich aufdie Seite der Verfechter einer angeborenen Hüftdysplasie und versuchte, mit Hilfeeines weiteren medizinischen Beraters Fischers These einer traumatischen Genese zuentkräften; de facto konnte er aber zu diesem Punkt keine neuen Erkenntnisse liefern.In Schmidts Gewichtung der medizinischen Befunde spielte die Dreiecksformdes Hüftgelenkes die ausschlaggebende Rolle, da diese in den anderthalb Jahren nachdem Unfall nicht entstanden sein könne. Neue Erkenntnisse in der Frage, ob einetraumatische oder angeborene Luxation vorlag, waren aber für Schmidt gar nichtnötig, da seine Beweiskette, die für eine weibliche Leiche sprach, so überzeugend warund bis heute ist, daß die Frage der Entstehung der Luxation zweitrangig wurde.Schmidts Argumente lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:Bei der Graböffnung wurde der Steinsarg mit dem Skelett unter der Grabplatte mitdem Bildnis Mathildes von England gefunden, die Überbleibsel des Holzsarges mitder Lederhülle aber unter der Grabplatte Heinrichs des Löwen. Zweitens argumentierteSchmidt, die beiden Särge seien im Abstand von mehreren Jahren begrabenworden. Heinrich sei aber erwiesenermaßen nach Mathilde gestorben. Bei den engenGrabverhältnissen, wie sie im Dom gefunden worden seien, sei es aber einfacher gewesen,nachträglich einen Holzsarg neben einem bereits begrabenen Steinsarg zu beerdigenals umgekehrt. Drittens bestätige die historische Überlieferung nach Gerhardvon Steterburg, daß Heinrich "in dextra latere uxoris suae " begraben worden sei, d. h.nicht rechts von seiner Frau, sondern an ihrer rechten Seite. Genauso waren dieGrabplatten angeordnet, d. h. mit Blickrichtung zum Chor, rechts der Mittelachse desLängsschiffs (und damit südlich) Heinrich und links (also nördlich) Mathilde, wobeider Kopf der Leichen im Westen lag, also mit Bliek gen Osten. Mit Blickrichtung zumChor lag der Steinsarg links der Längsachse. Wenn in diesem Familiengrab Heinrich26 Ders., Neue Zweifel um das Grab Herzog Heinrich des Löwen. In: BsJb. 37,1956, (Nachtrag) S. 139.Die Ergebnisse von Fischers Versuchen sind absolut korrekt, allerdings sollte man berücksichtigen,daß Sudecksche Dystrophie selten generalisiert (d. h. den ganzen Oberschenkelknochen betreffend)auftritt, wie es als Erklärung für das Vorliegen einer so hochgradigen Schrumpfung nötig wäre.27 Vgl. Tilmann SCHMIDT (wie Anm. 2), S. 24.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650240 N. Löschder Löwe und Mathilde begraben lagen, dann muß der Steinsarg Mathilde zugeschriebenwerden (unter deren Grabplatte er ja auch gefunden wurde), da nur dannHeinrich an der rechten Seite seiner Frau lag, wie es die Quellen schilderten 28 •Viertens überprüfte Schmidt die Überlieferung über das Aussehen des Herzogpaares.Schon Holtzmann hatte darauf hingewiesen, daß Heinrich als bene compositusbezeichnet worden sei. Schmidt fügte hinzu, daß das auf dem Evangeliar Heinrichsdes Löwen abgebildete Paar etwa gleich groß sei, dies aber nur, weil Heinrichdort kniend dargestellt wurde; in Wirklichkeit müsse Heinrich beträchtlich größer alsMathilde gewesen sein 29 • Die Größe des Skeletts im Steinsarg wurde von Fischer mitetwa 163 cm beschrieben, die Überreste in der Lederhülle erstreckten sich aber nachAngaben Fischers auf mehr als 170 cm, wenngleich dort die Zahlenangaben mit Vorsichtzu genießen seien. Weiter habe man zwar bei dem Steinsarg-Skelett 12-14 cmlanges, helles Haupthaar, aber trotz intensiver Suche kein Barthaar gefunden, obwohlder Herzog immer als bärtig beschrieben wurde. In der Lederhülle fand sich aber langesdunkles Haupthaar, was für die Berichte über die Schwarzhaarigkeit des Herzogsspreche (nach Barthaaren wurde dort nicht speziell gefahndet).Der Glanzpunkt in der Argum~ntationskette Schmidts ist aber sicherlich folgendes:Anband der von Fischer vorgenommen Knochenmessungen an allen erhaltenenSkeletteilen, deren MeßprotokolI Fischer in den fünfziger Jahren dem NiedersächsischenStaatsarchiv übergeben hatte, berechnete Schmidt einen speziellen anthropologischenIndex, den Höhen-Längen-Wert der Incisura ischiadica, der aufgrund derspeziellen Verhältnisse des weiblichen Beckens geschlechtsspezifISch variiert. DerIndex hatte für das Skelett den Wert 6,06, die Durchschnittswerte für Männer liegenjedoch bei 3,9 bis 5,0, jene für Frauen zwischen 4,6 und 7,3 3 °. Hatte Heinrich derLöwe also ein gebärfreudiges Becken?Damit hatte Schmidt neben den historisch-archäologischen Argumenten nun auchnoch ein überzeugendes medizinisch-anthropologisches Argument für eine weiblicheIdentität des Skelettes im Steinsarg angeführt. So konnte er schließlich die durch historischeQuellen verbürgte besondere Religiosität Mathildes (religiosissima ducissa)als Folge ihrer angeborenen Hüftluxation interpretieren: " ... Frömmigkeit als Ausflußkörperlicher Behinderung . .. ist wohl nicht auszuschließen"31. Nach sorgfältigerErwägung und Ausschluß anderer fürstlicher Personen, die im Dom begraben wurdenund für dieses Familiengrab (es wurde ja auch noch ein Kindersteinsarg gefunden)in Frage kamen, gelangte Schmidt zu der überzeugenden These, daß das in demSteinsarg gefundene Skelett Mathilde von England, der Gemahlin Heinrichs desLöwen, zuzuschreiben sei und es nur wahrscheinlich ist, daß neben ihr, wie von allenhistorischen Quellen belegt, Heinrich der Löwe begraben wurde, der in einen zum2' Ebd., vgl. S. 12 u. 14.29 Ebd., S. 32.JO Ebd., S. 35. Fischer hatte diesen Index nicht berechnet, weil er nach den Vorschriften von R. Martinnicht nötig war. Allerdings hatte Fischer andere typische Becken-Indizes errechnet, die ebenfalls eherfür ein weibliches Becken sprechen, dazu mehr weiter unten (vgl. Anm. 45).31 Ebd., S. 43.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die nErbgesundheit" Heinrichs des Löwen 241Transport seiner Leiche gefertigten Ledersack gehüllt war und dann in einen Holzsarggebettet wurde (was vermutlich als Provisorium gedacht war).Für die <strong>Braunschweig</strong>er folgt aus Schmidts Darlegungen, daß sie mit großer Gewißheitvor dem Grab einer Frau stehen und mit guten Argumenten daran Glaubendürfen, daß es sich um Mathilde von England handelt. Weiter, daß man über dieIdentität des zu Knochenmehl verfallenen anderen Toten keine weiteren Erkenntnissemehr gewinnen kann, es aber bis zur Aufstellung einer besseren Theorie als wahrscheinlichangesehen werden darf, daß Heinrich der Löwe neben seiner GemahlinMathilde von England ruht.4. Was geschah 1935 wirklich und warum?Die Kontroverse wurde hier zunächst jeweils aus den historischen Perspektiven von1952-1956 und 1974 dargelegt. Faßt man aber alle verfügbaren Informationen zusammen,insbesondere auch jene, die 1935 vorgelegen haben müssen, so tauchen einigebemerkenswerte Ungereimtheiten auf, die so offensichtlich sind, daß sie nachAufklärung verlangen. Vor allem wird man nach einer Antwort auf die Frage suchenmüssen, warum bei den drei Anläufen zur Klärung der Frage nach der Grablege,1935, 1952 und 1974, jeweils ganz bestimmte Punkte ausgeklammert wurden - dasich sehr intelligente und fachlich beschlagene Wissenschaftler mit den Fragen beschäftigten,leuchten mir Antworten nicht ein, daß bestimmte wichtige Aspekte einfachübersehen wurden. Vielmehr hat es den Anschein, als ob diesen "Fehlleistungen"jeweils eine spezifische, zeitgeschichtliche Befangenheit zugrunde lag. Zentralscheint mir dabei der Versuch, genau zu rekonstruieren, was 1935 eigentlich abliefund warum bzw. warum nicht. Zwar bemühte sich auch Schmidt, auf einige Hintergründeder Graböffnung von 1935 einzugehen, doch erschöpfte er sich mit dem(richtigen) Hinweis auf den propagandistischen Versuch der Nationalsozialisten,Heinrich den Löwen als Vorreiter ihrer "Lcbensraum im Ostcn"-Politik zu vereinnahmen32 • Dennoch bleiben in Anbetracht der Entwicklung der Kontroverse (oderbesser des in drei Stufen abgelaufenen Interpretationsprozesses um das Grab Heinrichsdes Löwen) einige wesentliche Fragen unbeantwortet, die sowohl geschichtswissenschaftlichwie wissenschaftsgeschichtlich äußerst aufschlußreich sind.Zunächst die Frage, warum ausgerechnet Eugen Fischer 1935 als Gutachter an dasGrab gerufen wurde. Gab es im Dritten Reich keine anderen ausgewiesenen Archäologen?Warum wurde ein ausgesprochen vererbungswissenschaftlich orientierter Anthropologegerufen und kein Archäologe oder Paläoanthropologe? Zweitens, warumkam Fischer, der zwanzig Jahre lang Anatomie in Freiburg unterrichtet hatte, weder1935 noch 1952 auf den Gedanken, daß es sich um ein Frauenbecken handeln könnl2Zur Ideologisierung Heinrichs im Nationalsozialismus vgl. Karl ARNDT, Missbrauchte Geschichte, der<strong>Braunschweig</strong>er Dom als politisches Denkmal. In: Niederdt. Btr. Kunstg. 20, 1981, S. 213-244 undden jüngst erschienen Aufsatz v. Johannes FRIED (wie Anm. 3).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650242 N. Löschte, das er dort in der Hand hielt und nach allen Regeln der Kunst vermaß? War Fischerso dilettantisch?Warum veröffentlichte Fischer seine Arbeit nicht schon im Dritten Reich?Schmidt berichtete von einem Veröffentlichungsverbot rund um die Ausgrabungsbefunde!Warum wurde es erlassen, wenn doch angeblich Fischer (damals noch zweifelsfrei)die Identität Heinrichs des Löwen plausibel erklären konnte? Etwa weilHeinrich der Löwe etwas kleiner als angenommen und nicht schwar.lhaariger Bartträgerwar? Und selbst wenn kein Bericht veröffentlicht wurde, legte Fischer nicht in irgendeinerForm 1935 ein Gutachten vor? Tilmann Schmidt fand im Archiv zwar dasvon Fischer dort deponierte Meßprotokoll, aber kein Gutachten Fischers von 1935 -Meßprotokollja, aber keine Interpretation der Werte, wohl kaum! Und wurden 1935wirklich keine Historiker zu den aufgetretenen Problemen in <strong>Braunschweig</strong> befragt,wie Holtzmann in seinem Artikel 1953 beklagt und rügt und T. Schmidt uns glaubenmacht! Ist dem wirklich so?An dieser Stelle sei es erlaubt, einige Nachbetrachtungen zu offenen Fragen überdie Vorgänge anzustellen,die in <strong>Braunschweig</strong> im Sommer 1935 abliefen 33 •Am 18. Juni 1935 ließ der <strong>Braunschweig</strong>ische Ministerpräsident Klagges durcheinen Beamten dem Landesbischof Dr. Johnsen mitteilen, daß er beabsichtige, dieGruft Heinrichs des Löwen " ... unter Zuziehung von Sachverständigen öffnen undsie wieder in einen Zustand, welcher der Würde dieses Grabmals entspricht, versetzenzu lassen" 34. In dem Schreiben wurde angefragt, ob im Dom unter der Woche abMontag den 24. Juni Gottesdienste stattfänden, die durch die Grabungsarbeiten gestörtwürden. Dies war offensichtlich nicht der Fall. Mit der eigentlichen Grabungwurde der Landesarchäologe Dr. Hermann Hofmeister beauftragt, der über seine Tätigkeitein Grabungstagebuch führte, das erhalten geblieben ist. Nachdem die Grabplattenbeiseite geschafft worden waren und die GrabsteIle ausgehoben wurde, entdeckteman zunächst jedoch nur einem Steinsarg. Bis zu diesem Zeitpunkt wird Fischerin den historischen Quellen nicht erwähnt. Hofmeister ließ nun den großenSteinsarg öffnen und stand vor dem enttäuschend kleinen Skelett, welches noch dazuunter der Grabplatte Mathildes gefunden worden war. Jetzt kamen die ersten Zweifelauf, ob der Steinsarg die Leiche Heinrichs oder Mathildes barg. In seinem Tagebuchnotierte Hofmeister: " Der Leichnam zeigte kleine Gestalt. Vom Scheitel bis zur Fersewurden 1,62 cm gemessen. Endlich ließ sich erkennen, daß der Tote mißgestaltet war .... Am Abend des Tages, an dem der Sarkophag geöffnet wurde, es war der 27. Juni,prüfte ich die Oberlieferung über das Aussehen Heinrich d. Löwen"35.33 U1rike Strauß unternahm in einem interessanten Aufsatz eine Abklärung der Frage, welche Grabungenvor 1935 vorgenommen wurden, und konnte nachweisen, daß die Grablege Heinrichs bereits1640, 1814 und 1880 untersucht wurde, vgl. U1rike STRAUSS, Neues zu Grabungen in der Gruft Heinrichsdes Löwen im Dom zu <strong>Braunschweig</strong>. In: BsJb. 74, 1993, S. 147-164 ..14 NdsStA Wf: 12 A Neu 13, Nr. 37828. Oberforstmeister Dr. Eißfeldt an Landesbischof Johnsen. ZurPerson Klagges vgl. auch die Studie von Holger GER~ANN: Die politische Religion des NationalsozialistenDietrich K1agges. Frankfurt a. M. 1995.3' Friedrich BOCK, Um das Grab Heinrich des Löwen in SI. Blasien zu <strong>Braunschweig</strong>. In: Nds.18 31,1959, S. 271-307, hier S. 293 (Edition des Hofmeister-Tagebuchs).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die nErbgesundheit" Heinrichs des Löwen 243Aus dieser Bemerkung läßt sich die Schlußfolgerung ziehen, daß bereits der bloßeAnblick des Skelettes nicht recht zur Erwartungshaltung der Anwesenden über Heinrich(groß, schwarzhaarig) passen wollte und Hofmeister sich von Anfang an über dieBehinderung des Toten im klaren war. Die Tatsache, daß man bereits jetzt den Verdachthatte, daß es sich um das Grab Mathildcs handeln könnte, erhärtet sich dadurch,daß nun der <strong>Braunschweig</strong>er Mediziner, Prosektor Prof. Dr. Schultze, zugewgenwurde, der abklären sollte, welchen Geschlechtes das Skelett ist. D. h. auch 1935wurde in einem frühen Stadium bereits erwogen, daß es sich um ein Frauenskeletthandelt, wie die Tagebuchaufzeichnungen Hofmeisters eindeutig belegen 36 • Der Medizinerkonnte aber zu keinem Urteil gelangen, weil ihm nicht erlaubt wurde, einzelneKnochen aus dem Grab herauszunehmen und genauer zu untersuchen. Man darfdavon ausgehen, daß er die Frage ebenfalls an Hand des Beckenbefundes geprüfthätte. Nun wird aber berichtet, daß das ganze Skelett von Gewandstaub bedeckt war,d. h. dem Mediziner muß zumindest erlaubt worden sein, den Staub über dem Beckenzu entfernen, um einen Blick auf die freigelegten Knochen zu werfen. Ab diesemPunkt bis zum Eintreffen Fischers bin ich auf schriftlich nicht belegbare Schlußfolgerungenangewiesen.Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß dem <strong>Braunschweig</strong>er Prosektor die Veränderungenan der linken Hüfte genauso ins Auge fielen, wie sie 1952 den anderenmedizinischen Fachleuten auffielen (denen sie sogar nur aufgrund der Photoaufnahmenbekannt wurden). Die Tatsache der Luxation der linken Hüfte muß Prof. Schultzesofort aufgefallen sein, auch ohne die Knochen in der Hand gehabt zu haben. Dochin dem Moment, in dem das Wort Hüftluxation 1935 zum ersten Mal gefallen war,bekam die Angelegenheit eine rassenhygienische Dimension, an die 1952 niemandmehr denken wollte und 1974 Schmidt mangels Kenntnis der Hintergründe nichtdenken konnte: Der oder die Tote war nicht nur "mißgestaltet", es lag der Verdachtauf Hüftluxation vor!"Hüftluxation" war nicht irgendeine Diagnose; im Dritten Reich hatte sie eine spezifischeund hochaktuelle Bedeutung im Zusammenhang mit den neuen Erbgesundheitsgesctzcndes NS-Regimes erhalten. Das "Gesetz zur Verhütung erbkrankenNachwuchses" sah die Zwangssterilisation von Personen mit ,,schweren körperlichenMißbildungen" vor - die angeborene Form der Hüftluxation wurde hierzu gezählt 37 !Und noch am selben 27. Juni, exakt an dem Tag, an dem erstmals der Verdacht aufHüftluxation geäußert werden konnte, wurde Fischer telefonisch an die <strong>Braunschweig</strong>erGruft gerufen. Über diesen zeitlichen Zusammenhang sind wir bestens orientiert.Fischer bestätigte sein Kommen mit einem Schreiben vom selben Tag: "ImAnschLuss an unser Ferngespräch teile ich Ihnen mit, dass ich Sonnabend um 10 53Uhr in <strong>Braunschweig</strong> ankommen werde . ... Mir würde es besonders Freude machen,36 Ebd., S. 293 : .Er wurde herbeigerufen, um festzustellen, ob wir es mit einer männlichen oder weiblichenPerson zu tun hällen." Beachte auch Tilmann SCHMIDT (wie Anm. 2), S. 24.31 Fischers Schüler und späterer Nachfolger als Dir. d. KWl für Anthropologie, Otmar v. Verschuer, derehenfalls Erbgesundheitsrichter war, hatte zusammen mit Prof. F. Oaussen ein entsprechendes Gutachtenverfaßt: Ferdinand CLAUSSEN & Otmar v. VERSCHUER, Hüftverrenkung als schwere erblichekörperliche Mißbildung. Ein Gutachten. In: Erbarzt 2, 1938, S. 30 f.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650244 N. Löschden Schädel des Herzogs in die Hand zu bekommen, ich habe letztes Jahr um dieseZeit den Schwager Karls d. Großen ausgegraben, leider waren die Gebeine ganz zerfallen"38. Unter den veränderten Umständen, machte aber die (erst am 27. Juni erfolgte)Bestellung von Fischer nach <strong>Braunschweig</strong> vollkommen Sinn. Denn Fischerwar nicht nur irgendein Anthropologe, sondern gleichzeitig der Fachmann für rassenhygienischeFragen und zugleich Berliner Erbgesundheits-Oberrichter - ihn miteinem Fall zu konfrontieren, in dem es unter der spezifisch rassenhygienischen Konstellationdes Dritten Reiches darum ging, ob hier eine .. Erbkrankheit" bei einem"Helden der Deutschen Geschichte" vorlag, ist nur konsequent. Die Frage, ob hierMathilde oder Heinrich lag, war angesichts dieses "Politikums" zwar nicht unwichtig,aber doch zweitrangig geworden. Es darf auch nicht vergessen werden, daß zu diesemZeitpunkt der Holzsarg bzw. dessen Überreste und der Kindersteinsarg noch nichtentdeckt waren. Dies erfolgt erst am 1. Juli 39 •Es läßt sich aber auch nachweisen, daß (erst!) ab dem 27. Juni intensiv überprüftwurde, was die historischen Quellen über das Aussehen Heinrichs des Löwen aussagten- war er klein und hinkte? Daß Hofmeister selber erst am Abend des 27. Juni mitdieser Überprüfung begann, ist dokumentiert. In seinem Artikel von 1952 wundertesich der Mediävist Prof. Holtzmann, daß kein <strong>Braunschweig</strong>er Geschichtsforschermit der Prüfung betraut wurde, und auch Tilmann Schmidt stellt die Ereignisse sodar, also ob lediglich der Archäologe Hofmeister die historische Überlieferung untersuchthabe.Dem ist jedoch keineswegs so! Und nicht nur das - der beauftragte <strong>Braunschweig</strong>erHistoriker kam zu demselben Schluß, zu dem vierzig Jahre später Schmidt gelangte,und dies läßt sich durch Quellen belegen. Am selben Samstagmorgen, knapp zweiStunden vor der Ankunft Eugen Fischers in <strong>Braunschweig</strong>, lag das Ergebnis derNachforschungen des Geschichtsprofessors an der Technischen Hochschule <strong>Braunschweig</strong>vor. Dieser Umstand wurde als so wichtig eingestuft, daß ein schriftlicherAktenvermerk angefertigt wurde: ,,Am Sonnabend, den 29. Juni 1935, morgens etwa9 Uhr rief mich Herr Professor Roloff (Institut für Geschichte) an und teilte in Bezugauf den bei den Untersuchungen am Grabe Heinrichs des Löwen gefundenen Sargmit, er habe die Körperlänge und sonstige Größenverhältnisse [sie!!], die Haarfarbeusw. nochmals mit den geschichtlichen Oberlieferungen verglichen und das in Fragekommende Material durchgearbeitet und müsse danach mit ziemlicher Bestimmtheitsagen, daß es sich nicht um den Sarg Heinrich des Löwen, sondern um den seiner Gemahlinhandele"4o. Damit hatte Prof. Ernst Roloff in nur zwei Tagen das geschafft,38 NdsStA Wf: 12 A Neu 13, Nr. 37828. Fischer an Oberforstmeister Dr. Eißfeldt v. 27.06.1935. Bemerkenswertist diese Briefstelle insofern, weil offensichtlich noch nicht bemerkt (oder Fischer mitgeteilt)wurde, daß der Schädel in Bs. ebenfalls zerfallen war!39 Vgl. das Grabungstagebuch, ediert bei Friedrich BOCK (wie Anm. 35), S. 285 f. und S. 297. Daß manes mit einem Holzsarg zu tun hatte, wird Hofmeister erst am 2. Juli klar, die Lederhülle wird am 4. Juligeborgen.40 NdsStA Wf: 12 A Neu 13, Nr. 37828. Aktenvermerk v. Oberforstmeister Dr. Eißfeldt v. 2.07.1935.Dieses Dokument ist bei Tilmann SCHMlDl'.(wie Anm. 2), erstaunlicherweise nicht genannt, obwohl er


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die "Erbgesundheit" Heinrichs des Löwen 245was Holtzmann in seinem Artikel 1953 nicht gelang und in der Geschichtsforschungin der Bundesrepublik erst zwanzig Jahre später durch den Artikel von Schmidt von1974 erneut feststand: Der Steinsarg ist Mathilde von England zuzuschreiben!Doch der Aktenvermerk deckt noch weitere Hintergründe auf: Denn der Vermerkbelegt einwandfrei, daß Prof. Ernst Roloff schon vor dem Eintreffen von Fischer unddessen anthropologischer Untersuchung über Körpergröße und Haarfarbe der Leichein dem Steinsarg unterrichtet wurde, sonst hätte er sich nicht explizit hierauf beziehenkönnen. Fischer behauptete aber später, er habe als erster die Leiche untersucht underst einmal eine dicke Lage Gewandstaub entfernen müssen, unter der dann das Skelettzum Vorschein kam 41 •Ganz offensichtlich täuschte sich Fischer in diesem Punkt. Denn vor seinem Eintreffenwurde die Leiche durch Hofmeister oder den Mediziner Prof. Schultze kurzuntersucht, und bei dieser ersten Untersuchung wurde zumindest das Becken freigelegt,eine Längenmessung vorgenommen sowie eine Haarfarbenbestimmung durchgeführt!Vermutlich legte Fischer nur die übrigen, noch nicht berührten Teil des Skelettesfrei. Die Tatsache, daß schon vor dem Eintreffen Fischers die Knochen der Leiche(teilweise) freigelegt, aber nicht aus dem Grab herausgehoben wurden, macht esplausibel, daß man den für jeden Laien sichtbaren, für den zugezogenen <strong>Braunschweig</strong>erMediziner aber ganz augenfälligen Hüftbefund früh bemerkte, wie vorhinvermutet. Und erst dessen schockierender Befund einer möglicherweise vorliegendenErbkrankheit nach dem GzVeN machte die Zuziehung dcs Spezialisten vom BerlinerKWI für Anthropologie nötig!Ist es wirklich glaubhaft, wie Fischer in seinem kleinen Nachtrag zu der Kontroversevon 1953 behauptete, daß er an jenem Samstag, den 29. Juni 1935, an das Grabgeführt wurde, ohne daß man ihn auf das Ergebnis der Abklärungen Prof. Roloffsaufmerksam machte, weIches doch bei allen an der Grabung Beteiligten auf großesInteresse gestoßen sein dürfte? Wie lautete denn Fischers erstes Urteil, nachdem erden Fund begutachtet hatte: Stand die Frage im Vordergrund, ob hier angeboreneoder traumatische Hüftluxation vorlag oder die geschlechtsspezifische Zuordnungder Leiche?Einer der bemerkenswertesten Umstände der ganzen Angelegenheiten ist die Anfertigungund Veröffentlichung der Grabungsberichte, die erst spät und unvollständigerfolgte. Eugen Fischer deponierte 1952 sein von ihm 1935 erstelltes Meßprotokollim Niedersächsischen Staatsarchiv, doch wo blieb sein Gutachten 42 ? Fertigte er keidasArchiv konsultierte. Ich vermute, daß T. Schmidt durch dieses Dokument erst auf die Idee kam,daß es sich um ein Frauen-Skelett handeln könnte.41 Vgl. Eugen FISCHER, Heinrichs des Löwen sterbliche Reste. In: WaG, 1952, S. 234f: "Von der Leichewaren zunächst nur Teile des rechten Schienbeins und Fußknochen zu sehen, das übrige war bedecktmit schwarzbrauner, krümeliger, ziemlich trockener Masse, die aus ... vermoderten Gewebsbestandteilenoder Kleide"esten bestand. Die Masse wurde sorgfältig entfernt, wobei ich mit kleiner Kelle, mitPinseln, vor allem aber mit behutsamen Fingern das Skelett sauber freilegte .. . ".42 NdsStA Wf: 299 N 72, Dom, Maßtabelle von den Gebeinen des Herzogs / 1935 (1953). Fischer hattedieses fünfseitige Meßprotokoll persönlich unterzeichnet, mit der Bemerkung: "Die Maße und berechnetenIndizes von mir persönlich an Ort & Stelle genommen bzw, berechnet."


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650246 N. Löschnes an - wohl kaum. Verfügte er 1952 über keine Kopie mehr, oder erschienen ihmmanche Formulierungen unter Umständen etwas überarbeitungsbedürftig? Immerhinwissen wir, daß er ein Gutachten erstellt hatte, denn er schrieb in seinem Aufsatzvon 1953: "Ich untersuchte die Oberreste der Toten an Ort und Stelle, führte die Berechnungenund einige mikroskopische Untersuchungen in meinen Institut in BerUndurch und legte meinen Bericht am 13. Juni 1936 in <strong>Braunschweig</strong> vor. Unter dem15. Juli 1936 ließ mich der damalige Ministerpräsident Klagges bitten, von jeder Veröffentlichungzunächst abzusehen"43.Zwei Dinge fallen sofort auf: Fischer benötigte für sein Gutachten zwölf Monate,und die Ergebnisse seines Gutachtens waren anscheinend Anlaß für eine absoluteNachrichtensperre! Doch erneut irrte sich der fast achtzigjährige Fischer im Rückblick,was den Termin der Nachrichtensperre betrifft. Denn die <strong>Braunschweig</strong>ischeLandeszeitung erhielt bereits am 3. Juli 1935 eine erste Nachrichtensperre über dieUntersuchung des Grabes - also kurz nachdem die zweite Grablege mit dem verrottetenHolzsarg entdeckt wurde. Und Fischer wurde von Ministerpräsident Klaggesnicht erst am 15. Juli 1936, sondern schon ein Jahr früher, am 23. Juli 1935 mit einemVerbot belegt - warum 44 ?Untersucht man jenen Teil seines Gutachtens, der erhalten geblieben ist, genauer,also Fischers Meßprotokoll, zeigt sich, daß Fischer systematisch und pedantisch-akkuratjeden größeren Knochen des Skeletts vermessen hatte und jeweils die Referenzmethodegemäß dem anthropologischen Lehrbuch von Rudolf Martin von 1928 angegebenhatte! Neben den Werten des linken Femurs, die besonders auffällig von denWerten des rechten Gegenstücks abwichen, sind Ausrufezeichen angefügt. Weiterfällt auf, daß anders, als man nach der Lektüre des Aufsatzes von Schmidt vermutenwürde, Fischer sehr wohl eine Reihe von Beckenindizes und Parametern berechnete,die Auskunft über das Geschlecht der Leiche geben können 45 • So berechnete er auchin der Gynäkologie typische Parameter zur Beurteilung des weiblichen Beckens vorder Geburt: Der Wert für den Querdurchmesser des Beckenausganges gab er mit146 mm an, jenen für den Beckeneingang mit 140 mm. In einem Standard-Lehrbuchder Geburtshilfe werden die durchschnittlichen Werte für Wöchnerinnen mit110 mm und 130 -135 mm angegeben, d. h. auch die von Fischer selbst durchgeführtenMessungen, genau wie der von Schmidt 1974 zusätzlich ermittelte Index, legtendas Vorhandensein eines Frauenbeckens nahe, das obendrein sehr "geburtsfreund-43 Eugen FISCHER, Die anthropologische Untersuchung der Gebeine Heinrichs des Löwen. In: BsJb. 34,1953, S. 136. 1936 wurde lediglich in wenigen Exemplaren ein vorläufiger Grabungsbericht, versehenmit den Photographien des Photographen Rieger gedruckt, der aber auf die anthropologischen BefundeFischer nur oberflächlich eingeht. Ein Exemplar ist im Amt für Denkmalpflege, <strong>Braunschweig</strong>,erhalten geblieben... NdsStA Wf: 12 A Neu 13, Nr. 37828, BI. 31. Gleichlautende Verhote erhalten mit demselben DatumProf. Roloff und Prof. Meyer, der mit der Untersuchung der Lederhülle betraut war (vgl. a. a. 0.,BI. 32f.).45 NdsStA Wf: 299 N 72, Dom, Maßtabelle von den Gebeinen des Herzogs / 1935 (1953), S. 2. Fischerberechnete die Normal- und Diagonal-Conjugata, den Sagital-Durchmesser von Beckeneingang undBeckenausgang, Breitenhöhen-Index, Beckeneingangs- und Beckenausgangs-Index, LBI des Foramenobturaturn und den Breiten-Index des Beckens.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Die "Erbgesundheit" Heinrichs des Löwen 247lieh" gestaltet war 46 • Neben diesen Werten machte Fischer aber keine Ausrufezeichen,sie entgingen entweder seiner Aufmerksamkeit, oder er wollte erst gar keine aufsie lenken. Dies legt nahe, daß Fischer mit dem Problem der Hüftgelenksdysplasievollkommen voreingenommen war. Dies erklärte sich aber nur, wenn man den Befundunter der rassenhygienischen Brisanz betrachtete, die er im Dritten Reich hatte.Dem Erbgesundheits-Oberrichter Fischer waren diese Zusammenhänge geläufig, mitGeburtskunde beschäftigte er sich doch eher selten.Wenngleich ich für meine Vermutung über die bereits genannten Belege hinauskeine weiteren schriftlichen Dokumente anführen kann, halte ich es für wahrscheinlich,daß Fischer 1935 sehr wohl um die Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischenangeborener und traumatischer Hüftgelenksluxation wußte, vor allen Dingen aberwar er sich als Erbgesundhcits-Oberrichter der Konsequenzen klar: Die angeboreneForm machte den vermeintlichen Besitzer Heinrich den Löwen zum "Erbkranken",der unter den Gesetzen des Dritten Reiches wegen "schwerer körperlicher Mißbildung"gern. "GzVeN" zwangssterilisiert worden wäre. Ob Fischer diesen Aspekt inseinem Gutachten (an dem er ein geschlagenes Jahr lang feilte) differentialdiagnostischanführte oder nicht, muß solange ungeklärt bleiben, wie das Originalgutachtenvon 1936 verschollen ist. Wenn aber Fischer die angeborene Form der Luxation zumindestdifferentialdiagnostisch anführte oder diese Möglichkeit erwähnte, erklärtdies zwanglos, warum jede weitere Veröffentlichung mit einer Nachrichtensperre verhindertwurde und das Gutachten damit geheime Verschlußsache war.Als Fischer am 29. Juni das erste Mal nach <strong>Braunschweig</strong> kam, war nur eine Grabstellefreigelegt. Losgelöst von der Frage, ob es sich um ein Frauen- oder Männerskeletthandelte, muß Fischer schlagartig klar geworden sein, daß er hier zu entscheidenhatte, ob eine sterilisierungspflichtige Erbkrankheit vorlag oder nicht. Erst die am4. Juli gefundene zweite GrabsteIle mit der Lederhülle und das Ergebnis der weiterenhistorischen Abklärung (weIches vermutlich ebenfalls von Prof. Roloff geliefertwurde), daß nämlich Heinrich eineinhalb Jahre vor seinem Tode einen schwerenReitunfall mit einer wie auch immer gearteten "Beinverletzung" hatte, ermöglichteFischer eine elegante und für alle Beteiligten befriedigenden Lösung des Falles: Dasgefundene Skelett gehörte Heinrich dem Löwen, die traumatisch verursachten Spurendes Reitunfalles am linken Becken und Oberschenkel bewiesen dies. Mehr noch,das Skelett mußte nachgerade Heinrich dem Löwen gehören, denn von einem UnfallMathildes von England berichten die Quellen bekanntlich nichts! Damit bewahrtesich der patriotisch gesinnte Fischer vor der unerhörten Peinlichkeit, einen Heldender deutschen Geschichte oder dessen Gemahlin zur "erbkranken Person" zu stempeln.Johannes Fried konstatierte bezogen auf das Dritte Reich, nach einer anfänglichpositiven Einstufung Heinrichs, eine spätere " ... Abwertung des Löwen im braunenGeschichtsbild", wo Heinrich schließlich pejorativ als "Kleinsiedler" apostrophiertwurde. 47 Im Lichte der hier vorgetragenen Zusammenhänge, darf man davon ausge-.. Vgl. O. KÄSER et al. (Hg.), Gynäkologie und Geburtshilfe. Bd. 1, S. 4.4, Stuttgart 1993 .• 7 Johannes FRIED (wie Anm. 3), S. 687.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650248 N. Löschhen, daß diese Abwertung ursächlich auf die im rassenhygienischen Kontext schokkierendenErgebnissen der Grabung zurückzuführen ist - offensichtlich war auchnach dem "eleganten Gutachten" Fischers das Vertrauen von Himmler und Hitler(die beide die Gruft besucht hatten!) in die "germanischen Größe" des Löwen schwererschüttert 48 •Darf man davon ausgehen, daß Fischer diese Einzelheiten und Hintergründe Anfangder fünfziger Jahre, als er sich erneut mit dem "Fall" beschäftigte, nicht mehrpräsent waren? Machte erst die heftig geführte Kontroverse eine intensive Auseinandersetzungmit der ganzen Materie wieder nötig? Andererseits verunmöglichte geradeder in der Fachöffentlichkeit ausgetragene Streit um die richtige Diagnose es Fischer,unter Wahrung seines Ansehens, sich der "gegnerischen Meinung" anzuschließen.Der von ihm experimentell geführte, absolut korrekte Nachweis, daß entkalkteKnochen einer stärkeren postmortalen Schrumpfung unterliegen als normale Knochen,rettete ihn bei diesem wissenschaftlichen Disput vor einer Blamage.... Die Diskussion um das Aussehen Heinrichs des Löwen scheint auch innerhalb der SS nach 1935 keineswegsbeendet worden zu sein. Dies belegt ein Aktenvermerk für SS-ObersturmbannführerDr. Brandt von 1943, der allerdings befand: H" • erst nach dem Kriege [bestünde, d. V.] eine Möglichkeit,den Reichs[ührer-SS, davon in Kenntnis zu setzen." (Bundesarchiv Berlin, NS 19, Nr. 2906,BI. Zf.).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Regionalhistorische Forschungen zur NS-ZeitErgebnisse und DefizitevonHans-Ulrich LudewigEine Bestandsaufnahme der Forschung zum Nationalsozialismus im Land <strong>Braunschweig</strong>mit ihren Leistungen und Defiziten scheint heute, mehr als ein halbes Jahrhundertnach dem Ende der NS-Herrschaft, überfällig'."50 Jahre nach ... " Viele hatten skeptisch dem 8. Mai 1995 entgegengesehen. Erschien eine lange Reihe von Gedenktagen, die seit 1983 an wichtige Ereignisse derNS-Zeit im Abstand von 50 Jahren erinnerten, zu beenden. Und anschließen würdensich - in Fortsetzung dieser Sequenz - die eher "unbelasteten" Gedenktage: z. B. dieGründung des Landes Niedersachsen, die Währungsreform, die Entstehung der Bundesrepublik,die FußbaIlweltmeisterschaft 1954 usw.Wird die Erinnerung an die NS-Zeit und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismusnun in den Hintergrund treten? Zumal die NS-Zeit allein schon aufgrunddes wachsenden zeitlichen Abstandes ihre Präsenz als jederzeit abrufbare Erinnerungverliert. Es verstärken sich darüber hinaus die Tendenzen, auch in der Geschichtswissenschaft,den Nationalsozialismus zu historisieren, d. h. ihn - wie andereEpochen - in die Geschichte einzuordnen.Eine weitere Entwicklung kommt hinzu: beide deutschen Nachkriegsstaaten bezogensich in ihrem jeweiligen Selbstverständnis insofern auf den Nationalsozialismus,als sie sich in je unterschiedlicher Form als Alternative zum NS-Staat verstanden. Istmit der Vereinigung dieser Bezug und damit die NS-Zeit in Vergessenheit geraten?Hat sich zudem die Aufmerksamkeit der Historiker und der Öffentlichkeit von der erstendeutschen Diktatur auf die zweite verschoben?Ich habe nicht den Eindruck. Der Nationalsozialismus läßt uns nicht los. Das zeigtdie Resonanz auf das Buch des amerikanischen Historikers Goldhagen über den Holocaustund über den Antisemitismus der Deutschen. Das zeigt - in unserer Region -die Auseinandersetzung um die Hähndel-Ausstellung im Städtischen Museum. Daszeigen auch viele, erst jetzt öffentlich werdende, jahrzehntelang blockierte Erinnerungender damaligen Zeitgenossen.IDieser Aufsatz ist die überarbeitete Fassung eines Vortrages, den ich im Herbst 1996 beim Arbeitskreis"Andere Geschichte" gehalten habe.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650250 H.-U. LudewigDie Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus war von Anfang an für Öffentlichkeitund Geschichtswissenschaft eine politisch-moralische und wissenschaftlicheHerausforderung. Der Nationalsozialismus und seine Herrschaft waren und sind"kein normaler Gegenstand historischen Fragens" (Broslat), auch wenn die Fragestellungenund Methoden der Forschung zur NS-Zeit sich immer weniger von denenanderer Epochen unterscheiden.Das hat in erster Linie zu tun mit der Singularität der Verbrechens- und Gewaltpolitikdes Nationalsozialismus, der Widersprüchlichkeit seiner Herrschaft und den Folgendieser Herrschaft.Die Erforschung der NS-Zeit vollzog sich in engster Verbindung mit der Geschichteder Bundesrepublik, ihrem Geschichtsbewußtsein und ihrer politischen Kultur.Deshalb möchte ich einleitend einige Bemerkungen zu den unterschiedlichen Phasender NS-Forschung machen; sie bilden aueh den Bezugsrahmen für unsere regionaleBestandsaufnahme.Phasen der NS-ForschungIn den wenigen Darstellungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit überwog die Thesevom "Dämon" Hitler als Hauptverursacher der Katastrophe; der Nationalsozialismusgalt als Betriebsunfall der deutschen Geschichte. Rückbesinnung auf besseredeutsche Traditionen, Verinnerlichung und nationales Selbstmitleid wurden beschworen.Ende der 40er Jahre verbreiterte sich die Ouellenbasis durch die Publikation derNürnberger Prozeßakten und der Nachfolgeprozesse. Neue Interpretationsimpulseerhielt die bis dahin stark geistesgeschichtlich geprägte Geschichtswissenschaft in den50er Jahren von den Nachbardisziplinen, der Soziologie und der Politologie. Die Totalitarismustheoriewurde rezipiert und mit ihr der direkte Vergleich nationalsozialistischerund stalinistischer Herrschaft - ein Ansatz, der nicht zuletzt dem antitotalitärenGrundkonsens der jungen Bundesrepublik entsprach.Das neu errichtete Institut für Zeitgeschichte in München erschloß Jahr für Jahrneues Ouellenmaterial. Eine jüngere Historikergeneration begann die wichtigsten Ereignisabläufeund Institutionen empirisch zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt stand zunächstder Prozeß der Machtergreifung; es erschienen die bahnbrechenden Arbeitenvon Bracher über die Auflösung der Weimarer Republik und die Anfänge der NS­Herrschaft. Außenpolitische Themen interessierten und die Widerstandsbewegungen,freilich eingeengt auf den 20. Juli 1944.Mitte der sechziger Jahre forderte eine unruhige, politisch sensibilisierte Studentenschafteine intensivere Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, fragte nachder Vergangenheit der Hochschullehrer und begann die Abrechnung mit den Verdrängungsmechanismender Elterngeneration. Der Frankfurter Auschwitzprozeß1963, entscheidend vorangetrieben vom früheren <strong>Braunschweig</strong>er GeneralstaatsanwaltFritz Bauer, konfrontierte die Generation der Täter und Mitwisser erstmals mitden deutschen Verbrechen im Osten. Jetzt erst holte die Geschichte des Dritten Reichesdie Bundesrepublik ein.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Regionalhistorische Forschungen zur NS-Zeit 251Ernst Nolte schrieb sein Buch über den "Faschismus in seiner Epoche" und gleichzeitigbegann die Renaissance linker, sozioökonomisch argumentierender Faschismustheorien.Primat der Wirtschaft - Primat der Politik hießen die Schlagworte inden heftigen Kontroversen um die Rolle der Industrie im NS-System.Die siebziger Jahre waren geprägt von der Debatte um die innere Struktur des NS­Systems. Martin Broszats bahnbrechendes Werk über den "Staat Hitlers" fand als Taschenbuchviele Leser; endlich erschienen die bereits im zweiten Weltkrieg geschriebenenStudien von Ernst Fraenkel (Der Doppelstaat) und Franz Neumann (Behemoth)in deutscher Sprache.Sahen die einen das NS-Herrschaftssystem entscheidend bestimmt durch Hitlersunumschränkte Machtstellung und die konsequente Realisierung eines festen Programms,verwiesen die anderen auf die systemimmanente Dynamik, auf das Chaosder Zuständigkeiten, auf rivalisierende Machtgruppen. Damit stellte sich die Fragenach dem Handlungsspielraum und nach der Verantwortung der traditionellen Führungselitenin Wirtschaft, Bürokratie, Justiz und Armee neu.Anfang der 80er Jahre kam die große Stunde der Alltagsgeschichte. Und Alltagsgeschichtewar weitgehend Lokal- und Regionalgeschichte. Geschichtswerkstättenund örtliche Initiativgruppen bildeten sich; auch hier in <strong>Braunschweig</strong>. Arbeitergeschichte,Geschichte der "kleinen Leute" wollten sie erforschen; nicht nur, aber auchfür die Jahre 1933-1945. "Geschichte von unten" versprach neue Erkenntnisse überdie NS-Zeit, nicht nur über Institutionen und Strukturen, sondern über die Menschen,ihr Denken, ihr Verhalten, ihre subjektiven Wahrnehmungen. Manche, heuteganz zentrale Forschungsbereiche sind erst durch die Alltagsgeschichte entdeckt worden,z. B. Verweigerung und Resistenz zwischen Mitmachen und aktivem Widerstand,oder die Geschichte der Zwangsarbeit. Alltagsgeschichte hat die Vielfältigkeitvon Verhaltensformen in der NS-Zeit deutlich gemacht, hat auch unsere Kenntnisseüber die Herrschaftsmechanismen des Systems erweitert. Daß sie hin und wieder diezentralen politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse aus dem Augeverlor, sei kritisch angemerkt.Im "Historikerstreit" Mitte der 80er Jahre interpretierte der Historiker Ernst Nolteden Holocaust als Reaktion auf die bolschewistische Klassenvernichtung. Da solltemit der Relativierung der Verbrechen des Dritten Reiches, einschließlich des Holocausts,ein neues politisches Selbstbewußtsein der Deutschen geschaffen werden. Heftigist ihm widersprochen worden.So wichtig dieser Streit für die politische Kultur in Deutschland und für die Geschichtspolitikim Besonderen war, wissenschaftlich gesehen brachte er keine neuenErkenntnisse. Folgenreicher erwiesen sich die Veröffentlichumgen zur Sozialpolitikdes Dritten Reiches, die auf Kontinuitäten zur Zeit vor 1933, aber auch für die Zeitnach 1945 verwiesen. Wichtig und überfällig waren die Untersuchungen zu "Randgruppen",zu Zigeunern, zu Homosexuellen, zu den Zeugen Jehovas. Forschungsanstößezur Medizin und Psychiatrie kamen nicht aus der Historikerzunft, sondern vonÄrzten und Psychologen.Und heute? Nach wie vor wird die Frage nach dem historischen Standort des Nationalsozialismusin der deutschen Geschichte sehr kontrovers diskutiert. Das zeigt


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650252 H.-V. Ludewigsich u. a. am Streit um die "Modernität" des Nationalsozialismus. In jüngster Zeitsteht die NS-Gewalt- und Rassepolitik im Vordergrund; das Gestaposystem, die Rolleder Justiz, die Wehrmacht und der Vernichtungskrieg im Osten. Nicht erst seitGoldhagen beschäftigt sich die Forschung mit neuen Fragestellungen zur Vernichtungder Juden und zu den Gewaltexzessen bei Kriegsende. Allerdings, Goldhagen hat dieFrage nach den Tätern so konsequent wie kaum einer vor ihm gestellt.Alles in allem ist die zum Nationalsozialismus erschienene Literatur heute kaumnoch zu überblicken.Das gilt für <strong>Braunschweig</strong> keineswegs.Einige Zahlen sollen dies verdeutlichen: uns steht mit der jährlich im <strong>Braunschweig</strong>ischenJahrbuch erscheinenden Bibliographie ein sehr zuverlässiges Hilfsmittel zurVerfügung. Durchschnittlich sind pro Jahr 300 Titel aufgeführt, zur NS-Zeit findensich lediglich zwischen 3 und 5, die Obergrenze liegt bei 10 Titeln; sie wurde nur imJahr 1994 erreicht, dem Gedenkjahr für die Bombardierung <strong>Braunschweig</strong>s.Nun läßt sich ganz allgemein feststellen: Die frühe Forschung über den Nationalsozialismuszeigte nur wenig Interesse für regionale und lokale Untersuchungen. ImVordergrund standen die "großen" Themen. Es gab aber auch in der Öffentlichkeitnur ein geringes Bedürfnis nach Aufarbeitung der" Geschichte vor der Haustür".Das gilt auch für <strong>Braunschweig</strong>. Sicherlich, Ende der vierziger Jahre erregten dieNachkriegsprozesse in der <strong>Braunschweig</strong>er Bevölkerung großes Aufsehen: der Rieseberg-Prozeß,der AOK-Prozeß, der Prozeß gegen den NSDAP-Kreisleiter Heilig undandere Nazi-Führer und natürlich 1950 der Prozeß gegen Klagges. Eine Fülle an Informationenwurden damals bekannt, vor allem über die Gewaltexzesse 1933. Aberdie Prozesse gaben keinen Anstoß für eine intensivere Beschäftigung mit der NS-Zeit.Es fehlt übrigens bis heute eine systematische Analyse dieser Nachkriegsprozesse.<strong>Braunschweig</strong> 1930 bis 1933Am Anfang der <strong>Braunschweig</strong>er NS-Forschung steht E. A. Roloff.1961 erschien sein Buch "Bürgertum und Nationalsozialismus 1930-1933", ganzaus den Quellen heraus gearbeitet 2 • Auf Vorarbeiten konnte er sich nicht stützen. DasBuch beschreibt und analysiert vor allem die Rolle des Bürgertums in den Jahren dergemeinsamen Regierung der bürgerlichen Parteien mit der NSDAP 1930 bis 1933,sowie minutiös die nationalsozialistische Machteroberungsstrategie. Roloffs Darstellungund sein Ergebnis sind bis heute nicht überholt. Deutlich wird in diesem Buch dieDoppelfunktion, die lokalgeschichtliche Untersuchungen erfüllen müssen. Es behandeltzum einen einen Abschnitt braunschweigischer Lokalgeschichte, aber es ist aucheine Fallstudie mit wesentlichen Erkenntnissen über Ursachen und Verlauf der NS­Machteroberung insgesamt.2 Ernst August ROLoFF, Bürgertum und Nationalsozialismus 1930-1933. <strong>Braunschweig</strong>s Weg ins DritteReich, <strong>Braunschweig</strong> 1961.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Regionalhistorische Forschungen zur NS-Zeit 253Wenige Jahre später ergänzte Roloff diese Darstellung durch eine Studie über dieJahre der Weimarer Republik 3 •Beiden Darstellungen verdanken wir es, daß die Jahre 1918 bis 1933 zu der am bestenerforschten Epoche der <strong>Braunschweig</strong>er Zeitgeschichte zählen.Hinzu kommt, daß die Entwicklung in <strong>Braunschweig</strong> - wegen der frühen Regierungsbeteiligungder NSDAP im Land <strong>Braunschweig</strong> - selbstverständlich auch dieüberregionale Forschung beschäftigte. Sei es daß der Historiker R. Morsey in den renommiertenVierteljahresheften für Zeitgeschichte die Vorgänge um die in <strong>Braunschweig</strong>erfolgte Einbürgerung Hitlers beschrieb, in späteren Jahren auch M. Overesch- sogar mit einem Spiegel-Artikel 4 - sei es daß J. Noakes, M. Kater undH. Behrnds mit Untersuchungen zur Parteiorganisation auf <strong>Braunschweig</strong> eingingen 5 ,sei es P. Fritzsche mit seinem wegweisenden, in <strong>Braunschweig</strong> kaum rezipierten Buchüber die Nazifizierung des Mittelstandes 6 , sei es die überregionale Wahlforschung 7 •Zu diesen beiden Themen habe ich mich unter Anwendung neuerer Erkenntnisse derProtestforschung selbst geäußert 8 •In der Polarisierung zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum, in dem Gegenüberzweier Kulturen, das in <strong>Braunschweig</strong> extremer war als sonst im Reich, sahen B. Pollmannund ich eine wesentliche Ursache in der frühen Machtbeteiligung der Nazis in<strong>Braunschweig</strong> 9 • Birgit Pollmann, die vor drei Jahren allzu früh verstarb, hat mit ihrenUntersuchungen viel dazu beigetragen, daß die weißen Stellen in der <strong>Braunschweig</strong>erGeschichte des 20. Jahrhunderts weniger geworden sind lO • Nimmt man die für dieVorgeschichte des Dritten Reiches wichtigen Arbeiten von B. Rother über die SPD,3 Ernst August ROLOFF, <strong>Braunschweig</strong> und der Staat von Weimar. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft1918-1933, <strong>Braunschweig</strong> 1964.• Rudolf MORSEY, Hitler als braunschweigischcr Regierungsrat, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte,Jg. 8 (1960), S. 419-448; Manfred OVERESCH, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahresheftefür Zeitgeschichte, Jg. 40 (1992), S. 543-566., Jeremy NOAKEs, The NSDAP in Lower Saxony, 1921-1922. A Study of National Socialist Organization,Oxford 1971; Michael H. KATER, The Nazi Party. A Sodal Profile of Members and Leaders,1919-1945, Oxford 1983; Hanna BEHRE"D, Die Beziehungen zwischen der NSDAP-Zentrale unddem Gauverband Südhannover-<strong>Braunschweig</strong>, Frankfurt/Bem 1981.6 Peter FRITZSCHE, Rehearsals for Facism. Populism and Political Mobilization in Weimar Germany,Oxford/New York 1990.7 Jürgen W. FALTER, Hitlers Wähler, München 1991; Richard HAMILTON, Who voted for Hitler, NewYork 1982; vgl auch die Kontroverse zwischen Hamilton und Roloff: Richard HAMILTON, <strong>Braunschweig</strong>1932. Further Evidence on the Support for National Socialism, in: Central European History(1984), S. 3-35, Ernst August ROLOFF, Die bürgerliche Oberschicht in <strong>Braunschweig</strong> und der Nationalsozialismus.Eine Stellungnahme, in: Central European History (1984), S. 37-44.8 Hans-U1rich LUDEWIG, Nationalsozialismus als Protestbewegung. Machteroberung und Machtstabilisierungin <strong>Braunschweig</strong>, in: Schicht-Protest-Revolution in <strong>Braunschweig</strong> 1292 bis 1947/48, hrsg. v.Birgit POLLMANN, <strong>Braunschweig</strong> 1995, S. 175-196.9 Hans-U1rich LUDEWIG, Birgit POLLMANN, Bürgertum und Arbeiterschaft 1870-1933, in: WissenschaftlicheZeitschrift des <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesmuseums 1/1994, S. 63-98.10 Birgit POLLMANN, Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes <strong>Braunschweig</strong> seit der Mitte des vorigenJahrhunderts, in: <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch, Bd. 63 (1982), S. 95-; Birgit POLLMANN, Zum Verhältnisvon Staat und WirtSchaft in <strong>Braunschweig</strong>, in: Wemer PÖLs/K1aus Erich POLLMANN, Modeme<strong>Braunschweig</strong>ische Geschichte, Hildesheim 1982, S. 175-200.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650254 H.-V. Ludewigvon R. Bein über das Verhältnis von Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus hinzu,kann man schon feststeHen: die Zeit bis 1933 ist für <strong>Braunschweig</strong> gut erforscht 11.Es bleiben einige Lücken: die Naziftzierung des flachen Landes, überhaupt dieLage der <strong>Braunschweig</strong>er Landwirtschaft. Für die Jahre 1930 bis 1933 brauchen wirnoch weitere Informationen über das Verhalten der Bürokratie, der Polizei, der Justizund vor allem über die Kulturpolitik dieser Jahre.<strong>Braunschweig</strong> 1933-1945.Es gibt bis heute keine befriedigende Darstellung dieser zwölf Jahre; genau besehengibt es überhaupt keine Gesamtdarstellung dieser Zeit. Nur einzelne Inseln sind verhältnismäßiggut erforscht.Das Signal für die Beschäftigung mit den Jahren 1933 bis 1945 gab eine Vortragsreihe,die 1980 die Fachgruppe Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft ÖlV,initiiert von dem <strong>Braunschweig</strong>er Richter Helmut Kramer, in Zusammenarbeit mitanderen Institutionen im Städtischen Museum veranstaltete. 1980-35 Jahre nachKriegsende und 50 Jahre nach der Machtbeteiligung der Nazis in <strong>Braunschweig</strong>! DasPublikumsinteresse war außerordentlich groß. Die Vorträge wurden publiziert undgaben wichtige Impulse für die Erforschung der NS-Zeit 12 • Kramer verwies erstmalsauf die Rolle des Sondergerichts und der Justiz. Er hat an diesem Thema in mehrerenBeiträgen weitergearbeitet und insbesonders die ungebrochene Kontinuität in der Justizvon der NS-Zeit zur Bundesrepublik angeprangert 13 • Ich selbst beschäftigte michseit vielen Jahren mit dem <strong>Braunschweig</strong>er Sondergericht. Ein Überblicksaufsatz isterschienen, und zusammen mit Dietrich Kuessner werden wir wohl im nächsten Jahrunter Auswertung von vielen hundert Prozeßakten eine Gesamtdarstellung des Sondergerichtsvoriegen 14 •Dietrich Kuessner, Pfarrer aus Offieben, lernten die <strong>Braunschweig</strong>er als Historikerbei der vorhin erwähnten Veranstaltungsreihe 1980 kennen. Er sprach über die hiesigeevangelische Landeskirche im Nationalsozialismus. Auch zu diesem Thema lag bisdahin keine Untersuchung vor. Kuessner verfaßte danach wichtige Untersuchungenüber die leitenden Kirchenmänner in der NS-Zeit, veröffentlichte eine Quellensammlungzur Geschichte der Landeskirche in der NS-Zeit und schließlich als Fazit seiner11 Bernd ROTHER, Die Sozialdemokratie im Land <strong>Braunschweig</strong> 1918 bis 1933, Bonn 1990; ReinhardBEIN, Nationalsozialismus und Arbeiterbewegung im Freistaat <strong>Braunschweig</strong> zwischen 1930 und1935, in: PÖLS/POLLMANN, a. a. 0., S. 285-306; Vg\. jetzt auch: Hans-Ulrich LUDEWIG/Klaus ErlchPOLLMANN, "Machtergreifung" im Freistaat <strong>Braunschweig</strong>, in: Niedersächsische Geschichte, hrsg. v.Bernd ulrich HUCKER/Ernst SCHuBERT/Bernd WEISBROD, Göttingen 1997, S. 548-565.12 Helmut KRAM ER (Hg. ), <strong>Braunschweig</strong> unterm Hakenkreuz, <strong>Braunschweig</strong> 1981. Vg\. auch: A1fredOEHL, Der Massenmord in Rieseberg 1933, <strong>Braunschweig</strong> 1981.13 Helmut KRAM ER, Richter in eigener Sache. Zur Selbstamnestierung der Justiz nach 1945, in: Es geschahin <strong>Braunschweig</strong>, <strong>Braunschweig</strong> o. J. (1988), S. 54-73.1. Hans-Ulrich LUDEWIG, Das Sondergericht <strong>Braunschweig</strong> 1933-1945, in: Der schwierige Weg in dieNachkriegszeit. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche in <strong>Braunschweig</strong> 1945-1950, hrsg. v. KlausErich POLLMANN, Göttingen 1994, S. 264-290.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Regionalhislorische Forschungen zur NS-Zeit 255Arbeiten die Geschichte der Landeskirche 1930-1947 15 • In mehreren Aufsätzen hater das spannungsreiche Verhältnis von Staat, Kirche und Gesellschaft in der WeimarerRepublik beschrieben l6 • Wenn es für die kirchliche Zeitgeschichte die wenigsten weißenFlecken gibt, verdanken wir das Dietrich Kuessner.H. Kramer machte in der Vortragsreihe 1980 mit dem "Fall" Walter Lerche bekannt.Lerche war Vorsitzender Richter des Sondergerichts, und Lerche war nachdem Krieg als Oberlandeskirchenrat in der <strong>Braunschweig</strong>er Landeskirche in führenderFunktion tätig. Sehr spät, aber dann doch, reagierte die Landeskirche. Sie setzte1991 eine Kommission für kirchliche Zeitgeschichte ein unter Leitung von K. E. Pollmann,die die jüngste Geschichte der Landeskirche aufarbeitete. Die Ergebnisse sindin dem 1995 erschienenen Band "der schwierige Weg in die Nachkriegszeit" veröffentlichtl7 • Kernstück ist Pollmanns umfangreiche Untersuchung über die Entnazifizierungin der <strong>Braunschweig</strong>ischen Landeskirche, die, ergänzt um weitere Beiträge,auch ein Licht auf die Kirche in der NS-Zeit wirft. Für die Geschichte der Entnazifierunghat die Brsg. Landeskirche mit dieser Publikation bundesweit eine Vorreiterrolleübernommen.Die Sozial-und Wirtschaftsgeschichte der NS-Zeit ist für <strong>Braunschweig</strong> ein weitgehendunbeackenes Feld. Einige Aspekte der NS-Winschaftspolitik habe ich 1983/84zusammen mit B. Pollmann beleuchtet 18.Anfang der 80er Jahre begannen Geschichtswerkstätten und örtliche Initiativgruppenüberall in Deutschland die Lager "vor der Haustür", die Kriegsgefangenen-,Zwangsarbeiter- und die KZ-Außenlager zu untersuchen. In der <strong>Braunschweig</strong>er Regionwaren es einzelne Personen, die sich engagierten. Gerd Wysocki veröffentlichte1982 eine Studie über Zwangsarbeit bei den Reichswerken Hermann Göring. Inzwischenhat er seine Forschungen auf die betriebliche Sozialpolitik und die staatlicheGewaltpolitik ausgedehnt; gerade in der thematisierten Verbindung dieser Aspekteliegt der Wert seiner Untersuchung l9 • Eine umfassende Untersuchung über das nationalsozialistischeLagersystem in Salzgitter hat vor kurzem Gudrun Pischke vorge­Iegt2o.15 Dietrich KUESSNER, Die ev. luth. Landeskirche in <strong>Braunschweig</strong> und der Nationalsozialismus, o. O. ,1982; DERS., Landesbischof Dr. Helmuth Johnsen 1892-1947, Oftleben 1982; DERS., JohannesSchlott 1878-1953. Ein Beispiel deutsch-christlicher Theologie in der Stadt <strong>Braunschweig</strong>, <strong>Braunschweig</strong>1983; DERS., Geschichte der <strong>Braunschweig</strong>ischen Landeskirche 1892-1947, Offleben 1982.16 Die Geschichte der <strong>Braunschweig</strong>ischen Landeskirche in der Weimarer Republik ist in drei Teilen erschienen:Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte, Bd.82 (1984),S. 229-250; Bd. 85 (1987), S. 113. 147; Bd. 87 (1989), S. 155-183.17 S. Anm.13.18 Birgit POLLMANN/Hans-Ulrich LUDEWIG, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik im Lande <strong>Braunschweig</strong>1930-1939. Teil I (1930-1933), in: Brsg. Jahrbuch 65 (1984), S. 115-138; Teil 11(1933-1939), ebd., Bd. 66 (1985), S. 129-172.19 Gerd WYSOCKI, Zwangsarbeit im Stahl konzern. Salzgitter und die Reichswerke Hermann Göring1937-1945, <strong>Braunschweig</strong> 1982; DERS., Arbeit für den Krieg. Herrschaftsmechanismen in der Rüstungsindustriedes "Dritten Reichs", <strong>Braunschweig</strong> 1992.20 Gudrun PISCHKE, "Europa arbeitet bei den Reichswerken" . Das Nationalsozialistische Lagersystem inSalzgitter, Salzgitter 1995.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650256 H. -U. LudewigDer Wolfsburger Stadtarchivar J. Siegfried beschrieb bereits in den 80er Jahren exemplarischdie Lage der Zwangsarbcitcr in Wolfsburg 21 . Zusammen mit dem soebenerschienen, voluminösen Werk von Hans Mommsen über Rüstungsproduktion undZwangsarbeit im Volkswagenwerk ist damit dieser Forschungsbereich für die RegionWolfsburg erschöpfend behandelt worden 22 . Eine sehr materialreiche, mehrbändigeDokumentation zur Zwangsarbeit und zur Rüstungsproduktion im Kreis Holzmindenhat eine örtliche Initiativgruppe vorgelegt23Und für die Stadt <strong>Braunschweig</strong>? Axel Richter untersuchte 1985 das KZ-AußenlagerVechelde , das 1944 im Zusammenhang mit dem Einsatz von KZ-Häftlingen beiden Büssing-Automobilwerken errichtet wurde 24 • Seit einiger Zeit hat sich der Arbeitskreis"Andere Geschichte" des Themas Zwangsarbeit angenommen und unterder wissenschaftlichen Leitung von Karl Liedke die Ausstellung "Gesichter derZwangsarbeit" zusammengestellt. Heftige Auseinandersetzungen gibt es seit einigenJahren um die Schill-Gedenkstätte. Auf dem an das Schill-Denkmal angrenzendenGrundstück befand sich nämlich in der letzten Kriegsphase ein Außenlager des KZNeuengamme. Vor kurzem ist dazu eine Broschüre erschienen 25 - ein weiterer Bausteinfür eine Darstellung des Arbeitseinsatzes von KZ-Häftlingen, Zwangsarbeiternund Kriegsgefangenen, die aber nach wie vor für <strong>Braunschweig</strong> nicht geschrieben ist.Hier ist noch viel Forschungsarbeit, vor allem mühsame Quellenarbeit und Spurensicherungzu leisten.Daß man dabei ausgetretene Bahnen verlassen muß, um fündig zu werden, hat voreinigen Jahren Bernhild Vögel gezeigt, als sie die Geschiche des Entbindungsheimsfür Ostarbeiterinnen untersuchte und dort eine erschreckend hohe Sterberate feststellte26 • Sie suchte und fand Materialien bei Standes-, Gesundheits-, Garten- undFriedhofsämtern. Sie beleuchtete dabei die Rolle der AOK, des Gesundheitsamtes,der kassenärztlichen Vereinigung, der Industrie- und Handelskammer - Institutionen,über deren Rolle im Dritten Reich wir auch nichts wissen.Daß die Beschäftigung mit der NS-Zeit in den Schulen von zentraler Bedeutungist, bedarf keiner Erörterung. Daß in eine Bestandsaufnahme über die <strong>Braunschweig</strong>erNS-Forschung die Arbeit, das Engagement von Reinhard Bein und der Schülerder Neuen Oberschule gehört, versteht sich von selbst. Bein organisierte mit seinenSchülern 1982 eine Ausstellung zur Geschichte des Nationalsozialismus und veröf-21 Klaus-Jörg SIEGFRIED, Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit im Volkswagenwerk 1933-1945,Frankfurt/New York 1986; DERS., Das Leben der Zwangsarbeiter im VW-Werk 1939-1945, Frankfurt/NewYork 1988.22 Hans MONNsEN/Manfred GRIEGER, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf1996.23 Detief CREYDT/ August MEYER, Zwangsarbeit für die Wunderwaffen in Südniedersachsen, Bd. 1-3,<strong>Braunschweig</strong> 1992 ff.24 Axel RICHTER, Das Unterkommando Vechelde des Konzentrationslagers Neuengamme, Vechelde1985.2' Karl LIEDKE/Elke ZACHARIAS, Das KZ-Außenlager Schillstraße. Der Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingenbei der Fa. Büssing, <strong>Braunschweig</strong> 2. Auf!. 1996.26 Bernhild VÖGEL, Entbindungsheim für Ostarbeiterinnen, <strong>Braunschweig</strong>, Broitzemer Straße 200,Hamburg 1989.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Regionalhistorische Forschungen zur NS-Zeit 257fentlichte dazu eine umfangreiche Quellensammlung 27 • Er hat solche Materialien späterfür die Kaiserreichszeit, für die Weimarer Republik, für die Geschichte der <strong>Braunschweig</strong>erJuden und für die Nachkriegszeit zusammengestellt. Hinzu kommt seineUntersuchung über den Widerstand, die einzige größere Darstellung zum Widerstandin <strong>Braunschweig</strong> und zur Arbeiterbewegung in der NS-Zcit 28 •Wichtig ist die insbesonders von R. Bein geleistete Vermittlung historischer Erkenntnissean Schüler und Auszubildende. In diesem Zusammenhang ist auch die Gedenkstättenarbeitvon eminenter Bedeutung. Die Auseinandersetzungen um dieseGedenkstätten - erinnert sei an den jahrelangen Kampf in Salzgitter-Drütte - sagenviel aus über unsere politische Kultur und die Wichtigkeit von Geschichtspolitik. Vondaher kommt z. B. der Arbeit der Gedenkstätte in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttelmit ihren Veranstaltungen und Publikationen große Bedeutung zu 29 • Hierzugehören auch die didaktischen Materialien für Schüler und berufstätige Jugendlichezur NS-Zeit, die B. Vögel zum Fall E. Wazinski zusammengestellt hat. Sehr informativist auch ihr zeitgeschichtlicher Stadtführer 3o •Verhältnismäßig früh, Mitte der 60er Jahre, erschien in den <strong>Braunschweig</strong>er Werkstückenein Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt. R. Bein hat dannzwanzig Jahre später eine Quellensammlung zur Geschichte der <strong>Braunschweig</strong>er Judenin der NS-Zeit zusammengestellt 3 !. In einigen der von mir erwähnten Arbeitenfinden sich knappe Hinweise zur Arisierung jüdischer Betriebe. In unserem Buchüber das Sondergericht werden wir von bedrückenden Prozessen gegen Juden vordem Sondergericht erzählen. 1988 gab es eine Vortragsreihe zur 50. Wiederkehr desNovemberpogroms. Die Vorträge von D. Kuessner, E. A. Roloff und B. Vögel liegenin einer Broschüre gedruckt vor3 2 • Vor kurzem sind für Helmstedt und Stadtoldendorfeindrucksvolle Beschreibungen über das Schicksal der örtlichen jüdischen Gemeindenerschienen 33 •Eine Phase der NS-Zeit ist verhältnismäßig gut erforscht: das Kriegsende und dieBombardierung <strong>Braunschweig</strong>s.Ich kenne kein historisches Ereignis, zu dessen Gedenken in <strong>Braunschweig</strong> so vieleInstitutionen eine solche Fülle an Veranstaltungen angeboten haben wie zum 50. Jah-27 Reinhard BEIN, Im deutschen Land marschieren wir. Freistaat <strong>Braunschweig</strong> 1930-1945, <strong>Braunschweig</strong>1982.28 Reinhard BEIN, Widerstand im Nationalsozialismus, <strong>Braunschweig</strong> 1930-1945, <strong>Braunschweig</strong> 1985.2. Nationalsozialistische Justiz und Todesstrafe. Eine Dokumentation zur Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel,hrsg. v. Wilfried KNAUER, <strong>Braunschweig</strong> 1991.30 Bernhild VÖGEL, Ein kurzer Lebensweg. Der Fall Erna Wazinski. Arbeitsmaterialien für die schulischeund außerschulische Jugendbildungsarbeit, <strong>Braunschweig</strong> 1996; DIES., ... und in <strong>Braunschweig</strong>? Materialienund Tips zur Stadterkundung 1930-1945, <strong>Braunschweig</strong> 1996. Vgl. auch Reinhard BEIN,Zeitzeugen aus Stein, 2 Bde., <strong>Braunschweig</strong> 1995/96.31 Brunsvicensia Judaica. Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt <strong>Braunschweig</strong> 1933-1945,<strong>Braunschweig</strong> 1966; Reinhard BEIN, Juden in <strong>Braunschweig</strong> 1900-1945, <strong>Braunschweig</strong> 1984.32 "Kristallnacht" und Antisemitismus im <strong>Braunschweig</strong>er Land, Offleben 1988.33 Susanne WEIHMANN, "Die sind doch alle weggemacht". Juden in Helmstedt 1933-1945, Helmstedt1996; Christoph ERNESTI, "Sie waren unsere Nachbarn". Die Geschichte der Juden in Stadtoldendorf,Holzminden 1996.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650258 H.-U. Ludewigrestag der Bombardierung dieser Stadt. Umfangreiche Buchpublikationen erschienen;hinzu kamen Zeitzeugendokumentationen und zahlreiche Ausstellungen 34 . DieAusstellung "<strong>Braunschweig</strong> im Bombenkrieg" im Landesmuseum besuchten Zehntausende.Eine Analyse der sehr unterschiedlichen Gründe für dieses Interesse wäreeine eigene Betrachtung wert.Die historische Forschung hat sich lange Zeit um den "Krieg an der Heimatfront"recht wenig gekümmert 35 . Gespannt war man deshalb auf die <strong>Braunschweig</strong>er Beiträgeanläßlich der Gedenktage. Rudolf Prescher, im Krieg Brandingenieur und Offizierder Feuerschutzpolizei, hat sein 1955 erschienenes Buch "Der rote Hahn über <strong>Braunschweig</strong>"- nahezu unverändert - wieder aufgelegt. Eckart Grote, der seit vielen Jahrendokumentarisches Filmmaterial zur Geschichte <strong>Braunschweig</strong>s zusammenträgt,veröffentlichte "Target Brunswick". Und von dem Journalisten Günter Starke, erschien"Das Inferno von <strong>Braunschweig</strong>"36.Alle drei Bücher haben einen hohen Informationswert für die letzten Kriegsjahre,doch bei der historischen Einordnung bleiben viele Frage offen. Die Darstellungenkonzentrieren sich nahezu ausschließlich auf die Bombardierung. Die Entfesselungdes Krieges, seine Vorgeschichte, die politische, wirtschaftliche und gesellschaftlicheEntwicklung in Deutschland seit 1933 werden weitgehend ausgeklammert. Eine solcheReduzierung auf den Bombenkrieg führt zwangsläufig zu schwerwiegenden Verzerrungenund Fehlurteilen.Dabei ergäben sich bei der Beschäftigung mit dem Kriegsende viele interessanteAspekte: Machtzerfall einer Diktatur, Auflösungsprozesse von Herrschaft in einemtotalen Krieg, ungeheure Leistungsmobilisation bei gleichzeitiger Destruktivität, AIItagslebeneiner Gesellschaft im Ausnahmezustand.Am ausführlichsten geht noch das nach den Gedenktagen erschienene Buch vonK. J. Krause auf diese Fragen ein 37 .Nein, eine befriedigende Darstellung der Kriegszeit in <strong>Braunschweig</strong>, mit der Beschreibungder Wirtschafts- und Sozialstruktur unter Kriegsbedingungen, des Alltagslebens,der sich wandelnden Stimmung der Bevölkerung, des Gewaltapparates undder Gewaltexzesse gibt es nicht.Und damit bin ich bei den gewichtigen Forschungslücken:Es fehlt eine politische Geschichte der Jahre 1933-1945. Es fehlt vor allem eineumfassende Geschichte der Regierung Klagges, seiner Minister, seiner Beamten, alsodes Regierunsapparates. Es fehlt eine Geschichte der Parteiorganisation für die Stadtund für das Land <strong>Braunschweig</strong>; und für sämtliche NS-Organisationen. Wir wissen zuJ< Gerd BIEGEL, Bomben auf <strong>Braunschweig</strong>, <strong>Braunschweig</strong> 1994; <strong>Braunschweig</strong> im Bombenkrieg, TeilI-III, hrsg. v. Friedenszentrum <strong>Braunschweig</strong>, <strong>Braunschweig</strong> 1994/95.3S Eine Ausnahme war: Dieter LENT, Zur Geschichte und Bevölkerungsbilanz Niedersachsens im2. Weltkrieg, in: Beiträge zur niedersächsischen Landesgeschichte. Zum 65. Geburtstag VOn HansPatze, hrsg. v. D. BROSIUS und M. LAST, Göttingen 1984, S. 524-544.36 Rudolf PRESCHER, Der rote Hahn über <strong>Braunschweig</strong>, <strong>Braunschweig</strong> 1955, 2. Aufl. 1994; EckartGROTE, Target Brunswick, 1943-1945, <strong>Braunschweig</strong> 1994; Günter K. P. STARKE, Das Inferno von<strong>Braunschweig</strong>, Cremlingen 1994.31 Karl-loachim KRAUSE, <strong>Braunschweig</strong> zwischen Krieg und Frieden, <strong>Braunschweig</strong> 1994.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Regionalhistorische Forschungen zur NS-Zeit 259wenig über die Führungsleute, die Polizei- und Gestapochefs, die Kreisleiter. EinigeAngaben dazu finden sich zumindest im neuen Biographischen Lexikon 38 . Und esgibt keine Biographie über Klagges. Wiederum hat Dietrich Kuessner mit einer biographischenSkizze eine Schneise geschlagen 39 • Noch intensiver zu erforschen wärenimAnschluß an die Arbeit von Bernhard Stubenvoll 4o - Neugliederungspläne, diedas Beziehungsgeflecht zwischen dem Land <strong>Braunschweig</strong>, dem Gau Südhannover­<strong>Braunschweig</strong> und dem Reich beschreiben.Wir wissen zu wenig über die großen sozialen Gruppen, über Handwerker, Bauern,Angestellte, Beamte, auch zu wenig über die Arbeiterschaft. Über die Ärzte und Lehrer,über die Schulen, über das Gesundheitssystem, die Krankenhäuser und psychiatrischeAnstalten. Auf die Arbeit von J. Klieme über Neuerkerode darf man gespanntsein.Wir wußten lange Zeit sehr wenig über das Alltagsleben in <strong>Braunschweig</strong> zwischen1933 und 1945. Das hat sich ein wenig geändert seit dem Erscheinen des Briefwechsels,den Irmgard Gebensleben, die in Holland verheiratete Tochter des damaligen<strong>Braunschweig</strong>er Stadtbaurates und späteren stelIvertretenden OberbürgermeistersKar! Gebensleben mit ihrer Familie in <strong>Braunschweig</strong> führte 41 • Den Briefwechsel halteich für eine der faszinierendsten Quellen zur <strong>Braunschweig</strong>er Zeitgeschichte. Seltenläßt sich die Nazifizierung des Bürgertums so eindrucksvoll nachvollziehen wie in denBriefen aus <strong>Braunschweig</strong>. Das LOT-Theater in <strong>Braunschweig</strong> hat diese Briefe in einersehr eindrucksvollen Aufführung szenisch umgesetzt und ist dabei besonders beijungen Menschen auf große Resonanz gestoßen.Wenn wir von weißen Stellen sprechen, dann finden sie sich vor allem in der Erforschungder <strong>Braunschweig</strong>er Kulturpolitk und dem kulturelIen Leben dieser Jahre.Das Debakel der Hähndel-Ausstellung hat es gerade gezeigt: wir kennen nicht diekulturpolitischen Rahmenbedingungen, wir wissen nichts über die Ausbildungsstätten,über die Lehrer, die .,Macher" von Kultur. Wir wissen kaum etwas über daskünstlerische Schaffen im Bereich der bildenden Kunst 42 , der Literatur, des Theaters,J8 <strong>Braunschweig</strong>isches Biographisches Lexikon, hrsg. v. Horst-Rüdiger JAJtCK und Günter SCHEEL, Hannover1996.39 Dietrich KUESSNER, Dietrich Klagges. 1891-1971. Eine biographische Skizze, in: Es geschah in <strong>Braunschweig</strong>,a. a. 0., S. 13-31; Wenig ergiebig für die politische Geschichte ist Holger GERMAN, Die politischeReligion des Nationalsozialisten Dietrich Klagges, Frankfurt 1995.40 Bemhard STUBENVOLL, Das Raumordnungsgeschehen im Großraum <strong>Braunschweig</strong> 1933-1945,<strong>Braunschweig</strong> 1987. Vgl. auch: Dieter LENT, <strong>Braunschweig</strong> und Salzgitter. Der Gebietsaustausch mitPreußen 1941, in: Salzgitter. Geschichte und Gegenwart einer deutschen Stadt 1942-1992, hrsg. v.Wolfgang BENZ, München 1992, S. 78-91.41 Hedda KALSHOVEN, Ich denk so viel an Euch. Ein deutsch-holländischer Briefwechsel 1920-1949,München 1995.42 Am weitesten ist die Erforschung der NS-Architektur gediehen: lürgen SCHULTZ, Die Akademie derJugendführung der Hitlerjugend, <strong>Braunschweig</strong> 1978; Markus MITTMANN, NationalsozialistischesBauen: Die "Bemhard-Rust-Hochschule u in <strong>Braunschweig</strong> (Kant-Hochschule), <strong>Braunschweig</strong> 1993;Wilhelm LEHMANN, Das Gemeinschaftshaus (Roxy) in der Südstadt von <strong>Braunschweig</strong>, <strong>Braunschweig</strong>1993. Vgl. jetzt auch: lutta FELKE, Die Geschichte des <strong>Braunschweig</strong>er Kunstvereins 1832-1965,Hochschule f. Bildende Kunst, Diss. 1996.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650260 H.-U. Ludewigder Musik. Vor allem: wir wissen nicht, wie wir mit der NS-Kunst heute umgehen sollen.Dabei ließen sich gerade in diesem Bereich zentrale Fragen der heutigen NS-Forschungdiskutieren: Kontinuität und Tradition, Kunst und Diktatur, Ästhetisierungvon Politik, Manipulation und Konsens.Anläßlich ihres 250. Geburtstages hat die Universität <strong>Braunschweig</strong> 1995 nachjahrelangen Vorbereitungen eine voluminöse Darstellung ihrer Geschichte vorgelegt43 • Mehr als die Hälfte ist der Geschichte des 20. Jahrhunderts gewidmet; sehrausführlich wird die NS-Zeit behandelt: die Vorgänge 1932/33, die NazifIzierungderLehrenden und ihre Entnazifizierung nach 1945, das generelle Verhältnis von Technikund Nationalsozialismus, Fallstudien zur Lehrerausbildung 44 , zur Chemie, zurLuftfahrtforschung, zur Architektur, zum Luftschutz, zu einzelnen Hochschullehrern.Man muß in der deutschen Univeritätsgeschichtsschreibung schon suchen, um Vergleichbareszu finden. Nur: die Ergebnisse dieser Festschrift sind hier in <strong>Braunschweig</strong>kaum rezipiert worden. Das liegt auch an der völlig unzureichende Berichterstattungin der <strong>Braunschweig</strong>er Presse, die überhaupt bei der Behandlung historischer Themenrecht merkwürdige Schwerpunkte setzt.Wie lassen sich die Defizite in der <strong>Braunschweig</strong>er NS-Forschung erklären?Gibt es zu wenig Quellen? Sicherlich, sehr viele Akten sind bei den Bombenangriffender letzten Kriegsmonate und von den Machthabern zur Spurenverwischung vernichtetworden. Aber es gibt immer noch umfangreiches, nicht ausgewertetes Quellenmaterial;z. B. die Akten des Klagges-Prozeß und der übrigen Nachkriegsprozesse.Die NS-Justizakten und die Entnazifizierungsakten wurden in den letzten Jahren fürdie Forschung freigegeben. Das Niedersächsische Staatsarchiv in Wolfenbüttel hat inden letzten Jahren wichtige Aktenbestände der NS-Zeit verzeichnet und die Benutzungmittels Findbüeher wesentlich erleichtert. Die Zeitungen erweisen sich als wahreFundgruhen. Und schließlich die vielen Zeitzeugen!Daß wir bei der Quellensuche zuweilen ungewöhnliche, neue Wege gehen müssenhaben B. Vögel, W. Knauer, R. Bein gezeigt. Gerade der Lokal-Historiker muß dedektivischenSpürsinn entwickeln.Haben sich die "amtlich" für Aufarbeitung der Vergangenheit zuständigen Institutionenzu wenig um die NS-Zeit gekümmert?Die Universität. Auf einige am Historisches Seminar der TU <strong>Braunschweig</strong> entstandeneregionale Untersuchungen zur NS-Zeit habe ich bereits hingewiesen.Hinzu kommen noch etliche Examens-und Magisterarbeiten sowie Dissertationen.Doch unsere Beschäftigung mit der Geschichte vor Ort kam spät, und sie könnte inder Forschung und in der Lehre noch intensiver sein.43 Walter KERTZ (Hg.), Technische Universität <strong>Braunschweig</strong>. Vom Collegium Carolinum zur TechnischenUniversität 1745-1995, Hildesheim/Zürich/New York 1995.44 Zur Geschichte der Volksschullehrerbildung und der nationalsozialistischen Schulpolitik vgl. jetzt:Oaudia BEI DER WJEDEN, Vom Seminar zur Lehrerbildungsanstalt: die <strong>Braunschweig</strong>er Lehrerausbildung1918-1945, Köln 1996.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Regionalhistorische Forschungen zur NS-Zeit 261Der Geschichtsverein hat weder in den Aufsätzen seines <strong>Braunschweig</strong>ischenJahrbuchs noch in seiner Vortragsreihe einen Schwerpunkt in der NS-Zeit. DerGeschichtsverein plant zu seinem 100jährigen Bestehen eine umfangreiche Geschichtedes Landes <strong>Braunschweig</strong>, die sicherlich einige Lücken in der regionalenZeitgeschichtsforschung schließen wird.- Die hiesigen Museen leisten zweifellos wichtige historische Arbeit; freilich stehenin ihren Ausstellungs- und Vortragsprogrammen zeitgeschichtliche Themen nichtim Vordergrund. Und wie schwierig die Präsentation der NS-Zeit in Museen ist,hat vor kurzem die Hähndel-Ausstellung gezeigt.Die Stadt. Im Unterschied zu vielen anderen deutschen Großstädten hat sich<strong>Braunschweig</strong> nicht zu einer umfassenden Darstellung seiner Geschichte und damitauch nicht zur systematischen Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit entschließenkönnen. Die Bemühungen der Stadt um eine angemessene Gestaltungder Gedenkstätte "Schill-Denkmal" und die geplante Ausstellung "Kunst im Nationalsozialismusin <strong>Braunschweig</strong>" signalisieren jedoch ein Umdenken.Der Arbeitskreis "Andere Geschichte" ist aus der <strong>Braunschweig</strong>er Geschichtsarbeitnicht mehr wegzudenken. Sehe ich es recht, so hat er sich in den ersten Jahrenseines Bestehens vor allem um die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Arbeiterschaftgekümmert; erst in letzter Zeit um die Jahre 1933-1945. Es gab ebenzu viele weiße Flecken in der <strong>Braunschweig</strong>er Geschichte.Wir brauchen die vielen Initiativgruppen - stellvertretend erwähne ich das Friedenszentrum- und die engagierten Einzelforscher. Wichtig erscheint mir für die Zukunfteine verbesserte Zusammenarbeit und ein intensiverer Gedankenaustausch zwischendiesen Gruppen.Im Bereich der Gedenkstättenarbeit versucht das Historische Seminar gerade eineKoordinierung der erfreulich zahlreichen Initiativen in dieser Region. Und für dasThema NS-Kunst in <strong>Braunschweig</strong> zeichnet sich eine institutioncnübcrgrcifende,auch eine breitere Öffentlichkeit mit einbeziehende Zusammenarbeit ab.Daß Zeitgeschichtsforschung ohne finanzielle Unterstützung nicht möglich ist,muß den politisch Verantwortlichen wieder und wieder deutlich gemacht werden.Den Rotstift in diesem Bereich anzusetzen und dann - bei konkretem Anlaß - kurzatmigund beifallsheischend Forschungsergebnisse einzufordern, eine solche Politikist unglaubwürdig.Es klingt sehr platt: aber es gibt noch viel zu tun in der regionalen Forschung zurNS-Zeit. Sicherlich werden wir zur Jahrtausendwende ein Stück weiter sein. Aberwird uns dann noch die NS-Zeit interessieren? Oder werden sich die auch in der hiesigenregionalen Geschichtskultur zu beobachtenden Tendenzen verstärken, in einerMischung aus Nostalgie und historischem Spektakel nur die "positiven" Traditionender deutschen Geschichte aufzunehmen und vornehmlich an die unbelasteten Ereignisseund Personen zu erinnern? Die Pluralität unserer Geschichtskultur wird einsolch einseitiges Geschichtsbild verhindern. Denn auch in Zukunft wird die politischeKultur dieses Landes und dieser Region daran gemessen werden, welchen Stellenwertsie dem Nationalsozialismus in ihrem Geschichtsbild und ihrem Geschichtsbewußtseinzuweist.


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Kleinere BeiträgeWann kam Hieronymus von Münchhausen(1720-1791) nach Rußland?vonLeonid LewinEinige Episoden, die von dem literarischen Helden der berühmten Bücher von RudolfErich Raspe und Gottfried August Bürger, dem sogenannten "Lügenbaron",nämlich Hieronymus Freiherr von Münchhausen, erzählt worden sind, haben bekanntlichenge Verbindungslinien nach Rußland und auch zum erbittert geführtenrussischen Türkenkrieg (1735-1739). Verschiedene Forscher gehen u. a. der Fragenach, wann der junge Page von Münchhausen nach Rußland gekommen ist und ob ermöglicherweise auch persönlich an diesem Krieg beteiligt war. Die einzelnen Autorenkommen dabei auf der Grundlage von indirekten Tatsachen zu unterschiedlichenSchlußfolgerungen.Es ist inzwischen bekannt, daß von Münchhausen zuerst als Page des HerzogsAnton Ulrich von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel 1 in Rußland gedient hat und danachim Dezember 1739 in das <strong>Braunschweig</strong>ische (bis 15. April 1738 das Bevernsche 2 )Kürassierregiment als Kornett aufgenommen wurde 3 • Das Regiment war nicht beiden aktiven Kriegshandlungen mit der Türkei eingesetzt; aus diesem Grunde wird derSchluß gezogen, daß Münchhausen deshalb an diesem Krieg auch nicht teilgenommenhabe und daß somit seine Erzählungen aus diesem Krieg auf reiner Fiktion beruhenmüssen.Lassen wir das Schicksal des Literaturhelden hier einmal beiseite und betrachtendie Briefe, die im Niedersächsen Staatsarchiv in Wolfenbüttel (StA Wf) und im Staat-I AnIon U1rich d.J., Herzog von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel (1714-1776). Sein Dienst in der RussischenArmee ist beschrieben: l..eonid LEWIN, Herzog Anton Ulrich der Jüngere in Rußland bis zu seinerVerbannung (1733-1741). In: BsJb. Bd. 77,1996, S. 221-268.2 N. WOLYNSKI, Istorija leib-Gwardii kirassirskogo Ego Welitschestwa polka 1701-1901, Bd. 1, SanktPetersburg 1902.3 Alida WElSS, Wer war Münchhausen wirklich? Bodenwerder/Weser 1960. Vgl. auch A. MYLNIKOV,Zagadka barona Münchgausena. In: Newa 5, l..eningrad 1982, S. 194-199.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650264 L. Lewinlichen Archiv der alten Akten in Moskau (RGADA) vorhanden sind, und beleuchtenzwei einzelne Fakten aus dem Lebens des realen Münchhausen.Im Sommer 1737 nahm Herzog Anton Ulrich, der sich als heimlich designierterPrinzgemahl am russischen Zarenhofe bewähren sollte, im Gefolge von Feldmarschallvon M ünnich 4 und im Verband der russischen Armee aktiv an der Eroberungder türkischen Festung Otschkow teil. Im Brief an seinen Bruder Kar! 1., den regierendenHerzog von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel, teilt er nach dem Gefecht mit, daßder Page Pok ... der ein wenig piesssiert, wie auch Heimbourg 5 plessiert ist 6 • In einemweiteren Brief vom 31. August/ 10. September 1737 an den braunschweigischen LegationsratGebhard Johann von Keyserlingk, der sich als außerordentlicher Gesandtervon <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel in Rußland aufhielt, muß Anton Ulrich einetraurige Mitteilung machen, er schreibt: ... wie daß mein 2-ter Page Hohnstedt nacheiner 8-tägigen Krankheit gestern mit Todte abgegangen ... so ersuche Ihnen ... umseinen alda als Page in Diensten stehenden Bruder, welcher 14 Jahre alt, zu schreiben,um selbigen an dessen Stelle, wie auch einen nahmentlieh v. Hoym, welcher derH. v. Heimbourg sehr recommendiert, anstalt des bey Otzakov erschossenen Pagen v.Bertz, imgleichen vor den verstorbenen Schmidt einen tüchtigen andern, nacher zumPetersburg schicken 7 •Als Anton Ulrich dann von den Kriegshandlungen nach Petersburg zurückgekehrtist, bittet er in einem Schreiben an seinen Bruder Karl I. in Wolfenbüttel um die Entsendungvon zwei Pagen: ... was mir derhaien noch abgehet, sind zwei Pages, nachdem, diejenige somit in der Champagne gegangen, beide daselbst ihr Leben beschloßen.Solcher Abgang veranlaßet mich Eu: Lbd. bewehrte huldreiche Vorsorge anzuflehendas mir auffs neue ein Phar hieher aus Teutschland geschicket werden mögten 8 •Das war jedoch angesichts der Todesfälle bei den Begleitungen keine leichte Aufgabe.Darüber notiert Kar! I. in einem Handschreiben an v. Heimburg: ... ich besorgeaber, es dürfte nicht leicht einer zu finden sein 9 • Am 22. November 1737 kann erdann jedoch seinem Bruder Anton Ulrich mitteilen, daß in Platz derer verstorbenenPages werden ehestertages von hier zwey andere nahmens von Hoim und v. Münnichausenabgehen, welche sich freywillig zu der Reise anerboten und also hoffendliehmit Lust und mit allem Eifer ihre Dienste verrichten werden 10. In einem Brief anHeimburg bestätigte Herzog Kar! I. am 25. November 1737 deren Abreise: Die beydenPages von Hoijm und von Münchhausen werden diese Woche abgehen 11.• Burkard Christoph von Münnich, geb. 1683 in Neuenhuntorf (Oldenburg), war seit 1720 in russ.Diensten. Als Oberbefehlshaber errang er 1734 Erfolge im Polnischen Thronfolgekrieg und 1736-39im Türkenkrieg.5 Oberst-Leutnant August Adolph von Heimburg (1691-1767) war der Adjutant Herzog Anton U1-richs d. J.6 StA Wf 1 Alt 6 Nr. 221, BI. 149.7 StA Wf 1 Alt 22 Nr. 780, BI. 15.• Sta Wf 1 Alt 6 Nr. 221, BI. 153.9 RGADA, F. 5, op. 1, Nr. 66, BI. 1.10 StA Wf 1 Alt 22, Nr. 769. BI. 55.11 RGADA, F. 5, op. 1, Nr. 66, BI. 3.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Wann kam H. v. Münchhausen nach Rußland? 265Der genaue Termin der Abreise für die Pagen lag auf dem 2. Dezember, wie ausdem Brief Karls I. an Anton lJlrich zu sehen: Der Regierungsrath v. Eben mit denenbeiden Pagens v. Hoim und v. Münnichausen ... abgehet 12 • Die Nachricht über dieAbreise von Ebens findet sich auch im Brief Karls I. vom 2. Dezember an Heimburg13 • Damit ist der bisher unbekannte Zeitpunkt der Abreise von Münchhausensnach Petersburg definiert.Das Staatsarchiv in Wolfenbüttel verwahrt auch die zahlreichen Briefe des <strong>Braunschweig</strong>ischenLegationssekretärs in Rußland, Christoph Friedrich Groß, an GeiheimrathAugust Adolf von Cramm. Aus dem Brief vom 28. Januar/8. Februar 1738ist uns jetzt das Datum der Ankunft recht genau bekannt: Gr. v. Eben ist mit 2 Pagendiesen Tagen hier angekommen 14 • Ende Februar 1738 machte sich Herzog AntonUlrich mit seinem Gefolge erneut auf den Weg zur Armee. Es gibt keinen Grunddaran zu zweifeln, daß die neuen Pagen sich in seinem Gefolge befanden, denn dasgenau war ja der Zweck ihrer Abordnung. Aus den Meldungen v. Münnichs ist bekannt,daß Anton Ulrich im Juni bis August 1738 erneut aktiv in die Kämpfe einbezogenwar, wobei ihm besondere persönliche Tapferkeit bescheinigt wurde 15 •In den nächsten Berichten von Groß, die meistens mit Chiffre geschrieben und danachvon Cramm entziffert wurden, gibt es noch eine bisher ganz unbekannte Einzelheit,die den Übergang des - so mag man wohl interpretieren: ungestümen und vomHofdienst nicht ausgelasteten - Hieronymus Freiherr von Münchhausens aus demGefolge des Herzogs Anton Ulrich in die Armee betrifft. Im Brief vom 11.122. Dezember1739 teilt Groß mit: daß lezthin I(hro) M(ajestät) den Page ... von Münchhausenzum Fähndrich unter Cürassier Regiment gemacht, ist auf Vorbitte HerzoginBiron gesehen 16 • Diese Herzogin Biron war die Gemahlin des Hofbeamten, der -wenn man die Zarin einmal ausnimmt - in Rußland über die meiste Macht verfügte,des Herzogs von Kurland und Günstlings der Zarin Anna Iwanowna (t1740)17.Diese Tatsache vor dem Hintergrund des für diplomatische Rangordnungen und Aktivitätenaußerordentlich sensiblen Hofes erhellt das bemerkenswerte Niveau der Beziehungendes Pagen Münchhausen am russischen Hofe.Diese neuen Erkenntnisse über den Zeitpunkt der Anreise von Münchhausensnach Petersburg, seine wahrscheinlich gemachte Teilnahme am Türkenkrieg und dieprotegierte Versetzung zum Kürassierregiment, die bei Arbeiten zur Biographie desHerzogs Anton Ulrich d. J. gefunden wurden, können vielleicht die Biographie desHieronymus Freiherr von Münchhausen und damit auch manche seiner erzähltenGeschichten auf festere Füße stellen.12 StA Wf 1 Alt 22, Nr. 769, BI. 59." RGADA, F. 5, op. 1, Nr. 66, BI. 4.14 StA Wf 1 Alt 22, Nr. 787, BI. 142IS Lewin (wie Anm. 1) S. 237f.16 StA Wf Alt 22 Nr. 787, BI. 34817 Ernst Johann Reichsgraf von Biron, Herzog von Kurland, war Sekretär der Herwgin-Witwe von KurlandAnna lwanowna, die 1730 Zarin wurde; er wurde von ihr in Rußland zum Kammerherrn ernannt.


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Bibliographie zur <strong>Braunschweig</strong>ischenLandesgeschichte 1996 - mit NachträgenBerücksichtigt auch Literatur der 1978 zum Regierungsbezirk <strong>Braunschweig</strong>hinzugekommenen Kreise in Auswahlbearbeitet vonEwa WarmuthAllgemeines, Landeskunde1. ANKER, Annedörthe, Rainer ERTEL: Zur Geschichte der Wissenschaftlichen Gesellschaftzum Studium Niedersachsens und des Neuen Archivs für Niedersachsen. In:Neues Archiv f. Nds. 2. 1996. S. 23-30.2. BAUMGARTEN, Wilhelm: Von den Anfängen des fosischen Bauerndorfes bis zum RealverbandFeldmark Groß Lafferde. In: Peiner HeimatkaI. 1997. [1996.) S. 53-58,Abb.3. Bergwerke und Höhlen im Harz. Bergbaumuseen und Schau höhlen des Harzes. EinAusflug in EXPO-nierte Geologie, Geschichte und Geotope eines wiedervereinigtenGebirges. 1. Auf[. Goslar: Schadach 1996. (Faszination Mensch - Natur unter Tage.)4. BOETTICHER, Annette von: Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkreises Peine.Hannover: Hahn 1996. 334 S. (Veröff. d. Hist. Komm. f. Nds. u. Bremen. 30: GeschichtlichesOrtsverzeichnis v. Nds. 6.)5. BOTHE, Mireille, Friedhart KNOLLE: Die Waldgaststätten im Nationalpark Harz. In:Goslarer BergkaI. 1997. [1996.] S. 85-89, Abb.6. BRACHMANN, Hansjürgen: Zur Geschichte des nördlichen und östlichen Harzvorlandesin karolingisch-ottonischer Zeit. In: Nordharzer Jb. Bd 18/19. 1995. S. 9-25,7 Abb.7. BÜHL, Ulrich: "Naherholung zwischen Elm und Asse". In: Niedersachsenbuch '96Wolfenbüttel. (Hannover 1996.) S. 200-204, Abb.8. BÜSING, Wolfgang: Die Harzreise des Oldenburgers Christoph Herrnann Krafft 1824.In: Unser Harz. Jg. 44. 1996. S. 163-168,6 Abb.9. DEN ECKE, Dietrich: Bibliographie zur Geschichte und Landeskunde von Göttingenund Südniedersachsen für das Jahr 1995. . In: Göttinger Jb. Bd 44.1996. S. 291-304.10. DEVENTER, Jörg: Das Abseits als sicherer Ort? Jüdische Minderheit und christliche Gesellschaftim Alten Reich am Beispiel der Fürstabtei Corvey . Paderbom:Schöningh 1996. 230' S. (Forschungen z. Regionalgesch. 21.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650268 E. Warmuth11. ElcHsTÄDT, Ingrid, Jürgen CONRAD, Karl-Wilhelm von WINTZINGERODE-KNoRR: DieGeschichte des Raumes Gifhorn-Wolfsburg. Gifhorn 1996.) 266 S., Abb. (HeimatkundlicheSchriftenreihe d. Sparkasse Gifhorn-Wolfsburg. 12.)12. FLINDT, Stefan, Michael GESCHWINDE: Ein Haus aus der Steinzeit. ArchäologischeEntdeckungen auf den Spuren früher Ackerbauern in Südniedersachsen. Oldenburg:Isensee 1996. 64 S.13. Fundchronik Niedersachsen 1995. In: Nachrichten a. Nds. Urgesch. Bd 65. 1996.S. 241-470, 106 Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]14. Geschichte Niedersachsens - neu entdeckt. Horst Kuss, Bernd MÜTTER.(<strong>Braunschweig</strong>:) Westermann (1996.) 159 S., Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]15. GROTJAHN, Karl-Heinz: Demontage, Wiederaufbau, Strukturwandel. Aus der GeschichteNiedersachsens 1946-1996. Unter Mitarb. von Reinhard OBERSCHELP. Hameln:Niemeyer 1996. VIII, 342 S., Abb. (Veröff. d. Nds. Landesbibliothek. 15.)[<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]16. Hanse, Städte, Bünde. Die sächsischen Städte zwischen EIbe und Weser um 1500.Ausstellung, Kulturhistorisches Museum Magdeburg, 28. Mai bis 25. Aug. 1996,<strong>Braunschweig</strong>isches Landesmuseum 17. Sept. bis 1. Dez. 1996. Hrsg. von MatthiasPUHLE. Magdeburg 1996. (Magdeburger Museumsschriften. 4.) [Bd 1. Aufsätze, 658S., Abb. - Bd 2. Katalog, 327 S., Abb.]17. HEIDE, Bemd von der: Die Dörfer der Samtgemeinde Oderwald im Spiegel der IIse­Zeitung 1888-1918. (Wolfenbüttel: Verf. 1996.) 159 S., Abb.18. HERBST, Detlev, Wolfgang SCHÄFER: Gedenke und vergiB nie. Jüdisches Leben imSolling. Bilder, Berichte und Dokumente zur Ausstellung im Museum Uslar. Uslar1995. 32 S., Abb.19. HIMMELMANN, Gerhard: Das Stift SI. Cyriacus zu <strong>Braunschweig</strong> 1196/97 und dieErsterwähnung von Ortschaften im Landkreis Gifhom 1996. (Gifhom: Landkr. Gifhorn1996). 36 S. (Schriftenreihe d. Kreisarchivs Gifhorn. 10.)20. HODEMACHER, Jürgen: Beliebtes Ausflugsziel Harz. In: Braunschw. KaI. 1997. [1996.]S. 39-45, Abb.21. HOFFMANN, Hans: Der Brocken. Mythos und Geschichte. Bad Harzburg: Hoffrnann1996. 176 S., Abb.22. Jüdische Friedhöfe im Landkreis Holzminden [ ... daß ihr leben werdet ... ]. JörgMITZKAT, Fotos; Andrew SCHÄFER, Texte. (Holzminden: Mitzkat 1996.) 64 S., Abb.(Schriftenreihe d. Heimat- u. Geschichtsvereins Holzminden. 9.)23. KLüSE, Heinz, Christian LAMPE: Geschichtliches aus Neubockel und Wilsche, zweiDörfern der ehemaligen Hausvogtei Gifhorn. (Gr. Oesingen: Harms 1996.) 248 S.,Abb.24. KODETzKI, Mare: Das Konzept der "Dezentralen Konzentration" bei der Steuerungvon Stadt-Umland-Wanderungen in der Region <strong>Braunschweig</strong>. Göttingen. (Verf.)1996. 143 S., Abb. [Masch.schr.vervielf.]25. KORTZFLElscH, Albrecht v., Christoph STEINGASS: Der Harzklub. Bürgerinitiative mitTradition. 110 Jahre Harzklubarbeit. (Oausthal-Zellerfeld: Pieper) 1996. 304 S., Abb.26. KRÜGER, Torsten, Erich TÖNSPETEROTTO, Helmut ROOB: Harz. Hamm/Westf.; Leipzig:Artocolor-Verl. 1996. 79 S., Abb.27. KÜHLHoRN, Erhard: Die mittelalterlichen Wüstungen in Südniedersachsen. Bd 4.Vermutete Wüstungen, Tafeln, Nachträge. Bielefeld: Verl. f. Regionalgesch. 1996.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Bibliographie zur <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesgeschichte 269194 S., Abb., Kt. (Veröff. d. Instituts f. Hist. Landesforschung d. Univ. Göttingen.34,4.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)28. MEIBEYER, Wolfgang: Untersuchungen zur Entstehung und frühen Entwicklung vonSprakensehl in der Gogräfschaft Hankensbüuel. In: Sprakensehl 1246-1996. Dorfbuch1996. S. 7-15.29. MERKER, Ouo: 50 Jahre Niedersachsen. Ein Bericht über die Entstehung des Landesin schwieriger Zeit, hrsg. von d. Nds. Staatskanzlei. Hannover 1996. 32 S.30. Nationalpark Harz. Die Nationalparke Harz und Hochharz im Spiegel der Medien.Goslar: Ges. z. Förderung d. Nationalparks Harz e. V. 1996. 90 S., Abb.31. NEBIG, Ernst-August: Das Innerstetal und die Hubertuskapelle auf dem Hainberg.In: Niedersachsenbuch '96 Wolfenbüttel. (Hannover 1996.) S. 215-220, Abb.32. Niedersächsische Landesbibliothek. Niedersächsische Bibliographie. Bearb. vonSiegfried HÜBNER. Bd 12. Berichtsjahr 1992. 1. Abteilung. T. 1-2. (Hannover:Nds. LandesbibI.) Hameln: Niemeyer 1996. XIII, 619 S. [1. Allgemeines, Natur,Landespflege, Umweltschutz, Raumordnung, Volkskunde, Freizeitgestaltung, Sport,Siedlung, Gesellschaft, Politik, Recht, Verwaltung und Militär, Sozialpolitik und Gesundheit,Land-, Forstwirtschaft und Fischerei, Wirtschaft, Kultur, Künste, Religionund Kirche, Geschichte, Geographie, Personen. 2. Verfasserregister, Schlagwortregister.)33. Niedersachsen. Streiflichter aus 50 Jahren. (Hannover: Nds. Landeszentrale f. polit.Bildung. 1996.) 114 S., Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)34. PILGER, Andreas: Wie alt ist der Harz? Eine geologische Betrachtung. Teil 4: DerHarz in der Kreidezeit, das Nordmeer brandet am Harz. In: Allgern. Harz-Berg-Kal.1997. [1996.) S. 93-101, 14 Abb.35. PINI, Udo: Harz. Reisen mit Insider-Tips. 3., aktual. Auf]. Ostfildern: Mairs Geograph.Verl. 1996. 104 S., Abb. (Marco Polo)36. RUND, Jürgen: Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkreises Gifhorn. Hannover:Hahn 1996. 307 S. (Veröff. d. Hist. Komm. f. Nds. u. Bremen. 30: GeschichtlichesOrtsverzeichnis v. Nds. 5.)37. SCHMIDT, Marion, Thorsten SCHMIDT: Harz. Ein Führer durch Deutschlands nördlichstesMittelgebirge. 1. Aull. Wernigerode: Schmidt 1996. 79 S., Abb., Kt. (Touristen­Reihe)38. SEEDORF, Hans Heinrich: Landeskunde und Staatsbildung in Niedersachsen. In: NeuesArchiv f. Nds. 2. 1996. S. 31-45, Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)39. SEELIGER, Matthias: Bibliographie zur Geschichte des Landkreises Holzminden, 1994. In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden. Bd 14. 1996.S.185-192.40. SIEBRECHT, Fritz: Die Wallstraße mit Nr. 1 und ihre Hofbesitzer. (Uslar: Verf. 1996.)129 S., Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)41. WALLBRECHT, Andreas: Der Grabhügel von Meinersen. Besonderheiten eines 2500Jahre alten Bestattungsplatzes. Ausgrabung 1995. Mit einem Beitrag von BirgitGROSSKOPF. Gifhorn: (Landkr. Gifhorn) 1996. 72 S., Abb. (Schriftenreihe d. KreisarchivsGifhorn. 12.)42. Wanderführer Harz. Ausgew., begangen u. beschr. von Richard GOEDEKE. 6., korrig.Auf!. Stuttgart: Dt. Wanderverl. 1996. 223 S., Abb., Kt.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650270 E. Warmuth43. WELLNER, Axel: Vom Dispensatorium pharmaceuticum zur Apotheke. " Wie Altenah[Altenau) zu äner Apthek kam" . In: Allgern. Harz-Berg-Kal. 1997. [1996.)s. 68-73, Abb.44. WESSEL, Günther: Harz. 1. Aufl. München: Polyglott-Verl. 1996. 96 S., Abb., Kt.(Polyglott-Reiseführer. 613.)45. WINNEFELD, Ronald: Zur Urgeschichte des Harzes. Von der Altsteinzeit bis zur spätenBronzezeit. In: Allgern. Harz-Berg-Kal. 1997. [1996.) S. 105-112, Abb.46. Wir sind die Niedersachsen! Wer sind die Niedersachsen? Begleitheft zur Ausstellungmit Beitr. von Riehard BIRKEFEl.D, Andreas FAHL tu. a.) Hannover: Hist. Museum1996. 144 S., Abb. (Schriften d. Hist. Museums Hannover. 10.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)Quellenkunde und Historische Hilfswissenschaften47. CONRAD, Jürgen: Der goldene "Gnadenpfennig" des Herzogs Franz. In: KreiskaI.Gifhorner Heimatbuch 1997. [1996.) S. 134-138, Abb.48. DorzAUER, Winfried: Ouellenkunde zur deutschen Geschichte im Spätmittelalter. Darmstadt: Wiss. Buchges. (1996.) 589 S. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)49. GUTBROD, Werner: Der Wilde Mann auf Harzer Münzen. In: Allgern. Harz-Berg­KaI. 1997. (1996.) S. 112-117, Abb.50. JARCK, Horst-Rüdiger: Die Heiratsurkunde der Kaiserin Theophanu und das NiedersächsischeStaatsarchiv in Wolfenbüttel. In: Niedersachsenbuch '96 Wolfenbüttel.(Hannover 1996.) S. 179-183, Abb.51. KIPP, Helge: Studien zur mittelalterlichen Sammelhandschrift Cod. 1180 Helmst. derHerzog August <strong>Bibliothek</strong> Wolfenbüttel. Münster: (Verf.) 1996. 134 S.[Masch.schr. vervielf.)52. KERTSCHER, Dieter: Chorographia der Hildesheimer Stiftsfehde. In: Heimatbuch f. d.Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 43. 1997. (1996.) S. 57-63, Abb.53. MILDE, Wolfgang: Mittelalterliche Handschriften der Herzog August <strong>Bibliothek</strong> Wolfenbüttel.In: Niedersachsenbuch 96' Wolfenbüttel. (Hannover 1996.) S. 63-69,Abb.54. MUSIAL, Torsten: Staatsarchive im Dritten Reich. Zur Geschichte des staatlichen Archivwesensin Deutschland 1933-1945. Potsdam: VerI. f. Berlin-Brandenburg(1996.) 220 S. (Potsdamer Studien. 2.) [Darin u. a. Staatsarchiv Wolfenbüttel)55. NEBIG, Ernst-August: Neue und alte Karten erschließen das <strong>Braunschweig</strong>er Land.In: Niedersachsenbuch '96 WolfenbütteI. (Hannover 1996.) S. 225-231, Abb.56. ORTI, Milagros Carcel: La Ensenanza de la Paleografia y Diplomatica. Centros y cursos.Valencia 1996. 257 S. [So 30 - Nds. Staatsarchiv Wolfenbüttel)57. PÖTSCHKE, Dieter: Die Bilderhandschriften zum Sachsenspiegel. In: Nordharzer Jb.Bd 18/19. 1995. S. 53-68.58. RÜCK, Peter: Bildberichte vom König. Kanzlerzeichen, königliche Monogramme unddas Signet der salischen Dynastie. Marburg/Lahn: Institut f. Hist. Hilfswiss. 1996.193 S. (elementa diplomatica. 4.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)59. SCHUMACHER, Alma, Kar! FUCHS: Historische Grenzsteine im Raum Emmerborn. Mit5 Abb. In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden. Bd 14. 1996. S. 10-16.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Bibliographie zur <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesgeschichte 27160. VEDDELER, Peter: Das <strong>Braunschweig</strong>ische Leopardenwappen. In: Braunschw. Jb. f.Landesgesch. Bd 77. 1996. S. 23-45, 14 Abb.61. VEDDELER, Peter: Das Niedersachsenroß. Geschichte des niedersächsischen Landeswappens.(Hannover: Nds. Landeszentrale f. polit. Bildung 1996.) 160 S., 105 Abb.[<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]62. WEH KING, Sabine, Christi ne WULF: Die Inschriften und Graffiti des Klosters Mariental.In: Braunschw. Jb. f. Landesgesch. Bd 77. 1996. S. 47-150, 17 Abb.63. WIEDEN, Brage bei der: Die Urkunden der Stadt Holzmindcn im NiedersächsischenStaatsarchiv in Wolfenbüttel. Holzminden: Heimat- u. Geschichtsverein1996.45 S. (Archivarbeit im Landkr. Holzminden. 9.)Allgemeine Geschichte in zeitlicher Reihenfolge64. MAlER, Reinhard: Siedlungs- und Grabfunde der Aunjetitzer Kultur aus dem BraunkohlentagebauSchöningen, Ldkr. Helmstedt. In: Die Kunde. N. f. 47. S. 111-125,Abb.65. HÄSSLER, Hans-Jürgen: Ein Streifzug durch die Frühgeschichte in Niedersachsen.Niedersächsisches Landesmuseum Hannover. (Oldenburg: Iscnsce 1996.) 48 S.,Abb. (Begleithefte zu AussteIlungen d. Abt. Urgesch. d. Nds. Landesmuseums Hannover.6.)66. Leben-Glauben-Sterben vor 3000 Jahren. Bronzezeit in Niedersachsen. Eine niedersächsischeAussteIlung zur Bronzezeit-Kampagne des Europarates hrsg. von GünterWEGNER. (Oldenburg: Isensee 1996.) 465 S., Abb. (Begleithefte zu AussteIlungen d.Abt. Urgesch. d. Nds. Landesmuseums Hannover. 7.)67. GAEDTKE-EcKARDT, Dagmar: Bronzezeit in Niedersachsen. Informationen und Anregungenfür groß und klein. (Oldenburg: Isensee 1996.) 40 S., Abb. (Begleithefte zuAussteIlungen d. Abt. Urgesch. d. Nds. Landesmuseums Hannover. 8.)68. AHRENS, Hans: Vergessene Befestigungsanlagen im Altkreis Isenhagen. In: KreiskaI.Gifhomer Heimatbuch 1997. [1996.] S. 172-178, Abb.69. GEUENICH, Dieter: Fuldas Stellung im Reich der Karolinger und Ottonen. In: Fuldaim alten Reich. Fulda: ParzeIler 1996. S. 9-32. (Veröff. d. Fuldaer Geschichtsvereins.59.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]70. REULlNG, Ulrich: Quedlinburg. Königspfalz - Reichsstift - Markt. In: Deutsche Königspfalzen.Bd 4. Pfalzen - Reichsgut - Königshöfe. Hrsg. von Lutz FENSKE. Göttingen:Vandenhoeck u. Ruprecht 1996. S. 184-247. (Veröff. d. Max-Planck-Institutsf. Gesch. 11,4.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)71. ZoTZ, Thomas: Die Goslarer Pfalz im Umfeld der königlichen Herrschaftssitze inSachsen. Topographie, Architektur und historische Bedeutung. In: Deutsche Königspfalzen.Bd 4. Pfalzen - Reichsgut - Königshöfe. Hrsg. von Lutz FENSKE. Göttingen:Vandenhoeck u. Ruprecht 1996. S. 248-287, 14 Abb. (Veröff. d. Max-Planck-Institutsf. Gesch. 11,4.)72. RÖSENER, Wemer: Sächsische Königshöfe im Spiegel des Tafelgüterverzeichnisses.In: Deutsche Königspfalzen. Bd 4. Pfalzen - Reichsgut - Königshöfe. Hrsg. von LutzFENSKE. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 1996. S. 288-307,2 Abb. (Veröff. d.Max-Planck-Instituts f. Gesch. 11,4.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>272 E. Warmuth73. SCHLENKER, Gerlinde: Quedlinburg - Metropole des Reiches unter den Ottonen. In:Nordharzer Jb. Bd 18/19. 1995. S. 27-31.74. Byzanz und das Abendland im 10. und 11. Jahrhundert. Hrsg. von Evangelos KON­STANTINOU. Köln; Weimar; Wien: Böhlau 1996. 450 S., Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]75. ALTHOFF, Gerd: Otto 1lI. Darmstadt: Wiss. Buchges. (1996.) 243 S., Abb. (Gestaltend. Mittelalters u. d. Renaissance)76. EICKHOFF, Ekkehard: Theophanu und der König. Otto III. und seine Welt. Stuttgart:Klett-Cotta 1996.696 S., Abb.77. HECHBERGER, Wemer: Staufer und Welfen 1125-1190. Zur Verwendung von Theorienin der Geschichtswissenschaft. (Köln; Weimar; Wien:) Böhlau 1996. XI, 470 S.(Passauer historische Forschungen. 10.)78. EHLERS, Joachim: Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat. In: AusgewählteAufsätze hrsg. von Martin KINTZINGER, Bemd SCHNEIDMÜllER. Berlin: Duncker u.Humblot (1996.) S. 451-488. (Berliner hist. Studien. 21.)79. SCHNEIDMÜllER, Bemd: Heinrich der Löwe und die Welfen im mittelalterlichen Europa.In: Salzgitter-Jb. Bd 17/18. 1995/1996. S. 24-41, Abb.80. SCHMID, Alois: Dux districtus et optimus iudex. Heinrich der Löwe als Herzog vonBayern. In: Salzgiucr-Jb. Bd 17/18. 1995/1996. S. 42-61.81. WALTHER, Helmut G.: Die Städtepolitik Heinrichs des Löwen. In: Salzgiuer-Jb. Bd17/18. 1995/1996. S. 62-75.82. SPRINGER, Matthias: Europäische Bezüge in der Geschichte des Harzes während desHochmittelalters. In: Nordharzer Jb. Bd 18/19. 1995. S. 33-51.83. SEGNER, Eberhard: Schladener Grafen in Riga. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel.Jg.43.1997. [1996.] S. 119-124.84. RIES, Rotraud: Strukturen frühneuzeitlicher Judenpolitik in <strong>Braunschweig</strong>-Calenberg.In: Juden in Südniedersachsen. Geschichte, Lebensverhältnisse, Denkmäler.Hrsg.: Rainer SABELLECK. Hannover: Hahn 1994. S. 11-56. (Schriftenreihe d. Landschaftsverb.Südnds. 2.)85. BOBLENZ, Frank: Aspekte der Harzschützenbewegung 1629 im Unterharz. In: NordharzerJb. Bd 18/19. 1995. S. 93-108,2 Kt.86. MAYER, Helmut: Christian der Jüngere Herzog von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg-Wolfenbüttel.Verwundung, Amputation und Tod. Ein Arm ohne Fleisch und Blut. In:Braunschw. Jb. f. Landesgesch. Bd 77.1996. S. 181-201,5 Abb.87. SCHNETTGER, Matthias: Der Reichsdeputationstag 1655-1663. Kaiser und Ständezwischen Westfälischem Frieden und Immerwährendem Reichstag. Münster:Aschendorff 1996. 415 S. (Schriftenreihe d. Vereinigung z. Erforschung d. neuerenGesch. 24.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]88. LECAM, Jean-Luc: La politique scolaire di\ugust Le Jeune de Brunswick-Wolfenbüttelet l'inspecteur Christoph Schrader 1635-1666/80. Vol. 1-2. (Wolfenbüttel: HerzogAugust <strong>Bibliothek</strong>;) Wiesbaden: Harrassowitz 1996. 1061 S. (WolfenbüttelerForschungen. 66: Jean-Luc LeCam. Politique, contröle et Tt:alite scolaire en Allemagneau sortir de la guerre de Trente Ans. 1.)89. KWAN, Elisabeth E.: Vor der Sonne verblassen die Sterne. Vor 200 Jahren starb KöniginElisabeth Christine von Bevem-Preußen. In: Braunschw. KaI. 1997. [1996.] S.59-66,Abb.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Bibliographie zur <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesgeschichte 27390. LINDIiMANN, Mary: Health and healing in eighteenth-century Germany. BaItimorcand London: Johns Hopkins University Press (1996.) XII, 506 S., Abb. (fhe JohnsHopkins University Studies in Historical a. Political Science. Sero 114, 4.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)91. BEISSWANGER, Gabriele: Arzneimittelversorgung im 18. Jahrhundert. Die Stadt<strong>Braunschweig</strong> und die ländlichen Distrikte im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel.(<strong>Braunschweig</strong>: Dt. Apotheker-Verl. 1996.) 296 S. (Braunschw. Veröff. z. Gesch.d. Pharmazie u. Naturwiss. 36.)92. HEINRICHS, Jens: Die Lotterie im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel im 18. Jahrhundert.Göttingen: (Verf.) 1995. 172 S. [Masch.schr.vervielf.]93. HucK, Stephan Erich: Aufstellung <strong>Braunschweig</strong>er Truppen für den nordamerikanischenUnabhängigkeitskrieg. Hamburg: (Verf.) 1996.87 S. [Masch.schr.vervielf.]94. GROSSE-LösCHER, Gerhard: <strong>Braunschweig</strong>ische Kavallerieblankwaffen des 18. Jahrhunderts.In: Waffen u. Kostümkunde. Bd 38. 1996. S. 129-142, 12 Abb.95. LEWIN, Leonid: Herzog Anton Ulrich der Jüngere in Rußland bis zu seiner Verbannung. In: Braunschw. Jb. f. Landesgcsch. Bd 77.1996. S. 221-268,7 Abb.96. SALENTIN, Ursula: Anna Amalia. Wegbereiterin der Weimarer Klassik. (Köln; Weimar;Wien:) Böhlau (1996.) 230 S., Abb.97. WERNER, Charlotte Marlo: Goethes Herzogin Anna Amalia. Fürstin zwischen Rokokound Revolution. Düsseldorf: Droste (1996.) 351 S., Abb.98. KWAN, Elisabeth: Herzogin Augusta von <strong>Braunschweig</strong>. In: Heimatbuch f. d. Landkr.Wolfenbüttel. Jg. 43.1997. [1996.] S. 28-43, Abb.99. DÜWEL, Andreas: Sozialrevolutionärer Protest und konservative Gesinnung. DieLandbevölkerung des Königreichs Hannover und des Herzogtums <strong>Braunschweig</strong> inder Revolution von 1848/49. Frankfurt/Main; Berlin; Bem; New York; Paris; Wien:Peter Lang 1996. 287 S.100. Hochschulpolitik im Föderalismus. Die Protokolle der Hochschulkonferenzen derdeutschen Bundesstaaten und Österreichs 1898 bis 1918. Hrsg. von Bemhard vomBROCKE und Peter KRÜGER. (Berlin:) Akademie Verl. (1994.) 497 S. [<strong>Braunschweig</strong>­Bezug]101. MEHNERT, Wolfgang: Republikschutz im Freistaat <strong>Braunschweig</strong>. Sepp Oerter unddas TAH-Verbot von 1923. In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden. Bd 14. 1996.S. 93-108. [Betr. Täglicher Anzeiger Holzminden)102. CREYDT, Detlef: Zwangsarbeit für Rüstung, Landwirtschaft und Forsten im Oberwesergebiet1939-1945. Bd 3. (Holzminden: Mitzkat 1996.) 255 S., Abb.103. BARANOWSKI, Frank: Geheime Rüstungsprojekte in Südniedersachsen und Thüringenwährend der NS-Zeit. Duderstadt: Mecke 1995. 271 S., Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]104. DREWNOWSKI, Jerzy: "Feind bleibt Feind". Die "<strong>Braunschweig</strong>er Tageszeitung" alshistorische Quelle zur Geschichte der Zwangsarbeit in Stadt und Region Wolfenbüttel1939-1945. In: Braunschw. Jb. f. Landesgesch. Bd 77.1996. S. 269-294,4 Abb.105. NUNNENKAMP, Karl: Aus dem Besitz des Holzmindener Stadtmuseums: "Reisekoffer"eines entlassenen Kriegsgefangenen. Mit 1 Abb. In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden.Bd 14. 1996. S. 135-140.106. FREI, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS­Vergangenheit. München: Beck (1996.) 464 S. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650274 E. Warmuth107. Landstände und Landtage. Der Weg zur demokratischen Volksvertretung in Niedersachsen.Katalog zur Ausstellung des Nds. Hauptstaatsarchivs aus Anlaß des 50. Jahrestagesder Gründung des Landes Niedersachsen 2. Nov. bis 20. Dez. 1996 imNds. Landtag. Hrsg.: (Horst MILDE). Hannover 1996. 255 S., Abb. [<strong>Braunschweig</strong>­Bezug]108. SUCKOW, Achim: Regionale Traditionen und Rechtsextremismus im nordwestlichenNiedersachsen. In: Rechtsradikalismus in der politischen Kultur der Nachkriegszeit.Hrsg. von Bernd WEISBROD. Hannover 1996. S. 207-255. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte109. CASEMIR, Kirstin, Uwe OHAINSKI: Das Herzogtum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel inseiner größten Ausdehnung. Die Amtszugehörigkeit der Städte, F1ecken, Dörfer undgeistlichen Einrichtungen der Fürstentümer Wolfenbüttel, Calenberg, Grubenhagensowie der Grafschaften Hoya, Honstein, Regenstein-Blankenburg um 1616. Göttingen:(Verf.) 1996. 87 S.110. CASEMIR, Kirstin, Uwe OHAINSKI: Das Territorium der Wolfenbütteler Herzöge um1616. Verzeichnis der Orte und geistlichen Einrichtungen der Fürstentümer Wolfenbüttel,Calenberg, Grubenhagen sowie der Grafschaften Hoya, Honstein, Regenstein-Blankenburgnach ihrer Verwaltungszugehörigkeit. (Wolfenbüttel:) Braunschw.Geschichtsverein 1996. 119 S. (Beih. z. Braunschw. Jb. 13.)111. DISCHER, Luba: "Ein frey Geleit" für den Scharfrichter. In: Landkr. Helmstedt.Kreisbuch 1997. [1996.] S. 29-33, 1 Abb.112. GITTEL, Udo: Die Aktivitäten des Niedersächsischen Reichskreises in den Sektoren"Friedenssicherung" und "Policey" . Hannover: Hahn 1996. 351 S.(Veröff. d. Hist. Komm. f. Nds. u. Bremen. 35: Quellen u. Untersuchungen z. allgern.Gesch. Nds. i. d. Neuzeit. 14.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]113. SCHMIDT, Burkhard: Der Herzogsprozeß. Ein Bericht über den Prozeß des welfischenHerzogshauses gegen den Freistaat <strong>Braunschweig</strong> und das Kammergut .(Wolfenbüttel:) Braunschw. Geschichtsverein 1996. 184 S., Abb. (Beih. z.Braunschw. Jb. 12.)Kirchengeschichte114. EHLERs, Joachirn: Die Anfänge des Klosters Riddagshausen und der Zisterzienserorden.In: Ausgewählte Aufsätze hrsg. von Martin KINTZINGER, Bernd SCHNEIDMÜLLER.Berlin: Duncker u. Humblot (1996.) S. 489-520. (Berliner hist. Studien. 21.)115. GÖHMANN, Herbert: Taufengel im Kirchenkreis Holzminden. Mit 8 Abb. In: Jb. f. d.Landkr. Holzminden. Bd 14. 1996. S. 49-66.116. GRAF, Sabine: Von der Pfründe zur Pfarrerbesoldung. Die Finanzierung der Pfarrerseelsorgein Goslar vor und nach der Reformation. In: Jb. d. Ges. f. nds. Kirchengesch.Bd 94. 1996. S. 21-49.117. HANKEL, Hans Peter: Die reichsunmittelbaren evangelischen Damenstifte im AltenReich und ihr Ende. Eine vergleichende Untersuchung. (Frankfurt/Main; Berlin;


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Bibliographie zur Braunsch weigischen Landesgeschichte 275Bem; New York; Paris; Wien:) Peter Lang (1996.) 223 S. (Europ. Hochschulschriften.R. 3: Gesch. u. ihre Hilfswiss. 712.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]118. HEUTGER, Nikolaus: Niedersächsische Klöster. Eine Festgabe zum 50. Jubiläum desLandes Niedersachsen. Bielefeld: Verl. f. Regionalgesch. 1996. 112 S., Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Rezug)119. JAKUBOWSKI-TIESSEN, Manfred: Religiöse Konflikte und soziale Proteste. Bergarbeiterunruhenund radikalpietistische Bewegungen im Oberharz im 18. Jahrhundert. In:Jb. d. Ges. f. nds. Kirchengesch. Bd 94. 1996. S. 123-138.120. JÜRGENS, Klaus: Lutherische Erneuerung unter Herzog August Wilhelm und AbtGottlieb Treuer. Wolfenbüttel: Landeskirchenamt 1996. 24 S., Abb. (Quellen u.Beitr. z. Gesch. d. EV.-luth. Landeskirche in <strong>Braunschweig</strong>. 3.)121. Kirche, Frömmigkeit und Theologie im 12. Jahrhundert. Beiträge zu Heinrich demLöwen und seiner Zeit. Hrsg. von Gerhard MÜLLER, mit Beiträgen von Ulrich KÖPFtu. a.). Wolfenbüttel: Landeskirchenamt 1996. 88 S., Abb. (Quellen u. Beitr. z.Gesch. d. EV.-Iuth. Landeskirche <strong>Braunschweig</strong>. 4.)122. KRUMWIEDE, Hans-Walter: Kirchengeschichte Niedersachsens. Erster und zweiterTeilband. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht (1996.) 633 S., Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)123. LAUWIGI, Wolfgang: Der Petershof. Residenz der Halberstädter Bischöfe in derDomburg zu Halberstadt. In: Nordharzer Jb. Bd 18/19. 1995. S. 69-86, 6 Abb.124. MAGER, Inge: "Prima tonsura sey inuentum et traditio ... Antichristi Papae". ZurTonsurierung dreier evangelischer Fürstensöhne im Kloster Huysburg im Jahre 1578.In: Jb. d. Ges. f. nds. Kirchengesch. Bd 94. 1996. S. 109-121, Abb.125. SCHORN-SCHÜTTE, Luise: Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit. Deren Anteilan der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. Dargestellt am Beispieldes Fürstentums <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel, der Landgrafschaft Hessen-Kasselund der Stadt <strong>Braunschweig</strong>. (Gütersloh:) Gütersloher Verl.-Haus (1996.) 635 S.(Quellen u. Forschungen z. Reformationsgesch. 62.)126. SEVEN, Friedrich: Die Goslarer Reformation und der Kampf um die Rechte am Rammelsberg.In: Jb. d. Ges. f. nds. Kirchengesch. Bd 94. 1996. S. 75-93.127. VOGTHERR, Thomas: Kardinal Raimund Peraudi als Ablaßprediger in <strong>Braunschweig</strong>. In: Braunschw. Jb. f. Landesgesch. Bd 77.1996. S. 151-180.128. WANDERSLEB, Martin: Luthertum und Bilderfrage im Fürstentum <strong>Braunschweig</strong>­Wolfenbüttel und in der Stadt <strong>Braunschweig</strong> im Reformationsjahrhundert. (Helmstedt:)Verf. (1996.) 214 S., Kt.Wirtschafts- und VerkehrsgeschichteBergbau129. BÖTTCHER, Horst: Wasserturbinen im Wilhelm-Schacht. In: Allgem. Harz-Berg-Kal.1997. [1996.] S. 54-58, Abb.130. eLEMENT, Martin: Tausend Jahre Metallerzbergbau in Mitteleuropa. Ein Beitrag zuseinem Ende, dargestellt am Blei-Zink-Silber-Erzbergwerk Rammelsberg. Essen:Glückauf 1996. 90 S., Abb.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>276 E. Warmuth131. KLÖSSEL, Eberhard: Die Entwicklung der Technik im Rammelsberger Bergbau. In:Goslarer Bergkal. 1997. [1996.] S. 35-40, Abb.132. Kolloquium zur Geschichte der Berg- und Hüttenmännischen Wasserwirtschaft desHarzes, zugleich 7. Arbeitstagung Historisches Montanwesen des Harzes. Oausthal­Zellerfeld: Arbeitsgern. Harzer Montangeseh. 1996. 172 S., Abb.133. LAMPE, Wolfgang: 100 Jahre Grubenbahn im Oberharz. In: Allgern. Harz-Berg-Kal.1997. [1996.] S. 46-53,9 Abb.134. LAUB, Gerhard: Das ältere Berg- und Metallhüttenwesen zwischen Gittelde undSt. Andreasberg in Georgius Agricolas Schriften. In: Heimatbl. f. d. süd-westl. Harzrand.H. 52. 1996. S. 34-45, Abb.135. LAUB, Gerhard: Zur Silbergewinnung in Wildemann unter Herzog Heinrich d. J. In:Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 43.1997. [1996.] S. 91-96, Abb.136. LEKow, Udo von: Kohlepetrographische Untersuchungen an den eozänen Braunkohlenim F1öz Viktoria im Tagebau Treue bei HeImstedt (Bezirk <strong>Braunschweig</strong>.) Teil 11der Diplomarbeit. Göttingen: Verf. 1996.79,7 S., Abb., Tat. [Masch.schr.vervielf.]137. LIESSMANN, Wilfried: Zur Geschichte des Eisenerzbergbaus am Großen Knollen beiBad Lauterberg. In: Allgern. Harz-Berg-Kal. 1997. [1996.] S. 166-170, Abb.138. LoRENZ, Erika: Bergbauliehe Wasserwirtschaft Unterharzer Teich- und Grabensystem.In: Allgern. Harz-Berg-Kal. 1997. [1996.] S. 159-163, Abb.Land- und Forstwirtschaft, Industrie, Handel139. BEDDIES, Thomas: Becken und Geschütze. Der Harz und sein nördliches Vorland alsMetallgewerbelandschaft in Mittelalter und früher Neuzeit. Frankfurt/Main; Berlin;Bern; New York; Paris; Wien: Peter Lang 1996.430 S. (Europ. Hochschulschriften.R. III: Gesch. u. ihre Hilfswiss. 698.)140. DENZEL, Markus A: Die <strong>Braunschweig</strong>er Messen : Messebesucher undHandelsaktivitäten. Erste Ergebnisse eines Forschungsprojekts. In: Neues Archiv f.Nds. 1. 1996. S. 87-105.141. ECKEBRECHT, Peter: Die Untersuchung eines Grubenmeilers im AsseIer Holz beiBurgdorf. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 43. 1997. [1996.]S.147-151,Abb.142. Die Frühgeschichte des Eicheanbaus in Niedersachsen. In: Ausgewählte Schriften vonWalter KREMSER. Hannover 1996. S. 281-344. (Aus dem Walde. 49.) [<strong>Braunschweig</strong>­Bezug]143. GEISLER, Günter: Vor 125 Jahren wurde das Peiner Walzwerk gegründet. GeschichtlicheParallelen und Entwicklungen am Beispiel der Eisen- und Stahlerzeugung in derRegion Peine/Ilsede. In: Peiner HeimatkaI. 1997. [1996.] S. 29-34, Abb.144. JAHNS, Werner: Die Ablösung der Waldweiderechte in den Holzmindener SollingforstenoMit 1 Abb. In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden. Bd 14. 1996. S. 76-87.145. JUNG, Hans-U1rich: Rcgionalberichtc Wirtschaftsraum <strong>Braunschweig</strong>/Salzgitter/Wolfsburg. Aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in den kreisfreien Städten <strong>Braunschweig</strong>... in den Landkreisen Helmstedt, Gifhom ... sowie in deren Städten undGemeinden . Unter Mitarbeit von Klaus Jürgen HENTSCHEL. ImAuftr. von Industrie- U. Handelskammer <strong>Braunschweig</strong>. Hannover: Nds. Institut f.Wirtschaftsforschung 1996. XII, 215 S.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Bibliographie zur <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesgeschichte 277146. KUTSCHER, Rainer: Der I-Iüttenteich in Lerbach. Vor 200 Jahren Energiespender -heute Grün- und Freizeitanlage. In: Heimatbl. f. d. süd-westl. Harzrand. H. 52. 1996.S. 50-57, Abb.147. LEGLER, Harald: Erfolgsbilanz, Struktur und Entwicklung: Niedersachsens Wirtschaftim Wettbewerb. In: Neues Archiv f. Nds. 1. 1996. S. 15-41. [<strong>Braunschweig</strong>­Bezug]148. LEPPER, Jochen: Die Bedeutung des Wesersandsteins als Naturwerkstein. Vorkommen,Gewinnung und Verwendung in der Gegenwart. Mit 7 Abb. u. 2 Tab. In: Jb. f.d. Landkr. Holzrninden. Bd 14. 1996. S. 1726.149. LILGE, Andreas: Das Sandsteingewerbe in der Vergangenheit mit besonderer Berücksichtigungdes braunschweigischen Sollings. Mit 4 Abb. In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden.Bd 14. 1996. S. 27-35.150. MOMMSEN, Hans, Manfred GRIEGER: Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter imDritten Reich. (Düsseldorf:) Econ (1996.) 1055 S., Abb.151. NEESE, Nora: Aus der Geschichte der Waldungen im Salzgittergebiet. "Alte Forstaktenberichten". Salzgitter: (Verf.) 1996. 203 S., Abb.152. SCHWARZ, Wolfgang: Die Bedeutung des Wassers in Mittelalter und Neuzeit. (Leer:)Lautenberg (1996.) 191 S., Abb. (Tausend Jahre Leben mit dem Wasser in Niedersachsen.1.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]153. SEIDEL, Hermann: Zur 400jährigen Geschichte der Tischlergilde im Kreis Peine. In:Peiner HeimatkaI. 1997. [1996.] S. 41-46, Abb.154. SPOERER, Mark: Von Scheingewinnen zum Rüstungsboom. Die Eigenkapitalrentabilitätder deutschen Industrieaktiengesellschaften 1925-1941. Stuttgart: Steiner 1996.236 S. (Vierteljahrsschrift f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch. Beih. 123.) [<strong>Braunschweig</strong>­Bezug]155. Vergangenheit und Gegenwart im Schatten der Zukunft. Die niedersächsische Deszendenzder forstlichen Daseinsvorsorge. In: Ausgewählte Schriften von WalterKREMSER. Hannover 1996. S. 223-251. (Aus dem Walde. 49.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]156. Welfen, Wechsler, Wertpapiere. Die Börsen <strong>Braunschweig</strong> und Hannover im Spiegelder Zeit. Aus Anlaß des 50. Jahrestages der Gründung des Landes Niedersachsenund des 100. Jahrestages des Inkrafttretens des Börsengesetzes hrsg. u. bear. von DieterBROSIUS tu. a.] Hannover: Grütter 1996. 231 S., Abb.157. WrITENBECHER, Christian: Standortmarketing, Wirtschafts- und Technologieförderungin Niedersachsen. Bericht über das Kolloquium der Wiss. Ges. zum Studium Niedersachsens1996. In: Neues Archiv f. Nds. 1. 1996. S. 43-55. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]Post, Verkehr158. BRÖCKER, Hans-Jochen: Stadt baut Bahnhof als Terminal. Verknüpfungspunkt derVerkehrsströme. In: Peiner HeimatkaI. 1997. [1996.] S. 113-117, Abb.159. EDER, Ekkehard: 125 Jahre Eisenbahnstrecke Seesen-Osterode-Herzberg. Die Geschichteeiner Staatsbahnlinie und ihrer Zubringerstrecken, mit einem Beitrag vonWolfgang HVPKO über die Zukunft des Schienenverkehrs am Südwestrand des Harzes.(Duderstadt: Mecke 1996.) 162 S., Abb. (Heimatbl. d. Heimat- u. GeschichtsvereinsOsterode am Harz u. Umgebung. SoH. 8.)http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>278 E. Warmuth160. HÖGEMANN, Josef: Eisenbahnen im Harz . Bd 2: Die Privat- und Werksbahnen.(Nordhorn:) Kenning (1996.) 151 S., Abb.161. KIESELBACH, Werner, Dieter NEBELUNG: Die Geschichte der Berlin-Lehrter Eisenbahnim Landkreis Gifhom. Unter Mitarbeit von Günther BEHRENS, Wolfgang ERM­LER [u. a.]. (Gifhorn: Landkr. Gifhom 1996.) 140 S., Abb. (Schriftenreihe d. KreisarchivsGifhorn. 11.)162. KLössEL, Barbara: Die Bauwerke der ersten deutschen Staatseisenbahn <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel.In: Niedersachsenbuch '96 Wolfenbüttel (Hannover 1996.) S.126-131, Abb.163. RÖPER, Hans [u. a.]: Die Harzquer- und Brockenbahn und die Südharzeisenbahn. 4.,überarb. Auf!. Stuttgart: Transpress 1996. 208 S., Abb.164. SCHNUTE, Günther: Postalischer Zahlungsverkehr im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong>. In:Post- u. Telekommunikationsgesch. H. 1. 1996. S. 75-87, Abb.165. VOIGT, Holger: Regionalisierung des Omnibusnahverkehrs. Eine komparativ-institutionelleAnalyse der regionalen Auswirkungen europäischer Verkehrspolitik am Beispieldes Großraums <strong>Braunschweig</strong>. <strong>Braunschweig</strong>: Verf. 1996. VIII, 253 S., Abb.166. WEIN HOLD, Günther: Post jubiläum in Meinersen. Vor 150 Jahren Königlich HannoverschePoststation errichtet. In: Kreiskat. Gifhorner Heimatbuch 1997. [1996.]S. 59-64, Abb.167. ZIEGLER, Dieter: Eisenbahnen und Staat im Zeitalter der Industrialisierung. Die Eisenbahnpolitikder deutschen Staaten im Vergleich. Mit 21 Abb. Stuttgart: Steiner1996. 604 S. (Vierteljahrschrift f. Sozial- u. Wirtschafisgesch. Beih. 127.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens168. 50 Jahre <strong>Braunschweig</strong>er Zeitung .... Sprachrohr unserer Region; <strong>Braunschweig</strong>erZeitung, Salzgitter-Zeitung, Wolfsburger Nachrichten; (Sonderveröff.) <strong>Braunschweig</strong>:Braunschw. Zeitungsverl. Limbach (1996.) 63 S., Abb.169. Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band 1. 15. bis 17. Jahrhundert. Vonder Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. Hrsg. vonNotkeer HAMMERSTEIN, unter Mitwirkung von August BUCK. München: Beck (1996.)475 S. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug]170. Kostbarkeiten in <strong>Bibliothek</strong>en Niedersachsens. Zusammengestellt u. bearb. von MariaHALDENWANGER, Rolf Manfred HASSE u. Wolfgang ZICK. Hannover 1996. 96 S., Abb.(Mitteilungsblatt d. <strong>Bibliothek</strong>en in Nds. u. Sachsen-Anhalt Sonderh.) [Darin u. a.:Städtische <strong>Bibliothek</strong>en <strong>Braunschweig</strong>/Stadtbibliothek <strong>Braunschweig</strong>. S. 13-15. -Universitätsbibliothek d. Techn. Univ. <strong>Braunschweig</strong>. S. 16-21. - UniversitätsbibliothekOausthal. S. 22-25. - Herzog August <strong>Bibliothek</strong> Wolfenbüttel. S. 93-96.]171. MÖLLNEY, Ulrike: Norddeutsche Presse um 1800. Zeitschriften und Zeitungen inFlensburg, <strong>Braunschweig</strong>, Hannover und Schaumburg-Lippe im Zeitalter der FranzösischenRevolution. Bielefeld: Verl. f. Regionalgesch. 1996. 330 S.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Bibliographie zur Braunsch weigischen Landesgeschichte 279Universitäten, Schulen172. 25 Jahre Leibniz-Realschule Wolfenbüttcl. (Wolfcnbüttel: Leibniz-Realschule 1996.)92 S.,Abb.173. ALSCHNER, Uwe: Sampling as a Method of Analysing Matriculation Registers. Localan Social Origins of cives academici at the University of Helmstedt, 1576-1810. In:Peter DENLEY Computing Techniques and History of Universities. St. Katharinen1996. S. 117-136. (Halbgraue Reihe z. Hist. Fachinformatik. 30.)174. BUCHHOLZ, Helmut: Der Aufbau der Schule nach dem Zweiten Weltkrieg. Dargestelltan der kleinen Dorfschule in Päse. In: KreiskaI. Gifhorner Heimatbuch 1997. [1996.]S. 65-70, Abb.175. BUHMANN, DeUef: Volkshochschule. 50 Jahre in Peine. In: Peiner HeimatkaI. 1997.[1996.] S. 87-92, Abb.176. Einzelfällenübergänge. (Hrsg. v. d. Malklasse Prof. Arwed D. Gorella. Konzeption:Arwed D. GORELLA, Christian BECKER.) <strong>Braunschweig</strong>: Hochschule f. Bildende Künste1996. 66 S., Abb.177. Das Institut für Mikrotechnik der TU <strong>Braunschweig</strong>. (Informationsschrift anläßlichder Einweihung der neuen Räumlichkeiten des Instituts für Mikrotechnik der TechnischenUniversität <strong>Braunschweig</strong>.) <strong>Braunschweig</strong> 1996. 56 S.178. MEHNERT, Wolfgang: Nationalsozialistischer Kulturkampf an der LandesbaugewerkschuleHolzminden, 1930 bis 1933: die Beispiele "Lessing-Verein" und "Schülerbücherei".In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden. Bd 14.1996. S. 114-134.179. OBST, Georg: Meine erste LehrersteIle. In: Salzgiuer-Jb. Bd 17/18. 1995/1996.S. 182-189, Abb.180. Schulpraktische Studien. Erfahrungen mit dem <strong>Braunschweig</strong>er Modell der Lehrerausbildung.Hrsg.: Karl-Heinz SANDER. Mit Beitr. von E. DAHLKE tu. a.] <strong>Braunschweig</strong>:Seminar f. Schulpädagogik d. TU Braunschw. 1996. VI, 315 S., Abb.(Braunschw. Arbeiten z. Schulpädagogik. 12.)181. SELLE, Kurt: 450 Jahre Große Schule Wolfenbüttel. In: Niedersachsenbuch '96 Wolfenbüttel.(Hannover 1996.) S. 107-112, Abb.182. Technik, Markt, Umwelt. Projekt Zukunft; 1745-1995,250 Jahre TU <strong>Braunschweig</strong>.(Hrsg.:) Wolfgang FRITZ. Stuttgart: Schäffer-pöscheI1996. VIII, 155 S., Abb.183. WIEDEN, Oaudia Bei der: Vom Seminar zur NS-Lehrerbildungsanstalt. Die <strong>Braunschweig</strong>erLehrerausbildung 1918 bis 1945. Köln; Weimar; Wien: Böhlau 1996. 468S. (Beitr. z. Hist. Bildungsforschung. 16.)Architektur, Kunstgeschichte und Denkmalpflege184. Dani Karavan. Zur Verleihung des Goslarer Kaiserrings am 26. Oktober und zurAusstellung im Mönchehaus-Museum für moderne Kunst Goslar. (Goslar 1996.)13 ungez. BI.185. DANNOWSKI, Hans Werner: Gott in Bildern loben. Zur Ausmalung der St. Jacobikirchein Peine. In: Jb. d. Ges. f. nds. Kirchengesch. Bd 94. 1996. S. 221-236, 6 Abb.186. Das ehemalige fürstliche Lustschloß Salzdahlum. Hrsg. von Hans-Henning GROTE.Wolfenbüttel: Museum im Schloß 1996. 12 ungez. BI., 18 Taf.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>280 E. Warmuth187. FISCHER, Albert: Daniel Specklin aus Straßburg . Festungsbaumeister,Ingenieur und Kartograph. Sigmaringen: Thorbecke (1996.) 227 S., Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)188. GESCHWINDE, Michael: Archäologische Denkmale zwischen Elm und Harz. In: Niedersachsenbuch'96 Wolfenbüttel. (Hannover 1996.) S. 139-148, Abb.189. GROTE, Hans-Henning: Von romanischen Dorfkirchen und barocken Herrenhäusern.Unbekannte Kunstschätze im Wolfenbütteler Land. In: Niedersachsenbuch '96 Wolfenbüttel.(Hannover 1996.) S. 150-155, Abb.190. HAGEN, Rolf: Kultur erleben. Museen im Landkreis Wolfenbüttel. In: Niedersachsenbuch'96 Wolfenbüttel. (Hannover 1996.) S. 161-168, Abb.191. KLAUBE, Manfred: Burgen und Schlösser im Ambergau. Gemeinde Holle: Schloß Söder- Schloß Derneburg - Schloß Henneckenrode - Burg Wohldenburg ; Stadt Bokkenem:Wasserburg Werder - Schloß Volkerseim - Stadtburg Bockenem - PfalzDahlum; Stadt Seesen: Burg Wohlenstein - Stadtburg Seesen - Jagdschloß Seesen -Burg Schiltberg - Burg Kirchberg. 2., überarb. Auf!. Hildesheim: Lax 1996. 75 S.,Abb.192. KIESLER, Claudia-Ros: Ein Altartriptychon des Hans Vredemann de Vries und dasBildprogramm der Kapelle von Schloß Hessen. In: Architektur, Kunst- u. Kulturgesch.in Nord- u. Westdeutschland. Jg. 7.1996. S. 66-78, 5 Abb.193. KIESLER, Claudia-Ros: Schloß Hessen - Raumstruktur, Ausstattung und Nutzungnach den Inventaren des 16. und 17. Jahrhunderts. In: n" .zur zierde und schmuck angelegt... " Beiträge zur frühneuzeitlichen Garten- und Schloßbaukunst. (Marburg:)Jonas Verl. (1996.) S. 53-108, Abb. (Materialien z. Kunst- u. Kulturgesch. in Nordu.Westdeutschland. 22.)194. KLIITICH, Karl: Das Kunstwerk als Historische Quelle an Beispielen aus dem <strong>Braunschweig</strong>ischenLandesmuseum. <strong>Braunschweig</strong>: Pfankuch (1996.) 300 S., 49 Abb.195. KRÄMER, Bernd: Schloß Ampfurth: ein bisher unbekanntes Beispiel der Weserrenaissancein Sachsen-Anhalt. Mit 4 Abb. In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden. Bd 14. 1996.S.44-48.196. KÜGLER, Martin: Aus dem Besitz des Holzmindener Stadtmuseums. HistoristischeReproduktion eines Frechener Bartmannkruges des 16. Jahrhunderts. Mit 1 Abb. In:Jb. f. d. Landkr. Holzminden. Bd 14. 1996. S. 88-92.197. Kunst für alle. Die schönsten Gemälde des Holzmindener Stadtmuseums. Aufgereihtu. vorgestellt von J. WAGNER. Holzminden: Stadt museum 1996. 48 ungez. BI.198. LEIBER, Christian: Fundchronik der Archäologischen Denkmalpflege des LandkreisesHolzminden für die Jahre 1992 bis 1994. Mit 17 Abb. In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden.Bd 14.1996. S. 144-179.199. LIEB, Stefanie: Das Kapitellprogramm der Riechenberger Krypta. In: Niederdt. Beitr.z. Kunstgesch. Bd 35. 1996. S. 9-24, 20 Abb. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)200. MÜLLER, Markus: Beobachtungen zur ikonographischen Kanonbildung der höfischenMinne: Das <strong>Braunschweig</strong>er Musterbuch im Herzog Anton Ulrich-Museum. In: Niederdt.Beitr. z. Kunstgesch. Bd 35. 1996. S. 43-68, 22 Abb.201. MUNK, Heinrich: Der Neubau der Schwicheldter Kirche 1842-1843. In: Peiner Heimatkal.1997. [1996.] S. 129-134, Abb.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Bibliographie zur Braunsch weigischen Landesgeschichte 281202. NEBIG, Ernst-August: Betrachtungen zur Bau- und Restaurierungsgeschichte derWolfenbütteler Hauptkirche, "Beate Mariae Virginis". In: Niedersachsenbuch '96Wolfenbüttel. (Hannover 1996.) S. 97-106, Abb.203. NIEHR, Klaus: Ästhetik und Geschichte. Zu Möglichkeiten und Problemen einer Darstellungniedersächsisch-sächsischer Skulptur des frühen 13. Jahrhunderts. In:Nds. Jb. f. Landesgesch. Bd 68. 1996. S. 247-257. [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)204. PAARMANN, Michael: Die Bau- und Kunstdenkmalpflege in der Stadt Wolfenbüttel.In: Niedersachsenbuch '96 Wolfenbüttel. (Hannover 1996.) S. 88-96, Abb.205. ROST, Falko: Zwei sehenswerte Kirchen aus dem 19. Jahrhundert. [Winnigstedt]. In:Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüuel.Jg. 43.1997. [1996.) S. 101-107,Abb.206. SCHELlGA, Thomas: Renaissancegärten der Herzöge von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg inWolfenbüttel. In: " ... zur zierde und schmuck angelegt ... " Beiträge zur früh neuzeitlichenGarten- und Schloßbaukunst. (Marburg:) Jonas Verl. (1996.) S. 9-52, Abb.(Materialien z. Kunst- u. Kulturgesch. in Nord- u. Westdeutsch land. 22.)207. Schloß Bevern. Gebaute Geschichte als Aufgabe. (Marburg:) Jonas Verl (1996.) 176S., Abb. (Materialien z. Kunst- u. Kulturgesch. in Nord- u. Westdeutschland. 20.)208. Das Stilleben in der Graphik. Herzog Anton Ulrich-Museum <strong>Braunschweig</strong>, Kupferstichkabinett,15.8.-20.10.1996. <strong>Braunschweig</strong>: Herzog Anton U1rich-Museum1996. 8 ungez. BI., Abb.209. ULFERTS, Gert-Dieter, Franz-Josef CHRISTIANI: Führer durch die Schausammlung.Bilder zur Kunst- und Kulturgeschichte, Gemälde des 18.-20. Jahrhunderts. <strong>Braunschweig</strong>:(Städt. Museum) 1996. 98 S., Abb. (Arbeitsber. Veröff. a. d. Städt. Museum.66.)210. WITTICH, Volker: Zwei Schlösser - ein Baumeister. Architektonische Betrachtungenzu den Schlössern in Hundisburg und Blankenburg/Harz anläßIich des 340. Geburtstagesvon Hermann Korb . In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel.Jg. 43. 1997. [1996.) S. 82-90, Abb.Literatur211. BEHR, Hans-Joachim: Der Hof Heinrich des Löwen als literarisches Zentrum. In:Braunschw. Jb. f. Landesgesch. Bd 77. 1996. S. 9-21.212. BUBENHEIMER, U1rich: Die Bücher und Bucheinzeichungen des Klerikers AndreasGronewalt aus Halberstadt. Ein Beitrag zur Geschichte der MarktkirchenbibliothekGoslar und zur Rezeption der Wittenberger Reformation. In: Jb. d. Ges. f. nds. Kirchengesch.Bd 94. 1996. S. 51-74, 7 Abb.213. FRIEDENTHAL, Richard: Herzog Heinrich Julius von <strong>Braunschweig</strong> als Dramatiker.Sein Leben. Mit besonderer Berücksichtigung seines geistigen Werdegangs. .Hrsg. u. mit e. Nachwort versehen von Gerd BIEGEL. <strong>Braunschweig</strong> 1996. (Schriftend. Lit. Vereinigung <strong>Braunschweig</strong>. 45.)214. HERMANN, Klaus: Von Hermann Löns über Konrad Beste bis zu Christa Leifert. Literaturals Zeitzeugnis und Spiegelbild des Lebens in einer kleinen Stadt. In: KreiskaI.Gifhorner Heimatbuch 1997. [1996.] S. 48-53, Abb.215. SCHMIDT, Hanns H. E: Aus dem Poesiealbum des Harzes. . In: Unser Harz. Jg.44. 1996.S. 127-128; 133; 173-175;213-216.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650282 E. WarmuthMusik, Theater216. Fest der <strong>Braunschweig</strong>er Kirchenchöre. (Hrsg. von Gabriele LIEBOLD.) Wolfenbüttel:Möseler 1996. 16 S.217. KELSCH, Wolfgang: 400 Jahre Theater in Wolfenbüttel. Theaterkuitur in einer fürstlichenResidenz. In: Niedersachsenbuch '96 Wolfenbüttel. (Hannover 1996.) S.31-38, Abb.Volkskunde, Sprachgeschichte, Namenkunde218. DIECKHOFF, Jürgen: Peiner Freischießen. Das traditionelle Volksfest verpflichtet zuIntegrationskraft und Zivilcourage. In: Peiner HeimatkaI. 1997. [1996.] S. 75-79,Abb.219. FÖRSTER, Manfred: Forstorte im Solling. Ihre Namen und deren mögliche Bedeutungnebst Bemerkungen zu einigen Orts- und Bachnamen. Band 2. Die ehemaligen ÄmterAllersheim-Holzminden, Fürstenberg, Hardegsen mit Moringen sowie Forstortein Ahlsburg und Ellenser Wald. (Holzminden: Verf. 1996.) 214 S., Kt.220. HOFFMANN, Hans: Der Bergmönch. Harzer Bergstadt-Sagen. Bad Harzburg: Hoffmann1996. 86 S., Abb.221. JÖRN, Erhard, Rudolf JÖRN: Der Goslarer flurname Ram(m)e(l)sberg - namenkundlicherund sagengeschichtlicher Versuch im Licht neu ausgewerteter Quellen. (Wieda:Verf.) 1995. 98 S. (Wiedaer Hefte. 3.)222. PAPENDORF, Dorothee Charlotte: Ein Museum für Till Eulenspiegel? Zur Bedeutungdes niedersächsischen Schalksnarren und des Till Eulenspiegel-Museums Schöppenstedt.In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 43. 1997. [1996.] S. 128-132,Abb.223. SCHMIDT, Hanns H. E: Das große Sagenbuch vom <strong>Braunschweig</strong>er Land. Teil 1. VonA wie Abbenrode bis K wie Kemnade. Teil 2. Von K wie Kirchbrak bis Z wie Zorge.Aus alten Überlieferungen und neu erzählt. Oschersleben: Ziethen (1996.) 306 S.,Abb. (Mittelland-Bücherei. 13-14.)224. Thüringer Sagen und Sagen aus dem Harz. Ausgew. u. bearb. von Heidemarie SCHIR­MER. 2., überarb. Auf!. Erfurt: VHT, Verl.-Haus Thüringen 1996. 144 S. (ThüringerLesebücher. 4.)225. WILLE, Louis: Harzer Mundart-Truhe. Geschichten und Gedichte aus dem gesamtenHarz und seinen Vorlanden. Hrsg. von Jürgen SCHIERER und Lutz WILLE. Peine: OstfaHa-Verl.1996.241 S. Abb.Natur, Umweltschutz226. FREESEMANN, Hermann: Waldböden im Bereich der Forstämter Goslar und Altenau(Oberharz) als Indikator für atmosphärisch eingetragene Schadstoffe unter besondererBerücksichtigung vegetationsbedingter Variabilität im Umfeld von Großemittenten imRaum Oker-Harlingerode. Göttingen: Verf. 1996. 125 BI. [Masch.schr.vervielf.]


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Bibliographie zur Braunsch weigischen Landesgeschichte 283227. GAYGER, Joseph: Schon die alten Römer schätzten das harte Holz. Die Heinbuche warBaum des Jahres 1996. In: KreiskaI. Gifhorner Heimatbuch 1997. [1996.)S. 112-116, Abb.228. HEUER, Ernst: Die Oker - ein tückischer fluß. In: KreiskaI. Gifhorner Heimatbuch1997. [1996.) S. 92-96, Abb.229. JOB, Hubert: Großschutzgebiete und ihre Akzeptanz bei Einheimischen. Das Beispielder Nationalparke im Harz. In: Geograph. Rundschau. Jg. 48. 1996. S. 159-165,Abb., graph. Darst., Kt.230. KLEYN, Karel P.: Bemerkungen zum Luchs im Harz. In: Unser Harz. Jg. 44. 1996.S. 103-107, Abb.231. KLEYN, Karel P.: Bemerkungen zur Wiederansiedlung des Luchses im Harz. In: Allgern.Harz-Berg-Kal. 1997. [1996.] S. 85-89, Abb.232. Lacerati turbine ventorum - vom Sturme zerfetzt! Ein Orkan verheerte NiedersachsensWälder. In: Ausgewählte Schriften von Walter KREMSER. Hannover 1996.S. 154-176. (Aus dem Walde. 49.) [<strong>Braunschweig</strong>-Bezug)233. Naturwaldreservate für Lehre und Forschung in den Niedersächsischen Landesforsten.In: Ausgewähle Schriften von Walter KREMSER. Hannover 1996. S. 87-97. (Ausdem Walde. 49.) [Betr. auch Harz]234. STANDKE, Karl-Heinz c.: Anlage der ersten systematischen Sammlung lebender Bäumein Riddagshausen. In: Braunschw. KaI. 1997. [1996.] S. 26-30, Abb.235. THOMS, Hilde: Der Klostergarten Michaelstein. Hrsg. von Michaelstein-Institut fürAufführungspraxis der Musik des 18. Jahrhunderts. Michaelstein 1996. 95 S., Abb.236. THON, Ekkehard: Die geächteten Sperlinge. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel.Jg. 43. 1997. [1996.) S. 137-146, Abb.237. Ufervegetation von Flüssen. Tagungsbericht des <strong>Braunschweig</strong>er Kolloquiums überUfervegetation von Flüssen. Hrsg. von Dietmar BRANDES. <strong>Braunschweig</strong>: Univ.-<strong>Bibliothek</strong>d. TU Braunschw. 1996. 345 S., Abb.238. VOWINKEL, Klaus: Historische GTÜnlandnutzung und künftiger Grünlandschutz imWestharz. In: Unser Harz. Jg. 44.1996. S. 108; 113-116,4 Abb.Geschichte einzelner Orte239. LEHMANN, Thomas D.: Glasfunde des 18. Jahrhunderts aus dem Kloster AMELUNGS·BORN. In: Nachrichten a. Nds. Urgesch. Bd 65.1996. S. 177-191,5 Abb.240. (MAHLER, Hanne, Hans Wolf MAHLER:) BECHTSBOTTEL. 800 Jahre. Chronik und Berichte.Festschrift zur 800-Jahrfeier und Beschreibung der Vereine. (Meine-Bechtsbüttel:Verf. 1996.) 122 S., Abb.241. TENDLER, Rudoif: Chronik BEIENRODE. (<strong>Braunschweig</strong>: Waisenh.-Dr. 1996.) 380 S.,Abb.242. VOJGT, Gabriele: BUNKENBURG. Residenz/Lustgarten Kleines Schloß. Blankenburg:Museum Kleines Schloß 1996. 64 S., Abb.BRAUNSCHWEIG s. auch Nr 19,91,125,127,128,140,145,156,170,171,177,182, 183, 194,200,208, 216.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>284 E. Warmuth243. 75 Jahre Siedlung Kralenriede. 1921-1996. Hrsg.: Helmut MEYER, Hanke EIMERS[u. a.]. <strong>Braunschweig</strong>: Kultur- u. Heimatpflegever. Schunteraue von 1982 1996. 126S.,Abb.244. 100 Jahre Fastnacht. Karneval im <strong>Braunschweig</strong>er Land. Autoren: Wolfgang FITTKAU[u. a.] Red.: Jürgen HODEMACHER. (Rraunschweig:) Komitee Braunschw. Karneval (1996.) 151 S., Abb.245. 100 Jahre organisierter Rettungsdienst in <strong>Braunschweig</strong>. Hrsg.: Stadt <strong>Braunschweig</strong>.Red.: Jürgen BECKMANN [u. a.]. (Freilassing: Muttenthaler 1996.) 64 S., Abb.246. 100 Jahre" Vier Linden". Das Buch zur Kneipe. Hrsg.: Ernst-Johann ZAUNER, HeikoVAHJEN. Mit Beitr. von CharIes BENECKE [u. a.] (<strong>Braunschweig</strong>:) Vier Linden 1996.62 S., Abb.247. 1946-1996. 50 Jahre Stadtkirchenbauamt. (Ausstellung zum 50jähr. Jubiläum d.Stadtkirchenbauamtes <strong>Braunschweig</strong> 1996. (<strong>Braunschweig</strong> 1996.) 40 S., Abb.248. Am Anfang war der Handel. EWE-Armaturen. Hrsg. aus Anlaß des 50-jährigen Bestehensder Firma EWE-Armaturen. <strong>Braunschweig</strong> 1996. 23 ungez. BI., Abb.249. Ein Amt stellt sich vor. Aufhau und Aufgaben des Umweltamtes. (Hrsg.: Stadt<strong>Braunschweig</strong>, Umweltamt. 2., aktuaI. Aufl.) (<strong>Braunschweig</strong> 1996.) 18 S. (Schriftenreihekommunaler Umweltschutz. 5.)250. Die Ausstellung "Geschichte der Stadt <strong>Braunschweig</strong>" im Altstadtrathaus. Teil 4: III.Die Residenzstadt 1671-1830, IV. Die Industriestadt 1830-1945. <strong>Braunschweig</strong>1996. 140 S., Abb.251. BEIN, Reinhard: Zeitzeugen aus Stein. Bd 2. <strong>Braunschweig</strong> und seine Juden, Stadtrundgänge.(<strong>Braunschweig</strong>: Döring 1996.) 120 S., Abb.252. <strong>Braunschweig</strong>, Forschungsstandort mit Kompetenz. (Hrsg.: Stadt <strong>Braunschweig</strong>, ReferatWirtschaftsförderung. (<strong>Braunschweig</strong>: Ewert [1996.]) 14 ungez. BI., Abb.253. <strong>Braunschweig</strong>. Kunstschätze der Messestadt. Am Löwenwall. Ausstellung-Journal.(Hrsg.: Gerd SPIES.) <strong>Braunschweig</strong>: Städtisches Museum 1996. 32 S., Abb.254. <strong>Braunschweig</strong>er StadtIexikon. Ergänzungsband. Hrsg. im Auftr. d. Stadt <strong>Braunschweig</strong>von Manfred R. W. GARZMANN und Wolf-Dieter SCHUEGRAF unter Mitarbeitvon Norman-Mathias PINGEL. 1. Aufl. <strong>Braunschweig</strong>: Meyer 1996. 150 S., Abb.255. BRÜDERN, Jutta, Peter LUFFT: Profile aus <strong>Braunschweig</strong>. Persönliches über Persönlichkeitenin Bild und Text. (1. Aufl. Salzgitter:) Appelhans (1996.) o. S.256. DENECKE, Anne: 25 Jahre F(reizeit- und) B(ildungs-) Z(entrum), Bürgerpark. Kulturfür alle. Eine Jubiläumsschrift d. Kulturinstituts d. Stadt <strong>Braunschweig</strong>. (<strong>Braunschweig</strong>1996.) 77 S., Abb.257. EHLERS, Joachim: Historiographie, Geschichtsbild und Stadtverfassung im spätmittelalterlichen<strong>Braunschweig</strong>. In: Ausgewählte Aufsätze hrsg. von Martin KINTZINGER,Bernd SCHNEIDMÜllER. Berlin: Duncker u. Humblot (1996.) S. 521-562. (Berlinerhist. Studien 21.)258. Festschrift 75 Jahre TSV 1921 Schapen e. V. 1921-1996. [Hrsg.: TSV 1921 Schapen.Red., Werbung u. Gestaltung: K. MEYER ... ] [<strong>Braunschweig</strong>-] Schapen: TSV 1921Schapen [1996.] 138 S., Abb.259. FELKE, Jutta: Die Geschichte des <strong>Braunschweig</strong>er Kunstvereins 1832-1965. (<strong>Braunschweig</strong>.Verf. 1996.) 266 S., Abb.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Bibliographie zur Braunsch weigischen Landesgeschichte 289327. KÖCHY, Otto: vor 250 Jahren wütete eine Rinderpest in den Dörfern Nieder- undObersIcKTE. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 43. 1997. [1996.]S. 152-158, Abb.328. PAARMANN, Michael: Das Herrenhaus in Niedersickte in Vergangenheit und Gegenwart.In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 43. 1997. [1996.) S.49-56,Abb.329. ERNESTI, Christoph: Sie waren unsere Nachbarn. Die Geschichte der Juden in STADT­OLDENDORF. Mit Beiträgen von Günther LILGE. Holzminden: Mitzkat 1996. 96 S.,Abb.330. GERKING, Willy: Zur mittelalterlichen Geschichte des Dorfes VAHLBRUCH. Mit 2 Abb.In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden_ Bd 14_ 1996_ S_ 1-9_331. EGGERS, Christian, Dirk RIESENER: Ein guter Stein findet sich allhier. Zur Geschichtedes Steinhauens in VELPKE. (Hrsg_: Gemeinde Velpke mit Unterstützung d. Landkr.Helmstedt.) Velpke 1996.83 S., Abb.332_ RIESEN ER, Dirk, Christian EGGERS: Velpke_ Geschichte einer Gemeinde und ihrerOrtsteile Meinkot, Wahrstedt, Büstedt. Velpke: Gemeinde Velpke 1996.941 S., Abb.VOLKMARODE s. <strong>Braunschweig</strong>333. HIMMELMANN, Gerhard: Neue Nachrichten zur Geschichte von VOLKSE. In: KreiskaI.Gifhomer Heimatbuch 1997. [1996.] S. 141-147.334. BOLLMOHR, Vta: Geschichte der Edelherren "de Werberge" und ihrer Burg WARBERGam Elm. In: Landkr. Helmstedt. Kreisbuch 1997. [1996_] S. 69-73, 1 Abb.335_ WATZUMER Chronik. Hrsg. u_ Red_: Walter LEHMANN. 1. Aufl. Watzum 1996. 193 S.,Abb., 1 Kt. [Masch_schr_ vervielf.]336. CURTIUS, Jutta: Gutspark WESTERBRAK. Gartendenkmalpflegerische Beiträge zur Erhaltung,Pflege und Entwicklung_ Padeborn: Verf. 1996. 110 S_, Abb., Anh.337. HÖLSCHER, Hans: Westerbrak von der Allgemeinen Landesvermessung 1761 bis zurNeuzeit. (Kirchbrak: Verf. 1996.) 15 S. (Die gelbe Reihe. 23.)338. BärEL, Matthias: Die Entwicklung der bäuerlichen Einkommensverhältnisse in dembraunschweigischen Dorf WETZLEBENvon 1780-1806. Diplomarbeit im wissenschaftlichenStudiengang Agrarwissenschaften an der Universität Göttingen. Göttingen:Verf. 1996. 111 S., Abb. [Masch_schr.vervielf.]WlNN1GSTEDT s. Nr 205.WOLFENBOTTEL s. auch Nr 50, 51, 53, 54, 56, 170, 172, 181,202,204,206,217.339. BIEGEL, Gerd: Wolfenbüttel und das <strong>Braunschweig</strong>er Land. In: Niedersachsenbuch'96 Wolfenbüttel. (Hannover 1996.) S. 40-62, Abb. .340. GROTE, Hans-Henning: Wolfenbüttel. Residenz der Herzöge zu <strong>Braunschweig</strong> undLüneburg. In: Niedersachsenbuch '96 Wolfenbüttel. (Hannover 1996.) S. 9-20, Abb.341. HAUPT, Dieter: Die Bürgerstadt Wolfenbüttel als Sanierungsobjekt. In: Niedersachsenbuch'96_ (Hannover 1996.) S. 132-138, Abb.342. Herzog August <strong>Bibliothek</strong>. Jahresprogramm 1996_ Wolfenbüttel: (Herzog August <strong>Bibliothek</strong>1996.) 174 S.343. KATTE, Maria von: Die Luther-Sammlung in der Wolfenbütteler <strong>Bibliothek</strong>. Wolfenbüttel:Herzog August <strong>Bibliothek</strong> 1996. 19 S., Abb. (Aus d. Sam ml. d. Herzog August<strong>Bibliothek</strong>_ 2.)http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Bibliographie zur <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesgeschichte 293392. WEIHMANN, Susanne: Der 27. Januar - ein Gedenktag für Carla MINDUS. In: Landkr.Helmstedt. Kreisbuch 1997. [1996.] S. 8-16, Abb.393. Bernward ORLOB. Malerei. Ausstellung im Kreismuseum Peine vom 21.8.-22.9.1996.(Peine: Landkr. Peine; Kreismuseum Peine 1996.) 35 S., Abb. (Schriftenreihe d.Kreismuseums Peine. 14.)394. BÖCHER, Otto: Die <strong>Braunschweig</strong>er Patrizierfamilie v. PAWEL. In: Geneal. Jb. 35.1996. S. 67-87,4 Abb.395. KLEIN, Angela: Wolfenbüttel und Wilhelm RAABE. In: Niedersachsenbuch '96 Wolfenbüttel.(Hannover 1996.) S. 172-177, Abb.396. BEERBOHM, Reginald: Moritz von SACHSEN - Bastard und Marschall. Die Geschichteeines französischen Marschalls aus Goslar. Oschersleben: Ziethen 1996. 177 S., Abb.397. SEIBOLD, Gerhard: Die SALMUTH. Entwicklungsgeschichte einer Familie. (Neustadt 1Aisch:) Degener u. Co. 1996. 270 S., Abb.398. HUMBURG, Max: Johann Heinrich Friedrich SCHLEMM . In: Salzgitter-Jb.Bd 17/18.1995/1996. S. 94-101, Abb.399. MAHLER, Karin: Eduard SCHMELZKOPF und die Zensur. Niederdeutsche Lyrik und politischeAusrichtung eines <strong>Braunschweig</strong>er Vormärzdichters. Bielefeld: (Verl. f. Regionalgesch.)1996. 168 S.400. ZoBEL, Franz: Aus dem Leben des würdigen Schulmeisters Pankratius SIEBENTRITT.In: Salzgitter-Jb. Bd 17/18. 1995/1996. S. 169-176.401. MEDEFIND, Heinrich: Andreas SIEBURG 1597-1666. Pastor in Bomum - später in Erkerodeund Neustadt. In: Dat Bormsche Lindenblatt. 8. 1996. S. 7-11.402. Italo Svevo Samuel SPIElU Schüler. Die Texte Italo Svevos und seines Bruders ElioSchmitz über ihre Jugend in Deutschland. Mit unveröffentlichten Dokumenten undeiner Kurzbiographie Samuel Spiers von Hans Michael HENSEL [Hrsg.] und JohnGATT-RuTTER unter Mitarbeit von Wolfgang BRUNSCH [u. a.] Segniz bei Würzburg:(Zeno's Verl.) 1996.307 S., Abb.403. VÖGEL, Bernhild: Ein kurzer Lebensweg. Der Fall Ema WAZINSKI. Arbeitsmaterialienfür die schulische und außerschulische Jugendbildungsarbeit mit beiliegendem Begleitheft.(<strong>Braunschweig</strong>: Arbeit u. Leben Nds. e. v. 1996.) 42, 35 S., Abb.404. WINKELMANN, Heinrich: Johann Friedrich ZIEGLER . Ein Amtmannzwischen Justiz und Poesie. Bürgerliche Kultur in der hannoverschen Provinz unmittelbarvor der Industrialisierung. Peine: (Kreismuseum 1996.) 80 S., Abb. (Schriftenreihed. Kreismuseums Peine. 15.)


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und AnzeigenNiedersächsische Geschichte, hg. von Bernd Ulrich H u c k er, Ernst Sc hub e r t undBernd We i s b ro d. Göttingen: Wallstein Verlag 1997, 764 S., Abb., 68 DMDieser für den "interessierten Laien" von 21 Autoren geschriebene umfangreiche und mitvielen Abbildungen und auch Graphiken, Fürstenstammtafeln, Tabellen, Bischofslisten,Zeittafel, Index usw. gut ausgestattete, aber mit zu wenig Karten versehene Band wecktgroße Erwartungen. Denn eine wissenschaftlich fundierte ausführliche Gesamtgeschichteunseres Landes in einem Band fehlt bisher völlig. Überraschenderweise verzichten dieHerausgeber absichtlich von vornherein auf eine flächendeckende und chronologisch fortschreitende,alles Wichtige gleichmäßig erfassende Darstellung ab etwa der Zeit seit 1250zugunsten von zeitlichen Querschnitten (Niedersachsen um 1400, 1700, 1900 usw.) undsachthematischen Längsschnitten (Strukturen und Strukturwandlungen in wechselnd herausgegriffenenBereichen wie der Wirtschaft und anderen Lebensgebieten). Ganz modernwird hier "Strukturgeschichte", das heißt Geschichte der Lebensverhältnisse anstatt derherkömmlichen nEreignisgeschichte", d. h. der politischen Geschichte, betrieben. Ab demSpätmittelalter werden nur noch für das 19. und 20. Jahrhundert einige wenige politischeAspekte herausgearbeitet. Noch überraschender ist, daß genau so wie die Zeit auch derRaum für diese neue niedersächsische Geschichte keine entscheidende Rolle spielt. DerBegriff nNiedersachsen" ist für sie in keiner Weise konstitutiv. Galt früher das erst 1946erstandene Land Niedersachsen historisch vielfältig legitimiert als abgrenzbarer, Naturund Mensch integrierender "Raum" (bei K. Brüning) bzw. Lebens- und Kulturraum oderals Geschichtslandschaft (G. Schnath: "Vom Sachsenstamm zum Lande Niedersachsen"),so ist dieses Bundesland für die Herausgeber ein ganz zufälliges "Kunstland" und niedersächsischeIdentitätsstiftung deshalb für sie überhaupt kein Ziel. Auffallend gereizt undmißgestimmt reagiert man in diesem Buch auf das sich seit Ende des vorigen Jahrhundertsheranbildende Niedersachsenbewußtsein. Ferner verzichten die Herausgeber generelI undkonsequent als roten Faden oder räumlichem Konstruktionsprinzip ihrer Landesgeschichteauf die Behandlung der Territorialgeschichte, d. h. der eigentlichen "politischen Geschichte"der einzelnen nordwestdeutschen Länder, Dynastien, Staatsgebilde, Führungspersönlichkeiten,Verfassungen, Regierungen usw. Anstelle dessen wird ab dem Hochmittelalterausdrücklich vorwiegend nur noch Wirtschafts- und Sozialgeschichte geboten, angereichertmit etwas Kultur-, Mentalitäts- und Alltagsgeschichte. Die Autoren betrachtendas "Land", d. h. unser heutiges Bundesland sowie alle dessen Vorgängerterritorien imSinne der modernen "offenen" Regionalgeschichte i. w. nur noch als sozialen Raum:"nicht der Raum hat seine Geschichte, sondern die Menschen haben ihre Erfahrungsräume"(S. 499). Diese These wie alle vorgenannten Prämissen erscheinen dem Rezensentenin ihrer Einseitigkeit als durchaus problematisch. Mit derartigen Einschränkungen und zusätzlichauch noch mit dem erklärten nMut zur Lücke", d. h. radikal segmentierender undsektoraler Auswahl aus dem gesamten stoffreichen niedersächsischen Geschichtspanoramakonnte das erklärte ehrgeizige Ziel einer integrierenden Überblicksdarstellung (S. 11),einer wirklichen Landesgeschichte (S. 14) bedauerlicherweise eigentlich von vornhereinnicht erreicht werden. Ein viel bescheidenerer Buchtitel wie "Aspekte und Grundlinien


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650296 Rezensionen und Anzeigender niedersächsischen Geschichte" würde dem Gebotenen, das teilweise als Sammelbandzu charakterisieren ist, eher gerecht. Offenbar wollen die Autoren auf eine Geschichte derangeblich nicht raum-, sondern sozialbestimmten Bevölkerung, d. h. der Sozialgruppenund Lebensverhältnisse hinaus. Jedenfalls bleibt der Bezug zur politischen Geschichte unklarund auch "Niedersachsen" wäre gerade in einer "Landesgeschichte" trotz berechtigterKritik an der früheren "Raumforschung" keineswegs ein total zu negierender Begriff.Die gewählten Epochen (Mittelalter bis etwa 1250, Zeit von 1400-1806, 19. Jahrhundertund 20. Jahrhundert) werden nach Seitenzahl ziemlich gleichmäßig behandelt. Huckerstellt, weil Quellen für die nichtpolitische Geschichte vor etwa 1250 fehlen, in ganzer Breitedie politische Entwicklung - unterbrochen durch kleine KapiteIchen über Kunst - in konventionellerWeise, aber auf modernem Forschungsstand, dar. Die beiden anschließendenvom Spätmittelalter bis 1918 mit der Zäsur um 1800 reichenden Hauptteile hat Schubertgrößtenteils allein verfaßt. Für diese Epochen schrieb er ganz ausgezeichnete, um Zusammenhängebemühte kluge Essays mit vielen neuen Einsichten, Fragestellungen, Betrachtungsansätzenzu den verschiedensten Einzelgebieten des geschichtlichen Lebens in Stadtund Land: so in Verwaltung, Militär, Wirtschaft, Verkehr, Kultur, Religion, Bildungswesen,Volksvertretungen - bewgen auf die einzelnen Sozialgruppen vom Fürsten bis herab zumBettler. Der von Weisbrod verantwortete Teil über das 20. Jahrhundert wird sehr enttäuschendmit einigen informativen und interessanten, aber doch zusammenhanglosen Kapitelnstreiflichtartig und punktuell beleuchtet, besonders dürftig leider gerade die Zeit ab 1946,also die im Wortsinn endlich wirklich "niedersächsische" Geschichte. Ganz deplaziert undüberflüssig ist demgegenüber das Großkapitel "Novemberrevolution in Bremen", wofür sichzweifellos besser <strong>Braunschweig</strong> angeboten hätte. Nutzbringend sind jedoch u. a. die Kapitelüber Bauern und Arbeiter im Dritten Reich sowie über die Flüchtlinge nach 1945. Die für dieim Werk weithin ausgeblendete politische Geschichte als Ersatz konstruierte umfangreicheaber ganz ungleichmäßige und gelegentlich fehlerhafte ("Reichsnährstadt" Goslar 1934!)"politische" Zeittafel zwischen den Jahren 739 bis 1993 ist für die Zeit ab 1900 kümmerlichund ab 1946 nur als absolut nichtssagend und kläglich zu bezeichnen. Das nach rätselhaftenPrinzipien zusammengestellte knappe Literaturverzeichnis ist für den "interessierten Laien"ziemlich unbrauchbar: viele grundlegende Standardwerke fehlen (u. a. die Atlaswerke vonSchnath und Pischke, der" Territorien-Ploetz" für Niedersachen, Moderhacks <strong>Braunschweig</strong>iseheLandesgeschichte), dafür wird groteskerweise die indiskutable welfentreue Landesgeschichtevon Rosendahl (!) angeboten und was der Ungereimtheiten (und Fehler!) mehr sind.Letztendlich fehlt bei diesem landesgeschichtlichen Versuch das geistige Band, ein tragenderGedanke und so entstand leider nur "Stückwerk". Die pure Wirtschafts- und Sozialgeschichteverfließt nicht selten ohne Konturen ins Uferlose und gleitet auch teilweise im Buch in"Alltagsgeschichte" , d. h. ins Beliebige ab. Ein zusätzlicher Überblick oder Ausblick über dieTerritorialstaaten darf in einer so einseitig konzipierten Landesgeschichte nicht fehlen.Für die Region <strong>Braunschweig</strong> speziell ist das Werk nur ganz sekundär relevant, da dieseab 1250 als historisches Subjekt (Land, Verwaltungsbezirk) hierin keine Rolle spielt und unsystematischnach Belieben nur als Beispiel für weitgehend unpolitische nordwestdeutscheTrends und Strukturen berücksichtigt wird. So im Sonderkapitel über die NS-Machtergreifungim Freistaat <strong>Braunschweig</strong> (von Pollmann/Ludewig). Im allgemeinen werden Stadtund Land <strong>Braunschweig</strong> im wirtschafts- und sozialhistorischen Kontext auch nach 1250 einigermaßenangemessen, aber ohne eigentliche Neuerkenntnisse berücksichtigt, was manauch über das ausführliche Namens- und Sachregister feststellen kann. Sehr verwunderlichist es aber dann doch, daß Identifikationsfiguren wie der "Schwarze Herzog" Friedrich Wilhelmund der Arbeiterführer Wilhelm Bracke, aber auch auffallende Politiker wie Merges,Oerter und Grotewohl überhaupt keine Erwähnung finden, während andererseits die nie-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 297dersächsischen Schweine- und Schafrassen (S. 358 ff.) sowie die Zahl der Kinositzplätze inHannover (S. 531) eigens mitgeteilt werden. Über Karl Wilhelm Ferdinands gesamte aufgeklärteRegierungstätigkeit und seinen Soldatentod fällt - auch in der Zeittafel- kein einzigesWort, dagegen gibt es Spezialkapitel über Bäder und Vereine. Putzige alltagsgeschichtlicheDetails wie die Rekordmilchkuh "Selma" sowie ein "Schnellkochtopf Fruco" im Dorf Immensenwerden aufmerksam registriert (S. 543), doch kommen Wirtschaftspioniere wie dieGroßindustriellen Luther und Büssing oder der Eisenbahnbauer von Amsberg in diesemBuch nicht vor. Aber es wäre sinnlos, weitere sonstige "Lücken" aufzuzählen.Lesenswert ist das Werk für den hiesigen Leser aber dennoch dadurch, daß es mancherleigesamtniedersächsische Strukturen anschaulich und fesselnd vor Augen führt. Trotz allerDefizite ist diese partielle, in der Konzeption arg verfehlte sogenannte "NiedersächsischeGeschichte" als Streifzug durch die nordwestdeutsche Vergangenheit auch jedem historischinteressierten Niedersachsen zu empfehlen. Sie erbringt auf dem gewählten engerenDarstellungsfeld immer anregend, reichhaltig und in Seitenüberschriften zusätzlich erschlossenden solcherart nie zuvor zusammengefaßten Ertrag der Forschung (etwa beimauch in Niedersachsen hochwichtigen und im Index erfaßten Thema "Armut"). Auf einekurzgefaßte "totale" einbändige niedersächsische Landesgeschichte muß man aber weiterhin50 Jahre nach Gründung unseres Bundeslandes leider noch immer warten.Dieter LentRichard Mo der h a c k , <strong>Braunschweig</strong>er Stadtgeschichte mit Zeittafel und Bibliographie.<strong>Braunschweig</strong>: Waisenhaus-Druckerei 1997,447 S., Abb., 3 Karten, 34,80 DMNaeh einer beklagenswert ahistorischen Periode erlebt Geschichte glücklicherweise seitden frühen 1980er Jahren eine ungeahnte und anhaltende Hochkonjunktur, die weite Teileder Bevölkerung erfaßt hat. Denn die Geschichte spielt bei den gesellschaftlichenWandlungen zumal unter dem aktuellen Bezug der allmählichen Integration des östlichenund des westlichen Deutschlands eine zentrale Rolle.Zu den historischen Publikationen, die lebhaftes Interesse finden, gehören vorzugsweisedie Stadtgeschichten als identitätsstiftende Wurzel für die jeweilige Bürgerschaft. RichardModerhack, ein intimer Kenner der komplexen Historie der Stadt <strong>Braunschweig</strong>, hat kürzlichseine "<strong>Braunschweig</strong>er Stadtgeschichte" in einer 2., ergänzten und erweiterten Auflage vorgelegt.Als städtischer Beitrag zur 1985 in <strong>Braunschweig</strong> gezeigten Landesausstellung "Stadtim Wandel" war "<strong>Braunschweig</strong>s Stadtgeschichte" als erster Band einer zweibändigen Veröffentlichungerschienen und ungeachtet mehrerer Auflagen binnen kurzem vergriffen.Dem Verfasser ist es vorzüglich gelungen, die vielschichtige Materie auf knapp 450 Seitenin nicht weniger als 126 Kapiteln anschaulich darzustellen und selbst komplizierte Sachverhaltein einer allgemein verständlichen Weise aufzubereiten. Verglichen mit der ursprünglichenFassung sind neben der aktualisierten Zeittafel sechs neue Abschnitte hinzugekommen,die vornehmlich jene in den letzten 12 Jahren erfolgten städtebaulichen, wirtschaftlichenund kulturellen Veränderungen betreffen. Die detaillierte Gliederung, verbundenmit einem erheblich verbesserten Register, erleichtert die Benutzung wesentlich. Diebewußt knapp gehaltene Darstellung wird durch eine umfangreiche Auflistung der allgemeinenwie speziellen Literatur ergänzt und ermöglicht somit eine zielgerechte Informationzu weitergehenden Forschungen. Wie bereits in der 1. Auflage sind auch diesmal drei Kartenzur besseren Veranschaulichung beigefügt.Fast 1000 Jahre turbulenter schriftlich dokumentierter Stadtgeschichte in einer derartigverständnisvollen, mit manchem kritisch-distanzierenden Unterton angereicherten Dar-http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650298 Rezensionen und Anzeigenstellung aufzubereiten, ist eine intellektuelle Leistung, die größten Respekt abnötigt. DerJubilar, Jahrgang 1907, arbeitet als wissenschaftlicher Archivar seit 1945 in der Stadt<strong>Braunschweig</strong>, die er seit langem ohne Umschweife als "seine Stadt" bezeichnet. Er hat mitdieser gewichtigen Publikation eine konzise Braunchweiger Stadtgeschichte geschrieben,die durch die Geschlossenheit, stilistische Prägnanz und klare inhaltliche Strukturen bestichtund auflange Frist ihren hohen Stellenwert innerhalb der deutschen Stadt- und landesgeschichtebehalten wird.Manfred R. W. Garzmann<strong>Braunschweig</strong>er StadtIexikon - Ergänzungsband -, hg. im Auftrag der Stadt <strong>Braunschweig</strong>von Manfred R. W. Ga rz man n und Wolf-Dieter Sc h u e g r a f unter wesentlicher Mitarbeitvon Norman-Mathias Pi n gel. <strong>Braunschweig</strong>: J. H. Meyer 1996, 150 S., Abb.,29,80 DMVier Jahre nach Erscheinen des <strong>Braunschweig</strong>er Stadtlexikons liegt jetzt ein handlicherErgänzungsband vor mit rund 450 Artikeln, davon etwa 50 Ergänzungen oder Korrekturenzu Einträgen des ersten Bandes - konstruktive Umsetzung der den Herausgebern vonvielen Seiten zugeflossenen Anregungen und kritischen Äußerungen. So nimmt die Rezensentinzur Kenntnis, daß die 1992 noch vermißten Stichworte sowie weiterführendeBelege zu benutzten Quellen jetzt aufgenommen wurden. In Aufbau und Aufmachunggleicht der Folgeband seinem Vorläufer (vgl. dazu <strong>Braunschweig</strong>isehes Jb. 74, 1992, S.217-219). Hinzugekommen ist eine "Zeittafel zur <strong>Braunschweig</strong>er Stadtgeschichte" (S.9-14). Sie setzt mit dem Jahr 861 ein, dem früher fälschlich die Stadtgründung zugeordnetwurde, und wird bis zum Veröffentlichungsmonat des Buches, November 1996, fortgeführt.Nur eine Korrektur am Rande: 1937 (S. 12) wurde die "Bernhard-Rust-Hochschule"eingeweiht, die Umbenennung in "Kant-Hochschule" erfolgte 1945 - genaunachzulesen übrigens im Hauptband des Stadtlexikons von 1992 (S. 176)!Zu den neuen Beiträgen gehört der anregende Artikel "<strong>Braunschweig</strong> (Name)" (S. 26),der mit der häufig tradierten Vorstellung aufräumt, die Stadtbezeichnung laute "HandeIssiedlung(.. wik") des Bruno", ist doch die Deutung "eine durch Brandrodung ("bruns(t)" =Feuersbrunst) entstandene Siedlung" sprachgeschichtlich erheblich wahrscheinlicher.Überraschend für Nicht-Germanisten dürfte auch die Erkenntnis sein, daß das in der Aussprachegebürtiger <strong>Braunschweig</strong>er vielfach anzutreffende "klare A" das "<strong>Braunschweig</strong>erHochdeutsch" (S. 27) kennzeichnet und nicht etwa, wie man vielleicht vermuten könnte,das "<strong>Braunschweig</strong>er Plattdeutsch" (S. 28). Die wissenschaftlichen Details, mit denen derF1ußname "Oker" letztlich als "schnelles F1ießen" aufgelöst wird (S. 100), sind dagegeneher etwas für Spezialisten. WeIch einschneidende verfassungs- und sozialgeschichtlicheUmwälzung das Jahr 1445 der Stadt bescherte, wird im Artikel "Großer Brief" (S. 56)deutlich. Offenbar macht die Aufnahme von Begriffen nicht strikt an der Stadtgrenze halt,sofern Bezüge zur Stadt vorhanden sind: Das "Sternhaus" (S. 126) im Lechlumer Holz beispielsweisegehört bereits zur Wolfenbütteler Gemarkung, ohne daß dies im Text ausdrücklichhervorgehoben wird, und die Verbindung zu <strong>Braunschweig</strong>-"Stöckheim" (ebd.) ist(buchstäblich) durch den früheren "Herrschaftlichen Weg" (S. 67) gegeben.Erstmalige Nennungen betreffen vor allem Personen, ja, der Ergänzungsband vermitteltbei schnellem Durchblättern beinahe den Eindruck eines" Who is Who?". Es ist erstaunlich,wieviele Künstler - Sänger, Komponisten, Schauspieler - in <strong>Braunschweig</strong> wirktenoder Beziehungen zu <strong>Braunschweig</strong> hatten. Außerdem finden sich Lebensläufe von bedeutendenIndustriellen (u. a. Hermann Buchler, Heinrich Büssing, Hugo Luther, Albert


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 299Natalis), Hochschullehrern und <strong>Braunschweig</strong>er Herzögen und Herzoginnen. Vor demHintergrund dieses thematischen Schwerpunktes ist es besonders zu bedauern, daß das imAugust 1996 veröffentlichte, umfangreiche <strong>Braunschweig</strong>ische Biographische Lexikon 19.und 20. Jahrhundert (s. <strong>Braunschweig</strong>isches Jb. 77,1996, S. 363-364) nicht erwähnt wird,obwohl einige der "Autorinnen und Autoren" (S. 7) an bei den Publikationen mitgearbeitethaben. Gleichermaßen wird die seit April 1995 verfügbare Universitätsgeschichte nicht benannt(Technische Universität <strong>Braunschweig</strong>. Vom Collegium Carolinum zur TechnischenUniversität. 1745-1995; s. <strong>Braunschweig</strong>isches Jb. 77, 1996, S. 359-362). Stattdessenwird auf ältere Publikationen zur TU/TH <strong>Braunschweig</strong> zurückgegriffen, die z. T. in derVorbereitungszeit jenes umfassenden Sammelbandes entstanden sind. Deshalb sei an dieserStelle darauf aufmerksam gemacht, daß die Festschrift von 1995 nicht nur in bezug aufeinzelne Professoren-Biographien noch weiterführende Informationen auf neuem Forschungsstandbereithält.Von diesen ergänzenden Hinweisen zurück zum vorliegenden Band: Er ist wiederebenso ansprechend bebildert, informationsreich und gut lesbar wie der Hauptteil desStadtlexikons und wird hier allen Lesern nachdrücklich empfohlen, die an der Stadt undinsbesondere an den mit ihr verbundenen Personen interessiert sind.U1rike StraußKarl K I i t t ich, Das Kunstwerk als Historische Quelle an Beispielen aus dem <strong>Braunschweig</strong>ischenLandesmuseum. <strong>Braunschweig</strong>: Pfankuch 1996, 300 S., Abb., 45 DMDie Dissertation von Karl Klittich wurde 1995 bei Lorenz Dittmann an der Universitätdes Saarlandes fertiggestellt. Bereits der Blick ins Inhaltsverzeichnis erweist, daß der behandelteThemenbereich viel weiter gesteckt ist, als der Titel der Arbeit vermuten läßt.Klittich war es um nichts Geringeres als die Entwicklung einer stringenten Methode zur(kunst-)wissenschaftlichen Behandlung der Dokumentation und Präsentation von Kunstwerkenin historischen Museen zu tun.Ausgangspunkt war für ihn nicht das konkrete Objekt sondern die Entwicklung einerMethode. Dazu erarbeitete er aus theoretischen Grundlagen ein Schema, das den Besucherumfassend über das ausgestellte Werk informieren soll. So ist denn dieser theoretische Teilim Vergleich zu den besprochenen Objekten überaus weit ge faßt.Grundlage seiner Arbeits sind kritische - manchmal auch zu kritische - Kurzanalysen derwissenschaftlichen Methoden einer Anzahl der größten Kunsthistoriker und Historikerpersönlichkeitender vergangenen 150 Jahre sowie von führenden Museumsleitern; zu ihnen zählenDroysen und Burckhardt, Wölfflin, Warburg, Panofsky ebenso wie Sedlmayr und Badt.Im Zusammenhang mit dieser Methodendiskussion unternimmt Klittich den Versuch,eine Vielzahl von unterschiedlich besetzten und auch in steter Entwicklung befindlichenBegriffen und Bereichen (neu) zu definieren, er erörtert u. a. was denn eine Quelle, wasGeschichte, Kunstgeschichte, Museum oder auch Museologie als Wissenschaft seien.Es würde in diesem Zusammenhang zu weit führen, zu Klittiehs MethodendiskussionStellung zu nehmen. Sicherlich ist das theoretische Material durchaus mit Scharfsinn analysiert,erweist sich jedoch nicht immer als hilfreich im konkreten Zusammenhang. Nichtohne Problematik ist auch Klittiehs Verzicht auf eine Einbindung der einzelnen methodischenAnsätze in erweiterte Zusammenhänge. So sind die angesprochenen Auseinandersetzungenzwischen Badt und Sedlmayr nicht ohne Berücksichtigung der HaltungSedlmayrs zum Dritten Reich zu verstehen.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>300 Rezensionen und AnzeigenAufbauend auf seinen Analysen erarbeitet Klittich eine eigene Methode zur Beschreibungvon Objekten in historischen Museen, mit der Entwicklung eines Schemas, das - soder Autor - auf verschiedene Objekte Anwendung finden kann und aus einem Dreierschrittbesteht: Heuristik - Kritik - Interpretation (s. S. 128).Diesen Arbeitsansatz konkretisiert Klittich abschließend an sieben Beispielen im<strong>Braunschweig</strong>ischen Landesmuseum. Seine Auswahl berücksichtigt unterschiedliche Epochenund auch Gattungen von Kunstwerken. Er beginnt mit der "Pieta von Hüttenrode". von 1480, fährt fort mit der "Figurengruppe vom Herzogtor in Wolfenbüttel", den Porträtsvon "Elisabeth Christine von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel" und "Kaiser Kar! VI". "Friedrichdes Großen Totenmaske"; das Porträt von "Erbprinz Carl Wilhelm Ferdinand" unddie "Sitzung des Gemeinderates von Bortfeld in heimischer Tracht" ergänzen die Untersuchung.Klittich analysiert Werk für Werk und als Ergebnis steht am Ende jeweils ein neuerEntwurf für eine Beschriftung des Objektes im Museum.Überraschenderweise grenzt Klittich die Ausstellungsbereiche des Museums mit" Vergegenwärtigungvon Geschichte und Zeitgeschichte" mit den Themen "Aufbau eines NS­Musterstaates" und" Wohnkultur der 1950er Jahre" hiervon ab. Er ist der Ansicht, daßdiese Bereiche nicht in analoger Weise zu behandeln seien und daß sich insbesondere die"politisch-agitatorische Wirkung ... für den heutigen Museumsbesucher nur schwerlichnachvollziehen" lasse. Man darf hier gegenteiliger Ansicht sein.Die Arbeit Klittichs bleibt ein bedenkenswerter Ansatz über die Verbindung von Kunstund Geschichte innerhalb der didaktischen Aufgaben eines historischen Museums. Sie gibtsachkundig Einblick in Methoden der Kunstgeschichte und ist nicht zuzletzt ein interessanterStreifzug durch die braunschweigische Landesgeschichte.Beatrice Marnette-KühlJürgen Run d, Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkreises Gifhom (Veröffentlichungender Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXX: GeschichtlichesOrtsverzeichnis von Niedersachsen 5). Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1996,307 S., 1 Karte, 58 DMAnnette von B 0 e t t ich er, Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkreises Peine(Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXX:Geschichtliches Ortsverzeichnis von Niedersachsen 6). Hannover: Hahnsehe Buchhandlung1996, 334 S., 1 Abb., 1 Karte, 58 DMMit diesen beiden Bänden sind der 5. und 6. Teil des von der Historischen Kommissionfür Niedersachsen und Bremen initiierten Geschichtlichen Ortsverzeichnisses für Niedersachsen(GOV) erschienen. Anders als die vorangegangenen Bearbeitungen beziehen sichdiese beiden neuen Bände nicht mehr auf "historische Räume", sondern auf aktuelle landkreis-Gebiete,die ihren derzeitigen Gebietsstatus erst in den 1970er Jahren mit der Gebietsreformdes Landes erhalten haben. Diese Veränderung in der Bearbeitungskonzeptionder GOV hat ihren Grund einerseits darin, daß größere historische Raumeinheiten angesichtsdes sehr großen Bearbeitungsaufwandes eines derartigen GOVs zeitlich in vertretbaremRahmen kaum noch zu bewältigen sind. Andererseits ist der Wunsch nach einem GOV,angestoßen durch Hermann Kleinaus großartiges Werk für das Land <strong>Braunschweig</strong>1967/68, gerade für die Nachbargebiete immer häufiger laut geworden.Dank gebührt G. Himmelmann u. a. für seine Vor-Ort-Initiativen in den Kreisen Gifhornund Peine. Dort gelang es, in J. Rund und A. v. Boetticher kompetente Autoren fürhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 301die beiden GOVs zu finden, welche nach relativ kurzfristiger Bearbeitungszeit von jeweilsnur einigen Jahren die beiden vorliegenden Bände erstellt haben. Beide GOVs werdennicht nur von der Regionalforschung erfreut begrüßt und dankbar aufgenommen.Die räumliche Begrenzung beider Werke auf aktuelle Verwaltungseinheiten bedeutetfreilich nicht nur einen Vorteil bezüglich einer kurzfristigeren Bearbeitung und organisatorischerErleichtungen hinsichtlich von Beschäftigungsbedingungen und Arbeitsmodus der Bearbeiter.Beide Kreisgebiete haben Anteil an unterschiedlichen historisch-politischen Raumeinheiten,was zwangsläufig den Kreis der bei Bearbeitung und Benutzung der GOVs in Retrachtkommenden Archive, Quellen etc. erweitert. Darüberhinaus sind auch weniger erfreulicheUmstände derart eingetreten, daß im Umfeld des Gifhorner GOVs eine Anzahl vonGemeinden vorliegen, welche deswegen unbearbeitet geblieben sind, weil sie einerseits alsnichtbraunschweigisch bei H. Kleinau nicht behandelt wurden, andererseits als nicht zum aktuellenLandkreis Gifhorn gehörig, nun auch bei J. Rund nicht berücksichtigt werden konnten.Ausdrücklich sei hier darauf hingewiesen, daß diese Umstände bereits während der Bearbeitungoffenkundig waren, aber wohl aus organisatorisch-taktischen Gründen nicht zubeheben waren. Dem Bearbeiter selbst darf daraus kein Vorwurf erwachsen!Es handelt sich bei den nun unbearbeiteten Gemeindebereichen um inselhafte Vorkommenund vor allem um heutiges Wolfsburger Stadtgebiet sowie Helmstedter Kreisgebiet.Das sind die folgenden: Ahmstorf, Beienrode, Essenrode, Klein Steimke, Ochsendorf,Rennau, Rhode, Rottorf (Lkr. Helmstedt); Almke, Barnstorf, Ehmen, Fallersleben, Hattorf,Hehlingen, Heiligendorf, Mörse, Neindorf, Sandkamp, SülfcId, Wolfsburg (StadtWolfsburg) sowie Harxbüttel (Stadt <strong>Braunschweig</strong>). Sehr zu hoffen ist, daß es hier rechtbald zu einer Bearbeitung kommt, um diese geradezu unmögliche Lücke zu schließen.Die GOVs für die bei den Landkreise Gifhorn und Peine sind unmittelbar miteinandervergleichbar, und dieses gilt gewiß auch für die Qualität ihrer Bearbeitung. Freilich wirdsich jeder eingestehen, daß ein solches Werk eigentlich niemals endgültig fertigzustellen istund unvermeidlich bei dem täglichen Umgang damit immer wieder zu ergänzen ist. Dessensind sich beide Bearbeiter bewußt.Die Stoffgliederung folgt in beiden Bänden modifiziert jener des <strong>Braunschweig</strong>erGOVs von H. Kleinau. Dessen Bearbeitungen wurden beidemal angepaßt für diejenigenGemeinden übernommen, welche seither den bei den Kreisgebieten zugeschlagen wordensind. (Die aus den vor der Gebietsreform bestehenden Alt-Kreisgebieten von Gifhorn undPeine bei der Reform ausgeschiedenen Gemeinden sind konsequent unberücksichtigt geblieben).Die Gliederungen bei der GOVs enthalten neun Abschnitte, weIche die folgendenThemengruppen behandeln: Ortsname, Ortsentwicklung und -zugehörigkeit Lw.S., geistlicheZugehörigkeiten, grundherrliehe u. a. Besitzverhältnisse, Gemeinheitsteilung und Verkoppelung,Statistik, Wohn plätze und Wüstungen, Schrifttum. Eine eingehende Kommentierungim Vorspann erleichtert die Handhabung im Einzelfall.Die mit einer die Zitierung erleichternden laufenden Numerierung versehenen Stichworteerfassen neben den Orten, Wohn plätzen etc. selbst nicht nur die (bekannten und zuordnungsfähigen)Wüstungen, sondern auch Institutionen, räumliche und administrativeZugehörigkeiten vereinzelt bis hin zu Landschaftsnamen, Schutzgebieten uund vieles anderesmehr. Eine wahre Fundgrube nicht nur für die Regionalforschung. Die subtilen Quellen-und Literaturverzeichnisse werden darüberhinaus als willkommene Hilfsmittel begrüßtwerden und ebenso die Indices für Orte und Personen sowie der Sachindex. Eine Orientierungskartesteht jeweils am Schluß der beiden Bände. Hier würde der Rez. im Falle vonGifhorn eher eine topographische Karte mit Eintragung sämtlicher Ortsnamen ete. vorziehen,wie sie das GOV Peine enthält. Die vorhandene Karte nur mit den Einheits- undSamtgemeinden und ihren Grenzen ist da vergleichsweise wenig hilfreich.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>302 Rezensionen und AnzeigenUneingeschränkte Anerkennung und Dank gebührt insbesondere bei den Autoren fürihre gründliche Bearbeitung, aber auch allen jenen, die organisatorisch und fachwissenschaftliehbegleitend beigetragen haben, daß mit dem Zustandekommen und dem Erscheinenbeider GOVs die Regionalforschung im größeren <strong>Braunschweig</strong>er Raum neue Impulseund Fortschritte erfährt. Es ist zu hoffen, daß von ihnen auch eine Vorbildwirkung auf andereLandkreise ausgeht - vor allem im Bereich der angemerkten Lücken im Kr. Helmstedtund der Stadt Wolfsburg. Vivant sequentes!Wolfgang MeibeyerGitter. Zwölf Jahrhunderte Geschichte. Gestaltung und Redaktion: Gudrun Pis c h k e,Rcinhard F ö r s t e r I i n g u. a. (Beiträge zur Stadtgeschichte 12, hg. vom Archiv der StadtSalzgitter). Salzgitter: Waisenhaus Druckerei <strong>Braunschweig</strong> 1996, 511 S., Abb., 50 DMDie in erfreulicher Anzahl seit etwa einem JahrLehnt verstärkt erscheinenden Ortschronikenaus der ehemaligen Landesregion <strong>Braunschweig</strong> sind - was vielfach übersehen wird- durchaus nicht nur von lokal beschränktem Interesse, sondern erhellen meistens auchins Umland ausstrahlend Verhältnisse des flachen Landes und spiegeln des weiteren konzentriertund bis ins Detail mosaikartig allgemeinere ereignis- und strukturhistorischeAspekte unserer Landesgeschichte in folgenden Sachbereichen wie: Geographie vonKleinräumen, Vor- und Frühgeschichte, Siedlungs-, Verkehrs- und Bevölkerungsgeschichte,Kirchen- und Schulgeschichte, insbesondere aber die Agrargeschichte. Auswirkungenvon Kriegshandlungen - besonders auch des Dreißigjährigen Krieges - lassen sich beispielsweisebisher nur lokal begrenzt ganz genau untersucht für das Land <strong>Braunschweig</strong>belegen. Auch für die sogenannte "Alltagsgeschichte" bieten gerade Ortschroniken viel.Für diese überlokale Relevanz von Dorfchroniken ist das anzuzeigende Werk ein eindrucksvollesBeispiel. Der erst 1941 braunschweigisch gewordene namengebende Ort derheutigen Industriegroßstadt Salzgitter, ehemals "Gitter am Berg" (heute "Salzgitter - Gitter")bietet Stoff für alle oben genannten Zweige der Landesgeschichte und zusätzlich sogarfür die regionale Industriegeschichte (dortige Spinnerei, Eisenwerk sowie drei Bergbauschächteauf Kali und Erz seit Mitte des vorigen Jahrhunderts). Im besonderen Grade interessantist Gitter (am Berg) durch seine Lage innerhalb der seit dem 19. Jahrhundert intensivausgebeuteten Salzgitterer Erzbergbauzone sowie durch seine uralte Saline, bei derim 14. Jahrhundert getrennt die kleine Sal7.5tadt Salzgitter (heute Salzgitter - Bad) entstand,deren Name direkt von Gitter - Dorf abgeleitet ist. Trotz dieser Nachbarschaft undtrotz der neuesten Einbeziehung des schon im 8./9. Jahrhundert erwähnten Ortes in die Industriegroßstadtist dieser jetzige Stadtteil "Salzgitter - Gitter" mit 900 Einwohnern erstaunlicherweiseimmer noch einigermaßen klar abgegrenzt als "Dorf' erkennbar.Das als Ortschronik angelegte Buch ist ein Gemeinschaftswerk von Fachhistorikern,Mitarbeitern des Stadtarchivs Salzgitter, ausgewiesenen Heimatforschern und engagiertenBürgern von Gitter. Der klar gegliederte, reich bebilderte und gut lesbare Band stellt geradezuein Optimum unter den neuen Ortschroniken hierzulande dar. Es ist ein unschätzbarerVorteil, daß mit J. Leuschner und G. Pischke bekannte und überaus erfahrene Stadt- undLandeshistoriker viele Beiträge selbst verfaßt und das ganze auf erschöpfender Quellengrundlageaufgebaute Werk auch redigiert und herausgegeben haben. Die von diesen beidenWissenschaftlern stammenden Kapitel zu Mittelalter und Frühneuzeit übertreffen alles, wasdie üblichen Ortschronisten als Laien sonst zu diesen Epochen zu sagen haben. Auf Einzelheitendes in allgemeine Epochenabschnitte und Sachkapitel zu den einzelnen Lebensgebietenaufgegliederten Bandes kann hier nicht eingegangen werden. Das Bergbaukapitel ver-http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 303faßte mit H. Kolbe ebenfalls ein hochkompetenter Fachmann. Landeshistorisch überörtlichaufschlußreich ist auch das Kapitel über das dortige Handwerk, Handel und Gewerbe.Alles in allem: eine vorbildhafte Arbeit, die innerhalb des diffusen Stadtgebildes SalzgitterOrtsteile-Identität aufrechtzuerhalten imstande ist.Dieter LentDirk R i e sen er, Christi an E g ger s, Velpke. Geschichte einer Gemeinde und ihrerOrtsteile Meinkot, Wahrstedt, Büstedt, hg. von der Gemeinde Velpke. Velpke: KühneHelmstedt 1996, 941 S., Abb., 55 DMMit dem vorliegenden Buch wird die Geschichte der Gemeinde Velpke mit den OrtsteilenMeinkot und Wahrstedt im Hclmstedter Holzland südöstlich der modernen IndustriestadtWolfsburg erzählt. Für diese Aufgabe konnten auf Vermittlung des Historischen Seminarsder Universität Hannover die Historiker Dirk Riesener und Christian Eggers gewonnenwerden. Sie fanden das Feld gut bestellt: Umfangreichstes Aktenmaterial und lokaleÜberlieferungen waren bereits im Rahmen einer vorangegangenen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmeaus Gemeinde und Archiven zusammengetragen und ausgewertet und hattenschon 1990 die Publikation eines Bildbandes ermöglicht. Angesichts dieser günstigenVoraussetzungen konnte nach einigen weiterführenden Studien umgehend mit der Realisierungdes Chronik projektes begonnen werden, das nach Vorgabe des Ortsrates "wissenschaftlicheErkenntnis mit dem Laieninteresse an der Ortsgeschichte in Einklang zu bringenversuchen sollte." Nach zweijähriger Bearbeitungszeit liegt nun eine Ortsgeschichtevor, die, so kündigt es das Vorwort an, "auf dem Gebiet der LokalgeschichtsschreibungMaßstäbe setzen will." In der Tat ist das Ergebnis beeindruckend: Archivalisches Quellenmaterialaus sechs Archiven bildet die Basis für eine vor Informationsfülle überquellendeSchilderung der Gemeinde Velpke von der Frühzeit bis auf unsere heutigen Tage, dargelegtin einem nahezu 900 Seiten umfassenden Text mit rund 40 Diagrammen, Statistikenund Tabellen. Das erfreut den Fachmann, auf den Laien wirkt es eher abschreckend. Abergerade er ist doch der Adressat einer Ortsgeschichte!Der in allgemeine Epochenabschnitte und Sachkapitel zu den einzelnen Lebensgebietenklar gegliederte Band ist flüssig geschrieben, thematische Schwerpunkte wurden so gewählt,daß sie repräsentativ für eine Geschichtsepoche stehen, zugleich aber auch einen wesentlichenAspekt der Orte als Siedlungsstruktur erschließen: Die gewerbliche Durchdringungder Gemeinde seit dem 17. Jahrhundert, die umfangreiche Ausländerbeschäftigung inden Steinbrüchen, die sozialen, ökonomischen und pOlitischen Konflikte der Schichten undGruppen im Dorf, die Jahre des Dritten Reiches, als in Velpke ein Heim für Zwangsarbeiterkinderbestand, die die Nachkriegsgeschichte der Gemeinde durchgängig prägendeNähe zur innerdeutschen Grenze und die Auswirkungen der Nachbarschaft zum Volkswagenwerk.Indem die gewählten Aspekte in den aufeinanderfolgenden Epochen, also in ihrerVeränderung untersucht wurden, sollte so der Versuch unternommen werden, einenÜberblick über den historischen Wandel sowie auch ein möglichst abgerundetes Bild derOrte zu liefern. Ein methodisches Konzept, das u. a. schon bei der 1994 vom StadtarchivWolfsburg herausgegebenen Geschichte Vorsfeldes zur Anwendung kam.Um den Anspruch einer umfassenden Darstellung Velpkes im historischen Kontext einzulösen,war es das besondere Anliegen der Autoren, die lokalen Begebenheiten stets imRahmen der dazugehörigen engeren und weiteren Region, ja der nationalen Geschichte zusehen. So sinnvoll die Einbettung in die allgemeine Geschichte zweifellos auch ist, einen zugroßen Raum sollte sie aber nicht einnehmen. Es erscheint höchst fraglich, ob der Vorge-http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>304 Rezensionen und Anzeigenschichte und der Römer- und Sachsenzeit mehr als sechzig Seiten gewidmet werden müssen,wenn der Leser in diesem Abschnitt über Velpke nur wenig mehr als von der Existenz einigerBodenfunde erfährt. Eine Skizzierung dieser Zeitabschnitte unter Einbeziehung lokalerAspekte wäre hier angebrachter gewesen. Überhaupt hat das übermäßige Streben nachVollständigkeit sich auf die Handlichkeit des Werkes eher nachteilig ausgewirkt. Nicht jedemSachkapitel muß zu Beginn ein geschichtlicher Entwicklungsausschnitt Niedersachsensoder des Kreises Helmstedt vorangestellt werden, wobei sich derlei Darstellungen oft zu sehrvon der Geschichte der drei Ortschaften lösen. Die Folge sind eine stoffliche Überfrachtungund eine unnötige Aufblähung des Buchumfangs. Hier lassen Riesener und Eggers Augenmaßvermissen und haben sich wohl zu sehr davon leiten lassen, "methodisch und im Umfangmit Abhandlungen größerer Kommunen konkurrieren" (Vorwort) zu können."Unser Ziel ist eine lebensnahe Geschichte der Gemeinde Velpke", so schreiben dieAutoren in der Einleitung, "die den Lesern die Lebensverhältnisse früherer Zeiten nahebringt,und die das Denken und Handeln der Menschen in einen Zusammenhang mit diesenLebensverhältnissen stellt." Bei allen Einwänden - dies hochgesteckte Ziel ist mit demvorgelegten Buch sicherlich erreicht. Anschaulich wird das dörfliche Leben über viele Jahrhundertehinweg vor dem Leser ausgebreitet, werden die Veränderungen in der Sozialstrukturbeschrieben, erhalten die Lebensumstände der Bauern, Landhandwerker undSteinhauer, der Frauen und Kinder Konturen. Kaum Beachtung allerdings findet in diesemZusammenhang die Person des Dorfpfarrers und die Rolle der Kirche in der vorindustriellenZeit. Das Gotteshaus war nicht nur Gebetsstätte, es war auch Mittelpunkt der dörflichenGemeinschaft. Die Stellung des Pfarrers galt in diesem Umfeld als vorrangig in derReihe der Honoratioren und über eine lange Zeit verband ihn mit den Bauern eine engewechselseitige, durchaus nicht immer harmonische Beziehung - ein überaus wichtiges Korrektivin der abgeschlossenen Welt des Dorfes. Diesem zentralen Bereich des ländlichenAlltagslebens müßten unbedingt mehr als zwei kurze, eher allgemein gehaltene Unterkapitelgewidmet werden.Eine Ortsgeschichte lebt nicht nur von dem geschriebenen Wort, sondern in entscheidendemMaße auch von der Illustration. Gerade Fotografien geben dabei über den Text hinausgehendden Blick frei in fremde Lebenswelten und eröffnen die Möglichkeit einer Annäherungan eine Zeit, die aufgrund gravierender Veränderungen in den letzten Jahrzehntendem heutigen Menschen bereits überaus fremd geworden ist. Die Autoren verzichteten jedochhierauf bewußt und die wenigen Abbildungen, die dennoch Verwendung fanden, sindnicht auf die Region bezogen. Eine bildorientierte Ortschronik, so ihre Meinung, richte sichmehr an Außenstehende, die sich einen kurzen und wenig anstrengenden Überblick verschaffenwollen. Der ortsansässige Leser aber soll vielmehr dazu gebracht werden, sich "dieGeschichte seiner Gemeinde lesend zu 'erarbeiten'". Eine gewisse Realitätsfeme der Autorenwird hier offenkundig. Der interessierte Laie - und um diese Art von Leser handelt essich ja vorrangig bei einer Ortsgeschichte - hätte sicherlich gut ausgewähltes und ausreichendkommentiertes Bildmaterial, das den Text auflockert und veranschaulicht, sehr begrüßt.Ihm ist so die Möglichkeit genommen, über die Bebilderung einen Einstieg in das ungewohnteLesen eines wissenschaftlichen Textes zu finden. Dies ist bedauerlich, da die Chance,so einen größeren Leserkreis an die Lokalgeschichte heranzuführen, wenig genutzt wird.Trotz der Kritik: Die Autoren Riesener und Eggers haben eine mit akribischem Heißund großem Sachverstand erarbeitete Lokalstudie vorgelegt, deren Ergebnisse von allgemeinemInteresse sind. Allein deswegen wird das Werk nicht nur in der Velpker Regionzahlreiche Leser finden, was ihm auch sehr zu wünschen ist.Joachim Schmidhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 305Klaus Naß, Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische Geschichtsschreibungim 12.Jahrhundert (Monumenta Germaniae Historica. Schriften 41). Hannover:Hahnsche Buchhandlung 1996, LVIII, 472 S., 16 Abb., 120 DMAls Annalista Saxo wird seit Leibniz der anonyme Verfasser einer umfangreichen lateinischenChronik aus dem 12. Jahrhundert bezeichnet, die von den Karolingern (741) bis in diefrühstaufische Zeit (1139/1142) reicht. Seit der kritischen Edition des Textes in den MonumentaGermaniae Historica durch Georg Waitz (1844) ist bekannt, daß es sich bei diesemGeschichtswerk um eine Kompilation handelt, die aus ganz verschiedenen Quellen schöpft.Die Arbeitsweise des Kompilators ist bislang jedoch nicht untersucht worden. Dies hat sichNaß in seinem grundlegenden Buch vorgenommen (Habilitationsschrift am Fachbereich fürPhilosophie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der TU <strong>Braunschweig</strong> 1995).Zunächst analysiert Naß die einzige erhaltene Handschrift der Chronik aus dem Mittelalter,einen Codex in der Bibliotheque Nationale in Paris (S. 4-43). Er datiert die Handschriftin die Mitte des 12. Jahrhunderts und bestätigt die ältere Forschungsansicht, daß essich um das Original handele (unter den 6 Händen, die den Codex geschrieben haben, gehörtvermutlich die Hand F dem Autor selbst). Von der Handschrift geht Naß zu den Quellendes Geschichtswerkes über, die er eine nach der anderen, von den älteren bis zu denjüngsten, abhandelt und deren Benutzung durch den Autor er im einzelnen analysiert(S. 51-339). Im letzten Abschnitt werden die Ergebnisse zusammengefaßt und Schlußfolgerungengezogen (S. 340-380). Insgesamt können 52 erzählende Quellen (darunter zehnverlorene Werke), 30 Briefe und Akten, vier Urkunden und zwei Gedichte als Vorlagendes Kompilators festgestellt werden. Kein anderer deutscher Geschichtsschreiber des 12.Jahrhunderts hat so viele Quellen zusammengetragen wie der sächsische Chronist, der zumgroßen Teil - wie Naß nachweist - in einer aufwendigen "Mosaik technik" die Nachrichtenseiner Quellen kombiniert (S. 348 f.). Der Anteil an Quellen aus dem sächsischen Raum,d. h. aus dem sächsischen Stammesgebiet und dem Herrschaftsbereich Heinrichs des Löwen,ist besonders hoch, die Chronik kann geradezu als "Bestandsaufnahme der historiographischenÜberlieferung in Sachsen um 1150" (S. 346) angesehen werden.Gegenüber bisherigen Versuchen, den Autor zu identifizieren, bleibt Naß skeptisch; füreine Entstehung in Magdcburg spreche u. a., daß hier der Chronist einen Großteil seiner Quellenhätte auffinden können (S. 375). Als <strong>Bibliothek</strong>sorte, die der Chronist aufsuchte, sind außerdemetwa Halberstadt, Hildesheim und die Klöster Huysburg und I1senburg zu vermuten.Die Nachwirkung der Chronik im Mittelalter war gering; im späten Mittelalter befandsich die Originalhandschrift in Würzburg, wie Eintragungen beweisen. Im 17. Jahrhundertist sie im Kloster Saint-Germain-des-Pres bei Paris nachweisbar, von wo sie in Folge derFranzösischen Revolution in die französische Nationalbibliothek verbracht wurde. In derAusstellung "Heinrich der Löwe und seine Zeit" war die Handschrift 1995 für kurze Zeit in<strong>Braunschweig</strong> zu sehen (Katalog Bd. 1, C 3).Die Fachwelt wird die scharfsinnigen und mit vielen neuen Ergebnissen aufwartendenUntersuchungen von Naß, der eine Neuedition der gesamten Chronik vorbereitet, dankbaraufnehmen. Das umfangreiche Buch ist übersichtlich aufgebaut und durch ein Quellen- undLiteraturver7.eichnis, ein Verzeichnis der Handschriften und Urkunden und einen Index derNamen und Sachen ausgezeichnet erschlossen. Im Anhang werden in fünf Exkursen Nebenergebnissepräsentiert. In Exkurs IV ist im Anschluß an eigene Forschungen über Ablässe fürdas Kloster Königslutter ein kleiner Bericht aus dem 15. Jahrhundert ediert.Es ist ein Glücksfall für die Region, daß Naß immer wieder Themen ihrer mittelalterlichenGeschichte anschneidet.U1rich Schwarz


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650306 Rezensionen und AnzeigenThomas B e d die s, Becken und Geschütze. Der Harz und sein nördliches Vorland alsMetallgewerbelandschaft in Mittelalter und früher Neuzeit (Europäische Hochschulschriften.Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 698). Frankfurt am Main u. a.: PeterLang 1996, 430 S., 2 Karten, 108 DMDiese überarbeitete Berliner Dissertation von 1994 untersucht für den Zeitraum vom 12.bis zum 16. Jahrhundert das Gefüge der Metallgewerbe im Unterharz mit Goslar und späterBündheim sowie diesen Sektor in den Städten Hildesheim und <strong>Braunschweig</strong> im Harzvorland,mithin keine geschlossene "Gewerbelandschaft". Der Schwerpunkt liegt auf denKupfer und Messing verarbeitenden Gewerben und hier wiederum auf den "Beckenschlägern"oder nBeckenwerken", einem exportorientierten Handwerk, das deswegen eine erheblicheinnere Differenzierung und besondere Organisationsformen entwickelt hat. ImGegensatz dazu stehen die übrigen hier untersuchten Metallgewerbe, die regional orientiertenGlocken-, Gropen- und Apengießer sowie die ganz überwiegend für den lokalenAbsatz tätigen Zinngießer.Der Verfasser entwickelt zunächst an hand der allgemeinen Literatur zum Thema theoretischeModelle, um daran die Realitäten in seinem Untersuchungsgebiet - soweit es diegeringe Quellenlage zuläßt - zu messen. Aus einem Mosaik von Einzelnachrichten wird einfacettenreiches Bild gewonnen, in dem von der Herkunft und Gewinnung der Rohstoffeüber die wesentlichen Herstellungstechnologien, die Organisation der Produzenten und denAbsatz der Erzeugnisse nichts unbeachtet bleibt. Im ersten Hauptteil der Arbeit wird die Tätigkeitdes Zisterzienserklosters Walkenried hauptsächlich am Beispiel seiner Grangie Immedeshausenbei Seesen/Harz untersucht. Im Gegensatz zu den Aktivitäten anderer Klösterwirkte Walkenried in Eigenregie innovativ im Bergbau und der Erzverhüttung vor allemdurch Wasserbauten und im Absatz ohne Zwischenhändler, für den das Kloster einen eigenenStadthof in Goslar besaß. Freilich verzichtete Walkenried im ausgehenden Mittelalter inVerbindung mit der Aufgabe seiner Eigenwirtschaften, aber auch unter dem Druck derKonkurrenz des welfischen Landesherren und der Goslarer Kaufleute auf diese Aktivitäten.Im zweiten Hauptteil seiner Arbeit stellt Beddies die unterschiedliche Entwicklung derMetallgewerbe in den Städten Goslar, Hildesheim und <strong>Braunschweig</strong> dar mit dem Schwerpunktauf letzterer.Nächst dem Silber, das in Beddies Untersuchung zu Recht unberÜCksichtigt bleibt, warfür Goslar langhin die Gewinnung von Kupfer am bedeutsamsten. Auf dieser Grundlagearbeitete hier ein qualifiziertes Kunsthandwerk offensichtlich nur für den salischen Königshofund seine nächste Umgebung. Mit dem Ausbleiben der Herrscher verlor dieser Handwerkszweigseine Bedeutung nach Beddies durchaus einleuchtender Auffassung, weil dieGewinnung der Metalle und ihr Handel die Arbeitskraft soweit band, daß die finanziell wenigerergiebige Weiterverarbeitung kein hinreichendes Interesse fand. Später dann verhindertendie Zerstörung Goslars und seines Bergbaus eine metallgewerbliche Entfaltung.In Hildesheim entstanden zur Zeit des Bischofs Bemward (933-1022) die bedeutendstenBeispiele niedersächsischen Bronzegusses überhaupt, ohne daß es hier in der Folge zueiner differenzierten und exportorientierten Entfaltung von Metallhandwerken kam mitAusnahme der Messerschmiede mit überregionalem Absatz und des regional bedeutendenGlockengusses.Im Gegensatz dazu entwickelten sich in <strong>Braunschweig</strong> weithin und teilweise bis über dieGrenzen des damaligen Deutschen Reiches hinaus exportierende Metallhandwerke. Unterdiesen wird mit Recht das Handwerk der Beckenschläger oder Beckenwerken ausführlichbehandelt. Dieses produzierte mit den Becken eine besondere Art von Schüsseln, danebenaber Kessel aus Kupfer und Messing und vertrieb diese durch bestimmte Mitglieder imFemhandel. Beddies mutmaßt mit stichhaltiger Begründung, daß die ersten Vertreter des


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 307Beckenwerkerhandwerks Ende des 12. Jahrhunderts aus der Maasregion, dem damaligenHauptproduktionsgebiet für Messingwaren, bei Gründung der <strong>Braunschweig</strong>er Neustadtplanmäßig hierher übergesiedelt sind. Das Goslarer Kupfer dürfte dafür initiativ gewesensein, für die weitere Entfaltung aber die Kenntnis der Produktionstechnologien.Das Galmei, das der eine Rohstoff für die Messinglegierung war, mußte in <strong>Braunschweig</strong>aus dem Maasgebiet bezogen werden, bis es etwa seit der Mitte des 16. Jahrhundertsvon Abraumhalden im Bündheim-Goslarer Gebiet als sogenannter Hüttengalmei zurVerfügung stand. Auf dieser einheimischen Grundlage wurde die Bündheimer Messinghütteim Rahmen der montan wirtschaftlichen Bestrebungen der <strong>Braunschweig</strong>er Herzöge gegründetund gefördert. Nicht frei von Fehlschlägen bot sie eine breite Palette von KupferundMessingwaren relativ preisgünstig an und trug so erheblich zum Niedergang des<strong>Braunschweig</strong>er Beckenschlägerhandwerks bei. Die bereits 1870 veröffentlichte Liste desBündheimer Warenangebots ist im Original keineswegs "nicht mehr auffindbar" (S. 179),sondern unter den vom Herausgeber Sack gesammelten Dokumenten erhalten geblieben(jetzt: Stadtarchiv <strong>Braunschweig</strong>: H V Nr. 157, S. 58 ff.).Auch die <strong>Braunschweig</strong>er Plattner, Schwertfeger und Büchsenmacher waren stark exportorientiertbei hohen Produktzahlen und auch ihr Absatz litt seit dem 16. Jahrhundert insteigendem Maße unter der Konkurrenz der fortschrittlicheren herwglichen Produktionsstätten.Des weiteren untersucht der Verfasser als metallgewerbliche Aktivitäten die herzoglicheGewinnung von Blei und Vitriol, deren Absatz man bewußt durch die Entwicklungneuartiger Produkte und Verwendungsmöglichkciten steigerte. In den Absatz des Vitriolswaren auch Kaufleute aus Goslar, <strong>Braunschweig</strong> und anderen Städten eingebunden.In einer zusammenfassenden Betrachtung glaubt Beddies sein Untersuchungs gebiet fürdas Mittelalter und die frühe Neuzeit gemäß dem Untertitel seiner Arbeit als MetalIgewerbelandschaftcharakterisieren zu können. Indes handelt es sich - folgt man der Darstellung- nicht um flächendeckende Erscheinungsformen, und die Einbindung des ländlichen Umlandesin die metallgewerblichen Strukturen der Städte <strong>Braunschweig</strong> und Hildesheimbleibt weitgehend unbeantwortet.Es fehlt eine anschauliche Charakteristik der Erzeugnisse, die man freilich von einer historischenDissertation auch nicht erwarten kann. Jedoch ist der plakative Haupttitel danndem Inhalt ebensowenig angemessen wie das Titelbild, das den Nürnberger BeckenschlägerHanns Hofmann in seiner Werkstatt zeigt. Das sei aber nur am Rande vermerkt; denninsgesamt hat der Verfasser ein umfassendes und differenzierendes Gesamtbild der Merallgewerbein seinem Untersuchungsgebiet sowie ihres wirtschaftlichen und sozialen Umfeldeserarbeitet.Mechthild WiswePeter Ve d dei er, Das Niedersachsenroß - Geschichte des niedersächsischen Landeswappens.Hannover: Fackelträger-Verlag 1996, 160 S., Abb., 24,80 DMEinen "Streifzug durch 800 Jahre 'niedersächsischer' Wappengeschichte" nennt der AutorPeter Veddeler seine Untersuchung, doch bietet seine Arbeit weitaus mehr. Veddelers Arbeitfußt auf Georg Schnaths grundlegender Untersuchung über das "Sachsenroß", erschienen1958, eine zweite überarbeitete Auflage 1961. Eine dritte vom Autor angestrebteÜberarbeitung konnte nicht mehr stattfinden. Veddeler versteht seine Untersuchung dahernicht nur als: " ... Neubearbeitung des Niedersachsenrosses ... " sondern auch wie ervermerkt, um: n" .meinem verehrten Lehrer Dank abzustatten ... ". Neu ist in seiner Ar-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>308 Rezensionen und Anzeigenbeit die stärkere Betonung des Niedersachsenbezugs sowie der Wunsch, den Sachverhalteinem interessierten, breiteren Publikum darzustellen.Auf knappp 150 Seiten stellt Veddeler ausführlich die Geschichte des Rosses des niedersächsischenWappens in den verschiedenen Regionen des heutigen Bundeslandes dar.Seine Ergebnisse sind dabei - in äußerster Kürze zusammengefaßt - folgende: Das Roßwappentrat bei den Herzögen von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg um 1360 erstmalig auf. Diehäufig beschworene altsächsische Tradition zu seiner Deutung und Legitimation ist, so derAutor, eine im 14. Jahrhundert entstandene Fiktion, mit deutlichen Parallelen zum altösterreichischenAdlerwappen oder dem alt-fränkischen Rechenwappen. Veddeler sieht inder Aufnahme des Pferdes eine Reaktion der Herzöge von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg auf dieVerleihung der sächsischen Kurwürde und des Reichsvikariats im Bereich sächsischenRechts an die Herzöge von Sachsen-Wiuenberg im Jahre 1356.Eine zuverlässige farbige Abbildung des Wappens mit dem weißen (heraldisch silbernen)Roß auf rotem Grund liegt erst aus dem Jahre 1442 in der Sachsenspiegel handschriftder Lüneburger Ratsbücherei vor. Entscheidenden Anteil an der weiteren Rezeption trugdann Konrad Botes Sachsenchronik von 1492, die das Pferd bis auf Herzog Widukind zurückführt.Die Herzöge von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg hatten das Roß zunächst in der Helmzier ihrerWappen geführt, erst um 1670 setzten es alle Linien des Hauses in ihren Wappenschild.Damit war das Roß zum eigentlichen Symbol des Welfenhauses geworden und stand daherin der Folge unter anderem sowohl im Wappen des Kurfürstentums Hannover als auch indem der Könige von Großbritannien.Innerhalb des Herzogtums und des Freistaates <strong>Braunschweig</strong> führten die Herzöge seitRudolf August das Roß im mittleren Feld der zweiten Reihe ihres Wappenschildes. Auf Siegelnzahlreicher Mitgleider des Hauses kommt der gekrönte Roßschild auch allein vor. Damitkorrigiert Veddeler die Ergebnisse Schnaths, der die Überzeugung vertrat, daß die<strong>Braunschweig</strong>er Herzöge das Roß nur in Ausnahmefällen in den Wappenschild gesetzt hätten.Erst unter Herzog Wilhelm (1831-1884) verschwand das Pferd aus dem Wappenschild,um gleichwohl weiterhin als Hoheitszeichen, z. B. auf Kleinmünzen vertreten zu sein.Auch in Hannover blieb das silberne Roß auf rotem Grund, trotz der Annektion durchPreußen 1866 bis 1946 als Wappen aufgrund seiner großen Popularität in der Bevölkerungerhalten. Diese große Popularität mag mit dazu beigetragen haben, daß man sich 1948 beider Suche nach einem Symbol, das für alle Landesteile Niedersachsens sowohl repräsentativals auch identitätsstiftend wirken könne, für das "(nieder)sächsische" Roß entschied.Veddeler erläutert an einer Vielzahl von Beispielen, unterstützt durch 105 Abbildungen,die jeweils geführten Wappen, ihren Aufbau, weitere verwendete Symbole, vor allemLöwe und Leopard, sowie deren Herkunft; zugleich folgt er den Ursachen, den politischenund auch nicht-politischen Umständen für die Wahl des jeweiligen Wappens. Diese Untersuchungbietet demnach auch einen Überblick über die wechselvolle dynastisch-territorialeGeschichte eines großen Teiles des nordwestdeutschen Raumes mit dem Schwerpunkt aufdem (nieder)sächsischen Gebiet zusammengefaßt und klar verständlich geschildert. Da dieUntersuchung ihren Ausgang vom Wappen nimmt, das heißt einer bildhaften Form und ihrerVerbindung zu den schriftlichen Quellen, wird die Darstellung der historischen Ereignissefür den Leser konkreter und ungleich deutlicher und erinnerbarer.Kritische Auseinandersetzung mit der älteren Literatur, die stets angenehm sachlichbleibt, vermitteln Einblicke in die Entwicklung der Forschung zum Wappenbild des Rosses,aber auch von Löwe und Leopard in den letzten hundert Jahren. Und nebenbei erfährt derLeser noch Grundsätzliches zur Heraldik, zu Aufbau und Gestaltung eines Wappens.Beatrice Marnette-Kühlhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 309Hanse, Städte, Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Eibe und Weser um 1500. Ausstellung,Kulturhistorisches Museum Magdeburg, 28. Mai bis 25. August 1996, <strong>Braunschweig</strong>ischesLandesmuseum, Ausstellungszentrum Hinter Aegidien, 17. September bis1. Dezember 1996. Bd. 1: Aufsätze. Bd. 2: Katalog. Hg. von Matthias Pu h I e (MagdeburgerMuseumsschriften 4). Magdeburg: Cuno-Druck Calbe 1996, XI, 658 S., Abb.und XI, 327 S., Abb., 48 DMAnlaß für die Ausstellung, die in den hier vorzustellenden Bänden dokumentiert wird,war kein Gedenkjahr, etwa ein Stadt jubiläum oder das Geburts- bzw. Todesjahr einesHerrschers. Vielmehr sollten, wie es in der Einleitung heißt, "politische, wirtschaftliche,gesellschaftliche und kulturelle Gemeinsamkeiten" aufgezeigt werden, die "zur Ausbildungeiner städtisch geprägten Kulturlandschaft" im Gebiet zwischen Weser und Eibewährend des Spätmittelalters über die Territorialgrenzen hinweg führten. Aus der heutigenErfahrung ist diese Perspektive verblüffend, verlief doch bis vor wenigen Jahren mittendurch diese Region die innerdeutsche Grenze, und auch nach Aufhebung der Teilungsehen viele eher das Trennende als die Gemeinsamkeiten. Nicht zuletzt die Sprache bildetein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Ost und West. Anders im Mittelalter.Die sächsischen Städte, die sich, wenn auch in wechselnder Zusammensetzung, seit demEnde des 14. Jahrhunderts zum Sächsischen Städtebund zusammenschlossen, befanden sichzwar in verschiedenen Territorien und Diözesen, doch scheinen ihre Bewohner das Bewußtseineiner gemeinsamen Volkszugehörigkeit empfunden zu haben. <strong>Braunschweig</strong> verbandmehr mit Aschersleben als mit aidenburg, und Magdeburg hatte engere Beziehungen zuGoslar oder Hannover als zu Brandenburg bzw. Berlin. Das Areal des Städtebundes decktesich weitgehend mit dem Gebiet, in welchem im 14. und 15. Jahrhundert der ostfälische Dialektgesprochen wurde. Erst die Sprachentwicklung seit dem Spätmittelalter führte zu denakustisch sehr verschiedenen Spielarten des Hochdeutschen, die heute als Unterscheidungsmerkmalebesonders deutlich zu fassen sind. Aber die gemeinsame Sprache bildete nur einverbindendes Element; wichtiger noch waren zum einen ökonomische Gründe, zum anderendie gemeinsamen Interessen an der Entwicklung bzw. Verteidigung städtischer Autonomiegegenüber den Territorialherren, die zu einer Kooperation der Städte führten.Der Aufsatzband gliedert sich in vier Hauptteile mit insgesamt 47, reich bebildertenAufsätzen, deren Inhalt im einzelnen hier nicht dargestellt werden kann. Nur die wichtigstenAspekte seien genannt. Der erste Teil befaßt sich mit dem Sächsischen Städtebund imhansischen Raum. Die Beiträge behandeln die Entstehung und Bedeutung dieses Städtebundesvor dem Hintergrund der allgemeinen hansischen Geschichte, ferner die Beziehungder sächsischen Städte zum Reich, die Bestrebungen zur Sicherung des Landfriedens sowiedie Auseinandersetzungen mit den Landesherren um die Ausgestaltung bzw. Verteidigungder städtischen Autonomie.Der zweite, umfangreichste Teil geht auf Recht, Verfassung und Gesellschaft in den Städtenein. Besonderes Interesse beansprucht hier das Magdeburger Recht, weil es im deutschsprachigemRaum das am stärksten verbreitete war und weit in den osteuropäischen Raumausstrahlte. Weitere Aufsätze sind dem Wehrwesen, der Bedeutung und den Funktionen vonsozialen, politischen und religiösen Vergemeinschaftungen (Gilden/Innungen, Bruderschaften,Bauerschaften/Nachbarschaften), den Juden sowie dem Verhältnis zwischen Landadelund Stadt gewidmet. Einen besonderen Schwerpunkt bilden schließlich die innerstädtischenKonflikte, wobei hier besonders betont werden muß, daß auch die gewaltsam verlaufendenSchichten sich in der Regel im Rahmen des damals geltenden Rechtes bewegten.Der dritte und kürzeste Teil befaßt sich mit Handel und Produktion. Die Quellenlageüber die Struktur, die Quantitäten und die Entwicklung des Handels mit Produkten ausdem Raum zwischen Weser und Eibe ist insgesamt schlecht. Einzelstudien, etwa über den


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>310 Rezensionen und AnzeigenHandel mit dem Ostseeraum und England, den innerhansischen Warenverkehr oder überdas Messewesen machen deutlich, daß die Wirtschaft im Elbe-Weser-Raum eine reiche undvielschichtige Handels- und Produktionstätigkeit aufwies und daß die Waren der Regionauf fremden Märkten durchaus begehrt waren. Zu nennen sind hier die verschiedenenThchsorten, das Einbecker Bier oder die <strong>Braunschweig</strong>er Metallwaren.Der vierte Teil hat die Stadt als Lebenswelt zum Thema. Er behandelt verschiedeneAspekten des religiösen Lebens in der Stadt, etwa im Bereich der Kunst, des Kirchenbausoder der frommen Stiftungen, und reicht bis in die Anfänge der Reformation. Weitere Aufsätzebehandeln die Sprachentwicklung des Raumes, die Literatur und die Geschichtsschreibungaber auch den hansestädtischen Roland.Der Katalogband stellt auf 327 Seiten in fast 500 Artikeln die Exponate vor. Die Beschreibungender Ohjekte und die Erläuterungen sind naturgemäß zumeist kurz, aber ausreichendgehalten; die Literaturangaben ermöglichen einen tieferen Einstieg. Natürlichwurden nicht alle Stücke zum ersten Mal gezeigt. Insbesondere aus den Ausstellungen "DieHanse" und "Sachsen-Anhalt", vor allem aber "Stadt im Wandel", sind bereits zahlreicheObjekte bekannt. Die Abbildungen sind durchweg von hoher Qualität. Natürlich konntenaus Kostengründen nicht alle Exponate abgebildet werden; vielfach sind die fehlenden Objektejedoch an anderer Stelle dokumentiert.Insgesamt sind zwei gelungene Bände entstanden, und es steht zu hoffen, daß beideMuseen auch weiterhin erfolgreich kooperieren und aufzeigen, "wie gemeinsame Interessen... bestehende Grenzen überwinden ... können".Josef DolleGerd S pie s, <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiede. Bd. 1: Geschichte, Bd. 2: Werke [Bilddokumentation),Bd.3: Meister und Marken. Berlin, München: KIinkhardt & Biermann1996,243 S., 169 Abb.; 199 S., 528 Abb.; 321 S., Abb., 298 DMWohl sind Einzelaspekte des <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiedehandwerks und Überblickeüber seine Meister mehrfach publiziert worden. Erst jetzt jedoch und damit später als fürdie Mehrzahl der übrigen deutschen Städte mit einem bedeutenderen Goldschmiedehandwerklegt Gerd Spies für <strong>Braunschweig</strong> eine umfassende und detaillierte Bearbeitung desThemas vor. Sie erstreckt sich von den mutmaßlichen Anfängen bis in das 20. Jahrhundert.Band 1 zeichnet die Entwicklung des <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiedehandwerks chronologischim Kontext der allgemeinen Stadtgeschichte nach und arbeitet dazu neben derAnalyse der Objekte ein umfangreiches Bild- und schriftliches Quellenmaterial auf. Gegliedertin vier Hauptabschnitte sind jeweils die politische, wirtschaftliche und soziale Situationdes Handwerks, die Organisation und die Leistungen der Gilde sowie die typischenArbeiten erörtert.Den Beschluß dieses Bandes bildet eine Textdokumentation. An ihrem Anfang stehtdie nicht wortgetreue, in einigen Passagen schwer verständliche, deutsche Übertragung desältesten Gildeprivilegs für die Goldschmiede der <strong>Braunschweig</strong>er Altstadt von 1231. ZumVergleich hätte man sich hier auch das lateinische Original gewünscht. Weiter sind die Texteder Gildeordnungen von 1562 und 1701 abgedruckt, die für Verf. besondere Marksteineder Entwicklung bilden. Leider fehlt hier - wie auch sonst öfter - ein genauer Quellennachweis.So bleibt unklar, ob und welche der beiden Ausfertigungen der Ordnung von1701 im Stadtarchiv <strong>Braunschweig</strong> zugrunde gelegt wurde, zumal weder Buchstabentreuenoch Normalisierung des Textes gegeben ist. Auch sonst ist in dem verdienstvollen Werkhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 311nicht immer hinreichend Wert auf gen aue Quellen- und Literaturhinweise gelegt. Die Signatur"Alt Neu ... " z. B. für Akten im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel hatnie existiert. Einzelnachweise der Quellen fehlen häufiger. Das behindert die Nachprüfbarkeitund die Nacharbeit.Band 2 des Werkes umfaßt eine vorzügliche Bilddokumentation aller wesentlichen<strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiedearbeiten einschließlich zahlreicher Details und die Abbildungenvon nachweisbaren Entwürfen. Die Mehrzahl der Vorlagen für diese sowie für dieübrigen Abbildungen des Werkes sind dem bewährten Fotografen Otto Hoppe zu verdanken.Verf. hat für diese Dokumentation Arbeiten auch an entlegener Stelle aufgespürt undliefert so ein komplexes Bild der Entwicklung der <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiedekunst unddamit die anschauliche Möglichkeit, zeittypische Eigenheiten und Besonderheiten im Vergleichzu auswärtigen Erzeugnissen zu erkennen, wie er selbst sie in Band 1 charakterisiert.Band 3 enthält als Kernstück aller derartiger Publikationen das chronologische Verzeichnisder bekannt gewordenen <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiede und Juweliere mit ihrenKurzbiographien, ihren nachweisbaren Gesellen und Lehrlingen sowie Beschreibungen ihrerbekannt gewordenen Werke und Abbildungen ihrer Stempel. Ergänzend sind die vonder <strong>Braunschweig</strong>er Gilde benutzten Beschauzeichen und "Ältermannsbuchstaben" (vgl.unten) sowie ein alphabetisches Verzeichnis der Meister mit ihren Stempeln und einigeGraphiken zur Auswertung dieser Angaben beigefügt. Der Band endet mit Goldschmieden,die im <strong>Braunschweig</strong>er Adreßbuch von 1942 aufgeführt sind. Die Angabe zu diesen"zuletzt belegt 1942" ohne nähere Erläuterung erweckt den irreführenden Eindruck, als seidanach das vorhandene <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiedehandwerk ausgelöscht. Dagegenführt das nächste mir vorliegende Adreßbuch von 1950 mehrere dieser Goldschmiede undJuweliere bzw. ihre Nachfolger aus der gleichen Familie auf. Einige dieser traditionsreichenBetriebe existieren übrigens bis heute.In den biographischen Angaben folgt Spies weitestgehend den Arbeiten von Scheffler,der mit der Generation der um 1850 tätigen bzw. geborenen Goldschmiede endet. Für dieZeit danach hat Spies offensichtlich nur das Handelsregister und Adreßbücher ausgewertet.Hier wären zumindest einige leicht zu ermittelnde Ergänzungen erwünscht gewesen, insbesondereim I Iinblick auf die Todesdaten als "terminus post quem non". Zur Abrundung einerderart umfassenden Publikation hätte sich insofern die Mitarbeit eines versierten Genealogenempfohlen.Wie Spies selbst ausführt, wenden sich die drei Bände des Werkes schwerpunktmäßigan unterschiedliche Interessengruppen (Historiker, Kunsthistoriker, Sammler), sind aberdennoch durch zahlreiche Querverweise verbunden und erschließen erst in ihrer Gesamtheitdas Thema angemessen.Das Goldschmiedehandwerk <strong>Braunschweig</strong>s besaß sowohl nach seiner wirtschaftlichenLage wie nach der überregional anerkannten Qualität seiner Erzeugnisse unter den hiesigenstädtischen Handwerken eine führende Position. Das manifestierte sich in der gesellschaftlichenStellung und im politischen Einfluß.Bereits 1231 hatten die Goldschmiede der <strong>Braunschweig</strong>er Altstadt als erste mitteleuropäischeZunft dieses Handwerks ein spezielles Privileg erhalten. Dieses schrieb die Zuwahleines Meisters durch die Gilde selbst bei herrschendem Zunftzwang fest. Erst aus wesentlichspäterer Zeit freilich sind eingehendere Vorschriften für unser Goldschmiedehandwerküberliefert. Als Marksteine sieht Spies die detaillierte Gildeordnung von 1320 an sowieOrdnungen von 1562 und 1701, die den jeweils gewandelten Verhältnissen Rechnungtragen. Kopien der bis dahin erlassenen Rechtsvorschriften, Privilegien und Ordnungensind erstmals zusammenfassend überliefert in dem 1403 begonnenen Gildebuch der<strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiede. Dieses verzeichnet auch die ganz überwiegende Zahl der


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650312 Rezensionen und Anzeigenbis 1743 neu aufgenommenen Meister. Daraus und aus anderen Quellen ergeben sichSchwankungen in der Meisterzahl, abhängig von der wirtschaftlichen Situation in der Stadtmit Höhepunkten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts,als der welfische Hof in <strong>Braunschweig</strong> tonangebend wurde.Der hohe Wert der Edelmetalle Gold und Silber, die mit weniger wertvollen Buntmetallenlegiert verarbeitet wurden, veranlaßte bereits früh genaue Legierungsvorschriftenund die Überprüfung durch festgeschriebene Qualitätskontrollen. Schon 1320 ließ offensichtlichder <strong>Braunschweig</strong>er Rat eine derartige Überprüfung durch" Wardeine" ausführen.In Bestimmungen von 1395 scheint erstmals auf, daß damals in unserer Stadt die geprüftenGold- und Silberwaren bereits von den Wardeinen mit der "Stadtmarke" , dem steigendenLöwen als Stadtwappen, zu versehen waren, außerdem aber von den Meistern mit einemStempel, der ein persönliches Signet zeigte. Belegen lassen sich nach Spies derartige "Punzen"auf Silberbarren bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, auf Gold- und Silberwarenaber erst seit dem 16. Jahrhundert und zunächst nur bei einem Teil der Meister.Ihre Erzeugnisse wurden seit dem Ende des 17. Jahrhunderts mit einem zusätzlichen Stempeldes Prüfers versehen, dem "Ältermannsbuchstaben" . Diesen vergab man in der Reihenfolgedes Alphabets.Infolge der fehlenden Markierungen müssen die <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiedarbeitendes Mittelalters und der frühen Neuzeit Zuschreibungen bleiben, die Verf. eingehend begründenkann. Handelt es sich zunächst um Objekte der christlichen Kunst u. a. aus dem" Welfenschatz" , wie es der starken religiösen Orientierung des Mittelalters entspricht, sofinden sich seit dem 16. Jahrhundert zunehmend weltliche Stücke. Für diese Zeit und dieerste Hälfte des 17. Jahrhunderts liegt der Schwerpunkt von Spies' Untersuchungen auf denAbbildungen von Schmuck auf den Bildnissen <strong>Braunschweig</strong>er BürgerInnen, wie sie u. a.Ludger tom Ring geliefert hat, in Verbindung mit schriftlichen Quellen. Das einzige überlieferteBeispiel auf diesem Gebiet, die leider verschollene Hochzeitskette des Herzogs Julius(Heirat 1560), kann Spies so nur an hand einer älteren Farbabbildung interpretieren.Kursorisch wird auch das silberne <strong>Braunschweig</strong>er Tischgeschirr dieser Epoche abgehandeltmit Hinweisen auf das mutmaßliche Ratssilber, das im Gegensatz zu anderen Städtennicht erhalten geblieben ist.Seit dem 16. Jahrhundert nahm sowohl die Menge wie die Variationsbreite der in<strong>Braunschweig</strong> gefertigten Silberwaren - abgesehen von kleinen Schwankungen - kontinuierlichund erheblich zu. Neben Tischgerät des gehobenen Bedarfs und darunter vor allemsilbernen Löffeln arbeiteten <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiede auch prächtige Prunkstücke,die zum besten ihrer Zeit gehören. So lieferte Heinrich Beust (1584 - vor 1620) dem dänischenKönig Christian IV, dessen Schwester Elisabeth seit 1590 mit dem <strong>Braunschweig</strong>erHerzog Heinrich Julius verheiratet war, ein üppiges silbernes Trinkspiel von fast 30 PfundGewicht (vgl. Bd. I, S. 145, Bd. 2, Abb. 148/149, Bd. 3 S. 79 f.).In der Folge charakterisiert Spies weitere bedeutende und für ihre Epoche charakteristischeObjekte und Objektgruppen, wobei er sein Augenmerk auch auf Werkstattkreiseund -folgen sowie die Tätigkeit einzelner Werkstätten als "Zulieferer" von Kleinteilen fürpotentere Handwerksgenossen legt. Hervorzuheben sind die seit der Renaissance und in<strong>Braunschweig</strong> noch im 17. und im 18. Jahrhundert beliebten silbernen Trinkgefäße in Tierform,deren bekanntestes die "Peiner Eule" darstellt (Bd. 1, S. 149) und als Besonderheitder "Hansel im Keller" genannte Scherzpokal.Um die Wende zum 18. Jahrhundert kündigt sich mit einer veränderten Tisch- undWohnkultur eine Änderung in der Palette der Silberarbeiten an mit Leuchtern, Löffeln undSchüsseln in größerer Zahl, daneben aber Zuckerdosen und -streuern, Salz- und Gewürzgefäßensowie Hebern für Gebäck und anderes. Seit 1725 lassen sich Entwurfszeichnungen


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 313für Gravierungen hauptsächlich auf Löffeln sowie von Silbergerät beibringen. Über seineprunkvolle Verwendung am hiesigen Welfenhof geben hauptsächlich eingefügte Bestandsverzeichnisse,außerdem aber Kupferstiche aus dem Speisesaal des Schlosses Salzdahlumbei Wolfenbüttel (um 1710) sowie von einem Festmahl im <strong>Braunschweig</strong>er Schloß (1728)Auskunft.Auch in der Folge entspricht das <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiedehandwerk den Zeittendenzennach seiner pOlitisch-sozialen Position, seinem wirtschaftlichen Verhalten und inseinen weiterhin von einem hohen Qualitätsstandard geprägten Arbeiten.Erwähnt sei hier noch, daß hauptsächlich im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20.Jahrhunderts für prunkvolle Einzelanfertigungen Entwürfe teilweise von Nichtgoldschmiedengeliefert wurden, u. a. von den Architekten Constantin Uhde (1836-1905) und LudwigWinter (1843-1930), die wie auch andere ihrer Berufsgenossen Entwürfe für verschiedenekunstgewerbliche Gegenstände geschaffen haben.Offen bleibt, wieweit in dieser Zeit <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiede und Juweliere fabrikmäßiggefertigte Silberwaren - allenfalls ergänzt durch Gravierungen oder kleine Zutatenund zusätzlich mit ihren Marken versehen - verkauft haben.Die wesentliche Leistung, die über die Mehrzahl vergleichbarer Veröffentlichungenhinausgeht, bildet Band 1 des Werkes mit der souveränen Interpretation des so unterschiedlichenQuellenmaterials. Aus seiner Zusammenschau wird ein klares und detailliertesBild des <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiedehandwerks und seiner Arbeiten im Kontext der allgemeinenEntwicklung und der Stadtgeschichte entworfen und auch durch ein methodischbeispielhaftes Vorgehen ein erheblicher Fortschritt in der Forschung erreicht.Mechthild WisweChorographia der Hildesheimer Stiftsfehde von Johannes Krabbe 1591. Karte im Maßstabca. 1 : 125000 (Original maßstab), verkleinert auf ca. 1 : 160000. Maße: H. 79 cm,B. 124 cm. Hg. vom Niedersächsischen Landesverwaltungsamt - Landesvermessung - unddem Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv. Hannover: (Herstellung, Druck und Vertrieb)Niedersächsisches Landesverwaltungsamt - Landesvermessung - Hannover (Neue Bezeichnungseit 1.4.1997: Landesvermessung und Geobasisinformation Niedersachsen -LGN) 1996. Dazu Beiheft von Stefan B r ü der man n, 15 S., a. a. o. 1997,2 Abb., Karte:30 DM; Beiheft: 10 DMMit der Herausgabe der angezeigten Veröffentlichung setzt die niedersächsische Vermessungsverwaltungdie mehrfarbige Reproduktion von herausragenden historischen Karten,die auch den Raum des ehemaligen Landes <strong>Braunschweig</strong> betreffen, fort (vgl. Besprechungder "Karte der Residenzstadt und Festung Wolfenbüttel und Umgebung 1741" vonHeiko Leerhoff im <strong>Braunschweig</strong>ischen Jb. 76, 1995, S. 224 f.).Dieses Mal haben sich die Herausgeber einer besonderen Spezies aus der Frühzeit derKartographie zugewandt, nämlich der "Prozeßkarte", auch bekannt als "Augenscheinkarte". Prozeßkarten verdanken ihre Entstehung in der Regel einer gerichtlichen Auseinandersetzungum Grenzverläufe oder Besitzansprüche auf Grundstücke oder Herrschaftsgebiete.Eine Anzahl solcher Karten wurde überliefert in den weitgehend erhaltenen Aktendes von 1495 bis 1806 existierenden Reiehskammergerichtes, dessen fernab tagende Gerichtskommissare(ab 1527 in Speyer, ab 1689 in Wetzlar) zur besseren Orientierung alsBeweismittel die Anfertigung eines "Abrisses des Augenscheins" anordneten. Die Aktendes Reichskammergerichtes wurden nach seiner Auflösung auf die Archive der Territorienhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650314 Rezensionen und Anzeigendes Alten Deutschen Reiches aufgeteilt. Auf diesem Wege gelangten auch die Unterlagendes von 1548 bis 1629 zwischen dem Bischof von Hildesheim und den Herzögen von<strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg der Linie Wolfenbüttel um die Wiederherstellung des Stiftes Hildesheimgeführten Prozesses in das heutige Niedersächsische Hauptstaatsarchiv in Hannover.Inmitten dieses etwa zwei Regalmeter umfassenden Schriftgutes wurde in gefaltetemZustand jahrhundertelang die heute als eine der ältesten kartographischen Quellen dessüdniedersächsischen Raumes anzusehende Karte verwahrt.Im Begleitheft gibt Stefan Brüdermann eine äußerst präzise Beschreibung der Entstehungsgeschichtedieser kartographischen Zimelie. Nach der Einordnung in den historischenRahmen der bereits im Jahre 1519 ausgetragenen Hildesheimer Stiftsfehde (Kapitelüberschrift:"Die Hildesheimer Stiftsfehde"), die er als regionalen kriegerischen Konflikt inNordwestdeutschland mit dem Ziel der Konsolidierung von Herrschaftsräumen zwischenBischof Johann von Hildesheim und Herzog Heinrich dem Mittleren von Lüneburg einerseitssowie Herzog Heinrich dem Jüngeren von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel und HerzogErieh von Calenberg andererseit~ unter Einbeziehung der zentralen Reichsgewalt und deshildesheimischen Stiftsadels detailliert darstellt, folgen die Beschreibung des Prozeßverlaufsvor dem Reichskammergericht ("Der Prozeß beim Reichskammergericht") sowie einkurzer Lebensabriß von Johannes Krabbe ("Der Zeichner Johannes Krabbe[1533-1616]"), des Zeichners der noch im Auftrage von Herzog Julius von <strong>Braunschweig</strong>­Wolfenbüttel begonnenen und 1590 fertiggestellten, auf 1591 datierten Karte. Brüdermannsausführliche Quellenkritik im abschließenden Kapitel ("Kartendarstellung undKriegsverlauf im Jahr 1519") stellt die besondere inhaltliche Zielsetzung des Werkes heraus,nämlich die Darstellung der militärischen Ereignisse aus der Sicht der Partei des Auftraggebers.Die durch den Verwendungszweck motivierte Auswahl der dargestellten Plünderungszügeübersteigere bewußt die Aktionen der Hildesheimer, während die vorangegangenender Wolfenbütteler gewissermaßen hinter den gezielt positionierten Schmuckkartuschenverborgen würden. Damit belegt Brüdermann unter anderem die propagandistischeTendenz des für unsere Region einzigartigen Dokumentes. Neben der inhaltlichenBedeutung muß auf die für die Entstehungszeit hohe vermessungstechnische und zeichnerischeQualität der perspektivischen Darstellung des Kartenwerkes hingewiesen werden,wie ebenfalls in diesem Kapitel des Beiheftes geschehen. Krabbes panoramaartiger Vogelschauplanzeigt die betroffene Region zwischen Harz und Weser, nämlich die FürstentümerCalenberg und Wolfenbüttel samt ihren wesentlichen Orten sowie das Stift Minden mit angrenzendenGebieten in teilweise bildhafter Manier mit Blick nach Süden. Die Proportionenund die Lage der Orte stimmen, wie Brüdermann feststellt, im allgemeinen ziemlichgenau. Dies spricht für Krabbes handwerkliche Qualitäten als Geometer und Instrumentenmacherdes Herzogs, der sich des Auftrages zur Anfertigung dieser "Landtaffel" wohlschulmäßig mit den technischen Mitteln der Zeit durch Einmessung der Orte mittels Astrolabiumentledigte. Dagegen überlagern sich die bildhaften Darstellungen der Kriegszüge inzeitlicher Sicht, das heißt, sie werden ebenfalls der propagandistischen Zielsetzung untergeordnet.Den Abschluß des informativen Begleitheftes bildet eine zwölf Titel umfassendeLiteraturliste.Die historische Bedeutung, die geometrische Exaktheit, die bildhafte Komposition, diegelungene farbige Ausgestaltung mit dem für die Renaissance typischem Beiwerk - wieden mit Text gefüllten und mit Rollwerk geschmückten Kartuschen sowie der Abbildungvon Kompaßrose, Maßstab und Zirkel- dürfte die Veröffentlichung von Karte und Erläuterungsheftmehr als rechtfertigen. Dem historisch interessierten Publikum der Regionkann zweifellos eine gelungene Edition empfohlen werden.Hans-Martin Arnoldt


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 315Richard Fr i e den t hai, Herzog Heinrich Julius von <strong>Braunschweig</strong> als Dramatiker. SeinLeben. Mit besonderer Berücksichtigung seines geistigen Werdegangs (1922), hg. und miteinem Nachwort versehen von Gerd B i e gel (Schriften der Literarischen Vereinigung<strong>Braunschweig</strong> 45). <strong>Braunschweig</strong>: Heckner Wolfenbüttel 1996,99 S., 2 Abb., 25 DMWer gern Biographien liest und sich für das Land ßraunschweig und seine Herzöge interessiert,kann jetzt zu einem Bändchen greifen, in dem das Leben Herzogs Heinrich Juliusvon niemand geringerem als dem Meister der Biographie, Richard Friedenthai, erzähltwird. Friedenthai wurde durch seine Biographien z. B. über Goethe (1963), Luther (1967)und Marx (1982) allgemein bekannt.Der von Biegel herausgegebene kleine Band enthält die 1922 von Friedenthai derMünchner Philosophischen Fakultät als Doktorarbeit eingereichte Studie. Sie umfaßt 30Seiten Text, dazu 30 Seiten Anmerkungen. Das letzte Drittel der Publikation nutzt Biegelzu einer Skizze über Friedenthais Leben "Auf dem Wege zu einer Biographie", zusammengestelltaus dem Nachlaß des Autors. Ausführlich werden Kindheit und Jugend im Berlinvor dem ersten Weltkrieg und das geistig aufgeschlossene Elternhaus geschildert. Die Mutteraus der braunschweigischen Familie Elster war stark sozial engagiert, der Vater, Naturwissenschaftler,sehr literaturinteressiert. Über die Studienzeit nach Ende des Krieges fließendie Informationen spärlicher. So bleibt unklar, bei wem Friedenthai die vorliegendeArbeit anfertigte. Der (irreführende) Titel verspricht eine literaturhistorische Arbeit, defacto handelt es sich um eine historische, nach der Literatur und dem Quellenmaterial derArchive in Wolfenbüttel, <strong>Braunschweig</strong> und Hannover gearbeitete Studie über das Lebendes Herzogs Heinrich Julius von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel.FriedenthaI promovierte mit Teil I der Dissertation; eben jenem Lebensabriß. Noch1923 plante er, den Hauptteil der Arbeit über das erste stehende deutsche Theater am Hofdes Herzogs in Wolfenbütte1 zu schreiben. Dazu kam es nicht. Doch seine Vorarbeiten dazubilden 40 Jahre später die Grundlage einer knappen Darstellung aus seiner Feder, wie dasenglische Theater der Shakespearezeit auf dem Kontinent Fuß faßte, indem Heinrich Juliuseine englische Theatergruppe an seinen Hof holte und dort band (R.E, Ein Herzog undPoet dazu, in: 275 Jahre Theater in <strong>Braunschweig</strong>, Geschichte und Wirkung, <strong>Braunschweig</strong>1965, S. 7-11).Die Schilderung des Lebens von Heinrich Julius, die Richard FriedenthaI Anfang derzwanziger Jahre als Student verfaßte, mag wissenschaftlich überholt sein, doch enthält sie bereitsalle Elemente, die seinen Ruhm in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts begründeten:Der junge Friedenthai spürte Details auf, die Heinrich Julius treffend charakterisieren.Wie alle seine großen Biographien ist die über den welfischen Herzog scheinbar leicht geschrieben.Die kennzeichnenden Ape~us werden breit ausgeführt, während das Zeitalterseines Helden wie im Zeitraffer dargestellt wird. Dieser Wechsel zwischen der souveränenZusammenschau und dem Reichtum im Detail macht schon hier den besonderen Reiz unddie Spannung in der Darstellung Friedenthais aus. Den braunschweigischen Herzog HeinrichJulius charakterisiert Friedenthai als Mensch zwischen Mittelalter und Modeme, derdem Hexenwahn anhing und viele harte, ja unverständliche Urteile fällen ließ und zugleichleidenschaftlich am Römischen Recht interessiert war, der sich für die bukolischen Gestaltendes englischen Theaters begeisterte und für diese Dramen verfaßte und zugleich als Staatsmannbesonnen Politik machte, der vom Kaiser in Prag hochgeschätzt war, und darüber seinHerzogtum <strong>Braunschweig</strong> vernachlässigte. Bereits in jungen Jahren zeigt sich Richard Friedenthaials Historiker, der es verstand, eine historische Persönlichkeit in einfacher Sprache,doch eindringlich und glaubhaft Gestalt annehmen zu lassen. Ein Lesevergnügen!Gesine Schwarzhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650316 Rezensionen und AnzeigenLuise Sc h 0 r n - S c h ü t t e : Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit. Deren Anteilan der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. Dargestellt am Beispiel desFürstentums <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel, der Landgrafschaft Hessen-Kassel und der Stadt<strong>Braunschweig</strong> (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 62). Gütersloh:Gütersloher Verlagshaus 1996, 635 S., Abb., 168 DMBei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine in Umfang, Stil, Methodik und Materialfüllebeeindruckende Gießener Habilitationsschrift des Jahres 1992. Die HistorikerinLuise Schom-Schütte hat sich das Fürstentum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel, die Stadt<strong>Braunschweig</strong> und die Landgrafschaft Hessen-Kassel als Untersuchungsraum ausgewählt,um an überschaubaren Beispielen typische Strukturen lutherischer und reformierter, sowiestädtischer und territorialer Geistlichkeit aufzuzeigen. Bei der aufwendigen quantitativenAnalyse der Geistlichkeit wird die Stadt <strong>Braunschweig</strong> insgesamt, für das Fürstentum<strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel die Generalsuperintendentur Gandersheim in den Blick genommen.Dem stellt die Autorin als qualitative Quellen individuelle Biographien, Streitschriftenliteraturund archivalische Quellen gegenüber.Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel, in denen jeweils anhand dieser drei Territorienbestimmte Themen behandelt werden: Soziale Herkunft und Verflechtung; RegionaleMobilität und Bildungsstand im konfessionellen Vergleich; Materielle Ausstattung im Vergleichder Konfessionen; Ehe und Familie, "Ganzes Haus" und das Amt als Beruf im konfessionellenVergleich.Das Fürstentum <strong>Braunschweig</strong> nimmt die Autorin als seit 1569 führendes lutherischesTerritorium in den Blick. Der Einfluß der Universität Helmstedt führte zu einer offenerenTendenz des zunächst orthodoxen Luthertums. Die Stadt <strong>Braunschweig</strong> wurde zwar früherlutherisch als das Fürstentum, blieb dann aber auch konservativer. Dadurch bestand einfortdauernder Gegensatz zwischen Stadt und Territorium.Schom-Schütte stellt eine relativ große Durchlässigkeit in der Gesamtgruppe der Geistlichkeitfest, außerdem differenziert sie die Vorstellung von der Selbstergänzung der Geistlichkeit:Sie sieht eine eng miteinander verflochtene Sozialgruppe "gelehrter Beamter".Ungeachtet der Konfessionsunterschiede ergab sich ein recht einheitlicher Bildungsgangder Beamten mit Gymnasialbesuch und (erst allmählich selbstverständlich) Universitätsstudium,zumeist an der landeseigenen Universität. Es entwickelte sich bis zur Mitte des 18.Jahrhunderts allmählich eine "geistliche Laufbahn" (S. 226). Die Standardisierung derAusbildung schritt bei den Theologen schneller fort als bei den Juristen. Entsprechend nahmenauch die fachlichen Kenntnisse der Geistlichen zu.Bei der Bezahlung dagegen lagen die Juristen eindeutig vom, allenfalls konnte sich dieführende Geistlichkeit mit den mittleren Landesbeamten vergleichen. Während des Untersuchungszeitraumswurden Sachleistungen und Dienstpflichten gegenüber dem Pfarrerdurch Geldzahlungen der Gemeinde abgelöst, in <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel allerdingslangsamer als etwa in Hessen. Die Gemeinde erwartete Bescheidenheit von den Geistlichen,deren Bedürfnisse stiegen aber durch die Familien gegenüber vorreformatorischenVerhältnissen. Wirtschaftlich attraktiv war der Beruf des Landpfarrers in keinem der Untersuchungsgebiete.Bei der Betrachtung der Pfarrerfamilien verzichtet die Autorin auf die Gliederung nachTerritorien - überhaupt ist die Arbeit weniger landesgeschichtlich ausgerichtet, die Beispieledienen der Erarbeitung eines über konfessionellen Gesamtbildes. Hier zeigt sich besonders,wie kenntnisreich die Autorin den Pfarrhaushalt zwischen großbäuerlichen undHandwerkerhaushalten einordnet. Seine spezifischen Eigenarten entwickelt der Pfarrhaushalterst im Laufe des Untersuchungszeitraumes. Erhalten bleibt die überdurchschnittlicheKinderzahl, gegenüber der oft konstatierten Individualisierung der Liebesbeziehungen


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 317blieb auch die Ehe des Pfarrers stärker eine Funktion der möglichst vorbildlichen AmtsundHaushaltsführung. Kritisch ist Schorn-Schütte an hand ihrer Untersuchungsgruppe gegenüberden bekannten Thesen jüngerer Sozialforschung zum "Entstehen der Kindheit"und einer Aufwertung des Alters im 18. Jahrhundert.Keine konfessionellen Unterschiede sieht die Verfasserin auch in der Entwicklung desgeistlichen Amts. Hier wurden zunächst strenge Normen der Sittlichkeit und Ausbildungdurchgesetzt. Der Erfolg dieses Prozesses schuf allerdings trotz der formalen Einbindungder Pfarrer in die Gemeinden auch eine zunehmende Distanz zwischen Pfarrer und Gemeindeund begrenzte seine Wirkungsfähigkeit.Im Kapitel über die "Geistlichkeit zwischen Obrigkeit und Gemeinde" geht es der Autorinum das "geistliche Sonderbewußtsein" der Pfarrer, das obrigkeits- und sozialkritischeElemente miteinander verband. Über verschiedene soziale Koalitionen führte das geistlicheSonderbewußtsein in die Hofkritik des 18. Jahrhunderts.Die Arbeit wird abgerundet von 130 Seiten Tafeln, Tabellen, Karten und Graphiken:Verwandtschaftstafeln, Darstellungen der Kirchenverfassungen, Darstellungen der sozialenund regionalen Herkunft, der Studienorte, der Einkommen, des Heiratsalters und derGeburtenhäufigkeit.Die insgesamt wahrhaft beeindruckende Arbeit ist in ihrem Wechsel von dichter Beschreibungund abstrahierender Thesenbildung und dank der Auslagerung des Zahlenmaterialsin den Anhang auch gut lesbar. Mit dem Blick auf die Entstehung einer neuen Sozialgruppefallen landesgeschichtliche Ergebnisse eher nebenbei an, sind aber in dieser Materialfüllereichlich vorhanden.Stefan BrüdermannKirstin Ca sem i r u. Uwe 0 hai n ski (Bearb.), Das Territorium der WolfenbüttlerHerzöge um 1616. Verzeichnis der Orte und geistlichen Einrichtungen der FürstentümerWolfenbüttel, Calenberg, Grubenhagen sowie der Grafschaften Hoya, Honstein, Regenstein-Blankenburgnach ihrer Verwaltungszugehörigkeit (Beihefte zum <strong>Braunschweig</strong>isehenJahrbuch 13). <strong>Braunschweig</strong>: Selbstverlag des <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichtsvereins1996, 119 S., 1 Karte, Abb., 19,80 DMKirstin Casemir und Uwe Ohainski haben ein <strong>braunschweigisches</strong> Amtsverzeichnis desfrühen 17. Jahrhunderts ediert, das ihnen in zwei Exemplaren vorlag. Eine Handschriftdes" Verzeichnuß aller zum furstenthumb <strong>Braunschweig</strong> Wulffenbuttelschen theils gehorigenstift, clöster, städt undt dorfschaften, auch in weIchem ambt iegliches gelegen" aus derHerzog August <strong>Bibliothek</strong> wird auf 70 Seiten buchstaben getreu abgedruckt und ergänztum (vollständige) Lesarten einer zweiten Ausfertigung dieses Verzeichnisses aus demStaatsarchiv Wolfenbüttel (die Bearb. vermuten, daß sie auf der Grundlage der gleichenQuellen, sonst aber unabhängig von Handschrift 1 entstand). Hinter jedem Ortsnamenwird kursiv in eckigen Klammern die heutige Schreibweise des Ortsnamens aufgeführt.Die zwanzigseitige Einführung mit einer Übersichtskarte läßt keine Wünsche offen, dereditorische Aufwand würde auch einer Hölderlin-Handschrift genügen. Erschlossen wirddas nach Ämtern geordnete Verzeichnis durch ein 20 Seiten umfassendes Ortsregister.Niedergeschrieben wurde das Ämter- und Ortsverzeichnis in einer Phase, als der "modemeF1ächenstaat begann, Gestalt zu gewinnen" (S. 13). Es beschreibt den Zeitpunkt dergrößten Gebietsausdehnung des Fürstentums <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel: Einerseits nachdem Erwerb Ottensteins (1516), des Hildesheimer "Großen Stifts" (1521), Hoyas (1582),Calenberg-Göttingens (1584), Grubenhagens (1588), Lohras und Klettenbergs (1593)


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650318 Rezensionen und Anzeigenund Blankenburgs (1599), andererseits kurz vor der Abtretung des Fürstentums Grubenhagen1617 an die Cellische Linie und vor der großen Erbteilung von 1635, sowie der Restitutiondes "Großen Stifts" Hildesheim 1643. Nach 1643 war für <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbütteldann ein Gebietsstand hergestellt, wie er im wesentlichen bis 1941 blieb.Das Verzeichnis ist aber nicht überall eine Darstellung des faktischen Gebietsstandes,sondern unterliegt auch politischen Ansprüchen. Das zeigt etwa die Aufnahme Bovendens,obwohl es mit der Herrschaft Plesse 1571 an den Landgrafen von Hessen gefallen war (S. 18).Auch wenn die Überlegungen zur Datierung (S. 15 f.) für sich genommen jeweilsschlüssig sind, so ist der Rezensent doch skeptisch, wie bedeutsam es sein kann, für ein vonacht verschiedenen Händen mit Nachträgen gefertigtes Verzeichnis einen bestimmten Entstehungszeitpunktfestzulegen, zumal wenn ein wichtiger Anhaltspunkt zur Datierung voneiner "Nachtragshand" vorgenommen wurde. Plausibler und wichtiger ist es wohl, denZeitraum der Bearbeitung und Aktualität zu benennen.Die höchst sorgfältige Edition des Amtsverzeichnisses macht nicht nur eine wichtigeterritorialgeschichtliche Quelle einer breiteren Forschung zugänglich, sie dürfte aufgrundihrer Qualität auch die Benutzung der Originale vollkommen ersetzen.Stefan BrüdermannMichaela Tri e b s, Die Medizinische Fakultät der Universität Helmstedt (1576-1810).Eine Studie zu ihrer Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Promotions- undÜbungsdisputationen (Repertorien zur Erforschung der frühen Neuzeit, hg. von derHerzog August Bibiliothek 14). Wiesbaden: Harrassowitz 1995, 354 S., 138 DMIn der vorliegenden Arbeit, bei der es sich um eine Dissertation der Medizinischen HochschuleHannover aus dem Jahr 1993 handelt, wird die Geschichte der Medizinischen Fakultätder Universität Helmstedt ganz überwiegend auf der Grundlage der formalen Datenbeschrieben: Interpretation der Fakultätsstatuten (nach Meinung des Rezensenten etwaszu ausführlich, da die Edition der Statuten ja bereits vorliegt und der Inhalt den Bestimmungenanderer Universitäten entspricht), Berufungsverfahren, Namen der 46 Professorenmit biographischen Erläuterungen über den Zeitraum der Existenz der Universität(1574-1810), Zusammenstellung der Immatrikulationen und der Promotionen sowie- der umfangreichste Teil - ein Katalog von 495 pro gradu- und 311 Übungsdisputationen.Dieses aus den verfügbaren Quellen zusammengestellte Verzeichnis wird sich künftigvermutlich noch ergänzen lassen, bildet aber für die bibliographische Recherche eine guteGrundlage. Das Buch enthält eine Liste der Professoren mit der Zahl der bei ihnen angefertigtenDissertationen sowie ein Register der Respondenten. Wünschenswert wäre eineHerausarbeitung inhaltlicher Zusammenhänge gewesen. Unter den Helmstedter Medizinernbefanden sich bekannte Namen, wie Hermann Conring, Johann Friedrich Crell, LorenzHeister, Joachim Jungius, Duncan Liddei, Johann Heinrich und sein Sohn HeinrichMeibom (d.J.). Bei der Auswertung ihrer Viten (S. 70-72), die zu knapp ausgefallen ist,um ein kollektivbiographisches Raster zu erhalten, hätte sich eine Untersuchung der wissenschaftlichenInteressen und Forschungsgebiete angeboten, um einige neue Aufschlüssefür die Medizingeschichte vor allem des 17. Jahrhunderts in Helmstedt zu gewinnen. Dasgilt noch mehr für eine Analyse der Disputationsthemen, auf die Michaela Triebs "aufgrundder Fülle des Materials" (S. 108) verzichtet. Hier hätte ein Schwerpunkt der Arbeitliegen müssen, denn wie soll die Qualität der Medizin in Helmstedt beurteilt werden,wenn ihre Inhalte nicht untersucht und exemplarisch mit denjenigen anderer Universitätenverglichen werden? Die Verfasserin hat zweifellos auf eine Chance verzichtet. Wenn man


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 319die hilfreiche Zusammenstellung der Immatrikulationen 1576-1810 (S. 73 ff.) als Maßstabwertet, dann hat die Medizin nie zu den starken Helmstedter Disziplinen gehört,denn in einer ganzen Anzahl von Jahren schreibt sich nur ein Student neu ein. War derHauptgrund dafür die unzureichende Infrastruktur (S. 78 ff.), die eine planvolle Ausbildungeinschränkte? Es ist auffällig, daß in der Endzeit der Universität die Zahl der Promotionenüberdurchschnittlich anstieg; diese Beobachtung führt zu der Frage nach demmöglichen Zusammenhang von Immatrikulationen, Promotionen und der Qualität derLehre, der noch aufzuklären wäre. Die intellektuelle Geschichte der Universität Helmstedtsollte zu einem umfassenden Thema künftiger Forschung werden. Das vorliegendeBuch wird für diese Absicht Nutzen stiften.WemerAmoldSchloß Bevem. Gebaute Geschichte als Aufgabe (Materialien zur Kunst- und Kulturgeschichtein Nord- und Westdeutsch land 20). Marburg: Jonas Verlag 1996, 176 S., Abb.,38DMSchloß Bevem, das ist ein Stichwort, das für die braunschweigische Landesgeschichtean "Wcscrrcnaissancc", Fcrdinand Albrecht "den Wunderlichen", an die Korrektionsanstaltdes 19. Jahrhunderts und an den Amtssitz des 17./19. Jahrhunderts erinnert. Allerdings,was der Untertitel "Gebaute Geschichte" zu verheißen scheint, findet der Leser nurin Teilpartien des Buches. Die neun Beiträge des Sammelbandes mit Vorträgen eines Kolloquiumsvon 1994 beziehen sich mehrheitlich (fünf) auf restauratorische und denkmalpflegerischeFragestellungen. "Gebaute Geschichte" leuchtet in diesen fünf Beiträgen nurselten auf; die "Nutzungsgeschichte" ist überwiegend "Steinbruch" für die angedachtenTheorien zur Baugeschichte bzw. für das erstrebte Sanierungskonzept. So passieren im Einleitungsbeitrag"Forschung und Fragen" von Horst Reimers (S. 13-52) Themen Revue wie"Nutzung im Wandel", "Voruntersuchungen", "Von der Voruntersuchung zum denkmalpflegerischenKonzept" usw.Aus der Sicht der historischen Disziplin sei der Hinweis erlaubt, daß die programmierteInterdisziplinatität in diesem Buch und im Beitrag von Reimers offensichtlich Grenzen hat,wie eine exemplarische Betrachtung der Ausführungen von Reimers zur "Nutzung im Wandel"zeigen mag (S. 13 f.). Die Ausführungen sind zum Teil ganz unnötig nebulös gehalten,wo eine genaue Auswertung der Literatur bzw. der Akten des Niedersächsischen StaatsarchivsWolfenbüttel (zu dessen Sprengel Bevern für die besagte Zeit natürlich gehört) angesagtwäre. So ist Schloß Bevem natürlich nicht erst mit dem Einzug Ferdinand Albrechts inBevem 1667 "wirklich" in "Besitz" (= Eigentum) der Herzöge (genauer: Fürsten) von<strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel gekommen, sondern schon 1653 mit der Enteignung der vonMünchhausen (vgl. z. B. F. Zadach-Buchmeier, Merians Beschreibung des Schlosses Bevem,in: <strong>Braunschweig</strong>isches Jb. 73, 1992, S. 9-24 bzw. die einschlägigen Akten) ; auch wurdeBevem als Jagdschloß und Reisestützpunkt schon vor 1667 von der fürstlichen Familie benutzt.Der Teilungsvertrag von 1712 zwischen Ferdinand Albrecht 11. und Ernst Ferdinandsah vor, daß Schloß Bevern ganz an Ernst Ferdinand bzw. dessen Familie (= jüngere LinieBevem) fallen sollte, wenn Ferdinand Albrecht 11. bzw. dessen Nachkommen (= ältere LinieBevem) die Herrschaft im Fürstentum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel antreten würden, was1735 geschah: die Teilung bestand eigentumsmäßig also nur 1712-1735. Der Satz von Reimers:"ob der Teilungsplan ... vollständig umgesetzt wurde, konnte noch nicht abschließendgeklärt werden" vergeheimnist also den Sachverhalt. Das wird noch deutlicher, wenn mandie zugehörige Anmerkung liest: "Hier sind wesentliche Erkenntnisse aus einer bauge-http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>320 Rezensionen und Anzeigenschichtlichen Interpretation der Bestandsgrundrisse vor der Einrichtung der BesserungsundArbeitsanstalt aus der Zeit um 1830 zu erwarten." Mit anderen Worten: Es ist dringenderforderlich, daß Historiker oder mit Archivarbeit vertraute Bauhistoriker in die Aufarbeitungder Baugeschichte von Bevern einbezogen werden. Dann wird z. B. durch Benutzungder Nachlaßakten eines Sohnes von Ernst Ferdinand, Friedrich Georg (t 1766), sichtbar,daß die hinterlassene Hofhaltungseinrichtung einschließlich Tisch- und Bettwäsche aufgelöstund ab 1773 die Hofhaltung der jüngeren Linie Bevern überhaupt dort aufgegeben wurde.Die Witwe des letzten Bevemers von der jüngeren Linie, Anna Karolina, starb 1824,konnte also nicht 1826 das Schloß übergeben, das ihr im übrigen auch nur bedingt eigentumsrechtlichzustand, so daß ihre Verfügungen auch nur partiell wirksam sein konnten.Wenn das Buch also die "Gebaute Geschichte" nur sektoral erschließt, so sind dochvier Beiträge auch für den historisch Orientierten wichtig. Über "Die Linie Bevern in derdeutschen und europäischen Geschichte" gibt Dieter Brosius einen trotz der Knappheitsehr konzisen Überblick (S. 123-128). Über die Entstehungskonzeption des von Statiusvon Münchhausen ab 1603 erbauten Schlosses Bevern vermittelt Bernd Krämer eine "Architekturgeschichtlich-typologischeAnalyse" (S. 151-171).Frank Zadach-Buchmeier leistet einen sehr bedeutenden Forschungsbeitrag "Zur Konstruktiondes höfischen Lebens im Schloß Bevern (1680). Nutzungsgeschichtliche Aspekteder Kleinstresidenz des Herzogs Ferdinand Albrecht von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg"(S. 129-150). Anhand des Diariums sind hier die Schloßanlage und die Ausgestaltung derhöfischen Räume im Sinne der Intentionen dieses mit höchsten höfischen Ansprüchen lebendenHerzogs ermittelt und interpretiert. Diese in Fortführung der Forschungen von JiIIBepler u. a. erstellte Analyse dürfte zur maßgeblichen Auslegung des höfischen Szenariumswerden, das Ferdinand Albrecht gestaltet hat.Die Arbeit von Thomas Kellmann über "Erhalt und Umnutzung von Schloß Bevern im19. Jh. Versuch einer Bewertung zum rechten Umgang aus heutiger Sicht" (S. 95-122) isttrotz der im Untertitel genannten Bewertungsabsichten eine vorurteilsfreie, umsichtige Zusammenstellungder Nachrichten zur Schloßgeschichte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts.Die Baugeschichte des Schlosses erschließt sich den Lesern durch den präzise geschriebenenBericht von Horst Masuch über "Ergebnisse und Erkentnismöglichkeiten der historischenBauforschung" (S. 58-64), wobei besonders an die Geschichte der Dächer methodischangeknüpft wird.Wenn sich fast alle Beiträge oft unnötigerweise als "Fragen" und" Voruntersuchungen"deklarieren, so gibt das Buch dennoch schon einen Eindruck von der nationalen Bedeutsamkeitdes Bauobjektes. Insofern hat sich für die Veranstalter des Kolloquiums von 1994,den Landkreis Holzminden, das Weserrenaissance-Museum Schloß Brake und das NiedersächsischeInstitut für Denkmalpflege zu Hannover die Initiative und die Durchführung allemalgelohnt.Christof RömerJean-Luc L e Ca m, Politique, contröle et ft!alite scolaire en Allemagne au sortir de laguerre de Trente Ans, tome I, vol. 1-2: La politique scolaire d'August Le Jeune de Brunswick-Wolfenbüttelet I'inspecteur Christoph Schrader (1635-1666/80) (WolfenbüttelerForschungen, hg. von der Herzog August <strong>Bibliothek</strong> 66). Wiesbaden: Harrassowitz 1996,1061 S., 62 Tabellen, 84 Graphiken, 13 Karten und 17 Illustrationen, 298 DMDas zwei bändige Werk mit insgesamt 1061 Seiten widmet sich einer intensiven Auswertungder Inspektionsberichte, die Christoph Schrader (Professor für Rhetorik an derhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 321Helmstedter Universität) als Generalschulinspektor im Herrschaftsbereich von HerzogAugust dem Jüngeren (1635-1666) bzw. dessen Nachfolger Rudolf August (1666-1704)in den Jahren 1649-1678 erstellt hat. Die Berichte werden in allen ihren Elementen minutiösanalysiert, die jeweiligen Ergebnisse dann in Übersichten, Graphiken und Kartenwiedergegeben bzw. inhaltlich durchleuchtet.Diese Analysen setzen ein mit der Organisation der Reisen: Wo und zu welcher JahreszeitSchrader inspizierte, wieviele Schulen er wie lange besuchte, wie die Reisebedingungenwaren, also Fahrten, Beherbergungen usw. Der Schwerpunkt liegt dann bei der eigentlichenInspektion: die Form der Überprüfung, der Unterrichtsstil, die Lektüre und die Lehrbücherusw. Besonders ausgewertet werden der Schulbesuch und die Disziplin der Schüler, dieAusstattung der Schulen und die Versorgung der Lehrer. So wird etwa die Verweil dauerder Amtsträger in den verschiedenen Schultypen unter dem Einfluß der InspektionenSchraders zahlenmäßig fixiert, in Graphiken dargestellt und das Ergebnis dann betrachtet.Diese "restlose" Auswertung der Inspektionsberichte wird in äußerster Übersichtlichkeitvorgetragen und ist das Ergebnis einer langjährigen Forschungsarbeit, die mit bewundernswürdigerBeharrlichkeit zu Ende geführt worden ist. Dabei hat der Autor, Historikerund Germanist an der Universität der Westbretagne in Quimper, seine Untersuchungen miteiner umfassenden Aufarbeitung der religiösen, sozialen, geistigen und pädagogischenEntwicklungen des 17.1ahrhunderts verbunden. Die orthodoxiefeindlichen Tendenzen inder Universität Hclmstedt zu Anfang des 17.Jahrhunderts, die von Caselius, Martini, Arnisäus,Calixt und anderen ausgingen, und von denen auch Herzog August, dessen KanzlerSchwarzkopf und schließlich der Generalschulinspektor selbst stark geprägt oder beeinflußtwaren, kommen bei der Einschätzung der Visitationstätigkeit Schraders ebenso zu ihremRecht wie die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse im Fürstentum <strong>Braunschweig</strong>­Wolfenbüttel und in Herzog Augusts lüneburgischen Mediatfürstentum Dannenberg-Hitzacker.Dieses waren nämlich die beiden Reisegebiete des Generalschulinspektors; die gesamtwelfischeStadt <strong>Braunschweig</strong> (bis 1671) ist ausgeklammert.Auf die erziehungsgeschichtlichen Ergebnisse kann hier nicht eingegangen werden. Aufdie ausführliche Betrachtung des Herrschaftsgebietes Herzog Augusts ist jedoch hinzuweisen(S. 25-124), ebenso auf die sozialgeschichtlich bemerkenswerte Biographie ChristophSchraders (S. 125-234) und eine Darstellung des Schulwesens im Fürstentum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttelim 15. - 17.1ahrhundert (S. 235-505). Diese Beiträge nehmen dengesamten ersten Band ein! Angesichts des Umfangs dieser "Kontexte" ist allerdings zu fragen,ob nicht hier die Arbeitsteilung der wissenschaftlichen Disziplinen angebracht gewesenwäre.Der zweite Band enthält dann unter dem Titel "Le fonctionnement du systeme" dieschon skizzierten Analysen der Inspektionsberichte Christoph Schraders unter den GesichtspunktenInspektionspraxis (S.509-622), Unterrichtswesen (S.623-728), Schüler(S. 729-806), Unterrichtsmedien, einschließlich der Person der Lehrer (S. 807-894).Der stark systematische Aufbau des Buches ermöglicht zwar den Zugriff zu den Teilproblemenin günstiger Weise, macht aber das Verständnis des erziehungsgeschichtlichenStellenwerts der jeweiligen Aussagen recht mühsam, obgleich jeweils eine Zusammenfassungdie einzelnen Kapitel abschließt. Das Werk Le Cams ist, um dieses zu resumieren, eineeinzigartige Analyse der Schul strukturen und der pädagogisch-politischen Verhältnisse imFürstentum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel des 17.Jahrhunderts. Das Werk ist übrigens alsTrilogie gedacht, zwei weitere Bände sind also noch zu erwarten!Christof Römerhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650322 Rezensionen und AnzeigenMary Li n dem a n n, Health & Healing in Eighteenth-Century Germany (The JohnsHopkins University Studies in Historical and Political Seien ce, 114th Series, no. 4). Baltimore,London: The Johns Hopkins University Press 1996, XIII und 506 S., 8 Abb. und6 Karten, 41.50.tGabriele Bei s s w a n ger, Arzneimittelversorgung im 18. Jahrhundert. Die Stadt <strong>Braunschweig</strong>und die ländlichen Distrikte im Herwgtum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel (<strong>Braunschweig</strong>erVeröffentlichungen zur Geschichte der Pharmazie und der Naturwissenschaften36). <strong>Braunschweig</strong>: Deutscher Apotheker-Verlag 1996, III und 296 S., Schaubilder,40 DMHinter dem Titel des Buches von Mary Lindemann vermutet gewiß kaum ein Leser die ausführlicheDarstellung des Gesundheitswesens vom ausgehenden 17.Jahrhundert bis 1820 imFürstentum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel, hier stellvertretend betrachtet für ganz Deutschland(S. 11, 19 f.). Die Autorin will Mentalitäts-, AJltags- und Strukturgeschichte vereinen(S. 6), ihre Thesen und Schlußfolgerungen belegt sie durch detailliert beschriebene Einzelfälle.Landesverwaltung, Wirtschaftsbedingungen und Sozialstruktur sowohl auf dem Landeals auch in den Städten sowie Aufbau und Tätigkeit des Collegium Medicum (Obersanitätskollegium)werden verständlich dargelegt (Kap. 1). Dennoch sei kurz auf eine unpräziseTextsteIle hingewiesen: ausgerechnet in ihrer Definition (S. 32) setzt L. die von ihr im übrigenText sorgfältig gegeneinander abgegrenzten Begriffe "Amt" und "Distrikt" gleich.Das Hauptaugenmerk der Verfasserin gehört der großen Varianten viel falt der medizinischenPraxis. Akademische Ausbildung und Werdegang der Ärzte ("physici") sind in denQuellen nicht so gut dokumentiert wie die Karrieren von Pfuschern. Trotz dieser Schwierigkeitgelingen L. abgesicherte Aussagen über die Einrichtung von Physikaten, die Qualifikationund Aufgaben der beamteten Ärzte, das Einkommensgefälle und die Differenzenunter ihnen, wobei die geschilderten Beispiele z. T. sogar den Charakter von Biographien(Dedekind, Pini, Loeber, Carl Spohr) annehmen (Kap. 2). Die Patienten hatten die Wahlunter einer Schar von Heilem, die miteinander in Wettstreit traten. Es entwickelte sich einregelrechter Markt, auch für Medikamente und Wunderdrogen. Konsultiert wurden außerden Ärzten und (dies betont L. besonders) durchaus parallel zu ihnen nicht nur die ausgebildeten,in Gilden organisierten und vom Collegium Medicum kontrollierten Medizinalpersonen,sondern auch die Laien, "Pfuscher" und "Quacksalber" (Kap. 3). Gut herausgearbeitetwird der sprachliche Bedeutungswandel, war Pfuscherei und Quacksalberei dochzunächst jede Handlung, die in das Arbeitsfeld eines anderen im medizinischen Bereich Tätigenfiel und damit dessen Möglichkeiten beschnitt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.Dies galt selbst dann, wenn es sich bei den Eindringlingen um Fachleute oder Gildenangehörigehandelte, die Examen und Konzessionen für ihre ursprünglichen Aufgabenbereichevorweisen konnten. Erst im späteren t8.Jahrhundert und zu Anfang des 19.1ahrhundertswurden diese Begriffe zu den heute damit verbundenen Synonymen für Inkompetenz. Besondersschwierig war es, unqualifizierte Heiler an der Ausübung ihrer für die Patientenmanchmal lebensgefährlichen Tätigkeit zu hindern, was übrigens nicht zuletzt damit zusammenhing,daß sie häufig angesehene Mitglieder der Dorfgemeinschaft oder Kleinstadtgesellschaftund gute Steuerzahler waren, deren Vertreibung aus dem Ort dessen soziale,wirtschaftliche und politische Strukturen gestört hätte (S. 234).Die staatliche Gesundheitspolitik und -gesetzgebung reagierte zunächst nur auf akuteSituationen, wie die Bekämpfung von Seuchen belegt Aussagekräftiger für die Alltagsgeschichtesind die anderen, nicht epidemisch auftretenden Krankheiten und speziell die Todesursachen,hier anhand von Kirchenbucheinträgen und Medizinalberichten der Amtmännerfür einzelne Orte detailliert nachgezeichnet (Kap. 4). Die erkennbare Verbesse-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 323rung der Umwelt- und Lebensbedingungen im Lande in der 2. Hälfte des 18.Jahrhundertszielte insbesondere darauf ab, das Wohl des Staates zu befördern. Die Senkung der Säuglingssterblichkeitund Stabilisierung der Gesundheit der Untertanen, zu der auch Vorsorgemaßnahmenwie die Pockenimpfung beitrugen (wenngleich das Interesse daran eher geringwar), konnte zu dem volkswirtschaftlich erwünschten Bevölkerungszuwachs führen.War es bisher wichtig gewesen, den Berufstätigen ihren Broterwerb zu sichern und dafürauch Konkurrenten auszuschalten, ging das Streben fortan dahin, eine möglichst weitgehendeVersorgung der Menschen zu gewährleisten. Vielfalt entstand durch die Zulassungvon Wettbewerb, auch z. B. durch die Aufhebung der Reglementierung für die Produkte,die in Apotheken verkauft werden durften.Abschließend (Kap. 5) spürt die Autorin noch einmal der Haltung der Betroffenen gegenüberihrem Kranksein nach und beschreibt die manchmal wenig fürsorgliche Behandlungkranker Obdachloser oder wandernder Handwerker, Armer und geistig Verwirrter,aber auch die Einrichtung von kleinen Hospitälern und Heimen für kranke alte Menschenund deren finanzielle Unterstützung durch die Behörden. Eine bunte Palette von Erkrankungenund oft abenteuerlichen, mit Elementen des Aberglaubens durchsetzten Heilverfahrenwird hier vorgestellt. Dieses Kapitel führt dem Leser noch mehr als die vorangegangenenplastisch vor Augen, wie schwierig und langwierig der Umdenkprozeß gewesen ist,der schließlich zu unserer heutigen Einstellung sowohl zu Krankheiten und ihrer Behandlungals auch zu einer auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen aufbauenden, auf Vorsorgehin orientierten Gesundheitspolitik führte.Ausgedehnte Anmerkungen (S. 379-458), ein umfassendes Literaturverzeichnis (S.459-488), Abbildungen und Karten ergänzen den Text, ein Index (S. 489-506) erschließtihn.Wie viele US-amerikanische Wissenschaftler zeichnet Mary Lindemann ein anspruchsvoller,literarischer Stil aus. Durch die besonders kunstvoll aufgebauten Satzstrukturen undoft barock anmutenden Formulierungen gewinnt ihr Text nicht nur Eleganz, sondern außerdemeine epische Breite, die durch zahlreiche inhaltliche Wiederholungen noch verstärktwird, was einer zügigen Rezeption dieses material gesättigten Buches hinderlich ist. Hinzukommt, daß bei einer Darstellung, die weitgehend auf direkte Querverweise verzichtet, allgemeingültigeSchlußfolgerungen bisweilen etwas versteckt bleiben. Doch wer den Alltagvor allem in Kleinstädten und im ländlichen Bereich in seinen vielgestaltigen, schillerndenFacetten kennenlernen will und Muße für die Lektüre mitbringt, für den ist dieser Band, demdie erkennbar große Quellennähe zu Lebendigkeit und Authentizität verhilft, unverzichtbar.Wer zunächst überhaupt einen Zugang zu der Thematik sucht, könnte sich möglicherweisein Mary Lindemanns Einzelfällen verlieren und ist deshalb besser beraten, die zweitehier anzuzeigende Publikation zu benutzen (beide Autorinnen kannten übrigens die jeweilsandere Ausarbeitung noch nicht): Gabriele Reisswangers 1995 an der TU <strong>Braunschweig</strong>angenommene Dissertation gibt neben der vom Titel her zu erwartenden eingehendenSchilderung der Arzneimittelversorgung auch einen qualifizierten Überblick über dasbraunschweigische Medizinal- und Apothekenwesen im 18. Jh. einschließlich seiner wirtschaftlichenund verwaltungsmäßigen Grundlagen (v. a. Kap. 2 und Kap. 7 - Zusammenfassung).Besonderen Zugriff der Obrigkeit erfuhren die Apotheken, die seit 1677 ein Privilegerlangen mußten: 1750 wurde eine Gruppe von ihnen für rund zwanzig Jahre verstaatlicht.Die Arzneimittel für diese Staatsbetriebe produzierte ein zentrales ChemischesLaboratorium, ihre Auslieferung erfolgte ebenfalls zentral durch eine Material-Handlung(eine zu jener Zeit in Deutschland singuläre Maßnahme, vgl. v. a. Kap. 5). Wegen mangelnderAkzeptanz von seiten der Apotheker wie der Ärzte gleichermaßen wurde dieserModellversuch 1771 beendet.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650324 Rezensionen und AnzeigenFür die Arzneimittel, die in den Apotheken verkauft werden durften, gab es eine verbindlicheZusammenstellung ("Pharmakopöe"), deren Entstehungsgeschichte die Verfasserinnachspürt (Kap. 3). Apothekeninventare einzelner Betriebe (Kap. 4) belegen an handdes tatsächlich vorrätig gehaltenen Sortimentes die Verbreitung von Medikamenten und"Nebenhandelswaren". Darüberhinaus geben sie in Verbindung mit RechnungsunterlagenAuskunft über den regionalen Einzugsbereieh und die soziale Zusammensetzung derKundschaft. Beispielsweise führen die eingereichten Rezepte Berufsbezeichnungen der Patientenan und lassen erkennen, ob bar bezahlt oder ein Kredit gewährt wurde und sind damiteine bedeutsame Quellengattung zur Sozialgeschichte. Arzneimittel verkauften übrigensnicht nur Apotheken, die - mit den vorgenannten Ausnahmen - ihre Grundstoffe vonArzneimittelgroßhändlern bezogen und selbst verarbeiteten: Unzulässige Konkurrenz erhieltensie von den Ärzten und so gut wie allen im medizinischen Bereich Tätigen (vgl. v. aKap. 6). Die Rolle der Gildemitglieder sowie der Quacksalber und Pfuscher wird dabeiauch von B. an einer Reihe von Musterbeispielen beleuchtet.Tabellen im Text sowie gut strukturierte Schaubilder und Arzneimittel-Listen im Anhanguntermauern die Darlegungen, ein Glossar (S. 275-276) erläutert Fachbegriffe. Hilfreichwäre neben einem Namen- und Sachindex eine Zusammenstellung der ausgewertetenund in den Belegen auch jeweils genannten archivalischen Quellen, enthält das umfangreiche"Quellen- und Literaturverzeichnis" (S. 277-296) doch lediglich Druckwerke. Aberungeachtet dieses Einwandes liegt hier eine zuverlässige, sehr gut lesbare Arbeit vor, diedas Buch von Mary Lindemann im pharmaziegeschichtlichen Themenbereich vertieft unddie Leser mit überschaubar präsentierten Sachinformationen vorzüglich versorgt.Ulrike StraußVisionäre Lebensklugheit - Joachim Heinrich Campe in seiner Zeit (1746-1818). Ausstellungdes <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesmuseums und der Herzog August <strong>Bibliothek</strong>Wolfenbüttel vom 29. Juni bis 13. Oktober 1996. Ausstellung und Katalog: HannoS c h mit t in Verbindung mit Peter Alb re c h t (Ausstellungskataloge der HerzogAugust <strong>Bibliothek</strong> 74). Wiesbaden: Harrassowitz 1996, 255 S., Abb., 78 DMWie für die Edition der Briefe Joachim Heinrich Campes von Hanno Schmitt (vgl. Rezensionim vorliegenden Jahrbuch) muß für den vorliegenden Katalog gelten, daß die seiner Entstehungzugrundeliegende Zusammenarbeit der Herzog August <strong>Bibliothek</strong> in Wolfenbüttelmit dem <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesmuseum aus Anlaß der 250. Wiederkehr von CampesGeburtstag in zwei Publikationen höchst erfreuliche Resultate mit dauerhaftem Gewinnhervorgebracht hat - ein Gemeinschaftsprojekt, dem Anlaß angemessen und mit zukunftsweisenderWirkung für die weitergehende Beschäftigung mit der Persönlichkeit Campes.Der Versuch, ein von so vielfältigen Aktivitäten und wechselreichen Entwicklungsphasengeprägtes Leben wie das Joachim Heinrich Campes in einem Ausstellungskatalog anschaulichund umfassend darstellen zu wollen, ist ein schwieriges Unterfangen, liegt doch derReiz in der Beschäftigung mit dieser Persönlichkeit gerade in ihrer prozessualen Entfaltungin ihrer Zeit begründet, und findet diese Persönlichkeit doch gerade im schriftlichen Nachlaßund nicht in so viel anschaulicher, weil sinnlich leichter wahrnehmbaren Objekten ihren Niederschlag.Der Katalog muß überdies seiner doppelten Funktion als Ausstellungsdokumentationund wissenschaftlicher Begleitpublikation mit dauerhaftem Wert gerecht werden.Um es gleich vorweg zu nehmen: Dem Katalog oder besser den Autorinnen und Autorender insgesamt 15 Beiträge ist es gelungen, den vielfältigen Anspüchen einer durchausheterogenen Leserschaft gegenüber gerecht zu werden. Mit dieser Publikation liegt eine an-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 325regende, informative und auch gestalterisch gelungene Publikation vor, die für sich in Anspruchnehmen darf, ihren Forschungsgehalt in einer Form zu präsentieren, der neugierigauf jeden weiteren Beitrag macht. Der Katalog ist les- und handhabbar - ein Positivum fürsich angesichts inflatorisch umfangreicher Ausstellungskataloge. In seinem Aufbau führt erauch den nicht mit Campe vertrauten Leser geschickt von der den biographischen Überblickvermittelnden Lebensdarstellung, bearbeitet von Hanno Sehmitt, zu richtungsweisendenZäsuren im Leben von Campe (Michael Niedermeier, Campe als Direktor des Philanthropins;Franklin Kopitzsch, Campe in Hamburg und Trittau als Schriftsteller, Erzieherund Aufklärer; ders., Campes Reise durch Deutschland in die Schweiz; Gerd Biegei, Campein <strong>Braunschweig</strong> als Reformer und Verleger). Allen Autoren gelingt es, die äußeren Lebensumstände,die Triebkräfte zu den räumlichen und beruflichen Veränderungen Campesund seine davon geprägte Persönlichkeitsentwicklung mit vergleichsweise knappen, aberpräzisen Strichen zu zeichnen. Diese Lebensetappen, die nicht nur gleichbedeutend miträumlichen Veränderungen sind, sondern jeweils neue Beschäftigungsfacetten und neueBetätigungsfelder Campes repräsentieren, werden sinnvoll ergänzt durch die Beleuchtungvon einigen für Campe bedeutsamen Aspekten. So setzt sich Angela Klein mit Campe undder Zensur im Fürstentum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüuel auseinander und entwirft gleichsamals Folie ein atmosphärisches Bild des geistigen Umfeldes, in das Campe seine Schriftenstellte. Peter Albrecht gelingt eine höchst anschauliche Skizze von Campes didaktisch,methodisch und ökonomisch geprägter Beschäftigung mit seinem Garten in <strong>Braunschweig</strong>,gleichzeitig auch ein Stück Stadt-Gartengeschichte für sich. Diesen durch das AktionspotentialCampes geprägten Beiträgen im ersten Katalogabschnitt zu Campes Leben steht derBeitrag von Hans-Wolf Jäger zu Campe im Bild gegenüber. Campe ist hier im wahrstenSinne des Wortes Betrachtungsgegenstand; ein Beitrag, der uns die Erscheinung Campesnäherzubringen versucht, unser Persönlichkeitsbild so authentisch wie möglich werden läßt.So auf die Person Joachim Heinrich Campes eingestimmt, wird der Leser im zweitenTeil des Kataloges mit Campes Projekten vertraut gemacht. Allen Beiträgen ist die Einbettungder Aktivitäten Campes in das zeitgenössische Umfeld gelungen; die Projekte Campeskönnen zumindest im Rahmen der Möglichkeiten des Kataloges in ihrer Eigenheit gegenüberzeitgleichen Bestrebungen gemessen und bewertet werden. Die Wirkungsphase Campes,seine herausragenden Leistungen, behalten dadurch dennoch ihren Zeitbezug undwerden als Prozeß in der Spätaufklärung mit Einflußnahme auf spätere Entwicklungsphasenkenntlich. Der besonderen Zielsetzung von Campes Pädagogik, der Erziehung desMenschen zum Menschen und Bürger, widmet sich U1rich Herrmann in der Kontrastierungder neuen Anthropologie mit der neuhumanistischen Bildungsphilosophie. Die Tatsache,daß nach 1800 insbesondere der Aspekt der politischen Aufklärung, in der Erziehung zumBürger im Sinne Campes angelegt, nicht das Ziel der Herrschenden wurde, darf nicht überden zukunftsorientierten, aktuellen Ansatz Campcs hinwegtäuschen.Hans Heino Ewers beschreibt Campes Rolle als Kinderliterat und Jugendschriftstellerund arbeitet dabei mit der Betrachtung von Campes überaus erfolgreichen Büchern "Robinson","Theophron", "Väterlicher Rath für meine Tochter" und der Reisebeschreibungennicht nur ein klares Bild von Campe als einem Textsammler und nur ansatzweise einemoriginalem Schriftsteller heraus. Er differenziert gleichzeitig auch Campes Funktion alsdem literarischen Vermittler, als dem Wegbereiter moderner Kinderliteratur von seiner traditionsverhaftetenRolle für die Jugendliteratur, in der Campe keine richtungsweisende Positionzukommt. Im Kontext der Kinder- und Jugendliteratur muß auch der BeschäftigungPia Schmidts mit der Schrift Campes "Väterlicher Rath für meine Tochter" gesehen werden:Die aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbare Begrenzung der RoHe von Mädchenund Frau als Gattin, Mutter und Vorsteherin des Hauswesens muß unter den Zeit-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>326 Rezensionen und Anzeigenumständen als wichtiger Schritt zur Definition einer eminent bedeutenden gesellschaftlichenDimension der Frau im Rahmen der sich neu formierenden Familienstruktur und desFamilienverständnisses verstanden werden.Christa Kersting setzt sich mit Campes »Allgemeiner Revision", dem Standardwerk derPädagogik der Aufklärung auseinander und macht es als eine Grundlagenentwicklungkenntlich, der gewollt theoretische Bedeutung zukommen sollte und deren praktischeKomponente in der beabsichtigten Herausgabe von Lehrbüchern lag. Nicht überschätztwerden kann dabei die Hervorhebung der Rolle des Kindes als Selbstzweck, dem sich dasRevisionswerk als» work in progress", wie es die Autorin formuliert, gewidmet hat.Interessant gerade darum der Beitrag von Rudolf W. Keck, der die Industrieschulbewegungund Campes Industrieschulschrift behandelt. Auch in dieser Schrift wie in den schulreformerischenGrundsätzen Campes für das Schulsystem im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong>­Wolfenbüttel, die letztendlich am Widerstand von Kirche und Ständen gescheitert ist, wirdCampe als visionärer Kämpfer gegen etablierte Machtstrukturen charakterisiert. SeineVorstellungen von Erziehung gingen klar über die Sozialdisziplinierung hinaus und zieltenauf ein verändertes Menschenbild.In dem in seiner Breite kaum nachvollziehbaren Betätigungsfeld Campes kommt seinerBeschäftigung mit der Sprache, seinen Bemühungen um Sprachkritik, Spracherläuterungenebenfalls herausgehobene Bedeutung zu. Dies skizziert Helmut Henne in seinem Beitragzur <strong>Braunschweig</strong>ischen Wörterbuchwerkstatt Campes und seiner Mitarbeiter. Hennemacht die Entwicklung der Campeschen Auseinandersetzung mit der Sprache in Phasenbis hin zur eigenständigen Wörterbuchpublikation als Gemeinschaftsarbeit 1807 bis 1811und schließlich der fünfbändigen Wörterbuchausgabe von 1813 kenntlich, wobei er klar diebislang noch nicht abgeschlossene Erforschung von Campes Spracharbeit aufzeigt.Schließlich beleuchtet Jörn Garber Campes Reisen in das revolutionäre und nachrev0-lutionäre Paris 1789 und 1802 und arbeitet dabei Campes Bewertung der Revolution undihrer Folgen für die moderne bürgerliche Gesellschaft heraus, letztlich die Erkenntnis, Augen-und Zeitzeuge einer sehr nüchternen und ernüchternden Entwicklung unter Napoleongeworden zu sein.In ihrer Gesamtheit zeichnen aUe Beiträge in komprimierter Form ein Bild JoachimHeinrich Campes, das den Leser mit diffenrenzierten Kenntnissen und Vorstellungen zurückläßtund sehr anregt, sich dieser beeindruckenden Persönlichkeit eingehender zu widmen.Der Schritt zur Beschäftigung mit der Korrespondenz Campes ist nach der Lektüredes Kataloges ein -gewollt-kleiner. In ihrer Ergänzung liegt ein großes Verdienst der beidenPublikationen, die aktuelle Auseinandersetzung mit Campe vorangebracht zu haben.Annette Boldt-StülzebachBriefe von und an Joachim Heinrich Campe, Bd. 1: Briefe von 1766-1788. Hg. von HannoS eh mi tt (Wolfenbüttler Forschungen, hg. von der Herzog August <strong>Bibliothek</strong> 71.1).Wiesbaden: Harrasowitz 1996, 592 S., 148 DMMit dem von Hanno Schmitt herausgegebenen ersten der auf zwei Bände angelegten Editionder Briefe von und an Joachim Heinrich Campe (1746-1818) liegt eine in mehrfacherHinsicht bemerkenswerte Publikation vor. Muß sie doch einerseits als ein lange überfälligesDesiderat nicht nur zu Fragen der Biographie und Wirkungsgeschichte dieses bedeutendenPädagogen, Autors und Verlegers, sondern auch zur Entwicklung der Pädagogikinsgesamt und der Spätaufklärung allgemein betrachtet werden. Andererseits darf derKontext der Publikation hervorgehoben werden: die Zusammenarbeit zweier bedeutenderhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 327Einrichtungen, wie sie die Herzog August <strong>Bibliothek</strong> in Wolfenbüttel und das <strong>Braunschweig</strong>ischeLandesmuseum darstellen, zur Würdigung Joachim Heinrich Campes anläßlichder 250sten Wiederkehr seiner Geburt 1996 in Form eben der Herausgabe des vorliegendenBriefeditionsbandes und der Ausstellung zu Campe, die von einem Katalog begleitetwar. Ohne die eigenständige große Bedeutung des ertragreichen Editionsunternehmensvon Hanno Schmitt schon in diesem ersten Band zu schmälern, macht gerade dasMiteinander beider Projektteile - Briefpublikation und Ausstellung( -skatalog) ein gemeinsamesGanzes, das breite Aufmerksamkeit verdient.Bemerkenswert schließlich ist das Unterfangen, die Korrespondenz von und an Campezu edieren auch angesichts der bislang vorliegenden editorischen Vorarbeiten - die bisherGültigkeit beanspruchende Edition stammt von Jakob Leyser (1877) und macht nach nunvorliegendem Forschungsstand knapp 50 Prozent der noch existierenden, allerdings weitverstreut in Archiven und Handschriftensammlungen zu recherchierenden Briefe aus. Einarbeitsaufwendiges Unterfangen also, dessen akribische Ausführung sich nicht nur auf dieEdition resp. Regestierung der bekannten und neu erschlossenen Briefe bezieht, sonderndas sich zudem das Ziel setzt, die Quellensammlung mittels Einführung und Kommentierungso anzulegen, daß sie zumindest in weiten Teilen aus sich selbst heraus verständlich istund auch für ein interessiertes, aber nicht im Detail vorgebildetes Lesepublikum Gewinnbirgt. Hanno Schmitt nähert sich diesem Ziel methodisch, indem er in erfreulich knapper,aber präzis verständlicher und nachvollziehbarer Form einführend die Bedeutung desBriefnachlasses unter Berücksichtigung zahlreicher Fragestellungen erläutert: Neue Perspektivenauf die Entwicklung der Spätaufklärung, insbesondere der Entwicklung der Pädagogikin dieser Phase sind mittels des Briefwechsels zu gewinnen; die Breite der Adressatenschaftmacht den gedanklichen Austausch zu bestimmenden Fragen während der Spätaufklärungtransparenter und das Selbstverständnis vieler richtungsweisender Persönlichkeitennachvollziehbarer; der Leser der Briefe kann teilhaben am Selbstverständnis derhandelnden Personen und der Entwicklung von Prozessen und Theorien, deren Wirkungbis in die Gegenwart reicht. Schließlich verdeutlicht die Korrespondenz auch die zunehmendeEinbindung der historischen Öffentlichkeit in den Austausch der Briefpartner, dasWerden der bürgerlichen Öffentlichkeit in der Zeit Campes.Schmitt verbindet diese Argumentation für seine Briefedition mit einer ebenfalls übersichtlichgehaltenen Biographie Campes im Licht seiner Korrespondenz, die gleichermaßen,wenn auch nicht in wortwörtlicher Übernahme, Bestandteil des Ausstellungskatalogesgeworden ist. Ein Überblick über ein in seiner Aktionsvielfalt bemerkenswert facettenreichesLeben einer der herausragenden Persönlichkeiten des ausgehenden 18. Jahrhundertsin Deutschland, der auch für den interessierten Laien eine informative und anregende Studieabgibt. Mit Interesse lesen sich auch Schmitts Ausführungen zur Überlieferungsgrundlage,wenn er, wiederum komprimiert, den Gang des Nachlasses über die Übertragung desViewegschen Autographennachlasses an die Herzog August <strong>Bibliothek</strong> 1892 per testamentarischerBestimmung der Campe-Enkelinnen nachzeichnet und das Schicksal der bis zurAuslagerung 1944 im Viewegschen Verlagshaus aufbewahrten Korrespondenz nachgeht.Gerade vor der Bestandsaufnahme der 421 auch von Leyser benutzten Briefe, für dieSchmitt relativ wenige Verluste durch Kriegseinwirkung festhalten kann, ist das Resultatder Recherche des Herausgebers mit über 500 neu aufgefundenen und jetzt edierten Briefenzu werten; allein 360 Briefe stammen davon von Campes eigener Hand.Den dargelegten Editionsgrundsätzen wie auch den beigefügten Registern - Personen,erwähnte Schriften Campes, von Campe rezensierte Schriften, Orte - merkt man die ZielsetzungSchmitts an, eine editorische Arbeit vorzulegen, die auf die Rezeption durch einebreitere Öffentlichkeit abhebt: Die Schreib- und Druckfehler sind behutsam korrigiert wor-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>328 Rezensionen und Anzeigenden, Orthographie und Interpunktion sind beibehalten, auf die Handschriftenbeschreibungist, letztlich auch infolge der Bearbeitungsmodalitäten nach Xerokopien und Mikrofilmen,verzichtet worden. Der Herausgeber beschränkt sich insofern auf sehr pragmatische undknapp erläuterte Verfahrensweisen. Wichtig ist ihm die Kommentierung der Briefe, die dieVerständlichkeit des Briefes aus sich selbst heraus bezweckt und daher die erforderlichenAusführungen zu benannten Personen, Zeitumständen etc. kurz zusammen faßt. In diesemSinne nachvollziehbar ist die aus der Sicht des Herausgebers getroffene Wahl der Regestenresp. der Komplettabdrucke von Briefen. Bei vorliegenden Druckfassungen wird die kürzestmögliche Regestform gewählt, wichtig ist der inhaltliche Gehalt insbesonders der bislangunveröffentlichten Texte.Die durch ein Verzeichnis der Archive und Handschriftensammlungen und ein Literaturverzcichniskomplettierte Publikation erreicht unter diesem Gesichtspunkt ihr vom Herausgeberselbst verordnetes Ziel: Mit dem ersten Band der Briefe liegt eine für Forscherunterschiedlicher Wissensgebiete reichen Ertrag versprechende Edition wichtiger Quelleneiner in ihrer Wirkung weit in die Zukunft reichenden Zeitphase vor; einer Entwicklung,die, ausgehend von einem Mann, sowohl unter den Gesichtspunkten der Erforschung desHerzogtums <strong>Braunschweig</strong> als auch unter europäischen Perspektiven betrachtet werdenkann, wenn etwa, schon vorausschauend auf den hoffentlich bald vorliegenden zweitenBand, Campes Beobachtungen zur Französischen Revolution in Rede stehen.Der Ansatz Hanno Schmitts, die Quellenzugänglichkeit für ein breites Publikum in einertatsächlich lesenswerten und lesbaren Publikation anzustreben, ist verdienstvoll, geradeim Hinblick auf die Persönlichkeit Campes, dessen Werdegang und Lebenswert ohneÜbertreibung herausragend und exemplarisch genannt werden darf, gewissermaßen eineSchlüsselfigur der Spätaufklärung. Hanno Schmitt hat eine Editionsarbeit vorgelegt, dernicht nur eine breite Leserschaft zu wünschen ist, sondern die ob ihrer praktisch handhabbarenLesequalität auch viele Leser finden wird.Annette Boldt-StülzebachUlrike M ö 11 n e y, Norddeutsche Presse um 1800. Zeitschriften und Zeitungen in Flensburg,<strong>Braunschweig</strong>, Hannover und Schaumburg-Lippe im Zeitalter der FranzösischenRevolution (Studien zur Regionalgeschichte 8). Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte1996,330 S., Abb., 58 DMAus dem Forschungsprojekt "Französische Revolution und deutsche Öffentlichkeit" ander Universität Bremen entstand die Dissertation von Ulrike Möllney über die nordwestdeutschePresse im Zeitalter der Französischen Revolution. Die Arbeit untersucht die publizistischeBedeutung der Französischen Revolution, bleibt dabei aber nicht auf spektakulärepolitische Revolutionsberichterstattung fixiert, sondern rückt den "Umfang derAlltagsberichterstattung" (S. 19) ins Blickfeld. Sie hebt hervor, daß bisher die "Intelligenzblätter"als Quelle der Sozial- und Alltagsgeschichte vernachlässigt wurden (S. 17).Die Untersuchung ist mit den vier großen Kapiteln über Flensburg, <strong>Braunschweig</strong> (S.72-118), Schaumburg-Lippe und "Kurhannover" vor allem regionalgeschichtlich eingeteilt,daran schließen sich mehrere kleinere zusammenfassende Abschnitte. In den regionalenKapiteln werden die pressepolitischen Rahmenbedingungen, das wirtschaftliche undsoziale Umfeld und die Formen des Lektürezugangs beschrieben. Nach einem Überblicküber die jeweilige Presselandschaft werden einzelne Publikationsorgane exemplarisch porträtiertund einer Inhaltsanalyse unterzogen.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 329Das Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> ist für die Autorin insbesondere deshalb interessant,weil hier "die Wirkung außenpolitischen Drucks (durch Preußen] auf eine liberale Pressepolitikin den neunziger Jahren studiert werden kann" (S. 24). Ulrike Möllney untersuchtmit den von Johann Joachim Eschenburg herausgegebenen "<strong>Braunschweig</strong>ischen Anzeigen"und mit der vom Landgeistlichen Werner Dietrich Bräß herausgegebenen "RothenZeitung" ("Zeitung für Städte, Flecken und Dörfer, insonderheit für die lieben Landleutealt und jung") zwei sehr unterschiedliche Blätter, kommt dabei aber im Rahmen ihrer Fragestellungzu vergleichbaren Ergebnissen.Mit der ab 1787 im Umfang vergrößerten Beilage des "<strong>Braunschweig</strong>ischen Magazins"entfernten sich die <strong>Braunschweig</strong>ischen Anzeigen vom Konzept des reinen Anzeigenblattesund stellten sich in den Dienst aufklärerischer staatlicher Reformpolitik. Die "Rothe Zeitung"hingegen entwickelte sich unter dem Eindruck der Revolution von volksaufklärerischerThematik zur politischen Berichterstattung mit systemstabilisierender Zielsetzung.Obwohl offiziell keine Zensur in <strong>Braunschweig</strong> bestand, regulierte die Obrigkeit die Veröffentlichungenauf die auch anderswo übliche Weise.Besonders lesenswert ist das Kapitel über das "Publikum der norddeutschen Presse",obwohl es zeigt, wie schwierig die Aussagen über die Rezipienten bleiben (auch die Frageder "Durchschlagskraft" der dargebotenen bürgerlichen Normen in den nichtbürgerlichenSchichten bleibt unbeantwortet). Gut verdeutlicht wird die Bedeutung des Vorlesens als"semiliterarischer" Prozeß (S. 215), wobei zu berücksichtigen ist, daß Hochdeutsch für einengroßen Teil der Hörer eine Fremdsprache war. "Avisenbuden" gaben die Möglichkeit,sich gegen Gebühr aktuelle Zeitungen vorlesen zu lassen (S. 243).Die Beschreibung der "wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe" (S. 76 ff.) ist mitBlick auf die Französische Revolution sehr auf Unruhen und soziale Spannungen konzentriert.Man kann sich fragen, ob hier nicht zu starke Akzente gesetzt werden, ist doch dieBedeutung der französischen Revolution für den nordeutschen Raum durchaus umstritten.Die Darstellung ist mit einigen Abbildungen sowie erfreulicherweise mit einem gemischtenSach-, Personen- und Ortsindex ausgestattet. Das vorweggenommene Fazit, wonachdie Funktion der Zeitung in "Wissensvermittlung und Disziplinierung" (S. 26, S.255 ff.) bestand, ist sicher alles andere als überraschend, wird aber in diesem ansprechendaufgemachten Buch reichhaltig untermauert und gut lesbar dargeboten.Stefan BrüdermannDenkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Baudenkmale in Niedersachsen, hg. v.Christiane S e ger s - G I 0 c k e (Niedersächsisches LandesverwaItungsamt, Veröffentlichungdes Instituts für Denkmalpflege). Band 1.2: Stadt <strong>Braunschweig</strong>, bearb. v.Wolfgang K i m p f li n ger. Hameln: CW Niemeyer 1996, 284 S., Abb. u. Karten, 48 DMDrei Jahre nach dem Erscheinen des ersten Teilbandes kann jetzt der Folgeband angezeigtwerden, der die seit etwa 1800 außerhalb der ehemaligen Wallanlagen neu entstandenenStadtteile sowie die in den Gebietsreformen dieses Jahrhunderts (1934/1936, 1974) nach<strong>Braunschweig</strong> eingemeindeten dreißig Dörfer umfaßt. In ihrem Aufbau gleichen sich dieBände dieser VeröffentIichungsreihe (vgl. dazu <strong>Braunschweig</strong>isches Jb. 75, 1994, S.243-244). Der vorzustellende Band beschreibt zunächst die Außenstadtbezirke (ÖstlichesRinggebiet - Südöstliches Ringgebiet mit Bürgerpark und Richmond - Westliches Ringgebiet- Nördliches Ringgebiet), die ehemaligen Landgemeinden reihen sich dann nachOrtsalphabet an, von <strong>Braunschweig</strong>-Bevenrode bis <strong>Braunschweig</strong>-Wenden. Innerhalb desHauptteiles geben historische Ortslagekarten und/oder aktuelle Luftaufnahmen eine gute


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>330 Rezensionen und AnzeigenGesamtorientierung über den jeweils besprochenen Stadtteil (mit Ausnahme der Abschnitteüber Melverode und Mascherode-Siedlung/Südstadt).Die Bandbreite der erfaßten denkmalgeschützten Gebäude und Anlagen reicht von bedeutendenKirchenbauten des 13.Jahrhunderts (voran die Klosterkirche Riddagshausen,aber auch die zwar erheblich kleinere, gleichwohl hochrangige Dorf- und ebenfalls zeitweiligeKlosterkirche St. Nikolai in Melverode) über das Schlößchen Richmond (1768), dieTorhäuser von Peter Joseph Krahe (Anfang 19.Jahrhundert), eindrucksvolle Privathäuserund repräsentative Villen bis zu vergleichsweise bescheiden anmutenden Mietshäusern des19.Jahrhunderts., von dem imponierenden ehemaligen Hauptgebäude der TechnischenHochschule (heute "Altgebäude" der Technischen Universität) Carolo-Wilhelmina vonConstantin Uhde (1877) und typischen Schulhäusern aus der zweiten Hälfte des 19.Jahrhundertsbis hin zu Industriebauten und dem Gefängnis in der Rennelbergstraße, vonGrünanlagen und Gewässern (neben Parks auch z. B. der Jödebrunnen an der A 391 imWestlichen Ringgebiet als Naturdenkmal) sowie Friedhöfen mit einzelnen Grabmälern bishin zu den beeindruckend umfangreich dokumentierten dörflichen Bauten.Der Schwerpunkt der Entstehungs7.eit der Bauwerke liegt vor dem Ausbruch des ErstenWeltkrieges, wenige stammen aus den Zwanziger Jahren. Die Jahrzehnte des Wiederaufbausnach dem Zweiten Weltkrieg sind nur vereinzelt vertreten, die Jahre 1933-1945dagegen bemerkenswert stark. Beispiele nationalsozialistischer Architektur sind u. a. dieAkademie für Jugendführung der Hitlerjugend an der Wolfenbütteler Straße (heute<strong>Braunschweig</strong>-Kolleg/Deutsche Müllerschule), das Stabsgebäude an der SchilIstraße (heuteVersorgungsamt), die Bernhard-Rust-Hochschule am Rebenring (nachmalige Kant­Hochschule), das flughafen-Hauptgebäude in Waggum, das Verwaltungsgebäude derDeutschen Forschungsanstalt für Luftfahrt in Völkenrode (heute Forschungsanstalt fürLandwirtschaft), das Luftflottenkommando an der GrünewaIdstraße (später u. a. Sitz derBritischen Militärregierung, der Raabe-Schule sowie des früheren "Kleinen Hauses" desStaatstheaters). Denkmalwürdig sind auch Ensembles (beispielsweise der "Reichsjägerhof"von 1935/36 in Riddagshausen) und ganze Siedlungen, sowohl aus den Zwanziger Jahren(das Siegfriedviertel) wie aus der NS-Zeit (insbesondere Mascherode-Siedlung/Südstadt,S. 259-261).Das bereits in der oben genannten Besprechung des ersten Teilbandes formulierte positiveUrteil kann hier uneingeschränkt wiederholt werden: Auch bei diesem Folgebandhandelt es sich um eine sehr ansprechende, für stadt- und baugeschichtIich interessierteLaien wie für Fachleute gleichermaßen informationsreiche Publikation, die nicht zuletztdurch die gelungenen Schwarzweiß-Fotos von Jutta Brüdern und Harald Loch dazu verleitet,darin zu blättern und sich festzulesen.Ulrike StraußJosef H ö g e man n, Eisenbahnen im Harz, Bd. 1: Die Staatsbahnstrecken, Bd. 2: DiePrivat- und Werksbahnen. Nordhorn: Verlag Kenning 1995 u. 1996, 120 S., Abb., 48 DMbzw. 152 S., Abb., 59 DMAus der Fülle der eisenbahn technischen Literatur, einer Sparte, in der nicht selten mit populärenBildbänden dem technikgeschichtlichen "Faszinosum" Eisenbahn gehuldigt wird,sollen hier zwei Bücher angezeigt werden, die über die vorgenannte Umschreibung hinausragen.Sie stellen nämlich die Geschichte des Schienenverkehrs der Harzregion auf derGrundlage umfangreichen Bild- und Zahlenmaterials zusammenfassend dar. Die vorlie-http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 331gende Besprechung hat ihre Berechtigung in der teilweisen Einbindung des Harzes in dasTerritorium des Landes <strong>Braunschweig</strong> sowie insbesondere auch durch die am Anfang desBandes I ausführlich behandelte 1838 errichtete erste deutsche Staatsbahnstrecke <strong>Braunschweig</strong>- Bad Harzburg.Trotz der geographisch bedingt erschwerten Zugänglichkeit stand das Harzgebiet nichtgänzlich abseits des im 19. Jahrhundert begonnenen Aufbaus eines Eisenbahnverkehrsnetzesin Deutschland. Die Anpassung an die heute vorzufindende Verkehrsinfrastruktur habenjedoch im wesentlichen nur die um den Harz herumgeführten Hauptbahnlinien über­Icbt. Darüber hinaus konnte sich u. a. auch die vom Massentourismus getragene HarzquerundBrockenbahn (heute "Harzer Schmalspurbahnen - HSB") behaupten. So kann daszweibändige Werk eine Anschauung vom ehemals erstaunlich guten Erschließungsgrad derzweifellos als beliebtestes Reiseziel Norddeutschlands geltenden Mittelgebirgsregion liefern.In ausführlicher Weise dokumentiert es auch den Zeitraum von 1945 bis 1989 mit seinerfür den östlichen Teil des Harzes in der ehemaligen DDR stattgefundenen Sonderentwicklung,d. h. der dort eher verlangsamten Anpassung an die vom Automobil geprägteUmstrukturierung, die im übrigen noch nicht abgeschlossen sein dürfte.Der den Staatsbahnstrecken vorbehaltene erste Band bietet nach einer kurzen geographischenAbgrenzung unter der Überschrift "Der Harz, ein markantes Mittelgebirge imnorddeutschen Tiefland" in den Kapiteln "Entwicklung des Eisenbahnnetzes im nördlichenHarzvorland" (darin u. a. "<strong>Braunschweig</strong>-Bad Harzburg, die erste deutsche Staatsbahnauf deutschem Boden" und "Die braunschweigische Südbahn Börßum-Kreiensen"),"Die Erschließung der Südharzregion durch die Eisenbahn", "Die Verkehrsentwicklungauf den Harzringstrecken", "Eisenbahnreise rund um den Harz", "Die Oberharzbahn Langelsheim-Altenau","Herzberg-Siebertal", "Scharzfeld-St. Andreasberg West", "Die WippertalbahnKlostermannsfeld-Wippra" und "Die Thyratalbahn Berga-Kelbra-Stolberg"genaue Beschreibungen der einzelnen Strecken. In noch stärkerem Maße spiegelt der denPrivat- und Nebenbahnen zugeteilte zweite Band die wirtschaftliche Entwicklung der Region,vor allem im Hinblick auf die Transportleistungen zur Gewinnung der im Harz vorkommendenBodenschätze. Er ist gegliedert in die Kapitel "Die Halberstadt-BlankenburgerEisenbahn", "Die Gernrode-Harzgeroder Eisenbahn", "Die Nordhausen-WernigeroderEisenbahn", "Die Südharz-Eisenbahn", "Die Kleinbahn Ellrich-Zorge", "Die KleinbahnGittc1de-Bad Grund", "Die St. Andreasberger Kleinbahn", "Die Kleinbahn Hettstedt-Eisleben-Helfta"sowie" Werksbahnen". Beide Bände sind mit einem Anhang versehen,der jeweils die Eröffnungs- und Stillegungsdaten der Strecken sowie ein kurzes Quellenverzeichnisenthält. Die informativen Texte werden ergänzt durch umfangreiches historischesFotomaterial, durch Strecken- und Bahnhofspläne, Typenzeichnungen und Verzeichnissevon Lokomotiven und Triebwagen. So enthält der Band 147 Farb-, 186 SW-Fotosund 25 Skizzen, der Band 11 46 Farb-, 280 SW-Fotos und 37 Skizzen. Die Fotos sind inder Regel datiert, gut kommentiert sowie mit Herkunftsnachweis versehen. Durch die Verwendungvon Kunstdruckpapier konnte durchweg eine sehr gute Reproduktionsqualität erzieltwerden.Autor und Verlag, beide ausgewiesen durch entsprechende Fachpublikationen, habeneinen gelungenen Beitrag zur Verkehrsgeschichte des Harzes in guter Ausstattung vorgelegt,der eine Vielzahl von Einzelveröffemlichungen verarbeitet und zusammen faßt sowiedie Benutzung der in der entlegenen Sammlerzeitschrift "Böttchers Kleine Eisenbahnschriften"von 1968 bis 1971 nur unzulänglich in Fortsetzungsforrn unter dem Titel "DerHarz und seine Eisenbahnen" erschienenen Aufsätze von A. Schochardt entbehrlichmacht.Hans-Martin Arnoldthttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>332 Rezensionen und AnzeigenAndreas D ü w e I , Sozialrevolutionärer Protest und konservative Gesinnung. Die Landbevölkerungdes Königreichs Hannover und des Herzogtums <strong>Braunschweig</strong> in der Revolutionvon 1848/49. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang 1996,287 S., 84 DMDie vorliegende Arbeit, die von der Technischen Universität <strong>Braunschweig</strong> als Dissertationangenommen wurde, geht von der These aus, daß die Revolution von 1848/49 an derkonservativen Haltung der Landbevölkerung, die die Mehrheit des Volkes (70 %) repräsentierte,gescheitert sei.Der Autor, der mit dieser These dem Ansatz seines Doktorvaters Gerhard Schildt folgt,hat dafür Ämter und Gemeinden im Königreich Hannover und im Herwgtum <strong>Braunschweig</strong>untersucht, wo im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung 75 % der Unterschichtangehörten, 17 % der Mittelschicht und 8 % der Oberschicht.Als Quellengrundlage diente ihm dabei vor allem staatliches Schriftgut, welches dieSchilderung der revolutionären Unruhen durch die Regierungs-, Mittel- und Ortsbehördenenthält. Gesuche und Eingaben an die Obrigkeit, die zum Teil ebenfalls schriftlich vorliegen,vermitteln Motive und Ziele der Aufständischen.Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, daß die bäuerliche Unterschicht - vor allem ausTagelöhnern und Häuslingen bestehend - im Vormärz eine zunehmende Verschlechterungder LebensverhäItnisse hatte hinnehmen müssen (Mißernten, Überbevölkerung, Arbeitslosigkeit,fehlendes Pachtland). Einen Kulminationspunkt fand die Entwicklung, die durchdie Argrarreform der 1830er Jahre nicht entscheidend hatte verbessert werden können, inder Hunger- und Teuerungskrise von 1846/47.So wurde die Pachtlandfrage während der Revolution zu dem zentralen Anliegen der besitzlosenLandbevölkerung, die den revolutionären Anstoß von außen für die Aktivierungdes eigenen Protestpotentials nutzte. Mit der Forderung nach Land seien jedoch die Sicherungdes Lebensunterhalts und keine weitergehenden politischen oder sozialen Zielsetzungenverbunden gewesen, so daß mit der zumindest teilweisen Erfüllung dieser Forderungdurch die Regierungen der revolutionäre Elan auf dem Lande rapide nachließ. Dies habe dasScheitern der 1848er Revolution bedeutet, denn die überwiegende Mehrheit der landbevölkerungsei aufgrund einer konservativen "bodenständigen" Einstellung und der Verhaftungin einer ständisch struktuierten Gesellschaft nur an der Korrektur sozialer Fehlentwicklungeninteressiert gewesen, nicht jedoch an einer revolutionären Systemveränderung.Düwel resümiert, daß die Stellung der alten Eliten unangetastet blieb, weil sich dieLandbevölkerung nach Erfüllung von Minimalforderungen auf deren Seite schlug. "DieHinwendung der unterbäuerlichen Schichten zu der historisch verwurzelten staatlichen undgesellschaftlichen Verfassung entwg dem revolutionären Prozeß den für die Durchsetzungstruktureller Veränderungen unentbehrlichen Nährboden. Die von der Bevölkerungsmehrheitbegleitete Konsolidierung des Systems erlaubte schließlich die von keinerlei entwicklungs-hemmendenEinflüssen behinderte Liquidierung der Revolution." (S. 250).Die detailreichen Untersuchungen des Autors vermitteln ein differenziertes Bild der sozialenVerhältnisse des Vormärz auf dem Lande, zum anderen werden die einzelnen Phasender Revolution von 1848 und ihre Auswirkungen auf dem Lande beleuchtet. Dabei werdendie Positionen aller beteiligten Parteien (Obrigkeit, bäuerliche Grundbesitzer, Häuslingeund Tagelöhner) vorgestellt und eingeordnet. In einer Abschlußbetrachtung wird dasSchicksal der Revolution mit einer Analyse der ländlichen Unterschichten und ihrer Anliegenverknüpft und erklärt.Andreas Düwel hat mit seiner Arbeit einen weiteren wertvollen Baustein zu den regionalgeschichtlichenUntersuchungen der 1848er Revolution geliefert.Erika Eschebachhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 333Hans Michael He n sei (Hg.) und John G a t t - R u t te r unter Mitwirkung von WolfgangB run s c h, Nadia Dan i e I i und Harald Fra n k, Italo Svevo. Samuel Spiers Schüler.Die Texte Italo Svevos und seines Bruders Elio Schmitz über ihre Jugend in Deutschland.Mit unveröffentlichten Dokumenten und einer Kurzbiographie Samuel Spiers. Segnitz beiWürzburg: Zeno's Verlag 1996, 311 S., Abb., 68 DMZu Samuel Spier (1838-1903) - nach Wilhelm Bracke der bedeutendste braunschweigischeFührer der Arbeiterpartei in den späten sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts - istbisher biographisch wenig geforscht worden. Außer halb des Zeitraums, in dem er parteipolitischzunächst als Führer der Lassalleaner, sodann neben Bracke und dem MagdeburgerBremer als ein Vertreter der "Ehrlichen", von denen die entscheidende WeichensteIlungzu der mit Bebel und Liebknecht gemeinsam betriebenen Gründung der SozialdemokratischenArbeiterpartei, der "Eisenacher" Partei im Jahre 1869, hervorgetreten ist,ist uns seine Biographie nur bruchstückhaft bekannt.Es ist das Verdienst des vorliegenden, sehr schön aufgemachten Bandes, das LebenSamuel Spiers durch die verschiedenen Zeitabschnitte zu verfolgen. Dabei fällt neues Lichtauf den jugendlichen Spier und den Direktor des Brüsselschen Instituts in den siebzigerJahren, einer Handelslehranstalt mit Internat in der Nähe Würzburgs. Die neuen Aspekteergeben sich dabei vornehmlich aus der Perspektive eines seiner Schüler, aus dem später einbekannter Schriftsteller geworden ist: Italo Svevo. Hinter diesem Künstlernamen verbirgtsich ein deutsch stämmiger Kaufmannssohn aus Triest mit Namen Ettore Schmitz. Beide,Lehrer und Schüler, teilen sich die Aufmerksamkeit der literarwissenschaftlichen bzw. journalistischenAutoren, die an diesem Buch mitgewirkt haben, das trotz einiger Wiederholungenund fehlender Abstimmungen mit seinem reichhaltigen Anhang lehrreich und amüsantzu lesen ist. Allerdings bringt es zum Wirken Spiers innerhalb der Arbeiterbewegung Wolfenbüttelsbzw. des Herzogtums <strong>Braunschweig</strong> nichts Neues. Die überraschende Hinwendungzu den Lassalleanern im Juli 1867, nachdem sich Spier noch kurz zuvor für die BismarckscheNationalpolitik erklärt hatte, war bereits vorher bekannt. Die Besonderheit der<strong>Braunschweig</strong>ischen Lasalle'schen Gemeinde innerhalb des gesamten ADAV wird in derneueren historischen Literatur (Rother, Gotthardt) sehr viel überzeugender herausgearbeitet.Und wer meint, daß der Reichstag des Norddeutschen Bundes, später des Kaiserreichs,nach dem (preußischen) Dreiklassenwahlrecht gewählt worden ist, hat von dem strategischenAnsatz der Lassalleaner nicht viel verstanden. Auch die Klassifizierung Bebeis, Liebknechts,Brackes und Geibs - für die Zeit 1868/71 - als "lupenreine Marxisten" - im Unterschiedzu Spier - ist nicht besonders seriös. Am wertvollsten sind hier die Hinweise imAnhang auf in Moskau gefundene Originalbriefe des SDAP-Ausschusses u. a.Keine neuen Erkenntnisse bringt das Buch für die Frage, wie Samuel Spier 1865 vomfränkischen Segnitz an die Samson-Schule nach Wolfenbüttel gelangt ist, wie er dort gewirkthat und warum er diese Schule 1872 wieder verließ. Natürlich hing dieser Wechselebenso wie sein Rückzug ins Private mit seiner im September 1870 erfolgten Verhaftung,unter der Anklage des Hochverrats, zusammen, nachdem der Vorstand des SDAP nach derKapitulation Napoleons III. den sofortigen Friedensschluß mit Frankreich gefordert hatte.Aber die näheren Umstände bleiben nach wie vor dunkel. Jahrzehnte später ist SamuelSpier in Frankfurt als Vorsitzender einer Genossenschaftsbäckerei und Artikelschreiber fürdie Sozialdemokratische Partei hervorgetreten.Klaus Erich Pollmannhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650334 Rezensionen und AnzeigenClaudia Bei der Wie den, Vom Seminar zur NS - Lehrerbildungsanstalt (Beiträge zurHistorischen Bildungsforschung 16). Köln - Weimar - Wien: Böhlau 1996,468 S., 78 DMSeit der grundlegenden Studie von Uwe Sandfuchs 1978 kann die Geschichte der <strong>Braunschweig</strong>erVolksschullehrer(aus)bildung als gut untersucht angesehen werden, wenngleichauch mit der Einschränkung, daß die nationalsozialistische Lehrerbildung hier eher fragmentarischbehandelt wurde und somit eine Forschungslücke blieb. Diese nun schließtC1audia Bei der Wieden mit dem vorliegenden Buch, einer überarbeiteten Fassung ihreram Fachbereich für Philosophie und Sozialwissenschaften der Technischen Universität<strong>Braunschweig</strong> (unter Betreuung von Prof. Pollmann) angefertigten Arbeit. Primäres Zielder Studie ist es laut Einleitung "einen Eindruck davon zu vermitteln, wie sich die <strong>Braunschweig</strong>erLehrerbildung unter den Rahmenbedingungen der NS - Zeit entwickelte", wobeidie Frage im Mittelpunkt steht, wie es den Nationalsozialisten gelingen konnte, "innerhalbweniger Jahre eines der fortschrittlichsten Lehrerbildungsmodelle Deutschlands inLehrerbildungsanstalten umzuwandeln, welche in mancher Hinsicht den längst überwundengeglaubten Lehrerseminaren des 19. Jahrhunderts weit unterlegen waren". In drei Kapitelnwird der Strukturwandel der Ausbildung der <strong>Braunschweig</strong>er Volksschullehrer inder Zeitspanne vom Kaiserreich bis zum Ende des "Dritten Reiches" thematisiert: Die seminaristischeLehrerbildungsform in den nach Abschaffung der kirchlichen Schulaufsichtzunächst noch fortgeführten Herzoglichen Seminaren, die akademische Lehrerbildungvon 1927 bis 1937 an der TH <strong>Braunschweig</strong> und die nationalsozialistischen Lehrerbildungsformen,bis 1942 an der "Bemhard-Rust-Hochschule" und danach an den lehrerbildungsanstaltenin <strong>Braunschweig</strong>, Helmstedt, Blankenburg und Wolfenbüttel. Der Komplexitätdieses Stoffes - wohl kaum ein anderer Ausbildungsweg als die Volksschullehrerbildungist enger mit der gesamtgesellschaftlichen Situation verknüpft und spiegelt diesewider - wird die Autorin mit einer mehrschichtigen analytischen Darstellungsweise unterEinbeziehung erziehungs-, sozial- und geschichtswissenschaftlicher Ansätze gerecht. UmfangreichesQuellenmaterial des Bundesarchivs Koblenz, der Staatsarchive Wolfenbüttelund Würzburg und des Stadtarchivs <strong>Braunschweig</strong> wurden gesichtet und ausgewertet.Darüber hinaus konnten erstmals große Bestände an Prüfungs- und Personalakten desUniversitätsarchivs <strong>Braunschweig</strong> aus der NS- Zeit eingesehen werden, die aus Datenschutzgründenbisher verschlossen waren. Dank dieses Aktenbestandes der ehemaligenPädagogischen Hochschule war es der Autorin möglich, die personellen, curricularen,ausstattungsmäßigen und politischen Rahmenbedingungen der Lehrerbildung für diesenZeitraum auf breiter Basis zu rekonstruieren. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der sozialhistorischenEinordnung der Lehrenden und Lernenden nach sozialer wie regionaler Herkunftund Mobilität, Qualifikation sowie Politisierungsform.So ist anhand der lokalen Quellen ein facettenreiches Bild der <strong>Braunschweig</strong>er Volksschullehrerausbildungentstanden, "was sicherlich - trotz seines regionalspezifischen Charakters- die Realität vieler anderer Lehrerbildungsinstitutionen exemplarisch widerspiegelt",so die Autorin. "Indem die Arbeit Hinweise auf lehrerbildungspolitische Positionender Vergangenheit enthält, trägt sie zur Reflexion unseres gegenwärtigen Standpunktes bei.Latent oder offensichtlich existierende historische Parallelen zur aktuellen Diskussion umdie Gestaltung der Lehrerbildung und daraus resultierende Folgen (wie z. B. die Reduzierungwissenschaftlicher Studieninhalte) können somit aufgezeigt werden." Nach Aufhebungder Lehrerseminare 1920 wurde ein Jahr später mit der Zulassung zur Fortbildung ander TH <strong>Braunschweig</strong> die Akademisierung der Lehrerbildung eingeleitet und 1927 mit derdort neugegründeten kulturwissenschaftlichen Abteilung endgültig die Voraussetzungenfür eine grundständige Hochschulbildung für Volksschullehrer im Lande <strong>Braunschweig</strong> geschaffen,wie überhaupt die Bildungs- und Schulpolitik unter dem damaligen Volksbil-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 335dungsminister Sievers sich überaus fortschrittlich ausnahm. Als die Nationalsozialisten imSeptember 1930 als Sieger aus den <strong>Braunschweig</strong>er Landtagswahlen hervorgingen, kennzeichnetenfortan eindeutige personelle und finanzielle Abbautendenzen das Niveau derLehrerausbildung. Der nationalsozialistische Volksbildungsminister Klagges strebte seit1931 rigoros die Nazifizierung und Ideologisierung des Bildungswesens an, war dabei aberein erklärter Anhänger der akademischen Lehrerbildung mit dem Ziel, an der TH <strong>Braunschweig</strong>ein reichs weit richtungweisendes Lehrerbildungsmodell zu installieren. Eine neuePrüfungsordnung legte 1933 faktisch die politische Zuverlässigkeit als entscheidendes Kriteriumfür die Aufnahme des Lehrerstudiums fest, Lehrplanvorgaben garantierten dieideologische Gleichschaltung. Klagges' ehrgeizige Pläne scheiterten jedoch an den Vereinheitlichungstendenzendes Dritten Reiches, denen die Hoheitsrechte der Länder und damitauch deren Kulturautonomie zum Opfer fielen. Die Bildungsfeindlichkeit der nationalsozialistischenPädagogik hatte schon lange in weiten Teilen des Reiches zu einer Entakademisierungder Volksschullehrerausbildung geführt, wissenschaftliche Reflexion galt als zukostspielig erlernbare Fähigkeit für dieses Berufsbild und war daher unerwünscht. Das Jahr1937 markierte das Ende des braunschweigischen Sonderweges in Lehrerbildungsfragen.Eine neue Hochschule, die "Bernhard-Rust-Hochschule" unter Leitung eines bewährtenNationalsozialisten im SS-Dienstrang übernahm fortan die Ausbildung der Volksschullehrer,die wissenschaftliche Lehrerbildung an der Technischen Hochschule war damit definitivbeendet. Den Schlußpunkt dieser Entwicklung stellte der "Führerbefehl" im Jahre 1941dar, der die reichsweite Einführung der in der Ostmark (Österreich) bewährten Lehrerbildungsanstalten(LBA) verfügte. In <strong>Braunschweig</strong> wurde daraufhin die "Bernhard-Rust­Hochschule" in eine Lehrerbildungsanstalt ohne Hochschulstatus zurückgewandelt, inWolfenbüttel eine nur für "Jungmaiden" eingerichtet - allein die offizielle Ausdrucksweisefür die Angehörigen dieser Bildungsanstalten verdeutlicht den degradierten Status desLehrernachwuchses, die Wende zu dem von Hitler geprägten Lehrerbild "pädagogischerSoldat" war vollzogen. Erstmals empirisch gestützt belegt die Studie, daß die Lehrerausbildungsehr viel stärker als jeder andere Ausbildungsbereich dem Zugriff des" völkischenStaates" ausgesetzt war, gemäß des von Hitler formulierten Grundprinzips: "Der Staat hatdie Verpflichtung, mit äußerster Sorgfalt und Genauigkeit aus der Gesamtzahl der Volksgenossendas von Natur aus ersichtlich befähigte Menschenmaterial herauszusieben und imDienste der Allgemeinheit zu verwenden." "Daß es den Nationalsozialisten im Bereich derVolksschullehrerbildung zweifelsfrei gelungen war, überlieferte Strukturen restlos zu beseitigen",so stellt die Autorin in ihrer Studie abschließend fest, "dokumentiert die abgewandelteFortführung der seminaristischen Ausbildungsformen in der unmittelbaren Nachkriegszeit.Einer Wiederaufnahme der universitären Tradition standen die internen und externenRahmenbedingungen (eklatanter Lehrermangel, Restriktionen von alliierter Seite,fehlende Räumlichkeiten usw.) entgegen. Trotz alledem ermöglichten der Wille zur Demokratisierungdes zerrütteten Bildungswesens und die historische Überzeugungskraft des<strong>Braunschweig</strong>er Lehrerbildungsmodells an der Kant-Hochschule schon frühzeitig Ansätzeeiner wissenschafts- und gesellschaftsorientierten Volksschullehrerausbildung. "Mit beklemmender Eindringlichkeit zeichnet die Autorin den Niedergang der wissenschaftlichenVolksschullehrerausbildung nach, die unter nationalsozialistischem Einflußbinnen kurzer Zeit noch unter das Niveau der Seminare vor der Jahrhundertwende zurückgefallenwar. Dabei überzeugt die Arbeit durch ihren klaren Aufbau, ihre methodischeHerangehensweise sowie ihre sachliche Genauigkeit und widerlegt in den Ergebnissenmehrfach gängige, allein auf amtlichen Bestimmungen oder NS-Propaganda beruhendeForschungsmeinungen. Der ergiebige Tabellenanhang von mehr als dreißig Seiten gibtAuskunft über die Sozialstruktur und Charakteristika des Lehrernachwuchses im Untersu-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>336 Rezensionen und Anzeigenchungszeitraum und belegt einmal mehr den enormen Umfang der Datenerhebung. Einausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Orts- und Personenregister beschließendas Werk. Insgesamt keine leichte Lektüre, aber eine notwendige, will man dieUrsachen und Auswirkungen eines totalen, sich auf die gesamte Bevölkerung erstreckendenErziehungsanspruchs begreifen, zu dessen Durchsetzung das NS-Regime sich der Lehrerals Erfüllungsgehilfen bedenkenlos bediente.Joachim SchmidHorst-Günther La n ge , Die Geschichte der Juden in Goslar von den Anfängen bis 1933(Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 41). Goslar: Selbstverlag des Geschiehts- undHeimatschutzvereins Goslar e. V. 1994,233 S., Abb., 29,80 DMReinhard Bei n , Zeitzeugen aus Stein. Bd. 2: <strong>Braunschweig</strong> und seine Juden. Stadtrundgänge.<strong>Braunschweig</strong>: Döring Druck 1996, 120 S., Abb., Pläne, 24,90 DMSie waren unsere Nachbarn. Die Geschichte der Juden in Stadtoldendorf. Ein Gedenkbuchvon Christoph Ern e s t i mit Beiträgen von Günther Li I g e. Holzminden: VerlagJörg Mitzkat 1996,96 S., Abb., 22,90 DMSusanne We ihm a n n, "Die sind doch alle weggemacht". Juden in Helmstedt1933-1945. Helmstedt: Susanne Weihmann 1996, 144 S., Abb., 24 DMDie Erforschung der Juden in der ehemaligen Landesregion <strong>Braunschweig</strong> hat in jüngsterZeit große Fortschritte zu verzeichnen, was auch die anzuzeigenden Bücher belegen. Diesevier gut lesbaren Bände legen nicht zuletzt dureh ihr reichhaltiges Bildmaterial erschütterndesZeugnis ab von dem Verlust, den die Lebenswelt der vier behandelten Städtedurch die totale Vernichtung der dortigen Judengemeinden in der NS-Zeit erlitten haben.Lange legt als Historiker auf gründlichster Quellengrundlage eine gediegene Gesamtgeschichte(ab 1252) der auffallenderweise stets nur wenigen Juden (nie mehr als 65 Personen)in der Bergbau- und Handelsstadt Goslar vor, die dort wirtschaftlich, sozial undkulturell nicht besonders hervorgetreten sind. Gefährdete Sicherheit, finanzielle Bedrükkung,Anfeindungen und Schikanen, flucht oder Wegzug waren wiederholt das Schicksaldieser Minderheit in Goslar, die jedoch vor 1933 von brutalen Drangsalierungen und Verfolgungenverschont geblieben und einigermaßen verträglich behandelt worden ist. Mit einemAusblick in die NS-Zeit endet das Buch.Bein erläutert in seinem Bildband mittels eines Rundgangs durch das Stadtzentrum undden jüdischen Friedhof die Geschichte der Stadtbraunschweiger Juden (vor allem von Familien,Geschäftsbetrieben usw.) seit dem 17. Jahrhundert anhand von abgebildeten Gebäuden(Wohn- und Geschäftshäusern usw.) sowie Friedhofsbauten und Grabsteinen. DieVerfolgungen seit 1933 werden hierbei ausführlich dargestellt.Ernesti und Lilge behandeln auf erschöpfender Quellengrundlage mit reicher Bebilderungin verschiedenartigen nur locker zusammenhängenden Kapiteln die große und sozialwirtschaftlich-kulturellfür Stadtoldendorf bedeutsame Judengemeinde mit Schwerpunktauf der NS-Zeit. Der Aufstieg dieser Ackerbürgerstadt zur kleinen Industriestadt war mitihren Juden eng verbunden: Die 1869 gegründete Weberei Rothschild war als Großbetriebder größte Arbeitgeber der Stadt und diese Firmengründerfamilie stellte das führende dortigeIndustriebürgertum dar. Die Firma wurde im Jahre 1939 nach einem Sondergerichtsprozeßgegen die Besitzerfamilie "arisiert"; zwei der Besitzer verstarben im KZ. Diese zäh-http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 337len zu den 31 jüdischen Todesopfern der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik, die inStadtoldendorf die zweitgrößte Judengemeinde im Weserkreis Holzminden total vernichtethat. In einem reich bebilderten Sonderkapitel werden Kurzbiographien der 123 von der nationalsozialistischenVerfolgung betroffenen Juden dieser Stadt dargeboten. Eindrucksvollist die Liste der jüdischen Stiftungen für die Stadt.Ebenso wie Ernesti und Lilge dokumentiert Susanne Weihmann Familien- und EinzeIschicksalevon Helmstedter Juden. Ihre breitangelegte und detailreiche Untersuchung, einerSpurensuche und Spurensicherung, baut auf einer für eine Laienforscherin erstaunlichreichhaltigen Quellenbasis auf. Nicht zuletzt durch die anschauliche Bebilderung wirddeutlich, daß die Judenverfolgung in Helmstedt schon vor 1939 durch Ortstafeln und Zeitungsanzeigenvor aller Augen sichtbar gemacht wurde. Bereits vor 1939 waren die zuvorschon dort schwer verfolgten Juden aus Helmstedt weggewgen. Von den 41 zwischen 1933und 1945 nachweisbaren Juden sind zwölf zu Tode gekommen (größtenteils in den Vernichtungsstätten).Diese vier Veröffentlichungen sind primär Beiträge zur Stadt- und Zeitgeschichte undunterstreichen deutlich den Anteil des jüdischen Elements innerhalb der braunschweigisehenLandesgeschichte. Mit Langes Buch liegt eine Monographie über die älteste Judengemeindein Niedersachsen vor.Dieter LentHans Mo m m sen u. Manfred G r i e ger, Das Volkswagen werk und seine Arbeiter imDritten Reich. Düsseldorf: Econ 1996, 1055 S., Abb., 78 DMNach zehnjähriger Arbeit hat eine Forschergruppe um den Bochumer Historiker HansMommsen ein voluminöses Werk über die Geschichte des Volkswagenwerkes von seinenAnfängen bis in die unmittelbare Nachkriegszeit vorgelegt - eine imponierende Leistung,nicht zuletzt angesichts der äußerst schwierigen Quellenlage. Nach den bei den Veröffentlichungenvon Klaus-Jörg Siegfried gehört damit das VW-Werk zu den am besten erforschtendeutschen Unternehmen in der NS-Zeit.Anstoß für das Vorhaben bildete die seit Beginn der 80er Jahre in der Stadt Wolfsburgerbittert geführte Diskussion um das Schicksal der Zwangsarbeiter bei VW. Ihre LebensundArbeitsbedingungen werden in vielen Kapiteln mit der notwendigen Differenzierungund mit eindrucksvoller Anschaulichkeit beschrieben. Eingebunden wird dieser Komplexin die minutiös dargestellte Betriebsgeschichte, in die Entwicklung der deutschen Automabilindustrie,in die rüstungspolitischen Zusammenhänge und schließlich in die Strukturendes nationalsozialistischen Herrschaftssystems. Es ist gerade die Zusammenschau dieserunterschiedlichen Ebenen, die für ähnliche Untersuchung die Maßstäbe setzen wird.Die ersten Kapitel erzählen von der Idee des brillanten Autokonstrukteurs FerdinandPorsche einer Massenmotorisierung, die sich mit Hitlers Autobegeisterung und dessen Plänenfür einen Volkswagen traf; von den technischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiteneiner Realisierung, dem Zögern der Automobilindustrie bis schließlich die Deutsche Arbeitsfront(DAF) das Gesamtvorhaben übernahm. Sie verfügte über die notwendigen finanziellenMittel, schließlich hatte sie sich das Vermögen der 1933 zerschlagenen Gewerkschaftenangeeignet. Diese Mammutorganisation und ihr Chef Robert Ley glaubten mitdiesem Projekt ihre Stellung im NS-Machtgefüge zu verstärken. Das Werk war als sozialpolitischerVorzeigebetrieb gedacht, wozu auch die im eigens errichteten Vorwerk in<strong>Braunschweig</strong> aufgenommene Lehrlingsausbildung gehörte. Allerdings zeigte sich hin-http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650338 Rezensionen und Anzeigensichtlich des sozialpolitischen Programms sehr schnell die Diskrepanz zwischen Anspruchund Wirklichkeit. Die Autoren weisen übrigens die These, das Volkswagen-Projekt habevon vornherein einen rüstungspolitischen Hintergrund bzw. sollte mittels des besonderenSparsystems Kaufkraft abschöpfen, entschieden zurück. Es als HitIers 'Lieblingsspielzeug'zu bezeichnen verkürzt das Projekt jedoch allzusehr.Bereits in der Aufbauphase traten erhebliche Engpässe auf. Es fehlte an Rohstoffen,und es fehlten angesichts des durch die Rüstungsproduktion leergefegten Arbeitsmarktesvor allem die Arbeitskräfte. Für den Aufbau von Werk und Stadt wurden Tausende von italienischenArbeitern herangezogen.Der Kriegsbeginn stellte das Werk vor erhebliche Schwierigkeiten: Es war in der rüstungswirtschaftlichePlanung nicht verankert. In den folgenden Monaten bemühte sich dieWerksleitung, den Betrieb auf Rüstungsproduktion umzustellen. Am Ziel, nach dem Kriegzivile PKW zu produzieren, hielt sie jedoch fest. In den ersten Kriegsjahren lebte das Werkvon Reparaturaufträgen; die Autoren sprechen für diese Phase vom 'Lumpensammler' derKriegswirtschaft. Mit der Übernahme von Aufträgen der Luftwaffe gelang schrittweise dieUmwandlung in einen Rüstungsbetrieb. Porsches Schwiegersohn Anton Piech, seit 1942Hauptgeschäftsführer und bis Kriegsende der entscheidende Mann im Unternehmen, steIltehierfür die Weichen. Die Produktion des Kübelwagens brachte den Durchbruch; einGroßabnehmer war die Waffen-SS, wodurch sich die Beziehungen zwischen Werk und derSS intensivierten. In der letzten Kriegsphase produzierte das Werk verstärkt für die Luftrüstung.Bei Kriegsende war die Ausgangslage des Werkes nicht ungünstig. Die englische Besatzungsarmeebrauchte Kraftfahrzeuge und war an der raschen Produktionsaufnahme sehrinteressiert. Jetzt begann der rasante Aufstieg des VW-Werkes.Zu den eindrucksvollsten Abschnitten des Buches gehört die Beschreibung der Arbeits-und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter im Werk und in den Lagern.Im Krieg stützte sich das Werk zunehmend auf ausländische Arbeitskräfte, zunächst aufangeworbene Arbeitskräfte aus Italien, Dänemark, Holland und Frankreich, dann aufZwangsarbeiter aus üsteuropa, schließlich auf Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. 1944machten die ausländischen Beschäftigten mehr als 65 % der Belegschaft aus. Die Initiativefür die ÜbersteIlung von Zwangsarbeitern ging von der Werksleitung aus. Auch der früheEinsatz von KZ-Häftlingen 1941/42 beim Bau der Leichtmetallgießerei ging auf direkteIntervention von Porsche bei Himmler zurück, desgleichen die Beschäftigung von KZ­Häftlingen bei der Untertageverlagerung der Produktion im letzten Kriegsjahr; dabeischeint die Rettung des Maschinenparks wichtiger gewesen zu sein als die Rettung derMenschenleben.Wir erhalten detaillierte Berichte über das Verhältnis von deutschen und ausländischenArbeitern, über die unterschiedliche Behandlung der Zwangsarbeiter nach ihren Herkunftsländern,über Verpflegung und medizinische Versorgung und über die vielfältigenFormen der Repression. Zu kurz kommen allerdings die strafrechtlichen Maßnahmen(Sondergerichte). Erschütternd lesen sich die Berichte über das KZ-Außenlager Laagberg.Etwas besser behandelt wurden die von Ingenieuren des Werkes direkt in Auschwitz ausgewähltenjüdischen KZ-Häftlinge.Um die Arbeitseinsatzpolitik des Werkes abschließend beurteilen zu können, wäre einintensiverer Vergleich mit schon vorliegenden Untersuchungen notwendig gewesen. Feststeht, daß im Wettlauf um Rüstungsaufträge die Firmenleitung bewußt die Ausbeutung derZwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in Kauf nahm.Die Geschichte des VW-Werkes ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Verstrickungvon Unternehmern und Technikern in das NS-System. Sie zeigt die Gefahr einer Mentali-


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Rezensionen und Anzeigen 339tät, die technische Machbarkeit und wirtschaftlichen Erfolg um jeden Preis verfolgt. FerdinandPorsche, bestimmt" von einem technokratisch geprägten Pragmatismus", nutzte zurDurchsetzung seiner Ziele zweifellos alle Möglichkeiten, die das NS-System ihm eröffneten.In weIchem Maße er und seine Führungsmannschaft bereit und in der Lage waren, denGewaltcharakter des NS-Systems zu durchschauen, lassen die Autoren offen.Nach der Lektüre der mehr als 1000 Seiten mit ihrem außerordentlichen Detailreichtumhätte sich der Leser eine Zusammenfassung der Ergebnisse gewünscht; ein Resumee,das die vielen beschreibenden, faktenorientierten Kapitel durch eine abschließende Analyseergänzt, welche die in der Einleitung aufgeworfenen zentralen Fragen nochmals aufgreiftund zu beantworten versucht.Zu hoffen ist, daß dieses bedeutende Werk Anstöße gibt für Untersuchungen, die denZusammenhang von Wirtschaft, Rüstung, Zwangsarbeit und Modernisierung endlich auchfür das Land <strong>Braunschweig</strong> darstellen.Hans-Ulrich LudewigDetlef er e y d t u. August M e y er, Zwangsarbeit für die Wunderwaffen in Südniedersachsen1943-1945, Bd. 1: Organisation Todt, Volkswagen, Lorenz, Siemens, DeutscheEdelstahl, Salzgitter, Philipp Holzmann. <strong>Braunschweig</strong>: Steinweg-Verlag 1993, 248 S.,Abb., Karten, 34 DMDetlef er e y d t u. August Me y er, Zwangsarbeit für die Rüstung im südniedersächsischenBergland, Bd. 2: SoIling, Hils, Ith, Vogler. <strong>Braunschweig</strong>: Steinweg-Verlag 1994,236 S., Abb., Karten, 34 DMDetlef C r e y d t , Zwangsarbeit für Rüstung, Landwirtschaft und Forsten im Oberwesergebiet1939-1945, Bd. 3. Holzminden: Verlag Jörg Mitzkat [1996], 255 S., Abb., Karten,29,80 DMDiese drei erstaunlich umfang- und inhaltsreichen Bände sind das Ergebnis langjährigerBemühungen einer Arbeitsgruppe "Drittes Reich" des Holzmindener Geschichtsvereinsum Spurensuche im Kreisgebiet und zeigen beispielhaft, was vernünftig organisierte Laienforschungabseits der eigentlichen Fachhistorie im Bereich der Lokalzeitgeschichte zuleisten vermag. Bisher weitgehend weiße Flecken in der jüngsten Vergangenheit des WeserkreisesHolzminden treten mit dieser Veröffentlichung ins helle Licht nicht nur der Lokal-oder Regionalgeschichte, sondern sogar auch der deutschen Geschichte. Geradezu alszeitgeschichtliche Sensation kann die Entdeckung des gewaltigen Hochrüstungsprojekts"Hecht" im Hils gelten, von dem man vordem ganz wenig wußte und dessen Darstellungder ganze erste Band und ein großer Teil des zweiten gewidmet ist. Regional aufgeteilt behandeltdas nicht klar genug betitelte Sammelwerk in Bd. 1 die Samtgemeinde Eschershausen,in Bd. 2 die Gemeinden Delligsen/Grünenplan, Stadtoldendorf und Bodenwerder,in Bd. 3 endlich den restlichen Landkreis Holzminden (Stadt Holzrninden, GemeindenPolle, Bevern und Boffzen etc.). Eine strenge territoriale Trennung insbesondere zwischenBd. 1 und Bd. 2 findet sich nicht. Diese mit vielen Karten, Plänen und sehr informativenAbbildungen (meist Fotos) illustrierten 740 Druckseiten Forschungsertrag basierenauf gründlichen Quellenforschungen (viel Archivmaterial) und hunderten von Zeitzeugenbefragungen.Wie überall bei ähnlich gelagerten Untersuchungen ergeben Mangeloder Ausfall der Quellen nicht immer ein lückenloses Bild der düsteren Geschehnisse.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650340 Rezensionen und AnzeigenWährend bei Kriegsanfang nur wenig Rüstungsindustrie im nur bis 1941 noch braunschweigischenWeserkreis existierte, gab es dort in den letzten Kriegsjahren neben demGroßprojekt "Hecht" noch mindestens 15 weitere wichtige Rüstungsbetriebe. Produziertwurden u. a.: in Bodenwerder U-Bootteile, in Grünenplan Spezial gl äser (Scheinwerfer,Fliegerbrillen), in Delligsen Atemgeräte und Munition, in Forst/Warbsen Pionierbrücken,in Holzminden Spezialgläser, Teile für Flugzeuge und V 1 sowie Fährprähme, in BoffzenGlasminen. Gegen Kriegsende arbeiteten im Weserkreis in den Rüstungswerken und sonstigenBetrieben schätzungsweise bis 14000 Zwangsarbeiter (mehrheitlich Ausländer), diein mehr als 100 Lagern untergebracht waren.Neben den Hauptautoren und Herausgebern der drei Bände, Creydt und A. Meyer,finden sich Aufsätze von einer Vielzahl von anderen Verfassern, darunter auch Erlebnisberichtevon deutschen und ausländischen Zeitzeugen. Eine vergleichbar flächendeckendeDarstellung des Themas Zwangsarbeit gibt es in der Landesregion <strong>Braunschweig</strong> bislangnur für das Salzgittergebiet (G. Pischke, "Europa arbeitet bei den Rüstungswerken",s. <strong>Braunschweig</strong>isches Jb. 76, 1995, S. 221 ff.).Die Topographie der Lager sowie die verschiedenen Kategorien der Zwangsarbeiterund Lagertypen ist im Kreis Holzminden wie überall sehr kompliziert. Ebenso unterschiedlichwaren die in der Regel elenden Arbeits- und Lebensverhältnisse.A. Meyer und Mehnert bieten einführende allgemeine Überblicke über die ThemenkomplexeRüstung, Zwangsarbeit, Lager und speziell die Vorschriften über die Behandlungder Polen und Ostarbeiter. Die Lagerwirklichkeit ließ sich wegen der Quellenlückenund der veränderlichen Lagertopographie sowie der Fluktionen bei den Zwangsarbeiternnicht vollständig beschreiben. Totzdem ist eine Überfülle von Informationen - auch für diejeweilige Lokalgeschichte - dabei herausgekommen.Der inhaltliche Detailreichtum der drei Bände ist hier nicht referierbar. Mehr als 70deutsche Behörden und Dienststellen regelten im Landkreisgebiet den Fremdarbeitereinsatz,und allein in der Stadt Holzminden existierten 20 Lager für Kriegsgefangene, FremdundZwangsarbeiter. Der größte Lagerkomplex im Weserkreis lag nördlich von Lenne imWald des Bergzuges Hils und umfaßte fast 5000 Insassen (u. a. Russen, Juden und Halbjuden).Er war Teil des geheimen Rüstungsprojekts "Hecht" im Hils, das der Verlagerungvon wichtigen Rüstungsbetrieben hauptsächlich unter Tage sowie zweitens der Produktionder sogenannten" Wunderwaffen" und Flugzeuge diente ("Jägerprogramm"). Ab Frühjahr1944 wurden dort unter Leitung des Generalkommissars Geilenberg (zugleich Direktor imReichswerke - Konzern Salzgitter) von der Organisation Todt auf dem Gebiet der DeutschenAsphalt - AG unter- und oberirdische Rüstungsanlagen gebaut. Kriegsgefangene,Häftlinge (KZ, Zuchthaus), Zwangsarbeiter usw. aus 21 Staaten arbeiteten dort unter elendenVerhältnissen hauptsächlich am Ausbau der Betriebsstätten (u. a. Stollen), untergebrachtin über 30 Lagern. Produziert wurden im Hils bereits in nennenswertem Umfang inTeilfertigung für Flugzeuge, U-Boote, Panzer, Raketen (V 1 und V 2) unter Leitung desVolkswagenwerkes sowie unter Beteiligung von Dut7.enden von Firmen (u. a. Siemens).Gegen Kriegsende arbeiteten schätzungsweise 15.000 Arbeitskräfte, davon 10.000 Fremdarbeiterbei "Hecht" im Hils. Im Außen lager Holzen des KZ Buchenwald waren unter einemsadistischen Abwehrbeauftragten mindestens 1.500 Häftlinge am Hils untergebracht,unter anderen ein dort mittels" Vernichtung durch Arbeit" zu Tode gekommener Neffe vonGeneral de Gaulle. Bei Kriegsende wurde dieses Außenlager evakuiert, wobei noch sehrviele Häftlinge umkamen. Diese zahlreichen eingehend geschilderten "Todesmärsche" vonGefangenen jeder Art durch das Kreisgebiet in der Zusammenbruchsphase 1945 sind einbesonders erschütternder Aspekt dieser drei Bände.Dieter Lent


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Rezensionen und Anzeigen 341Auf dem Weg in die Demokratie. Vortragsreihe im Jahre 1996 im <strong>Braunschweig</strong>ischenLandesmuseum aus Anlaß des 50. Jahrestages des Landes Niedersachsen. Hg. von GerdB i e gel (Veröffentlichungen des <strong>Braunschweig</strong>ischcn Landesmuseums 83). <strong>Braunschweig</strong>:Heckner Wolfenbüttel 1997, 132 S., Abb., 10 DMDiese Broschüre entstand aus Anlaß eines für die Region <strong>Braunschweig</strong> nicht ganz unproblematischenLandesjubiläums: Am 1. November 1946 wurde durch die Gründung desLandes Niedersachsen das traditionsreiche Land <strong>Braunschweig</strong> zugunsten eines ganz neuenStaatsgebildes aufgelöst. Das vorliegende Bändchen enthält vier Gedenkvorträge überdie politische, kulturelle und wirtschaftliche Situation in der Region <strong>Braunschweig</strong> in denUmbruchsjahren 1945 -1946 sowie auch eine Rückschau auf das alte Land <strong>Braunschweig</strong>und seine Geschichte. Speziell erwähnenswert sind hier nur zwei Beiträge. K. E. Pollmannbeschreibt den von der Britischen Militärregierung im Januar 1946 eingesetzten braunschweigischenLandtag, der bis zu seiner Auflösung im November 1946 gute Arbeit geleistetund sogar eine neue Landesverfassung ausgearbeitet hat. W. Knopp zieht in seinen lesens-und beachtenswerten "Gedanken über das alte Land <strong>Braunschweig</strong>" Resümees ausdessen Gesamtgeschichte. Anregend ist seine einleuchtende These, daß sich in Herrscherpersönlichkeiten,Entwicklungen und Ereignissen unserer nicht nur territorial disparatenbraunschweigischen Geschichte exemplarisch - modellhaft Entsprechendes aus der deutschenGeschichte ausgeprägt und besonders deutlich abspiegelt.Dieter LentNorbert Fr e i, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit,München: C. H. Beck 1996,406 S., 78 DMDieses Buch widmet sich einem wichtigen Thema der frühen Nachkriegszeit in der Bundesrepublik:Vergangenheitspolitik! Damit meint der Verfasser "einen politischen Prozeß,der sich ungefähr über eine halbe Dekade (1949 bis Mitte der fünfziger Jahre, K. E. P.)erstreckte und durch hohe gesellschaftliche Akzeptanz gekennzeichnet war, ja geradezukollektiv erwartet wurde. In erster Linie ging es dabei um Strafaufhebungen und Integrationsleistungenzugunsten eines Millionenheers ehemaliger Parteigenossen, die fast ausnahmslosin ihren sozialen, beruflichen und staatsbürgerlichen Status quo ante versetztwurden, den sie im Zuge der Entnazifizierung, Internierung oder der Ahndung 'politischer'Straftaten verloren hatten. In zweiter Linie, gewissermaßen flankierend, ging es umdie politische und justitielle Grenzziehung gegenüber den ideologischen Restgruppen desNationalsozialismus." Der antinationalsozialistische Gründungskonsens der Nachkriegsdemokratiewurde dabei punktuell neu bestimmt. Die hier definierte Vergangenheitspolitiksetzt sich vor allem aus drei Elementen zusammen: Amnestie, Integration und Abgrenzung.Bei der Lektüre dieses Buches überrascht nicht nur die Priorität der vergangenheitspolitischenMaßnahmen, sondern die hohe Übereinstimmung bei der Durchsetzung dieserZiele, namentlich zwischen den Unionsparteien und der SPD. Freilich leitete beide Parteiendie Sorge, daß anderenfalls für ein Zusammengehen der stark nationalistisch orientiertenParteien, FDP, DP und BHE mit den unentwegten Nationalsozialisten der Boden bereitetwurde und die beiden größten Parteien Gefahr liefen, in erheblichem Maße Stimmeneinzubüßen. Weiterhin erstaunlich ist die Beharrlichkeit, mit der die Bonner Politik den Alliierten,in erster Linie den 3 Hohen Kommissaren, immer wieder ihre Forderungen auftischten,namentlich im Hinblick auf die Freilassung der Kriegsverbrecher aus den alliiertenhttp://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650342 Rezensionen und AnzeigenGefängnissen. Die Verhandlungen über den Generalvertrag wurden dadurch zeitweiligsehr belastet.An dieser Stelle ist das Buch vor allem wegen des zweiten Kapitels im dritten Abschnittanzuzeigen: Aufstieg und Verbot der Sozialistischen Reichspartei 1951/52. Diese aggressivantidemokratische, in vieler Hinsicht die NSDAP kopierende Partei haue ihren politischenHöhepunkt bei den niedersächsischen Landtagswahlen vom Mai 1951, wenn auch der Bezirk<strong>Braunschweig</strong> nicht zu den absoluten Hochburgen dieser Partei zählte. In <strong>Braunschweig</strong>aber, noch vor dem Verbot der Partei durch das Bundesverfassungsgericht im Oktober1952, fand eine wichtige Auseinandersetzung mit dem Starredner dieser Partei, OttoRemer, statt. Dieser hatte den Männem des 20. Juli öffentlich nachgesagt, für ihren "Landesverrat"vom Ausland bezahlt worden zu sein. Bei dem Prozeß vor dem <strong>Braunschweig</strong>erLandgericht ging es um weit mehr als eine Anklage wegen übler Nachrede. Der <strong>Braunschweig</strong>erGeneralstaatsanwalt Fritz Bauer, der auf diesen Prozeß konsequent hingearbeitethatte, machte das Verfahren "zu einem öffentlichen Lehrstück", das "entscheidendeGrundlagen für die Verankerung des 20. Juli 1944 im Geschichtsbewußtsein der Bundesrepublikschuf'.Das brillant geschriebene Buch beeindruckt vor allem durch die scharfsinnige Analyseim Schlußkapitel, bei der der Verfasser deutlich macht, daß die Akzeptanz der demokratischenParteien über längere Zeit erheblich davon profitierte, daß die Erinnerung an dieSchrecken der Vergangenheit überlagert und das Bedürfnis, sich der kollektiven Erinnerungzu entziehen, bewußt genährt wurde.Klaus Erich Pollmann


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650Nachruf auf Hans-Peter Runte8.7.1927-21.8.1997Am 21. August 1997 verlor der <strong>Braunschweig</strong>ische Geschichtsverein sein EhrenmitgliedHans-Peter Runte. Der Vorsitzende des Vereins und auch der langjährige GeschäftsführerDr. Garzmann, die Herrn Runte im Dezember 1996 aus Anlaß seinerrecht plötzlich aufgetretenen schweren Krankheit besuchten, kamen tief beeindrucktvon seiner Kraft und Zuversicht aus diesem Gespräch zurück. Daran dachten sie, alssie ihm für den Vorstand des Vereins das letzte Geleit gaben und seiner Familie fürdie lange und gute Zusammenarbeit Dank aussprachen.Herr Runte war als Bankabteilungsdirektor seit dem 1. Januar 1969 Mitglied des<strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichtsvereins und wurde wegen seiner Kompetenz schonam 4. Juni desselben Jahres in den Vorstand gewählt. Er hat schon im Vorfeld derJahreshauptversammlung 1969 als Jurist eine scharfsinnige Analyse unserer Satzungvorgenommen und in der ersten Jahreshauptversammlung einige Änderungen bewirkt.Damit begann seine besondere Funktion als "juristischer Berater" des Vorstands,eine Aufgabe, die er dann über fast drei Jahrzehnte wahrnehmen sollte.Für die Dauer von drei Amtsperioden 1982 bis 1991 wurde er zum stellvetretendenVorsitzenden gewählt, erstmals durch die Mitgliederversammlung am 15. April 1982,dann mit zwei Bestätigungen am 18. April 1985 und am 21. April 1988. Seit dem 17.April 1991 fungierte er auf eigenen Wunsch, um einen Nachfolger einzuarbeiten, wiederumals Beiratsmitglied. Die Mitgliederversammlung ernannte ihn am 17. April1997 aufgrund seiner großen Verdienste um unseren <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichtsvereingemäß § 6 unserer Satzung zum Ehrenmitglied.Durch sein kritisch abwägendes Urteil, seinen gediegenen juristischen Sachverstand,sein kaufmännisches Abwägen von Risiken hat er die Arbeit des Vorstandes inhaltlichbereichert. Sein stets ausgleichendes Wesen und seine oft humorvoll geistreichenKommentare zu materiell schwierigen Themen haben die Sitzungen des Vorstandsund überdies die gesamte ehrenamtliche Tätigkeit unseres Geschichtsvereinsprägend begleitet und mitgestaltet. Hierfür ist der <strong>Braunschweig</strong>ische Geschichtsvereinseinem Ehrenmitglied und langjährigem stellvertretenden Vorsitzenden zu großemDank verpflichtet.


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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=000426501. AllgemeinesChronik des <strong>Braunschweig</strong>ischenGeschichtsvereinsvom November 1996 bis Oktober 1997Die Mitgliederzahl des Vereins hielt sich konstant bei 640, wobei schon jetzt einigeEintrittsanmeldungen für Januar 1998 vorliegen. Wir betrauern den Verlust mehrererVereinsmitglieder, darunter auch das Ehrenmitglied unseres Vereins, Herr Hans­Peter Runte.Der Vorstand trat zu seinen satzungsmäßig festgelegten Sitzungen am 3. Dezember1996 und 25. Februar 1997 zusammen. Auf der von 80 Mitgliedern besuchten Jahreshauptversammlungam 17. April 1997 im Städtischen Museum <strong>Braunschweig</strong> wurdennach Abgabe der Tätigkeitsberichte durch den Vorsitzenden und den Geschäftsführer,Herrn Dr. Garzmann, vom Schatzmeister, Herrn Dipl.-Kfm. Webendoerfer,die Einnahmen und Ausgaben im Vereinsjahr 1996 vorgestellt. Die Druckkosten fürdas Jahrbuch 1996 betrugen 20.402,17 DM. Als drückender Posten schlug bei derVerwaltung das Porto zu Buche und führte zu Ausgaben, die bei derzeitigem Mitgliederstandund steigenden Portokosten nicht mehr unter 5.000 DM zu halten sind. DerKassenstand am 31. Dezember 1996 betrug 29.592,24 DM. Von der Summe warenfür das Jahrbuch 1996 noch verbindlich 11.842,17 DM festgelegt. Ein Protokoll überdie Rechnungsprüfung am 25. Februar 1997, unterschrieben von Frau Dr. Strauß undHerrn Dipl.-Ing. Manfred Schnell, hat vorgelegen. Frau Dr. Strauß bestätigte einekorrekte Buchführung. Darauf wurde dem gesamten Vorstand bei 4 Enthaltungen derVorstandsmitglieder einstimmig Entlastung erteilt und für die geleistete Arbeit Dankausgesprochen.An neuen Veröffentlichungen sind 1996 herausgegeben worden: das Jahrbuch1996 sowie als Band 13 der Beihefte: Kirstin Casemir und Uwe Ohainski, Das Territoriumder Wolfenbüttler Herzöge um 1616.2. Exkursionen, Führungen31. Mai 1997 Tagesfahrt: "Archäologische Exkursion rund um den Elm". LeitungHerr Museumsoberkustos Wolf-Dieter Steinmetz M.A. Durch das Reitlingstal mit derWallanlage Krimmelburg und der frühmittelalterlichen Rundwallburg Wurtgartenführte der Weg zu den Lübbensteinen bei Helmstedt und zum bronzezeitlichen GrabhügelfeldMarienborn. Weitere Ziele der Exkursion waren die bronze- und merowingerzeitlicheWallanlage Hünenburg in Watenstedt und die sächsischen FürstengräberGalgenberg und Meeschcberg in Klein Vahlberg. (37 Teilnehmer).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=0004265034621. Juni 1997 Halbtagesfahrt: "Historische Stätten der altsächsischen und deutschenGeschichte im mittleren Okertal". Leitung Herr Archivoberrat Dr. Dieter Lent. Stationender Exkursion: Ohrum, die Königspfalz Werla, das Kanonissenstift Heiningenmit seiner romanischen Stiftskirche, die Nordwestecke Wolfenbüttels mit dem Geländeder nach 1945 beseitigten NS-"Reichsführerinnenschule des BDM" und demSchwedendamm, das Stift Steterburg mit seiner barocken Stiftskirche, und zuletzt dasBeddinger Holz bei SZ-Thiede als Stätte der Schlacht von 1641 zur Entsetzung Wolfenbüttels.(49 Teilnehmer).12. (17.) Juli 1997 Tagesfahrt: "Schlösser und Gärten im westlichen Sachsen-Anhalt".Leitung Herren Dr. Marcus Köhler und Thomas Scheliga M.A. Hundisburgund vermutlich auch Harbke, Grenzburgen im Bördegebiet aus dem 10. Jahrhundertzwischen Wolfsburg und Magdeburg, die als Grenzbefestigungen des MagdeburgerErzbistums und andererseits des <strong>Braunschweig</strong>er Herzogs bzw. seiner Vasallen weiterausgebaut wurden, erlangten im Dreißigjährigen Krieg strategische Bedeutung. DieExkursion widmete sich nicht nur den mittelalterlichen historischen Gegebenheiten,sondern versuchte, die interessante Geschichte der Schlösser und Gärten Harbke,Hundisburg und Letztlingen sowie Calvörde bis zur Gegenwart zu verfolgen. Wegengroßer Nachfrage mußte die Fahrt wiederholt werden (90 Teilnehmer).22. - 24. August 1997: "Mecklenburgische Residenzen und Städte". Leitung Frau Dr.Kerstin Rahn. Über die Stationen Ludwigslust mit Schloß und Park, und einen ausführlichenSchwerinbesichtigungstag, der durch Dom, Schloß, Markt, Schelfviertelund den Zippendorfer Strand führte, wurde das nördliche Mecklenburg weiter durchdie Stadt Wismar und zuletzt die alte Burganlage Mecklenburg und schließlich dieFestung Dömitz kundig, informativ und wohl für alle Teilnehmer erlebnisreich päsentiert.(46 Teilnehmer).6. September 1997: Tagesfahrt "Die Gogräfschaft Hankensbüttel und das WittingerLand im nördlichen Landkreis Gifhorn". Leitung Herr Professor Dr. Wolfgang Meibeyer.Von Wahrenholzen, der Anlage einer Sperrburg über das Iseflüßchen ging esüber den Burgort Knesebeck und das Rundlingsdorf Eutzen zu den Rodedörfern derGogräfschaft Hankensbüttel. Das Kloster Isenhagen wurde besucht und schließlichentdeckten die kleinen Rodedörfer auf dem Lüßplateau, hier vor allem Bokel undSprakensehl, den Besuchern nicht nur Unerwartetes über ihre Anfänge und Traditionen.Den Abschluß bildete der Besuch des geheimnisvollen Burgplatzes "Wickeloh"östlich des Kirchdorfes Groß Oesingen. (53 Teilnehmer).27. September 1997: Tagesfahrt "Ausgewählte Schlösser, Burgen und Denkmale imElmgebiet". Leitung Herr Heinrich Medefind. Vom Tumulus in Evessen führte derWeg nach Kneitlingen, dem Geburtsort Till Eulenspiegels, und dann zum wahrscheinlichvon Ilermann Korb erbauten Schloß Sambleben. Die alte Burg Warbergim Elm und die Burg Warberg wurden besichtigt und anschließend die erkennbarenReste des bis 1830 genutzten Jagdschlosses Langeleben. Mit dem Schloß Veltheimwurde eine für das Land typische Wasserburg vorgestellt, die ihren eindrucksvollenCharakter behalten hat. (50 Teilnehmer).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=000426503473. Vorträge17. Oktober 1996 Prof. Dr. Thomas Vogtherr (Leipzig):Der Kardinallegat Raimund Peraudi in <strong>Braunschweig</strong> in den Jahren 1488 und 1503.Eine Episode aus dem Ablaßhandel im späten Mittelalter. (84 Zuhörer).21. November 1996 Dr. Dieter Lent (Wolfenbüttel):Der Beginn des Landes Niedersachsen (112 Zuhörer).12. Dezember 1996 Dr. Günter Scheel (Wolfenbüttel):Leibniz als politischer Ratgeber des Welfenhauses (65 Zuhörer).16. Januar 1997 Dr. Ulrike Strauß (<strong>Braunschweig</strong>):Kriegsschiffskapitän Lhosteine - Unbekannte Quelle von einem Seefahrer1673-1675 und dessen Bezug zum Welfenhaus (56 Zuhörer).20. Februar 1997 Prof. Dr. Wolfgang Schlüter (Osnabrück):Die Schlacht im Teutoburger Wald. Neuester Forschungsstand. (205 Zuhörer).20. März 1997 Prof. Dr. Bernhard Kiekenap (<strong>Braunschweig</strong>):Bruderliebe und Bruderhaß im welfischen Hause.Die Herzöge Karl 11. und Wilhelm. (168 Zuhörer).17. April 1997 Prof. Hartrnut Rötting M.A.:Stadtarchäologie 1976-1997. Ergebnisse zur frühen Stadtgeschichte<strong>Braunschweig</strong>s.(152 Zuhörer).


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650348VERSTORBENE MITGLIEDERderen Namen seit der Mitgliederversammlung am 17. April 1997der Redaktion bekannt wurden:Hans-Joachim DEHN, <strong>Braunschweig</strong>Brunhilde JACOB, <strong>Braunschweig</strong>Sibylle JESSE, <strong>Braunschweig</strong>Lorenz-Peter LOCK, Stadtoberamtsrat a.D., <strong>Braunschweig</strong>Hans-Peter RUNTE, Bankabteilungsdirektor a.D., <strong>Braunschweig</strong>Heinrich SPIER, Oberstudienrat a.D., GoslarHans-Joachim STEIGERTAHL, Studiendirektor a.D., <strong>Braunschweig</strong>


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>Quellen und Forschungenzur <strong>Braunschweig</strong>ischen GeschichteBd. 16Eckert, Georg: Die <strong>Braunschweig</strong>er Arbeiterbewegung unterdem Soziallistengesetz, I. Teil (1878-1884)Bd. 17 Wiswe, Mechhild: Die Flurnamen des Salzgittergebietes. 1970.Bd. 18 Giesau, Peter: Die Benediktinerkirche St. Ägidien zu <strong>Braunschweig</strong>:Ihre Baugeschichte von 1278 bis 1478 und ihre Stellung in der deutschenArchitktur des 13. bis 15. Jahrhunderts. 1970.Bd. 19Bd. 20Bd. 21Bd. 22Bd. 24Kleinau, Hermann: Die von Werle im Raum <strong>Braunschweig</strong> - Nordharz­Halberstadt.Ein Beitrag zur Geschichte der welfischen Dienstmannschaftund Pfalzenforschung. 1970.Gruhne, Fritz: Auswandererlisten des ehemaligen Herzogtums<strong>Braunschweig</strong> ohne Stadt <strong>Braunschweig</strong> und Landkreis Holzminden1846-1871. 1971.Knauf, Tassilo: Die Architektur der <strong>Braunschweig</strong>er Stadtpfarrkirchenin der ersten Hälfte des 13. Jahrhundert. 1974.Gerkens, Gerhard: Das fürstliche Lustschloß Salzdahlum und seinErbauer Herzog Anton Ulrich von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel. 1974.Sander, Julie: Kulturelles Leben in Mitteldeutschland im ersten Viertel des19. Jahrhunderts, dargestellt am Gästebuch der Industrie-Töchter-Schulein Blankenburg am Harz (1805-1838).1976.Bd. 25 Billig, Wolfgang: Die Stiftskirche zu Steterburg. 1982.Bd. 26Bd. 27Bd.28Bd.29Bd. 30Ludewig, Hans-U/rich: Das Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> im erstenWeltkrieg. 1984.Grefe, Ernst-Hermann: Gefährdung monarchischer Autorität imZeitalter der Restauration. Der braunschweigische Umsturz von 1830und die zeitgenössische Publizistik. 1987.Nicolai, Bernd: Libido Aedificandi. Walkenried und die monumentaleKirchenbaukunst der Zisterzinser um 1200. 1990.Täubrich, Rainer: Herzog Heinrich der Jüngere von <strong>Braunschweig</strong>­Wolfenbüttel (1489-1568). Leben und Politik bis zum Primogeniturvertragvon 1535. 1991.Lietzmann, Hilda: Herzog Heinrich Julius zu <strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg(1564-1613). Persönlichkeit und Wirken für Kaiser und Reich. 1993.Die Bände 1-15 sind vergriffen.http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650350SonderveröffentlichungenPape: Fritz: Der Weinbau im ehemaligen Land <strong>Braunschweig</strong>. 1995.Kelsch, Wolf gang: Wolfcnbüttel als alte Festungsstadt in zeitgenössischenAnsichten. 1984.Issleib, S.: Philipp von Hessen, Heinrich von <strong>Braunschweig</strong> und Moritz von Sachsenin den Jahren 1541 bis 1547.1904.Beihefte zum <strong>Braunschweig</strong>ischen JahrbuchBd. 2 Bunselmeyer, Si/via: Das Stift Steterburg im Mittelalter. 1983.Bd. 3Bd. 4Bd.5Bd.6Bd. 7Bd.8Bd.9Gerbert,Anneliese: Öffentliche Gesundheitspflege und staatlichesMedizinalwesen in den Städten <strong>Braunschweig</strong> und Wolfenbüttelim 19. Jahrhundert. 1983.Butz, Werner: Der Polizeibegriff im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong>­Wolfenbüttel. Umfang und geschichtliche Entwicklung bis 1806. 1986.Puhle, Dorothea: Das Herzogtum Braunscheig-Wolfenbüttel imKönigreich Westphalen und seine Restitution 1806-1815. 1989.von Boetticher, Annette: Gütererwerb und Wirtschaftsführungdes Zisterzienserklosters Riddagshausen bei <strong>Braunschweig</strong>im Mittelalter. 1990.Weinmann, Arno: <strong>Braunschweig</strong> als landesherrliche Residenzim Mittelalter. 1991.!orns, Annette: Lcbens- und Arbeitssituation von Frauenim Lande <strong>Braunschweig</strong> 1830-1865. 1991.Scheiiler, Woligang: <strong>Braunschweig</strong>er Goldschmiede-Familienaus zwei Jahrhunderten (1650-1850). 1992Bd.lO Grote, Hans-Henning: Johann Balthasar Lauterbach (1663-1694).1995.Bd. 11Bd. 12Möhle, Martin: Der <strong>Braunschweig</strong>er Dom Heinrichs des Löwen.Die Architektur der Stiftskirche St. Blasius von 1173-1250. 1995Schmidt, Burkhard: Der Herzogenprozeß.Ein Bericht über den Prozeß des welfischen Herzoghauses gegen denFreistaat <strong>Braunschweig</strong> um das Kammergut (1921)25). 1996.


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong>http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042650351Bd. 13Bd. 14Casimir, Kirstin, Ohainski Uwe: Das Territorium der WolfenbüttelerHerzöge um 1616. Verzeichnis der Orte und geistlichen Einrichtungender Fürstentümer Wolfenbüttel, Calenberg, Grubenhagen sowieder Grafschaften Hoya, Honstein, Regenstein-Blankenburg nachihrer Verwaltungszugehörigkeit. 1996.Kretzschmar, Lars: Die Schunterburgen.Ein Beitrag der interdisziplinären Forschung zu Form, Funktionund Zeitste[[ung. 1997.


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