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vollständig als pdf - Dr. Martina Schäfer, St. Gallen

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14kleinen Mädchen oder Säuglinge zu versorgen hatten, standen auch bereits vor denGartentörchen, versammelten die Töchter um sich und riefen ungeduldig zu den anderenHäuschen herüber.Unsere Mutter kam endlich heraus. Wie immer etwas seltsam wolkig, wenn sie die weisseKleidung der Frühjahrsfeste trug, unser Kleinstmädchen im Rucksack auf dem Rücken."Schaut nicht so blöd!" rief sie und scheuchte uns voran."Ich weiss, dass Weiss mir nicht steht! Werde genau so schnell dreckig wie meine Brut!""Kannst ja heute Nacht wechseln!"Die älteste Nachbarstochter, eigentlich schon eine junge Frau, lachte."Ich mag das Rot auch lieber!" Sie kokettierte mit den Hüften.""Na ja, in dem Alter!" brummte unsere Mutter."Johanna, glotz' nicht so. Bis du eingekleidet wirst, Dauert es noch mindestens fünf Jahre. Ichhabe auch sehr spät das erste Mal geblutet.""Anna geht sowieso gleich ganz schwarz, Mama!" Die Zwillinge lachten und zeigten auf einenFleck, der bereits irgendwie auf meine weisse Hose geflogen war."Womit sie eigentlich recht hat!" Unsere Mutter stöhnte, knuffte mich fast liebevoll und trieb unsin der Schar der anderen Frauen und Mädchen die Sippenstrasse Richtung <strong>St</strong>adtzentrum hinab."Ganz ihre Mutter! Schornsteinfegerin stünde ihr gut an!"Das Vernehmungszimmerchen lag in einem der kleinen Bungalows, die ich schon beimeiner Ankunft bewundern durfte. Die Bungalows verstreuten sich locker zwischenRhododendrenbüschen, natürlich blühend! und kaum frauhohen Koniferenpflanzen, wiein einer der früheren Feriensiedlungen.Vor drei Generationen hätte es sich tatsächlich noch um solch eine ehemalige,kleinfamiliäre Kolonie handeln können, die im Zuge der Zurücknahme weiblichenEigentums in ein Umerziehungslager verwandelt worden war. Doch diese der schnellenVerrottung spätpatriarchaler Leichtbauweise unterworfenen Hausansammlungen wareninzwischen zum grössten Teil verschwunden, und die Top Sieben liessen an anderenOrten, so wie hier am Kiemensee, grössere, weitläufige Parkareale anlegen, zurResozialisierung unkontrollierbarer gesellschaftlicher Elemente. JedesSchwererziehbarenheim aus den Zeiten unserer Urgrosseltern hätte sich vor Neid aufdiese didaktische Wiederaufbereitungsanlage störender Elemente in den pädagogischenGrund und Boden geschämt: Kaum sichtbar teilten die mäandernden, weissen Kieswege,auf denen jeder Schritt, besonders bei Nacht, meterweit zu hören war, kleinereEinheiten von drei bis vier Bungalows ab, in welchen überschaubare GruppenSchwererziehbarer oder Unzufriedener gemeinsam lebten, kochten, schliefen oder sichsonst wie beschäftigten. Das sollte ihre soziale Integrationsfähigkeit fördern, hatte aberden praktischen Nebeneffekt, dass man sich ein aufgeblähtes Zentrum mit Küchentrakt,Speisesaal, unberechenbaren Kalfaktoren sowie das tägliche, mehrmaligeZusammenkommen aller Demonstrantinnen aus allen Bungalows sparen konnte.Keine wusste genau, wie viele genau in dem grossen, blühenden Areal lebten, das sich,oberhalb eines kilometerlangen Kiesstrandes, zwischen See und Gebirge wirklich vonHorizont zu Horizont erstreckte. Unauffällig dazwischen gestreut waren die Betreuungs-,Wach- und Versorgungseinrichtungen in Bungalows untergebracht, die sich in keinsterWeise von den Wohnbehausungen der Unzufriedenen unterschieden. Diese

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