13.07.2015 Aufrufe

Band 5 - WordPress – www.wordpress.com

Band 5 - WordPress – www.wordpress.com

Band 5 - WordPress – www.wordpress.com

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

NIETZSCHES GESAMMELTE WERKEFÜNFTER BAND


FRIEDRICH NIETZSCHEGESAMMELTE WERKEMUSARIONAÜSGABEFÜNFTER BANDVORLESUNGEN1872— 1876MUSARION VERLAG MÜNCHEN


FRIEDRICH NIETZSCHEGESAMMELTE WERKEFÜNFTER BANDGESCHICHTE DER GRIECHISCHEN BEREDSAMKEIT/DIE AIAAOXAl DER PHILOSOPHEN/GESCHICHTEDER GRIECHISCHEN LITTERATUR/RHETORIK/DER GOTTESDIENST DER GRIECHEN/EINZELNE GEDANKENMUSARION VERLAG MÜNCHEN


hAzBd. SCopyright igzz hy Musar'ton Verlag, MünchenJüLll 1963'%,._._...^^8^D1)H^


jINHALT DES FÜNFTEN BANDESSeiteGeschichte der griechischen Beredsamkeit (1872— 1873).IDie 8iaBoj(ai der Philosophen (1873 oder 1874) 4?Geschichte der griechischen Litteratur. Theil I und II(1874-1875)§ I. Vorbegriife 67§ 2. Die Perioden der griechischen Sprache 69§ 3. Verbindung der sprachlichen Kunstwerke mit anderenKünsten 69§ 4. Prosa und Poesie in ihrem Unterschiede .... 78§ S. Die epischen Kunstwerke 84§ 6. Die elegischen Kunstwerke 103§ 7. Die Hauptformen der lyrischen Kunstwerke ... 108§ 8. Die Tragödie 108§ 9. Die jambische und trochäische Dichtung .... in§ lo. Die Komödie 116§ II. Die philosophische Litteratur 139§ 12. Die historische Litteratur 166Geschichte der griechischen Litteratur. Theil III(1875—'87Ö)1. Die klassische Litteratur der Griechen als Erzeugnisseiner unlitterarischen Bildung 2092. Anlässe zur Entstehung von Litteratur 2183. Das ursprüngliche Publikum jeder Gattung .... 2244. Entstehung des Lesepublikums 230j. Einwirkung der Gattungen auf einander 2386. Blüthe, Entartung, Wiederaufblühen in den Gattungen 247. Ueber die Fruchtbarkeit in den einzelnen Gattungen 2J18. Ueber das Publikum der griechischen Dichter, Rednerund Schriftsteller2f8V


SeiteRhetorik O874)9. Der Erwerb durch die Dichtkunst und Schriftstellerei 265:10. Vornehme und niedere Geburt bei Dichtern, Rednernund Schriftstellern11. Todesarten• ^78§§§§§a?!I. Begriff der Rhetorik 2872. Eintheilung der Rhetorik und der Beredsamkeit . 2943. Verhältniss des Rhetorischen zur Sprache .... 2974. Reinheit, Deutlichkeit und Angemessenheit derelocutiü 3015. Die charakteristischeRede im Verhältniss zumSchmuckder Rede 3°^§ 6. Modifikation der Reinheit 310§7. Der tropische Ausdruck 3^4Der Gottesdienst der Griechen (1875— 1876)VIEinleitung§I • • • 3^3§ 2 • . 317§ 3330§ 4 336§ 5338§ 6. Thrakische Elemente 34


—J'1SeiteAus § S- Die Gräber 41^Aus § 6. Die heiligen Strassen 413II. Personen des Cultus: Priester, Wahrsager und Verwandtes§ i. Die Priester 41§ 2. Die Exegeten 4^8Aus § 3. Die Manteis 43°Aus § 4. Die Orakelsänger -/pT)a|AoX6Yot 43§5. Die Orakelstätten und die Vereinigung von Priesterthumund Mantik43^§ 6. Religiöse Genossenschaften von Laien 439III. Die religiösen Gebräuche§I. Die Reinigung, xdöapsi?, lustratio (suffimentum, expiatio,purgatio) 44?§ 2. Bekränzung und Verwandtes 4J7§ 3. Die Opfer 4^1Einzelne Gedanken aus den Jahren 1869— 1875Vom Ursprung der Sprache (18691870) 4^7lieber die Cyniker und ihre Bedeutung für die Litteratur(1869) 470Ueber den Staat (1874) 47Ueber den Dichter (1875) 47*Ueber den Rhythmus (1875) 47 3Nachbericht 477VII


Geschichteder griechischen Beredsamkeit(Die Rhetorik der Griechen und Römer;Vorlesung Winter 1872/73, dreistündig)I Nietzsche V.


Umnichts haben sich die Griechen eine solche unablässigeMühe gegeben wie um Beredsamkeit, hier ist eine Energieverwendet, deren Symbol etwa die Selbsterziehung des Demosthenessein magj es ist das zäheste Element und dauertdurch alle Verkümmerungen des griechischen Wesens, istübertragbar, contagiös, wie wir an den Römern und der ganzenhellenistischen Welt sehen: hier kommt immer wiedereine neue Blüthe, selbst mit den grossen Universitäts-Rednernvon Athen im III. und IV. Jahrhundert ist es nicht zu Ende.Die Wirkung der christlichen Predigt ist aus jenem Elementherzuleiten: und indirekt hängt die Entwicklung des ganzenmodernen Prosastils von dem griechischen Redner ab, direktwohl am meisten freilich von Cicero. Im Reden- könnenconzentrirt sich allmählich das Hellenische und seine Macht,es wird wohl auch ihr Verhängniss darin liegen. Diodorsagt in seiner Einleitung dies sehr naiv: „Einen höheren Vorzugals die Rede wird nicht leicht jemand nennen können.Denn dadurch stehen die Griechen über den andern Völkernund die Gebildeten über den Ungebildeten jzudem ist esdadurch allein möghch, dass einer über viele die Herrschaftgewinnt^ überhaupt aber erscheint jedes Ding nur so, wie esdie Macht des Redners darstellt."Das meinte man ganz aufrichtig,so sagt Kallisthenes, er habe das Schicksal Alexandersund seiner Thaten bei der Nachwelt in der Hand. Er seinicht gekommen, um von Alexander Ruhm für sich zu borgen,sondern um diesem die Bewunderung der Menschen zui*


; fassunggewinnen, und der Glaube an die Gottähnlichkeit Alexandershänge nicht von den Lügen der Olympias über seine Geburtab, sondern von dem, was er über seine Thaten bekanntmache. Arrian IV c. lo. Die maassloseste Ueberhebung,als Rhetoren und Stilisten alles zu können, geht durch dasganze Alterthum, in einer für uns unbegreiflichen Weise.Sie haben die „Meinung über die Dinge" und dadurch dieWirkung der Dinge auf die Menschen in der Hand, das wissensie. Dazu ist freilich nöthig, dass die Menschheit selbst rheto-'tisch erzogen war. Im Grunde ist jetzt noch in der höheren! sondern„klassischen" Erziehung ein guter Theil dieser antiken Auf-erhalten: nur dass nicht mehr die mündliche Rede,mehr das abgeblasste Bild derselben, das Schreibenkönnen,als Ziel hervortritt. Wirkung durch Buch und Fresseals das durch Erziehung zu Erlernende ist das am meistenx\lterthümliche in unserer Bildung. Nur steht die Vorbildungunseres Publikums unglaublich tiefer als in der hellenistischrömischenWelt: nur so sind die Wirkungen durch vielplumpere und rohere Mittel zu erreichen; und alles Feinewird entweder abgelehnt oder erregt Misstrauen:bestenfallshat es seinen engen Kreis.Niemand soll glauben, dass eine solche Kunst vom Himmelfällt, die Griechen haben mehr daran gearbeitet als irgend einVolk und mehr als an irgend einer andern Sache (nämlichauch so viele Menschen!). Zwar steht gleich am Beginn einenatürliche Beredsamkeit sondergleichen, die bei Homer: indessendas ist kein Beginn, sondern schon eher das Endeeiner langen Cultur- Entwicklung, ebenso wie Homer fürreligiöse Alterthümer einer der jüngeren Zeugen ist. DasVolk, das sich an solcher Sprache, der sprechh^xsttn aller, ausbildete,hat unersättlich viel gesprochen und frühzeitig Lust undUnterscheidungsgabe darin gehabt. Es giebt zwar Stammesunterschiede,hervorbrechende Neigungen zum Gegentheil,


fast aus Ueberdruss, wie die ^pcL-/uXo'{la der Dorer (Spartanerzumal), aber im Ganzen fühlen sich die Griechen als dieRedenden, im Gegensatz zu den ayXoDoooi, den Nichtgriechen(Sophocles), und als die Verständlich- und Schön-redenden(Gegensatz ßdpßapoi, die „Quakenden", cfr. ßd-ipapi).Aber erst mit der politischen Form der Democratie beginntdie ganz excessive Schätzung der Rede, sie ist dasgrösste Machtmittel inter pares geworden. Der Begründerder Demokratie in Agrigent soll ihr „Erfinder" sein, Empedocles:sagt Aristoteles im Dialog aocpiatTQ


Anwendung.xaxov ü)6vDie Richter jagen beide fort mit ex xaxou xopaxo?(dasselbe von Protagoras und Euathlos). — In Thuriiist er Lehrer des Lysias, in Athen des Isocrates gewesen 5er wandert herum wie ein Sophist. Hinterlässt eine xiyy-fi:wesentlichKunst des Prozessirens.Eine weit umfassendere Lehre gaben die eigentlichen Sophisten,die höheren Lehrer aus dem eigentlichen Griechenlandund den östlichen Kolonieenj das Sprechen-lehren istnur ein Theil ihrer Thätigkeit. Mit Protagoras' Zuge durchdie hellenischen Städte, der c. 455 beginnt, entsteht die Sophistik.Auf die attische Beredsamkeit hatte er viel früherEinfluss als die Siculer. Er verheisst zu lehren xov -^ttü) Xo^ovxpelxTw TToietv:wie man durch Dialektik der schwächeren Sache3 zum Siege verhelfen könne. Diese Dialektik sollte alle anderenKünste und Wissenschaften entbehrlich machen: wie man denGeometer, ohne Geometer zu sein, niederdisputiren könne:so über Naturphilosophie, den Ringkampf, das praktischeStaatsleben. Die Schüler mussten Musterstücke auswendiglernen. Auch die anderen grossen Sophisten kommen inBetracht. Trotz dieser so gestellten Aufgaben der Dialektikwaren die grossen Sophisten concentrirende Gewalten höchstenRanges, wodurch das verschiedenartige Wissen zusammengebundenwurde und eine höhere Bildung errungen wurde.Ein praktisches Ergebnissder neuen Bildung nach der Mittedes V. Jahrhunderts: der grosse Pericles: er hat viel mitProtagoras disputirt. Plato zwar leitet seine hohe Meisterschaftin der Rede von der Philosophie (des Anaxagoras),nicht von den Sophisten her: sie habe seinem Geist einenerhabenen Flug verliehen, einen Blick ins Innere der Naturund der Menschen, Phaedr. p. 269 E. Indessen nur die Befreiungder Geister durch die höhere Bildung macht einensolchen Verkehr wie zwischen Pericles und Anaxagoras erstmöglich. Sonst war man in der Schätzung der Litteratur


noch weit zurück 5 die mächtigsten Männer in den Staatenschämten sich, Reden zu verfassen und zu hinterlassen, ausFurcht vor dem alten „Makel" der Sophisten und Philosophen,der Freigeisterei. Dem Redner Pericles fehlte nochganz die leidenschaftlich freie und kühne Art des Vortrags:er stand unbewegt da, mit eingewickelten Armen, der Mantelbewahrte den gleichen Faltenwurf} dieselbe Höhe der Stimme,derselbe Ernst, nie ein Lächeln — doch wundersam imponirend.Das ist die archaische Art zu reden: die Neuerungbeginnt mit Gorgias bereits; er kam feierlich, prachtvoll geschmückt— er trat wie Empedocles im purpurnen Gewändeauf — mit einem Weltrufe und brachte die epideiktischeRede: in ihr will man zeigen, was man kann, man will nichttäuschen, der Sachinhalt kommt nicht in Betracht. Die Lustan der schönen Rede gewinnt ein Bereich für sich, wo siesich nicht mit dem Bedürfniss kreuzt. Es ist ein Athemholendes Künstlervolks, sie wollen sich mit der Rede einmaletwas recht Gutes erweisen. Nun haben dafür die Philosophenkeinen Sinn gehabt (die gar nichts von der Kunst verstehen,die um sie herum lebt und webt, auch von der Plastiknichts), und so giebt es eine überflüssig heftige Feindseligkeit.Mit Gorgias ist die Kunstprosa') in die Welt eingetreten.*) Die Kunstprosa ist zuerst poetisch (also poetische Worte, und alsErsatz für das Metrum, künstliche Figuren), nach Arist. Rhet. III, i deshalb,weil man sah, wie die Dichter, durch die Anwendung von ungewöhnlichenAusdrücken, ihren Ruhm gewännen: noch heute zolle der grosseHaufe denen, welche eine solche Sprache reden, den grössten Beifall. Anwelche Dichter ist hier zu denken? An die Lyriker und Tragiker jedenfalls:deren Erfolge ahmt Gorgias nach; der Vortrag des Schauspielerseiner äschyleischen Tragödie mag namentlich ihn bestimmt haben. — Ersetzt den attischen Dialekt für die Kunstrede fest: ein höchst genialerGriff. In Olympia vor allen Hellenen redete er attisch: von den VorzügenAthens in dieser Hinsicht als rpuTavElov ttj; jocpia; [Plato Prot,p. 377D]. Isoer. 15, 295 (ßlass [Gesch. d. Ber.] I, 52). Zugleich fand erden panhellenischen Gedanken als den besten Inhalt der epideiktischenRede.


und sofort siegreich, berauschend; alle die anderen Artender Beredsamkeit können sich nicht mehr unberührt erhalten,der Ausdruck, der Stil wird zu einer Macht für sich, währendbis dahin von den Rhetoren das Disponiren der Rede, dieBeweismittel, die AfFekterregungen u. s. w. fast allein überlegtund geübt waren. Nun gab es zu Athen die Sitte desAdvokatenthums in der Gestalt der XoYoYpacpoi. NämlichAdvokaten in unserm Sinne waren verboten; jeder durfteanklagen, vertheidigen musste sich jeder (nur Rechtsbeiständeerlaubt: sie durften kein Geld nehmen, ihr Auftreten warbesonders zu motiviren): und so Hess man sich die Vertheidigungvon geübten und geschulten Rednern häufig ausarbeitenund las die Reden ab. Damit entstand ein einträglichesGewerbe von Litteraten, deren Produkte für denVortrag1 durch Lesen berechnet waren — wichtig! Wenn eine solche1Rede,nach dem Erfolge veröffentlicht wurde, so diente siezunächst dem Rufe des Verfassers, führte ihm neue Klientenzu; aber bald gewannen diese Reden noch ein absolutesInteresse, als Kunststücke (um nicht zu sagen Kunstwerke),ein scharfsinniges und juristisch geübtes Publikum ergötztesich daran, sie zu lesen. Damit war aber die Rücksicht aufden Leser hineingekommen, die Logographen überarbeitetenihre Erzeugnisse in Hinsicht auf Stil, wie die späteren Staatsredner,vor der Veröffentlichung: denn man war sich sehrdes Unterschieds bewusst, ob es sich um Hörer oder Leserhandelte. Aristot. Rhet. 3, i: d -yctp ypacpöjxevoi Xoyoi iieiCovia/uouai hiä t7]v Xe^iv 7) 8ia Tqv Sidvoiav. Besonders aber 3, 12:„die Xi^iz Ypatpixig ist ganz verschieden von der U^ic, dytovioTix-^;beide muss man verstehen: die eine Art (in deröffentlichen Beredsamkeit) ist nur so viel als eXXyjviCeiv inioiaa&ai— welcher Stolz in diesen Worten, Stolz der hellenischenBildung! —, das Andere heisst, nicht gezwungenzu sein zu schweigen, wenn man dem Publikum etwas8


mittheilen will — wie es denen ergeht,die nicht zu schreibenverstehen." [. . .]„Die Produktionen der schriftstellerischen Redekünstler erscheinenbeim öffentlichen Vortrage dürftig, oisvoi, währenddie wirklichen Redner, so gut sie sich vorgetragen anhörenlassen, doch wenn man sie geschrieben in den Händen hat,iSioDtixoi, ungebildet, erscheinen. . . . Die dramatisch wirksamenStellen erscheinen, wenn der Vortrag fehlt, albern.So werden z. B. die Asyndeta und die vielfältigen Wiederholungeneines und desselben Ausdrucks im schriftlichenStilmit Recht verworfen, während im öffentlichen Vortragedie Redner dergleichen anwenden, weil sie uTroxpixuasind".^)Der erste, dessen gerichtliche Xo^oi auch gelesen wurden, derXoYoypdcpo? Antiphon, ein wirklicher Athener, hat also jedenfallsseine Reden überarbeitet} er erscheint durch Gorgias,Tisias, Protagoras beeinflusst; dieser Reden wegen wurdeer als der erste in den Kanon der zehn attischen Redneraufgenommen. Der Bau derselben ist sehr regelmässig: späterkam, von Isäus ab, ein raffinirter Sinn auf, wo man die Kunstder natürlichen Anordnung zuwider anwendet. Er hat würdevollenAusdruck, der öffentliche Sprecher musste damals nochgemessener, entfernter reden: so rechnet man ihn in dieGattung des erhabenen Stils, nur dass der erhabene Stil derRede dem schlichten der Rede, z. B. des Lysias, näher stehtals der erhabene in der Geschichte dem schlichten.Ein alterthümlicherKlang gehört zur Würde, Gorgias und Antiphon') 3,5 — er stellt die Ausdrucksweise der Volksrede mit der axia-^pacpfader perspektivischen Dekorationsmalerei auf eine Stufe: jede feine Ausführungüberflüssig und minder zweckgemäss. Die gerichtliche Rede istschon etwas Feineres, axpißeaxlpa. Der sprachliche Ausdruck der epideiktischenRede ist schriftstellerisch, Ypa^ixüJTäxT] , ist auf Lektüre berechnet.Also diese Reihenfolge: i. epideiktisch 2, gerichtlich 3. Volks- undStaatsrede.


haben noch den älteren Atticismus aa, ^uv, k, während schonPerikles modern sprach, ebenso Andokides, Lysias u. s. w.In der Composition hat er die auaxr^pa apjxovia, im Gegensatzzur ^la^upd des Lysias. — Er ist Aristokrat, mit tiefemMisstrauen gegen den ^}ao?, immer hinter der Scene thätig,ohne sichtbaren politischen Ehrgeiz, berühmter Jurist undBeirath, auch des Thukydides, scheint es, bei seinem Prozess(von ihm 8, i8 sehr gerühmt durch dpsiTj der erste Menschund dabei der ausgezeichnetste Kopf des damaligen Athens,xpdiiaTo? evL)u|JLr^OT|VG[i y£v6(jl£vo? xal a yvoir^ eiTceiv). Er hat einensorgfältigen Plan zum Sturz der Volksherrschaft angelegt:später wurde er wegen der Einsetzung der Vierhundert undwegen Tzpohoola (an die Lacedämonier) verurtheilt. Seine VertheidigungsredeTcspi t?)«; [isiaatdasa)? („über die Aenderungder Verfassung") war nach Thukydides äie beste bis zu seinerZeit gehaltene. Trotzdem verurtheilt, soll er zu Agathon, derdie Rede bewunderte, gesagt haben: ein Mann mit grosserSeele müsse mehr erwägen xi SoxsT evl oTcouoaio) \ttoXXoTi; toi?TUYxdvouaiv, Arist. Eth. Eudem. 3, 5. — Man besass 60 Reden,Caecilius bestritt 25, als unecht. [. . .] Das Uebergewichthaben die Xoyoi Sixavixol or^jjioaioi im Gegensatz zu den Xo^oi8ix. ioitoTixoi, er verschmähte geringere Prozesse. Die erhaltenengehören zur Klasse der Xoyoi (fovixoi,Criminalsachenjdie waren bei ihm sehr berühmt. Nicht zu verwechseln derSophist, Traum- und Zeichendeuter Antiphon, der in 2 Bücherneine naturphilosophische Schrift 'AXViösia geschrieben hat,pomphaften, gekünstelten Stils, mit poetischen ungewöhnlichenWörtern, ohne alle Natürlichkeit; dessen BeinameXoYo[xdY£ipo? „Redekoch"; unser Staatsmann hiess Nestor. —Ein bedeutender Techniker istThrasymachos aus Chalkedon,der Sophist (auch Philosoph, Trepl cpuasw;), den Plato in derEinleitungsscene der Republik als Karikatur zeigt: anmaasslich,käuflich, dummdreist. Er ist der Begründer der mittleren10


Gattung des Stils, er erfindet die irepioSo? cTpo-^-^oXr^ oderauv£


Empedokles-Dichter- Redner-Stil stehen! Empedokles aberzum Aeschylus-Schauspieler-Stil —!Der übelberüchtigte Critias ist sehr ausgezeichnet als Redner,es kann auffallen, dass er nicht in den Canon kam,nämlich an die Stelledes Andokides, aber ihm schadete, einerder Dreissig gewesen zu sein: Würde in den Gedanken,Einfachheit in der Form, wenig Schwung und Feuer, weniggewinnendes -^9o


5'ist die gewöhnlichste Technik. Er wurde später gering geschätzt:Herodes Attikos, dem man das Kompliment machte,er sei einer der zehn, sagte: „besser als Andocides bin ichfreilich". Sein Ausdruck ist nicht stilvoll beherrscht, im allgemeinengewöhnlich, gelegentlich Tragödien -Wendungen.Er zeigt, was damals ein gebildeter Athener, ohne höhererhetorische Ausbildung, besonders leisten konnte: also dieVorbedingungen des speziell athenischen Talentes: grosses Geschickund Lust an der Erzählung, Personen direkt redendeingeführt, leibhafte Vergegenwärtigung auch der Nebenumstände,evdpY£ia, wenig Pathos. Man sieht nichts von ^Figurenschmuck, von Antithesen, Parisa, Homoioteleuta; daszeigt, wie wxnig er von der rhetorischen Ausbildung derZeit berührt istj so auch keine Periodik, oder vielmehr eineganz untergeordnete.Die belebenden Figuren, wie das Asyndeton,die Frage finden sich massenhaft: Aristoteles findetdies in der geschriebenen Rede albern, aber auf der Rednerbühneherrschte es, als dramatisch wirksam^ dazu brauchteman nicht erst ein grosser Techniker zu sein. — Lysias, derSohn des Syracusiers Kephalos, aus Athen, c. 444 geborensein Vater wurde durch Pericles, seinen Gastfreund, nachAthen gezogen und lebte dort 30 Jahre: reich, hochgebildet,hochgeehrt. [. . .] Er hatte es nicht nöthig, Reden fürs Gerichtzu schreiben. Wohl aber verfasste er epideiktische^Kunststücke für die Lektüre, wie die erotische Rede, die im JPhaedrus behandelt wird. Er war dieser Dinge wegen sehrbewundert, als Schriftsteller. Dass er der mächtige Rednerwurde, machte das grosse Unglück, das die Familie unter denDreissig traf,das ganze Vermögen und der Bruder Polemarchfiel ihnen zum Opfer. [. ..]Der Zauber des lysianischen Stils wird zuerst in der Zeitdes Theophrast bemerkt und zeigt sich in der Nachahmung:Dinarchos, Charisius, Hegesias v. Magnesia. Das ist eine13


Reaktion gegen den isocrateischen Kunststil und seinen vollenKlang, man erfreute sich am Schlichten und übertrieb dieSchlichtheit. Noch stärker war die Reaktion in Rom, woLysias aufs Schild gegen den Asianismus gehoben wurde.Cicero, heftig von diesen extremen Attikern und Lysianernbekämpft, war doch sehr billig gegen Lysias und nennt ihneinen beinahe vollkommenen Redner, dem nur die rednerischeKraft fehlt, um das Gemüth der Zuhörer zu ergreifen.Er gilt als bester Vertreter des 1^paxT^^p ia-/v6?, XeEi?XiTY]xal d^eXTQ?, oratores tenues, acuti, subtiles, versuti, humiles,summissi. — Lysias hat sich in schärfsten Gegensatz zuGorgias gestellt,mit Bewusstsein, auch in den panegyrischenReden hat er seinen Charakter festgehalten: also in der Wahlder Worte und im Ausdruck; die Rede des gewöhnlichenMannes wird nachgebildet — eine grosse künstlerische That!Und von der höchsten Schwierigkeit. Cic. orat. c. 76 sagtmit Recht: orationis subtilitas imitabilis illa quidem videturexistimanti, sed nihil est experienti minus. Dionys. censuravet.: ü)? dvaYiYvu)ax6|jL£vov (xev euxoXov vojxiCsaöai, j^aXsTCove6piax£aOai Ci^Xouv TceipwiJievoi«;. Enthaltung von der xpoTrixT]Xs^ig, man muss mit der xupia auskommen. Für jede Sachedas acht attische Wort. Kürze ohne Dunkelheit: die Erweiterungder Gedanken und Sätze durch nicht erforderlicheZuthaten, die TuepipoXv^, fehlt ganzj eine gewisse schlankeMagerkeit. Er hat die rednerische Periode (evaYcovio?), nichtdie epideiktische (hängt also von Thrasymachos ab). Er hatevdpYsia. Sodann yjöocj seine Redenden werden als einfacheschlichte Leute empfunden und theilen diese Stimmung mit.Die scheinbare Kunstlosigkeit in der Composition ist dasResultat der höchsten Kunst. In summa: eine unnachahmlicheydp^^ liegt über ihm, nicht eine geschmückte isocrateische,sondern die /dpi? eines Naturgewächses. (Wie elendempfinden das die Römer mit polita urbana elegans Cic.148'


Brut. 285, es klingt fast französisch!) Wenn er von demSchmuck antithetischer und paralleler Satzbildung vielen Gebrauchmacht, so sehen wir, dass dies damals zur populärenRedeart gehört und recht athenisch war: wie auch Euripideszeigt. Berühmt und mit vollem Bewusstsein geschrieben waren \/auch seine Briefe (bei den Alten gehören diese ins Red--nerische).') Lysias ist eins der feinsten Erzeugnisse desathenischen Kunstgeistes: was für eine Bahn war von Gorgias'poetischem Stil bis zu dem des Lysias zu durchlaufen!Vereinigung von Bewusstheit und Naivetät ist immer mit ^^das Höchste, aber schwer zu erreichen, direkt fast nie, erstauf langen Umwegen und Abirrungen j der gewöhnhcheGeschmack verabscheut die Schlichtheit als „langweilig";während der edelste einen Widerwillen gegen das Ueberladeneund Gewürzte hatj immer aus einer gewissen Reaktionheraus entsteht das genus tenuej wie auch die Bewunderungdes Lysias immer ein solches Gefühl zur Voraussetzung hat.Isocrates, Sohn des Theodoros, aus Athen: das war einBürger mittleren Standes, der eine Flötenfabrik besass. Isocratesbekam die sorgfältigste Erziehung und zeichnete sichunter seinen Mitschülern aus (er sagt selbst, er sei unterihnen angesehener gewesen \ vüv Iv toi? au[nroXiTsuo|jL£voi?„Mitbürgern"). Dazu kommt der Einfluss von Prodikos, vonSokrates, vom Redner und Staatsmann Theramenes. Isocratesselber wurde kein Staatsmann und Volksredner: ihm fehltedie kräftige Stimme und die Unbefangenheit des Auftretens 5sogar im eigenen Hause stockte ihm die Rede, wenn einFremder hinzukam. Während seiner zwanziger Jahre verarmtsein Vater, bei den grossen öffentlichen Unglücksfällen inSicilien, dem Seekrieg um die Bundesstädte Athens — wermochte da Flöten kaufen? Er geht nach ThessaHen zu^) [N. denkt wohl an die Xo-jOi eTciaxoXixoi Dion. Hai. Lys. I p. 9 U.— R.]


jGorgias, um sich einem Meister der Rede anzuvertrauen undXoyoYpd'fo? später zu werden. Gegen 400 ist er wieder in Athen,es gab einige wenige Gerichtsreden von ihm. Später, als erberühmt geworden war, fälschte man massenhaft, Aristotelesweiss von ganzen Bänden zu erzählen, welche die Buchhändlervon Isocrates' Gerichtsreden feilboten, zum Verdrussvon Lehrer und Schülern. Er war ein viel zu sorgsamer undlangsamer Autor, als dass er hier hätte Gewinn finden können:und die schhchte Gattung widerstand ihm. So wurde erzum Lehrer. Früher hatte er geleugnet, dass durch Theorieetwas zu gewinnen sei für die Rede, jetzt ändert er dieMeinung: Natur und Uebung sei das Erste, Theorie dasZweite. [....] Sein Programm ist die Rede gegen die Sophisten jdarin bekämpft er die Conkurrenten, er will die gesammtedem Leben erforderliche Bildung geben: so weist er dieDialektiker und Eristiker, die Jünger des Protagoras, zurückseinen Rivalen, den Rhetoren, wirft er vor, sie verhiessenzu vielj seine Theorie könne nichts als den Begabten dasAuffinden der Gedanken erleichtern und die minder Begabtenetwas über sich selbst hinausführen. Nun findet er baldseine eigene Meisterform, auf die er nachher so stolz ist,Xo-^oi, ivelche zugleich ^EXXrivixoly tcoXitixoi und Tza^ri-^opi-üolsind, wie er selbst sagt, und der Poesie naher als die gerichtlichen.Bis dahin hatte die Kunstrede meistens ein absurdesoder paradoxes Thema, war eine Spielerei; man wollte sicheinmal frei ergehen lassen und seine Kunst geniessen. NurGorgias zeigt einen höheren Ansatz. Vollender ist Isocrates.Die Rede gilt ihm als die Ursache aller höherenBildung, auch der sittlichen: denn „die halten wirfür verständig und weise, welche sich mit sich selbstam besten über die Dinge zu besprechen wissen". Sonimmt er das Wort ^iX6oocpo? und aocpo? für seine Bildungvornehmlich in Anspruch. Wir übergehen seinen Kampf16


5mit den Philosophen, zumal mit Plato, von ihm war schondie Rede. Er steht auch in Widerspruch zu den Dichtererklärernund Antiquaren der Zeit. Er hält Epos und Tragödiefür (l^u^aytoyia Unterhaltung, gegründet auf die Vorliebeder unverständigen Menge für Fabeln und Kampfschauspiele,er verachtet die Komödie. Die berühmten Dichtervverke,ohne Metrum wiedergegeben, würden viel geringer erscheinen.Er ist der fanatische Prosaiker. Sein Schüler Ephoros hatsogar gesagt, die Musik sei unter den Menschen eingeführtETC a-Kaxi^i xai -{oriida, Isocrates selber sagt vom Musiker, alteMänner hätten keinen Verdruss und junge einen angenehmenund nützlichen und ihnen angemessenen Zeitvertreib. [. . .]Das isocrateische Kunstwerk, durch das er diesen ungeheurenErfolg hatte, steht uns fremder gegenüber als etwa die DemosthenischeRedej wir hören zu stark auf die Gedanken,finden diese nicht tief, staatsmännisch, philosophisch genugein wenig Mittelgut! und wir begreifen die Wirkung nicht,die sie hatten. Selbst für die Form haben wir keinen Sinnmehr; das mag daher kommen, weil wir an viel stärkereWürzen und Contraste gewöhnt sind und allesammt demasianischen Genuss der Rede huldigen.Dafür hat der grössteProsaiker des Jahrhunderts, Leopardi, ihn übersetzt undsich an ihm gebildet, er, der sagen konnte, treffliche Prosasei weit schwieriger als treffliche Verse j die Poesie gleicheeiner prächtig geschmückten, die Prosa einer unverhülltenFrauengestalt. Plinius aber sagt von der Skulptur: graecasimplicitas est nihil velare. Darin besteht die Schwierigkeit.So erscheint uns wohl der Stil des Isocrates, mit dieser simplicitas,quae nihil velat. Für die noch feineren Ohren derGriechen war er schon geschmückt und verhüllt, gemessenam lysianischen Stil. Es ist die epideiktische Art. Diese will /auf den Leser wirken j man kann sich so das Bild des griechischenLesers aus Isocrates Zeit vorstellen, einen langsamen2 Nietzsche V 17


Leser, der Satz für Satz einschlürft, mit verweilendem Augeund Ohre, der eine Schrift wie einen köstlichen Wein zusich nimmt, alle Kunst des Autors nachfühlt^ für den zuschreiben noch eine Lust ist, den man nicht zu übertäuben,zu berauschen, fortzureissen hat, sondern der wirklich dienatürliche Stimmung des Lesers hat:der handelnde, der leidenschaftliche,der leidende Mensch ist nicht Leser. Ruhig, aufmerksam,sorgenlos, müssig, ein Mensch, der noch Zeit hat— ihm entspricht die gerundete, ebenmässige, vollere Periode,der schlichte Wohlklang, die nicht allzu gewürzte Art vonKunstmittelnj aber es ist ein Leser, der als Hörer der praktischenRede geübt ist, und der bei der Ruhe des Lesensnoch schärfer hinhört,durch keine dramatische Leidenschaftdes Vortrags fortgerissen wird; ihn darf man keinen Hiatusmehr hören lassen, er wird auch die rhythmischen Gebildemit dem Ohre abschmecken, ihm geht nichts durch. DieKunst des Isocrates setzt voraus, dass damals schon deri}Leser existirtej der nimmt nun mächtig überhand, und ihmentspricht nun auch der Schriftsteller, der nicht mehr an denmündlichen Vortrag denkt. Dann ist die feinstej anspruchsvollsteArt des Hörens und die axpißsaxdiT] Xe^i?, die desSchreibens gegeben. (Bei uns ist der Leser fast gar kein Hörermehr, und deshalb arbeitet einer, der den mündlichen Kunstvortragim Auge hat, jetzt sorgfältiger: verkehrte Welt!) —Wie erreicht nun Isocrates den klassischen Lesestil? Er thutvom epideiktischen Hör-Stil der Meister vor ihm das Zuvielab, vom Figurenputz, den kühnen Metaphern des Gorgias,vom Allzurhythmischen des Thrasymachus. Also er entferntden Stil um eine Stufe weiter vom poetischen. Er fügt demZuwenig etwas hinzu, nämlich der Composition des Gorgiasund Thrasymachus mit ihren kurzen Satzgliedern: er fülltdie Periode, macht sie runder, ruhiger, beseitigt also diedramatische Lebhaftigkeit der uTroxpioi?, die den Stil der Periode18^


estimmt hatte j das ziemt sich für den Lese-Stil nicht. Inbeiden Beziehungen kann man ihn furchtsam und ohne kräftigeTöne nennen, wie Dionys von Hahkarnass, thut ihmaber Unrecht, er hatte eben an seinen Athenern ein Maass.Der Athener der Zeit des Demosthenes war bereits verändert.Es war die mühsamste Arbeit nöthig, ein fortwährendangespanntes feinsinniges Hören und Wägen, bei jedem Wort,jedem rhythmischen Gange j die Wahl der Worte hat ihmDann das Vermeidendie meiste Zeit gekostet (wie Euripides).des Hiatus, aus der Kunst des tragischen und komischenDialogs entnommen. Dann das Streben nach Rhythmus unddas Vermeiden des Metrons. Doch wieder Scheu vor unnatürlichenWortstellungen. Endlich der Bau der xwXa undder TrepvoBoimit ihren rhythmischen Gesammt -Verhältnissen,aus der rhythmischen Theorie herübergenommen. Alles dieszusammen bildet eine Kunst der Prosa, die sich ganz scharfvon der poetischen abhebt, während früher, bei Gorgias, dieProsa bei der Poesie in die Schule ging. Die Affekte sindferngehalten, Erschütterungen, verbunden mit Schlauheit,Ironie, Hohn, das fehlt alles, überhaupt die belebenden Figuren— das gehört nicht in den Lese-Stilj wie es übrigensauch Thukydides, trotz seiner Themata, grundsätzlich vermeidet.Das Yjöo? herrscht durchaus. Ganz gross ist der Bauder Reden selbst, die alte Steifigkeit der Anlage ist überwunden,eine Menge feiner Contrastwirkungen sind ausgedacht,das Geheimniss der Episode, der retardirenden Motiveerkannt, der Künstler spielt mitunter mit der Schwierigkeitder Aufgabe, Verschiedenes zur Einheit za verknüpfen. —Nun hat man später sich in Vergleichungen zwischen Demosthenesund Isocrates erschöpft, zu Ungunsten des letzteren,es läuft aber nur auf die Differenz des agonistischen undgraphischen Stils hinaus, es ist absurd. Jemanden zu tadeln,dass er streng innerhalb der Grenzen seines Kunstbereichsi* 19


leibt. Man fand ihn einförmig, von Einer Tonart, nachdemman durch das Dramatisch -Wirkungsvolle bereits überreiztwar und die zartere Mannigfaltigkeit nicht mehr nachfühlte,innerhalb einer absichtlichen Beschränkung auf Eine Grundfarbe.[. . .]Isaeus [. . .]. Starke Aehnlichkeit mit Lysias, nur dassdieser strebt japdvTnic, er aber Beivw? zu reden. Er beginntden Gedanken künstlerisch zu formen und rednerisch zufärben und ist der Uebergang zu Demosthenes. Die Gerichtsredeentzog sich dem Einfluss der Kunstprosa nichtvöllig, aber auch der Affekt der Staatsrede drängt sich ein.Eine gewisse erkünstelte Schlichtheit: der schlaue Advokatdenkt sich in den Biedermann hinein^ der iBküty]? bei Lysiasist Original, nicht wie hier Copie.Lykurgus [...]. Von altem Schrot und Korn, freimüthigschlicht, hart gegen sich, Feind von allem Luxus; in derVerehrung gegen Aeschylus, Sophocles, Euripides (eherneBildsäulen) schützt er die alte Cultur, die ihm ans Herzgewachsen} ebenso mit der Vorschrift gegen die Verfälschungendurch Schauspieler. Ein edler Reaktionär.Hyperides, nach dem Urtheil der rhodischen Schule überDemosthenes gestellt. [. . .].Wir kommen zum grössten Genie der athenischen Rhetorik:Aeschines, nicht von gemeinster Abkunft,') 393 geboren^') Denn Demosthenes schwindelt in der Rede vom Kranze und stehtmit den früheren Angaben (Rede von der Gesandtschaft) im Widerspruch;während zwischen diesen Angaben und denen des Aeschines kein Widerspruchist. Er ist vorvelmierer Abkunft als Demosthenes, aus dem Priesterstammder Butaden. Sein Vater Atrometos, mehrmals flüchtig, kämpftunter Thrasybulus für die Herstellung der Demokratie; er lebte inDürftigkeit und hatte seine Habe verloren, bis zum 95. Jahr — als Schulmeister,natürlich ohne die Mittel, dem Staat Liturgieen zu leisten. DieMutter war Athenerin und Priesterin bei den Mysterien, macht Reinigungenund Weihungen (ihr Bruder ein tüchtiger Feldherr zur See): widerlicheVerleumdungen von Seiten des Demosthenes in der späteren Rede, nicht20


„er kam nur auf dem ungeradesten Wege später doch zumathenischen Bürgerrecht", sagt Demosthenes und lügt! Erwar zuerst Schreiber und Gesetzvorleser bei dem StaatsrednerAristophon, dann bei dem Demagogen Eubulos; dem letzterenschloss er sich mit seiner Gesinnung an. Dann wurde erSchauspieler (Tritagonist), ohne Glück, ausgepfiffen. Dannthat er Kriegsdienste. 33 Jahre alt trat er zuerst als Staatsrednerauf.Ein gewisser Stolz auf mühsam erworbene Kenntnisseund feine Sitten tritt oft hervor^ Demosthenes schimpftauf seine diuaiSeuaia, nennt ihn a{xouao:. Eine schöne Stimmevon seltener Kraft und Fülle, Demosthenes hat schrecklichAngst vor ihr und ihrer Verführungs- Kraft; er hat sie in derüberaus sorgfältigen Modulations-Technik der damaligenSchauspieler ausgebildet. Er hatte die zwei grössten Meisterdieser Kunst, Theodorus und Aristodemus, neben sich(letztererwurde auch wie andere Schauspieler in Staatsangelegenheitenals Gesandter benutzt). Aeschines selbst war einmalals Oenomaus (beim Verfolgen des Pelops) hingefallen undmusste vom Chormeister aufgerichtet werden. Er sei dannauf dem Lande herumgezogen mit anderen schlechten Schauspielern:daher dpoupaXoc, genannt. Ueber seine Bedeutungals Schauspieler hat Demosthenes wieder schrecklich geschwindeltund verläumdet. Immerhin: die grössten Künstler hattenihn neben sich geduldet. Er brachte seine Haltung mit aufdie Rednerbühne und zwar erschien er feierlich, näher denalten Rednern kommend beim Vermeiden der Hand-Gestikulationen,etwas Königliches, gegen den ganz erregtenDemosthenes } der sich schwer darüber ärgert (er wurdedargestellt wie Solon, die Hand in das Obergewand eingewickelt).Aeschines stellt den berühmten Staatsrednerin der früheren; er überträgt allen Unrath, der sich an Geheimkultehängt, auf sie; in der Feindschaft ist auch Demosthenes ein verlogener ^boshafter Gesell. [Nachtrag an der Seite.]21


Leodamas der Kunst nach über Demosthenes. Er selbst hatdas Hochtönende und Feierliche des Pathos, ocpoSpöiv]?, xpaptY]?,glänzende Art zu erzählen, dabei giebt er sich denAnschein des Schlichten und Einfachen, als ob er sich nurI gemischte)von dem Sachverhalt leiten liesse. Darin sind alle diesei Redner gleich bemüht (alle praktischen!), die Kunst zu verstecken;weil sie, gemerkt. Misstrauen erzeugt, „wie gegenWeine", Arist. Rhet. III 2. — Die macedonischePartei in Athen, durch die Verhandlungen mit Philipp gebildet,bestand aus Rednern, welche sich theils ohne Weiteresin fremde Dienste verkauften, aus solchen, denen Ruheund Frieden um jeden Preis recht war, weil es so in ihrpolitisches System passte, wie Eubulos und Phokion, dierechtschaffensten Männer^ endlich aus solchen wie Aeschines,welche geblendet und getäuscht anfangs waren, aber nachher,als Philipps trügerisches Spiel aufgedeckt wird, ihm dochtreu bleiben; sie waren Gastfreunde Phihpps geworden,hattenkönigliche Geschenke empfangen und glaubten an dieUnvermeidiichkeit der macedonischen Politik, wie späterPolybius an die der Römer. Natürlich concedirten sie auchalle Mittel des politischen Vorgehens, wie damals alle Welt.Es waren nicht einfach Bestochene, sie sahen in der StaatsverfassungAthens ein unsinniges Treiben, das man abthunmüsse; so wie Plato darüber dachte, nur dass sie nicht aneinen idealen Staat dachten, sondern an den mächtigsten undtüchtigsten ihrer Gegenwart. —Inzwischen ist durch die vielen politischen Gerichtsverfahrendie gerichtliche Rede auf ihre Höhe geko7nmen, sie istnicht so auf Fernwirkung wie die Volksrede berechnet, siesoll auf scharfsinnige Richter wirken. Bei wichtigen Dingensind aber die meisten Bürger zugegen, auch viele auswärtigeHellenen, z. B. als Aeschines sich über seine Gesandtschaftwider Demosthenes vertheidigt, und bei der berühmtesten22


aller Gerichtsverhandlungen, der über die Bekränzung desDemosthenes. Hier kommt überhaupt die Beredsamkeit aufihre Höhe, diepersönliche Betheiligung und Gefahr beflügeltdas Talent, und von sich zu reden verstanden die Alten,wie nie zuvor und darnach. Ihr Bekenntniss, ihr Bild, welchessie in die Seelen der Zuhörer einmalen wollten, bekommteine unbeschreibliche Schärfe und Deutlichkeit. Aeschinesist der grösste Redner der Griechen, was die Begabung betrifft:dabei vertritt er eine Politik, welche die Sanktion desAristoteles erhalten hat, „Bund der hellenischen Freistaatenunter der Schirmherrschaft des macedonischen Königthums",und hat insofern einen tieferen Thatsachen-Blick als Demosthenesjüber das höhere oder niedere Maass von sittlicherKraft soll man nicht so leicht absprechen, aber Eins stehtfest: die rednerische Ausbildung des Demosthenes ist mächtiger,andauernder, er hat selbst seine Defekte in Tugendenverwandelt, während Aeschines zu reich begabt erscheint.Sodann fand Demosthenes die letzte Stufe der Beredsamkeit,der uTToxpioi; — er, der noch in seiner letzten Nacht sichals Schauspieler auf der tragischen Bühne träumte —, unmittelbar,bevor sie in Schauspielerei übergeht, und durchglühtsie mit seiner Leidenschaft, so dass sie noch natürlicherschien. Diese Art von Leidenschaft fehlt Aeschines, derdeshalb seine höchsten Wirkungen mehr im Pathos derWürde sucht (die Alten schieben es auch mit auf den Mangelan Ausbildung, wenn sie sagen, dass er mehr Fleisch alsMuskel zeige). Dafür hat er die Gabe des autoa/sBidCstv, waseher mit dem Mangel jener Leidenschaft zusammenhängt —eine Gr//w^strömung von kühler Besonnenheit macht dieImprovisation möglich, während eine Grundströmung vonFeuer ihr widerstrebt, oder ihren Erfolg verdirbt: Dunkelheit,Hast, Ueberstürzung der Motive sind dann die Folgen. Esist überhaupt über das, was man „natürliche Begabung für


etwas" nennt, meist zu leicht und vorschnell gedacht:oftmalsliegt eben darin ein grosses Hinderniss für die volle Entwicklung.Eine grosse Entwicklung braucht Licht und Schatten,Die 9 Briefe nannte man dieFülle und Mangel. [. . .]—9 Musen. — Er wird immer noch infam behandelt, umDemosthenes als Folie zu dienen 5und da schenkt man denperfiden Verlaumdungen des Demosthenes Glauben oder sagt,sie seien übertrieben, aber es Yägc ihnen etwas zu Grundeu. s. w.Demosthenes, Sohn des Demosthenes jdieser besass eineFabrik, wo Messerwaaren und Gestelle aus Elfenbein gemachtwurden; wohl 384 geboren.Es war ein schwächlicher Knabe,ungymnastisch, Spottname BctTaXo?, ungewisser Erklärung.Alser sieben Jahre alt ist, stirbt der Vater. Seine VormünderAphobos und Demophon bringen ihn um sein grosses Vermögen.[. . .] Fünf Jahre langen Kampfes quält sich der Jünghngmit Rechtshändeln, sieht sich beraubt, auch Mächtigenverfeindet — ein schwarzer Blick in die Welt. So war erum sein Jungsein betrogen, er fing das Mannesalter früheran. Er studirte bei Isaeus die Redekunst — der sein Anwaltwar — ; sein Autor Thukydides, das zeigt seine Auffassungdes Lebens! Dann wurde er XoyoYpd^o? und erhielt sich so:eiserner Fleiss, frühzeitiges Geschick. Unter den Reden, diewir besitzen, 30 in Privathändeln Xöyoi Sixavixoi iSkotixoI und12 in Staatsprozessen X. 8ix. 87](x6aioi. Fast alle Prozessredenfür Kläger geschrieben. Persönlich trat er vor Gericht auf354als auv-^yopo? des Ktesippos gegen Leptines. Zum öffentlichenRedner schien er am wenigsten berufen. Das entscheidendeEreigniss,was ihm, dem Knaben, doch dafür denAntrieb gab, war der Erfolg des Staatsmannes Kallistratos, alsdieser aus der oropischen Sache siegreich hervorging; ihnhielt er auch später in seiner dxfii^ noch für den besserenRedner, wenn er gehört werde, sehte Reden für besser, wenn24


sie gelesen würden. Hier haben wir eine Kritik seiner eigenen67c6xpiai?j sie hatte ihm die grösste Mühe gemacht und warnicht naturwüchsig, sie war seiner Natur durch unsäglicheArbeit angezwungen worden. Lernen von Schauspielernsteht voran: Neoptolemos, Andronikos werden genannt, auchder Komiker Satyros (er soll für ein Honorar von looooDrachmen Neoptolemos als Lehrer angenommen haben, umganze Perioden in einem Athem vortragen zu lernen). Eswar die Zeit der höchsten schauspielerischen Blüthe (mächtigsteAusdrucksfähigkeit!); aber der Geschmack wechseltrasch: die feineren Geister der Zeit waren mit seiner Aktionschon nicht mehr einverstanden, ebensowenig Aeschinesj ergefiel der Menge ganz ausserordentlich, aber der PhalereerDemetrios fand ihn als uTcoxpirrj«; utcottoixiXo; xal TrspitTo?, ouy(aTcXoüc o68e xata tov ys'^'^oiiov xpoTrov, aXX' e? xo jjtaXaxwTepov xalxareivoTspov aTtoxXivtov. [. . .] Kurz darauf trat die Reaktionzu Gunsten des Schlichten, Archaistischen ein. Nun ist aberseine ganze Beredsamkeit auf das Engste mit seiner schauspielerischenVortragsart verwachsen: Sichtbariverdenlassen jedesAjjektes ist das Ziell Es ist jede Angst verschwunden vordem Ausdruck der Leidenschaft: ein zehnmal gesteigerterEuripides. Schluchzen, Weinen, Donnern, Höhnen, die grosseTonleiter der Töne^ er konnte in derselben Periode den Tonzweimal massigen und zum Sturm anschwellen lassen. [. . .]Seine „Ssivott^?" ist die Kunst des festen Griffs, er packtund reisst und zerreisst. Und trotzdem muss er von der6Tc6xpiai(; noch ein höheres Ideal in sich gehabt haben! wiejene Worte über Kallistratus beweisen. Sehr bedeutend istdas Urtheil des Theopomp, Demosthenes sei unbeständig inseinem xpoTuo? gewesen und habe nicht lange Zeit bei denselbenDingen und Menschen weilen können. Höchst bezeichnendfür das flackernde Feuer seiner Natur.Theophrastverlangt von seinem idealen Volksredner gerade den Gegensatz25


der demosthenischen Natur jquam maxime remotus ab omniaffectione soll der sermo sein. —Bei der Bildung des demosthenischen Stils ist weder Isaeusnoch Thukydides zu unterschätzen, aber am meisten hat dochIsocrates gewirkt. Es ist, als ob er sich die Aufgabe gestellthätte, die isokrateische Prosa so viel von Leidenschaft undFeuer aufnehmen zu lassen, als sie ertragen könne, so dasssie jetzt zum agonistischen Vortrage brauchbar seij dannmeinte er gewiss die mächtigste Prosa der Welt zu haben.Daher die Meidung des Hiatus, die isokrateische Eurhythmieder Periode^ aber natürlich straffe Zusammenziehung des Gedankens,im Gegensatz zu der lockeren geschwellten Periodedes Isocrates j auch nicht nur lauter Perioden, wie Isocrates,sondern dazwischen viele kurze Sätzchen und Kommata.Gerade solche Stellen sind wegen ihrer dramatischen Kraftgerühmt, wo Frage Antwort, Einwurf Widerlegung, BedingungFolge, parallele einander drängende Fragen sich rasch,ohne Conjunctionen ablösen 5 hier ist die Steigerung der Lebhaftigkeitauf ihrer Höhe. Es ist durchaus kein Lese-Stil, nichtfür müssige betrachtende Menschen. Aristoteles ist fernedavon, seine Reden überhaupt zu der griechischen „Litteratur"zu rechnen. Es ist, wie wenn sich ein Krieger vorherals Athlete ausgebildet hätte und nun, im wirklichenKampfe, gleichsamnur unabsichtlich seine Kunst verwendet,alles dvaYxatov wird jetzt leicht, natürlich, geschmeidig erscheinen,alles Spielerische und Prunkende, was in jeder reinenepideiktischen Kunst steckt, ist durch den hohen Ernst umdie Sache verbrannt und verkohlt. Man vergisst es fast, dasser alle Arten der Beredsamkeit durchgeübt haben muss, inallen Stilen reiten können muss, um diese fast naturalistischerscheinende Volyphonie des Stils und der Affektrede in derGewalt zu haben. Und gerade, weil man dies leicht vergisst,war ein philosophischer Grieche wie Aristoteles und2(5


Theophrast ferne davon, ihn als Künstler ernst zu nehmen:vom erreichten Höhepunkt der attischen Prosa sprach, scheintes, niemand damals. Der grosse „Stil" ist schwer zu erfassen:es ist wunderlich, wie die befreienden und vollendendenGenies einer Kunst, weil sie die Enge und die kleinenGattungsmerkmale, „Manieren", von sichabstreifen und sichin den Besitz aller Mittel setzen, leicht bei ihren Zeitgenossenden Eindruck von Naturalisten oder Virtuosen oder garDilettanten machen/) Theopomp hielt sich für den grösstenProsaiker, er meinte, der ungeheure zeitweilige Einfluss desDemosthenes auf die griechische Politik sei nicht im Verhältnisszu Demosthenes, er habe ihn nicht verdient^ offenbartaxirte auch dieser grosse Kenner das Talent des Demostheneszu niedrig.[üeber die Politik und die Schicksale des Dem.osthenes.]Von 6$ Reden sind 6\ erhalten, darunter 17 aufxßouXsunxoi(unter ihnen 12 philippische; die 7. ist von Hegesipp gehalten,früh schon einverleibt, da die unechte 11. sie benutzt.Unecht auch die 4.). Dann 42 oixavixoi, 12 davon staatsrechtlich,30 iBiu)Tixoi privatrechtlich, darunter Trspi oTSfpavou,das grösste Meisterwerk aller Beredsamkeit. Von den Privatredensind als unzweifelhaft echt anzusehn: die 4 Vormundschaftsreden,für Phormion, gegen Pantainetos, gegen Nausimachos,gegen Boiotos i, gegen Conon. Sie haben keinebestimmte Manier, sondern zeigen die vollste Beherrschungaller Stile und Methoden, unterscheiden sich deshalb sehrunter einander. Werden schlichte Naturen vorgeführt, soerscheint keine Lysianische Schlichtheit, das versteht sich:die rednerische Anspannung lässt auch da merken, wieder mächtige Bsivo? ^-/JKop hier nur eine Maske vornimmt.Theophrast fand Demosthenes als Redner „der Stadt würdig", aberDemades „höher als die Stadt".27


5Gewandtheit und Schlauheit tritt, wie bei Isaeus, hervor: manhat die Bemerkung gemacht, dass Demosthenes und Isaeus,auch wenn sie recht haben, etwas Misstrauen einflössen. —In summa: man verehre in Demosthenes einen durch einegrosse Leidenschaft edelsten Ranges durchglühten Menschenaber man hüte sich zu glauben, dass er ganz ausserhalb desMaasses athenischer Sittlichkeit stehe.') Ebenso ist über seinenpolitischen Verstand nichts zu übertreiben;seine Mittel sindübrigens die Mittel aller damahgen Redner und Politiker, erist darin kein Idealist. Es ist ganz unbillig, Aeschines alsFolie zu Dem.osthenes zu behandeln; weder der Mensch nochder Künstler gestatten dies.'') Auch thut man Unrecht, dasathenische Volk nur im Gegensatz zu Demosthenes sich zudenken, es war doch eine gewaltige Begeisterungs-Fähigkeitnoch in ihm, so dass sich Demosthenes nicht als ein DonQuixote vorzukommen brauchte. Die stürmische Luft derathenischen Demokratie trägt seine Rede in die Höhe; wiesie wieder diesen Sturm heftiger und entscheidender macht.Der Abstand gegen die folgenden servilen gedrückten Zeitenist gewaltsam; wie in Athen nichts ruhig ineinander verlief;es ist eine Stadtgemeinde mit einem rfioc, oiaataXxixdv.Sehr interessant ist nun der Verfall der Beredsamkeit unddes Kunststils. Dinar chus, geboren 361 zu Korinth, lebtezu Athen und schrieb Reden für andere, besonders für diemakedonische Partei, sehr thätig als Werkzeug Antipaters undwährend der Herrschaft des Demetrius Phalereus. [. . .] Erist Nachahmer ohne eigenen Stil, der bald Hyperides, baldLysias, bald Demosthenes vor sich hat — ein gewöhnlicher*) In den Waffen war er nicht taktfest und gegen Bestechungen (vonPersien her) nicht fest genug, glaubte man.nicht') Er übertraf die Redner seiner Zeit an aperi^, kam aber den Altengleich.28


Vorgang bei der Blüthe einer Kunst, dass begabte reproduktiveTalente hin und her gezogen werden und eine grosse Fertigkeitzwischen verschiedenen Stilarten erlangen — immeraber ein Nachtheil für die Kunst, weil sie äusserlich zu denverschiedenen Stilen stehen: beim grossen Künstler ist derStil aus ihm gewachsen, mit Nothwendigkeit. Hier aber istes, als ob man einen Stil wie ein Kleid anziehen und ablegenkönne: solche Künstler verderben das Urtheil undGefühl. [. ..]Demades, von niedriger Herkunft, von schamlos gemeinemCharakter, ohne Bildung, von Natur mit glänzender Redegabeausgestattet, an Helligkeit des Kopfes setzte man ihnüber Demosthenes, tritt öfters an die Spitze des Staats undleistet ihm nicht unwichtige Dienste. Er ist der Improvisator— in jeder Kunstblüthe giebt es reproduktive Talente,die auf dem Grunde einer hoch entwickelten Kunst undallverbreiteten Technik durch momentanes Qu^asi-Schajfenin Erstaunen setzen. Er war klug genug, nichts niederzuschreibenund zu veröffentlichen. Eine Menge treffenderMetaphern und Witze stand ihm zu Gebote. Doch stahl erauch Witze von Ackeren, z. B. von Hyperides. Als er eingesetzwidriges (J;-^cpia{xa einbringt und Lykurg ihn fragt, ober nicht in die Gesetze gesehn habe, sagt er: „nein, siewurden durch die Waffen der Macedonier verdunkelt."Aber das hat Hyperides vor ihm gesagt. Er sagte von Demosthenes,er gliche darin den Schwalben, dass diese mitihrem Zwitschern im Schlafe stören, ohne doch durch ihrWachen (wie Hunde) zu nützen. Er machte sich ein grossesVermögen durch macedonische Bestechung, und gefragt, waser damit mache, hob er das Gewand auf, zeigte auf xoiXiotund aiSoia und sagte: xi av to6toi? Ixavov Yevoiio;Demetrios von Phaleron, Regent Athens unter Kassandros,später Mitordner der alexandrinischen Bibliothekj29


sein Lehrer Theophrast, er gehört zur peripatetischen Schule.Der grösste Meister des Luxus, der eleganteste Mensch derZeit, in Kleidern, Salben, Schminken, Hausgeräth, Umgangsformendie erste Autorität und wie ein Gott verehrt —aber auch hierin noch ein Athener, kein Aegypter oderSyrer. Die uTroxpiaic des vornehmen, gebildeten und elegantenMannes bildete sich auch einen Rede-Stilj hier ist Athennoch produktiv. Er fand Demosthenes zu schauspielerhaftund zu wenig vornehm^ also ruhiger, „würdiger" ist dasAuftreten und Benehmen, lässiger und anmuthiger zugleich:die philosophische Feinheit des Denkens kommt als Reizmittelin die öffentliche Rede. Cicero de off. I 285 sagt:mihi quidem ex ilUus orationibus redolere ipsae Athenaevidentur — gewiss ein verführerischer Duft! Er ist parumvehemens, aber dulcis, der angenehmste und geschmückteste,aber am wenigsten kraftvolle Redner.Eine hoch verfeinerteZuhörerschaft, der politischen Aufregung müde, eine ganzeStadtgemeinde, welche jetzt an den Hör- und Schaukünstender epideiktischen Prosa Gefallen hat: ein verweichlichter,parfümh*ter Isocrates hat sich jetzt der Rednerbühne bemächtigt.Der Unterschied zwischen Leser und Hörer beginntsich ganz zu verwischen, denn die Hörer sind jetzt alledurch massenhaftes Lesen an die höchsten Ansprüche desStils gewöhnt und machen eine Feinschmeckerei daraus. Diepolitische Leidenschaft setzt sich jetzt in tausend ästhetischeMode-Streitigkeiten um.Da kommen nun auch die Reaktionenzuerst auf, bewusster Ueberdruss am Gegenwärtigen, versuchteRückkehr zum Einfachen als zu einem mächtigenReizmittel 5 das Wiederkäuen der Vergangenheiten beginnt.Der Athener Charisios wurde Lysianer. Man verlor dieProduktivität, und bald wurde Athen als Centralstätte derRhetorik überwunden, bald redete man in Athen nachasianischemMuster!30


jDie Redekunst zog sich natürlich scheu vor den Diadochenhöfenzurück,fand aber in den hellenischen und hellenisirtenStädten Kleinasiens Pflege und Umbildung: dort konnte sie sichvor Gericht und in Ecclesien noch wirksam erweisen. VonAnfang an hatte man in bewusstem Gegensatze zur attischenClassicität ohne Bedenken vulgäre und provinzielle Ausdrückein Menge aufgenommen, die straff'e periodische Gliederung derdemosthenischen Rede mit loser, oft zerhackter Satzbildungvertauscht, dafür aber weichliche Rhythmen, pretiöse Wortstellungen,schwülstige üppige Ausdrucksmittel, spitze geistreicheSentenzen bevorzugt. Hegesias, von Magnesia amSipylos, ist der Mann des Verhängnisses j er bezeichnet alsseinen Vorgänger Charisios, einen affektirten Lysianer nachDemosthenes (dessen Reden übrigens, charakteristisch genug,von einigen Kunstrichtern dem Menander zugeschriebenwurden).') Zwischen dem Stile des Menander und des Charisiosist also jedenfalls Verwandtschaft; und Menander bereitetedie asianische Beredsamkeit nach einer Seite vor, wieEuripides die lysianische. Was wollte man mit Lysias? Hegesiaserhob sich seiner Meinung nach weit über die Attiker:oder, nach Cic. Brut. iSd, er hält sich für so sehr Attiker,dass er jene paene agrestes hält. Flucht vor der Periode,kleine Sätze: somit stärkster Rhyth??ms im Kleinen fühlbarRückkehr zum Wh'kungsreichsten für die grosse Masse (alsob jetzt einer aus der grossen Periodik Beethovens undWagners zum viertaktigen Lied- oder Tanzrhythmus zurückgreift).In diesen Ideinen rhythmischen Gebilden aber allesRaffinement und Würze. Nur wenn er sich gehen Hess,schrieb er periodisch. Er bevorzugt die Rhythmen, die dasnicht attisch verfeinerte Volk gern hat, Trochäen, Tribrachys,Amphibrachys, Ditrochäus in der clausula.So schuf er einen^) [s. Quintil. X i, 70.]31


Rede-Stil für weniger feine und vornehme Ohren, aber fürdie ganze hellenistische Masse, und bezauberte ein paar Jahrhundertejebenso war er in überkühnen Bildern, Metaphern,geistreichen fremdartigen Wendungen stark- aufdringlich, erwar auf die direkte Wirkung aus und erreichte sein Ziel.')Sein Stil ist so etwas im Vergleich zum attischen wie diehellenistische Cultur im Vergleich zur hellenischen. Er fandein ungeheures Verlangen überallvor und fühlte wieder dieAttiker zu wenig diesem Verlangen entsprechend.Sein Verdienstist, eine universale Leidenschaft der ganzen hellenistischenWelt entdeckt und befriedigt zu haben j damitsteht er mächtig da, für alle Zeiten. Nie, bis diesen Augenblick,hat der Asianismus des Stils wieder aufgehört; es gabsehr bedeutende Gegenströmungen aus verfeinerten Gesellschaftsklassenheraus und noch viel gröbere und stärkereaus viel roheren Klassen, wo man nur die derbsten Mittelder Rede und des Stils spürt, oder wo man gar nicht hört.Aber so weit sich eine gebildete Gesellschaft jetzt wiederausdehnt, hat sie Lust am Asianismus, die Franzosen, erzogenin Cicero und dem römisch modificirten Asianismus, habendie ganze Welt daran gewöhnt. Hüten wir uns also, zuspotten: de te fabula narratur. Es hat ungefähr ein JahrhundertZeit gebraucht (letzte Hälfte des 3. und erste Hälftedes 2. Jahrhunderts) j da erscheint der Asianismus (zweiteHälfte des 2. Jahrhunderts) in vollem Siege, übermächtigeja, zum Zeichen seiner Herrschaft, sogar schon eine Reaktionwo man wahrscheinlich vorher am kräftigstenan einem Orte,davon ergriffen war, in Rhodos. Das Unterrichtsmittel desAsianismus, in Athen ganz unbekannt, ist die Deklamationsschule:Aeschines soll zuerst das 'PoSiaxöv oiSaaxaXeiov gegründet^) Longin. r. \i^. 3, 2 sagt von ihm und seines Gleichen: TroXXa^o'jYOip ivöouaiav 4autoU SoxoGvTe; ou ßax^^euouJiv aXXa TtaiCouaiv.3i


haben; rein praktisch, Uebungen in erdichteten Rechtsfällenund berathende Reden } der Unterschied zwischen der berüchtigtenDeklamation der Kaiserzeit ist der, dass bei jenendas Deklamiren Selbstzweck war, bei diesen Asianern Uebungsmittelfür wirkliche Fälle. Aber wichtig ist, dass man nichterst die Grundlage einer allgemeinen Bildung suchte („dasphilosophische",wie es Dionysios bei allen Athenern findet),sondern direkt auf Rede -Virtuosität ausging. So gewann manmehr Zeit für die Vorbildung und wusste ganz bestimmt,was man wollte: Erziehung zum Rede-Virtuosen. Das war dieSpitze der hellenistischen Cultur. Man denkt an sofortigeWirkung, das Herausgeben von Reden tritt zurück. Es gabim Ganzen zwei Richtungen innerhalb des Asianismus, einegeistigere und eine sinnhchere. Cic. Brut. 325: „unum (genus)sententiosum et argutum, sententiis non tam gravibus etseveris quam concinnis et venustis", ein pikanter Feuilletonstil,mit eleganten und geistreichen Einfällen gestopft. Dasandere genus ist wortreich, überladen, schwülstig,hinreissend,betäubend — Cicero findet bei einem dieser Richtung admirabilisorationis cursus. Cicero hatte sein grosses Gefallenan dieser Gattung. In weniger eleganten Gegenden wurdedaraus opimum quoddam et tamquam adipatae dictionis genus.[Cic. or. 25.] Dabei ein Vortrag mit üppigen gezierten Mienenund Gesten, mitunter ein wahres Singen und Heulen. Karienist am fruchtbarsten an berühmten Asianern.Reaktion in Rhodos Ende des 2. Jahrhunderts. Unter Apolloniosund Molon (beide aus Alabanda in Karien gebürtig)griff man auf attische Muster zurück und verlangte reinereDiction, strengen Periodenbau. Man schloss sich speziell andie ungeschmückte jp.p\.c, des Hyperides an, mit der Zuthateiner gewissen rhodischen Geistreichigkeit und Schärfe. Demosthenesist nicht geistreich. Die Bruchstücke vom Geschichtswerkdes Posidonius und namentlich die eingeflochtenen3 Nietzsche V 33


Demegorieen geben ein Bild dieses besseren (?) Geschmacks jin dem freilich Dionys v. Hahk. nur eine verkehrte Art derNachahmung findet. Eine atticistische Reaktion in Athen selbstwird durch Gorgias(der den jungen Cicero eine Zeit unterrichtete)vertreten. Wir kennen ihn aus dem Auszug desRutilius Lupus „über die Redefiguren", der die 4 Bücher desGorgias in eins zusammengezogen, nach Quint. 9, 2. Ammeisten die alten Klassiker benutzt, dann aber auch Charisios,Hegesias und die Asianer, es ist also mehr ein Eklektiker.Um diese Zeit bilden sich alle möglichen Moden aus, es gabextreme Thukydideer (als Redner!), Xenophonteer, Platoniker,Isocrateer u. s. w. Alle haben gemeinsam, dass sie mit denFehlern der Meister prunken. Dionysios v. Halik. verwirftalles dies Reaktions- und Modewesen en bloc: mit Recht.Eine Art Reaktion liegt auch in dem grossen RhetorikerHermagoras von Temnos, der eine höchst subtile Kunstlehreerfindet und dabei auf die kunstmässige Erziehung derAlten viel zurückgreift: aber es ist ein altersmüdes scholastischesspitzfindiges Wesen an ihm, das immer mächtigerum sich greift und dem Keiner entgehen kann. — So schienes denn vorbei zu sein — bei den Griechen selbst.Auf der Grundlage der römischen Beredsamkeits- Entwicklung,also einer geioaltigen neuen Kraft, ist es erst zu einembedeutenden Kampfe zwischen Asianismus und Atticismusgekommen und zu einer theilweisen Wiedergehurt des letzteren.Quintus Hortensius wagt es a. %^ die asianische Redeweisevöllig nach Rom zu verpflanzen und bringt sie zur Herrschaft.Höchst genau und sorgsam, zumal in der Disposition,in der Glättung und Cadenzirung der Perioden^er vereinigtebeide Gattungen des asianischen Stils, und dazu kam noch einehöchst lebhafte theatralische Vortragsweise (motus et gestusetiam plus artis habebant quam erat oratori satis, Cic. Brut.303). Die Alten waren erzürnt und höhnten, die jüngere34


Generation war in Entzücken, die Masse in Aufregung.Geschrieben erschienen die Reden unbedeutend. Cicero hatnun das unermessliche Verdienst, die klassische Sprache derrömischen Weltkultur gefunden zu haben; nicht unrömisch,nicht asianisch, nicht attisch, auch nicht alt- und engrömisch—eine bezaubernde Mischung, die nicht durch Eklekticismusallein erklärt werden kann, sondern aus einem wirkhchen^Oo?, einer ganzen geistigen Prädisposition, wo jene verschiedenenStröme in einen geflossen sindj die Erzeugungder ciceronischen Sprache ist eine der mächtigsten Culturthaten,es lohnt sich, dass der Künstler — das war er javor allem — unsäglichen Fleiss verwendete und sich endlichunsäglich bewunderte: was auch Julius Caesar that. Er isteiner der grössten Rhythmiker, die gelebt haben j man mussihm deshalb sehr viel verzeihen.') Die römischen Atticisten,die in der Theorie ihm gegenüber tausendmal Recht habenmochten, erlitten auf dem praktischen Gebiete nur Niederlagenund sahen sich zurückgesetzt^ sie hatten einen singulären„Geschmack", aber die tiefe Nothwendigkeit, geradeso und so zu sprechen, war nicht auf ihrer Seite. Das Hauptder Lysianer und Hyperideer ist Gaius Licinius Calvus,Redner und Dichter; durchaus nur gerichtliche Reden, keineStaatsreden im Senat und vor dem Volke. Er und seinePartei fand Cicero schwülstig, breit, in der Compositionüppig, entnervt und unmännlich, überhaupt als Asianum.Der römische Gaumen tvoUte starke Stimulantien, die Provinzenerst recht — darin hatte Cicero einen wunderbarenInstinkt.^) Zum Vergleich.- der fein abwägende Sinn der Griechen in den construktivenVerhältnissen ging bei der römischen Baukunst verloren: möglichstePracht der dekorativen Ausbildung. Darin wirkliche Grösse. Vielmissverstandene und umgedeutete griechische Formen sind unter den römischenversteckt, aber man wird die letzteren wegen ihrer prachtvollen,höchst energischen Wirkung bewundern. Nach J(akob) B(urckhardt).3*35


Die Begünstigung des Atticismus in Rom war für dieGriechen damals ein Signal, ihre Eitelkeit und ihre edlereNatur empfand den heftigsten Anstoss, um auch einmal demAsianismus das echt-hellenische Urbild entgegenzuhalten. Esist keine wirldiche Naturkraft — und Noth dahinter —, dennfür die Griechen veränderte sich nichts in ihrer Lage, wodurchdie Rhetorik besser, freier gestellt gewesen warej esist eine Reaktion und Mode, aber in ziemlicher Stärke. Dionysiusund Caecilius sind die Vorkämpfer; jetzterst wirdHegesias verachtet und misshandelt j man sah nicht eineniedrige Stufe der hellenischen Rhetorik in dem Asianismus,wie Cicero, sondern barbarische Verderbniss darin, es beginntein leidenschafthches Schimpfen auf die „Phryger" und„Karer". Andererseits nöthigten die Streitigkeiten der Atticistenuntereinander über ihre speziellen Meister zu einerund jeden-sehr feinen Abwägung und Schätzung derselben:falls verdankt man die bewusste Schätzung des Demosthenesdieser Zeit. Dionys hat dies zu Stande gebracht: er reinigteden Kanon von Antiphon, Andokides und Deinarchos undwurde allen andern ziemlich gerecht. [. . .] Beide wichtigfür die Fragen der Echtheit der älteren Reden.Beide wiesenauf das Praktische hin und — darin sind sie besonders befreiend!— zogen von den Subtilitäten der neuen Technographen— der Hermagoreer — ab. Wohl aber suchte mandurch SpezialWörterbücher über die zehn Redner nachzuhelfen}Caecilius hat den ersten Versuch dazu gemacht. Eswar in summa ebenso eine Reaktion gegen den schlechtenGeschmack des Urtheils, als den schlechten Geschmack inder Erziehung — g^g^'^ das Barbarische und Scholastische!Der Atticismus siegt bald überall: obwohl noch zahlloseasianische Deklamatoren überall, auch in Rom, lebten. In derersten Kaiserzeit ändert sich der Charakter der Beredsamkeitnoch nicht im Grossen: die Schulen in Athen verlorenl6


jetwas, der Zug der römischen Jugend ging nach Massiliaoder Asien, wo Tarsus von Rednern wimmelt. Berühmt auchdie Schule zu Mytilene (Lesbos), wo Timocrates — Lesbonax— Potamon (Lehrer und Freund des Tiberius) einanderfolgen. In Asien ist Theodorus aus Gadara Stifter der Sekteder ösoBiopsioi,') zu Rom mit Potamon in Streit verwickelt.Apollodorus aus Pergamum ist Stifter der pergamenischenSecte der Apollodorei (darunter Dionys. Atticus).Berühmterals alle Dio, Chrysostomus zubenannt, aus Prusa in Bithynien.In der Heimath verkannt geht er nach Rom, ist dortDomitian verdächtig, entweicht aus Rom und beginnt angeblichauf Rath des delphischen Orakels im BettlerkleideWanderung durch Thrakien, Mysien, Scythien und daseineLand der Geten, nichts als Piatons Phaedon und Demosthenes'de falsa legatione in der Tasche. Dann wieder nach Prusa,das ihm bald durch Kleinstädterei verleidet wird. Nach DomitiansErmordung a. 96 stimmt er die Grenzarmee zu Gunstenseines Freundes Cocceius Nerva und ging dann nach Rom,mit Ehren überhäuft. In Rom stirbt er, in hoher Achtungbei Trajan, 117 p. C. Es sind 80 Reden erhalten, wenig davongehört der ersten Periode an. Seine Form ist nachHyperides und Aeschines gebildet, die er als Muster selbstDemosthenes und Lysias vorzog. Er ist die erste jener glänzendenSophistengestalten, welche die ersten vier Jahrhunderteberauschten, und die in der vorhergehenden Welt nicht ihresGleichen haben. Von den Asianern trennt sie ihr Geschmack,ihre vollendete allgemeine Ausbildung, ihr Anlehnen an diebesten Muster, es sind reproduktive Virtuosen auf Grund derHeroenverehrung der grossen Alten, denen das ältere Hellenenthumvor der Seele schwebt, doch nicht ohne Rivalitätsie bringen dies in grösster dekorativer Pracht wieder vor^) Der Sektenstreit bezog sich auf Technisches : es sind auch Atticisten.37


Augen, sich selbst als harmonische überwältigende Menschenvorführend. Freilich lag ihr Accent in allem auf der Form,sie erzogen sich das formen süchtigste Publikum, das je dagewesen,und es diente gewiss mit dazu, das Alterthum auszuhöhlen.Gemeinsam ist ihnen eine sehr frühe Entwicklung,ein wechselvolles aufreibendes Leben, Dienstbarkeit beiFürsten, Uebermaass von Bewunderung, Vergötterung, vontödtlichen Feindschaften; grossentheils im Besitz von Reichthümernjsie waren nicht Gelehrte, sondern ausübende Virtuosender Rede und unterschieden sich dadurch von denHumanisten des 15. Jahrhunderts in Italien, die als dürftigeGelehrte noch schwerer lebten, aber ihnen sonst sehr ähnlichsehen. Es ist ein Excess des antiken Individualismus inihnen. Es ist eine Beredsamkeit, die nicht auf dem Bodendes politischen, des praktischen Lebens steht j das tiefereEingehen auf die Dinge, das Wissenschaftliche ist ihr fremd,ja feindlich. Dagegen wurde Alles, was erregt, hinreisst, entzückt,auf das sorgfältigste (für uns unbegreiflich!) studirtund eingeübtj zum Theil rechnet man wieder auf das feinhörigsteund rhetorisch bestgeschulte Publikum, das auch dieLösung der technischen Schwierigkeiten bis auf die Wahlder Worte goutirt und hier es zum Entzücken bringt. Daransteigert sich wieder die Selbstgefälligkeit des Rhetors, undso entsteht ein Zustand von genialer Begeisterung, an demgar nicht mehr recht zu scheiden ist, was unecht, affektirt,schauspielerisch,was Natur ist — jedenfalls verlor man dabeiseinen Verstand. Aristides z. B. schildert seinen Zustand:„ein seltsames Leben erfasst die Lippen und jedes Glied desKörpers, eine wundersame Mischung erfüllt sie von Trauerund Stolz, von Leidenschaft und Ueberlegung. FeurigeStrahlen giesst die Göttin vom Haupt des Redners aus, dieeinzige Quelle der Rede ist die wahrhaft heilige Flamme vonZeus, die den Geweihten dann nicht mehr ruhen lässt.*' „Da38


schwindelt es einem jeden Zuhörer vor den Augen, er weissnicht, wie ihm geschieht, sondern wie auf dem Schlachtfeldumhergetrieben gerathen sie ausser sich" u. s. w. In derWuth, alles Begeisternde und Aufregende an sich zu ziehen,nahmen sie auch auf die abergläubisch mystischen Triebeihrer Zuhörer Bezug, Visionen, Träume, Weissagungen,Mythen aller Art. Aristides kam durch eine lange Krankheitin Verkehr mit dem Asklepioskult und hat daraus sicheine Spezialität gemacht. Von Asklepios kommt ihm Alles jer erfindet eine Art des Selbstlobes: der Gott ist es, deraus ihm gesprochen 5 immer wieder erscheint der Gott, umihm zu versichern, dass er den grossen Alten gleich sei, ja,sie übertroffen habe.Diesegriechischen Sophisten überwältigen noch einmal diedamals modernen lateinischen Lieblingsneigungen und tretenan ihre Stelle. In Italien und den Ländern des Westensfeiern sie ebenso glänzende Triumphe wie in den altengriechischen Ländern 5weit hinaus über den Erfolg des altenehrenfesten Plutarch in Rom. Geborene Italiäner wie ClaudiusAelianus machten sich so die griechische Sprache zueigen, dass man geborene Attiker zu hören glaubte.') DasZiel ihresEhrgeizes war die Leitung der griechischen Kanzleiam kaiserlichen Hofe, dann Professuren in Athen oder diegriechisch-sophistische Professur in Rom an dem durch Hadriangestifteten Athenaeumj dann persönliche Beziehungenzu den Fürsten 5 so ist der ältere Philostrat mit den afrikanischenKaisern wie mit dem Haus Gordian befreundet;so schrieb er die Biographie des Apollonius von Tyana aufVeranlassung der Kaiserin Julia Domna; sein i^p(iyiy.6c, feierteeinen Lieblingshelden des Caracalla, Achill u. s. w. Besonderswichtig ist das Wiederaufblühen Athens von Hadrian an;') [Nach dem Urtheil des Philostratos vit. soph. II 34, das N. ernst zunehmen scheint.]39


5Marc Aurel gründet zwei öffentliche Schulen, eine philosophischeund einerhetorische, die erste mit vier Kathedern(nach den vier Hauptschulen), auf jedem zwei Vertreter, dieletzteremit zwei Opovot — das sophistische und das politischeFach. Die Professoren erhielten jährlich loooo Drachmen.Später stieg für jedes Katheder die Zahl der Lehrer bis aufsechs. Kraft kaiserlichen Willens wird der Name Sophistwieder zu Ehren gebracht. Ein ausserordenthcher Wetteiferentzündet sich. Das Hauptstreben der grossen Rhetoren gehtneben der Schulthätigkeit auf den Ruf brillanten Extemporirens,um ihre Schüler, etwa im Wettstreit mit fremdenBesuchern, zu stürmischen Huldigungen hinzureissen. Manunterschied zwei Schulkurse, einen propädeutischen (der enthielteine planmässige Vorübung in Stil und Deklamation,Studium der Alten, philologische oder praktisch-juristische oderdialektische Uebungen, Anleitung zum Extemporiren u. s. w.),dann das akroamatische Studium, der Genuss der regelmässigenVorträge des Professors und seiner Paradestückeman schloss sich gewöhnUch an Einen an. Man suchte beiden rhetorischen Professoren vor allem die formelle Bildung,aber dann auch positive Kenntnisse (Geschichte, Litteratur,Staats- und Rechtswissenschaft, Partieen der Naturwissenschaft,der Mathematik).[Herodes Atticus.Aelius Aristides.]Als Gegner allen Sophistenthums sehr wichtig Lucianaus Samosata, 130—200, früher selbst Sophist und Rhetor,z. B. in Massilia, wendet sich 40 Jahre alt zur Philosophieund Schriftstellerei (später Procurator von Aegypten), derWiedererneuerer des philosophischen dramatischen Dialogs,dabei Atticist; gegen 80 Schriften erhalten. Ein klassischerErzähler und Unterhalter vom besten Witz, dabei vom Feuerder Indignation40durchglüht.


[Folgt eine Aufzählung der bedeutendsten Rhetoren undSophisten bis Libanius, der „das letzte grosse Talent"heisst.]Bis 3(5o fällt die äussere Geschichte der Universität Athenmit der Reihe der grossen Sophisten zusammen: in jenemJahre fassen die Neuplatoniker dort festen Fuss. Im Anfangdes IV. Jahrhunderts ist ein kappadokischer ProfessorJulian aus Caesarea die Hauptperson. Dessen LieblingsschülerProaeresius aus Armenien j er kam sehr arm nachAthen. Imponirende Gestalt, geistreiches, schlagfertiges Wesen,hoher Fleiss: auf ihn vererbte Julian sein prachtvollesHaus und den Hörsal und wünschte ihn zum Nachfolger.Ein tumultuöser Kampf der Bewerber begann, Bürgerschaftund Studenten waren in grosser Aufregung. Als Objekt undUrsache steter Unruhen musste Proaeresius Athen auf Befehldes Proconsuls verlassen. Später erkämpfte er sich durchein ungeheures Paradestück, das auch die Gegner fortriss,doch die Professur. Er herrschte jetzt drei Jahrzehnte. DieAufregung milderte sich nicht, es kam zur berüchtigten „Rhetorenschlacht"unter den Platanen des Lykeion. Man drohte,drei Sophisten abzusetzen und den Libanius (später als diePerle aller Rhetoren in Antiochia soberühmt geworden, denleidenschaftlichen Gegner des Christenthums) zu berufen.Dann wurde aber die Stellung des Proaeresius immer fester,durch die Gunst der römischen Machthaber. Kaiser Constanslud ihn in sein Hoflager in Gallien und am Rhein. Dannentzückte er Rom, das ihn mit einer Statue in Erz ehrte.Er verwandte seine Gunst zum Vortheil von Athen, von daan regierte er ohne ebenbürtigen Nebenbuhler bis zu seinemspäten Ende. Libanius schlug eine Berufung aus, aus Klugheit.Der Einzige, der sich neben dem grossen Armenierbehaupten konnte, war Himerios, der Bithynierj er erwarb41


sich das attische Bürgerrecht, kaufte >ein Landgut in derNähe, liess sich in die Eleusinischen Mysterien einweihen;er wurde ca. 345 Professor. Die Zeitgenossen wussten, dasser ausser den Werken ihres vergötterten Aristides auch Demosthenesstudirt habe, sie rühmten die Eleganz seiner Redemehr als die Kraft, „die nur dann und wann die Würde derHoheit des Aristides erreicht habe". Er ist ein farbenreicher,überladener, üppiger StiUst, mit allegorischem und mythischemPomp. Er hatte sehr viele Zuhörer; er verglich seine Schulemit der des Isocrates, ja mit Delphi. Himerios erfuhr diegrosse Gunst des Kaisers Julian. Nach dessen Tode zog ersich für längere Zeit in die Verborgenheit zurück. Jetztwar wieder Proaeresius allein in der Hegemonie, er starb367, 91 Jahre alt. Im nächsten Jahre kam Himerios wieder.Es war eine schlimme Epoche für die Universität; es tratim grossen gebildeten PubHkum der ganzen Welt eine Wandlungein, die praktischen Studien drängten sich in den Vordergrund,das Behagen an dem antiken Pomp der Rhetorikschwand gründlich; Himerios ist der letzte der grossen Sophisten,und bald ist Athen für die Rhetorik auch nur einSitzder trockenen berufsmässigen Dressur.4*


Die dtado'/^aider Philosophen[Bruchstück. Vermutlich 1873 oder 1874]


Diejenigen Philosophen, welche, wie Plato und Aristoteles,die Entstehung von philosophischen Sekten, als von etwasganz Neuem, mit eigenen Augen sahen,konnten gar nichtauf den Einfall kommen, dass auch bereits die älteren vorsokratischenPhilosophen in einem solchen sektenmässigenZusammenhange gelebt hätten. Dagegen konnte ein alexandrinischerGelehrter, weil er die Philosophie als Sektenphilosophieum sich herum wahrnahm, kaum vor der Fragevorüber gehen, in welcher Weise jene älteren Philosophenunter sich im Zusammenhange gewesen sind. Dazu kommtdie ausserordentlich mächtige Neigung der Alexandriner,jedes Ding und jede Kunst alseinmal erfunden zu betrachtenund die Namen der berühmtesten Erfinder zu sammeln.Dabei leitete die ägyptischen Gelehrten das bewusste oderunbewusste Streben^ alle solche Erfindungen womöglich denGriechen zu entziehen und auf Barbaren zu übertragen. DiePhilosophie galt als erfunden, und die Erfinder mussten womöglichBarbaren sein. Nachher aber wird die Philosophieals überliefert gedacht: der Erfinder giebt sie seinem Schülerund dieser wieder einem Schüler in die Hände, und so setztsich die Kette der 8ia8o/T^ fort bis zu den philosophischenZeitgenossen jenerAlexandriner.Der Erste, der ein ausführliches Werk über die hiaho^rischrieb, ist der Peripatetiker Sotion; ihm müssen also auchdie wichtigsten Combinationen und Fictionen zugeschriebenwerden, durch die allein ein solches Gebäude möghch werdenkonnte. Dahin gehört vor allen Dingen die Scheidung einer45


:ionischen und einer italischen Philosophie: in der das Zugeständnissliegt, dass die griechische Philosophie ungefähr zugleicher Zeit zweimal erfunden sei. Sotion fand es unmöglich,Thaies und Pythagoras irgendwie von einander abhängigzu machen. Spätere Diadochen-Schreiber nehmen eine dreimaligeErfindung anj auch der Eleate Xenophanes erscheintdann an der Spitze einer solchen Kette j Sotion dagegenknüpft die Eleaten an die Pythagoreer an, und nur unterdieser Voraussetzung hat der Gegensatz von italischer undionischer Philosophie einen Sinn. Hätte Sotion wie jenespäteren Diadochenschreiber von vornherein auch eine eleatischehialoyji angenommen, so hätte er nicht von eleatischerund italischer Philosophie reden können. Der Ausdruckitalisch war nur erlaubt als Gegensatz zu ionisch, aber gewissnicht als Gegensatz zu eleatisch. Laertius bezeugt IX, 21ausdrücklich, dass nach Sotion Parmenides als Schüler derPythagoreer zu gelten hatj von Xenophanes trennt er ihnausdrücklich ab und versteht also Xenophanes als einen derOl a7üopdo7]v (Laert. IX, 20), während er den berühmtesten derol oTropdBTjv, Heraclit, zum Schüler des Xenophanes gemachtzu haben scheint (Laert IX, 5). Nachdem er die Eleaten unterdie Rubrik der italischen Philosophie gebracht hat, knüpfter die Atomisten wieder an die Eleaten 5 diesem Zweckedient es, wenn Leukippos als 'EXsdxY]? und als Hörer desZenon bezeichnet wird (Laert. IX, 30) j als Schüler des Leukipperscheint dann natürlich Democrit, als Schüler DemocritsProtagoras. Nach Protagoras finden wir bei Laertius IX, 52unvermutheterweise die Biographie des ApoUoniaten Diogenes.Niemals ist behauptet worden, dass dieser Diogenesin die Diadoche der Democriteer gehört} dieser Diogenesist vielmehr nur durch ein Versehen, nämüch durch eineHomonymen -Verwechslung, an diese Stelle gekommen. Dieszeigt die folgende Biographie, die des Anaxarchus (Laert. IX, 58)46


ouxoc, Sr/jxouas Aioysvou? tou Sjjiupvaio'j, oi 8e MyjTpoBiüpoi) louXiou; dieser Smyrnaeer Diogenes gehört allein in die Bia-So^V], nicht der Apolloniate/) Dies beweist die richtig erhaltene8ia8o)(75 bei Clemens Alexandrinus Strom. I p. 130Sylb.: Ar^iJioxpitou Se dxouaiai npcoTayopa? 6 'A^Br^pixT]? xaiMYjTpö8ü)po? 6 Xio?, ou Aioyev-^? 6 Sfxupvaio?, ou 'Avd^cipj^o?.Epiphan. adv. Haer. IIL Aio^h-qc, 6 2|jLupvaio?, xctict U xiva?xd aütd TU) rTpüjTayopa sSo^aas.") Eusebius de praepar. Evang.lib. XIV cap. I: Ssvocpdvou? hi dxouaTY]? IlapiisviBT]?, toutou Me-Xiaao?, ou Z-^vwv, ou Asuxitütto?, ou Ar^fioxpitoc, ou Upiaxa^opac,xal Neaad?, ou Aioysvy]?, ou 'Avd|ap/o?. Laertius oder richtigerDiocles hat eine Liste von oiaoo^ai benutzt, in der der nackteName Diogenes zwischen Protagoras und Anaxagoras stand.Um nun die Biographie zu diesem Namen hinzuzusetzen,schlug er im Homonymenbuche des Demetrius aus Magnesianach. Dieses aber hatte gerade den Smyrnäer Diogenes vergessen,wie dies auch noch aus dem sehr verkürzten Demetrius-ArtikelLaertius VI, 81 ersichtlich ist. Diocles glaubtealso, der von ihm gesuchte Diogenes sei der Apolloniateund schrieb über diesen aus Demetrius ab, was er vorfand,nämlich den Anfang der Schrift, Heimath und Vaternamedes Diogenes u. s. w. In einem zweiten von ihm benutztenHandbuche, den SiaSoxai des Antisthenes, fand er auch nurden Apolloniaten Diogenes und zwar kurz als Schüler des^) Dass der Apolloniate in einigem xira Aeuxirrov Xe^wv (Theophrastbei Simplic. fol. 6, r), gehört nicht hierher. Kai Ai07evr]; oe- 6 'AtcoXXcuvkx-T7); ayzobv vewraro; ysyovüj^ T(Lv Tiepl xaüra a^oXasivTcuv ta jj-kv nXeiJTa(ju[j.7re


Anaximenes verzeichnet. Eine ernstere Berücksichtigunghätte überdies der Apolloniate in solchen DiadochenUstennicht verdient, weil er ziemlich allein steht und ohne Schülerist. Jene Notiz aus Antisthenes nahm nun Diocles, verbandsie mit den Notizen aus Demetrius und hatte seinen ArtikelDiogenes fertig. Zu dem aber, was er dem Demetrius verdankt,gehört auch ein Citat aus der Apologie des Sokrates,die der Phalereer Demetrius verfasst hat: denn gerade dieseSchrift des Phalereers citkt Demetrius Magnes gern. cfr.Laert. IX, 155 IX, 36. Die ganze Biographie besteht also ausWorten des Antisthenes und des Demetrius Magnes. Seltenwird man so sicher die Methode gewahr werden, mit derDiocles seine Biographien verfasste. In den öiaooj^ai desAntisthenes muss jener Diogenes Smyrnaeus jedenfalls gefehlthaben: die Verbindung zwischen den Atomisten und Epikurwurde vielleicht so hergestellt, wie in der Liste Laert. I, 15:AT^|x6/piTo?, ou TcoXXoi jjiev ETC dvofAati öe Naüai'fdvYj? xal Nai»-ouuSyj;, ü)v 'ETCixoupo?. Der Smyrnaeer Diogenes und Anaxarchusscheinen nur von denen in die SiaSoj^-Zj aufgenommenzu sein, welche OuppcDv und seine Schule an die Atomistikanknüpfen wollten, wie dies zum Beispiel Alexander Polyhistorev oiaSoxaT? that (Laert. IX^ 61). Dieselben bezeichnenNausiphanes nicht als Schüler des Democrit, sondern desPyrrhon; Clem. AI. I, 130 Sylb.: Äva^app?, toutou 8s IToppcDv,ou NauaicpdvYjc, toutou cpaoiv evioi |iaÖT^T7jv 'ETCixoüpov jEvsadai.Laertius, der ersichtlich dieser BiaBo^TQ folgt, erwähnt nichtsvon dem Nausiphanes als einem Pyrrhonier. Er hat seinemganzen Werk aber, wie es scheint, gerade diejenige hiahoyjizu Grunde gelegt, die wir bei Clemens an der angeführtenStelle finden.Freilich hat er in der Vorrede sich einer andernAuctorität gefügt und scheinbar eine Anordnung des ganzenWerks versprochen, die wir nachher nicht wieder zu erkennenvermögen j § 15 zum Beispiel lautet die SiaSo-/"^:48


Oep£x68ou? nuOayopa?, ou TT^Xau'(r^c, 6 uio?, ou Ssvo^dvY]?. ImWerke selbst wird Xenophanes nirgends der Schüler desTelauges genannt, vielmehr tritt einmal Empedokles alsHörer des Telauges auf (VIII, 43), ohne dass in der Biographiedes Empedokles selbst sich etwas hiervon wiederfände.Diese wird vielmehr an die vorangehende des Pythagorasmit diesen Worten gefügt: Xsxtsov Be vüv irspl 'E[xtc£-SoxXsouc Trpwxov xaioc '(dp Tiva? IIuOaYopou Bii^xouasv; in derVorrede wird Empedokles gar nicht erwähnt, ebensowenighört man hier etwas von den 01 o7ropd8T,v. Die auffallendsteDifferenz aber hegt darin, dass er in jener (§ 14) ausdrückhchangiebt: xaiaXT^ysi 8e y] [xev (iwvixy] cpiXoaocpia) eU KXeixoiJLa^^ovxal XpuaiTCTtov xal ösocppaaiov; während im Werke selbst Laertiusdie ionische Philosophenreihe nicht mit Theophrast,sondern mit Lyco, nicht mit Chrysippus, sondern mit Cornutusenden lässt.Aus alledem ist ersichtlich, dass Laertius einem anderenGewährsmann in der Vorrede, einem anderen in der Anlagedes gesammten Werkes sich anvertraute und dass er, als erdie Vorrede schrieb, noch nicht wusste, wie er das ganzeWerk hinausführen werde. Es ist bereits nachgewiesen, dasser für grössere Theile der Vorrede die dvaypacp-?] tcüv cpiXoc6cp(üvdes Hippoborus verwerthet hat. Rhein. Mus. XXVp. 223. Dieser Hippobotus gehört nach meinem Nachw eis indas erste Jahrhundert vor Christi Geburt. Sein Buch wirdauch mit dem Titel irspl aipeaewv bezeichnet, und da ereinem strengen Begrüf des Wortes aipsoi? folgte und zumBeispiel die Pyrrhonier nicht als Sekte gelten Hess, so wirdwohl auch seine oiahoyyi von Pythagoras bis Epicur denNamen Pyrrhon nicht enthalten haben (Laert. I, 19). Wennalso der Name des Pyrrhon in der oiaoo/^ des Prooemiumsfehlt, so ist diese BiaSo^"^ vielleicht die des Hippobotus.Dieser Hippobotus muss vor allem als Gegner des Diadochen-4 Nietzsche V 4P


Schreibers Sotion gedacht werden 5er vertritt den griechischenUrsprung der Philosophie gegenüber dem barbarischen beiSotion. Beide werden IX, 155 zusammen citirt und verbürgendasselbe Factum um so mehr, weil sie, obschon Gegner,über dasselbeübereinstimmen.Sehen wir nun zu, wie die ionische SiaSo^^i^ zu ständegekommen ist und welche Mittel ihr erster Urheber, wahrscheinlichSotion, anwenden musste. Der wichtigste Schrittwar der, dass er Sokrates einen Lehrer gab, den Archelausund damit den Zusammenhang zwischen den sokratischenSchulen und den Vorsokratikern herstellte. Hierin scheinter sich an die Auctorität des Aristoxenus angeschlossen zuhaben.') Euseb. praepar. Evang. X, 14 erzählt, Archelaushabe die Schule des Anaxagoras in Lampsacus übernommenund sei von dort nach Athen übergesiedelt^ von einer solchenSchule kann aber gar nicht die Rede sein, ebensowenig vondem Schülerverhältniss des Sokrates zu ihm, worüber Plato,Xenophon und Aristoteles durchaus schweigen. Darüberurtheilt Zeller richtig I 844 und 791. Aristoxenus scheintes nur auf eine Verleumdung angekommen zu sein Laert. II, rpo5 xai Tcaioixa '(^viabai «pvjolv 'Apiaxo^evo?. Der Chier Ion erzähltLaert. II, 23: xal veov 2vTa de, Sdfiov auv Apj^eXdo) äizoßYjii'^aai.Am ausführlichsten Suidas: Apioio^svo? 8s 'Ap-^Mou^) Von Xenophanes heisst es IX, 1 3 : oifjxouae 6e xat' Iviou; [xev ooSevö?,xar hiom Bk Botcuvo; 'Adrjvaioo y), &; rtve;, 'Ap/eXaou; eine unbegreiflicheNotiz, vielleicht hilft etwas Laertius II, 16: 'Apyk'kaoc,, 'A&Y)vaToc t'j MiXt^sioc,iratpo; 'AKoXXoodjpoo, Jx; 6e xive;, Muowvo?. Dieser Mydon und jener Botonscheinen identisch, wie jener Athener Archelaus und der Sohn diesesMydon zusammenfallen. An eine Homonymenverwechselung ist kaum zudenken, da Demetrius nur noch einen lesbischen Jambendichter diesesNamens kennt; vielleicht aber ist 36vo9Üiv und Sevo


irpÄTov auTou 6iaxoO


von Simplicius in die Worte Theophrasts hineingefügt sind,nimmt Usener selbst an einzelnen Stellen anj z. B. p. 30:!Ä.va^ifxavGpoc |jl£v Upa^idhou MiX^^aio? [Qakou Ysvofxsvo? SidSop?xol jictÖT^r/i?] adnot: 6aXoü — nabr^Tqz de suo Simplicius adiecitjp. 32: 'EjXTreSoxXYJ? 6 Axpayttviivo? ou tcoXü xaxoTriv toü Ava^aYÖpouY£Yov(üC, riapfieviOQü Se Tr^oiaaxY]? xai CTf]Xa>T7jC, [{xaXXov 8erTüSaYop*^«*^^] adnot: de suo adiecit Simplicius j aber er hättees in allen angeführten Fällen annehmen sollen, in allendiesen redet Simplicius, nicht Theophrast. An zwei Beispielenkann man sogar den Widerspruch zwischen Theophrast undSimplicius offenbar machen. Theophrast hat nach Laert. VIII, $$von Empedocles gesagt: „6 Bs Öeocppaaxo? ITapixEviöou cp7]olCr^XcDTYjv auTov -{^viobai xal [xijit^tyjv ev toi? TroiYJfxaai- xal yapexeivov iv licsai töv Tcspi cpuaeto? Xoyov i^sv^Yxeiv." Nie würdeaber Theophrast ihn einen TcXr^aiaan^? des Parmenides genannthaben, was Usener ihn thun lässt. Empedocles kannwohl die Dichtungen des Parmenides wetteifernd bewundern:denn das Wort CvjXwt-^c wird auch vom Verhältniss desLebendigen zum Todten gebraucht, des Xenophanes z. B.zu Homerj nie kann aber Empedocles der persönliche Anhängerdes Parmenides gewesen sein, wenn anders Empedoclesungefähr Olymp. 72 geboren ist und ParmenidesOl. Ö9 seine Blüthezeit erreicht hat.Nach einer ausdrücklichen Stelle aber bei Laert. IX, 21 hatParmenides den Anaximander gehört: touiov öeocppaoio; evTT^ £7üiTo[A-^ Avoi^ifAdvSpou cpT^oiv dxouoai. (cf. Suidas s. V. UapjjLsviÖY]?.)Gerade davon ist im Texte des Simplicius nichtszu finden.Veranlassung,Theophrast hatte ebensowenig als Aristoteles einebei der Aufzählung der Dogmen in einer strengchronologischen Folge zu verfahren; vielmehr ordnete erähnliche Lehrmeinungen zu ähnlichen und machte nur hieund da einmal Bemerkungen über Zeit und persönliche Verhältnisseder Philosophen. Die Zeitbestimmungen sind dann.52


:so allgemein, wie etwa Simplic. in phys. fol. 6 v. 20: ^0 (JisviotOsocppaaio? tou? aXXou; TzpoioTopf^oac, „Touioi?" ^r^alv „STriYSvojievo?nXdt(jüV TY] fxsv oo^Yj xal T1Q BuvdfJLSL Tcpoiepo?, TOI? Se j(p6voi?uoTspo?" oder so vorsichtig wie Alexander in Metaph. p. 24,5 Bon.: Touiü) 5' eTriysvofxsvo? napfjLSviBr^«; Ylupr^xoc, b 'EXectir^? —Aeyei 8e xal H;vocpdvY]v wobei nichts gesagt ist über ein—,Schüler verhältniss des Parmenides zu Xenophanes, sondernnur das Späterkommen in der Zeit hervorgehoben wird.Damit haben wir uns von der angeblichen Autorität theophrastischerStellen über die ionische hiahoyji losgemacht undkönnen nun weiter über die Mittel nachdenken, durch welcheSotion und seine Nachfolger das Gewebe jener Siaöoj^ai zuStande gebracht haben.In Betreff der Methode einer solchen Untersuchung kannman sich nicht genug davor hüten, verschiedene chronologischeCombinationsreihen gleichmässig zu benutzen undetwa durch Mittelzahlen zwischen beiden eine künstlicheHarmonie herzustellen; der andere methodische Grundsatzwürde so lauten: von zwei chronologischen Berechnungenist die die glaubwürdigere, mit deren Hülfe eine SiaBo^^i/)7ikht möglich wird. Solche doppelte Berechnungen findetman bei der Zeitbestimmung des Pythagoras, wie dies Rohdegezeigt hat: in diesem Falle kämpfen die beiden AutoritätenEratosthenes und Apollodor mit einander. Ein zweites Beispielgiebt die Chronologie des Anaximenes, und wieder istApollodor unter den Dissentirenden. Menage bezeichnetfolgende Stelle als ein monstrum chronologicum Laerr. II, 3xal '(^'(ivT^xai |i.£v, xa&d ^r^aiv 'ATioXXoBwpo;, z'q e^r^xocti^ '^p'^'^Ti'OXü|jLTridBi, eTsXsuTYjas 8e Trspi t7]v SdpBsojv aXwaiv. Ist er alsonach Apollodor etwa 529 bis 525 a. Chr. geboren und umdie Zeit gestorben, in der Sardes durch die lonier erobertwurde, Olymp. 70 (anno 499 a. Chr.), so wäre er ungefähr30 Jahre alt geworden und frühzeitig gestorben. Nun glaubt53


Niemand an die Wahrheit dieser Angaben, ebensowenig alsMenage, und zwar einmal deshalb, weil zahlreiche andereAngaben bei den Chronographen sich finden, und sodann,weil er bei dieser Berechnung nicht Schüler des Anaximandersein kann. Das sind aber keine Argumente, durch die unserGlaube an Apollodor verringert werden kann, vielmehr wirdApoUodor wohl hier einmal an den verschiedenen ZeitansätzenKritik geübt haben j vielleicht leugnete gerade Apollodordas Schülerthum und verwarf die 8ia8o/i^ Anaximander—Anaximenes.Anaximander ist nämlich nach Apollodorum die Olymp. 58, 2 64 Jahre alt gewesen: xal [xexoXi^ov TeXeuTYjaai dxiidoavTd tcyj [laXiaxa xatd IloXuxpdTYjv tov2d|jLou Tupavvov (Laert. 11, 2). Cum vero Polycrates, quo regnantefloruisse dicitur Anaximander, regnum adeptus sitOlymp. 62, I 532 a. Chr., Clintonus hie in mortis temporenotando (|xst' oXiyov) erratum suspicatur, nisi forte statuendumsit intellegi jnalorem Polycratem, qui Ol. 54 floruit (Suid. v."Ißüxo?). Die letztere Vermuthung ist richtig: nach ihr fälltdie dxfjLT^ unter den älteren Polycrates, in das 48. bis 50. Jahrdes Philosophen. Wenn er also nach Apollodor kurz nach547 a. Chr. stirbt, so liegt ein Zeitraum von ca. 20 Jahrenzwischen diesem Tode und der Geburt des Anaximenes.Setzen wir den Fall,Sotion habe sich bemühen müssen, dieseZeitdifFerenz zwischen beiden zu vernichten, so können wirerrathen, an welchem Punkte er die chronologischen Verhältnissegewaltsam umdeutet. Fest stand aus alten Ueberlieferungen,dass Anaximenes bei der Eroberung von Sardesgelebt habe. Nun gab es zwei Eroberungen, und so gewissdie jüngere nicht den Zwecken Sotions entsprach, so gewissgenügte die ältere durch Cyrus Ol. 58, i. In dieses Jahr verlegtz. B. Hippolyt refut. I, 2 seine Blüthe. Dies würde geradeder Zeitansatz Sotions sein, wenn Hermann Diels mit seinerThese Recht haben sollte: VIII. Hippolyti refutationis omnium54


haeresium über I maiori ex parte e Sotionis BiaSo^uiv <strong>com</strong>pendio<strong>com</strong>pilatus est. cfr. Suidas v. Ava$i[jL£VY)?: Yeyovev evT-^ ve oXuinriaoi h tyj 2dp5su)v aXioasi, oxe Kupo? 6 Uipar^'; tovKpoTaov xadsiXsv') (corr. v/j 61: denn die Eroberung durchKrösus geschah 01.58,3);ys^ovs bedeutet hier, wie oft, dasselbewie YJxfiaCs. Bergk I, 301. Auf diese Art war die Brückezwischen Anaximander und Anaximenes hergestellt und diedxfji-^ beider so nahe aneinander gerückt, dass man sie nunauch zu Genossen und Freunden machen konnte. Simpl. decoelo 373, b. Euseb. praepar. Evang. X, 14, 7. Nun entstandzwar die Frage: wie kann jetzt Anaxagoras der Schüler desAnaximenes sein, wenn man die Zeit des Anaximenes soweit zurückschiebt? Apollodor leugnet auch diese Schülerschaftganz bestimmt; denn nach ihm ist Anaxagoras in derselbenOlympiade geboren, in der Anaximenes stirbt, Ol. 70(Laert. U, 7), und zwar stützt sich dieser Zeitansatz desAnaxagoras auf die Archonten-Anagraphe des Phalereer Demetrius(Laert. 11, 7). Wenn nun schon Apollodor jeneSchülerschaft geleugnet hat, so hätte sie Sotion noch vielmehr leugnen müssen, falls auch er an Olymp. 70 als derGeburts- Olympiade des Anaxagoras festhielt. Da es ihm abergerade auf Herstellung der 8ia8o)(aiankam, muss er die Richtigkeitjener Zeitbestimmung bestritten und auch Anaxagoras'Geburt weit zurückgeschoben haben. In ähnlicher Weisehat Carl Friedrich Hermann de philos. ion. aet. p. 13 dieGeburt des Anaxagoras in Olymp. 61, 3 verlegt. Nach Eusebiusist Anaxagoras Ol. 79, 3gestorben. Wenn nach demselbenEusebius und Cyrill Democrit Olymp. 70 oder 69, 3geboren ist,Anaxagoras aber nach Democrits Aussage 40 Jahreälter als Democrit war, so muss die Autorität des Eusebiusdas Geburtsjahr des Anaxagoras auf Ol. 60 oder S9j 3*) Eudocia p. 55: tov ßiov xaxeaTpecfs Treol ttjv SapSsujv aXcusiv.5S


verrückt haben. Diese Autorität ist wahrscheinlich Sotiongewesen, der dann durch diese Gewaltsamkeit allerdings8ia8ox"^ Anaximenes—Anaxagoras hergestellt hatte.dieSein Mittelist also, das Leben des Anaxagoras um 40 Jahre zurückzuschiebenund ebenfalls die Lebenszeit des Anaximenes nachjener älteren Eroberung von Sardes hinzurücken. Ebenfallsscheint er das Geburtsjahr des Democrit um 10 Olympiadenzurückverlegt zu haben: denn nach Apollodors Berechnungist Democrit Ol. 80 geboren jda aber durch Democritseigenes Zeugniss eine Zeitdifferenz von 40 Jahren zwischenihm und Anaxagoras feststand, Anaxagoras aber, um der8iot8o5(TQzu genügen, schon gegen Ol. öo geboren sein sollte,so war Sotion gezwungen, für die Geburt des Democrit dieOl. 79hinzustellen.Biaooj^-^nach Sotion.Anaximander stirbt bald nach Ol. 58, 264 oder mehr Jahrealt ein fester Funkt.Akme des Anaximenes Ol. 58, der ungefähr 40 Jahre altgedacht wird.Geburt des Anaxagoras etwa Ol. doj also Ol. 6$ ungefährAnaxagoras 20 jährig Schüler des ungefähr 68 jährigenAnaximenes.')Tod des Anaxagoras Ol. 79,3.Archelaus übernimmt seine Schule.Sokrates Ol. 77, 4 geb. Fester Punkt.Sokrates Ol. 83 ungefähr 20 jährig Schüler des Archelaus. VonArchelaus heisst es jetzt consequent, dass er zuerst diePhysik von lonien nach Athen verpflanzt habe.Democrit geboren Ol. 70. 40 Jahre nach Anaxagoras.^) Der Diadochenschreiber Antisthenes glaubt auch an die ReihenfolgeAnaxim. — Anaxag. v. La. IX 57, aber nach Sotion ist Cleon der Ankläger.Ich glaube, dass Sotion und Satyrus hier verwechselt sind. Denndie Anklage durch Thucydides wegen Medismos passt besser auf Sotion.[La. II, 12.]5Ö


Zeitansatze des Apoilodor.Ol. 58, 2 Anaxlmander 64. Jahre altj fester Punkt, stirbt balddarauf.(^3 Anaximenes geboren.70 „ stirbt.70 Anaxagoras wird geboren.77, 4 Sokrates geboren5fester Funkt.88, I Anaxagoras stirbt. Sokrates kann jetzt nicht mehrSchüler des Archelaus sein.80 Democrit geboren.Nach dieser letzten Zeitbestimmung muss Apoilodor auchdie Siaoo/T^ Democrit— Protagoras geleugnet haben: denn erverlegt bereits die ßlüthe des Protagoras in Ol. 84 (Laert.IX, 56), so dass Protagoras 4 Olympiaden nach der Geburtdes Democrit bereits in seiner dx[x-^ steht, cf. Zeller I, ^66;zudem fehlt es in der Lehre des Protagoras ganz und garan Anzeichen democritischen Einflusses. Als der Schüler desangeblichen Democriteers Protagoras galt nun Diogenes vonSmyrna, als dessen Schüler Anaxarchus. Die Einmischungdes Protagoras ist also für nöthig befunden worden, um dieAtomistiker und die Skeptiker zusammenzuknüpfen. Nacheineranderen Methode machte man Anaxarch zum Schülerdes Chier Metrodorus, den Metrodor zum Schüler des ChierNessus und diesen zum Schüler Democrits (z. B. Suidas:riuppiüv — on^xQuos — 'Ava^dp"/ou tou MTjTpooo&po'j iiaOr^ioü io5Xiou, ou ÖiSdaxaXo? -^v Ar^jxoxpiio? 6 A^^BripiiTj?.Wir haben jetzt genug Beispiele, um folgende allgemeinereHypothese hinstellen zu können. Die ausserordentliche Verschiedenheitin den Zeitbestimmungen der Philosophen stammtaus dem Bestreben der Diadochenschreiber, ihre oiaBoyjiidurchzuführen und aus der Kritik besonnenerer Chronographen,die diesen Diadochenschreibern widersprachen. Apoilodor,einer dieser Kritiker, leugnet alle 5ia5o/ai vor Sokrates,S7


und wahrscheinlich hat dies bereits Eratosthenes gethan,derdazu ausser seinen ^po'^oTP^^^^''^ noch eine besondere Veranlassungin der Schrift irspl täv xaia cpiXoaocpiav alplaecovfand. Doch verblieb auch Apollodor noch genug zu thun,wie dies sein Kampf gegen Eratosthenes in der Zeitbestimmungdes Pythagoras beweist, und überhaupt traten erstnach Eratosthenes die Irrlehren der Diadochenschreiber amdeutlichsten ans Licht, um nun auch zu scharfem Widersprucheaufzufordern. Ob vielleicht Apollodor eine eigeneprosaische Schrift diesem Thema widmete, wie der öfter angeführteTitel Trepl Tü)v 9iXoa6«^(«v aipeaswv vermuthen Hesse,ist deshalb nicht auszumachen, weil wir nicht wissen, obdiese Schrift wirklich dem Chronographen Apollodor zugehört.Sehen wir jetzt genauer die Consequenzen der ApollodorischenKritik. Thaies ist nach Apollodor Ol. 35,i geboren,Xenophanes Ol. 40 5 der letztere lebt a/pi täv Aapsiouxe xai Kupou ipovoo. Die auffallende Stellung der Namen istnicht durch Conjektur zu beseitigen, sondern aus der metrischenAbfassung der Apollodorischen Chronik zu erldaren;dass das Wort Kupou zuletzt stand, beweisen die Worte desHippolytus I, 14 ouTo? 1(0? Kupou 8ie|i£iv£v. Da nun CyrusOl. Ö2, 4 stirbt, Darius 64, 4 zur Herrschaft kommt, hat ihnApollodor mindestens pöjahrig gedacht. Elea, dessen Gründunger in einem Gedichte besang, wird erst Olympiade 61, also21 Olympiaden nach der Geburt des Xenophanes gegründet.Da nun Parmenides bereits Ol. 69 seine axjjtVj erreicht habensoll, so muss Apollodor geleugnet haben, dass Parmenidesein geborener Eleate sei: denn es ist ganz und gar unwahrscheinlich,die Blüthe eines Philosophen in sein 32. Jahr zusetzen. Hier kommt uns nun die wichtige BemerkungTheophrasts zu Hülfe, dass Parmenides den Anaximandergehört habe (Laert. IX, 21, cf Suidas v. IlapiievioTj?). Nun ist58


Anaximander nach Apollodors genauer Angabe Ol. 58, 264 Jahre alt und stirbt bald darauf. Nehmen wir nun an, dassParmenides ihn in der allerletzten Zeit seines Lebens gehörthabe, — um nämlich ihn in seiner d/jAT] nicht gar zu hochbetagt zu denken, so war Parmenides damals etwa 20 jährigund erreichte also seine dxfjn^ erst mit dem 64. Jahre Ol. 6^.Dann aber ist Parmenides als ungefähr 30 jähriger Mann inElea eingewandert, falls er nämlich sofort bei der Gründungzugegen war. Ob nun der 30 jährige Parmenides und der84jährige Xenophanes mit einander verkehrt haben, ist inkeiner Weise auszumachen j Theophrast wenigstens deutetnichts davon an, wenn er das ganz allgemeine toutw 8' stcl-Y£v6(icvo? braucht, und Aristoteles sagt vorsichtig MetaphysikI, 5: 6 yap riapiASviÖT]«; toutou XsysTai lAOtör^r^c. Dass Parmenidesals Mann an der Gründung Eleas Theil nahm, scheintdie Bemerkung des Speusipp zu verbürgen (Laert. IX, 23):XeysTai 3e xal v6|jiou


Die Einheit in der Anlage dieser Tafel weist auf emenAutor hin. Uebrigens ist jede Spur verloren gegangen, auswelcher Stadt Parmenides stammt, wenn er nicht in Eleageboren ist. Wegen seiner Beziehungen zu Anaximanderkönnte man an Milet denken. Da er aber unter den Eleatenals Gesetzgeber einflussreich ist, wird man wohl mit nochbesserem Grunde auf Phokaea, die Mutterstadt Eleas, rathendürfen.Diejenigen Chronographen aber, die ihn als geborenenEleaten betrachten, müssen seine Blüthezeit ausserordentlichviel später ansetzen, z. B. Eusebius Chronikon zu Ol. 80, 4.Hier hat wahrscheinlich der scheinbar so bestimmte ZeitansatzPiatos im Parmenides eine unberechtigte Wirkungausgeübt; wenn nämlich Sokrates acpoSpa v£o? zu Athen mitdem Ö5 jährigen Parmenides und dem 40 jährigen Zeno zumPanathenäenfeste zusammengetroffen sein soll, so hat mandaraus als Geburtsjahr des Parmenides das Jahr 519 oder 520,d. h. Ol. 6$, 2 oder i ermitteln wollen 5 und dazu die 65 Jahregerechnet, von denen Plato redet, erhalten wir als axfii^Ol. 80, 4, wie dies der Ansatz des Eusebius ist. Dann istes freilich möglich, in ihm den persönlichen Lehrer desEmpedokles zu sehen 5 cfr. Suidas v. FlapfxsvLÖY]? — auxou Ik8idBo5(^oi k'^hQ'^xo 'E[jiTC£BoxX7J


Eusebius entsprechen, dass Xenophanes dem Anaxagorasgleichzeitig sein solle (praep. Evang. X, 14, 8 und XIV, 15, 9).Woher aber wußste Apollodor etwas so Bestimmtes überden 20jährigen Anaxagoras? Dies sagt uns eine gewöhnhchmissverstandene Notiz des Laert. II, 7: -qp^azo Se cpiXoao^stvAOi^vT^aiv stcI KaXXidSou, eiÄv el'xoaiv wv, (S? cpr^ai Ar^[i.r^-ploz 6OaXr^psu? ev ttq täv dpy ovxiov dvaypa'-pi^' Iv&a xai cpaaiv aoToveiÄv SiaxpT'lai xpid/ovia. Demetrius fand doch gewiss nichtin den Verzeichnissen der Archonten und der wichtigstenEreignisse während der Archontate, dass in dem entferntenKlazomenae sichirgend ein Jüngling mit der Philosophie eingelassenhabe. Vielmehr war das auffällige Ereigniss aus demArchontat des Kalliades, dass zu Athen ein Mensch von20 Jahren öiFentlich Philosophie zu lehren anfing als ein achtesIngenium praecox. Aber wie kam Anaxagoras nach Athen?Die Ursache sagt uns Apollodor: er flüchtete offenbar vorden Persern; es handelte sich nicht um eine Bildungsreise,sondern um eine Fluchtj sonst hätte Zeller Recht, sich zuwundern, warum er gerade nach Athen gegangen sei, dasdoch Jahrzehnte lang keine namhaften Philosophen in seinenMauern beherbergt habe. Wenn aber Anaxagoras erst wenigeJahre vor seinem Tode aus Athen weggegangen ist und erstdie Angriffe auf Periclesunmittelbar vor Ausbruch des PeloponnesischenKrieges ihn vertrieben haben, so hat er sichnicht 30 Jahre, sondern 50 in Athen aufgehalten, wonachzu lesen ist: evOa xai cpaaiv auiov eiÄv 8iaipTc];ai Tuevr^xovTOt(N für A)j dann hat aber Apollodor für seine allerletzteExistenz inLampsacus nur einen zweijährigen Zeitraum angenommen.Auf Grund derselben Archontenlisten hat Apollodor auchdie Lebenszeit des Sokrates berechnet, und man hat Unrecht,dieser Berechnung nicht zu trauen. Apollodor sagtLaert. II, 44 ausdrücklich: er wurde unter Apsephion geboren61


Ol. 77, 4 am 6. Thargelioii oxe xa&aipouai ttjv ttoXiv 'AOrjvaioi(also im ii. Regierungsmonat des Archonten). Er starb aberim ersten Jahre der 95. Ol. ye^ovoi? etäv eß8o|X7jxovTa-Tautet cpr,ai m\ Ar^iJiViTpio? 6 OaXr^psu; (unter dem ArchontenLach es am Ende des Thargelion in dessen 11. Regierungsmonat),d. h. im Thargelion 399a. Chr. hat Sokrates sein70. Jahr angetreten; geboren ist er 4(^8. Diejenigen, welchediesen Zeitansatz angreifen, gehen von der platonischen Apologiedes Sokrates aus (17D), wo Sokrates sagt: er sei ett]^^{ovoiZ TcXsi(ü £ßSo|i,7jxovTa: woraus man schliesst, dass er gewissvor 469 geboren sei. Sodann Krito p. 52E: hier sprechendie Gesetze Athens: „während eines Zeitraums von 70 Jahrenstand es dir frei, Sokrates, Athen zu verlassen, wenn du mituns unzufrieden warst." Auch dies soll nach der Meinungder Gegner ApoUodors auf ein Alter von mehr als70 Jahrenhindeuten. Also sei Ol. 77,i oder 2 als Geburtsjahr anzunehmen.Sodann wird die Zusammenkunft des Sokrates mitParmenides bei den grossen Panathenäen als historische Grundlagegenommen. Damals nämlich Ol. 83, 3 sei er nach Synesius25 Jahre alt gewesen, somit geboren Ol. 77, 2. Vondem letzten Argument ist gar nicht zu reden. Das zweiteArgument aus Krito spricht doch gewiss für 70 Jahre, unddas erste aus der Vertheidigungsrede hat den Charakter einerkleinen Uebertreibung. Wie kann aber überhaupt PiatonsZeugniss gegen das des Demetrius und seiner Archontenlistenaufkommen? Gerade darin besteht ja die BedeutungApoUodors, dass er zwischen den verschiedenen Ueberlieferungennach ihrem Werthe eine Auswahl traf, und dasser z. B. in diesem Falle die platonischen Stellen einfach vonder Liste der in Betracht kommenden Zeugnisse strich. Wirkönnen ganz streng nachrechnen, was er unter 70 Jahrendes Sokrates versteht. Sokrates hat den 69. Geburtstag erlebtund beginnt das 70. Jahr, als er den Schierlingsbecher62


trinken muss. Es stehen somit die 50 Tage, die er in das70. Jahr hineinlebt, für das ganze 70. Jahr, und das unvollendeteJahr wird von Apollodor als voll angerechnet.Zuletzt bleibt eine wesentliche Differenz im Zeitansatzedes Heraklit übrig. Apollodor verlegt dessen Blüthe in Ol. 69,so dass er ihn zu einem Zeitgenossen des Parmenides macht;dagegen wird von Eusebius und Syncellus seine Blüthe indie 80. oder 81. Ol. verrückt, so dass wir hier eine Differenzvon 44 Jahren anzuerkennen haben. Dass die zweite Angabemit der DiadochenOrdnung in Zusammenhang ist, müssenwir aus Laert. IX, 5 errathen, wo wir hören, dass Sotion ihnzum Schüler des Xenophanes macht. Dieselben scheinenaber Xenophanes und Anaxagoras gleichzeitig angesetzt zuhaben, und zwar so, dass die Blüthe von beiden etwa inOl. 70 fällt, also 10 Olympiaden vor der angeblichen Blüthedes Heraklit. Hippolyt rechnet ihn zur Pythagoreischen6l


Geschichteder griechischen Litteratur(Erster und zweiter Theil; Vorlesung Winter 1874/75 dreistündig,Sommer 1875 dreistündig.)5 Nietzsche V



§ I.Vor begriffe.Das Wort „Litteratur" ist bedenklich und unterhält einVorurtheil. Aehnhch wie es der alte Fehler der Grammatikwar, vom Buchstaben und nicht vom Laute auszugehen, soist es der alte Fehler der Litteraturgeschichte, zuerst an dasSchnfienthum eines Volkes und nicht an das kunstmässigeSp7'-achth.um zu denken, d. h. von einer Zeit auszugehen, inwelcher das sprachliche Kunstwerk vom Leser allein genossenwird. Nun sollte man aber gerade von dem werthvollstenTheile der griechischen Litteratur den Gedanken an Schreibenund Lesen möglichst fern halten j nicht dass die Schriftgefehlt hätte — aber sie diente nur dem sprachlichen Künstler,der erst als sprechender oder singender vor das Publikumtrat. Der Unterschied ist ausserordentlich, ob etwas, z. B.ein Drama, für Leser oder für Hörer und Schauer bestimmtist und ob die gesammten Künstler der Sprache, wie imälteren Griechenland, eben nur an Hörer und Schauer beider Conception des Kunstwerks denken 5 ebenso wie auchdie Aufnahme des Kunstwerks beim Lesen oder durch Höreneine ganz verschiedene ist. Man könnte es eine Entartungnennen, wenn eine ganze Litteratur Leselitteratur gewordenist: nun aber leben wir in einer solchen Entartung undbringen deshalb viele falsche Massstäbe und Voraussetzungenin die griechische Geschichte mit, von der uns leider nurLesewerke vorliegen. Deshalb will ich die Gesichtspunkte5* 6']


gleich namhaft machen, unter denen ich die griechischeLitteraturbetrachte.1. Ich nehme sie als die Geschichte der kunstmassigen Behandlungder Sprache. Hier ist Prosa und Poesie einbegrüFen.Ausgeschlossen ist also die unkunstmässige Behandlung, imAlltagsgespräch ebenso als in der wesentlich gelehrt-wissenschafthchenSchrift, die nur unter seltenen Umständen etwasmit der Kunst zu thun hat.2. Es giebt drei Hauptgesichtspunkte: A) die Kunstwerkeder Sprache selb er j B) ihre Wirkungen und ihr Publikum jC) ihre Erzeuger.In Betreff von A) werde ich Sie aufrnerksam machen: obdie sprachlichen Kunstwerke in nothwendiger Verbindungstehen mit andern Künsten^, mit Musik oder Tanz oderAktion oder allen zusammen, ob sie rein und ganz alleinfür sich stehen. Dann welche Arten es giebt; namentUchdie Entstehung einer Kunstprosa soll erklärt werden.Ueberalldie griechische Terminologie. Die Bedeutung der Dialektefür das sprachhche Kunstwerk. Dann der Bau desselben.In Betreff von B) werden wir sehen, welche Kunstwerkeauf ganz bestimmte Anlässe entstanden, welche si? aei verfasstwurden, die verschiedenen Begebenheiten, Feste u. s.bei denen die Lust am sprachlichen Kunstwerk hervorbrach.Die Bedeutung der Schrift für die Verbreitung, auch dergelegentliche Kampf gegen die Schrift. Die wesentlichenGegenströmungen im Publikum. Die Litteratur im Schulunterricht.In Betreff von C) ist von den socialen Stellungen derDichter und Schriftsteller und Redner zu sprechen, vonihren Auszeichnungen, ihrem Kampf unter einander, überihr Hervor- oder Zurücktreten als Individuen u. s. w. Ebenfallsüber die Art von litterarhistorischer Mythologie, diesich an sie anknüpft, die Versuche der Fälscher u. s. w.68w.,


3- Es wäre möglich, zur Gliederung des Ganzen, die genanntenRubriken als Capitelüberschriften zu behandeln undnun unter jedem Capitel die zugehörigen Erscheinungenvom Beginn bis zum Ende der Litteratur zu verfolgen. Oderandererseits die Kunstwerke in historischer Abfolge zu beschreibenund immer an ihnen auf jene Hauptgesichtspunkteaufmerksam zu machen. Im letztern Falle lehnen wir unsan die politische und Culturgeschichte an. Endlich drittenskann man die Hauptgattungen isolirt betrachten und auchdiese entweder chronologisch-historisch oder im Durchschnitt,gemäss den gegebenen Gesichtspunkten. Ich mache zumersten Male den Versuch und will mir nicht die schwersteMethode auswählen.[Folgt eine Anmerkung über das Wort Litteratur.]§ 2.Die Perioden der griechischen Sprache,für die Eintheilung der Litteratur benutzt. [Der homerischeDialekt als Mischdialekt und Kunstsprache. Hesiod. Neuionisch.Der Kunstdialekt der Jambiker und Elegiker. AeolischerDialekt. Dorischer Dialekt. Periode des Atticismus.Kunstdialekt der Tragiker. -^ xoivt^. Fortleben der Volksmundartennach den Inschriften.Die 'AiTixiaiai.]§ 3.Verbindung der sprachlichen Kunstwerke mitanderen Künsten.Ich meine Rhythmus, Musik in Gesang und Begleitung,Orchestik als Marsch und Tanz. Zuerst Rhythmus, erscheinendin einer kunstmässig geordneten Abfolge von langenund kurzen Silben, beherrscht natürlich die ganze Poesie,aber auch, was zu betonen ist, den grössten und bestenTheil der Prosa. Am ausführlichsten hat Cicero im Orator69


II—I\^Iüber den sogenannten rhetorischen numerus gehandelt.Isokrateshat besonders mit den Vorschriften seiner xspy] gewirkt,z. B. Fragm. 12 [B.-S., 6 El.] 6 Xo^oc, (xyj Xoyo? eoiiu,^Yjpov Y^tp' H'-^'^s l[x{x£Tpo


et Hipponacteos efFugere vix possumus. Der PeripatetikerHieronymus fand in den Büchern des Isokrates gegen30 Verse, meistens Senare. Untersuchungen dieser Art beiDionys. v. Haue, de <strong>com</strong>p. verb. c. 25. Blass, att. BeredsamkeitII p. 13(5. Wie stolz man sich aber in Hinsicht auf dierhythmische Kunstprosa fühlte, zeigt am besten Theopomp,der Schüler des Isokrates j er sagt, von den Schriftstellernder frühem Zeit ständen die angesehensten sogar denen vonder jetzigen nach, welche man nicht einmal des zweitenRanges würdige: Worte, gegen Herodot und Thucydidesgerichtet. So wird Isokrates, ja auch Aristoteles geurtheilthaben. Dieser grosse Fortschritt in der Rede bezieht sichaber auch auf eine andre Art des Rhythmus, die Periodik.Die Ausdrücke irepioSo? xwXov sind aus der rhythmischenTheorie in die rhetorische übertragen, dort ist x&Xov dieunselbständige Reihe, juspioBo? der Vers, das selbständigeGanze. So sind die prosaischen Perioden nach Aristotelesabgeschlossene Gefüge, welche durch die ganze Rede immerwiederkehren und ihr den gleichen abgemessenen und übersichtlichenGang geben, wie ihn die alte Poesie diirch ihreStrophen hat; die „anreihende" Xe^i? sipofievT] vergleicht ermit den strophenlosen Compositionen der neueren Dithyramben.Der Begründer der Periodik ist Thrasymachos, ihrVollender Isokrates. Ueber seine Perioden Blass II 147. AusserordentlichesRaffinement allmählich, auch im Unnatürlichen.Musik erscheint durchaus als Melodie, mit der ein metrischerText vorgetragen wird (nicht als Harmonie und Begleitung).[....] Vielstimmigkeit unerhört; das was die Griechendpjjiovia nennen, hat mit unserer Harmonielehre nichts zuthun. Bis auf den heutigen Tag singen die Griechen unisono;ihr einstimmiger Gesang machte es möghch, dass derText hervortrat; Plutarch nennt Melodie und Rhythmus dieZukost der Rede, Sympos. VII 8, 4. Grösse des Chors: der71


jkyklische Chor des Dithyrambus bestand aus 50,der tragischeaus 12, später 15, der komische aus 24 Choreuten. Zur Begleitungdienten entweder Saiteninstrumente oder Blasinstrumente.[.-..] In der Regel führt das begleitende Instrumentdie Melodie aus; Tipoayopoa aSsiv oder auXsTv. In Octavenbegleiten (laYaoiCeiv ev tyj oia iraaÄv.Natürlich konnte bei der xpouai? utco t7]v wBi^v (Erfinderist Archilochus) der Virtuos sich zeigen.') In der klassischenZeit traten aber Dichte?' und Sanger hervor, die Flötenbläsererhielten bis auf Melanippides vom Dichter den Lohn. [....]Der Eindruck der Flöte ist nicht vjdixov, sondern Qp-^ia


Zeit selten declamirt oder gelesen. Vom einfachen Declamirengebraucht man dieselben Ausdrücke, wie vom Vortragder Prosa, Xeyeiv 'Aa-ali-ftiv, vom andern Vortrage aosivauch raiCsiv (wie ludere). Das Gedicht, welches gesungen\^ird, heisst wBtq aa|jia aa{jidiiov [jlsXo? ixsXuopiov eloo? eiouXXiov.Melos bedeutet eigentlich Melodie (modi moduli), ein Liedmit vollständiger Tonsetzung. Ei8y] heissen die einzelnenOden in den metrischen Schollen zu Pindar, wahrscheinlichmit Bezug auf die verschiedenen Tonarten sioy; oia Tuaauiv,nach denen sie gesungen wurden. Davon eio6XXiov die kleineSing weise, das Liedchen, ähnlich wie im Mittelalter xpoTrapiovvon xpoTco?. Ode ist in den Schulen der römischen Grammatikerdie allgemeine Bezeichnung für lyrisches Lied überhauptund verdrängt Melos, Eidos u. s. w. Die echt lateinischeBezeichnung für Lied carmen casmen {V loben, verkünden)tritt allmählich vor den griechischen Bezeichnungen zurück. —Verse, die nur zum Declamiren bestimmt sind, heissen Itcyjjso Plato rep. X p. öo6, im Gegensatz zu fxeXYj. Ausserdemnoch eine dritte Vortragsweise, die TrapaxaxaXoY"^. Uapa/.a-za~Xe^eiv bedeutet nach Analogie von Trdpiaov izapiaii^oc, einenVortrag, der an das einfache Sprechen (xaTaXeysLv) anstreift;die Worte des Textes nicht wirklich gesungen, im Einhaltendes Rhythmus und vielleicht in der Modulation der Schlussfigurenwird er durch ein begleitendes Instrument unterstützt.Archilochus soll der Erfinder sein. Das Instrumentzur Begleitung, die xXs'^iajxßo? (wie zur Begleitung der Jambendie Jambyken). Zuerst kommt dieser Vortrag bei den Jambenauf Später w^urde die TrapaxaxaXoYi^ noch zu einem starkenEfFektmittel, Arist. Probl. 19, (5;sie wurde an gewissen Stellenauch bei Gedichten, die zum Gesänge bestimmt waren, verwendetund machte da einen tragischen Eindruck. Auchunsere besten dramatischen Sänger sprechen mitunter einentscheidendes Wort mitten aus dem Gesänge heraus jdie73


Schröder-Devrient z. B. im Fidelio, wo sie dem Tyrannendas Pistol vorhält und „noch einen Schritt und du bist —todt"5 sie sprach dies letzte Wort mit einem schrecklichenAccentej es wirkt wie ein jähes Herausstürzen aus einerSphäre in die andere, [R.] W[agner], „Bestimmung der Oper",Ges. Sehr. 9 p. 183 [3. Aufl. p. 152]. — Die verschiedenenVortragsweisen im Drama vereinigt: die Namen verrathenes, hier TTpoXo^oc SidXoyo?, dort (jiovwSia und axdaifxa (sc. [xsXy]),ebenso xa äizh Qrr^-^~f\c.Lateinisch canticum, diverbium. Ritschi,Rhein. Mus. 2(5, 231 5 Bergk, Philolog. 31 p. 229. Es ergiebt sichder Vortrag der TcapaxaiaXoYi^ für ganze Scenen, eine ArtRecitativ, auch für die Komödie, was Plutarch für die Tragödiebezeugt. Plut. de mus. c. 28. Der Vortrag der Jambendes Dialogs war von xpouoi? begleitet (nothwendig, um denRhythmus zu markiren). Zumal kommen Trimeter vor, diein melische Partieen eingelegt sind, Aesch. Agam. 1153, n^6,und die also ganz gesungen wurden. Luc. de saltat. c. 27evioT£ xai irspiaBiüv za iafxßeia. Gewiss erstreckte sich, nachden Anzeichen der Handschriften, der Gesang nicht blossauf die eigentlich lyrischen Partieen, sondern auch auf diestichischwiederholten anapästischen, jambischen und trcchaischenTetrameter. Einfach gesprochen die jambischen Trimeterjdoch einzeln die Ueberschrift C über einer Dialogscenedes Trinummus. — Also das Troir^jxa xaid oii^ov unddas xaid auaxYjixa unterscheiden sich nicht als gesprocheneund gesungene Verse. Aristophanes bezeichnet 6 daktylischeVerse am Schlüsse der Frösche als {leXo^j ein jambischesPhalloslied Ath. XIV422C als [asXo? bezeichnet. Die Bucolicades Virgil wurden auf der Bühne per cantores vorgetragen.Aristoph. Frieden v. 323, da sagt der Chor in trochäischenPentametern, die Schenkel heben sich ihm im Tanze jTanzaber ohne Musik bei den Griechen unmöglich. Daher stehensich häufig gleich grosse Gruppen gegenüber im symmetrischen,74


strophenartigen Baue. — Nun finden sich auch im dramatischenDialoge gleichgrosse Wortgruppen, die sich gegenüberstehen. Schon Heliodor hatte sie hier und da angewendet,z. B.: Aristophanes Frieden v. 922—38 = 956— 973.Ist dies nun bloss das Streben nach Ebenmass und gleichmassigemAusdruck paralleler Gedankenreihen? Oder ist dieSymmetrie in der Gleichheit der Melodie oder der Begleitungbegründet? Zur Anschauung gebracht im Prometheusvon Wecklein, im Seneca von Richter und Peiper, die Frageaufgeworfen von Ritschi, „Der Parallelismus der sieben Redepaarein den Sieben gegen Theben", Opusc. I, p. 300. MeineMeinung ist, dass sämmtliche Theile der Tragödie von derFlöte begleitet wurden, aus rhythmischen Gründen, auch inder Komödie. So sagt Cicero von Jamben orat. $$ [184] quaenisi tibicen accessit orationi sunt solutae simillima. Alsomeine ich: alle Dialogpartieen begleitet, um den Takt anzugeben,nur ein Theil dann gesungen.Die Elegie wurde ursprünglich gesungen und auch vonder Flöte begleitet; Athen. XIV p. 6^32 berichtet, bereitsXenophanes, Solon, Theognis, Phocylides, Periander hättenihre Elegieen ohne Melodieen vorgetragen, also deklamirt.Doch lässt Plut. Solon 8 den Solon die berühmte Elegie Salamissingen; auch später wurden noch einzelne gesungen:Lucian Timon c. 46. —Tanz. Gesang und Tanz so eng verbunden, dass /opsueivtanzen wie unser „besingen" gebraucht wird, i^ptla wirdvon Plat. legg. p. 6^54 als Vereinigung von op/r^alc, und (oStjdefinirt. Ath. I p. 15 nennt den Tanz eine [jii|jiT^ai


jversteht sich von den Hyporchemen; aber auch bei Prosodieenoder Päanen wurde getanzt, Athen. XIV 63 1. Vom Hymnusim engeren Sinne war der Tanz ausgeschlossen. Zum Dithyrambusgetanzt, bezeugt Proclus Chrestom. Westph. p. 245ebenfalls zu den Siegesgesängen (v. Anfang des I. pyth. Epinikions).Plato sagt legg. VII p. Si6: oX(o? 8s 9^£yy6|i£voc, sit'ev whai


irpoaoBoi. Von diesen Liedern ist einer der gebräuchlichstenMarschrhythmen benannt, pub^ibc, TrpoaoSiaxo; oder evoTrXiocjam bekanntesten das Marschlied in der Tragödie und Komödie.Die Marschgedichte sind wohl häufig von einemeinzelnen Choreuten oder einem Qu-^6^ oder aior/o? des Chorsvorgetragen, während der Chor dazu marschirte.Endlich noch die Hypokrisis. Echt antik ist selbst dienähere Verwandtschaft von Gesang und mimischem Tanzmit der Kunst des Redners^ zwar so, dass die ausgearteteKunst am meisten damit verwandt ist; doch bis zu einemGrade auch die classische, und jedenfalls viel mehr, als wiruns vorstellen. Dies liegt im Begriff uTcoxpiaic, man verlangteine Art Schauspielerkunst vom Redner. Welcher Unterschiedzwischen Pericles und Demosthenes! Ersterer standunbewegt da, der umgewickelte Mantel bewahrte den gleichenFaltenwurf, der hohe Ernst der Mienen verzog sich nie zumLächeln, die Stimme behielt dieselbe Höhe und Stärke —alles wundersam imponirend bei einem so tiefen und mächtigenMenschen. Demosthenes dagegen bezeichnet die utuöxpiai?als das Erste, Zweite und Dritte in der Beredsamkeit;um sie zu erwerben, machte er die seltsamsten und andauerndstenAnstrengungen. Namentlich studirte er bei grossenSchauspielern. Seine Kraft und Modulation der Stimme, mitwelcher er in gewaltigen Perioden den Ton zweimal massigenund zweimal bis zum Sturm anschwellen liess. Das blitzschnelleWechseln von Bitterkeit, Hass, Zorn, Stolz, Wehmuth,und immer so, dass im ganzen Leibe die Seele sichtbarwurde; man verglich seinen Zustand mit dem einerkorybantischen Begeisterung. Als auf Rhodos die Rede desAeschines und die des Demosthenes vom Kranze vorgelesenwurde und die Rhodier beide, aber noch mehr die des Demosthenesbewunderten, sagte Aeschines: xi li ei auxou toö07]piou ta ^ii^axa ßoÄvio? dxr^xoeixs: Nun denke man an die77


griechische Beredsamkeit der Finger und des Mienenspiels,an das Stampfen mit dem Fusse, das Schlagen vor Stirn undHüfte, das Weinen u. s. w. Die Gefahr der Entartung lagsehr nahe. In der asianischen Beredsamkeit muss die Artdes Vortrags das Gegenstück eines edlen und würdigen Vortragsgewesen sein, in der Mitte zwischen Sprechen undGesang und besonders im Epilog einem Musikstück ähnlich;dazu üppige und gezierte Mienen und Gesten. Cic. oratorXVIII 57 e Phrygia et Caria rhetorum epilogus paenecanticum.Prosa und Poesie in«ihrem Unterschiede.Im allgemeinen bezeichnet den Unterschied zwischen Prosaund Poesie der Ausdruck Xsysiv xal deiSsiv. Xoyo? xai doi^,also nach der Art des Vortrags, aber nur a potiore; dennnicht alle Poesie wurde gesungen. Prosa Xoyo? XoyoYpdcpo?xaxaXoydSYjv. Später wird iioieiv der Ausdruck für die schöpferischeThätigkeit des Dichters; ttoitjtt^? 7coLT^[xa, wohl erstdurch die Attiker, denen sich Herodot anschliesst, zur Geltunggekommen. Die älteste Zeit kennt nur Ausdrücke wiedsiSeiv doiSo?, pdirieiv doi^v, pa(];(ü86c, xexTaiveoöai doi8-/iv; inder mittleren Zeit heisst der Dichter auch aocpior^?, d. h.der Meister seiner Kunst, wie bei Pindar, die Dichter häufigoocpoi, doiSoi. Die epische Poesie als die älteste und gefeiertstebekommt speziell die Ausdrücke TronrjiTic Troirjfjiot. Dann ttoisivgebraucht, um die einzelnen Arten zu bezeichnen: stcotcoio?eXeY£io7roi6? lafipoiuoio; e7riYpa[i.[i.aioiioi6; jjtsXoTroio? TpaYwSoTCoiö?xu)[ia)Bo7roi6?; so Stets bei den bessern Schriftstellern. DieVerbindungen mit -Ypdcpo? sind spät. Denn das Schreibenist ein wesentliches Merkmal für den Prosaiker, der fürLeser arbeitet; nicht für den Dichter, der an Hörer denkt.Gar nicht gebildet hat man eTCiYpa{A(AaioYpd9o


schrieb sie nichtj auch nicht eTcoypdcpo?. Die Prosa heisstTieCo? XoYö?, sie geht zu Fuss; der Dichter ist hoch zu Wagen.Das Bild vom Wagen schon Homer bekannt, nach Bergk,daher die übliche Formel Od. Vin 500 ivöev eXwv, „von daausfahrend". Pindar eXa, fahr zu = Xeye. Oft äp[ia Moiaav,bei Pindar, auch Empedokles; grossartiger Eingang bei Parmenides,wie er, geleitet von den Sonnenjungfrauen, Rossund Wagen zum Tempel der Weisheit hinlenkt. — EineGeschichte hat das Wort XoYoypa^o?, Prosaiker, Creuzer,„lieber die historische Kunst der Griechen", hat es gebrauchtfür die Historiker vor Herodot. Er beruft sich auf Thucydides;bei ihm kommt es I 21 vor: oute w? Tcoir^xal ufiv-^xaai— ouie u)? XoyoYpacpoi Suveöeaav (<strong>com</strong>posuerunt). Schon derMangel des Artikels beweist, dass hier nicht an eine Classevon Schriftstellern zu denken ist; es sind auch hier Prosaiker.Polybius VII 7 hat das Wort auch, und Creuzer beruftsich darauf, aber ganz mit Unrecht, da hier von Schriftstellernum 200 V. Chr. herum geredet wird. Plato hat tzoit^toXxal XoyoTCoioi, auch Xoyoypa^ia, Isokrates XoyoTroioi, AristotelesXoyoYpdifoi. Dafür auch bei Plato ttoit^tt^? •?] Xoycov au'('{pn^^ui:.Nach einer ganz andern Seite hin gewann das Wort Xoyo-Ypdfpo«; bei den Anikern eine engere Bedeutung, Redenschreiber,XoyoYpa^iGt ein Gewerbe. Ausserhalb Attikas hattesich der Ausdruck anders fixirt. Den loniern sind Xoyoinicht orationes, sondern sermones Erzählungen, Geschichten;XoYOTcoio?, Geschichtenerzähler; Herodot gebraucht es sowohlvon seinem Vorgänger Hecataeus als von Aesop. Darausbildet sich die Bedeutung XoYOYpdcpo? „Geschichtsschreiber",aber ohne alle Beschränkung auf eine bestimmte Periode.Also das Wort hat drei Bedeutungen. Wenn nun Creuzermeinte, es bezeichne die Vorstufe der Historie im Gegensatzzu den höheren schriftstellerischen Gattungen, so istdas nicht wahr; denn csu^ypa


von jenen alten vorherodotischen Schriftstellern gebraucht.Jene bezeichnen ihre eigenen Werke ja mit Vorliebe alslOTopia; dies echt ionische Wort ist bei ihnen zum Terminusgeworden. Es ist so geeignet für jene Mischung von Mythen-,Geschichts- und Ortserkundung; Herodot nimmt eswie einbereits herkömmliches. Der einzige Sammelname für ältereHistoriker, der sich findet, ist wpoYpdcpoi annalium scriptores.— Interessant eine Stelle Dion. Halic. Ant. I 73, wo aoyYpacpe6?als der weitere Begriif „Schriftsteller" erscheint, Xo^o-Ypacpo? als Historiker. Genauer G. Curtius Sachs. Berichte d.Wissensch. 1S66 p. 141.Nach der populären Betrachtung war esalso das Metrum,Aristoteles,welches Dichtkunst und Prosa schied. Dagegen polemisirteder den Dichternamen nur auf Grund der Nachbildungertheiltj er rügt es, dass man auch den einen Dichternenne, der Lehren über Heilkunst oder Musik metrischvortrage. Er vermisst einen bezeichnenden Gesammtnamenfür den Begriff, unter den die Mimen des Sophron (Zeitgenossedes Euripides in Syrakus, ohne Versmass) und desXenarch (seines Sohnes) und die sokratischen Dialoge ebensowohlfallen als auch dichterische Darstellungen in Hexametern,Distichen u. s. w.In Bezug auf das, was überhaupt alles zur Litteratur gerechnetwurde, ist vor Allem festzuhalten, dass die eigentlicheStaatsrede und gerichtliche Rede nicht dazu gehörte, nämlichin der klassischen Zeit, etwa bis Theophrast. Für uns freilichbilden die Reden des Lysias, Aeschines, Demosthenes einensehr wesentlichen Theil der griechischen Litteratur. Nurmit der epideiktischen Rede steht es anders 5nur die Reden,welche keinem augenblicklichen praktischen Bedürfnissedienten, sondern gleich historischen Werken oder Dichtungenfür sich selber geschrieben wurden, gehörten zurLitteratur und waren Gegenstand der Nachahmung und des80


jWetteifers, z. B. für Isocrates. Kein Mensch legte einerDemegorie oder gerichtlichen Rede eines Logographen, nachdemsie gehalten war, noch Bedeutung bei} höchstens zumNutzen der Lernenden herausgegeben. Aristoteles, der dochDemosthenes gehört hat, nennt ihn ganz beiläufig ohneirgend welche höhere Schätzung} Theophrast ging in derEntwicklung der Prosalitteratur nicht über Isocrates hinausdurch den war die Prunkrede zur Vollendung gebracht; erwar sehr entfernt, in Demosthenes' Demegorien die Höheder attischen Prosa zu erkennen, forderte er doch für dieDemegorie einen möglichst leidenschaftslosen Stil. Arist.Rhet. III 12 sagt: „Die Reden der praktischen Redner nehmensich beim Lesen unkünstlerisch und gewöhnlich aus undbedürfen des mündlichen Vortrags, um zu wirken", beiläufigein Gedanke, dem Demosthenes zugestimmt haben würde^nach seinem Satze über die uTroxpioi?. Aber auch was Thucydidesbetrifft, so nennt ihn Aristoteles nie; Theophrasterwähnt ihn als einen Anfanger des „hohen Stils" mit Herodotzusammen. Recht litteraturfähig ist die Historie erst,nachdem sie den kunstvollen Prosastil sich angeeignet hatjvon Theopomp wissen wir, dass seine Zeit die gleichzeitigenTalente dritten Ranges höher schätzte als Thucydides undHerodot} aber wichtiger ist, dass damals erst überhaupt derHistoriker in die Litteratur aufgenommen wurde. Sobaldaber der Rhythmus auch in die Prosa aufgenommen war,konnte eine Art Wettstreit zwischen Dichtern und Prosaikernnicht ausbleiben. Merkwürdig die Rede des Aehus Aristides(2. Jhd. p. Chr.) auf den Sarapis j da werden die Poeten alsdie ^£ia Cwovts? des Homer ironisirtj es gehe ihnen gar zugut, so herrlich und frei seien sie, und alle geben es zu.Selbst das Vorrecht, die Götter zu besingen, wollten siehaben. Aber er nimmt es für die Prosa in Anspruch, diesei naturgemässer, wie Gehen naturgemässer als Fahren ist.6 Nietzsche V Ol


Auch geben die Pythia und die Orakel mehr Sprüche x^P^^jxsTpou. Die Poesie habe wohl [lixpa, aber die Prosa habe äasMetron an sichj denn dort zählt man nur die Jamben ab,dass der Vers voll wird, hier aber beherrscht das Maass dieganze Rede} es erlaubt weder zu viel noch zu wenig zusagen,zwingt dem Gegenstand gerecht zu werden, gestattetnicht, etwas Ueberflüssiges einzuschieben des Metrums wegen.Wie die Maasse, die wir auf dem Markte im Verkehr mitden Krämern verwenden, zwar auch diesen Namen führen,vom wahren Maasse der Dinge sehr verschieden sind, so seiendie {jLExpa, diese das „Maass an sich". Und allerdings, nachFleiss und Strenge gemessen, welche diese Sophisten deszweiten Jahrhunderts anwendeten, werden sie wohl über alle„leichtlebenden" Dichter den Sieg davontragen: schade, dasses nicht auf {xeipa und [xeipov allein ankommt!Für die ältere klassische Zeit steht aber fest: Hohe Verehrungder Dichter, Nichtachtung der Schriftstellerei. Plato,Phaedrus p. 257 D auvoioöd tuou xal auxbz oii 01 iieyiaTov 8uvdjjievoiTS xai aeixvoTaxoi iv xaXc, ttöXeoiv aia^uvovtai Xoyou? tsYpdcpeiv xal xaxaXeiTreiv c3üYYpd|Ji[iaTa eauiuiv, S6^av (poßou[j,evoiTou ETueiTa )(p6vou [i-^ aotpiaiai xaX&viai. Erst zu Aristoteles'Zeit giebt es Schriftsteller für Leser dvaYvwaxixoi. Rhetor. III 12.In der nachfolgenden Zeit hat die Verehrung der Schriftstellerund deren Anstrengung zur Erlangung einer Kunstprosaihre Höhe. Gegen das Ende des dritten Jahrhunderts lässtdie rhetorische Erziehung der Schriftsteller nach, ihnen genügtein gewöhnlicher Stil. Besonders schrieben die Philosophenin den Tag hinein. Die Stoiker nicht mit Absicht,die Epikureer aus Princip. Dionys v. Halic. sagt von Chrysipp:„Niemand hat schärfer die Dialektik ausgebildet, Niemandschlechter <strong>com</strong>ponirte Schriften herausgegeben."Epikur hatteden Grundsatz der Deutlichkeit allein: so werde es auchnicht schwer zu schreiben, wenn man sich um das wandel-82


are Kunsturtheil nicht kümmere. Mitunter nur soll Epikurnach der Art des Hegesias gestrebt haben, in Rhythmus undWeichlichkeit. — Im ersten und zweiten Jahrhundert p.kommt dann die Reaktion der Sophisten. — Ein gewisserKampf gegen die Schriftstellerei ist endlich auch von denStegreifiednern geführt worden. Gorgias hatte sich anheischiggemacht, über jeden vorgelegten Gegenstand zu sprechen,sein Schüler Aleidamas, Zeitgenosse des Isocrates, ebenfalls.In seiner Rede gegen die Sophisten ist uns das Programmder Gorgianer, gerichtet gegen die Isocrateer, erhalten: Einwendungengegen die geschriebene Rede. Das gemächlicheSchreiben sei leicht, das Unvorbereitetreden schwer^ guteSprecher können sich zu Schriftstellern umbilden, nicht umgekehrt.Im Leben sei das Reden oftmals, das Redenschreibenselten von Nutzen, die künstlich ausgefeilten Reden wirktennicht gewinnend, sondern Misstrauen einflössend. Die Gewöhnungan das Schreiben hemme den Redefluss. Wennman mit geschriebenen Reden auftrete, so sei das Lernenmühevoll, das Vergessen verhängnissvoll. Die geschriebenenReden seien eigentlich gar keine Reden, sondern Nachbildervon solchen und erinnerten in ihrer Starrheit an die Bildsäulenim Gegensatz zu lebendigen Körpern. — Diese Auffassungkehrt wieder bei der jüngeren Sophistik, die dasExcemporiren auxooj^sSidCsiv, tq aj^e^iov, t6 Itoi|jiov vergöttert^dadurch wollte sie wirken, nicht durch Bücher. Am berühmtestenPolemon. — Also in summa: Die Prosalitteraturhat ihre Feinde gehabt, ihre Schätzung ist, ganz abgesehenvon der Schätzung der Autoren, eine schwankende gewesen.Ihr Gebiet ist erst sehr eng gewesen, dann erst wollte mannur die Kunstprosa gelten lassen^Aristoteles bezeichnet eineWendung, denn er hält den künstlerischen Stil der Prosafür etwas Geringes, «popiixov, und meint, Deutlichkeit seigenug. Je weniger man sich nun mit ihr Mühe gab, um so6* 83


mehr verbreitete sie sich.In dem dritten Jahrhundert p. Chr.macht ihr aber die nichtlitterarische Improvisation Concurrenz,man hörte lieber zu, als dass man las.Nun die einzelnen Gattungen zu besprechen: Ihre Hauptwerke,dann Stoffe, deren Bau. Nur dass alles, was dieDichter und Künstler, sowie was die Gelegenheit, Wirkungund Publikum betrifft, weggelassen wird.')§ 5.Die epischen Kunstwerke.[Bemerkungen über Terminus Epos 5Aufzählung derepischen Gedichte.]Was die Stojfe betrifft, so überrascht die Thatsache einergrossen didaktischen Poesie, der ja unsere Aesthetik allesBürgerrecht abspricht. Nicht nur aus alexandrinischer Zeit;sondern Parmenides und Empedokles Trepl cpuasto?, und voranHesiod, der neben Homer tritt. Zu erinnern an den ausserordentlichenAufschwung der didaktischen Poesie im 16. Jahrhundert,wie auch die klassische Zeit der Römer j also Periodenmit einem unvergleichlichen Schönheitssinn. Ist eswirklich nur der grössere wissenschaftliche Ernst, der unshier abhält? Was historischcj zeitgenössische Epen anlangt, soist das erste Beispiel Choerilus Kampf gegen Xerxesj unsereAesthetiker wissen wieder, dass das ein Missgriff' gewesensei (wie auch wohl die Perser des Aeschylus), aber in Atheno6v TOI? 'OixT^pou dvayiYVc&axeaöai ec|;T^cpiaÖ7]; doch wohl voiliVortrag bei den Panathenäen zu verstehen. Auf dem Uebergangvon der Historie zum Mythus: zahlreiche xiiasi?, auch^) [Mit Rücksicht auf den geplanten Schlusstheil, der unten vollständigveröffentlichtist.]84


Landschaftssage und Geschichte. Endhch zu allermeist mythischeStoffe, besonders bevorzugt die troischen und thebanischenSagenkreise, die herakleischen und zuletzt die dionysischen.Endlich rein märchenhafte Stoffe wie die 'Api{xaaT:eia (3 Bücher)des Aristeas (vor Herodot) von Hyperboreern, einäugigenArimaspen, goldhütenden Greifen.Was Struktur und Technik des Epos betrifft, so giebt esnur eine ganz originelle und vorbildliche Form ersten Ranges,die des homerischen Epos.') Ilias und Odyssee sind für allehellenischen Epiker, nicht blos die späteren, wie Pisander,Panyasis, Choerilus, Antimachus und die Alexandriner, sondernfür die nächsten Nachfolger, die Kykliker, das normaleVorbild. Sie fanden jene als grosse abgeschlossene Dichtungenvor und behandelten das von ihnen dargestellte Stück Mythusmit ehrfurchtsvoller Scheu 5 aber was scheuen sie? Man würdesagen können: „hier zeigte sich eine ungeheure Kraft desComponirens, die den Späteren unerreichbar war; in Iliasund Odyssee nur je eine bedeutende Handlung, in den Raumweniger Tage zusammengedrängt; alle andern Epen sindschwächer <strong>com</strong>ponirt, eine längere Folge mythischer Begebenheitenwie Thebais und Kypria, wie in den Herakleenund Theseiden." Ich glaube, das ist falsch. Der Respekt derKykliker beruhte nicht auf der Composition; denn sie habendiese nicht nachgeahmt; sondern auf allen andern poetischenQualitäten. Alles lebendige Vorgänge, alles anschaulich. Nämlich:die Composition der homerischen Gedichte hängt abvon der Möglichkeit, sie als Ganzes vorführen zu können.An den langen Abenden in des Königs Halle war Raumgenug, um selbst das umfangreichste Epos vorzutragen; wirhaben eben in Ilias und Odyssee die Schlusssteine einer Entwicklungdes Epos zur einheitlichen Epopöe, die nur unter') Das Vollendete steht hier am Anfang: aber ist's ein Anfang?85


den politisch-patriarchalischen Zuständen möglich war. Dieveränderte politische Form drängte die einheitliche Epopöezurück j der Rhapsode, der immer nur grössere Stücke vorVolksversammlungen vortrug, dichtete nun auch keine Iliadenmehr, sondern die kyklischen Gedichte und die Theseidenu. s. w. entsprechen jetzt mehr: hier ist nur die Einheitlichkeitdes Mythus vorausgesetzt und dessen Bekanntheit. Erstdas Leseepos kann wieder eine strengere Composition anstrebenj Aristoteles giebt die Vorschriften dazu, dass manHomer nachahmen müsse j die Composition solle übersichtlichsein; nur ist ihm das homerische Epos dafür zu lang,denn inzwischen hatte sich die Befähigung für solche langeCompositionen und deren Nachempfindung verloren.')Dabeiaber behielt die lockere Form die Oberhand jund so bliebdas Epos zu allen Zeiten sehr frei gegen die Ansprücheder Aesthetikerj was macht sich z. B. der herrliche Ariostaus dem Gesetz eines strengeren Zusammenhanges, einerfesten Charakterzeichnung? Weder hierin noch dort liegtdas Wesen des Epischen j aber nie beschreiben, keine Gespräche,kein Monologisiren , sondern lauter lebendiges Geschehen.J. Burckhardt sagt einmal von Bojardo: „natürlichbilden auch die Gedichte bei so bewandten Umständen keingeschlossenes Ganzes und können halb oder auch doppeltso lang sein, als sie sind; ihre Composition ist nicht dieeines grossen Historienbildes, sondern die eines Frieses odereiner von bunten Gestalten umgaukelten prachtvollen Fruchtschnur.So wenig man in den Figuren und Rankenwerkeines Frieses durchgeführte individuelle Formen, tiefe Perspektivenoder verschiedene Pläne fordert, oder auch nurgestattet, so wenig erwartet man es in diesen Gedichten."^) Er will 5—6000 Verse, die Länge einer Tetralogie, d. h. das, wasman noch damals zusammen auffassen konnte.%6


Ich habe also schon verrathen, dass ich an die kimstierischeEinheit von Ilias und Odyssee glaube. Natürlich, dass dieskeine dramatische ist.') Ebensowenig, dass dies eine Einheitdes Grundgedankens (eine sogenannte „Idee") ist. Letzteresz. B. von Nitzsch und Bäumlein, „das Gedicht von demverderblichen Zorn solle recht eigentlichdarthun, wie selbstbei den edelsten Naturanlagen der Mangel an Mässigung indem Selbstgefühl und einem an sich berechtigten Pathosunheilvolle Wirkungen hat, wie die Nemesis die Ueberschreitungdes Maasses ahndet." Der Kern der Odyssee sollnach Nitzsch sein : „Warnung vor frevelhafter Geringschätzungdes göttlichen Zorns." Gute Gegenbemerkungen bei Bonitz.Sondern ich meine einen künstlerischen Plan. Dieser zeigtsich in der Begrenzung des Stoffs durch das Interesse unddie Stimmung für einen Helden und zwar in Hinsicht aufdie Begebenheit, die für den Helden entscheidend ist. Manvergleiche die Odyssee mit der kleinen Ilias; auch letzterehat Odysseus zum Haupthelden; auch ein Hauptziel diesesEpos giebt es, der Untergang Trojas; aber was hat das Zielmit Odysseus Schicksal zu schaffen? Er vollbringt eine Thatnach der andern, wagt eine Gefahr nach der andern — endlichfällt Troja. Was dann? Menelaus erhält Helena, dieBewohner Trojas gefangen oder getödtet; aber Odysseusgeht zu Schiffe; im Gedichte kommt sein Schicksal nichtzum Ziele. Die Eroberung Trojas ist nicht die Begebenheitxax' e^ox^jv. Aristoteles sagt, das Gedicht enthalte Stoff zuacht Tragödien; diese Tragödien sind aber tragisch nur inBeziehung auf andere Personen, nicht in Bezug auf Odysseus;') Goethe: „Wollte man das Detail der Gesetze, wonach beide zuhandeln haben, aus der Natur des Menschen herleiten, so müsste mansich einen Rhapsoden imd einen Mimen, beide als Dichter, jenen mitseinem ruhig horchenden, diesen mit seinem ungeduldig schauenden undhörenden Kreise umgeben, immer vergegenwärtigen." [Ueber epische unddramatische Dichtung, Hempel XXIX 224.]87


je mehr diese tragisch wirken, um so mehr sinkt er zumTritagonisten herab. — Nun dagegen die Odyssee : man hörtvon dem vielgereisten Mann, der nun einsam und fern vonder Heimath auf der Insel der Kalypso sitzt und sich beständignach Ithaka und seiner Gattin sehnt. Das Mitgefühlfür ihn steigert sich, wenn wir nun hören, wie er in derHeimath betrauert wird, wie sehr man dort seine lenkendeHand vermisst. Was für ein herrlicher Held er ist, wirdnoch deutlicher durch die Berichte des Nestor und des Menelausim 3. und 4. Buche j nicht nur seine Hausgenossen, auchFremde trauern um seine Verschollenheit. Jetzt erst tritt erin den Vordergrund; bei den Phäaken sehen wir ihn inseiner Tüchtigkeit und Liebenswürdigkeit; in den folgendenBüchern theilen wir die Erbitterung des Eumaus, dass einessolchen Helden Gut von den Freiern verprasst und seinWeib von ihnen umworben werde. Immer tiefer sind wirin das Interesse für ihn hineingezogen worden; die Sehnsuchtnach ihm ist zur Noth und Begierde geworden. Undjetzt beginnt das schnellere Tempo. Alles folgende ist hinreissendeHandlung und wirkliche Aktion, bis zur Lösungdes Knotens im 20.—22. Buche. Im 23. die Wiedervereinigungder lange getrennten Gatten, im 24. Beseitigung aller nochübrigen Hindernisse; in dem nun errungenen Glück undFrieden kann nun auch der Hörer zur Ruhe und zum Glückekommen. Diese Höhe von letzter ausspannender Stimmungist das Maass, welches die Art und den Grad des erregtenInteresses bestimmt:darin zeigt sich vor Allem der Künstler,dass er zu lösen versteht, was er gebunden hat, und dasser, wie er band, so auch löst.Die Ilias hat einen ganz andern Grundton, dunkler, leidenschaftlicher.Zeus sagt B. XVII 446: „Von allen Geschöpfen,die auf der Erde leben, ist der Mensch das unglückseligste."Die edelsten und glänzendsten Heldengestalten sind zum88


Untergange verurtheilt;über Achilles schwebt das frühe VerhängnissjHektor, ohne Schuld, wird in das Schicksal derGriechen verflochten. Die Menschen sind wie die Blätterder Bäume im Walde, beim rauhen Herbstwinde. Das Ge-der Mitlebenden kommt dem Dichter schwach undschlechtunheldenhaft vor (oloi vöv ßpoxoi siaiv kommt nicht in derOdyssee vor) 5 Schuld und Leidenschaft aller Art tritt an diebesten Helden heran. Sprichwörtlich sagte man später 'IXiacxaxÄv. In solchen verschiedenen Gesammtfärbungen zeigtsich der e'me Schöpfer des Ganzen. Der Mythus hat davonnichts, der ist deutsam und biegsam und kann jede Färbungannehmen. —Die Odyssee zerfällt in vier Haupttheile, von denen jedereinen Vortragsabend ursprünglich ausfüllte, nämlich GesangI— 4, 5—12, 13— 19, 20— 24, gleichsam vier Akte. Erst dieRhapsoden haben diese Gruppen wieder zerlegt, in Stücke,die deshalb Rhapsodieen heissenj aber das Gedicht ist 7jichtfür diese Art von Vortrag entstanden, nicht also für dasoTTopaBr^v delBsiv. Aus der Rhapsodenpraxis stammen die einzelnenNamen der Gesänge, sind also alt 5 ihrer bedienen sichHerodot, Plato und Aristoteles. Auch Doppeltitel kommenvor 5 das 9. Buch der Ilias hiess Aitai und r.piQ^zia r.phc,'A^iXXsa. Die AoXtüvsiot hiess auch vux-sYspoia.Darin liegt eben die Schwierigkeit der homerischen Frage,dass man in Beziehung auf Vortrag und Publikum verschiedenePerioden unterscheiden muss: aber sie gar zu leicht zusammenwirft.Nur die älteste Periode entscheidet: für diese sindjene Epen verfasst, nicht für das Rhapsoden-Zeitalter, nochfür das Lese-Epos. Der gewöhnliche Fehler liegt darin, dassman die Gedichte aus einer falschen Zeit, der des Rhapsoden,entstehen lassen will 5 da erst entstehen alle die homerischenProbleme, vor allem das Wolfische: „Dass eskein Publikum gab, das ein so grosses, planmässig angelegtes89


Gedicht als Ganzes hätte fassen können." „Ich kann mirnicht denken, wie es Homer einfallen konnte, ein so langesLeser hatte."und verschlungenes Gedicht zu verfassen, wenn er keine„Wenn er auch, mit diesen Eigenschaften ausgerüstet(Gedächtniss, Kraft, Ueberblick, Stimme u. s. w.)einzig in seinem Jahrhundert dastehend, die Ilias und dieOdyssee nach ihrem jetzigen Umfange gedichtet und vorgetragenhätte, so würden sie doch bei dem Mangel derjetzigen litterarischen Hilfsmittel einem grossen Schiffe ähnlichsein, das Jemand in der Kindheit der Schifffahrt mittenauf dem festen Lande gebaut hätte, ohne Walzen und Maschinenzu haben, um es in das Wasser zu schieben, wo es seineBrauchbarkeit zeigen könnte." Also: wie kann einem Dichternur einfallenj ein solches Ganze zu construiren, wenn seineZuhörer nur Stücke und Einzelheiten fassen können? Diesist die Seele aller homerischen Bedenken: die Einheit ist vonvornherein unmöglich ^zeigen selbst die Gedichte etwas davon,so muss das entweder Schein sein oder anderswoher, nichtaus dem Dichter zu erklären sein. Das war nun die AufgabeLachmanns, zu zeigen, wie jene angebliche CompositionSchein sei, nämUch Irrthum und Vorurtheilj für den genauenBetrachter fällt Alles in Stücken auseinander. Das „anderswoher"ist der Mythus.Versuche, die Ilias und Odyssee als mechanisches Aggregatzu erklären:1. aus der Sprache und Versbau,2. aus Widersprüchen.Alles in der Voraussetzung, dass die Einheit von vornhereingar nicht darin sein könne, dass sie aus Stücken bestehenmüsse; von diesem Stückwerk ist es wahrscheinlich,dass es Indicien hinterlassen hat. Aber an und für sichwürden jene Indicien nichts beweisen, dazu reichen sie nicht90


aus 5 wohl aber dienen sie, etwas zu bekräftigen, was vonvornherein als sicher gilt.Aber wir leugnen die Voraussetzung, und damit schwindetalle Kraft jener Indicien. Denn diese können auch anders erklartwerden j Widersprüche z. B. beweisen nicht nothwendiggegen die Einheit eines Dichters und eines Plans, wie dieErfahrung zeigt. Der Indicienbeweis aus der Sprache giltübrigensfür misslungen, selbst bei den Vertretern der Kleinliedertheorie.')Die Entstehung von Ilias und Odyssee ist der Abschlusseiner langen Entwickelung der Epopöe unter gleichartigenpolitisch-socialen Bedingungen 5 nicht der Anfang, sonderndas Ende. Ihre Berühmtheit stammt aus dieser Zeit. — Daskyklische Epos ist eine Uebergangserscheinung. Das Rhapsodenthumzerlegte alle vorhandenen Epen in Stücke jdie^) Im Allgemeinen sagt G. Curtius: „Das stellt sich immer entschiedenerheraus, dass Sprache und Versbau durch beide Gedichte hindurch wesentlichdieselben sind, ferner dass die homerische Sprache eine laxere Regelhat als die meisten andern Mundarten, dass sie im höchsten Grade dieEigenschaft besitzt, die man Flüssigkeit oder Dehnbarkeit genannt hat."Mikroskopische Versuche Hoffmanns (quaestiones Homericae) über Cäsuren,Hiatus, Digamma, um das Zeitalter der Stücke nachzuweisen, ohne jedeBeweiskraft. Denn die vielen cxTrag XsYOfxeva, ihr Vorkommen an dieseroder jener Stelle wollte man als Beweis benützen, dass die Stelle späterenUrsprungs sein müsse; aber sollte man nicht, je früher ein Dichter gelebthat, auch um so leichter ein verlorenes Wort finden? Ueberdies ergabsich, dass die stärksten und unangefochtensten Partieen ebensovielea7ra$ XeYOfxsva enthielten als die angefochtenen; auf je 14 Zeilen kommtein ä. X. Dann wollte Giseke für diejenigen Stellen, wo die Präpositionenin übertragener Bedeutung und in abstrakten Verbindungen vorkommen,eine spätere Entstehung behaupten. Aber das hängt von dem Inhalte ab;die Bücher, welche nur räumliche Begebenheiten behandeln, gebrauchenauch die Präpositionen nur räumlich. Endlich wollte man im wechselndenGebrauche älterer oder neuerer Formen ein Kriterion finden; bald yvcö-[xevai bald -/vuivai, bald iaTifievai bald IjTafxev, bald Ixravev bald ey.-rav.Aber der Wechsel ist so durchgängig, dass sich Vers um Vers beide Formenfinden, und eine Eintheilung der Ilias und der Odyssee nach diesemPrincip würde sehr oft die erste Hälfte eines Satzes in ein anderes Zeitalterverlegen als die letzte.91


Bekanntheit des ganzen Stoffes immer vorausgesetzt. Das„kleine Heldenlied" ist also einmal eine urzeitliche Vorstufedes homerischen Epos, aber dann wieder jünger als dashomerische Epos 5 beide Arten sind wohl auseinander zuhalten. Die zwxite Art setzt die Epopöe voraus. Das Rhapsodenthumwäre ganz ausser Stande gewesen, Ilias undOdyssee als Ganzes festzuhalten, da es immer nur einigeStücke bevorzugte. Deshalb muss bereits eine schriftlicheUeberlieferung bestanden haben: schon am Ende des Epopöenzeitaltersgab es einen geschriebenen Homer, wie esdarauf geschriebene kyklische Gedichte gab: und wie zuXenophons Zeit Homer bereits Schulbuch war.Zahlreiche Widersprüche finden sich in Ilias uud Odyssee,manche offen, manche nur für den peinlich Prüfenden wahrnehmbar.Jeder derselben wird von den Anhängern Lachmannsals Kriterium benutzt, dass hier verschiedene Gedichtenur äußerlich aneinander gefügt sind, z. B. Pylamenes wirdzweimal getödtet, II. V 576 und XIII 6585 das Haar desOdysseus ist blond, XIII 399, und dunkel, VI 233. XVI 1^6.Aristarch hat bei Gelegenheit des Pylamenes sein Augenmerkauf die homonymen Eigennamen bei Homer gerichtet:Scholion zu XIII 6^y. „Die Phokäer hatten zwei Anführerdes Namens Sy^sBioc, einen Sohn des Perimedes, einen desIphitos. Zwei Wagenlenker heißen Eurymedon, zwei HeroldeEurykratesj auf Seiten der Troer sind drei Adraste, zweiAkamas. Es giebt drei Thoon, drei Melanippus u. s. w."Von Medon heisst es II 717 ff., er sei Herrscher der thessalischenStadt Methone; nach zwei andern Stellen wohnt erin der thessalischen Stadt Phylake.Genau so steht es bei andern Dichtern, z. B. Virgil. Turnusz. B. tödtet zweimal einen Cretheus. Das Pferd ist einmalaus Fichtenholz, einmal aus Ahornholz, einmal aus Eichenholz.Als Aeneas die Dido verlässt, ist es Winter; in Sicilien9^ ,


aber findet er Palmen, Rosen, Myrthen und Lorbeern involler Pracht. Im Don Quixote sollen sich so viele Widersprüchefinden, als in Ilias, Odyssee und Aeneide zusammengenommen.Ich leugne also überhaupt den Schluss, den manaus Widersprüchen macht 5wo es auf so ungeheure Massenankommt, da sind kleine Verzeichnungen, wie bei grossenDeckengemälden, recht gleichgültig. Hier und da scheint esförmlich, als ob das Interesse an Nebenpersonen zu mächtigwürde, als ob die Episoden zu breit wären u. s. w.j jedenfallssollen wir den Dichter bewundern, der auch für Episodenund Nebenpersonen noch ein volles Herz hatte 5 sindda Fehler, so sind es die Fehler des Reichtums. Und dannkommt immer bei den Episoden etwas heraus, was im Verhältnisszum Ganzen steht, z. B. bei der AoXwvsia; am Schlussdes 8. und 9. Buches ist die Stimmung der Griechen düster,im Anfange des 11. heiter und getrost: folglich können siegar nicht unmittelbar aufeinander folgen: vermittelt durchdas kühne und wohlgelungene, aber durch die äussersteUnruhe vorbereitete und erzwungene Nachtabenteuer. DieHaupthandlung ist freilich innerhalb der Bücher i, 8 — 9,11—12und 24 abgeschlossen 5der Dichter hat also sehr ins Breite gebaut.Als Drama könnte die Ilias mit der Scene im 9. Bucheanfangen, mo Achilleus zum ersten Male seine Gleichgültigkeitgegen die Not der Achäer zeigt 5oder gar mit demII. Buch erst, wo er darüber aufjauchzt. Der Epiker erzählterst den unbedeutenden Anlass zum Zorn des Achill, interessirtuns dann immer mehr für das Schicksal der Achäer,bis zum Punkt, wo nur noch die Wahl zwischen dem Untergangeist und der Hilfe Achills. Man versteht erst nachdem 2.-8. Buche die furchtbare Bedeutung der abschlagendenAntwort des Achill 5 man zittert für all' die großen Heldenund die Achäer insgesammt. Erst durch dieses Gegengewichtder Sympathie spannt sich das Gewölbe des ganzen Epos93


aus 5 was der grösste Held Achill bezwingt, muss gross undmächtig und unsrer Theilnahme sicher sein. Diese grossenSchlachtenepisoden sind gleichsam der Ballast, durch den dasganze Schiff erst die Grösse und ruhige Bewegung bekommt.Denken wir uns, wir wären ohne tiefe Sympathie für dieAchäer und ebenfalls für Hektor — was bliebe da für Achill!Die tragische Wirkung der Haupthelden kommt erst herausdurch die Grösse der Neben- und Gegenspieler. Wir mögennoch so sehr in Theilnahme für einzelne Personen, wie z. B.für Diomedes, gerathen: um so schrecklicher wird uns derGroll des Achill im Hintergrunde.So viel über Composition^ über diese kann man nichtgenug nachdenken. Ich erwähne nur noch den Sinn desSchiffskatalogs im 2. Buche. Der Dichter geht hier ins Einzelneein, nicht um zu belehren, sondern um ein anschaulichesBild zu geben. Sobald die Achäer ihre Schiffe und Zelteverlassen, blitzen ihre Waffen weithin, als ob man einenWaldbrand sähe 5 sie strömen hervor mit einem Getöse, wieKraniche, wilde Gänse und Schwäne, die sich auf der asischenEbene mit Geschrei und Flügelschlag versammeln. Ihre Zahlist wie die der Blätter und Blüthen zur Frühlingszeit; als sieihren Sammelplatz erreicht haben, glaubt man einen Schwärmvon Fliegen zu sehen, die im Kuhstalle um die Milch herumsummen.(Man fühlt, als ob man hoch drüber in der Luftzuschaute und zuhörte.) Nun kommen die Häuptlinge, umdie Schaaren zu scheiden;nun soll aber noch ein bestimmterEindruck in Betreff der Zahl hervorgebracht werden^ esnützt gar nichts, zu sagen: 100 000 Mann, ohne Erfahrungmacht man sich keine Vorstellung davon. Der Erzähler gehtin die Einzelheiten, macht uns mit jeder Schaar bekannt,sagt, wie viele Städte sie gesandt haben, wie viele Schiffe,wie viel Männer an Bord. Alle Abtheilungen ziehen vor demAuge vorüber: das erschreckt und erschöpft j die Phantasie94


suppUrt das Ungeheure — und darauf kam's dem Dichteran! Auch in dem Schlachtenbraus liebt es der Dichter, durchHäufung schnellster Namen- und Personenwechsel, ja gewisseVerwirrungen und Unklarheiten die Phantasie aufzuregen zurErzeugung des ganz Unermesslichen und Unüberschaubaren:Alles, damit die Bedeutung von Achills Groll und seinenFolgen ebenso anschwelle.Beschreibung und Vergleichung.Er zählt nicht gern Einzelheiten auf, um etwas zu beschreiben:lieber verwandelt er es in ein Geschehen; derSchild unter den Händen des Hephäst wird uns als werdendesKunstwerk vorgeführt (anders im „Schild des Herakles",so sehr dieser nachgeahmt ist; lauter Werke der Ruhe).Ausnahme ist die Schilderung des Thersites; als Gegensatzzur berühmten Schilderungder Helena (durch Wirkung aufdie Greise vom Thurme [.. .] IL III 156), aber ThersitesII, 212 wird Zug für Zug geschildert, denn die Kraft desIdealisirens nach der schönen Seite zu wird viel leichterangeregt. Zur Anregung besonders das Gleichniss benutzt;darin ist Homer einzig gross. Aristot. Topic. VIII i bemerktdie Verlegenheit der jüngeren Epiker (des Choerilus), eingutes Gleichniss zu finden. Im ganzen Virgil ist kaum einGleichniss, das nicht aus Homer oder Apollonius entlehntwäre; wenn er aber erfindet und z. B. die Angst der Didomit dem Wahnsinn des Orest auf der Bühne vergleicht,welcher Verstoss! — Das homerische Gleichniss hat nichtdie energische Kürze des lyrischen und dramatischen Gleichnisses,es ist ausgemalt; er bleibt selten streng im Bilde. Beieinem Vorgang, der mehrfach ist, werden auch Gleichnissegehäuft. Vergleichungen mit der Zeit des Dichters werdennicht gemieden: Nausikaa mit dem Palmenbaum am Altaredes Apollo zu Delos; die Stieropfer an den Panionien zu9S


Ehren des Poseidon, 11. 20, 403. Die Ilias ist reicher an ausgeführtenVergleichungen : 182 gegen 39 dei^ Odyssee. Daserste Buch der Ilias und die drei ersten Bücher der Odysseehaben keine, wie sich das für den Eingang ziemtj der Dichterzeigt hier seine Bewusstheit über seine Mittel.Vergleichungenmit Göttern kommen vor, doch mit massiger Ausführung.Einzig steht ein Vorgang inneren geistigen Lebens zur Vergleichung,IL XV 80: „wie der Gedanke eines Mannes sichim Fluge bewegt, der über ein weites Stück Erde weggekommenist und hintendrein im hellsichtigen Geiste beisich denkt, ,wäre ich doch dort oder da', und eine MengeDinge sonst an seiner Seele vorüberschweben lässt;mit ebensoreissender Schnelligkeit flog auch Hera dahin."Die Epitheta: ihr Gebrauch als ornantia und propria(wesentliche). Einmal, um Personen oder Gegenstände hervorzuheben:xaXo? dyXao; xXuiö? (prächtig), 8Toc trefflich (nichtgöttlich, OSLO?), golden, silbern, purpurn 5 man muss dashomerische Gold und Silber nicht für die Archäologie verwenden,es stammt aus der Einbildung des Dichters, seinewirkliche Umgebung kann recht arm daran gewesen sein.Propria sind solche wie der kalte Schnee, der dunkle Rauch,die hohe Stadt. Aber immer nimmt der Dichter im Epithetonkeine Beziehung auf die im Satz erwähnte Thatsache. DerHimmel heisst daTspoei?, auch wo es heller Tag ist. DieSchilfe heissen schnell, auch wenn sie ruhig. Vom Saal (jLeyapotwird axiosi? gebraucht, auch bei hellem Tag, oder wenn ererleuchtet ist. Achill heisst iroSa? tüxu?, wenn er auch mitAgamemmnon in der Versammlung streitet. Das Meer heisstolvo']^, TjepoeiÖT^?, losio^?, dunkel überhaupt, das charakterisirtnicht die specielle Färbung eines bestimmten Moments. DerWechsel zwischen den vielen gleichbedeutenden Beiwörternwird wesentlich durch das Bedürfniss des Verses veranlasst.Das echt epische Beiwort des Weines ist [aeXit^Bt^cj wo der9Ö


Vers es nicht erlaubt, jjisXicpptov, su^vwp, eucpjowvj von derdunklen Farbe aWo^i, auch (leXa? oder kpi>x^p6


knüpfte der erste Vers der Epigonen an die Thebais an:vuv au&' oTrXoTepcüv ä'jhpGiV dp^^cüjisOa Mouocti. —Die hesiodeische Poesie steht zu der homerischen in einemGegensatz des Stoffes. V. 27 der Theogonie sagen die hesiodeischenMusen: i8[x£v (J^euSsa TcoXXa Xeyeiv eiufxoioiv 6(ioia,i8{xev S' süT eöeXcü[jL£v aXy]dia YY]p6aaa&ai. Das heisst: „Lügengesangist homerisch, Wahrsang hesiodeisch". Das Wirklicheist in den Erga zu spüren, Vorschrift: „so soll es sein"j aberauch in den genealogischen Liedern soll die Wahrheit berichtetwerden; diese Gedichte sollten zugleich Vielen alsUrkunden gelten.Die den Böotiern benachbarten Lokrer hatteneinen aus 100 Geschlechtern bestehenden Adel, die nachPolybios ihre Adelsrechte sämmtlich auf Abstammung vonHeroinen gründeten. Und so ist Hesiod bei den Lokrern begraben,bei Oineon, nicht weit von Naupaktos, und die hesiodeischenNaoTrdxxia werden von Pausan. X 38 genannt etut)TTSTcoiTjiJieva kc, yuvaTxa?. Die Rücksicht auf die Wahrheit liegtauch der Dichterweihe Hesiods auf dem Helikon zu Grunde;die Musen wählen einen dummen böotischen Hirten: v. 2.6TuoijjLeve? aYpauXoi, xdx' eXey^^ea, yaoispe? olov, er soll nichts alsOrgan sein und deshalb um so glaubwürdiger. Der Auftragder Musen ergeht dann iva xXeioifjii xd t £aa6{x£va 7rp6 t eövxaxai {!£ xeXovö' 6|xv£iv jjiaxdpcüv yEvo? aUv Iovxcdv. Auf die Musenweiheweist V. 0^58 der Erga zurück; er stiftet den Dreifussden Helikon-Musen, Ivöa jx£ xö TcpÄxov ^lyopyj«; E7r£ßY]oav doi-8"^?. Denken wir uns ein Fest der |jLoua£ia, dort trat derDichter mit seiner Theogonia zuerst auf Mit Txpo x' eovxawird der mythologische Theil, mit £aa6{X£va die Mantik bezeichnet.Pausan. X 131 erzählt, der Sage nach habe Hesioddie Mantik von den Akarnanen gelernt (was auf Melampusund sein Geschlecht hinweist). Eins der Gedichte ist dieM£Xa|X7uo8ia. Also Hesiod und seine Schule stellen sich dieAufgabe, Sagen und Vorschriften echt und unverfälscht wieder-98


zugeben, nicht sie frei zu gestalten, nicht zu erfinden. Diealte Göttersage, die Erinnerungen der HeroengeschJechter,die berühmten Seher und ihr Geschlecht, Alles wurde berücksichtigt,möglichst viel sollte umfasst werden: es war einVorspuken des historischen wissenschafthchen Geistes indiesen Sängern. Weniger Dichter, als Exeget der Sage, mitNeigung zum Etymologisiren. Mit der Emheit ist es schhmmbestellt.Compos'ttwn der Erga, Aufgabe war gestellt: wie kann diegrösste Masse der Volks- und Bauernweisheit an einem Fadengereiht werden? Mit Hülfe einer zu Grunde liegenden fabula,die freilich sehr ungeschickt erfunden ist. Hesiod hatte mitseinem Bruder Perses das väterliche Erbe, ein Ackergut, getheiltund musste von der übrigen Habe manches abtreten,weil bestochene Richter Perses Recht gaben. Dennoch istdieser nicht zufrieden, strebt durch Prozess mehr zu gewinnen,sicher der Gunst der Richter, \^ eiche durch Geschenke sichwieder bewegen lassen, ein ungerechtes Urtheil zu fällen.Hesiod räth, dass sie ihre Sache unter sich gütlich beilegen.Hat nun Hesiod das Gedicht öffenthch vorgetragen, um dieihm von Seiten des Perses drohende Gefahr abzuwenden?Oder ist er ins Haus gekommen? v. 35. Sicher ist es zur Belehrungfür das Landvolk eines Theils von Böotien bestimmt.Hatte es ein so speziell persönliches Motiv, dann musstees kürzer und bestimmter auf das Ziel losgehen j währendalle Augenblicke Perses vergessen wird und zum leeren Namenherabsinkt. Vorschriften über die Seefahrt, über die Glückstage,an einen prozesssüchtigen Bruder! Nie wurden Lehrenbei wunderlicherem Anlass gegeben: es ist eine Fiktion, umdie Vereinigung der Bauernmoral und der Bauernhausregelngeben zu können. Ebenso war die Fiktion in den Lehrendes Xeipcüv. Voran Schilderung der Jugendjahre des Achillin der Waldeinsamkeit^ mit guten Lehren entlasst ihn Cheiron-7*99


in die Welt. Der Verfasser nimmt Bezug darauf, dass HesiodDichter der Theogonie ist (helik. Musen), und dass Hesiodüber Homer in Chalkis gesiegt hatj während in dem Prooemiumder Theogonie sich durchaus keine Anspielung aufHesiod als Sänger der Bauernmoral findet. Der TheogonieundGenealogie-Dichter Hesiod steht im Gegensatz zu Homer,ihr Verhältniss wird im Wettkampf symbolisirt; nicht derSänger des Landlebens steht dem Sänger des Kriegs entgegen.Ein kleines Prooemium voran, die Musen aufgefordert, Zeuszu preisen. Es fehlte in manchen alten Ausgaben, z. B. indem alten Bleiexemplar auf dem Helikon, Paus. IX 31. AmSchluss Anrede an einen Richter im d^ütv, xXudi iSodv dtwvTS, BixYj S' löuve 0£(j,iaiot


das Weib als die Hauptquelle des Uebels; dabei scheint ersich an den Ton der Theogonie anzupassen. Dass er vonbestimmten Überlieferungen über Hesiod ausgeht, zeigt eineStelle besonders, wo er in Conflikt geräth, v. 6^6 ss.Es sollen auch die V^orschriften über die Seefahrt gegebenwerden. Aber Hesiod galt dem Seewesen für völlig fremd,nur eine kleine Seefahrt nach Chalcis war in der Tradition, diekam nicht in Betracht, um ihn zum Lehrer hierin zu stempeln.Wie hilft sich der Redaktor? Er erinnert an die Dichterweihej die Musen sollen es verantworten 5 sehr ungeschickt,denn die unterrichten nicht über praktische Dinge 5eigentlichist es lächerlich, Inspiration über Nautik. — Hier scheidetsich klar der Redaktor und seine redende Figur Hesiod. DerRedaktor will sich als Hesiod geriren, aber man merkt es.Die Einmischungen von den persönlichen Schicksalen Hesiodssoll die Echtheit verbürgen. Wichtig ist, dass die Wettkampfsagealter ist als die Entstehung der Erga, ebenfalls die Abkunftdes Vaters von Cumae, der Aufenthalt in Ascra. —Im Einzelnen zu erwähnen die Sage von den W^eltalternnach V. 105. Zwischen das eherne, das ruhmlos unterging,und das eiserne schob er das heroische einj sonderbare Incongruenzdes Redaktors, der ganze Gang der Geschichtewird dadurch gestört; nach der alten böotischen Auffassungist das eherne Zeitalter das, was sonst als das heroische bekanntist.Gold — Glückselige, ohne Leid, Alter; Tod wie im Schlafe.Umgang mit den Göttern.Silber — dumme Riesen. Langsame Reife. Keine Opfer.Zeus tödtetsie.Erz — mächtige Kriegshelden, die sich untereinander aufreiben.Im Hades namenlos!Eisen — ganz nichtswürdige Menschen. Verachtung derGötter, der Eltern. Ehe der Frevler.lOI


Die Erzperiode erschien der Phantasie des Volks keineswegsverehrungswürdig. Das Lob des heroischen Zeitalters — fürdas nun das Metall fehlt — nach der Verbreitung des ionischenHeldengesanges eingefügt! es ist aristokratisch. — MehrereUnklarheiten des Redaktors über die Zeit, in der er lebt: erscheint fast zu meinen, es werde nach ihm besser; währendder Grundgedanke des alten Gedichts war: völligeVernichtungder Menschen nach der Eisenperiode. — v. 202 ss. steht dieälteste Fabel,Sänger und ein Tyrann wetteifern miteinander,Sänger verliert und hat die Schande, das ist der Sinn. Derist thöricht, der gegen Stärkere kämpft; aber was soll das imZusammenhange? — An sich schildert es im alten gnomischenGedicht die ußpi? der eoOXoi, darauf die ußpi? der SeiXoi.81XY] und ußpi? ist jetzt das Thema bis 2(^4, darauf eine Anzahlunzusammenhängender Gnomen, durch Stichworte oft verbunden.Der Versuch eines zusammenhängenden Epos wirdzuerst noch festgehalten,durch die Erinnerung an den faulenPerses und die ungerechten Richter. Allmählich reisst derFaden ab. — Von 383 beginnen die Vorschriften über Landwirthschaftund Haushalt.Winters v. 493Schöne Stelle Schilderung des hartenu. s. w. Dann Schifffahrtsregeln. Dann sittlichreligiöseDenksprüche, auch Regeln des Anstandes. Zuletztdie -Jjfiepai [765]. Abergläubisches Calendarium, am 8. z. B.soll man Eber und Stier schneiden, am 17. dreschen, Balkenfällen [805]. Der 19. ist Abends gut; am 30. soll man die Werkebeschauen, Kost austheilen, es ist der Rechtstag. Heraclit hatgegen die Tagewählerei des Hesiod angekämpft: tö; dyvoouvTtcpuaiv -?j(jiepa? aTTdaY]? jjiiav ouaav.Wo der Ort des Gedichts ist? Man hat an Thespiae,Orchomenos, Naupaktus gedacht. Ascra selbst nicht, das istzu scharf mitgenommen.Theogon'ia. Es zeigt sich durchaus dieselbe schlechte Compositionsmanier,die verschiedensten Werkstücke werden102


verwendet 5aber durchaus kein reiner Guss. Die Schilderungdes Titanenkampfes steht mit dem Vorhergehenden nicht imEinklang. Er benutzte alte hieratische Hymnen. MerkwürdigeLücken, die Entstehung des Menschen wird beim Opferbetrugedes Prometheus vorausgesetzt, allein nichts davongesagt, die Geburt der Giganten erwähnt, nichts von derGigantomachia. Dann ganz roh Stücke eingefügt, wie derHekatehymnus, v. 411 — 451, ganz umständlich, wider alleSymmetrie des Gedichts, eine ganz untergeordnete Göttin.Beschreibung des Tartarus höchst unklar.Ebenfalls störendeEpisode: der Kampf des Zeus und Thyphoeus. Ueberhauptgiebt es zwei Hauptarten des Inhalts: einmal genealogischeAngaben, dann eingeschaltete Erzählungen, von denen einzelnekürzere unentbehrlich sind, um die Abschnitte der Genealogieenzu verbinden, andere könnten auch fehlen. Ausserhalbdie ver\\orrene Beschreibung der Weltgrenzen und desTartarus und der Hekateepisodej endlich in der genealogischenPartie die befremdliche Aufführung fabelhafter Wesen.In den sicherechten genealogischen Partieen häufig die verschiedenenZeugungen in je 3 oder 5 Versen. Man suchtedies als Kriterium zu benützen, die echte Theogonie habenur aus solchen Strophen bestanden. Was sich der Strophenicht fügt, sei Zusatz. Köchly hat 1860 dann aufgestellt, es habezwei Theogonieen neben einander gegeben, eine ältere kürzerein triadischen, eine jüngere erweiterte in pentadischen Strophen.[Uebersicht über die andern epischen Dichtungen, bis herabzu Nonnos und Musaios, dessen Epyllion von Hero undLeander „sehr reizvoll" genannt wird.]§ 6.Die elegischen Kunstwerke.Bötticher in den Arica [S. 34]leitet es vom armenischenelek „Rohr" ab. Die Armenier sind mit den Phrygern eines103


|Namens: also „Flötenmusik"/) Die ältesten Elegiker warenFlötenbläser wie Mimnermus Tyrtaeus. Es ist ein sehr ver'dnäerlicherCharakter, das Traurige verliert sich, die Flöte verliert sich,der Inhalt ist der allergemischteste, so dass man das Metrumfast als ein neutrales bezeichnen möchte. eX^y^'^o^ bezeichnetI. den Pentameter, 2. das Distichon, das elegische Metron.eXeysia ist das elegische Gedicht selbst, ein später Ausdruck.Ganz spät das Wort Pentameter mit seiner Messung^ vielmehrist es ein Hexameter mit zwei Pausen. Jedenfalls istes eine der geistvollsten metrischen Schöpfungen. — Hiergeht uns nun zuerst die Gestalt dieser elegischen Gedichte^)an. Die kleinste Gestalt, die Elegie aus einem Distichon, zugnomischem Gebrauche 5 Richtung auf Kürze war den Spartanern,den Argivern, den Kretern zu eigen jsie w^ar überhauptvolkstümlich, die Sprüche der sieben Weisen gehörenhierher. Das Distichon hat dazu besonders Theognis ausgebildet,z. B. 335 [ir^Sev ayav aTrsüSeiv irdvicDv jx£aapiaxa* xai oÖtu)?e^si?, Kupv', dpet-^v, f^v ts XajSsiv jaXiizQv. Hier ist \kr^h ayavSpruch des Apollo, Kleobulos sagt {leipov dpiaiov. Phokyl. fr. 12TToXXd {jLsaoiaiv dpiaia, zuletzt des Pittakos Spruch /otXsTcd xdxaXd. Auch Aussprüche Homers, Hesiods hat er derart umgeformt;die Form hatte damals einen grossen Werth. Sogiebt es auch Gnomen von 3— 4, 5, 6 Distichen. WelchenWerth man darauflegte, zeigt Phokylides: xal toBs (I)a)xuXi8£a).Auch Theognis hatte sein Mittel, um sein Eigenthum zu erklären,den Namen Kyrnos „Kupve" aocpiCofievu) (lev e|xoi acppayU*) [Spätere Hand:]1. Wort.Der Etymologie nach wäre es Gegensatz zur Lyrik Dichtung zumauXo^. Was ist auXi^?2. Stellung zur Musik.3. Charakter der Dichtung.p) Hier ist von späterer Hand eine längere Ausführung eingeschoben,die wörtlich aus Rohdes „Roman" stammt, erste Auflage S. 146 f. Anm.]J04


eTcixsiao (ego, oöco vulgo) lotaS' Itusoiv, Xr^osi outcote xXsTrioiisva.— (Los 5s Ttä? Ti? ep=i. ÖsoyviSo? eaiiv etty] too MsYapsoc. DieseAnrede hatte schon das gnotnische Hexametergedicht, z. B.Erga, mit Perses, die uiroö-^xai Xsipwvoc mit Achill. Grösseregnomologische Gedichte sind von Solon verfasst, z. B. in denuTToOrixai sU ectotov, von denen eine ganze grosse erhalten ist,von 7(5 Versen.') Elegieen, die aus dem Gno?7jischen übergehenins Politische^), durch Zeit und Sitten Schilderung, und Anspielungauf Gelegentliches, namentlich Tyrtaeus suvofjLia, Solon,Betrachtungen über seine Verfassung Tuspl TroXiieia?, Theognisin seiner YvwfioXoYia nrpo? Kupvov, der Katechismus des megarensischenAdels. Das Gnomische und das Kriegerische verbundensehen wir bei Kailinus und Tyrtaeus, das Gnomischeund Erotische bei Mimnermus. Es ist die Sprache des ?}7editirendenGemitths, das im Distichon seine Form findet^ dieBesonnenheit im Lehen und Erleben.^)Welcher Gebrauch nun der älteste ist? Ich glaube, dergesellschaftliche, sympotische, da ist dies (Jtexpov entstanden.Das aoEiv Tüpo? [jiuppivr^v ganz alt, nicht bloss attisch. Dazuertönten häufig Flöten, jeder bringt seinen Beitrag, oft nimmtder Eine die Rede des Andern auf, gnomische Distichenwerden gegeneinander gestellt zu scharfer, oft ironischer Beziehung.Alle alteren Elegieendichter dichten für das Symposion,da wird auch wohl diese Versform erfunden sein:und hier ist gewiss die kurze Gnome die älteste Form, hierwagte sich aber auch das persönliche Empfinden hervor, besondersdurch das Ansingen des Gehebten. Bei Theognis^) 4. Charakter, Gemeinsames.*) Ethik der Politik.3) 5. Heimath der Elegie.Wo ist Gelegenheit zu einer Elegie und zu Distichen?11 >» ,,zur Verbreitung der Dichtungen auch ohne Dichter?Im Symposion.105


sind viele Elegieen als Episteln gemeint, aber so abgefasst,als ob sie bei einem Gelage vorgetragen würden. Aber auchdie Aufforderung zum Krieg bei Kallinus ist im Symposionvorgetragen, dann versteht man den Anfang doppelt {xej^picT£ü xaiaxeiaös.Solche Gedichte kann man nicht in der Schlachtselbst vortragen, auch zum Chorgesang sind sie gar nicht.Sympotisch also auch Tyrtaeus, wenn auch für die Symposiendes Feldlagers. Die auxf poauvT] der Gelage, auf welche Platoeinen so ausserordentlichen Werth legt, war die Mutter derElegie. Da entstand die Uebung, auf einen gegebenen Gegenstandeinen kurzen treffenden Vers zu machen; und so isthier auch die Quelle des Epgramms: Anlass bot ein vorhandenesTrinkgeschirr, ein gegenwärtiger Freund, ein jüngstAbgeschiedener. Man kann zwei allgemeinste Aufgaben sichdenken : einmal, beim Gelage, wenn man sein Skolion singenmuss, etwas Passendes zu sagen — Ursprung der gnomischenElegie; dann, etwas speciell Passendes zu sagen: Ursprungdes Epigramms. Die ganze elegische Poesie wurzelt in demToast.Die Blüthe dieser Poesie ist das Zeitalter der sieben Weisen;')die meisten derselben sind darin thätig gewesen, z. B.Pittakus, dann Periander uTuoOf^xai sU xov dv{)pü)7i:£iov ßiov, auchCheilon und Kleobulus, vor allen Solon. Alle gnomischpolitisch.Liebe und Hass Thema des Mimnermus, berühmtseine Nawio, Hass gegen Hermobios und Pherekles. DerPhilosoph Xenophanes wollte in seinen Elegieen eine Reformdes Symposions durchführen. Der grösste Epigrammatikerist Simonides, bei jedem wichtigen öffentlichen Denkmalwurde er herbeigezogen. Nach den Perserkriegen wurde dieElegie litterarisch und gelehrt, Antimachus ist auch hier derMann des Verhängnisses mit seinem dicken Trauergedicht^) 6. Zeit und Unterschiede je nach der Zeit.\o6


auf die gestorbene Geliebte AuBtj. Aber damals machte schonjeder geistreiche Mann seinen Vers, von den Staatsmännernnamhaft Dionysios 6 ^(aXxouc, der das Distichon mit demPentameter anfing, also gleichsam mit dem linken Fusse antrat,der Gründer von Thurioi, und der Tyrann Kritias, derdie politische Elegie pflegte und seine Vorliebe für spartanischeSitten darin ausdrückte. Aeschylus hat eine Elegieauf die bei Marathon Gefallenen gemacht, doch die desSimonides galt für schöner. Auch seine Grabschrift ist vonihm selbst (nur der Kriegsruhm erwähnt). Ion von Chios,in allen Arten produktiv, auch hierin, z. B. auf Dionysus,ein Stück erhalten. Auch von Sophocles und Euripides werdenelegische Verse citirt. Vom Historiker Thukydides ein Epigrammauf Euripides. Von Philosophen haben Epigrammegemacht Empedokles, Sokrates, Plato (ob echt?), Speusippos,Aristoteles (Elegie an den Eudemos, worin er des todtenPiatons gedenkt, h>ih^(i


die Dithyrambendichter [fr. 279]voöoi aoiSoL Ekel an demkykiischen Epos, man sucht nicht mehr mit Homer zu wetteifern.Beliebter ist Hesiod, der oft in Epigrammen gelobtwird 5 das Lehrgedicht blühte. Als Elegiker ist besondersCallimachus und Philetas') berühmt, wir können ihre Grösseeigentlich nur an der Nachwirkung messen, welche sie beiden Römern gehabt haben. Auch das Epigramm entfaltetsich wunderbar, bisauf Alexander den Grossen ist es wesentlichtitulus Aufschrift geblieben, für Denkmäler, Grabsteine,Weihgeschenke. Nun kamen aber die fingirten Aufschriftenauf, die epideiktischen, besonders die satirischen. Später werdenalle möglichen kleinen Gedichtchen gelegentlich als Epigrammebezeichnet und in Epigrammsammlungen aufgenommen, fälschlich.Das Nothwendige gut auszudrücken, knapp, bestimmt,die Schwierigkeiten der Namen überwinden, das Charakteristischescharf zu treffen. Sehr Gelungenes wurde dann verbreitet,gesammelt, es entstand an dem Berühmtesten ein Wetteifer, esnoch besser zu machen, z. B. über die Thermopylenkämpfer(Simonides).§7.Die Hauptformen der lyrischen Kunstwerke.[Dieser Abschnitt wurde in dem Heft für Litteraturgeschichtenicht ausgeführt. Nietzsche benutzte offenbar einschon 18Ö9 entstandenes Heft über „Griechische Lyrik", indem er Verbesserungen und Rückverweisungen auf das „Heftfür Litteratur" mit späterer Hand eingetragen hat.]§8.Die Tragödie.Aus dem Dithyramb ist die Tragödie hervorgegangen 5 derName nach Etym. M. 7(^4,5 „Bocksgesänge", weil die Chöre[') Hier anschliessend am Rande noch eine Reihe AlexandrinischerDichter sammc Werken aufgezählt.]108


zumeist aus Satyrn bestanden, die man ipdyoi nannte. DerUrsprung der Tragödie im Peloponnes, bei den Korinthernund Sikyoniern. Der Rhetor Themistios orat. 27 p. 3^7 sagtxpaYoioia? eupeial {jlsv Sixuwvioi, TsXsaioupyo'^ oe'AxTixoi. [FolgenBemerkungen über Epigenes, Arion, die ältesten Tragikerund Pratinas.]Also Hauptsätze: i. Die lyrischen Elemente bilden die eigentlicheBasis der Tragödie 5 nur allmählich treten sie hinter denDialogpartieen zurück. Noch in der Tragödie des Aeschyloserfordert der Vortrag der carmina viel mehr Zeit als derDialog. Eine grosse musikalische Einheit geht durch die lyrischenTheile der älteren Tragödie. Nachweis in Betreffdes Agamemnon sehr schön bei H. Schmidt, Kunstformender griech. PoesieII 474 ff.2. Die Tragödie ist aus der Darstellung der schrecklichenund leidensvollen Dionysosmythen entstanden und hat ihrenTon nicht verändert. Ihr yjöo? \^'ar von Anbeginn diastaltisch,ihr xpoiro? Tpctyixo?.3. Der alte Satyrchor der Tragödie bestand nicht aus jenenburlesken Satyrn (pueril, lustig), welche das spätere Griechenthumfast allein übrig behielt; die alte Volks Vorstellung derburlesken Satyrn, die menschlichen Karikaturen, kommt erstim Satyrdrama zur künstlerischen Ausbildung, und von daaus wirkt sie wieder auf die bildende Kunst. Es giebt Zügeeiner ganz andern Auffassung des dionysischen Kreises, z. B.in der Sage vom Gespräch des Midas mit Silen.4. Wenn die Tragödie aus dem Dithyramb entstandenist, so darf man dabei nicht an die zweite, klassische Formdes Dithyramb denken j denn diese unterschied sich in Stimmung,Tonarten u. s. w. völlig von dem arionischen. Natürlichauch nicht an den neueren Dithyramb. Gerade nachder Entfaltung der Tragödie aus dem arionischen Dithyrambuswar der Dithyramb entweder vernichtet (weil überboten)109


oder musste ein neues Bereich und eine neue Stimmungsich schaffen 5so entstand der hesychastische Dithyramb, mitder ruhigen Wonne des Glücks. Beide Kunstformen, Tragödieund hesychastischer Dithyramb, entwickeln sich nunim Staatskulte neben einander und prägen ihren Gegensatzimmer schärferaus.5. Die griechische Tragödie aus der Lyrik, die neuere ausdem Epos. Welche Consequenzen!6. Aber sie ist aus der dionysischen Lyrik entstanden, nichtaus der apollinischen. Schmerz, Schrecken, Lust, Schmerzenswonne,elementare Aufregung, eine Art von Verzauberung,auch in seinem Glück schauerlich: ein fremder Gott, der denhärtesten Widerstand besiegt hat.des Dithyramb istDie kunstmässige Entfaltungein Versuch, diesen Dämon zu bezwingen.Das Orakel selbst hat dazu gerathen laxdvcii copaio) Bpo(iiü)Xopov afxixiya udvia? (ohne Klassenunterschied). Die tragischeIdee ist aus diesen dionysischen Zuständen geboren 5demMenschen, in allen seinen Fundamenten durch Lust undSchrecken, durch ihn umgebende Wunder erschüttert, gehtmomentan eine ganz verklärte Ordnung der Dinge auf;Schuld, Schicksal, Untergang des Helden sind nur Mittel,um jenen Blick in die verklärte Welt zu thun.7. Die Tragödie ist ein Fest der ganzen Stadtgemeinde.Weihevolle Stimmung der Zuhörer, heiter-kräftige, freieMorgenstimmung. Der weite Kreis von 20—30000 Mitbürgern,der offene Himmel, die auftretenden Chöre mit goldenenKränzen und kostbaren Gewändern, die architektonischschöneSkene, die Vereinigung der sämmtlichen musischenKünste. Die Stimmung der Zuschauer ist vom grössten Einflassauf die Entwicklung des Theaters. Man denke an dasklassische französische Theater, als vornehme Personen ihreSitze auf der Scene selbst hatten und den Schauspielernkeine zehn Schritt zur Handlung Hessen; die Bühne zumiro


Vorzimmer, die Furcht vor dem Läctierlichen das Gewissender französischenTragiker.8. Gross ist die Verschiedenheit der griechischen Tragödiein Betreff der Adasse des Stoffs. Nach unserm Maass gehörendie Ereignisse einer griechischen Tragödie in einen Akt. DasZiel des Dichters ist eine prachtvolle, tief ausklingende Scenedes Pathos, ein Höhepunkt der lyrischen Stimmung; das,was gethan wird, soll dazu nur vorbereiten. Im modernenDrama ist die That selbst das Ziel. Daraus ergiebt sich einetotal verschiedenartige Bauart: die Höhepunkte des antikenDramas beginnen, wo bei uns der Vorhang fällt j die interessantestenTheile unserer Tragödie, die ersten vier Akte,existiren im griechischen Drama gar nicht. Bei Shakespearekann man wahrnehmen, dass die Wärme des Dichters fürseine Helden im letzten Theile abnimmt; denn ihn reizendie seelischen Processe vor der That, die griechischen Dichterdie seelischen Processe nach der That. Der eine sammeltmit Vorliebe die Prämissen, der andre zieht mit Vorliebe dieConclusion. In summa: der Bau der antiken Tragödie istvieleinheitlich- einfacher.9. Der Schauspiele}^ ist von vornherein in einer ganz andernStellung als der moderne. Die Seele des Zuhörers ist demChore zugethan und wird durch seine erregende Musik dazugebracht, bei dem Erscheinen des Schauspielers sich einübermenschliches Wesen vorzustellen ; ohne solche Stimmungangesehen, war der antike Schauspieler eine lächerliche Grotesque.Seine Aufgabe ist es gar nicht, natürlich zu spielen,sondern einem selten unnatürlichen Zustand des Zuschauerszu entsprechen, der glauben will, Götter und Heroen zusehen. Allmählich bereitet sich nun eine Veränderung vor;je mehr der Schauspieler agirt und Virtuose wird (als Sänger),zieht er das Hauptinteresse vom Chore ab und drängt diesenin eine neue Position. Die Stellung der cantica verändertIII


sich:ursprünglich Hauptsache neben den Epeisodien, wurdensie allmählich zu Zwischenaktsmusiken. Der einmal geschaffeneGegensatz zwischen Chor und Einzelvirtuos musste sichimmer mehr verschärfen 5 in diesem Process liegt die Geschichteder Tragödie.10. Die That ist in der griechischen Tragödie ursprünglichepisodisch j ein Nebenbei, knapp, bei Shakespeare ist sie dagegenüberreichlich; allmählich werden sie zu Mitteln. Weildie grossen pathetischen Scenen unbedingt das Ziel waren,war die Aufgabe der Epeisodien, diese vorzubereiten undzu erklären; dazu schob man das geringste Maass von Handlungein, das sie eben noch erklärte. Die Forderung desgeringsten Maasses war die einfache Consequenz; weil mandas Tcdöo? hören, nicht das 8pav sehen wollte, beschränkteman sich, da man das Bpav sehen musste, um das irdöo? hörenzu können, auf das geringste Maass. So entstand zwdschenTüdOo? und 8pav ein scharf gespanntes Verhältniss wie vonUrsache und Wirkung; das opäv (das kein Interesse für sichbefriedigte) geschah nur so weit, um das rdOo? zu erklären.Die Strenge von Ursache und Wirkung (und daher die Einheitund Einfachheit der antiken Tragödie) ist nicht das Erzeugnisseiner ästhetischen Theorie, sondern einer gewissenAbneigung gegen die Darstellung von Aktionen, Prämissen.Also strengste Nothwendigkeit, keine üppigen Ranken derHandlung! z. ß. die auvöioxoi Ilepaai oder Phönissen desPhrynichos begannen mit dem Bericht von der Niederlage,neue Verwicklungen entstehen nicht, es waren die Situationendurch ein Ereigniss herbeigeführt. Es giebt ein Hauptmotiv:dies ist die Quelle mannigfacher Stimmungsbilder; z. B. ivieäussern die phönizischen Frauen mit ihren Harfen, 'wie diePerser mit Xerxes an ihrer Spitze ihre Empfindung überdas Unglück? Also Lyrik aus dem Munde kostümirter Wesenheraus, die etwas vorstellen.112


II. Der Stoff soll nicht durch Neuigkeit reizen, das Interessehängt nicht an der Handlung. Vielmehr sollen alle Personenalt-vertraut und verehrt, als mythische Vorgeschichte desVolkes, sein. Als Mythus steht das Ereigniss nah, denn nurdie Historie kennt die Zeitentfernung j als Mythus steht esaber auch fern, nämlich hoch über dem Einzelnen. Durchden epischen Cyklus, durch die Lyriker waren alle Stoffebekannt, die Dramatiker behandeln alle dieselben Stoffe. Sonannte Aeschylus seine Tragödien Brosamen vom TischeHomers. Er blieb bei dem Kerne und Stamme der Mythenstehen, allmählich werden nun auch die Sprossen des Mythusherangezogen, der rasende Alkmäon, die Heldin Antigone,die Andromache sind Sprossen. Die Volksfreude an derTragödie zeigt eine ganz veränderte Welt als die Volksfreudeam Epos und am Rhapsoden: nicht Fülle der Handlung unddes Lebens, sondern Vertiefung einer einzelnen Handlungund daran Kritik des Lebens — aber die Grundauffassungdes Lebens ist dieselbe, sie liegt eben schon im Mythusausgesprochen.[Thespis und die ältesten Tragiker. Viele Berührungenmit dem Kolleg über den Oedipus rex <strong>Band</strong> I ipöff.Aeschylus' Leben. Seine Neuerungen. Seine Stücke. Hiketiden.Perser. Prometheus. Die Sieben gegen Theben unddieThebanertrilogie.]'Euta ETcl ÖT^ßa? [. . .]. Im Laios: auf dreimaliges Befragendes delphischen Orakels hat er gehört, dass er kinderlos bleibensolle. Er war ungehorsam. Das Stück schloss erst mit demVatermord. Im Oedipus: Befreiung von der Sphinx, Vermählungmit lokaste. Offenbarung seiner Missethat, Blendung, Fluchgegen die Söhne. Die Septem also ein Schlussstückj zwei AnfangsstückePrometheus und Supplicesj ein Mitcelstück diePerser: und eine ganze Trilogie. Was die Composition betrifft,so stellt H. Schmidt folgende Beobachtungen zusammen:8 Nietzsche V jj^


I. Nur das erste Stück der Trilogie hat eine wirkliche Ouvertüre.2. Das letzte Stück enthält immer das Finale. Die andernStücke ohne Finale. Kennzeichen für Anfangsstücke: EinleitendeAnapästen am Anfang.Ouvertüre vorhanden, Finalefehlend. Ein einziges Hauptthema. Hauptkatastrophe inder Mitte. Kennzeichen der Mittelstücke: Einleitende Anapästen.Weder Ouvertüre noch Finale. Zwei Hauptthemata.Hauptkatastrophe am Ende oder in der Mitte. Kennzeichenfür Schlussstücke: Keine einleitende Anapästen. Keine Ouvertüre,dagegen Finale. Ein einziges Hauptthema. Die Hauptkatastrophegleich am Anfang des Stückes. — Inhalt: Eteoclesvertheidigt seine Stadt gegen den von allen Seiten anstürmendenFeind; was aussen geschieht, kann nur durch Boten beobachtetwerden. Die Jungfrauen ängstigen sich und jammern,fortwährender Gegensatz desFürsten und der Klage und Angst.scheltenden und begeisterndenHauptscene, als der Boteerzählt, wie die sieben Thore von den sieben Anführern angegriffenwerden, denen Eteocles seine Feldherren entgegenstellt.Wir würden nun erwarten, dass der Zweikampf derBrüder die Scene erfüllte; das thut Aeschylos nicht, wohlaber erzählt der Chor den auf dem Hause lastenden Fluch,erinnert an Laios, Oedipus: als er so den tragischen ^oßo?errregt hat, tritt der Bote auf und erzählt den Wechselmord.Nun kommt das grosse Finale, der Trauerwettgesang. AmEnde erscheinen noch Antigone und Ismene und treiben denGesang auf die Spitze. Der Herold aber ruft den Befehl aus,Eteocles solle feierlich bestattet werden, Polyneikes unbegrabenauf dem Felde liegen bleiben. Antigone erklärt, dann werde sieihn mit ihren eigenen Händen begraben. Der Herold warnt undgeht ab. Der Chor theilt sich, ein Theil hilft Ismenen, denEteocles, ein anderer der Antigone, den Polyneikes fortzuschaffen.Bevor das Scholion existirte, schloss man, das Stückmüsse nun in einem andern Stücke vom Inhalt der Sophocleischen114


Antigene seine Fortsetzung finden. Denn so schlösse ja dasStück mit einer Dissonanz.Dies ist nun bestimmt abzulehnen.Der Mythus vom oedipodeischen Hause war noch nicht zumAbschluss gekommen, die Verwicklungen, wie wir sie durchSophocles kennen, waren noch nicht Volkseigenthum. DerFluch hat sich erfüllt, darin liegt die Lösung, die beiden Leichenliegen da: in der Scheidung der Schwestern wirkt er nochfort. — Das Motiv ist dann von Sophocles zu einer ganzenTragödie ausgesponnen worden.[Die nachweisbaren Trilogieen. Die Oresteia.][Sophocles' Leben, Schaffen, Persönlichkeit.]Man hat leicht einen falschen Schluss von seiner Persönlichkeitauf den Charakter seiner tragischen Muse gemacht. Erwar eöxoXo? und in hohem Grade liebenswürdig, bei Götternund Menschen beliebt und wiederliebend. Aber in seinenDichtungen ist keine euxoXia, keine Heiterkeit, keine Liebenswürdigkeit}zwar war die ausserordentliche Süssigkeit seinerMusik berühmt, er heisst dessentwegen (isXiaaa. Sonst hat erdie Neigung zu herben und grausen Motiven: der unschuldigeOedipus, aber inden tiefsten Abgrund der Schuld heruntergestossen(bei Aeschylus die Wirkung eines früheren Vaterfrevels),die lebendig begrabene Antigone, der Feuertod desHerakles, die schreckliche Fusswunde des Philoctet, die harteEJektra mit ihrem hXc, iraiaov. Nicht das Thema von Schuldund Sühne, von Gerechtigkeit, wie es Aeschylus hat, sonderndas Thema von dem unverschuldeten Leiden ist das sophocleische;er theilt den Satz „nicht geboren zu sein ist das Beste",er ist tief in den Pessimismus versenkt. Als Dichter hat ereine Neigung für die Charakterzeichnung um jeden Preis, erwählt sich nicht mehr den Mythus zum Darstellen, sonderneinen recht merkwürdigen Charakter. In der Sprache liebter den schwierigeren und rathselhafteren spitzen Ausdruck,er hat eine sehr k/uge Zuhörerschaft, das weiss erj mitunter8-*115


tritt schon etwas Advokatenhaftes hervor, eine Uebermacht vonMotivirungen. Der PJatoniker Polemon hielt gerade deshalbdie Dramen des Sophokles hoch, wo ein „molottischer Hund"mitgedichtet habe, und wo er nicht Most, nicht süss gemischter,sondern ein Pramnischer Wein sei (nach dem Komiker Phrynichos).[Diog. La. IV 20 (Fr. II p. 605 M).] In den meistenSchilderungen wird Sophocles verweichlicht und wie die heitereHarmonie selbst behandelt.[Aias. Philoctetes. Electra.]Oedipus Tupavvo? [. . .]. Es ist nach der Anschauung desAristoteles die Mustertragödie, nach der neueren Ästhetikgeradezu eine schlechte Tragödie, „weil in ihr die Antinomievon absolutem Schicksal und Schuld ungelöst bleibt". Dieklassische Schicksalsidee leidet nach ihr an einem unversöhntenWiderspruche. Das Griechenthum kennt „ein neidisch auflauerndes,nicht aus den Handlungen der Menschen sich entwickelndesSchicksal", und der Oedipus ist der stärkste Ausdruck.Also ein Verstoss gegen die poetische Gerechtigkeit.Wer diesen Tadel vom Stücke wegnehmen wollte, hatte keinanderes Mittel, als bei König Oedipus nach einer Schuld zusuchen: und nun suchte man: Selbstüberhebung, Mangel anMässigung, Leidenschaftlichkeit, ein gottentfremdetes Gemüth,Pharisäerthum, Selbstgenügsamkeit — alles dies hat man findenwollen und die Theorie gebildet, Sophocles habe den Frevelmuthdes Menschen und seine Bestrafung schildern wollen.So wurde der einfache, durch den Oedipus Coloneus bestätigteSinn gerade umgedacht. Schon das, sagt man, warvermessene Ueberhebung, dass Oedipus nach Empfang desOrakels nach Korinth nicht zurückkehrte, im Wahne es vermeidenzu können. — Vielmehr ist des Sophocles Idee dievon Goethes Harfner, der von den himmlischen Mächtensagt: „ihr führt ins Leben uns hinein, ihr lasst den Armenschuldig werden, dann überlasst ihr ihn der Pein, denn alle116


2Schuld rächt sich auf Erden". Das ist der heitere Sophocles! —In den Schlusstrochäendes Chores wird auf den solonischenSatz hingewiesen, dass keiner vor Schluss seines Lebens glücklichzu preisen ist.[Oepidus auf Kolonos. Antigone.]Trachiniai [. . .]. Die Tragödie schliesst mit einer Beschwerdegegen die Ungerechtigkeit der Götter,die das alleszulassen und anschauen können jes sei eine Schande für sie.Von Dejanira heisst es -^[xapxs •ip-qaxä |1(w|jl£V7] „das Beste erstrebend",es ist das Thema des Oedipus. Man hat auch Dejaniraschuldig finden wollen j aber sie soll unschuldig seinnach dem Willen des[Euripides.Sophokles.Lebensdaten.]Euripides blieb fern von aller Politik, ihn traf nach attischemBegriiFe der Vorwurf des Müssiggangs. Dadurch auchunpopulär. Er giebt Andeutungen über Nachtwachen, überhöchste Probleme, aufrichtiges Wohlgefallen am Frieden, umden Nachlass weiser Männer zu lesen, er wünscht im Verkehrmit Musen und Chariten zu altern. Aristoph. Ran. 151sagt: „es sei lobenswerth, fern zu bleiben von den schwatzhaftenGesprächen mit Sokrates, wobei die musische Bildungund das Höchste der tragischen Kunst aufgegeben werde 5aber gar mit müssigen fernliegenden Problemen sich zu befassensei Wahnwitz", so urtheilte man in Athen über Euripides.Man machte sich über seine vielen Bücher lustig.Ran. 1429 wird ihm aufgegeben, die poetische Wagschale mitWeib, Kindern, Sklaven und allem Büchervorrath zu besteigen.Er hat seine eigene Sache geführt in der Scene der Antiope,welche den Dialog der Brüder Zethos und Amphion enthielt;das praktische Leben und das theoretische gegenübergestellt(Mangel, Vorurtheile der Gesellschaft, Uebergewichtder Litelligenzgereicht zum Schaden). — Er war keineswegsgleichgültig gegen die politischen Ereignisse, er empfiehlt117


Bündniss mit Argos, zeigt immer Feindschaft gegen Sparta,er mahnt zum Frieden, er empfand das Geschwätz der Ochlokratie,die Bosheit der Demagogen, deren Bild er z. B. imOrestpiz zeichnet. Höchst patriotisch Ion und Erechtheus.Er hielt eine gemässigte, auf den Mittelstand gegründeteDemokratie für das beste, Suppl. 240. Mit seinem LehrerAnaxagoras hatte er die strenge, fast menschenfeindlicheHaltung gemein 5 er blieb mit innerer Würde sich treu wiejener, während er es wagte, eine ketzerische Philosophieöffentlich zu verkünden. Ale. 903 „mir stand ein Mann nahe,dem ein einziger werther Sohn starb, aber er duldete dasUnglück vereinsamt, ergraut und schon zum Ziele seinesLebens neigend", Theseus fr. 4 „er habe von einem weisenManne sich gemerkt, den Blick stets auf die Mannigfaltigkeitdes Leids gerichtet zu halten, um, wo ihn ein Missgeschickträfe, nie überrascht zu sein". Merkwürdiger Pessimismusgeht durch seine Betrachtungen, z. B. „da Leidenund Noth einmal unser Loos sind, so ist es besser im Leidenzu beharren, weil die Gewöhnung daran den Schmerz lindert,während die Wechsel am schwersten drücken". Ihn beschäftigtder Zweifel, wie die sittliche Forderung der Weltregierungzu vereinen sei mit dem Unglück und mit dermoralischen Verderbniss der Welt. Hippolyt 375 „schonsonst habe ich in langen Nächten überdacht, aus welchenUrsachen die Verderbniss unsres Lebens fliesst; und michdünkt, nicht aus Verkehrtheit des Sinnes fehlen die Menschen,sie wissen vielmehr und erkennen, was Recht ist, sondernes zu vollführen werden sie von Trägheit oder Lust gehindert".Die innere Sophistik der Leidenschaft, welche sichdem bessern Bewusstsein entgegenstellt. Die Mythologiehatte nicht mehr sein Vertrauen; er gebraucht das Eingreifender Gottheiten als dramaturgische Maschinerie. Nurdie herrliche Darstellung des Dionysoskultes in den Bacchen118


jmacht eine Ausnahme^ es ist dies Werk eine Art Palinodie,voll tiefer Resignation, v. 395 „Kurz ist das Leben, wer sollteaber nicht die Gegenwart ertragen, wenn er nach hohenDingen trachtet!" Hier wird oft vor der zersetzendenGrübelei gewarnt. Sonst hat er im Bellerophontes einenresignirten Götter- und Menschenhasser dargestellt. Völligfehlt ihm der Begriff der Vorsehung.Es kommen Wendungenvor wie „toX(jl(j5 xctTSiiretv, jxtqtcot' oüx siolv dsou xaxol -^äp suiupuvTS?exTrXT^aaouoi |xs." Hier liegt sein Contrast mit Sokrates,mit dem er sonst verwandt ist. — Auch vom Einflüsse desSokrates wusste man viel, die alten Komiker nannten ihneinen Mitarbeiter des Euripides -, nach Aelian V. H. 2, 13 hatSokrates nur in den seltenen Fällen das Theater besucht, woEuripides ein neues Stück gab. Nach Cic. Tusc. IV 29 sollSokrates an den drei ersten Versen des Orest eine Befriedigunggeäussert haben. Gemeinsam ist beiden der tiefe Widerspruchgegen das ältere Hellenische, in Politik, religiöser Ansichtihm sagten nicht die gymnastischen Uebungen zu, noch dieFreuden des durch Musik verschönten Symposions: das erschienihm überflüssig; Musik sollte man zur Beschwichtigungder Trauer anwenden. Besonders war ihm die Stellung undArt der Weiber zuwider und ein Problem. Im Fragmentder Ino 13 rath er einm.al, reiche Leute sollten eine MengeFrauen halten und dann die besten auswählen. Im fr. 5 desOedipus sagt er sogar: „jedes Weib ist schlechter als derMann und wenn der schlechteste Mann die wohlgerühmtesteFrau heirathet." Er hat sie auf die Bühne gebracht, zumgrossen Erstaunen der älteren Athener jgerade desshalb fandenDramen wie Hippolytus, Aeolus, Auge, Stheneboea,Antigone heftigen Widerstand.Dabei hatte er hohe und edleAnsichten von Liebe und Ehe. Merkwürdig ist seine Stellungzur Rhetorik. Was die Staaten vernichtet, sind 01 xaXol XlavXoYoi, er verdammt die witzigen Künste des Trugs. Aber er119


selbst war von der redseligen Diskussion, wie damals ganzAthen, angesteckt, und er früher als das Volkj sein Ton hatoft etwas Advokatisches, das den dichterischen Ton verdrängte,er besass eine Ueberfülle von klugen und sophistischenEinfällen und war darin Lehrer des ganzen Volks.Seine Sprache fügte sich diesem Gesammtcharakter seiner Reflexionj er gebraucht zumeist die Sprache der gebildeten Conversationund wird deshalb hoch von Aristoteles Rhet. III 2bewundert, dass er ex ttj? eiu)Ouia? SiaXexTou exXeyi«'^ auvxiöiQ,oTTsp EupimSv]? TToiei xal uTceBei^e TrpwToc. Thukyd. III 38 sagtes, die Athener seien durch Neuheit der Rede leicht zutäuschen, bewunderten nur Ungewöhnliches und Seltsames,verständen fremden Gedanken zu folgen und voranzueilen —das charakterisirt den Einfluss, den Euripides geübt hat.Krantor nach [Diog.] La IV 26 rühmte ev tcü xupi«) Tpayr/w?a'jia xal aufxTuaOu)? ypctcl^ai. Aristophanes hat dies ihm abzulernengesucht, je bitterer er ihn als Meliker verspottet.Nach Valer. Max. III 7 hat er zu einem Tragiker einmal gesagt,er habe in drei Tagen mit grösster Anstrengung dreiVerse fertig gemacht; jener sagt, er habe 100. „Sed hocinterest, quod tui in triduum tantummodo, mei vero in omnetempus sufficient." Besonders fein und scharf sind die Sentenzen.Die lyrisch- musikalischen Stellen, besonders xa duöax7]VYi? müssen einen verführerischen sentimentalischen Reizgehabt haben, er gehört zu den neuen Musikern. Euripidessprach nach Plutarch an sen. ger. resp. dem Timotheos Muthein, (b? öXiYou y^povou täv öediptov utt' auxÄ ys^^cjojjievwv. Mankann aus manchen Monodieen des Euripides sich von demdamaligen Dithyramb ein Bild machen.[Inhaltsangabe der Stücke. Die späteren Tragiker.]120


§ 9-Die jambische und trochäische Dichtung.')Der jambische Rhythmus war von Alters her beim Demetercultusgebräuchlich, bei Spottversen: denn dieser Kultwie der des Dionysus hatte auch ein doppeltes Gesicht:Lachen und Spotten als Gegenmittel gegen eine ekstatischeTrauer. Der Mythus erzählt von 'IdfAß"^, der Dienerin deseleusinischen Königs Keleus, welche die Demeter, als sieihre Tochter suchend nach Eleusis kam, durch scherzhafteVerse zum Lachen brachte. Jambos') bedeutet wohl ursprünglichden Wurfschritt, die Bewegung des zum raschen Gangevorgestreckten Fussesj diese Bewegung entspricht dem Rhythmus.iaiißiCsiv hiess allmählich „verspotten". Archilochos verwendetihn zuerst kunstgemäss für seine skoptische Poesie.Denn die noch ältere Anwendung bei Terpander im v6(xo;opOio? ist doch anders zu verstehen: hier war nur choralmässiglangsam das yevo? SnrXdaiov des Taktes angewendet — '—^5der Hauptcharakter, das Leichte, Kräftige und Hüpfende desJambos war da verwischt. Der Jambos nähert sich der gewöhnlichenRede; im Vergleich zum Daktylos hat er etwasGewöhnliches, Alltägliches. Desshalb kam er in den Dialogder Tragödie und Komödie, der nur eine leise Idealisirungdes gewöhnlichen BiaXsyso&ai sein sollte. Arist. Rhet. III, 8sagt jjidXiaTa Tcdvicuv täv ixeipcov lajißsia (p^iy^o^xai Xsyovte?. Deshalbnennt er das ia|xߣiov (lexpov das [(xdXiaia] Xsxtixov.Der trochäische Rhythmus hat etwas Eiliges, Laufendes:er ist würdeloser aYeveaiepo? als der jambische. Eine solche') Die Griechen hielten es für nörhig, sich förmlich von Zeit zu Zeitvon allem Muthwillen, Bosheiten und Unanständigkeiten zu entladen; auchdies war religiös fest geordnet. Und gerade in den Zeiten der ekstatischenErregungen kam die Natur so wieder ins Gleichgewicht. In Tragödieund Satyrspiel ein Nachklang.*) I. Name, mit dem Tanz mehr als mit der Musik verknüpft.121


heftige Bewegung galt in der Tragödie für ungeziemend;so sagt Pylades (Eurip. Orest 729) öäaaov vj jx'kxP'h'^ lupoßaivwvixö{jLT^v 81 aateo)?. Der zweite Name /opsTo? zeigt, dass er oftbeim Tanze gebraucht wurde.Olympos galt als der Erfinder.„Tanzliedtakt"j Aristoteles bringt sein Vorkommen in derälteren Tragödie mit dem orchestischen Charakter und denSatyrn in Verbindung; also meint er jedenfalls nicht dieDialogpartieen der älteren Tragödie, sondern die Chorpartieen,in denen viele Trochäen') vorkamen. Denn dieDialogpartieen sind nie getanzt worden. Es ist falsch, sichvor dem Trimeter-Dialog einen trochäischen Tetrameter-Dialog zu denken. Die Notiz ist ganz richtig, dass PhrynichoseöpsTY]? Tou Texpafietpou ey^'^^'^^ (nämlich im Dialog), wie manihn nachher in den Persern des Aeschylus antrifft; man hatnicht Tpi|ieTpou zu corrigiren.Ursprünglich, das will Aristotelessagen, begleitete der Chor mit trochäischen Tetrametern seineTanzbewegungen (wie im Frieden des Aristoph. 324 ff.); alsder Dialog hinzukam, kam auch der jambische Trimeter dazu.Gelegentlich wurde später wieder im Dialog der Tetrameterangewandt, zu besondern Wirkungen. Der Einführer desTrimeters ist natürlich Thespis, der Erfinder des Schauspielers;ihm wird die priac, (Botenbericht) und der irpoXoYo?zugeschrieben, diese also in Trimetern? —Der Jambus kommt in die Tragödie nicht mehr als Spottvers,sondern als [xeipov Xsxnxov; so weit hatte er seinen Urcharakterabgeschliffen. Nur könnte man fragen: wo hat ersich so abgeschliffen? Er hat schon eine lange Geschichte:seine Anfänge im Margites; beliebig eingestreut. Ausgebildetdurch Archilochos, der aus Paros war: dies galt besondersals Wohnsitz der Demeter und Kora; die parische ColonieThasos empfing den Dienst der Demeter als ihren wichtigsten*) [Darübergeschrieben:] und Tetrameter gerade.122


Cult. Eine Abtheilung seiner Lieder, der Demeter und demDionysos gewidmet, heisst 'lo^ctxpi Bei solchen Festen tratArchilochos mit seinen Jamben auf, die natürlich nicht fürsLesen waren; der ausschweifende Muthwille war da gesetzlich.Aristot. Polit. VII 15 sagt „da wir das Reden unanständigerDinge aus dem Staate verbannen, so untersagen wir auchdas Schauen von solchen Bildern und Vorstellungen. Ausnahmebei den Göttern 01? xal t6v TcoöaafAÖv (Verspottung)diroBiSwoiv 6 v6|jlo


II1IInhalt und Leid. Dagegen haben wir im Vorsänger der ältestenKomödien jenen raschen Wechsel, dass der Dichter bald ineigner Person, bald in der Maske spricht, wie es noch in derAristophanischen Parabase sich zeigt. Dies schnelle Wechselnist gewiss bei den jambischen Liedern des Dionysos- undDemetercultus uralt.') Während sich der Jambos verallgemeinertund verflacht hat, als oxtoTriixov ein Xsxxixov {leipov (ohne Musik),hat sich der Trochäus allmählich veredelt^ auch persönlich, aberhöher alswird nichtder Jambos es nehmend (bleibt im Bund mit Musik,Xsxtixov).'')Der Trochäus hat seine Heimath in den alten idücpccX-Xixd, in den bacchischen Gesängen, welche die Festgenossenunter Vorantragung eines aufgerichteten Phallos sangen._L. v^_^ v>5_:_v^ (8ia jisaou ßaBi-Cstv) also Tetrapodie, einhalber Tetrameter. Im berühmten Froschlied des Aristophanes(Ran. 210) bildet der trochäische Dimeter den Grundton.ßp£x£x£x£^ xoa^ xod^. Von Flötenspiel begleitet. Alsunedler, schnellbewegter Tanzrhythmus hat er in der Urtragödieder Satyrn, wie Aristoteles sie sich denkt, seinenPlatz.Eine besondere Entwicklung hat nun der Tetrameter: dasIndividuum bemächtigt sich seiner, wie? Jedenfalls Archilochos.Bei Archilochos wird er ebenfalls zum Metrum des Individuums,einzelne Personen werden mit Tetrametern angesungen^ auchder Dichter an sich selbst. Auch die TcoXtxai. Bei welchenGelegenheiten? Solon hat auf sich und seinen Staat eine Schriftgeschrieben, dann auch an Phokos. Phrynichos machte davon=') Wir sprechen nur vom jambischen Trimeter. Jambische Chorliederin der Komödie, die viel des Alterthümlichsten enthält, z. B. dasjakchoslied(ran. 398), das Phalloslied in den Acharnern 263. In der Tragödieseltener, meist threnodisch, bei heftigen Gemüthsaffecten.^) Nach Aristoteles beginnt die Tragödie so: Dithyramben mit Vorsängern,Xe^t; -jeXoia, Satyrn, trochäisches Maass, ohne Würde. Wann undwo war das? Vor Thespis? Aber was wusste Aristoteles davon?124


im tragischen Dialog Gebrauch, auch Aeschylus in den Persern,auch Epicharmus, gelegentlichauch Euripides.Dies gilt vom Tetrameter. Aber die ganze Wirkung trochäischerChorlieder hat sich inzwischen veredelt. BesondersAeschylus hat seine erhabensten ChorUeder in synkopirtenTrochäen gedichtet. Es muss möglich gewesen sein, gravitätischenErnst auszudrücken. [. . .]Also: sowohl der jambische als der trochäische Rhythmusverixiandeln sich im Charakter. Der jambische in Form desTrimeters wird zum Metrum des Individuums, frei vom Gesänge,zum XexTixov, das die gewöhnlichen Rhythmen etwasidealisirtj das Spottende verliert sich. In der Form von musikalischemGesänge wird der Jambus selbst leidenschaftlich,schmerzHch. Der Trochäus hat ursprünglich etwas noch Unedleres:eine heftige tänzerische Bewegung bei den Ithyphallika:in der Form des Tetrameters wird er auch zur Sprachedes Individuums, doch bleibt er halb Gesang und verliertden musikalischen Charakter nicht (selbst in der lateinischenKomödie canticum, nicht diverbium). Die trochäischen Chorliederwerden immer feierlicher und würdevoller: beiAeschylus Höhepunkt. Hier ist der trochäische Rhythmus vielhöher gehoben als der jambische in den Chorliedern; wieauch der trochäische Tetrameter etwas Gehobenes hat,gegenüberdem Jambus. Also im Ganzen ist die Entwicklung desTrochäus noch grossartiger als die des Jambus.')[Folgt eine Aufzählung der Dichter, welche Jamben undder Dichter, welche Trochäen dichteten, bis herunter zuBabrios.]^) Frage: hatte Thespis den Trimeter oder den Tetrameter? HeraklidesPonticus, der in seinem Namen dichtete, nahm jedenfalls Trimeter an.Laert, V 92. Das beweisen die überkommenen Fragmente.125


§ lo.Die Komödie.Man weiss nicht, sagt Aristoteles in der Poetik c. 5, werdie komische Maske, wer den Prolog, wer die Mehrheit vonSchauspielern aufgebracht hatj das weiss man alles bei derTragödie, deren Entwicklungsgang bekannt ist. Erst als sieschon diese Formen hatte, werden uns die bekannten Dichternamenüberliefert.') Also: die Komödie ist in diesen Dingenschon ferrig, als man anfängt, auf die Verfasser zu achten.Man nahm sie nicht für etwas Ernstliches. Eine Fabel zu gegestalten,das begann in Sicilien: Epicharm undPhormis thatendies.') In Athen war Grates der erste, der von der Weise desjambischen Liedes abliess und Reden und Handlungen vonallgemeinem Charakter dichtete. Das heisst: vor Grates wardie Komödie, in der Art des jambischen Liedes, persönlich.Grates' Stücke waren Sittengemälde, er macht den Uebergangzur mittleren Komödie. Hier liegt also eine gewisse Geringschätzungdes Aristoteles gegen die alte Komödie und gegenAristophanes ausgedrückt und eine höhere Schätzung derneueren. Die Komödie bUeb unbeachtet, erst spät hat dieBehörde einen Ghor bewilligt, er bestand anfangs aus Freiwilligen.Sodann sagt Aristoteles, die Komödie sei aus denphallischen Liedern entstanden, die jetzt noch an manchenOrten gebräuchlich sind. Im Ganzen schätzt er sie gering,und er sagt geradezu, Dichter, welche das Würdige lieben,stellen edle Handlungen dar. Dichter, welche niedrigem Sinnessind, dichten Jamben und Komödien, Handlungen unedlerMenschen. Dann sagt er c. 3: „Die Dorier machen Anspruchdarauf, die Tragödie und Komödie erfunden zu haben, die^) Ol Xe-i-op-evoi auTTji; TroirjTai heissc nur „die sogenannten", Usener[Rhein. Mus. XXVIII 412 3j hat iXi^oi [xkv a-jx^;.*) Die bringen die Charakterstücke auf (der Bauer 'A7p(oaTTvo5, derFestgesandte 0eap6;, der Schmarotzer, der Trunkenbold).l^6


,Komödie nämlich die Megarenser, theils die in Megara selbstwohnenden — zu der Zeit, als bei ihnen die Verfassung demokratischwar, sei bei ihnen die Komödie aufgekommen —theils die sicilischen — denn aus Sicilien war der DichterEpicharmus, der viel früher lebte als Chionides und Magnes —und die Tragödie einige Lacedämonier. Dies bekunde sich,sagen sie, in der Benennung, bei ihnen nämlich würden dieumliegenden Ortschaften xG>[iai, bei den Athenern aber S^|ioigenannt — wobei sie voraussetzen, dass die Komödienspielernicht von dem Umherschwärmen xcofidCsiv, sondern nach denDörfern, in denen sie, von den Stadtbewohnern gering geachtet,umhergezogen seien, ihre Benennung empfangen haben}bei ihnen ferner heisse das Handeln 8pav, bei den AthenernrpdTxeiv." — Wir haben hier die Argumentation der Dorier,die gegen die Athener ankämpfen. Als älteste athenischeDichter in den Staatsurkunden werden Magnes und Chionidesgenannt, um auf keine älteren zurückzugehen} aber Epicharmusist älter, sagen sie. Nun lebte Epicharmus in Syrakus von484 an, als Megara erobert wurde} also unter der Herrschaftdes Hieron, unter der Tyrannis also. Die Megarenser beiAttika leiten die Komödie aus ihrer demokratischen Periodeab, die andern, sicilischen Megarenser aus einer Periode derTyrannis. Als Magnes und Chionides in Athen blühten'),gab es schon, wie aus Aristoteles zu schliessen, komische Maske,Prolog, bestimmte Zahl von Schauspielern. Das Aeltere istihm für Athen ganz unbekannt. Deshalb löste er das historischeProblem nicht,ob Athen oder die Megarenser Ansprüche haben.^) Nach Aristot. Polit. VIII kam kurz vor und nach den Perserkriegendie Flöte auf, so dass in Athen jeder Freigeborene sie spielte. Man siehtes noch an dem Gemälde, das Thrasippos aufstellte, als er dem Ekphantidesden Chor gestellt hatte. Damit ist seine Zeit bezeichnet, auch die Einführungder Komödie in den Staatscult. — Später wurde die Flöte in derErziehung abgeschafft.127


Er deutet Einwendungen gegen die Argumentation der Doreran z. B. in Betreff des Namens /(«(xtüBiaj er fragt: muss mandenn dabei an xtüfiTj denken? Vielleicht an xcofxdCto. — Also wirsehen: Aristoteles bestreitet nicht die Existenz einer megarischenKomödie, sondern lässt es ein Problem sein, ob diesealter ist als die attische, ob die Athener von den Megarensernoder die Megarenser von den Athenern gelernt haben.Die politische Komödie, wie wir sie durch Aristophaneskennen, steht mit Kratinus und Krates, kurz vor der Mitte desfünften Jahrhunderts, fertig da, wie aus der Erde gewachsen.Das war die Wirkung jener Festsetzung,dass es eine ^op^T^^auch für die Komödie gab: die staatliche Anerkennung. Jetzterst wird sie unter die Agone der staatlichen Dionysosfeieraufgenommen: sehr spät! In Folge der politischen Strömungdurch Perikles: die freie Demokratie erträgt sie. Da musstesie sich schon bis zu einer grossen Bedeutung emporgearbeitethaben. Die ersten Komiker, von denen Bühnensiege verzeichnetwerden, sind Magnes und Ekphantidesj dazu Chionides.Aristoteles nennt die ersten Dichter, von denen Staats\ix\iWx\^Qr\.melden konnten: Magnes hat elf erste Preise erlangt. Alsovon da an giebt es einen Komödien- Wettkampf. Damit fängtdie urkundliche Geschichte der Komödie in Athen an.[Die ältesten Komödiendichter j Umfang und Art ihrerSchwanke (nach Usener Rhein. Mus. XXVIII 429)5 die Parabase,der Schwank mit Masken, die parodische Nachbildungder grossen Form der Tragödie.]Was ist die politische Komödie? Sie stellt das staatsbürgerliche,das religiöse, das sociale Leben nicht dieses oder jenesAtheners, sondern des athenischen Volkes selbst dar: diesLeben in ungetrennter und für die antike Anschauung untrennbarerEinheit: der Held dieser Komödie, jeder einzelne,ist im Grunde immer ein und derselbe, der im athenischenTheater versammelte ^(xo


Bühne wieder erkennt, der über sich selber lacht, über sichselber spottet, sich an sich selber erfreut. Es ist ein grossartigesZerrbild, eine verkehrte Welt, die der Dichter zeigt,Sinn und Unsinn, Wirklichkeit und Unmöglichkeit toll durcheinander.Dabei ist nur merkwürdig, dass die alte Komödiedurchaus politisch reaktionär ist 5genau um derselben Dinge,um derentwillen Aristophanes den Kleon angreift, greifendieälteren Komiker Kratinus, Pherecrates, Hermippus, Telekleidesden hochadeligen Pericles an (Liederlichkeit, Anzettelungvon Kriegen aus persönlichem Ehrgeize oder gar zur Vertuschungseiner Unterschleife am Staatsgute, Unterdrückungder politischen Gegner, Favoritismus). Sie hängen zusammenmit den Söhnen der ersten Familien von Athen, den Tonangebernim geselligen Verkehr, auch in litterarischen Dingen,den jungen reichen übermüthigen Aristokraten: denen giebtsich z. B. Aristophanes hin in voller Sympathie und lässt sichin dem, wo er nichts versteht, auch dem Alter nach nichtsverstehen kann, leiten, z. B. in der politischen Ansicht. Giebtes denn nun gar keine Komödie mit der demokratischenTendenz, also gegen die Vornehmen, Reaktionären gerichtet?Der Gegensatz der Ausdrücke: B'^fxo? Volkspartei, dXiyoi dagegendie Vornehmen. Aeschylus war der tragische Dichterder oXiyoi, Euripides des S^fJto?, sein Kampf ging gerade gegenden herrschenden Einfluss der 6X1701 in der Tragödie.Aristophaneskämpft gegen das Vordringen des Demokratischenin die Theaterräume. Hinter den 6X1701 stand übrigens dasLandvolk, das immer conservativ war. Dieser Macht gegenübersuchte Pericles den städtischen ÖYJfio? auf seine Seitezu bringen.[Die Komödiendichter von Kratin bis Phrynichos.]Aristophanes Sohn des Philippos, zu Athen ungefähr 444,in der 84. Olympiade geboren, bald nach 388 sterbend. NachQuint. X I, 66 Aristophanes et Eupolis Cratinusque praecipui.9 Nietzsche V Iip


Er gab seine ersten Stücke und manche von den späterendem Philonides (wenn sich der Inhalt nicht auf Politik bezog),dem Kallistratus (wenn er politisch war). Der Staatfragte nur nach dem ^(opoSiSdaxaXo?, hier xwfKüBoSiSdaxaXo?^gewöhnüch war Dichter, Chormeister und erster Schauspielereine Person. Die Alten haben ganz recht, wenn sie sich andie Aufführung halten 5 so wie Demosthenes den Vortrag fürdas wichtigste Stück der Rhetorik hielt.[Chronologische Aufzählung der Stücke des Aristophanes(Daitaleis — Plutos). Bemerkungen über Acharner undFrieden.]Es wird uns schwer genug, uns die Frühreife des poetischenTalents vorzustellen, das er schon in den Acharnern „inmaasshaltender Zügellosigkeit" zeigt. Aber diesem Jünglingenun auch noch reformatorische Zwecke, pädagogische Einsicht,politische Wissenschaft, Reife des sittlichen Urtheilsbeizulegen, ist geradezu komisch. (Müller-Strübing, Aristophanesund die historische Kritik p. 72.) Wie alt war erdenn, als er „mit grossartigem Freimuthe" die höchsten Interessendes Staates vertrat und namentlich gegen den Sittenverfallund gegen die verkehrte moderne Erziehung der Jugendeiferte? Er war, als er in den AaixaXYj? den Bruder LiederlichxaxaTCUYwv und den Bruder Sittsam ow^pwv gegenüberstellte,ungefähr 17 Jahre alt, ein ganz junges Bürschchen:und der sollte die „Verderbniss der modernen Erziehungklar erkannt [haben], als acerrimus vindex severissimusqueiudex aufgetreten sein." Und als er dann „in dem Glauben(Ranke's Worte), dass seine Kunst nicht bloss auf komischerKraft, sondern auch auf der Wissenschaft der Staatsverwaltungruhe, in den Babyloniern die seit Pericles Tode entarteteDemokratie" angriff, war er 18 Jahre alt. In den Acharnernhätte dann der Dichter gezeigt, „dass er in allen Dingen, dieden Staat angehen, kein Neuling mehr sei", und so konnte130


denn der Feldzug, den er 20 Jahre alt gegen Kleon unternahm,kaum etwas anderes mehr sein als eine nebensächlicheBelustigung, er musste sich bald ein höheres allgemeines Zielstecken, denn „es war ihm ja gleich damals, als er die Daitaleisschrieb, nicht entgangen, dass die Pest der modernenBildung nicht bloss dem Privatleben, sondern auch den öffentlichenZuständen zum Verderben gereiche." Und in derThat, als er in den Wolken die gesammte philosophischeBildung seiner Zeit auf die Bühne zu bringen und komischzu verarbeiten sich die Kraft zutraute, war er schon ganze21 Jahre alt! — Vielmehr hat Aristophanes gar keinen Unterschiedgemacht zwischen der Staatsleitung des Pericles undder Demagogie, wie sie sich nach dessen Tode entwickelte.Nicht bloss die Kriegspolitik des Perikles ist es, die er besondersbekämpft, vielmehr ist ihm Perikles ein Demagogganz von demselben Schlage wie Cleon und Hyperbolos, jaselbst Euathlos, Kleonymus und alle seine demokratischenGegner. Die Wespen enthalten einen nachträglichen schwerenAngriff auf Perikles. Für Aristophanes und seine Freunde,die lakonisirende Partei der oligarchischen Reaktion, sindalle athenischen Staatsmänner, die nicht unter allen Umständenund zu jeder Zeit zum Frieden mit Sparta bereitsind, d. h. zur Unterordnung unter Sparta, durchaus voneine??! Schlage, heissen sie nun Kleon oder Kleophon oderPericles. Es sind dieselben Gesinnungsgenossen, die nachder Einnahme von Athen durch die Spartaner, ihren endlichenTriumph über den nun freilich niedergeworfenenDemos feiern, indem sie blumenbekränzt und unter Flötenspieldas Niederwerfen der langen Mauern überwachen.[Eine Randbemerkung führt das mit Bezug auf Alcibiadesweiter aus.]Wenn also Aristophanes inseinen Jugendstücken für denFrieden spricht, so spricht er jedenfalls keine tiefere Einsichtr\»V 131


aus, er gehört gar nicht zu den theoretischen Politikern,seine Opposition hat andere Gründe. Der heissblütige Jünglingliebt den Frieden um des Friedens willen, er hasst denGegner des Friedens gewiss mit Fanatismus, aber mit demnaiven Fanatismus des Temperaments, wie denn ihm, demKünstler, der ganze Mensch Kleon mit seinem unfeinenWesen instinktmässig zuwider ist — ganz ähnlich wie auchsein Hass gegen Sokrates, den systematisirenden und zerlegenden,gegen Euripides, den poetisirenden Dialektiker, ausder tiefen Antipathie des schaffenden Künstlers hervorgegangenist. Der Kampf gegen Euripides ist das Hauptthema derThesmophoriazusen. Die Weiber sinnen beim Fest der Thesmophorien,wo sie ganz unter sich sind, auf Rache gegen Euripides5 Euripides will sich durch jemanden, den die Weiberfür ihresgleichen halten sollen, dabei vertreten lassen: erdenkt an Agathon, der will nicht. Wohl aber der alteMnesilochos, der Schwager des Euripides. Der vertritt auchEuripides bestens, wird aber als Mann erkannt und mitMühe durch Euripides gerettet. Dann die Frösche. Dionysosistunglücklich über die Oede der Tragödie und beschliesst^sich einen der Tragiker aus der Unterwelt zu holen. Ertrifft es so, dass gerade zwischen Aeschylus und Euripidessich ein Streit entsponnen hat, den Sieger dieses Kampfeswill er mitnehmen. Gegen Sokrates die Wolken. Eigentlichhat hier Sokrates die Abneigung gegen Sophisten, Rhetoren,Philosophen, Gelehrte, gegen alle selbständigen Köpfe erleidenmüssen iviele Anspielungen gelten dem Anaxagorasund sind eine posthume Bosheit gegen Pericles, an der auchdie Wespen reich sind. Der Grund der Abneigung, denAristophanes in der Parabase der Wespen ausspricht, istschwerlich beim 22jährigen Dichter natürlich, daher stammtnicht sein Hassj er habe sich im vorigen Jahr an die Bräuneund den Brustkrampf des Volkes gemacht, die den Vätern132


Beklemmungen des Nachts machen und Grossväter erstickenund denen die Ruhe stören, die fern von Processen sichhalten : also der Sohn, der in die Kniffe und Pfiffe der neuenRedekunst eingeweiht ist und sie gegen den Vater wendetund beweist, dass er mit Recht es thue. Aristophanes hieltalso den Sokrates für einen Redekünstler und Rabulisten jSokrates war damals 46 Jahre alt. In das neue GemeinwesenvsiipsXoxoxxuYia, das in den Vögeln gebaut wird, suchen sichauch unreine Elemente einzudrängen; hier sieht man deutlich,was Aristophanes eigentlich angefeindet hat: ein lyrischerDichter in zerlumpten Zuständen, der bettelt und Reminiszenzenälterer Dichter auf der Zunge hat, ein nichtswürdigerWeihepriester und Prophet, der Mathematiker undAstronom Meton, ein Episkopos (der von Athen in dieunterthänigen Bundesstaaten geschickt wird und Diäten habenwill), ein Händler mit athenischen Gesetzen, dann ein ungerathenerSohn, ein Musikverderber, ein Sykophant: alsoim Allgemeinen möchte der Dichter einen Staat, wo es keineschlechten Lyriker, keine schlechten Priester, keine Gelehrten,keine schlechten Beamten und keine überflüssigen Gesetze,keine schlechten Kinder, Musiker giebt.Dann giebt es freilichein luftiges Leben, leicht wie Vögel. Bei solchen Wünschenbraucht man noch nicht als tiefer Politiker bewundert zuwerden. Ueberhaupt thut man dem Dichter sehr Unrecht,wenn man immer darnach fragt, ob er ein Recht hatte, anzugreifenund zu spotten und Partei zu nehmen. Er hattenie Recht dazu, denn ihm fehlte die politische Einsicht, umüber Politik zu urtheilen, der tiefe sitthche Sinn, um Charakterezu verurtheilen, die wissenschaftliche Bildung, um denneuen Geist überhaupt zu verstehen (selbst im litterarischenKampfe ist er beschränkt und kleinlich), in summa: Wissenund Charakter, um der Kritiker seiner Zeit zu sein. Aberdie Macht und Polyphonie seiner komischen Erfindungen133


ist so gross, die Kraft, vom höchsten Erhabenen bis zumtiefsten Schmutz die ganze Tonleiter abzusingen, so einzig,und dann eine gewisse instinktive Schnellkraft, die dunklenPunkte einer Zeit, einer Richtung zu errathen und so oftfnalsRecht zu haben, ohne zwar Rechenschaft geben zukönnen, warum? oder falsche Rechenschaft gebend:mit alledemist er die wunderlichste Karikatur eines Reformatorsund Kritikers, die es gegeben hat, ein gesteigerter Archilochos,ein Ausbruch der ungeheuren Schmähsucht, die imgriechischen Wesen lag, verklärt durch alle Künste undTalente, die nur ein griechischer Lyriker, Musiker, Tragiker,Komiker gehabt hatj denn er konnte alles, was er wollte,machen.Aristophanes dichtete 54 oder 44 Dramen 5wir kennenjetzt kaum über 37 Titel 5 ungefähr 700 Fragmente. Dergewisse Abfall, der sich in den letzten Stücken zeigt, istwohl am wenigsten aus dem Alter des Dichters zu erklären.Vielmehr aus dem völligen Siege der Demokratie, aus derVerarmung der Famihen, aus denen früher die Choregenherkamen. Früher war der Aufwand so gross, dass man ihnauf gleiche Linie mit den Kosten eines Feldzugs stellenkonnte: Plutarch de gloria Athen, p. 349. Während der ganzenUebungszeit gab der Choreg den Choreuten, weil sie keinanderes Geschäft treiben konnten und die grössten Anstrengungenmachten, Kost, Lokal zu den Uebungen (/opYj-Ystov), dann Costüme u. s. w. (x^P'^T^o^)? hinterdrein grosseSchmausereien auf Kosten des x^P^^iT^^-Allmählich verschwandendie Choreuten, oder sie waren ungeübt und steif, dieZahl der Chorgesänge verkürzt sich immer mehr, die Parabaseist das erste Opfer. Als der Chor endlich fehlt, ist dieKomödie etwas Neues geworden. Das letzte Datum einerLiturgie von Ol. 94, 2, nur ein Aufwand von 16 Minen(i 600 frc.) : früher haben wir Angaben von 300 Minen, also134


30 ooo frc, für die komische yopr^-^ia.') Also als Hauptursachenfür das Entstehen der mittleren Komödie: der moralischeRuin der 0X1701, auch ihr finanzieller, durch Krieg undhäufigen Verfassungswechsel : es fehlte jetzt der frühere politischeBoden, aus dem das ganze Gewächs entsprossen war.Der ganze Kampf gegen die neue Sitte, den neuen Geistwar jetzt erschöpft: es gab gar keinen andern mehr. Dieallgemeine Bildung hatte, durch Sophisten und Redner, sehrüberhand genommen, eine gewisse Erschlaffung in poHtischenDingen kam hinzu.Nun hatte man sich aber an die Komödie gewöhnt, unddie neuen Komiker entsprachen dem veränderten Geschmackder Zeit, d. h. sie traten aus dem Dienst der oXiyoi herausund stellen sich auf den Boden der allgemeinen Bildung.^)Was der jetzt widerstrebt, wird verhöhnt, die persönlicheSatiretraf jetzt die platonische Akademie, die neu auflebendepythagoreische Schule, Redner, namentlich die älteren Dichter,auch Homer und die Tragiker.^) Massenhaftes Travestirender älteren Mythen (die mythologische Parodie) und ihrerBehandlung bei den Dichtem. Hierin ist die mittlere Komödieim Geiste des Euripides weitergegangen (auch in der Sprache),aus dessen Umänderungen häufig die scharfe Verurtheilungder früheren Dichter hervorsticht. Ueberhaupt kann man dieganze Veränderung des Standpunktes der neuen Komödiegegenüber der älteren am stärksten daraus entnehmen, dass^) V. Clinton f. H., p. 93 [Knxeger].*) Dass es die Komödie der Gebildeten ist, sagt Aristoteles Ni<strong>com</strong>.Ethik IV, c. 14: „Der Scherz der Gebildeten und des Ungebildeten istverschieden. Man kann das aus dem Vergleich der alten und neuenKomödie sehen. Dort suchte man das Lächerliche in abypoXoYia, hier inder uTtövota. Der Unterschied dieser Weisen für die euayir)|xoaüvY] (Anstand)ist nicht gering."3) So verspottet Amphis und Anaxilaos den Piaton; Timokles den Demosthenesund Hyperides. Antiochos von Alexandria hat irgend eineSchrift geschrieben irepi xiöv |v ttj [xsuv] /.(U[jLioS(a x(ju[jlwSou[j.£V(uv itoifjTcov.


die leidenschaftliche Bewunderung des Euripides und derneuen Dithyramben- und Nomenmusik hier ebenso allgemeinist, wie früher die schnödeste Feindseligkeit (später wurdesogar dies Fieber wieder zu einem komischen Gegenstande,mehrere Titel ^iXsupiuiÖY]?). — Vor Allem ist nun zu betonen,dass das Persönlich-Satirische und die Anspielung aufdie Zeit sehr zurücktrat: die Schilderung allgemeiner Zustände,fester Typen (Stände, Charaktere, Berufsarten)') trittvor. Und deshalb schätzt sie Aristoteles höher, weil er nurallgemeine Charaktere als wahrhaft poetische anerkennt. Ersagt, Krates habe den Anfang gemacht xadoXoü Tcoietv Xoyoüsxal jjiuöoucj es finden sich auch in der Zeit der altern Komödievereinzelt solche Stücke, die später den Charakter dermittleren Komödie ausmachen, z. B. die 'OSüoaei? des Cratinus.In dieser Beziehung entsteht also nichts Neues, sondern esverschwindet nur die politische Komödie und die andreGattung kommt sichtbarer zum Vorschein (die mythologischeParodie ist von Anfang an vorhanden). Der Plutos wirdhäufig zur mittleren Komödie gerechnet. Uebergangs-Dichtersind Piaton mit 28 Dramen, Theopomp mit 20, Strattismit id. Sie war sehr fruchtbar: Athen. VIII p. 33(5 will mehrals 800 Dramen von ihr gelesen und davon Auszüge gemachthaben.[Folgen Aufzählungen: Namen mit Zahlen von Stücken.][Dichter der neuen Komödie.] Das Thema ist das Privatleben,in der Form des Intriguen-Lustspiels, So etwas existirte^) Köche, verliebte Alte, Hetären, Trunkenbolde, Parasiten u. s. w.Bauern, dann Gegenüberstellung verschiedener Charaktere in gleichemLebensalter, z. B. des SujxoXo« und des eSxoXoc (Titel solcher Stücke8fi.oioi aequales). Apuleius zählt in den Florid. \6 auf: leno periurus,amator fervidus, servulus callidus, amica illudens, sodalis opitulator, milesproeliator, parasitus edax, parentes tenaces, meretrices procaces. DerFischhändler, der auf Grund der entsetzlichsten Schleckerei sich ein Vermögenerwirbt, dieser und der Geldwechsler stehen auf der höchstenStufe der Betrügerei.n6


auch schon in der mittleren Komödie, aber jetzt kommt eszur Herrschaft, während die payodischen Stücke aussterben.Sonderbar ist, dass auch hier wieder das grösste Talentwährend seines Lebens nicht als solches erkannt wurde:denn Menander hat nur achtmal gesiegt bei 109 Komödien.Besonders Philemon nahm ihm viele Siege weg. GlänzendüppigesLeben: weite weichliche Gewänder, in Wohlgerüchenschwimmend, aufgelöster Gang, Tupo? -^mavmc, sxjiaveaTaxo? (berühmtseine Glykera). Das Beste, was wir von seinen unddes PhUemon und Diphilos Stücken wissen, danken wir demErklärer des Terenz Aelius Donatus und dann Terenz undPlautus, den Nachahmern z. B. vom Thesaurus und vomcpda|jia (Erscheinung). Die Fabel der „Kette" irXoxiov beiGellius II 23. In Betreff der Sprache rühmt Plutarch: „siesei süss und prosaartig, so dass sie nicht von Nüchternenverachtet werde und auch den Trunkenen nicht lästig falle:trefFHche und einfache Denksprüche machen auch das Herbsteund Härteste in den Charakteren mürbe, wie in Wein Geschmortes".Klare, geschmackvolle Einfachheit, dabei vollkommeneAngemessenheit für den theatralischen Vortrag.Die Sentenzen zeigen auffallend viel schwächliche Humanität^sie haben etwas Sklavenfreundliches, sagen über die Armuthmanches milde Wort. Eine Art Begeisterung für den Zufall,die tu^^T], als den einzigen Gott ist sehr charakteristisch.Denn es ist der Gott in der Menanderschen Komödie: denndas gewöhnliche Thema in der Intrigue ist, dass ein ursprünglichunsittliches Verhältnis, das in Feindschaft zur Gesellschaftund Familie steht, hinterher durch Ueberraschungenund Enthüllungen legitimirt wird; wenn z. B. eine angeblicheSklavin oder Hetäre, in die ein Jüngling verliebt ist, alsathenische Bürgerin erkannt wird und nun dieEhe das Verhältnissrechtfertigt: dies die beliebte Form der dvaYvaipiai?.Oder wenn ein athenisches Mädchen bei einer '7ravvü}(k von137


einem trunkenen Jüngling entehrt worden ist und dergl.(dies die (fbopd).Bis jetzt haben wir die athenische Entwicklung der Komödiekennen gelernt. Es ist nun fast unbegreiflich, wie nurdiese eine Stadt eine solche Entwicklung gehabt haben sollte,während doch die Voraussetzungen, eben jene doppelgesichtigenDemeterfeste und die 'löucpaXXixd allen Griechen gemeinsamsind. Man hört auch etwas von rohen Anfängen,z. B. in Sparta gab es komische Schauspieler SsixYjXixxai, dieeinen Stand bildeten; Bsixr^Xov = jxi{i,T^[jLGi oder {ii[ji7]Xd. DannßpuaXXixxai, die Weiberrollen spielten, burlesk und mit Gesangbegleiteten. In Theben gab es [xTjjloi, eöeXovxai genannt.Ebenso wusste man noch etwas von einer megarischen Komödie.Von Rhodos ist Antheas (aus Lindos), der dort Komödiengedichtet haben soll, gegen doo a. Chr. In UnteritaHennannte man die Ithyphallensänger cpXuaxs?: eine Benennung,die den späteren Komikern wie dem Rhinthon aus SyrakusverbUeb.der in Selinus,Ein Fragment des Epicharm nennt den Aristoxenos,einer megarischen Kolonie, lebt, als den erstenEinführer der sicilischen Jambenchöre, der Komödien in dorischemDialekt gedichtet haben soll. In Syrakus hatte mandp)^TjOTai, mimetische Tänzer. —Die skilische Komödie ist es allein,die es noch zu einer litterarischenBedeutung bringt, und zwar eher als die athenischeKomödie. Drei Namen: Phormis, Epicharm und sein SohnDeinolochos. Das komische Bühnenwesen muss in der Zeitder Perserkriege völlig geordnet gewesen sein. Bernhardy [P403]vermuthet, dass Athen die dramatische Praxis der Sikelioten benutzte.Hier gab es fünf Preisrichter. Ein Lokal zur Uebungder Schauspieler y^opr^-^nov. Der Aufzug der Chöre ist sehrprunkvoll, viel Purpur verschwendet, aber yopixd giebt es nicht.[Die Komödie des Epicharm. Sophron und der Mimus.Rhinthon und dieParoden.]138


§ 11.Die philosophische Litteratur.Als die erste philosophische Schrift wird die des Anaximander,irspi cpuaswc, bezeichnet, Laert. II 2, Themist. or. 16p. 317. Aber es gab schon früher eine halbphilosophischeLitteratur, Mischung von Mythischem und Abstraktem, z. B.in den orphischen Theogonieen und in der ersten prosaischenKosmogonie des Pherecydes von Syros, 'EicTapp?(in 10 Büchern) 5(au^^oi sind die Schluchten und Winkel dersich bildenden Welt, in denen die verschiedenen Göttergeschlechtersich entwickelten (Nebentitel Ssoxpaoia OsoYovia).Dies Werk galt als das a/teste Denkmal der griechischenProsa (mit Unrecht wird Kadmos von Milet von einigen genannt;das scheint eine Fälschung gewesen zu sein). DerDialekt war ionisch; Apollonius und Herodian ziehen Pherecydeshäufig neben Hecatäus und Demokrit als Vertretereiner Idc, in Betracht. Bei ihm nimmt man den Einfluss der07'phischen Lehreyi wahr. Orpheus, das irdische Abbild des indem Hades herrschenden Dionysos, des Zagreus. Der Namedeutet auf das Dunkel hin, ebenfalls die Höllenfahrt; Orpheuswird von den Manaden, Zagreus von den Titanen zerrissen.Die religiösen Lieder, die mit den uralten orphischen Mysterienzusammenhingen, waren enthusiastisch. Die gewöhnlicheLehre, dass die orphischen Geheimlehren erst nach Homerauftraten, ist ganz unsicher. Das Schweigen Homers lasstsich gut aus dem Widerspruch erklären, in dem die orphischeRichtung zu dem Geiste Homers steht.Bei Hesiod Anklänge.Dass tiefer Gehalt darin lag, beweist die unverwüsthcheLebenskraft. Seit dem Anfang des sechsten Jahrhunderts,das rehgiös bewegt war, tritt die orphische Lehre aus demDunkel hervor;vorher gab es u(xvoi und eine uralte orphischeÖeoYovia. Jetzt entwickelt sich eine reiche und mächtige139


Litteratur, noch durchaus anonym. Onomacritus und Orpheusvon Croton suchen die orphische Lehre und den Volksglaubenin Uebereinstimmung zu bringen. Das Hauptwerk'Op'^itoc, OeoXoYia in 24 Rhapsodien, auch lepoi Xoyoi genannt.Kerkops und Zopyros noch zu nennen.Die Masse Schriftenaufgezählt bei Clem. Strom. I p 244 und Suidas s. Opcpeu?.Zeitiges Eingreifen der Pythagoreer. Sie wollten eine Rückkehrzu der alten reinen Lehre des Orpheus, gegenüber demwillkürlichen Treiben der Orphiker ihrer Zeit.Heraklit sagt,dass in dem Heiligthum des Dionysos auf dem Haemus sichalte Aufzeichnungen unter dem Namen des Orpheus fandenund dass Pythagoras sie benützt habe'). Dann betheiligensich wieder Pythagoreer an der orphischen Poesie. In demgrössten Hauptgedicht der 0£o?>.oYia war die Rede von Periodender Welt und des Menschengeschlechts, von der Geschichteder büssenden Seele, die durch Winde vom Weltgeistlosgerissen in diese Sinnlichkeit verweht wurde undjetzt gebunden an das Rad des Schicksals und des WerdensTu) 'zf^c, fjioipa? Tpo5((j)xal xf^c, Ysveoeox; ihre Strafen erleidet, dannüber künftige Seligkeit und Verdammniss, dass wer nicht eingeweihtist, im Koth liegen werde, der Vers tcoXXoI (lev vapÖTjxo(p6poi,Tcaupoi M TS ßdxj^oi. Dann natürlich die Geschichtedes Dionysos Zagreus, des Sohnes des Zeus und der Persephone,der von den Titanen zerfleischt in dem jüngerenDionysos wieder auflebt, nachdem Zeus sein unversehrt gebliebenesHerz verschluckt hat.In solchen Werken haben wir die Vorstufen der späterennaturwissenschaftlichen Schriften Trepl cpaasw?.Für die ethischePhilosophie sind Vorstufen die Spruchpoesie und Spruchprosa,z. B. die Ipya Hesiods. Dann zu nennen die Sprüche, welchemit den stehen Weisen in Verbindung gebracht werden j zuerst*) Er soll in Leibethra durch den Orphiker Agiaophamos eingeweihtsein. [Belege für das Folgende bei Lobeck Aglaoph. p. 808 ss.]140


hat jeder einen Kernspruch, an den setzen sich dann anderean. So entstehen Spruchtafeln. Drei Redaktionen sind unserhalten, i. die des Phalereers Demetrios (Stob. Fioril. III 79).Jeder hat zwanzig und mehr Sprüche. 2. die des Sosiades(Fioril. Stob. III 80), nicht nach den einzelnen Weisen geschieden.3. gab Aldus Manutius aus einem alten codex mitTheokrit und andern heraus 1495. Eine vierte Sammlungliegt Laert. Diog. zu Grunde. Eine viel grössere Masse istzerstreut, jetzt s. die Sammlung von Mullach 218— 235.[Die Notizen zu den Vorsokratikern brauchten neben deran anderer Stelle veröffentlichten Sondervorlesung nicht mitgetheiltzu werden. Nach einigen Blättern über die Anfängedes sokratischen Dialogs wird Plato besprochen.]Piatons Schriftstellerei beginnt nach meiner Vorstellungerst nach der Rückkehr und der Gründung der Akademie,388, als er über 40 Jahre alt war. Gewöhnlich nimmt maneine Reihe sogenannter sokratischer Dialoge an, aus früherJugendzeit, und verlegt die unbedeutenderen wie Lysis Lachesu. s. w. in diese Zeit. Indessen war Plato nie reiner Sokratiker,vor Sokrates hatte er nach Aristoteles schon heraklitischphilosophirt, nach dem Tode geht er wieder mit Herakliteernund Parmenideern um, dann macht er die grossenReisen, um die Weisen aller Orte kennen zu lernen, und erstdurch die Pythagoreer bekommt sein Wesen das Vorbild, seinSystem Geschlossenheit. Jene Schriften passen gar nicht zumCharakter der Jugend und der künstlerischen Natur Piatos:und wxnn sie nach dem Tode des Sokrates geschrieben seinsollten, verrathen sie nichts von der tiefen Erschütterung.Die Apologie ist ein solches Meisterstück, dass man es nurdem gereiftesten Autor zutrauen darf. Es gab eine Tradition,nach der (La. DI) der Phaedrus der erste Dialog ist: nun istThema, Art und Ton, Ideenlehre des Phaedrus auf das engsteverwandt mit dem Symposion 5 dies stammt nach sicheren141


chronologischen Schlüssen aus der ersten Zeit der Akademie,also auch der Phaedrus. Ein Mensch, der im 40. Jahre nochin dieser dithyrambischen Fülle und Unnüchternheit schreibt,ist im 20. gewiss nicht der Verfasser der kleinen Dialoge. Undjedenfalls ist die ganze Gattung der 2(i)xpaTixol ^öyoi erst nachdem Tode des Sokrates entstanden;auf Grund solcher d7:o{xv7](xove6fAaTa,ein freies WeiterschafFenwie der xenophontischen:die Gattung bildet sich natürlich in Athen aus. Erst als Platozurückkommt, findet er sie auf der Höhe, wo er wetteiferndherzutritt, und zwar gleich mit dem Phaedrus, darin die Kardinalfrageberührend, wozu überhaupt geschrieben werdensolle. Die Feindseligkeit gegen Belehrung durch Schrift istder Grundton. Wahrscheinlich war das ein Axiom desSokratesjweshalb er nicht schrieb. Plato fügt hinzu: zur Wiedererinnerungan wirkliche Xoyoi taugt sie uTuofjivT^osü)? svsxa. Nurjedenfalls nicht zur Erinnerung an die wirklichen Reden undLehren des Sokrates; sondern an die der Akademie, d. h. desPlato mit seinen Schülern 5 als Lehrmittel zur Unterstützungdes Gedächtnisses. Alle seine Feindschaften trägt er in dieserForm vor, gegen die Schriftsteller, Rhetoren, Sophisten seinerZeit und ihre Jugenderziehung. Hier und da einmal, fiirSchüler niedrigerer Stufe, etwas Elementares und Anspruchsloses.Seine Abneigung gegen Kunst, seine Abnahme an künstlerischerKraft gehen dann Hand in Hand. In das kräftigsteMannesalter fallen Phaedrus Symposion Protagoras GorgiasRepublik Timaeus, Phaedo und — ein dywviaiJia und zugleichde, dei — die Apologie. Spät sind Theaetet, Sophist, Politikos,Philebos,Parmenides, leges.In Betreff der schriftstellerischen Ausbildung macht Dionys.V. Halic. in der epist. ad Pomp. p. 762 diese BemerkungTpacpsU fx£v ev xoT? Sw/patixoT:; SiaXoyoic laj^voTdion; ouoi xaldxptpeaxdxoK; („die sehr trocken und streng waren"), ou [xsiva?ö' ev auToi?, dXXd tt]? FopYiou xal 6oi>xuSi5ou /aTaaxeüYj? epaaOsU«142


Natürlich musste eine rhetorische Ausbildung vorangehen,wenn er sich auch über die Manier erhob. Aber das Symposionzeigt,hat.dass er in allen möglichen Stilmustern sich geübtDazu kommt eine grosse und fast ausschliessliche Neigungzu den Vertretern der komischen Gattung, Aristophanes,Epicharm und Sophron (die Tragödie tritt zurück, Euripidesund Agathon jedenfalls am geschätztesten, gegen Aeschylus.Sophokles nie genannt.) Von Sophron hat er das Charakterisirengelernt, aber ihn und Epicharm lernte er erst auf dersicilischen Reise kennen. Aristophanes war ihm wohl derganzen Tendenz nach sehrangenehm.Hauptsatz: Plato liess seine Gattung allein als die philosophischegelten und verwarf also die syntagmatisch- systematische.Nie nimmt er in eigner Person das Wort 5 durchausdialektisch, oft resultatlos. Die dialektischen Methodenund Unmethoden betrachtet er als durch den Charakter derSprechenden bedingt^ er fügt zu den Xöyoi auch yjöt]. Mitdem Leben des Sokrates und seiner grossen Zeitgenossen verfährter, so wie die Dichter mit dem Mythus verfuhren,durchaus unhistorisch, was das Allgemeine betrifft (also Tendenzen,Lehren u. s. w.), aber mit sichtlicher Liebe zumEinzelnen, Persönlichen, Seltsamen.Ein aus Sokrates redenderPlato ist eigentlich eine Karikatur, denn der ganze Contrastzwischen Innerlichem und Aeusserlichem, Plebejischem undGenial-Aristokratischem ist in's Uebermaass gesteigert: ganzund gar fascinirend.') Der Stil ist ein Mittelding zwischenProsa und Poesie, sagt Aristoteles La. III 37.Dikäarch nannteihn schwülstig «popiixov. Jedenfalls ist der strenge Bann derGattungen durchbrochen.^) Verständig-nüchtern gegen mystisch-prophetisch. Plato sagt in denBriefen [II p. 496 W.], die Dialoge seien Schriften des „schönen jungenSokrates", das erinnert mich an Gorgias Wort, Athen. 505 D, Athen habean Plato einen „schönen jungen Archilochos" hervorgebracht. Was verstehtman hier mit ,. schön und jung"? Idealisirt? Oder redivivus?


ouvTayiiatauTrofAVT^fiataSeine Schriften, um vom Aeusserlichsten zu beginnen, sindmannigfach angeordnet worden, wie auch die des Xenophonnach La. II 57.Es giebt eine Anzahl von stereotypen Schematader uivaxe^j i. es folgen aufeinanderSidXoyoiI||STcioToXai|Itty].2. Es stehen voran die Schriften mit mehr als einem Bucheund zwar die mit den meisten Büchern voran, dann die|Aov6ßißXoi. 3. Nach Argumenten, etwa


Phaedo so auf einander folgen, dass Meno vor dem Phaedo,die Republik vor dem Timaeus,der Politikos und der Sophisterst nach dem Phaedo. Ueberlieferte Spuren früherer unfertigererAusgaben haben wir in Betreff der iroXiTsia; nach Gellius14, 2 hat Plato zuerst nur „ungefähr 2 Bücher herausgegeben",das ist wahrscheinlich das ganze erste Buch, dergrössere Theil des zweiten und die zweite Hälfte des viertenBuchs, also Kritik der Definitionen der Gerechtigkeit undneue Aufstellung: von dieser ersten Ausgabe konnte es heissen,sie finde sich fast ganz schon in den dvxiXoYixd des Protagoras(was das logische Gerüst betrifft).Ebenfalls lässt sich von den v6{ioi zeigen, dass sie in einerviel kürzeren Edition existirt haben. Aristoteles sagt Politik33, 16 [Bekk. min.^]: täv Ss v6(X(dv t6 [lev ^Xeiaiov [xepo; vojioiTUYxdvovxs? övT£?, oXiya Be Tcspl ty)? ToXiTSia? sipr^xsv („wenigesüber die Verfassung").Das stimmt nicht mit unsern Gesetzen.Von 12 Büchern enthalten nur 9— 12 eine detaillirte Gesetzgebung.Die vier ersten Bücher und ein Stück des fünftenkann Aristoteles nicht gekannt haben, er hätte sie erwähnenmüssen. Ich habe vermuthet, dass das ältere Exemplar derv6|ioi identisch mit dem Hermokrates ist (Staat, Timaeus,Kritias, Hermokrates ist die ursprüngliche platonische Tetralogie).In den alten Tagen, als alle sicilischen Unternehmungenaufzugeben waren, hat er die Personen verändert (nämlichSokrates, Timaeus und Hermokrates), Kreta ins Auge gefasstund Alles umgearbeitet. Der alte Kern steckt in denlangen zusammenhängenden Abschnitten der letzten Hälfte,die eigentlichen vofioi. Es war ein zusammenhängender Vortrag(wie die ursprüngliche TroXitsia,nach einem Wortgefecht,wie Timaeus, wie Kritias). Die neuen Personen w^aren nöthig,wegen Kretas, darum sind die Betrachtungen über Lacedämonund kretische Institutionen hinzugekommen (die ersten fünfBücher). Das Ganze sehi* ungenügend überarbeitet, viele10 Nietzsche V145


Spuren übrig geblieben, die sich nur auf den ersten Entwurfbeziehen, z. B. IV 710. Wir müssen uns den greisen Piatondenken, wie er alte schriftstellerische Entwürfe redigirtj wieetwa Goethe. Mit einiger Willkür, durch Zusammenstellenwird ein Ganzes hergerichtet. Die Politeia und die Gesetzesind aus Stücken verschiedener Lebensalter zusammengesetzt.Es ist nicht einmal ausgemacht, ob Plato selbst diese Zusammenstellungvorgenommen hat. Es heisst bei Suidas s. 91X60090?von Philipp von Opus 8? tou? OXaicüvo? v6[xou? SisUev ei?ßißXia 8üoxai8exa, xö yotp TpusxaiSexaxov auxo? TcpooOeivai Xeysxai,d. h. er ordnete sie, er redigirte sie bis zu der bekanntenLänge von 12 Büchern. Es heisst nicht, „er theilte sie in 12Bücher", das ist etwas Mechanisches, Sache der Bibliothekare.La. III 37 Ivioi xe «faoiv 6x1 0. 6 'Ottouvxioi; xoui; Nojjlou? auxoujxexeYpa4'ev övxa? ev }ir^pw. Gewöhnlich wird angenommen,dass Plato die leges auf Wachstafeln hinterliess, aus denensie Philipp in Buchform abschrieb. Es ist unglaublich, zwölfBücher auf Wachstafeln zu schreiben. Dann soll „Wachstafel"ein Ausdruck für „Brouillon" sein: Philipp habe die Reinschrift:besorgt. Unerhörte Gräcität! xYjp6? ist nicht Wachstafel,sondern xT^pu)[ia. Ich denke an das Anfertigen einesModells aus Wachs bei bildenden Künstlern: so dass es hiesse:Plato hinterliess nur eine „Skizze", einen „Entwurf", Philipparbeitete ihn aus. Schlecht genug! höchst schlotterige Composition,Widersprüche, langweiliger,stotternder Dialog.Ich bin ein Feind der grassirenden Wuth der Athetese:Ueberweg gab, nach Ast's weniger wirksamem Vorgange, dasböse Beispiel mit dem Parmenides. Es folgte Schaarschmidt,der der Reihe nach den Sophist, den Politikos, den Kratylos,den Philebos, den Menon, den Euthydem, natürlich auchLysis Laches Charmides für unecht erklärte, ebenfalls ApologieKriton Hippias minor Euthyphro (in „Sammlung derplatonischen Schriften", Bonn 1866).Er behält übrig: Phaedrus146^


Protagoras Symposion Gorgias Staat Timaeus Theaetet Phaedoleges. Mit diesem „Kanon" wird nun gemessen. Der Gradder Vollkommenheit ist gar kein kritisches Princip. Die Absichtist, an mündliche Unterredungen zu erinnern^ wir kennendie Anlässe nicht, die Plato jedesmal zu der 7:07x0X7] TcaiBiddes Schreibens brachte, bald wichtige, bald unwichtige. Wirwissen nichts von einer gleich bleibenden höheren Tendenzbei Allem, was er schrieb, die ästhetisch zu nennen wäre.Es giebt Naturen, die nur das ihnen vollkommen Erscheinendepubliciren, die meisten sind anders. Was würde aus denGoetheschen gesammelten Werken, wenn man aus ihneneinen solchen kritischen Kanon bilden wollte! — In einerandern Beziehung durfte sich Plato bei Allem, was er schrieb,vollkommen fühlen, nicht im ästhetischen Sinne, sondern alsLehrer den Schülern gegenüber, als dialektischer Lehrer. Unsist oft das Dialektische bei Plato das Langweilige, macht unslächeln. Für ihn selbst ist es das den Philosophen Auszeichnendeund galt als seltenste Befähigung. Jeder dialektischeDialog ist insofern etwas Vollkommenes, als eine sehr selteneAnlage darin sich ausspricht. Aber gerade das Dialektischewiderstreitet der ästhetischen Vollkommenheit. Dann: Plato warnicht specifischer Schriftsteller genug, um einen solchen Accentauf Vollkommenheit zu legen; es war Tray/aXT^ iraiSid, die Hauptsachewar die Erziehung und die Reform. Im Interesse derSchüler schrieb er mancherlei auf: die Tendenz der uTrojxvYjai?bringt Zufälliges und Geringes mit sich.Ein besonderes Unwesen, mit dem Anschein der höchstenKritik, hat man mit den aristotelischen Zeugnissen getrieben.1. Für die drei bestbezeugten (Republ. Timaeus Gesetze) ist fürSchaarschmidt das Zeugniss des Aristoteles durchschlagend.2. Er nimmt das Schweigen für ein schwer belastendes Gegenzeugniss(ausser verschiedenen kleineren, Protagoras, Parmenides,Euthydem, Kratylos). Dies Schweigen drückt also auch147


den Protagoras, den Scbaarschmidt für echt nimmt. Dieserganze Standpunkt ist ungerecht. Es konnte Aristoteles nichtauf eine vollständige Registrirung der Werke Piatos ankommen.Sodann ist uns ja die gute Hälfte der Werke desAristoteles verloren gegangen. 3. Mit dem Nichtbezeugtseinhat es Schaarschmidt hyperkritisch genommen. Meno, Apologie,kl. Hippias, Menexenos gelten ihm als nicht bezeugt,weil ohne Nennung des Verfassers 5 nun, dann sind auchGorgias, Phaedrus, Symposion nicht bezeugt,bei denen auchPiatons Name nicht genannt wird. 4. Sodann wird ganzsicher auf Sophist und Philebus Bezug genommen. SonderbaresStrategem: bei solchen, die ihm als unecht gelten, dabeiaber von Aristoteles beglaubigt sind, lässt er den Fälscheraus Aristoteles, nicht Aristoteles aus Plato schöpfen.Was heisst es nun, wenn man die bestbezeugten zum Maassstabnehmen will? Das sind Republ. Timaeus leges, vongrosser Verschiedenheit der Form; und alle bleiben geradehinter dem Ideal der Formvollendung weit zurück gegenSymposion, Phaedrus, Phaedo. Aber der Parmenides und derPhilebus stehen etwa auf der Kunsthöhe der Republik: werwird die Grenze zu bestimmen wagen, wo das Platonischeaufhört! Das Urtheil, Plato habe nur Formvollendetes geschrieben,gründet sich auf beliebig ausgewählte Dialoge, garnicht auf die bestbezeugten.In Betreff der Briefe herrscht jetztauch ein Uebermaass von Skepsis, seit Karsten 1804.Zum Bilde des Schriftstellers Plato gehört noch sein Verhältnisszum eigentlichen „Schriftsteller" der gleichen Zeit,zu Isocrates, dem Vater der Kunstprosa. Es gab eine Zeitfreundschaftlichen Verhaltens: der Zeitgenosse PraxiphanesHess sie in einem Dialoge auf Piatos Landgut sich überDichter unterhalten: und die Art, wie Plato im Phaedrusvon ihm spricht, ist hoffnungsvoll, als ob jener noch einmalganz mit ihm übereinstimmen werde. In den nächsten148


20 Jahren muss nun allmählich Feindseligkeit ausgebrochenseinj denn wir finden 362 oder ^61 den Schüler des Plato,Aristoteles, einen leidenschaftlichen Dialog gegen Isocratesschreiben, Gryllus oder über Rhetorik, ganz im Geiste desPiato: und so hatte Kephisodorus recht, der Schüler desIsocrates, den Kampf gegen Plato vornehmlich zu richtenund Identität der Lehre bei Meister und Schüler vorauszusetzen:was damals jedenfalls auch so war. Später hat freilichAristoteles gerade in dialogischen Schriften die IdeenlehrePiatons bekämpft. —Plato drückt Feindseligkeit gegen ihn im Euthydem, imGorgias und im Staat aus, und vielleicht ist der ganze Gorgiasgegen ihn viel mehr als gegen Gorgias gemünzt. Dagegenhat er das isokrateische Princip von der Vermeidung desHiat angenommen 5aber man darf daraufhin nicht die Schriftenchronologisch stellen, denn gerade hier kann ein sehr spätesNachbessern wahrscheinHch sein. Die Folge ist: Phaedrus,kaum halb so viel als im Symposion oder im Staat, nochweniger in den Gesetzen, noch weniger im Philebos, dannTimaeus, dann Kritias, Sophist, Politikos. Dagegen ist hinsichtlichder Composition der Unterschied gross; das Satzgefügenicht abgezurkelt und geregelt,zwanglos, vielfach unregelmässig.sondern überfliessend,Bei Aristoteles, soweit er Dialogenschreiber ist, findenwir, dass er dem Isocrates viel abgelernt hat, nicht nur dieVermeidung des Hiat, sondern flumen orationis aureum Cic.academ. 2, 119, künstlerische Schönheit des Periodenbaus, z. B.im Fragment des Eudemos.Er ist der ahne philosophische Klassiker, aber in Hinsichtauf die Schriften, die wir nicht besitzen. Wenn man ihnnach den vorhandenen beurtheilt, könnte man sagen: Niemandhat weniger Talent zum Rhetorischen und Schriftsteller-Künstlerischenals erj so eine absolute Enthaltung von149


allen x^P^"^^^ i^^ ^^^ wieder dagewesen. Kein Fleisch, keinLeben, keine Absicht auf Wirkung, man hört die Knochenklappern. In Wahrheit hat er in seinen systematischenSchriften eine Seite seines Wesens mit Unerbittlichkeit zurückgedrängt,zum Zeichen grosser Charakterstärke und auchdes schärfsten Wissens um alles Schriftstellerisch-Wirkende.Die Alten konnten diese Seite noch neben die andre stellen.Gerühmt werden die suavitas und copia; „sie sind übergössenvon Liebreiz und erblühen von Anmuth und üben deshalbeine anziehende Wirkung aus", sagt Themistios in der 26. Redevon den Dialogen. Sie waren auch besonders reich an Scherzen,Demetr. de elocut. p. 128 stellt zusammen darin ai 'ApioTOTeXoü?x^pite? xal üc&cppovo? xal Auaioü (wo man immerApiaxo^dvou? corrigiren will, obwohl von Prosaikern die Redeist). Leider werden dort nur Beispiele von Witzen desLysias vorgeführt. Dionys von Hai. rühmt den Dialogennach BeivoTT^? Tuepl ttjv ep|xT^v£iav aacpr^vsia -^jou 7:oXuji.aÖ£


Gorgias erst nach der zweiten sicilischen Reise abgefasst,gerade in den ersten Jahren, wo Aristoteles zur Schule hinzukam,so dass damals die Feindseligkeit zwischen Plato undIsocrates auf der Höhe war. — Die Gründung der rhetorischenSchule durch Aristoteles zeigt aber doch schon einestarke Originalität gegen den Lehrer Plato, der so etwas gewissnicht gutgeheissen hat. Aristoteles war ungefähr 29 Jahredamals jer verband mit der Theorie praktische Uebungen,indem er über dsasi? ornatius et uberius disputiren Hess.Auch später, im Lyceum, waren die Nachmittage der Rhetorikgewidmet. Aber er hat keine wirklichen Redner erzogen,es sei denn der Phalereer Demetrius, mit dem dieEntartung der attischen Beredsamkeit beginnt. Nach PiatonsTode veriiess er Athen und seine Schule. — In Hinsichtdes Unterschiedes des aristotelischen Dialogs (und auch destheophrastischen) von dem platonischen erfährt man etwasaus dem Kirchenschriftsteller Basilius epist. 167: euöu? auiÄv•^«j^avTo T(JüV irpaYiAdiiüv 8id t6 auveiSsvai eauiot? täv riXaiwvixüiv^apiTu)v TY]v evBsiav. Verzicht auf individuelle Charakterzeichnung;es war die dialogische Form bloss die Einkleidungdogmatischer Differenzen, Aristoteles nahm dann selbst dasWort und führte seine Sache als die siegreiche durch. Diearistotelischen Dialoge werden wohl zwischen den beidenWeisen des Vortrags, dem platonischen Gespräch und denspäteren, streng geschlossenen Abhandlungen irgendwie inder Mitte gestanden haben. Der Uebergang zu einem einfachlehrenden, selbständig und mündig gewordenen, aufalles Beiwerk verzichtenden Vortrag. Cicero hat nach demAristoteleus mos sich selbst die Hauptrolle im Gesprächegegeben, z. B. in de finibus. In einem Briefe an den BruderQuintus sagt er, dass Aristoteles (im tcoXitixo?) das Wortselbst geführt und ebenso Heraclides der Pontiker. Alsodiese Neuerung kommt zu Piatons Zeiten schon auf, dass151


man sich in eigener Person reden lasst: also damit der zeitgenössischeDialog, im Gegensatz zum platonischen. Der zweiteUnterschied betraf das Frooimion. Cicero spricht von Eingängen,die er nach dem Beispiel des Aristoteles (in denSchriften, die jene exoterische nennen) den einzelnen Büchernvorausschicke: wobei ihm das Versehen begegnet war, demBuche de gloria das nämliche Prooemium voranzusetzen,dessen er sich schon zum dritten Buche der Academica bedienthatte 5 er hatte eine besondere Sammlung. Proklosmacht den Gesprächen des Theophrast und Heraclides zumVorwurf, dass ihre Prooemien in keinem Zusammenhangemit dem folgenden Dialoge standen. Dieser Pontiker Heraclidesist der dritte grosse Dialogenschreiber, ein Zeitgenossedes Piaton und Aristoteles, sehr reich und mannigfaltig, erschrieb Dialoge mit tragischer, andre mit komischer Wirkung,er brachte Philosophen, Strategen und Staatsmänner in Unterredungvor, man rühmte die jjieaoTT]? 6(jliXyjtix-^. Dann dasBunte und Erhabene und durchweg Interessante seines Stils.Dafür verstand er auch Tragödien zu machen, unter demNamen des Thespis.Lassen wir einstweilen die andern Schriften des Aristotelesund bleiben wir bei dem Dialog, so finden wir von jetzt angewisse Arten desselben häufig nachgebildet, aber sehr bequem,z. B.: I. das ou|jL7u6oiov, nach Plato und Xenophon,von Aristoteles, von Epikur (Aristot. pseudepigr. p. 121)—es wird getadelt, weil es gar keinen Eingang hat —, vonPrytanis, von Dio (wenn nicht Bion?), von Aristoxenusauji,|i,ixTa aujjLTCOTud , von Persaeus aujiTcoiuol SidXoyoi, vonHeraclides Ponticus in den Xioyai^ dann ein au|jL7r6aiov vomKyniker Meleager, vom Grammatiker Herodian und Didymus,')erhalten SeiTcvoaocpiaTai des Athenäus, die aujATroTixd des^) Didymi fragm. ed. Schmidt [p. 369].152


Plutarch und das aufiiroaiov oder die Lapithen des Lucian.Einebesondere Gattung ist das irepiBsiTcvov, so von Speusipp UXd-T(i)vo? TrspiSemvov, von Timon'ApxeaiXdou TrepiSsnrvov. In beidenFällen waren es Verherrlichungsschriften.2. (layi/ö?, so ein Dialog des Aristoteles, w^o ein MagusZoroaster nach Athen kommt und mit Sokrates sich unterredet,ihm ein gewaltsames Ende vorhersagt: sollte vielleichtein Werk des Antisthenes sein, nach Suidas; so hatte Heraclideseinen Dialog, Zoroaster, wo er zu Gelon kommt,Klearch [fr. 69 M.] hatte Aristoteles bei einer Reise in Asienim Gespräch mit einem Juden dargestellt. Aristoxenus haterzählt, dass Sokrates in Athen mit einem Inder zusammengewesen sei.3. Die letzten Lebensumstände: der Eudemus ein Gesprächüber Unsterblichkeit (geschrieben 352—48) wie PhaedonjTheophrast einen Dialog über das Ende des Kallisthenes.4. TcpoTpsirxixös cohortatio ad philosophiam : Aristoteles,Theophrast, Demetrios, Persäus, Ariston, Kleanthes schriebenunterdiesem Titel.5. Tcepl TCoiT^TÄv: drei Bücher langer Dialog des Aristoteles,dann Heraclides, Praxiphanes, Hieronymus Rhodius, Phanias,Theophrast.6. epiütixoi;: Aristoteles, Theophrast, Clearchus, Demetrius,Heraclides,Ariston.Ausser den Dialogen standen als künstlerisch ausgeführteSchriften des Aristoteles noch in hohem Ansehen die Briefe:hierin ist er mustergütig nach Demetr. de elocut., der sieoft citirt, nach der Sammlung eines Artemon (in achtBüchern). Die Aehnlichkeit zwischen Brief und Dialog wirdhervorgehoben, nur gestatte ein Brief, der gleichsam ein Geschenksei, grösseren Gebrauch ausgesuchter feierlicher Redeals bei dem Dialog, wo der Ton des improvisirten Gesprächsgetroffen werden muss. Die Aehnlichkeit der Briefe des':>>


Aristoteles mit denen PJatons hebt ausdrücklich Demetriushervor. Die erhaltenen Briefe kommen natürlich nicht in Betracht,Charakter und Inhalt der berühmten, oft citirten istvölligverschieden.So viel von Aristoteles als Autor classischer Prosa. Nunvon den andern Schriften. Zuerst von den uiva/ec Es giebtdrei. Einer bei Laert. Diog. am Schluss der Biographie. Ausden Worten, mit denen er eingeführt wird und abschliesst,erhellt, dass La. das vollständige Verzeichniss geben will,gegen (©yy^?) 400, nämlich die dvafxcpiXexTaj denn ausserdemgiebt es noch viele auYYpd[A[jiaTa und a.-KQ^^i-^]iaxa^ die auf ihnübertragen werden. Beim Zählen kommt man auf 370 Bücher(mit 14Ö Titeln), das stimmt zu syT"^^- — ^^^ zweite uiva^:in seinen observ. ad Diog. La. veröffenthchte Menage 16Ö3eine vita des Aristoteles, die ihm Philipp Loialteus mitgetheilthatte. Man nennt sie die vita Menagiana. Tischendorf hatin dem St. Johanneskloster auf Patmos noch eine Handschriftdavon gefunden. Die vita stimmt wörthch mit dem betreffendenArtikel des Suidas überein, nur dass bei Suidas dasSchriftenverzeichniss fehlt, d. h. also: Hesychius Milesiushatte in seinem dvojjiaToXoYo? den ßto? und den iriva^ desAristoteles, so wie er sich in der Tischendorfscben Hdschr.findet (die also ein Stück des Hesychius enthält)} Suidas hataus Faulheit den xiva^ nicht abgeschrieben. Zum Schlussjfinden sich cpeuosTciYpacpa. Davon abgesehen 127 Titel, unterdiesen 8, die nicht bei Laert. stehen, während dieser 27alleinhat.Das dritte Verzeichniss stammt von dem arabischen Erklärerdes Aristoteles, Dschemaluddinj wir kennen es aus der UebersetzungCasiris, wo es so eingeführt wird: Horum hbrorumrecensioni fidem atque auctoritatem adicit indiculus, quemPtolemaeus in libro ad Agallim (vel Agalliam) repraesentat.Unter letzterem Namen (Agallis) giebt es eine YPct(A(xaTixTrj,154


Schülerin des Aristophanes von Byzanz: doch ist an sie nichtzu denken.Das Ueberraschendste an dem werthvollsten Tciva^, demLaertianischen, ist, dass ziemlich alle uns überkommenenSchriften des Aristoteles in demselben fehlen, also die allerwichrigsten.Wie ist dies zu erklären? Val. Rose, der 1854de Aristotelis librorum ordine et auctoritate schrieb, danni8(52 den Aristoteles pseudepigraphus herausgab, mit demBerliner Preise gekrönt, stellt seine These auf: alle Schriften,welche Andronicus Rhodius (ein Peripatetiker im Zeitalterdes Augustus, der die Schriften des Aristoteles und Theophrastordnete und herausgab) in die TTpayiAaTstai nicht aufnahm,sind im Verzeichniss des Laert. erhalten: aus Unverstandhat dieser gerade das Wichtigste weggelassen: unserindex gehe auf ihn zurück, der darin gesammelt habe, wasihm Alles bedenklich und verwerflich erschien. Es sei alsoein index der ajAcpiXsxxa und 'j'suSsTriYpacpa. — La. sagt geradedas Gegentheil, dass er die vielen cj^süBsTciYpa'fa weggelassenhabe. Ich habe nun erwiesen, dass La. von dem Werk desAndronicus keine Kenntniss verräth, sondern dass seineTTivaxe? aus Demetrius Magnes stammen, und der hat siewieder von den ßioi- Schreibern Hermipp, Sotion, Satyrus,Sosicrates, Panaetius. Wahrscheinlich ist der index bei Laert.der des Hermipp des Callimacheers, der auch einen TiivaSdes Theophrast hat, d. h. es ist der Tiiva? der alexandrinischenBibliothek. Darin fehlten wirklich die wichtigsten Werke,ebenso wie sie Cicero nicht kennt: die Erklärung giebtStrabo, „aus der Stadt Skepsis gingen hervor die SokratikerErastus und Koriskos und der Sohn des Koriskos, Neleus,der ein Zuhörer des Aristoteles und des Theophrast w^arund von dem er auch dessen Bibliothek erbte (in der befandsich die des Aristoteles), denn Aristoteles übergab die seinigedem Theophrast, seinem Nachfolger. Er war unseres Wissens155


der erste, der eine Bibliothek zusammenbrachte, und gabdamit den ägyptischen Königen das Beispiel. Theophrast vermachtedie seinige dem Neleus. Dieser brachte sie nachSkepsis und vererbte sie an seine Nachkommen, völlig ungebildeteMenschen. Diese hielten sie verschlossen und bekümmertensich nicht um die Erhaltung. Da sie aber denEifer gesehen hatten, mit dem sich die attalischen Könige(denen Skepsis unterworfen war) bemühten, zu Pergamumeine Bibliothek zusammenzubringen, hielten sie die Bücherin einem unterirdischen Keller verborgen. Nachdem sie dortlange Zeitgelegen und durch Moder und Motten zerfressenwaren, verkauften die Nachkommen endlich die Schriftendes Aristoteles und Theophrast um hohen Preis an einengewissen Apellikon von Teos. Der war mehr ein Bücherliebhaberals ein Kenner der Philosophie. Er suchte die entstandenenLücken auszufüllen und fertigte neue Urschriftender aristotelischen Bücher an. Da er aber dabei ohne Geschmackverfuhr, waren die von ihm herausgegebenen Büchervoll von Fehlern. Die früheren Peripatetiker, welche nachTheophrast lebten, mussten sich aus Mangel an Büchern,da sie nur wenige und vorzugsweise nur exoterische Schriftenbesassen, anstatt einer gehörigen wissenschaftlichen Behandlungdamit begnügen, über Gemeinplätze sichrednerisch zuergehen. Den Späteren wurde es von der Zeit ab, wo dieBücher herausgegeben wurden, leichter zu philosophiren undden Aristoteles nachzuahmen, obwohl sie wegen der vielenFehler gezwungen waren, das Meiste nur der Wahrscheinlichkeitnach auszusprechen. Viel hat aber auch Rom dazubeigetragen. Denn gleich nach dem Tode des Apellikonward Athen von Sulla erobert, der die Bibliothek desselbenan sich nahm und sie nach Rom schaffen Hess. Dort erhielt derAristoteliker Tyrannio von dem Bibliothekar die Erlaubniss,die aristotelischen Werke zu benutzen. Einige Buchhändler156


edienten sich unwissender Abschreiber und versäumten, dieAbschriften gehörig zu vergleichen." — Strabo weiss nochnichts von dem pinakographischen Werk des Andronikus.Den Bericht ergänzt Plutarch im Leben des Sulla. „Daraufsegelte Sulla mit allen Schiffen von Ephesus ab und landeteam dritten Tage im Piraeus. Hier ward er in die Mysterieneingeweiht und eignete sich die Bibliothek des Apellikonaus Teos zu,und Theophrast aufbewahrt wurden, diein welcher die meisten Schriften des Aristotelesdamals noch wenigverbreitet waren. Nach Rom gebracht, soll der grösste Theilderselben von dem Grammatiker Tyrannion bearbeitet undsodann durch den Rhodier Andronikos herausgegeben sein,und dies soll der Ursprung der heute verbreiteten icivaxe?sein. Von den älteren Peripatetikern ist offenbar, dass siean und für sich voll Geist und Gelehrsamkeit gewesen sind,von den Schriften des Aristoteles selber und des Theophrastnur wenige kennen gelernt haben, weil sie vom Neleus ausSkepsis an ungebildete und niedere Leute gekommen waren."— Also die wesentlichsten Schriften des Aristoteles undTheophrast sind erst in der Mitte des ersten Jahrhundertsvor Chr. herausgegeben worden. Das Verzeichniss bei La.repräsentirt die ältere Zeit. An der Spitze stehen die Dialogemit 24 Titeln. Dann 25— 108 die eigentlichen ouviaYfiaxaohne weitere Ordnung. Von 109—125 Problemsammlungenin der Art der erhaltenen, 116— 140 enthalten die uirofAvi^ixaxa.Den Schluss machen die Briefe und Gedichte.Der zweite Index enthält die uns bekannten Schriften ebenfallsnicht} unverkennbare Aehnlichkeit mit dem laertianischenin der Anlage (SidXoYoi aüvTayiAaia TupoßXr^fx. utcojjlv. eTciot. Itcyj).Bei einer solchen Menge kann bald hier, bald dort etwasausgefallen sein. Man kann beide benutzen, um den alexandrinischeniriva? herzustellen, der in zwei selbständigenAbschriften auf uns gekommen ist. Die zweite hat auch noch157


die (psuoeTCiYpa'fa. Das dritte Verzeich niss enthält die uns bekanntenWerke, es ist der kurze Auszug eines iriva^, ziemlichwerthlos,auch schlecht überliefert. — Die Werke des Aristoteles,die in Alexandria lagen, umfassten 445270 oii/oi.E. Essen„Der Keller von Scepsis" will bemerkt haben, ein grosserTheil der überlieferten Schriften zeige eine Zusammenreihungunzusammenhängender Bruchstücke, die eine vollkommen gesetzmässigeLänge von 450 Buchstaben hätten, oder die einemVielfachen dieser Zahl entsprächen. — Alle diese sollen nachVal. Rose unecht sein, er lasst als echt gelten nur diese, ausden letzten 20 Jahren des Philosophen herstammenden, indieser Abfolge: Topica 9 Bücher, Analyt. IV, Rhetorika III,Ethika 10, Politika 8, Poetica 2, Metaphys. 10, Probleme (verloren),Physika 7, de coelo 2, de generatione et corruptione 4,Meteorologika 4, historia animal. 9, de anima 3, de sensumemoria et somno 2, de longitudine et brevitate vitaej devita et morte, part. animal. IV, ingressus animalium, generat.anim. V. Im Widerspruch mit dem berühmten 6 7coXu|iaöeaTaio


—sie zeichnen sich durch glänzende Darstellungsgabe und durchPolyhistorie aus. Sie bildeten die Rhetorik weiterj über Stil warTheophrast zu höherer Einsicht gekommen als sein Lehrer:in der Praxis aber! Einige Peripatetiker wie Clearch warendurch Schwulst berüchtigt, ebenso Klitarchos, der Historiker,und der Verwandte des Aristoteles Kallisthenes: und etwasSchwülstiges, Halbpoetisches hört man selbst in den Dialogfragmentendes Aristoteles heraus.So geriethen jene dxpodasi?,die nie veröffentlicht waren, in Vergessenheit. In Betreffunserer Schriften kann es nicht zweifelhaft sein, dass sie dendxpodo£i?ihren Ursprung verdanken: ihr sonderbarer Zustand(Lücken, Umstellungen) lässt sich entweder auf dem Wegedes Strabo erklären,oder man hat an Verarbeitung von Nachschriftender Schüler zu denken, das letztere viel unwahrscheinlicher.Aber ein merkwürdiges Schicksal dieser dxpodasi?steht durch ihre jetzige Gestalt fest. Jak. Bernays sagt z. B.in Betreff der Politik, dass in ihr kein von Aristoteles allseitigausgearbeitetes und veröffentlichtes Werk vorliegt} so enthaltendas 12. und 13. Capitel des dritten Buchs einen abgesondertenEntwurf zur Erörterung derselben Fragen, die theilsim 9., 10., II., theils im 16. und 17. Capitel abgehandelt sind.Da er einiges Eigenthümliche enthält, so mochten die Ordnersie nicht untergehen lassen. Selbst unsere so wohlgestalteteRhetorik hat grosse Versetzungen: im zweiten Buch gehörtc. 18 16 vor c. I— 17, Die Metaphysik besteht aus mehrerenAbhandlungen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhangstehen } da kommen selbst grössere Abschnitte fast wortgleichzweimal vor I, öj 9 und XIII, 45 5. Hier habendie Untersuchungen von Brandis (Berl. Akademie, Jahrgang1834) Licht gebracht. Schon der Titel ist unaristotelisch:TcpcoTTj cpiXoaocpia würde das metaphysische Werk geheissenhaben, wenn Aristoteles es vollendet hätte. Ebenso stehtes mit der nikomachischen Ethik, Bestandtheile aus ganz159


verschiedenen Lebenszeiten sind zu einem Texte verarbeitet.Nun beweisen die Citate in den erhaltenen Schriften noch,dass es echte Schriften gab, die nicht erhalten sind, und dienicht in den Verzeichnissen stehen, also nicht veröffentlichtwaren, sondern eben auch axpodaei?, also dass sie im Kellervöllig zu Grunde gegangen sind, z. B. irepl vooou xal uyieia?,TTspi xpo^^?. Andere Schriften sind erst spät gerade durchAndronikus verloren gegangen wie uepl 9utü)v, weil er denWerken des Theophrast hierin den Vorzug ertheilte. — DerHauptunterschied ist nun der zwischen e^wiepuol Xdyoi undeooDTspixoi (für letzteres, dxpoafianxoi, auch SiSaaxaXixoi, ^öyoixaxa cpiXooo^iav). Fast immer, wo sie in den aristotelischenSchriften citirt werden (mit Ausnahme einer Stelle der Physik)können sie Schriften bezeichnen: eine Frage, ob solche zuverstehen sind und ob überall solche des Aristoteles. Cicerosagt de finib. V 5, 12: „Zweierlei Classen von Schriften desAristoteles und Theophrast giebt es, die einen gemeinfasslichgeschrieben (populariter scriptum), welche sie exoterischenannten, die andern tiefer eindringend (limatius), welche siein Form von Abhandlungen in <strong>com</strong>mentariis (u7ro(j,v^[jLaTa)reliquerunt, so scheinen sie nicht immer dasselbe zu sagen,ohne dass jedoch im Ganzen selbst ein Unterschied bei denPhilosophen, wenigstens die ich genannt habe, stattfände, oderdass sie beide unter sich uneinig wären." Mir scheint es, dassnur die exoterischen von Anfang an für die Veröffentlichunggeschrieben sind, die andern nicht und nur später, durchSchüler. So fallen die ersten zusammen mit ex8e8o|XEvoi Xö^oiPoetik p. 1454'' und mit ev xoi? ev xoivä y^P^I^^'^o^'S ^oyoi? deanima p. 407 ^ Die Belehrung, die Cicero zeigt, stammt vonseinem gelehrten Hausfreund und Ordner seiner BibliothekTyrannio. Namentlich die Dialoge werden verstanden. AlsGegensatz „pragmatisch" (streng sachliche Behandlung} so\6o


steht die Tzpa-^itax^ia Te}(v7j? tüoit^tixt^!; neben dem Dialog 7:eplTCoiTjTÄv) oder akroamatische „Vorlesungen" oder „hypomnematische"Aufzeichnungen zu eigenem Gebrauch. DerUnterschied geht auf die äussere Form, „in der Hauptsacheweichen sie nicht von einander ab", sagt Cicero. DieserPunkt wurde immer weniger beachtet, die abenteuerlichstenPhantasieen über die beiden Schriftenklassen mischen sichein: die späteren meinten, die dialogisch- exoterischen Schriftenenthielten nicht die wirkliche Meinung des Philosophen, ihrInhalt sei gleichsam profan, sie sprächen nicht bloss zumSinne, sondern /;/; Sinne der unphilosophischen Menge, dieandere Classe („esoterisch" ist ganz spät) überliefere dieLehre absichtlich geheimnissvoll, in unzugänglichen Andeutungen.So wurde Aristoteles zu einem doppelzüngigenPriester gemacht, als exoterischer Schriftsteller sollte er derMenge zulieb die Philosophie verleugnet, als esoterischersollte er sie in Räthseln versteckt haben.Also: in der Hauptsache steht Aristoteles in Betreff allerSchriftstellerei auf dem Boden Piatos: er veröffentlicht nurDialoge, d. h. künstlerische Schriften. Die wissenschaftlichenErkenntnisse werden nur mündlich mitgetheilt. Aber dieNiederschriften der Schüler') giengen von Hand zu Hand,und so bildete sich eine neue Gattung von Litteratur aus,die wissenschaftliche.'')Hier ist der Wendepunkt. Schon früher^) Zu den Nachschriften gehört auch von den Aristorelischen Schriftenirepl xä.-fo.Bo'J. Simplic. phys. 362^ toT^ Tiepl "zä-faöoö Xo-j-oi^ oU 6 ApisTOTeXrjcxal 'HpaxXeiÖTjC xal 'Eariatoc xal aXXoi to5 Ukäzuivoi sraTpoi T:apoi'(e.w[itwiavsYpätl'avTO T«. pTjOevTa alvi-j-pLaTcuSöi^ u»^ eppTjßT). Andere AristotelischeSchriften sind Excerpte, z, B. xa Ix xcüv vöfxüjv OXarcovoc a ß 7, to. Ix ttj?TtoXireia; ä ß. So sind viele Demokritische Schriften excerpirt unter denTheophrastischen. Andere sind Savwiluvgen zu persönlichem Gebrauch,2. B. die vielen Poiitieen, also Material. Deshalb zahlte Aristoteles fürden Nachlass des Speusipp 3 Talente (Verzeichnisse von 6Xu|jL7:iovixat,ßiSaoxaXiai, uapoiixiai u. s. w.).^) Man hat darauf aufmerksam gemacht, dass in gewissen StückenAristotelischer Schriften die Vermeidung des Hiatus, dieser äusserste GradII Nietzsche V \6l


gab es wissenschaftliche Schriften, besonders rhetorische undmathematische xe^^vai, d. h. die Collegienhefte der ^iQiops«;und Mathematiker. Aber Niemand würde diese zur Litteraturgerechnet haben: ebensowenig als wir Kochbücher zur Nationallitteraturrechnen. Jetzt beginnt aber ein Kampf gegendie schöne Form, gegen die isokrateische Musterprosa, inStil und Gestaltung des Ganzen j die wissenschaftliche Litteraturbekämpft die künstlerische und verdrängt sie. Manschrieb in den Tag hinein.') Stoiker und Epikureer gleichermaassen,die Stoiker befleissigten sich eines unkünstlerischenStils nicht mit Absicht, die Epikureer mit Absicht. Dionys.V. Halic. de <strong>com</strong>p. 30 sagt: „Niemand hat schärfer die Dialektikausgebildet als Chrysipp und Niemand hat schlechter<strong>com</strong>ponirt. Epikur hatte den Grundsatz, dass der Rednernur Deutlichkeit zu erstreben habe: so werde es auch nichtschwer zu schreiben, wenn man sich um das wandelbareKunsturtheil nicht kümmere." Das Buch des Philodemosgegen die Rhetorik und seine eigene Darstellung bürgendafür. Der Grammatiker Aristophanes nannte die SchreibweiseEpikurs iBitüTixcoidTT^ „ungebildet" j Cicero Brut. 131 sagtvon Albucius: „perfectus Epicureus evaserat, minime aptumad dicendum genus."Bisweilen zwar soll Epikur selbst etwasstilistischer Sorgfalt, herrscht, z. B. im achten Buch der Politik. Es wirdso erklärt, dass Aristoteles für die Politik, wie in geringerem Maasseauch für die Metaphysik, die Schrift uepl oupavou — die früher verfasstendialogischen Schriften ausgeschrieben hat, Blass II, 428. Aus dem grossenDialoge iztp\ cpiXoaotpiac jedenfalls z. B. das erste Cap. des zweiten BuchsTrepl oupavoü, den grösseren Theil des ersten über Metaphysik.*) Vielschreiberei : es war die natürliche Reaktion gegen den Einfluss derasianischen Rhetorik und ihrer allbeherrschenden Kunstmittel; denn esfolgt dicht auf die Entwicklung der klassischen Prosa eine maasslose Verschnörkelungder Sprache. Die Philosophen vertraten die Natürlichkeit^d. h. aber, bei einem solchen Gegensatz: den Naturalismus, das Sichgehenlassenmit dem einzigen Streben, sich deutlich zu machen. — Ausserdemgrassirten Nachahmereien der schlimmsten Art, Thukydideer, Platoniker,Xenophonteer u. s. w.162


von dem weichlichen Silbenfalldes Hegesias und der Asianerangestrebt haben (Theon progymnasm.). — Zeno sagte, essei nichts ungeeigneter, um die Wissenschaften darzustellen,als Poesie (damit sind gewiss die Dialoge gemeint). Er vergleichtseine Xoyoi mit den attischen Münzen, kunstloser,aber oft schwerer als die elegant geprägten alexandrinischen.Man warf ihm unrichtigen Gebrauch von Wörtern undsprachwidrige Bildungen vor. Apollonios von Tyros machtec. 50 V. Chr. einen Tciva? täv aTuo Z'^vüdvo? cpiXoa6«pu)v xalßißXiiüv. Erhalten : vonKleanthes der Hymnus auf Zeus. Von(starke BenützungChrysipp grössere Fragmente bei Plutarchüberhaupt durch Plutarch) und Galen j dann hat Cicero dedivin. und de fato die Schriften Trepl [xavtix-^? irspl Tcpovoia?TTspl £ljj,ap[x£VT^? stark benützt, zum Theil übersetzt. In deofiiciis haben wir Tcepl toü xaör^xov-o? des Panaetius.Unter den Zügen, die der epikureische Weise hat, ist:atJY7pa[j,[jLaia xataXeicj^siv, ou ira'^r^Yupisiv Be. Hier haben wirnoch einmal eine Erinnerung an die ursprüngliche Bestimmungdes künstlerischen Dialogs: er ist zum öffentUchenVorlesen gemacht, ein dYtüvia|jLa eU t6 Trapa^^p^ixa dxouciv, dasgeht dem Publicirtwerden voran, ist das wichtigste Mittel,um ihn zu verbreiten und den Wunsch zu erregen, eineAbschrift zu haben. Der epikureische Weise ist gegen dieseöffentliche Verbreitung von Schriften jer hinterl'ässt Schriften,offenbar als sein Abbild für die späteren Schüler, outs ^t^-TopcUciv xaXw?, heisst eine andre Vorschrift. Natürlich wirdihm wieder vorgeworfen, dass er nicht rein im Ausdrucksei, auch d{xa&7j?j er widerstrebte eben der damaligen Erziehungin sprachlicher und polyhistorischer Hinsicht. Athen.13, 588 sagt: eyxuxXlou 7raio£ia? d|j,6YjTo; wvj er selbst sagt imBrief an Pythocles: Traiösiav os Tcäaav, jxaxdpis, cpsuYS t6 dxdiiovdpdjxevo? (hisse das Segel zum Schnellfahren auf). Der Stolzder Epikureer bei den Schriften ihres Meisters war, dass er41* 103


nicht citirte, sondern immer original war: dass er dabei sofruchtbar war,dass Chrysipp aus Eifersucht ihn überschreibenwollte, aber genöthigt war, massenhaft durch Citiren dieBücher zu füllen („wie man auch bei Zeno und Aristotelesfinden kann").') Drei ausserordenthch schöne und inhaltsreicheBriefe (kleine Schriften) hat uns La. erhalten,^) ebensodort xupiai h6^ai. — Peripatetiker [Aufzählung].Diese drei Schulen, die Peripatetiker, die Stoiker und dieEpikureer, haben um die Wette geschrieben. Die Skeptikerdagegen schreiben nichts, wenigstens Pyrrho nicht, und vonder akademischen Skepsis: Arcesilaus, das Haupt der [asgy]AxaÖT^fiSia, und Karneades, von der vea. Dagegen soll Kleitomachos400 Schriften geschrieben haben. Von Karneades istbekannt, wie sehr er sich mit seinen Vorträgen Mühe gab,aber er gab nichts heraus und hinterliess nichts. Nur Nachschriftenseiner Schüler waren bekannt.Sehr eigenthümlich ist eine Gattung von Litteratur, dieden Cynikern verdankt wird. 6 xüvixo? Tpdiro; oder 6 xüvixo?XoYo? bei Demetr. de elocut., die Vereinigung von tiefemgrimmigem Ernst mit Spott und Scherzen tcov t6 elöo? to5xüvixou Xoyou oaivovTi ajxa eoixe tcü xal Sdxvovit.Von Diogenes ist es wahrscheinlich, dass er nicht geschriebenhat, und dass die Dialoge und Tragödien ihmuntergeschoben sind.Es war eine gar zu interessante Maske,^) Sie bestanden ganz aus Anführungen, also wie die Politieen desAristoteles, die nur eine Zusammenstellung von Excerpten sind: z. B.stand Herodot V 6%— 65 fast wörtlich in den Politieen nach Schol. Aristoph.Lysistr. v. 1 153.*) Von Epikur herkulan. Fragm. (Buch 2 und 11) von 7:£pl cpujeu);.Metrodor, Polyaenos, Hermarchos directe Schüler: gegen seinen SchülerKolotes sind zwei Schriften Plutarchs gerichtet. Von Phaedrus Tiepi ÖtÄvebenfalls herkul. Fragm., besonders aber von Philodemos aus Gadara (vondem 36 Bücher gefunden worden sind). Wichtige Ueberbleibsel von Philodemosuepl eu(jeßs(a;. Früher ist Apollodor, einer der Vielschreiber, undZeno.1^4


um aus ihr zu reden. Er und seine Schüler sind alle Proletarierder tiefsten Art, der Volkswitz kommt in ihnen hervorund \\ird litteraturfahig. Monimos aus Syrakusj es wäreseltsam, wenn nicht Sophrons Einfluss zu spüren gewesenwäre. Krates aus Theben, TraiY^ia, einiges erhalten, darunterParodieen von Solon. Metrokies verbrannte seine Schriften.Aber der eigentliche Begründer der humoristischen Schriftstellereiist Menippos aus Gadara, dann in Sinope, später inTheben Schüler des Metrokies. Er wurde später viel nachgeahmt,vom Cyniker Meleager aus Gadara,der auch Dichterist, wie Menipp (so unter den Dichtern, welche Jo. Stobaeusexcerpirt hat) und Varro, der saturae Menippeae dichtete.Eine Vermischung von Prosa und Poesie scheint ihm eigenthümlich:ein deutliches Bild giebt die aTuoxoXoxuvTwai? desSeneca. Die Schriften des Menipp sind vexuia, eine Parodieder homerischen vexuia; Lucian ahmt sie im Dialog nach:MeviTTTCoi; 7] v£xuio|jiavT£ia. Dann Biaö^xai, nachgeahmt vonVarro „testamentum irepl SiaÖTjxÄv"^ vielleicht eine Verspottungder Philosophen-Testamente.Dann sTcioToXai x£xo[xc|^*u|j,£vaictTüo Tou T(J5v 0£(I)v TrpoacüTtoi), also Briefe, nicht Dialoge(man sieht, dass auch die Briefform schon eine beliebtelitterarische Form ist), vielleicht sind die Ö£äv BictXoyoi Luciansdaher entsprungen. Dann: irpo? tou; cpuaixou? xal (laör^iiaTixou;xal Ypa(ji|jLaTixoü?: Gegenstände des Hohns und der Parodieschon damals. Endlich izpoc, yova? 'ETuixoupou xal xci? ^pr^axEuo-\ihac, uTC auTÄv £ud8a?. Epikur wurde von den Schülern wieein Gott verehrt, v. Lucret. V i—54. Plutarch gebraucht denAusdruck (non posse s. v. s. Epic. [4 p. 1089 C]: ^^^'^^^ £ixdSot?e8£iTCVY]oav '7roXuT£X£aTaia). Noch zu seinen Lebzeiten wurdenicht nur sein Geburtstag, sondern der 20. jedes Monatsfesthch begangen, ihm und Metrodor zu Ehren j im Testamentverordnet er diese Feier für die Zukunft. — Bedeutendmuss auch der Borysthenite Bion als Schriftsteller gewesen165


sein, von dem Eratosthenes sagte, er habe zuerst die Philosophenineine Hanswurstjacke gesteckt.[Folgen eng zusammengedrängte Aufzählungen, die bisOlympiodor und Philoponos reichen.]§ 12.Die historischeLitteratur.Gemeint ist eigentlich die erzahlende und beschreibendeProsa, im Gegensatz zur reflektirenden und schliessenden.Die Frage nach der grösseren oder geringeren Wahrheit desErzählten oder Beschriebenen, die Zunahme eines Wirklichkeitssinnesist nicht zunächst unser Thema: das gehört in dieGeschichte der Wissenschaft. Wir sehen auf die Kunst derErzählung und Beschreibung, die Kraft der Darstellung, dieConcentration des Ganzen und dergl. Da ist es möglich,dass zwischen den wissenschaftlichen und künstlerischen Ansprüchenin Betreff eines bestimmten Historikers ein grosserGegensatz der Beurtheilung bleibt.') Die erzählende Prosasetzt unmittelbar die erzählende Poesie fortj und da diese aufeiner unerreichbaren Höhe schon zu Homers Zeit stand, sogehört die Geschichte der historischen Prosa im Allgemeinenin die Geschichte von dem Rückgange des erzählendenTalents der Griechen, während der Sinn für das Exakte zunimmtund man alte Priesteraufzeichnungen und Siegerverzeichnisseauszunützen beginnt. Im Epos nimmt das stofflicheInteresse überhand, die ungefüge Masse drängt sich vor, mitGeschlechtsregistern 7]oTai, Anhäufungen von Sagen, z. B.xtioek;, Stamm- und Ortssagen j die kleine Erzählung gelingtam besten, das Novellenhafte. Bei Asios, einem genealogischenDichter wie Eumelos, Kinaethon, kamen Schilderungen des*) Streng gefasst, widerstreite» sich diese Rücksichten, Welches ist nunder Zeitpunkt, wo die Historie blüht? Dort, wo beide Rücksichten sich,so sehr es möglich ist, einander annähern. Wie steht es bei den Griechen?i66


luxuriösen Kostüms der Samier zu Ehren der Hera vor; inden 'ApifjidaTreia hatte man die Schilderung fabelhafter fernerWesen; zu Panyasis Zeit war die epische Poesie schon erloschen:er, der Oheim des Herodot, belebte sie wieder.Choerilus aus Samos beneidet die Glücklichen, welche lebten,OT dxi^paTo? Yjv £Ti Xsifitüv, „wir sindim Wettlaufe die hintersten".So dichtete er Ilepaixd. Man muss wohl annehmen, dass daserzählende Talent desgrössten Erzählers unter den Historikern,des Herodot, auf der Höhe des Panyasis stand, der mit imKanon aufgenommen war: wir dürfen nicht gering denken;nur dass er die Fessel der epischen Diction und des Metrumssprengte und es sich leichter machte. Er bezeichnet, anHomers Erzählungs- und Schilderungstalent gemessen, gewissein tiefes Zurücksinken dieser Begabung. Er ist der Punkt,wo das abnehmende erzahlende Talent und der zunehmendeSinn für das Wirkliche beide schon und noch bedeutendgenug sind: in der Mitte zwischen dem Epiker und demtrockenen Chronisten. Und wie entfernt ist von ihm wiederder grösste Forscher und Denker der Historiker, Thukydides,der ersichtlich mit grosser Mühe erzählt und das reflektirendeElement mit Gewalt dabei zu bändigen hat. Erst seit demausserordentlichen Fortschritt der Prosa seit Isokrates wuchsdie Kunst der erzählenden Darstellung, jetzt schulte man sichordentlich in der Erzählung. Man schätzte die naiven Erzählergering. Da spricht Theopomp deutlich aus, von den Historikernder früheren Zeit stünden die angesehensten sogar denenvon den jetzigen nach, die man nicht einmal des zweitenRanges würdige. Cicero Brutus 66 sagt, Theopomp habeden Philistos und Thukydides durch den höheren Aufschwungder Darstellung in Schatten gestellt, ähnlich wie Demosthenesden Lysias (elatione et altitudine orationis). Theophrast urtheilt,dass Herodot und Thukydides nur die Anfänger eines höherenStils seien. Kurz, man war weit entfernt, den Aelteren eine1(^7


solche Stellung einzuräumen, wie wir es thun, Aristoteleserwähnt Thukydides nie. Man schrieb besser, bewusster, aberrhetorischer und unnaiver. —[Folgt ein Abschnitt über die ältesten Historiker vonHekatäus bisHellanikus.]Von all den Genannten und Herodot inbegriffen giltnun, dass sie die Nachkommen der epischen Dichter sind,besonders auch in ihrer Absicht auf mündlichen Vortrag undagonale Auszeichnung: sie schrieben, um nachher vor einem Festpublikumvorzulesen und Ehren zu empfangen. Das rücktsie sofort aus der Reihe der Chronisten. Sie wollen ergötzen,und gefallen. So sagt Thukyd. i, 21: w? XoYoYpdcpoi ^uvsösaav£Tcl t6 TcpoaaywYOT^spo'^ "^^ dxpodosi \ dXrjöeaTspov, övxa ctve^e-Xeyxxa xal xd TioXXd 6tc6 )(^p6vou auxÄv dTCioxü)? eul x6 {XüOcSBe?exvevixr^xoxct. Und so stellt er sein Werk allen früheren entgegenI, 2: xx^ji-d xe e? dei jjidXXov 7^ aYwviajxa ic, x6 izapa-Xpvjfxa dxoueiv ^uYxsixai. Deshalb ist die Lust dieser Historikeram Mythischen so gross, es ist unterhaltender, während das[x?] {iuö&Bs? nach Thukydides' Urtheil ic, dxpoaaiv dxspirsaxepovist. Man bemühte sich gerade die Fabeln gut zu erzählen jdamit wetteiferte z. ß. später Theopomp, indem er nebender wahrheitsgetreuen Geschichte auch Fabeln zu erzählenverhiess, „besser als Herodot, Ktesias, Hellanikos und dieSchriftsteller über Indien das vermocht hätten". Man sieht,wer die berühmtesten Erzähler von Fabeln waren. Deshalbnehmen die Geschichten bei Herodot so häufig die typischeForm an und ähneln der Dichtung, weil seine Zuhörerschaftan Poesie mehr gewöhnt war und den typischen Ausdruckhöher schätzte als den exakten. Brachte der Stoff einmaleine trocknere Partie mit sich, so Hess man sich zur Erholungdarauf um so freier und dichterischer gehen. Gerade dieLeichtfertigkeit tbyiptm wie die des Hellanikos, welche späterdie strengeren Historiker tadeln, ist die Folge ihrer Stellung168


zum Publikum, ihrer Absicht, zu unterhalten. Man kann sichden Contrast des Thtikydides nicht stark genug denken j erist ein Heros der Originalität der Absicht und des starkenWillens, sie durchzuführen.Was folgt aus dem Vortrag vor einer Zuhörerschaft, besonderseiner einheimischen? Sie will womöglich ein zusammenhängendesStück, mit befriedigendem Schlüsse, sie willwomöglich Wunderbares, Aufregendes j man sehe nur, wieerregt die Menschen in der Odyssee sind, wenn einer eine Geschichteerzählt hat: Erschütterung und Thränen häufig. Siewill Verherrlichung der Heimatstadt, der einheimischen Heroen,sie will Rechtfertigung ihrer Thaten, Beschönigung. Sie willden Glauben, dass alles wirkhch so sei, daher möglichst genaueSchilderung, als ob man dabei gewesen sei. Sie hat ihreAnsichten über sittliche Dinge und will,dass der Verlauf derErzählung diesem Glauben entspricht. — Dies ist die Luft,in der die Herodoteische Geschichtskunst entstand. Damit bezeichneich die ganze ältere. Man irrt, wenn man eine vorherodoteischeHistorie als eigene unvollkommene Gattungannimmt. Es ist nur die Differenz der Talente, nicht derGattungen, und auch die Talente scheinen bedeutend genuggewesen zu sein. Besonders irrt man, wenn man an einetrockne gelehrte nhafte chronikenartige Darstellung bei denältesten Historikern denkt. Nein, es ist die Fortsetzung desEpos und der ionischen Novellenerzählung jder erste Historiker,Hekatäos, steht als Meister der Erzählung da. Nicht inder Studirstube wuchsen sie; es sind weitgereiste Männer,die zu hören und zu sehen und zu fragen verstanden undihrganzes Leben hindurch sich im Erzählen und im Erzählenhörengeübt haben. Das ist eben laiopia.Herodot, Sohn des Lyxes aus vornehmer Familie derdorischen Kolonie Halikarnass.Wenn er ionisch schrieb undnicht dorisch (auch nicht attisch, ob er sich gleich ganz an1(^9


Athen anschloss), so ist ein Grund, dass es eben nur eine ionischeProsa damals gab 5zweitens gab es in der nächsten Nähe vonHalikarnass eine ionische Gemeinde: durch eine von Newton18Ö7 publicirte Inschrift bewiesen, aus der Zeit Herodotsj seinOheim Panyasis kommt darin vor, ebenso der Tyrann Lygdamis.Dieser tödtet den Panyasis und nöthigt Herodot, nachdem ionischen Samos zu entfliehen. Von da aus unternahmer die Befreiung seiner Vaterstadt.Sie geUngtj poHtische Misshelligkeitentreiben ihn dann wieder fort. Zu Anfang despeloponnesischen Krieges war er in Athen, sah die Propyläen,die 431 vollendet wurden 5später für lange Zeit in der attischenKolonie Thurii. [. . .]Herodot hat einzelne Theile seines Werkes öfFenthch vorgelesen;er bezieht sich III 30, VI 93 selbst auf Einwürfe, dieer dabei erfahren hat. Ueberliefert Vorlesungen zu Korinth,wo er keinen Sold davontrug, zu Theben, zu Athen bei dengrossen Panathenäen 44(5, er war 38 Jahre alt: hier empfinger zehn Talente auf Rathsbeschluss. Thukydides als Knabehört ihn und weint, Herodot sagt zu seinem Vater: ^pya \cpuai? TOü uioij oou irpo? (xaOT^iiaia. Wohl auch in Olympia.Krüger hat die Einwände Dahlmanns gut beseitigt. Er schrieban seiner Geschichte bis gegen 425 v. C., die wir uns auseinzelnen Stücken entstanden denken müssen. — WelcheReisen er gemacht hat, was er aus Autopsie schildert, lässtsich aus dem Werke selbst noch erkennen; von Asien (nachMatzat's Untersuchung Hermes 6) kennt er die ganze ionischeKüste, das Hinterland der ionischen Küste mit Sardes, dasöstliche Binnenland von Karlen Phrygien Lydien bis Kelänä —das ist der östlichste Punkt im inneren Kleinasien, zu dem ergekommen. Er ging von Ephesus nach Sardes und von danach Smyrna zurück. Ebenfalls kennt er die andre nördlicheHälfte der Westseite von Kleinasien, Mysien, Troas mit demäolischen Küstenlande. Er hat eine Seefahrt durch den Helles-170


—pont, die Propontis, den Bosporos, den Pontos nach Kolchisgemacht. In südöstlicher Richtung von Haükamass kennt erdie fünf andern dorischen Städte, die drei rhodischen, dasFestland gegenüber; dann Kypros. Dann steht fest eine Reisenach Phönikien und dem südlichen Syrien. Dann die grössteReise, die ihn bis Babylon, vielleicht bis Susa führte. Medienoder gar Baktrien hat er nicht gesehen. In Aegypten ist ernicht weiter als Elephantine gekommen, die Aethiopen saher nicht selbst; nach einer Andeutung scheint er erst nachBeendigung des Aufstandes des Inaros dort gewesen zu sein4(^2 $6. Den Peloponnes kennt er sehr gut, er war imKorinthischen, Lakonischen, Ehschen. Er war lange in Athen,als Anhänger der Perikleischen Politik, sah die Schlachtgegendenvon Salamis, von Platää, der Thermopylen, die Athoshalbinsel,Theben, Delphi, Dodona, Insel Thasos. Auf Samothrake hater sich in den Kabirendienst einweihen lassen (er spricht alsWissender vom Dionysosdienst und den Geheimnissen derThesmophorien, verräth sich als kundig der orphischen undpythagoreischen Geheimnisse, findet die Wurzel des hellenischenGeheimdienstes in Aegypten, der Weihen von Saisward er theilhaftig, sah die Geschichte von Osiris LebensundTodesschicksalen bei Nacht dort auf dem See vorstellen;überall höchst vorsichtig; eine gewisse Geringschätzung derheimischen Göttergeschichten hat er von den Aegyptern).Also er sah viel; zweitens aber hörte er viel, z. B. die ägyptischenPriester, dann Ilepaewv oi Xoyioi. Er ist bedacht, Augenzeugenzu gewinnen; erst wenn er sie nicht findet, begnügter sich mit Hörensagen: er arbeitet widersprechende Aussagennicht durcheinander; VII 152 sagt er: „ich muss das erzählen,was erzählt wird; zu glauben aber brauch' ich nichtalles; und bei mir soll diese Bemerkung für meine ganze Geschichtegelten".Die vornehmen Perser sind vertraut mit denhellenischen Sagen und suchen sie für sich umzudeuten; die171


Reden der sieben Perser über die Verfassung, die man nachdem Sturze der Magier dem Reiche zu geben habe, kannHerodot nicht selbst gemacht haben; er versichert III 80 so bestimmt,sie seien gehalten worden. Das verräth eine tiefe Vertrautheitmit den hellenischen politischen Ansichten. Manches,was Herodot von ihnen hat, sieht wie Reminiscenzen an Tischgesprächemit ihnen aus (z. B. ihr Spott über die Hellenen, dass siebei der Mahlzeit keinen Nachtisch haben). Von ihnen muss erauch schriftliche Aufzeichnungen bekommen haben, mit ausführlichenNamen- und Zahlenangaben.Die Perser hatten bereitszur Zeit des Darius Küstenvermessungen und Landaufhahmengemacht, wohl mit Hülfe chaldäischer,ägyptischer und griechischerFachleute. Von ihnen hat er die Beschreibung derpersischen Königsstrasse von Sardes nach Susa und das Verzeichnissder Satrapieen des Reichs. Darius hatte den Skylaxvon Karyanda ausgeschickt, um die Mündung des Indus zuentdecken. Der Bericht des Herodot über die Fahrt des Skylaxstammt von einem persischen Berichterstatter: einige Trübungendurch das persische Medium. In Betreff des Verzeichnissesder Truppen des Xerxes steht es anders. EntwederDemaratos selbstoder einer seiner Begleiter hatte schriftlicheAufzeichnungen, Memoiren, hinterlassen, die über seinen Aufenthaltbei Darius und Xerxes und wohl auch über seineVertreibung aus Lacedämon handelten.Diese waren im Privatbesitzeeines Griechen, der Herodot daraus mittheilte. Dagegenscheint Herodot keinen seiner Vorgänger als Quellebenutzt zu haben. — Wir haben uns nun zu denken, wieer auf seinen Reisen sich uTrofxvv^fjiaTa machte, wie er grösserePartieen zum Vortrag ausarbeitete, und wie er in der zweitenHälfi:e des Lebens daran denkt, das mannigfache geographischeund historische Wissen zu bändigen zu einem grossen Werk,durch eine Art von Flan, Man sagt gewöhnlich: „die uralteFeindseligkeit der Hellenen und Asiaten, die sich endlich im172


Perserkrieg entladet: so dass alles Frühere als Vorspiel erscheint".Ein ganz verbreiteter Gedanke damals: die Perserund Phönizier haben ihn, wie die Griechen, z. B. Aeschylus.Darin steckt kein Verdienst für Herodot, sondern in der Ausführungeines solchen Gedankens in diesen Dimensionen unddoch wieder mit dieser Begrenzung (auf das Historisch- Helle,von Crösus an). Die Idee dazu konnte ihm nur vom Eposkommen; und man kann aus Herodots Benehmen schliessen,was die Griechen namentlich vom Epos forderten: nämlicheinen hinreissenden ungestörten Gang der letzten Theile,einen zögernden durch Episoden gehemmten der ersten Theile:wie ein Strom vor dem Herabstürzen; man sieht lange dieinnere Aufregung, widerstrebende Richtungen, Verzögerungen,endlich kommt alles in einen Schuss und Fluss. DiesLetzte geschieht vom 7. Buch an. Jedenfalls ist das Werk ausdem Niedergang des Epos ein sehr unvoükoinmenes Epos; mansieht, dass der Stoff, die interessante Episode viel zu viel Machthatj er hat zuviel gesehen, findet zu viel mitthellenswerth,und alles soll in dies eine Werk hinein. Wozu war das nöthig?Aber man sieht doch noch den Ansatz zum Epos, den Willen,einen ungeheuren Stoff künstlerisch zu organIsiren, alsGanzesaufzubauen. Die bei Weitem grössere Kraft steckt in derEinzelerzählung. Eine besondere Vornehmheit, die er mitHomer gemein hat, ist, dass er die Perser nicht feindselig behandelt,wie jener nicht die Troer. Es liegt darin immer dasfeinste Lob, wenn man jemand als Sieger über einen mächtigenund würdigen Gegner schildert.So verfährt auch Aeschylusin den Persern. Die panegyrische Historie existirt für ihnnicht. Ein eigenthümlich düsterer Sinn begleitet dabei denHerodotj eine finstere Art der Reflexion, die besonders inGesprächen zu Tage tritt, sehr auffallend für eine Natur, dieso viel zu sehen und zu fragen fand und sich keineswegs vomLeben zurückzog. Er ist auch kein Panegyriker des Lebens.173


j[Plan des Werkes jreligiöser Grundzug auch in den Episoden.]Wir kommen zu einem Mann, der wie ein Wunder dasteht,gerade durch die Abwesenheit aller religiösen Nebengedanken,durch das schroffe Abweisen alles Mythischen undTypischen und durch die schreckliche Unbefangenheit, dieeigentlich ungriechisch erscheint: der auch nicht agonal ist,nicht gefallen will, sondern wirklich nicht an sich denkt:Thukydides. Es ist auch etwas Ungriechisches in seinemGeblüt: er ist zu einem guten Theil thrakischer Abkunft,väterlicher und mütterlicher Seite, doch fliesst edelstes griechischesBlut in ihm. [Stammbaum.]Er ist also verwandt mit den Pisistratidenj er nimmt dasgrösste Interesse an ihnen, hebt stark hervor, was sie Gutesfür die Stadt gethan: für die Richtigkeit dessen, was er übersie sagt, verbürgt er sich, da er „durch mündliche Mittheilungüber dieselben genauer unterrichtet sei als andere." Deshalbbekämpft er an zwei Stellen den verbreiteten Irrthum, Hipparchsei der älteste Sohn und Nachfolger des Pisistratus gewesenman warf ihm vor. Harmodios und Aristogiton verläumdetzu haben. Im Volke galt er als Nachkomme des „Tyrannen"Hipparch und so hat ihn Aristophanes mit dem Spitznamen4>Eu§iTcjrapxi87](;„Lügenhipparchide" bezeichnet Acharner 6oi.Er giebt sogar die Grabinschrift seiner Urgrossmutter, derArchedike, er schwelgt in Familienerinnerungen. — Geborennach dem wenig bedeutenden Zeugniss der Pamphila (beiAul. GeHius XV 23) wäre er 470, nach Andrer (Ullrichs) Berechnungen4(^0, nach Krüger zwischen 460 und 452. DasWahrscheinlichste 4Ö0, weil er, wenn er später geboren war,schwerlich im Jahr 42^ hätte Stratege sein können, was erdoch gewiss war; und weil, wenn er früher geboren war,Aristophanes ihn schwerlich mit unter die jungen Leute,veaviai, rechnen könnte, was er an der Acharner-Stelle that.174


So war er beim Beginn des Kriegs 29 Jahre jdamals gleichfieng er an, sein Werk zu schreiben, in dem er voraussah,dass es der wichtigste aller Kriege werde; (er wurde auchvon der Pest befallen [biliöses Typhoid]); am Ende war er 57.Er sagt selbst V 26, dass er den ganzen Krieg miterlebt habe,und zwar so, dass er vermöge seines Alters stets zu genauenBeobachtungen im Stande gewesen sei. Obwohl er geborenerAristokrat ist, hatte er doch die tiefe Auffassung von derinneren Nothwendigkeit des dorischen Kriegs, und gehörteniemals zur Partei der unbedingten Friedensfreunde; er hatnie das Treiben der politischen Genossen des Aristophanes,der Ritter und Junker,nie deren Parteiverbindungen gebilligt.Er gehörte zur Partei der Fortsetzer der perikleischen Politikin Kriegssachen; so gut wie der vornehme Hippocrates, derNeffe des Perikles, gehörte er im achten Kriegsjahr zur demokratischenPartei, deren Haupt damals Cleon war. SeineWahl zum Strategen ist von der Partei Cleons durchgesetztworden: gewiss hat er nie zu dessen persönlichen Freundengehört: die Natur der Männer war zu verschieden. Durchjene Acharnerstelle ist sicher,dass er 425 Stratege in Thrakienwar, und dass er im nächsten Jahr 424 nur wiedergewähltworden ist. Dionys. v. Hai. sagt ausdrücklich, er habe mehrereStrategieen bekleidet; es ist nur mögUch, an eine Strategievo?' 424 zu denken, denn von Ende 424 oder Anfang 423bis zum Friedensschlüsse 404 bringt er in Verbannung zu;nach seiner eigenen Angabe 20 Jahre (doch ist das 20. freilichnicht voll). Für die Strategie in Thrakien musste er besondersgeeignet erscheinen: er sagt selbst IV 5, dass er die Ausbeutungder Goldgruben in jenen Gegenden besass, und dass er vonsich selbst aus dcp' auiou (durch Herkunft, Familienbeziehungen)bei den vornehmsten Männern des Landes Einfluss hatte. Erbesass zu SxaTriYj uXt] Goldbergwerke (Scaptesula) zwischenStrymonfluss und Nestosfluss (eine Platane wurde gezeigt,175


unter deren Schatten er gearbeitet haben soll. Seine Frauwar auch von dort). Dort hatten die Bewohner des nahenThasos ihre Goldminen, die jährlich 80 Talente lieferten(480000 frs.). Nun hatte er 424 ein grosses Unglück; mitsieben Schiffen lag er bei der Insel Thasos, als Amphipolisvon Brasidas bedroht wurde. Die athenische Partei in Amphipolisrief ihn zu Hilfe; er kam schnell, doch zu spät, dennAmphipolis war bereits, auf günstige Bedingungen hin, übergegangen,es gelang ihm nur noch, den Hafenort 'Hiwv zuretten. In Athen wurde gegen ihn die Ypoi(p7] irpoooaLa«; erhoben:er wurde verbannt. Die Erinnerung an den Verlustvon Amphipohs musste sehr schmerzlich für ihn sein, erzeigt die stärkste Abneigung, von den Dingen in Thrakienklar und erschöpfend zu reden;der Wiederbeginn der Feindseligkeitenin Thrakien nach jenem harten Schlag ist 420.Man bekommt keinen Begriff davon, dass bis zum sicilischenFeldzug Thrakien der Hauptschauplatz der kriegerischenThätigkeit der Athener ist. Es ist die dunkelste Partie seinesWerkes. — Als Thukydides nach Athen kommt, um sich dergesetzmässigen euOuvYj zu unterwerfen, hat er sich wohl beidem berühmtesten Rechtskenner und Anwalt, bei Antiphon,Raths erholt und trat mit ihm, dem politischen Gegner seinerAnkläger, der regierenden Demokraten, in ein näheres Verhältniss.Die berühmten Worte, mit denen er Antiphonnach seinem Tode ehrt, VIII 88, sind wohl als Ausdruckpersönlicher Dankbarkeit für dessen Eifer zu seinen Gunstenaufzufassen; er war der Client desselben. Später machte manAntiphon, jener emphatischen Worte wegen, zum Lehrer(zuerst Caecilius). Antiphon war um 15—20 Jahre älter alser. Trotzdem wird Thukydides, auf Vorschlag des Cleon,verurtheilt, mit Verbannung. Man nimmt immer an, unschuldig,und spricht von der Ungerechtigkeit der Demagogen. EinzigGrote macht eine Ausnahme. Die Frage ist nicht, ob176


Thukydides alles that, was er tbun konnte, als er die beunruhigendeNachricht zu Thasos erfuhr, sondern ob er die bestenMaassregeln getroffen hatte, um die athenische Herrschaft inThrakien, namentlich Amphipolis, zu sichern. Dies bestreitetGrote. Der Feldherr Thukydides hatte sich überrumpelnlassen, er hat ein paar nothwendige Vorsichtsmaassregeln vernachlässigt;und die Bestrafung war verdient. Wir könnenuns Glück dazu wünschen, dass es so kam. Kleon nicht,denn die paar bösen Worte des Thukydides haben ihm sosehr geschadet, dass man dem wahnsinnigen ParteiangriiF inder Aristophanischen Carikatur Beifall gezollt hat. — Unterden 404 zurückberufenen Verbannten muss auch Thukydidesgewesen sein. Pausanias 1 23, 11 rühmt einem gewissen Oinobiosnach,dass er durch ein ^-fi^ioiia Thukydides' Rückkehr durchgesetzthabe: dies muss vor der Eroberung geschehen seinjer kehrte natürlich in die eingeschlossene Stadt nicht zurück,sondern wartete bis nach hergestelltem Frieden. Nachherarbeitete er noch längere Zeit an der Vollendung seinesWerks; doch scheint er, jedenfalls noch vor 396, eines gewaltsamenTodes, wie es heisst, gestorben zu sein. Dies kannman aus III 116 schliessen, wo von drei bisher erfolgten Ausbrüchendes Aetna die Rede ist. Ein weiterer erfolgte nachDiodor 14, s^ im Jahr 39(5. Markellin § 34 sagt freilich, er seigestorben über 50 Jahre alt. Sollte nicht 60 zu lesen sein?(e^Yjxovxafür irsvn^xovTa oder Verwechselung der Zahlzeichen).Seine Asche wurde im Familienbegräbniss des Kimon beigesetzt.Thukydides istder Feind des Mythischen und des Typischenin der Historie. Das Mythische zeigt sich bei den früherenHistorikern im Mithin einspielen wunderbarer Mächte, ineinem Gange der Entwicklung, der einem religiösen Bedürfnissentspricht, in der Abweisung des natürlichen Hergangs,ganz oder in einem Punkte j also vornehmüch Vertauschung12 Nietzsche V l'JJ


der Causalitaten, einer natürlichen und einer magischen. DasTypische in der Neigung, viele Einzelvorgänge an einemMusterbeispiel darzustellen, dies Muster aber nicht historischexakt, sondern dichterisch zu behandeln, £7:1 rö {xsiCov xoo|ieiv.Der einzelne Fall, das incongruente Wirkliche wird abgelehnt.Die aUgememe Bedeutung eines Vorkommnisses wird durchdas Typische herausgehoben; das, was nicht dazu dient, wird'weggelassen. Nun glaubt Thukydides an die Identität dermenschlichen Natur; steht diese fest, so braucht man nurmöglichst treu das Wirkliche zu berichten, so wird es späterenWirklichkeiten ähnlich sehen müssen; es ist nicht nöthig,dass wir das Typische uns erst zurechtstutzen, der Gang dermenschlichen Natur bringt das Gleiche und Aehnliche mitsich. Alles Verschönern aber ist nur bei verhältnissmässigkleinen Dingen am Platz, etwas Grosses, wie die Macht Athens,die Grösse des Kriegs, braucht keinen Lobredner, keinenHomer, ist schon Typus; II 42 oux av ttoXXoi? täv 'EXXt^vwviooppoTCo? woTrep tävös 6 Xoyo? täv ip-^wv (paveiYj. Geradedie Grabrede ist charakteristisch für Thukydides, weil selbsthier Xoyo? und ip-^a sich decken. Bei allem Sinn für Wahrheitmuss man doch auch fühlen, welches ungeheure Hochgefühlso einen Athener damals beseelte, der sich als Mittelpunktder Welt fühlte und z. B. vom Meer sagte, es gehörtuns ganz, so weit wir nur wollen 5 es ist die Stimmung wiebei Pindar und seinen Agonen, nur dass der Mythus undder Dichter nicht nöthig war. Selbst das Verhängniss desKrieges ist so grossartig, „die grösste Erschütterung für dengrössten Theil der Menschheit", dass diese Grösse eben dieWahrhaftigkeit herausfordert. Es soll nicht ergötzen j oaoi 8eßouXi^oovTai Tcüv T£ '(^^oiii-^(i)'^ t6 aa^fic, oxottsiv xal täv ixeXXovitovTToxe auOi? xaxa t6 dvöpwTcsiov toioutojv xal 7rapa7:X7]al(üv, iatabaiu)(peXi{xa xpiveiv auTo. dpxouvxü)? e^su „Wenn die Wenigen aber,welche über die Vergangenheit und Zukunft klar sehen wollen,178


da die Zukunft, nach der Art des menschlichen Wesens, dochähnlich und verwandt der Vergangenheit sein wird, wenndiese also urtheilen, mein Werk werde von Nutzen sein, sosoll es mir genügen." So zu interpungiren.Seine Principien bei der Feststellung von Thatsachen, —er schildert sie nicht so, wie irgend jemand sie ihm erzählthat, noch wie er sie sich etwa denkt, sondern so, „dass ichselbst bei Dingen, wo ich zugegen war, doch auch noch vonAndern so genau als möglich Nachforschungen anstellte",also selbst da nicht allein sich selbst vertrauend. Die Sachewird schwierig, da die Parteilichkeit und die Gedächtnissstärkeder Erzähler in Betracht kommt. Er war als Staatsmann undStratege wohl vorbereitet, das Exil gab ihm Zeit, er konntevon beiden Parteien des Kriegs Nachrichten einholen, selbstdie Veränderung seiner Stellung zwischen den athenischenParteien erlaubte ihm Manches zu hören, was man nie hört,wenn man in den Schranken einer Partei bleibtj die gereizteStimmung, die sein Unglück mit sich brachte, machte ihnden Athenern gegenüber eben nur unbefangener, währenddas alte perikleische Athen, das Athen seiner Jugend, vorseinem Blick aufstieg, Perikles selbst, mit dem er gewiss vertrautwar, denn man warf dem Perikles vor, er habe Fisistratidenum sich,') während er selbst dem Pisistratus täuschendähnlich gewesen sein soll (auch in der Stimme), nach demUrtheil der ältesten Athener.Die Herrschaft des ersten Mannes^das ist das politische Ideal des Thukydides und zugleich eineArt von Familienideal. Wichtig das Cap. 6$ des IL Buchs.Der berühmte Xoyo? eTCiidcpio? ist natürlich eine freie Conceptiondes Thukydides, und zwar mit Benutzung der berühmtenRede, die Perikles nach dem samischen Krieg zu Ehren derTodten gehalten hat, und aus der z. B. Aristoteles noch einige*) Nach Plutarch.12*'17p


Wendungen anführt, „der Frühling ist aus unserer Stadtweggenommen"/) Jedenfalls meinte man unter dem Xöyo;eiriT. des Perikles xax' e^oxv nicht den am Schluss des erstenKriegsjahrs,sondern jenen.Als Prinzip für die Reden giebt er I 22 an, w; 0' av IBoxouvejxol exaaxoi Trspi täv del Trapoviiov xa ^eovxa jxdXiox' eiTcetv, e^^o-[xev«) 8x1 EYYuxaxa Tqc, ^u\L'xdar^z yv(6|xt,? xäv dXifjöÄ? Xe^'^^"^"^*"^»ouxü)? eTp7]xai. Es sind 41 Reden, die sich ziemlich gleichmassigüber die ersten sieben Bücher vertheilen, das achtehat keine. Dann zwei Dialoge, der Melier und Athener imfünfiien, des Archidamos und der Platäer im zweiten. Panegyrischist nur der X6yo


Schäften sind nach Dionys. 1. xö ttoiyjtixov täv ovojiccküv 2. xöTToXusiSs? xÄv a^T^ji,dxü)v 3. x6 xpayb x^? dpjJiovict; 4. xö xa-/btT^c, oTjjjLaaia?. Die /pcüixata seines Ausdrucks „die Herbigkeitdie Gedrängtheit das Gewichtvolle das Erschreckende dasPathetische". Er hat ausser den dvayxaTai auch noch dpsxai stci-Oexoi. Von der kylonischen Episode I 126 sagten die Rhetorensehr gut Xecov eyeXaasv evxauöot. Es sind eben einige Stellenleichter, herodoteischer erzählt, das Ganze ist ein gewaltsamesAnspannen und Zurückdrängen der Sprache, um ihr das Leichteund Geschwätzige zu nehmen und sie würdig einherrollenzu lassen. Es war ein Charakterstil, der, imitirt, nur zumVerderben gereichen kann. Die Kunst des Gorgias und desProdikos ist stark in Anspruch genommen, aber absichtlichwieder ins Würdige umgebogen. Er hält sich an den altattischenDialekt mit seinem updaato, e;, ^6v, xexd/axai. Inder Anwendung der udpiaa und 6|jLoioT£X£uxa scheint er demmanirirten Geschmack der Zeit zu folgen. Am meisten undhäufigsten ist die Symmetrie und der Gleichklang vonThukydides künstlich verhindert, so dass man sie erwartetund dann zuletzt getäuscht wird. Offenbar war ihm diesetwas Spielerisches. Das Spiel mit diesen Zierlichkeiten einMittel, die Leidenschaft zu dämpfen. Das Verbergen des Affekteszeigt sich besonders im Vermeiden der belebenden Figuren,der Hypophora, der künstlichen Fragen, des Asyndeton^selten Spott und Ironie. Es schwebt etwas wie das Bild desRedners Perikles über allem, wie Plutarch c. 5 ihn beschreibt;erhabne Sprache, sich mit keinem muthwilligen Witz bemengend,die dem Lachen abgesagte Gebärde des Gesichts,ruhiger Gang, der Faltenwurf des Gewandes bei keinemAffekt in der Rede gestört, die sanfte Beugung der Stimme.„Eine furchtbare Schönheit", sagt Dionys im Gegensatz zurheiteren des Herodot. Der starke Ausdruck und der starkeGedanke bezeichnet die innere Leidenschaft, es ist die181


Beredsamkeit des Affekts ohne Aktion, mit einer gewissenNurVerachtung gegen die gewöhnlichen Zeichen des Affekts.wenige Griechen verstanden diesen Schriftsteller völlig, esist erstaunlich, wie weit ein einzelnes Individuum in jenerZeit mit seiner ganzen Art und Darstellungsweise bei Seitetreten konnte j etwas w^ird man wohl auf das thrakischeGeblüt rechnen dürfen.Ein so unglaublich sorgfältig und bewusst stilisirtes Werkist nicht ein-, sondern zehnmal überarbeitet worden; deshalbsind alle Hypothesen über die Zeit, wann die Theile abgefasstsind, vom Uebel. Ullrich hat die an sich wahrscheinlicheHypothese aufgestellt, dass die ersten fU Bücher währenddes Krieges, in der ruhigen Zwischenzeit vom Frieden desNikias bis zur sicilischen Expedition, vorläufig beendet wurden,w^eil er mit jenem Frieden den Krieg beendet glaubte j erhabe mit der Verarbeitung des Materials begonnen; als erbiszur Mitte des 4. Buchs gekommen, sei der sicihsche Kriegausgebrochen. Jedenfalls ist, wie Classen bewiesen hat, ansämmtlichen Büchern auch nach dem Kriege noch gearbeitetworden. Es sind alles Spinnefäden. Dagegen ist die Benützungeiner siciüschen Quelle für die Geschichte der ColonisationSiciliens im Anfang des 6. Buchs sehr wahrscheinlich gemacht,durch Wölfflin, auch für die Darstellung der sicilischenFehden im 3. und 4. Buche. Antiochos von Syrakus schriebin ionischem Dialekte eine Geschichte Siciliens bis auf denFrieden von Gela 424 in 9 Büchern. Daran schloss sich'haXia? oixiafjLo?, griechische Niederlassungen in Süditalien»Strabo und Dionys v. H. haben Fragmente erhalten. Diedurch Philistos, später durch Timaeussicilische Geschichte istverdunkelt und überboten worden. Der Anfang: 'Aviio^o?Eevocpdveo? xaSs auveypaiie Tuspl 'IiaXir^c, ex täv dp)^ai(üv Xo^tuvTot TTiaioTa-ra xal aacpeaiaia. Das war ein Gesinnungsgenossedes Thukydides. Wichtig ist aber, das Faktum richtig zu182


eurtheilen, dass das letzte Buch keine Reden hat. Es fiel imAlterthum stark aufj man vermuthete andre Verfasser, dieTochter, Xenophon, Theopomp, alles bei einem so unnachahmlichenAutor reine Thorheit. Thukydides nennt sich anzwei Stellen des Buchs als Verfasser; dem soll man glauben.Kratippos, ein Zeitgenosse und Fortsetzer, stellte die Vermuthungauf, der Historiker habe sie absichtlich weggelassen,weil sie der Darstellung im Wege stünden und den Hörernlästig seien; er hielt also das Buch selbst für echt (das Urtheilist bei einem Zeitgenossen begreiflich!). Es ist wider allePsychologie, gerade dem Thukydides einen solchen Sinneswechselzuzutrauen. Man fasse nur den Sinn der Redenüberhaupt; sie sind gleichsam die „Chöre seines Werkes"(Krüger) und sollen den Leser in Stand setzen, den Gangder Ereignisse richtig aufzufassen. Der Historiker hatte esim 8. Buche nicht nöthig, noch Reden anzubringen: Charaktereder Völker, ihre politischen Grundsätze, ihre Lage, alles warvorweggenommen, ausser dem früher geschilderten Alkibiadesist kein bedeutender Führer, es wurde mehr durch geheimeUmtriebe als durch Reden gewirkt. Das Werk ist ganzgewissenhaft so herausgegeben, wo der Verfasser mit derletzten Zeile stehen blieb, jedenfalls nicht von Thukydidesselbst, sondern von Xenophon nach La. II 59: Xs^s^ai 8' oiixal xa öouzuoioou ßipXia Xavddvovia ucpsXsaöai ouvdfjtsvo? auxo;ei? 86^av -/jyaysv. Thukydides hatte es gewiss darauf abgesehen,in den fehlenden Schlusspartieen des Werks (411—403) denKrieg zu Ende darzustellen, und da hatte er neu den Lysandereinzuführen, da wäre bei der Verurtheilung der Feldherrennach dem Sieg bei den Arginusen, dann, in der Zeit der30 Tyrannen, Gelegenheit zu bedeutenden orientierendenReden gewesen. Wahrscheinlich benutzte Xenophon einenganz kurzen Entwurf zu seinen zwei ersten Büchern, diesich unmittelbar anschhessen; die fünf späteren Bücher der183


Hellenika sind viel später hinzugefügt (man sehe nur dieletzten Worte des 2. Buchs). Die drei Fortsetzer beweisendoch dafür, dass man das Werk für unvollständig ansah 5 aberwas fertig wurde, ist auch ganz fertig. Die Eintheilung in8 Bücher ist nicht die einzige gewesen, es gab eine von 9,eine von 13 Büchern. Die Eintheilung in 8 Bücher ist so zuverstehen, dass sie mit 2 Büchern Fortsetzung 10 ausmachenoder mit Theopomps 12 Büchern Fortsetzung 20. Seinzweites Buch schloss ebenfalls mit dem Ende des PeloponnesischenKriegs.Die Neunzahl erinnert an die HerodoteischeMusenzahl. Bei 13 sollen vielleicht die 7 Bücher Hellenikadazu gerechnet werden, zu 20im Ganzen.Xenophon hat das Talent, schlicht und anmuthig zuerzählen; „wie ein Landwind erhebt er sich ein wenig, umgleich wieder zu fallen", sagt Dionys. v. Hai. Er behandeltdie Sprache nicht mit bewusster Kunst, er wählt die ihmzunächst liegenden Ausdrücke. Da ergreift er leicht etwasPoetisches, oder Ionisches oder Dorisches. Sauppe hat 316poetische, ^^ ionische, 6s dorische Worte herausgerechnet.Sehr unterscheidet ihn vom gewöhnlichen Attisch das massenhafteauv statt (Jieid. Die Nachwirkung der Figuren desGorgias und Prodikos ist fast unvermeidlich, es war derModestil, und so kommt manches derart vor. Gorgias warder Lehrer des Gastfreundes des Xenophon, des BöotiersProxenos. Xenophon war ein ausgezeichneter Sprecher, durchdie sokratische Dialektik ausgebildet, mit grosser Erfahrungim öffentlichen Reden. Dies Talent offenbart sich nun, esist der Widerschein seiner persönlichen Beredsamkeit. Er lässtgerne sprechen, in der Cyropädie wie in den Hellenika. Erist der Athener «piXoXoyoc; und überhaupt der merkwürdigsteBeweis für die Ueberlegenheit der athenischen Demokratieund Erziehung, selbst bei mittlerer Begabung. Das plötzlicheUebergewicht bei dem berühmten Zuge, welches er erlangt —184


als ziemlich junger Mann, mit geringer Kriegserfahrung, keinOffizier, sondern ein Freiwilliger, dazu als Athener zunächstunpopulär —5er hat eben die athejiischen Eigenschaften, rascheImpulse, Selbstvertrauen unter verzweifelten Umständen, überredendesGespräch bei der OefFentlichkeit der Besprechung —ganz unspartanisch. Seine Sympathieen sind nun freilich aufder entgegengesetzten Seite: immerwährende Abrichtung,mechanischer Gehorsam, geheimes Verfahren der Regierung,methodisches, doch träges Handeln. Thukydides II 41 hatRecht: TT^v le ^atjav TtoXiv i^? "EXXdSo? TCaiÖsuaiv elvai xal xaö'exaatov Soxstv av [xoi lov auiov avSpa Tcap' 7]|jl(J5v im TtXeiox' aveiÖT] xai [jLSTa j^apiitov jxdXiax' av euTpaireXw; xö a(J5{jia auiapxe?Tzapifto^au Xenophon ist ein Beweis dafür, auch als Schriftsteller,gerade weil es nur ein Durchschnitts-Äthener ist, sogar invielem unter dem Durchschnitt (Aberglaube). Welche Helle,Reinheit, Mässigung, praktische Tüchtigkeit liegt in allen seinenAeusserungen! Die Memoiren-Litteratur fängt nicht mit derAnabasis an^ schon Demaratos' uTrojjiv^fxaTa werden vonHerodot benutzt. Aber es ist doch ein grosses Meisterstückund höchst interessant; etwas vom Talent Herodots ist darin.Er benutzte seine Verbannung, wie Thukydides, dazu, zuschreiben, in seinem kleinen Paradies zu Skillus, nicht weitvon Olympia. Dies Ereigniss tritt nach 394 ein; offenbar ister über dem Bemühen, den Thukydides zu beenden, dessenHerausgabe ihm übertragen war, zum Schriftsteller geworden.Die Anabasis gab er unter dem Namen „Themistogenes vonSyrakus" heraus: er spricht im Anfange des 3. Buchs derHellenika davon. Darauf schreibt er die übrigen 5 Bücherder Hellenika bis 362, bis an sein Lebensende fortschreibend.Man hat vermuthet, von den andern Werken möge dergleichnamige Enkel, ein Sohn des bei Mantinea gefallenenGryllos, Urheber sein, der in Athen die Schule des Isokratesdurchgemacht habe. Beckhaus' Hypothese; namentlich das185


eYxiüfxiov des Agesilaos. Diese Schrift gehört zu den allerspätestenihres Verfassers: denn Agesilaos starb ca. 3(^1,Xenophon kurz darauf, 359 oder etwas später. Er steht hierauf dem Boden des Isokrates, der mit dem Euagoras dasVorbild gegeben hatj er wetteifert in einer neuen Gattung.Uebrigens sagt Isokrates im Brief an Archidamus (356), dasses schon eine Menge Lobreden auf Agesilaus gebe. Es istnach dem Schema gemacht j das Lob der Thaten ist zumTheil wörtlich den Hellenika entnommen. Die Figurengesucht und künstlich, übermässiger Gebrauch von y® P-^^»dllä [XT^v, xal {lyjv als überleitender Partikeln. Glätte undFülle der Periodik, ganz anders als in den zwei erstenHellenika und der Anabasis 5 in den fünf letzten Büchernder Hellenika merkt man die bedeutende Einwirkung desepideiktischen Stils 5 und die Darstellung erinnert an Theopomp'sLob- und Tadelmanierj selbst die Hiaten sparsam. —Die ganze These von Beckhaus ist überflüssig. Niemand, derviel schrieb und las, konnte sich damals dem Einfluss derisokrateischen viel verbreiteten Meisterstücke entziehenj dazukommt, dass Isokrates selbst auf den Tod des Gryllosein Enkomion gemacht, dass Unzählige das Gleiche gethan'/apiC6|x£voi TU) Tuaipi, und dass Xenophon also mit dieser Artsehr bekannt werden musste. Eine Nachahmung dieserGattung war zugleich eine Huldigung und ein Dank fürIsokrates. Es waren Jugendbekannte. — Verlassen wir die'Attixy] {jieXiTTa oder fjtoöaa.[Ktesias. Damastes. Philistos.]Die Historie unter der Nachwirkung der epideiktischen Beredsamkeit.Theopompos aus Chios, Aristokrat, reich, um 337mit seinem Vater verbannt, als cpiXoXdxwvs?, wo die Chier demneuen athenischen Seebunde unter den Ersten beitraten. ImAlter von 45 Jahren kehrte er aus der Verbannung zurück.Isokrates' Schüler war er um 3(5o, in Athen, neben Ephoros,186


wo er wiederholt den vom Lehrer alle Monate ausgesetztenKranz tüchtigster Schüler erhielt. Er bedürfe des Zügels,Ephoros des Stachels j dasselbe soll PJaton von Aristoteles undXenokrates, Aristoteles von Theophrast und Callisthenes gesagthaben. Der Meister hat ihnen auch nach ihrer Naturdar Feld angewiesen, xd; laiopixd? uTroöeasic, nämlich demEphoros td; dvto täv j^povcov, dem Theopomp xd; [xsxd ÖouxdoiSrjv'EXXr^vixd?, ihrer Natur entsprechend. Bevor er aberHistoriker wird, reist er überall herum, bei allen bedeutendenStädten und Festen, und hält epideiktische Reden j doch nichtdes Gelderwerbs wegen. Er hatte es nicht nöthig. Besondersberühmt alsSieger im Redekampfe, als 350 die karische KöniginArtemisia dem verstorbenen Mausolos zu Ehren Feste veranstaltete5gegen ihn Theodektes, Naukrates, Isokratesj dochist dies zweifelhaft. Theodektes siegte mit Tragödien. Er kamauch nach Sicilien und Italien, überall lernte er die bedeutendstenMänner kennen ; er machte auch für seine historischenStudien einen bedeutenden Aufwand und sah auch vielerleiselbst. Er war mit Alexander befreundet. In seine Heimatdurch dessen Gunst zurückkehrend, war er eifriges Parteihauptder makedonischen Partei :sein Gegner ist Theokritos,Schüler des Isokrateers Metrodoros. Er hat also die Gesinnungseines Vaters nicht, denn der Demos auf Chios istmakedonisch, die Oligarchen sind persisch gesinnt. Bei demTod des Alexander fiel Chios von Makedonien ab 5 Theopompmusste im Heiligthum der ephesischen Artemis Schutzsuchen 5keine hellenische Stadt wollte ihn aufnehmen. Besondershatte ihm sein Gegner Anaximenes geschadet, derunter dem Namen und in der Manier des Theopomp denTpixdpavo?, die dreiköpfige Schmähschrift auf Athen, Spartaund Theben, verfasst hatte. In Aegypten wäre er beinahehingerichtet worden 5Ptolemaeus hat ihn als Feind der eigenenUsurpation gefurchtet. — Theopomp hielt sich für den187


grössten Schriftsteller, den Griechenland habe und gehabt habe,auch bereits den berühmtesten 5 neben ihm Isokrates vonAthen, Theodektes von Phaseiis, Naukrates von Erythrae.Erstere hätten sich wegen ihrer Mittellosigkeit mit Unterrichtenabgeben müssen. Dabei seine grosse Fruchtbarkeit:20000 Zeilen die rednerischen, 150000 die historischen Schriften.Letztere in 72 Büchern: 2 Bücher Auszug des Herodot, 12Bücher Hellenika, 58 Philippika (also mit den Hellenika 70Bücher).Er gehört zu den grossen Historikern, er ist der zweite nebenThukydides. Es gab natürlich Urtheile, nach denen er nochhöher stand, besonders in Betreff des Stils. Es ist das Verhältnissdes Demosthenes (den er fast ganz in einigen leidenschaftlich-bitterenStellen erreicht haben soll) zu Periklesj eineandere Zeit, eine andere Natur redet, das griechische Wesenist gleichsam enthüllt,zeigt sich bewegter, freier, leidenschaftlicher,pathetischer, und die grossen Männer dieser Zeit zeigen"auch diesen Unterschied, wie auch die bildenden Künste.Uebrigens ist Theopomp höchst agonal gesinntj heftig feindeter Plato an: die meisten seiner Dialoge werde man unnütz undunwahr befinden, vieles sei entlehnt, aus Aristipps Diatriben,dann aus Antisthenes und dem Herakleoten Bryson [Athen.XI 508 D]. Er lobte von allen Sokratikern nur den Antisthenes.Was hätte aber Thukydides erst für eine Verachtungfür Plato gehabt! Mit Herodot wetteifert er ausdrücklich, inder Erzählung von Sagen, Fabeln, er will alles mögliche Wissenswertheaufnehmen. Von den 58 Büchern Philippika handeltennur \6 wirklich von ihm. Dennoch wurde die Oekonomieder Werke bewundert. Sein Ausdruck ist freier, kräftiger,kühner als der seines Lehrers j darin glaubte er weit überThukydides hinaus zu sein. Die Mannigfaltigkeit der Farbenist viel grösser^ er kann viel Mehreres zugleich. Berühmt warsein Scharfblick für Motive innerlichster Art, seine Fähigkeit,188


Charaktere zu zeichnen; er sähe in die Seelen gleichwie einTodtenrichter der Unterwelt. Höchst unbillig ist es, ihnschmähsüchtig zu nennen. Man hat seinen Sinn für Wahrheitimmer höher schätzen gelernt, seine grossartige Unbefangenheitgegen König Philipp.Ephoros aus Kyme, der Zeitgenosse und Mitschüler desTheopomp, der den Cursus bei Isokrates zweimal durchmachte;Si^opo? im Scherz genannt (jedesmal looo Drachmen).Leben, als Freund und Verehrer seiner Vaterstadt.Eine EinladungAlexanders schlug er aus.RuhigesSein Geschichtswerk laiopiaiin 30 Büchern, vom Zuge der Herakliden bis a. 340 geführt,das letzte Buch war von seinem Sohne hinzugefügt, nachdem Entwürfe des Vaters. Dann zwei Bücher irspl eupr^[xdxu)v,dann ouvTayfia eirr/cüpiov (Lokalgeschichte), 24 Bücher TrspldyaöÄv xol xaxcuv, auch Tcepi Xe^ew? und andres.Er ist der erste Unhersalhistoriker. Daher viel ausgeschriebenz. B. von Strabo und Diodor, Plutarch, Pausanias. Aus dengeographischen Abschnitten ist das um 90 y. Chr. verfassteGedicht (das fälschlich dem Skymnos von Chios beigelegtwird) ein Auszug. Das Bedenklichste, was von Ephoros erhaltenist, ist die Motivirung des peloponnesischen Kriegsaus persönlichen Motiven des Perikles (bei Diod. 12, 71). Sonstist sein Verdienst, das Mythische vom Historischen gehörigabgetrennt zu haben. Rückkehr der Herakliden ist 735 Jahrevor dem Uebergang Alexanders nach Asien — das ist alsodie historische Zeit. Er hat manches gesammelt, Inschriften,ältere Dichter benutzt; eine Fundgrube für alles Wissenswürdige,auch Geographisches. Dann sehr systematische Anlage,jedes Buch ein abgegrenztes Gebiet, mit eigenem Proömium.Das höchste Lob hat Polybius XII 28, der ihn inAusdruck, Behandlung und Gedanken öaufidoio; nennt (besondersin eigenen Reflexionen), und Niebuhr, der seinenVerlust für den grössten erklärte, den die griechische189


Prosalitteratur erlitten („er war ein höchst wahrhafter Mann undhatte historisches Talent zur Kritik und Untersuchung^ er istder erste, der eigentlich historische Kritik in grossem Umfangeangewendet hat"). Im Alterthum hat ihm niemand, wie demTheopomp, die strenge Liebe zur Wahrheit nachgerühmt,und viele haben über Unzuverlässigkeit geklagt. Seine Pragmatikist oberflächlich, sein Verständniss für grosse Individuengering. Dazu fehlt, für einen Kriegsbeschreiber, die praktischeErfahrung. Seine Darstellung der Schlacht bei Mantinea, sostrategisch sie sich ausnehme, erweise sich als phantastischund unmöghch, sagt Polybius. Lenissimum Ephori ingenium,sagt Cicero im Allgemeinen Brut. 204 und im fragm. 12 desHortensius: „quid enim aut Herodoto dulcius aut Thucydidebrevius aut Theopompo acrius aut Ephorogravius aut Philistomitius inveniri potest?" Im Ganzen zeigt sich der Einflussder epideiktischen Beredsamkeit in Hinsicht auf künstlerischeHaltung des Satzes, der Oekonomie, nicht der Verdunklungder Wahrheit, es ist durchaus keine prunkende Geschichtschreibung.Die Gefahr war da, aber zunächst noch nichtschädlich: die Fehler in der Auffassung sind den Individueneigen, nicht der Nachwirkung des Epideiktischen. Timäusverglich später die Prunkrede mit den gemalten Gebäudender Bühne, die Geschichte mit wirkUchen. Man wusste durchdiesen Unterricht wohl, was den Schein der Wahrheit habeund ergötze, deshalb war man gegen die Wahrheit nur empfindlichergeuorden, ähnlich wie Aristoteles, dem man denRhetor auch nur so anmerkt, dass er sich alles Rhetorischenscharf bewusst ist und sich dessen enthalten kann: was nichtleicht ist!—Die allgemeineGeschichte des Ephoros wurde fortgesetztvon Diyllos von Athen, i6 Bücher j dessen Fortsetzer istPsaon von Platää (als geziert von Dion. d. <strong>com</strong>p. verb. 4getadelt). Er schloss etwa a. 295. An den knüpft Menodotos190


aus Perinth an. Allmählich ergreift nun, nach Isokrates,die Griechen eine wahre Wuth für den Stil, und aus derLust an der Kunst wird die an der Künstlichkeit,Geschraubtheit,mit raschem Wechsel der Mode. Unter den Historikernist Callisthenes der Stagirite, auch ein Isokrateer, der erste,der mehr rhetorisch als historisch schrieb, bei dem die Erhabenheitzum Schwulst wird. Unter den späteren Isokrateernist besonders der Sikeliote Timäus zu nennen^ gedehnt, unnatürlichfrostig, antithesensüchtig — so fand man ihn später,als die Mode vorbei w ar. Er ist der Sohn des Tyrannen vonTauromenion, Andromachosj maasslos in Lob und Tadel, vonFälschungen nicht abgeneigt,ganz unzuverlässig (nur chronologischexakt jrechnet nach Olympiaden), zumal wenn er sichauf Urkunden berief j sententiarum varietate abundantissimusCic. de orat. II 58.Die asiatische Beredsamkeit tritt mächtig in der Historiehervor, sogleich mit dem Haupte derselben Hegesias vonMagnesia (i. Hälfte des 3. Jahrb.). Er schrieb Alexanders Geschichte,Unerhörte Schätzung, unerhörte Selbstbewunderung.Die demosthenische Periode missfiel ihm, er lobt den einfacherenLysias und schrieb noch einfacher, alles in kurzenSätzchen. Nur wenn er nachlässiger schrieb, ging es periodischbei ihm zu. Sodann erfand er den Reiz der unnatürlichenWortstellung^ zugleich mit überkünstlicher rhythmischerComposition, und zwar mit weichlichen Rhythmen. Dabeieine schändliche Witzelei des Gedankens bei pathetischenScenen, und eine widerliche Manier der Begeisterung. Immerhin:er siegte. Bis ins i. Jahrh. v. Chr. hinein; erst mit demUmschwung des Atticismus tritt er zurück, und wird zumPrototyp des schlechten Schriftstellers (bei Dion. v. H., auchCicero). Die Historiker seiner Zeit tragen durchaus sein Gepräge.Immerhin ist hier noch Respekt vor der Form. Nungiebt es zwei Sorten von formlosen Historikern: 1. Die Interessant-191


sein -Wollenden, wie der Samier Duris, später Tyrann seinerVaterstadt (griecL-maked. Historie von 370— 280)} er willergreifen, übertreibt und färbt j er schimpft auf Ephorosund Theopomp: ouxe yop [iiix-i^aetü? (jLexsXaßov ouSsjuä? outs-rjSovTj? ev tu> cppdaai, er will {iifisiaOai und ergötzen. EbensoPhylarchos aus Athen (taxopiai von a. 272—221 in 28 B.), derdie Kriege des Kleomenes behandelte 5Polybios tadelt ihn deshalb,dass er, um zu rühren, schreckliche Dinge immer übertreibe.Beide sind unzuverlässig und lügenhaft. 2. Die ganzsorglosen Schreiber, die nicht an Stil denken 5naturalistischeReaktion, wie bei den Epikureern und Stoikern. Dahin gehörtder achäische Staatsmann Aratos von Sikyon, in seinenMemoiren über seine Thaten (von Plutarch benutzt; Polyb.begann dort, wo Arat aufhörte). Leider gehört auch Polybiosaus Megalopolis hierzu. [Daten.] Dionysios nennt ihnunter den schlechten Schriftstellern, weder rein noch schön,noch kräftig. Dann Hieronymos von Kardia mit seinen aiTÄv SiaBo^cüv laxopiai, auch Pyrrhos' Krieg in Italien und Tod(272) war darin erzählt. — Sehen wir von der Form ab: inHinsicht auf Verfälschung durch panegyrisches Wesen undSpekulation auf Wundersucht und Neugierde höchst bedenklich.^chiiiisttWQxdiQV Alexandergeschickte. [Aufzählung der Namen.]Merkwürdiges Urtheil Arrians über die Alexander-Historiker:„Was Ptolemaeus und Aristobulos beide einstimmigberichten, das gebe ich als entschieden wahrj wo sie nichtübereinstimmen, wähle ichdas Glaubwürdigere und zugleichErzählungswürdigere. Wohl giebt es noch anderslautendeBerichte, ja über niemand mehr und verschiedenere. Abervon diesen beiden kann man am ersten etwas Zuverlässigeserwarten; von diesem, weil er Alexander auf seinen Zügenbegleitet hat; von diesem, weil er nicht nur Begleiter desKönigs, sondern selbst König war und eine Lüge für ihnschimpflicher ist; von beiden zusammen, weil sie erst nach192


Alexanders Tode schrieben und weder Zixiang noch Lohn sietrieb, etwas anders darzustellen, als es war. Einzelne Nachrichtenandrer, die bemerkensw erth und nicht ganz unglaubwürdigerschienen, habe ich aufgenommen, doch nur als Sagenvon Alexander. Wer sich wundert, warum es mir nach so vielAndern noch in den Sinn kam, diese Geschichte zu schreiben,lese sie und dann mich und wundere sich." Es war nicht nurZwang und Lohn, sondern die Phantasie der Griechen warwirklich beim Anblick Alexanders mitunter durchgegangen,alles Mythische schien übertrofFen und zugleich bestätigt,toller Glaube an das Wunderbare grüF um sich, dazu drangso viel Neues und Unerhörtes auf einmal auf sie ein, dassein förmlicher Rausch entstand. Um so grösser hebt sich nundagegen die Gestalt des Aristoteles ab, der nicht mit fortgerissenist, sondern sofort das geistige Erbe aller Vergangenheitund selbst dieser Gegenwart antritt. Die historischeForschung bei ihm ist für einen Philosophen etwas Neues.Bis jetzt haben sich Reisende, Staatsmänner, Feldherrn, Rednermit der Historie eingelassen, noch kein Philosoph. Der philosophischeHauptgesichtspunkt ist sehr wichtig:eindie Entwicklungauf politischem und ästhetischem Gebiete ist abgeschlossen, in derPolitik sagt er, es sei Alles gefunden, es komme nur daraufan, das Gefundene zusammenzustellen und zu gebrauchen,das vorliegende Material reicht zum Abschluss aus, das Gesammtresultat,das allgemeine Bild der Wissenschaft kann nieein andres werden. Der Höhepunkt der Forschung ist da,sie ist am Ziele für immer. Dieser Glaube siegte ja viel späterund wurde eine der fürchterlichsten Arten von Bann, diedie Menschen getragen haben. — Seine Schriften bieten einungeheures Material, aber, durch Benützung und Umspannungaller Vorgänger, nicht eigentlich selbständige Beobachtungenauf unbetretenen Gebieten. Er ist ein ordnender undsystematisirender Genius, ein Abschluss der hellenischen13 Kietzsche V IQ^


Entwicklung. Er kritisirt seine Vorgänger und lobt sie, je nachdemer ihre Ansichten mit den seinigen zusammengehen siehtoder nicht. Findet er, wo es auf Vollständigkeit ankommt,bei den Vorgängern nichts andres, als was er selbst aufgestellthat, so ist dies ein Zeichen dafür, dass nichts fehle. Er glaubtan grosse Katastrophen für einzelne Theile der Erde, der Laufder Geschichte ist unzählige Male erfüllt, das Ziel erreicht,und dann das Erreichte wieder verloren gegangen. Alle verschiedenenMeinungen, alle Künste und Wissenschaften sindschon unzählige Male in gleicher Weise ausgebildet jdiewenigen, die sich bei den Katastrophen retteten, erhielten inReligion und Sprache wertvolle Reste. Und zwar wurden sieaus praktischen und politischen Gründen in ein poetischesGewand gekleidet j der Forscher vermag in den Mythen dasWahre zu erkennen. Besonders in seinen Politien hat AristotelesSammlungen für das ganze Culturleben der Hellenengemacht: es war ßio? 'EXXdSo?, wie später Dikaarch seine SchriftNeben der Entstehung und Entwicklung der Staatennannte.Sammlung von religiösen und rechtlichen Gebräuchen, Lokalsagen,sprichwörtlichen Redensarten, Liedern im Volke.Ebensosammelte Theophrast, z. B. vojjlou Bei Aristoxenos treffenwir auf die Biographie, ßioi hhpib'j. Dann Dikaarch, von Cic.ad Att. VI 2 loTopixtüTaxo? genannt, dann Phanias aus Eresos,dessen historische Schriften die Hauptquelle für den Verfasserder parischen Marmorchronik (vom Jahr 264 v. Chr.) waren.Dann der Phalereer Demetrios, der z. B. eine dvaYpatp-y) dppvTcovverfasste. Um diese Zeit herum entstehen die ersten historischenWerke, die es weder auf Vorlesen und Ergötzung unddytüv absehen, noch auf schöne Darstellung^ auch nicht wieThukydides zum Nutzen für Spätere, sondern von Gelehrtenfür Gelehrte, gelehrte nüchterne Untersuchungen, bis zumTabellarischen. Hier wird ein grosses Material zusammengebracht,welches die späteren alexandrinischen Gelehrten194


auszunützen wussten. Man muss den aristotelischen Grundgedankennicht vergessen: man glaubte in diesen Kreisen amEnde zu sein, man hatte kein Vertrauen zum Kommendenmehr und schaute rückwärts. Der Geist des Greisenalterseiner grossen Periode redet aus dieser Art, die Geschichtezu treiben.')Die gelehrte Veriode der Historie^)in der Zeit nach Alexanderund besonders zur Zeit der Römer offenbart sich in folgendenSymptomen: i. Scheidung in Einzel- und Unterdisciplinen.So löst sich die Landerkunde losj von jetzt an gab es eigene') Weltreichgedanken, weltumspannende Wissenschaft — alle Entwicklungerschöpft.') Sie bleibt im Ganzen etwas Gelehrtes, etwas Altersmüdes und Greisenhaftes,im Gegensatz zur früheren Kraft, leidet an ihrem Umfang, ihremBetriebe, erstickt endlich an sich selber. Aber ein ungeheures Phänomenbleibt sie doch, bis auf das letzte Jahrhundert hat sie nicht ihres Gleichengehabt. Es war der Ansatz zu einer Cultiir, wie sie bis jetzt noch nichtdagewesen ist und vielleicht von Vielen überhaupt für unmöglich gehaltenwird; einer Cultur, die zur Grundlage die unbedingte Bekanntschaft undZugänglichkeit der ganzen Erde hat, mit leichtestem Austausche und ebensodie Ueberwindung der vorher getrennten Schicksale der Völker, durch einegrandiose einheitliche Societät, welche durch die That die frühere Vielheitund den Kampf dieser Vielheit überwindet; das muss zuerst durch dasWissen geschehen; die mächtigste Vergegenwärtigung der ganzen Vergangenheitund ihres Unheils ist ein wesentlicher Hebel, um zum Universal-Gedanken vorzubereiten. Hier spreche ich von der fernsten Zukunft; aberbei einer gelehrten Periode der Historie war es die Vorarbeit des Wissensfür die bezwingende That der Römer. Das Weltreich der Römer versteheich hier nur als eine grandiose Caricatur jenes Gedankens einer die ganzeErde umspannenden eigenartigen Gesellschaft; es war die reine Geburtder Gewalt und des Herrschaftsgedankens: ihr grandioser VerherrlicherPolybius findet den Fortschritt in der Unterwerfung unter Rom. DieHistorie hatte eben ihre grösste Aufgabe noch gar nicht geahnt: durchden tiefsten Einblick in die bösen und gewaltthätigen Motive der geschichtlichenHandlungen den Sinn von der ganzen bisherigen Art, Geschichtezu machen, abzuschrecken — dies that auch Polybios — ,aber so, dass einkräftigerer edlerer Geist sich zu neuem Handeln entzündet. Eine Historieim Geiste des Thukydides fortgebildet und von einer noch tieferen Philosophiedurchtränkt, als die seinige war, bleibt meine Hoffnung. [Am Randemit andrer Tinte.]195


YEwYpa^oufxeva, TCspiYjY-^oEK, Periplen, y^^ Trspiooo? u. s. w. odermit Angabe der Länder EupwTriaxd Axiixa Or^pai/d, alles mitreichem antiquarischem Material. Berühmt die Reisen desEudoxos von Kyzikos aufVeranlassung des Ptolemaeus Physcon(sein Werk von Strabo benutzt), des Artemidorus vonEphesosunter Ptolem. Lathyros (Markian von Heraklea macht im5. Jahrhundert einen Auszug). In Jamben ist die Periegesisdes Skymnos abgefasst.Auf Grund der geographischen Spezialschriftenwurden die Historiker sehr sorgfältig mit den Einzelheiten,auch die Dichter. Alexander Polyhistor repräsentirtdie grösste Vereinigung von Geographie und Historie: erhiess lOTopia. Ein langes Hinderniss war der Glaube an diegeographische Richtigkeit Homers; zuerst völlig bei Seitegedrängt durch Eratosthenes; doch fand er heftige Gegner(Kallimachos hatte dem Homer grosse Gelehrsamkeit zuerkannt).Krates schrieb -(^inypa^fim sehr umfänglich: ebenfallsfür die Gelehrsamkeit Homers: oft in Polemik gegenAristarch: nach ihm ist Odysseus ausserhalb des Mittelmeersherumgeirrt, und Menelaus schiffte um Afrika herum und kamso zu den Indern. — So löst sich die Chronologie los, durchdvaYpct^al dp)^6vT(üv (Demetr. Phal.) oder '0Xu[nrid8ü)v (AristotelesEratosthenes Philochoros); Sosibios von Sparta legte inTrepi /povcüv die Olympiaden -Aera zu Grunde, ebenso Eratosthenesin Tiepl ^^povoYpa^LÄv. Apollodor fasste in JambenXpovixd in vier Büchern ab (184— 144). Dann schrieb c. 40der Rhetor Kastor von Rhodos y^po'^iy.a. dYvoT^fxaiot, Fehlerfrüherer Historiker u. s. w. Ebenfalls löst sich das Sammelndes Materials los,ohne dass die Verarbeitung desselben folgte,z. B. von Philochoros von Athen £TriYpd}XjxaTa 'AxTixd, Crateruseine auvaYWY"^ (pYjcpiojjtdTcüv, Polemon der Perieget (genanntals Plünderer aller Inschriftsäulen oTYjXoxoTrac) Tispl twv xaidTtöXsi? e7riYpa(XfjLdTü)v. Eine Menge Sammlungen von Trapoi(xiatgab es, z. B. Aristophanes von Byzanz 2 Bücher £|x(jL£ipoi,196


4Zeit.ajjLSTpoi; wir wissen von mehr als i6 Sammlern der altenSonderbare Vorgänge und Dinge bei den irapaoo^oYpa'foL(axioia Oaujxaoia u. s. w.). Ebenso löst sich das Excerpiren,als Vorbereitung des Materials, los, wird litterarisch selbständig.Schon Aristoteles ouvaYcoYT] ts^^äv (der rhetor. Handbücher),so Theophrast über die älteren Philosophen, namentlich DemokritU.S.W. (Vorbereitung für die cpuoixvjlotopia).Agatharchidesvon Knidos macht sTuiTOfxT] täv Trspi rTj«; epudpa? OaXdaaT]?dvaYsypafxiJievtov. Dann Inhaltsanzeigen uTcoöeasic, z. B. vonAndronikos zu Aristoteles und Theophrast, von Aristophanesvon Byzanz und vor ihm Dikäarch zu den Tragikern u. s. w.Eine Unterabtheilung der Sammler und Excerpirer sind dieBibliographen und Bibliothekare. Wohl im Zusammenhangdamit entstanden die ßioi, Lebensläufte einer Gruppe gleichaitigerMänner, z. B. Hermipp, der Kaliimacheer, in grossemMaassstabe: Redner, Gesetzgeber, Philosophen, Dichter u. s. w.Ein gelehrtes Nachschlagewerk Demetrios Magnes uepl 6|jiü)-v6[iu)v TToiT^TÄv T£ xol auYYpccpstüv. Nun löst sich auch dieE'mzeluntersuchung durch den alexandririischen Forschergeistmethodisch getrieben los und wird litterarisch selbständig,z. B. Polemon Tcspl täv iv Kapj(T^86vi ttetcXcov, TCspl tujv sv toT?ITpoTTuXaioi? TTivdxuiv, Krates von Athen Trspl täv AOtqvt^oiOuoiÄv, Pilochoros Tcspl täv 'ÄÖ7]vT^aivdYcovcov u. s.w., AlexanderPolyhistor uspl täv Tcap' 'AXx|xävi totüixä«; eipY]|jiev(üv (topographisch),Didymos schrieb de patria Homeri, libidinosiorAnacreon an ebriosior vixerit. — 2. Die Dimensionen unddie Aufgaben gehen ins Riesenmässige (früher war es leichter),^)aber an Stelle der grossen organisatorischen Geister, die nunden eigentlichen Gebrauch von dieser Polymathie zu machenhätten, kommt es meistens nur zu enkyklopadischen Köpfen^) Ein umrvtesslicher Freiblick ist durch die politische Concentration allmählichermöglicht, aber es wird mehr panoramamissig überschaut, alswissenschaftlich verglichen und begriffen.197


(wir wollen sie ja nicht bekritteln!), der Stoff regiert, undendlich sinkt es immer tiefer ins Schulmässige. Verhaltnissm'ässigam freiesten sind, mit massiger Produktivität undDarstellungsgabe, und jene soliden Fähigkeiten zusammenfassend,voran Polybius, dann Strabo, geringer Diodor,Dionysius, Nikolaus Damascenus, vor allen Plutarch,der einflussreichsteHistoriker aller Zeiten (weil da wirklich nichtder Stoff, sondern das höhere moralische Selbst regiert).Etwas Produktives in der kunstmässigen Historie zeigt sichspäter nur als Copie der alteren Meister; es sind die Befangenen,Rikkbildenden, Archaisten; darauf ist die künstlerische Kraftreduzirt, eine Art Renaissance, die schon mit dem r. Jahrb.anhebt. Eine Art von abergläubischer Verehrung gegen dieAlten entstand, man suchte den Buchstaben der alten Autorennachzubilden, ging selbst zur Erneuerung des dorischen undionischen Dialektes. Arrian, Pausanias, Kephalion, Uranios,Asinius, Quadratus.Von den älteren Freieren nenne ich: als Universalgeographengeistreichster Art S t r a b o n aus Amasea in Kappadokien, 66 v. Chr.geboren, 24 n.Chr. gestorben, griechischen Ursprungs, mütterlicherSeite mit den pontischen Königen verwandt, sehrwohlhabend, von den besten Lehrern indie Wissenschafteneingeführt, besonders mit aristotelischer und stoischer Philosophievertraut. Im vertrauten Umgang mit vornehmenRömern lebt er fast immer zu Rom, mit Ausnahme grosserReisen zu geographischen Zwecken, westlich bis nach Sardinien,südlich bis an die Grenzen Aethiopiens, Nordküste vonAfrika, Kleinasien, ein Theil von Ostasien, Hellas und Italienin verschiedenen Richtungen.Ystoypacpixa in 17 Büchern. Vorherhatte er ein historisches Werk, Fortsetzung des Polybius,43 Bücher, über ausgezeichnete Männer verfasst. Er schreibtWeltgeographie im gleichen Sinne, wie das frühere, für denHoch- und Mannigfach-Gebildeten, stellt sein Buch wie ein198


„kolossales Bildwerk" hin, wo nur das Ganze und Grossein Betracht kommt. Ungemeine Polyphonie des Wissensund der Erfahrungen (vieles gute Geognostische) 5in der Einleitungspricht er davon; alles aber fasst er zusammen alsPhilosoph; in religiöser Beziehung Euhemerist, ähnlich wieder Sikuler Diodor. Er ist sonderbarer Weise verkannt undunbekannt geblieben bis ins 5. Jahrh. und hat erst spät amAusgange des Mittelalters zu "Cvirken angefangen. Er ahntdie Existenz eines andern Festlandes zwischen dem westlichenEuropa und Asien. Viel mehr wirkte der nüchterne ClaudiusPtolemäus. — Der Universalhistoriker geistreicher Art — erfindetden Weltgedanken Roms! — Polybius mit dem, derseinen Gedanken wieder aufnimmt, Diodor. Posidoniusvon Rhodus setzte, frei von aller nationalen Einseitigkeit,das Werk des Polybius fort (auch die Cultur berücksichtigend),in klarer Erkenntniss von der Zusammengehörigkeit der ganzenMenschheit.Polybius aus Megalopolis, also Peloponnesier, den Athenernfremd, ein wirklicher Mann, Staatsmann (Gesandter) undGeneral; sein Vater Führer des achäiscken Bundes. 40 Jahrealt gehörte er zu den 1000 Männern, welche die Römer nachRom schleppten. Dort lebt er 17 Jahre, in der Freundschaftdes jüngeren Scipio Africanus. Diese Ruhezeit benutzte erzu grossartigen historischen Studien und Reisen — z. B.hat er die Alpen bereist wegen Hannibals Uebergang. Ersah den Untergang seines Vaterlands, Korinth in Flammenaufgehend, Achaia römische Provinz. Bei Einrichtung derneuen Ordnung wurde er als Vermittler benutzt und dochdabei von den Landsleuten geehrt. Er lebte von da an meistzusammen mit seinem Freunde Scipio, den er früher zumdritten punischen Krieg nach Afrika begleitet hatte, und demer später, 134 v. Chr., nach Spanien folgte. Im hohen Alterbetrat er den Boden der Heimat wieder, dort starb er, 82 Jahre199


alt, an den Folgen eines Sturzes vom Pferde. Der Grundgedankeseiner „allgemeinen Geschichte" ein politischer: jederWiderstand gegen die unaufhaltsame Weltherrschaft Romsist Thorheit. Rom verdanke seine Erfolge nicht dem blindenGlücke, sondern der Vorcrefflichkeit seiner Staatsverfassung,der Strenge seiner Kriegszucht,der Consequenz seiner Politik.„Nichts fördert besser das Fortschreiten der Menschen, alsdie Kenntniss der Vergangenheit", die Geschichte die besteVorbereitung für die Staatsverwaltung:leider mit dem Hintergedanken,dass Unterwerfung unter Rom jetzt der Fortschrittder Menschen und die Aufgabe der nicht-römichen Politikersei. — Dabei ist er wahrheitsliebend und treu, „wie ein Tierdurch den Verlust der Augen durchaus untauglich ist, soist die der Wahrheit beraubte Geschichte nichts als eineunnütze Erzählung". Methode: „die Geschichtschreiber müssennicht allein auf die darzustellenden ThatsacheUj sondern auchauf die früheren, gleichzeitigen und späteren ihre Aufmerksamkeitrichten j Belehrung wird die Historie erst, wenn manUrsache, Mitfei imd Zweck erkennt: sonst unterhält sie zwarfür den Augenblick, für die Zukunft aber weiss sie durchausnichts." Nun ist aber der Hintergrund seiner Lebensbetrachtungausserordentlich flach; so passt er erschrecklich zurLegitimation der römischen Herrschaft. — Ausser dem grossenWerke schrieb er noch eine Geschichte des numantinischenKriegs. Eine Biographie Philopoemens, über Taktik, überdie Wohnorte an der Aequinoktiallinie.Diodor erzählt von sich selbst in der Einleitung, dass eraus Agyrium in Sicilien sei, dass er sich durch den Umgangmit Römern auf der Insel eine grosse Fertigkeit in ihrerSprache erworben habe und eine genaue Kenntniss von derenGeschichte aus den Quellen studirt habe. 30 Jahre habe eran seinem Werke gearbeitet, dazu unter vielen Beschwerdeneinen grossen Theil von Asien und Europa bereist^ in Rom200


konnte er sich mit Leichtigkeit die Hilfsmittel zu seinemZweck verschaffen: viele Vortheile daraus, dass ihre Machtsich bis an die Grenzen des Erdreichs erstreckt. Er disponirtdas Werk so: 6 Bücher Thaten und Mythen vor dem trojanischenKrieg (3 Ausländer, 3 Griechen), 11 Bücher vomtrojanischen Krieg bis zum Tod Alexanders. In den übrigen25 alles Folgende bis zum Anfange des von den Römernmit den Galliern geführten Kriegs, den J. Caesar glücklichführte, so dass er wegen seiner Thaten vergöttert wurde.Also die Begebenheiten der ganzen Welt, „gleichsam dieGeschichte eines Staates". Dabei glaubt er an eine irpovoiain dem Allem, verspottet aber in der Weise des Euhemerosdie Götter und Mythen j er ist eigentlich eine Caricaturder Polybianischen Flachheit der Weltbetrachtung: für unssehr wichtig wegen der Quellen, die er benutzt hatj an sichwar dasganze Unternehmen und die Arbeit dazu grossartig,die Einleitung zeigt Begeisterung dafürj aber die Natur desDiodor ist weder geistreich, noch tief genug, so eine Massezu stilisiren. Wenn jener die Geschichte der HegemonieRoms über die Mittelmeerstaaten schrieb, so ist es das Romder Weltherrschaft, welches Diodor vor der Seele hat. Aberschrecklich genug, dass er hier nichts sah als eine flacheTrpovoia. So waren aber die denkenden Menschen jener Zeit.Dionysius von Halikarnass und seine römische Archäologiein 20 Büchern. Die 9 ersten besitzen wir ganz, das10. und II. zum grössten Theil, von den übrigen nur Bruchstücke.Er hatte sich in den Jahren 31—10 v. Chr. in Romaufgehalten und Stoff gesammelt^ das Ganze ging bis aufdie punischen Kriege herab. Für die älteste Geschichte Romswären wir ohne ihn sehr unvollkommen unterrichtet. Er istnüchtern-pragmatisch, doch nicht frei vom Glauben an dieFabelwelt. Oft bemüht, die griechische Herkunft dessennachzuweisen, was Rom Bedeutendes hat. Es sei eine201


durchaus hellenische Stadt — das ist sein Trost, den er seinenLandsleuten mittheilt, dafür, dass sie nunmehr Unterthanender Römer sindj nicht wie Polybius, der das Uebergewichtder Römer und ihrer Sitten und Institutionen betont. Weichlichund unwahrhaftig! Sucht alles zu erklären und zu motiviren,bei seiner Ungründlichkeit und unzureichenden Sachkenntnissverwickelt er sich in Widersprüche, z. B. bei seinerAuffassung des Comitienwesens. Dann seine Rhetorik in denendlosen Reden, theils auch in Uebertreibungen, die ansLächerliche streifen. Er hat das, was er in den Quellen vorfand,vielfach umgearbeitet, verändert und erweitert. Er istzum Historiker geworden, um zu zeigen, wie durch Nachahmungder Alten die Litteratur gehoben werden könne jalso thut er eine That, die seiner Theorie und Polemik alsRhetor entspricht — vielleicht ist das nicht der beste Ausgangspunktfür einen Historiker, aber es war kein seltener.Ebenso steht es bei dem Rhetor Caecilius, der icepl laropia?geschrieben hat (mit gleichem Titel die Rhetoren Theodorosund Tiberios) und selber den Sklavenkrieg darstellt. Alleaufstrebenden Talente warfen damals den Asianismus zurSeite, die Strömung des Atticismus beginnt, Dionysius undCaecilius sind Hauptbeförderer. Nun zerfielen die Atticistenvon vornherein in Sekten, je nach ihren Vorbildern. Dionysiusist Demostheniker mit voller Entschiedenheit. Hier, wo wirihn als Historiker betrachten, kommt seine Stellung zuThukydides am meisten in Betracht, zudem er hier überseine Grundsätze genug verräth.Hier ist er einsichtsvoll, aberscharf und bissig, was die Form betrifft, sonst, in allemWichtigen, grenzenlos ungenügend. Die Schwächlichkeit derganzen Zeit erschreckt einen, wenn man hört, dass Thukydidessich schon durch die Wahl eines so widerwärtigen Stoffesgröblich gegen die allgemeine Anforderung versündigt habe,dass der Geschichtschreiber seine Leser angenehm unterhalten202


Er tadelt Anfang und Ende des Werkes als schlechtgewählt, rechnet es ihm als Fehler an, dass er sein Werkmüsse').unvollendet hinterliess (also eine Absiebt vorausgesetzt! vielleichtMeinung verrückter Nachahmer), tadelt Ungleichmässigkeitin der Behandlung der Ereignisse, die Vertheilung inSommer und Winter. Von Polybios sagt er, er habe seinWerk zusammengeschmiert, er gehöre zu denen, derenWerke man nicht zu Ende lesen könne. Er hat eine geringeAchtung vor der historischen Wahrheit. Er selber ist einglatter und gefälliger Autor, in langen Perioden fliessend,der von jedem Autor nimmt, was ihm brauchbar erscheint:er ist weder erhaben noch dünn und matt, aber gelegentlichahmt er auch Thukydides und Lysias nach: demosthenischenSchwung möchte er gar zu gerne haben. Ein grosser Abstandzwischen Gefühl und Können und doch kein rechter Blickfür dies Missverhältnissj dabei eigentliche Unfähigkeit zumHistoriker. „Gewöhnlich verwirrt und mit sich selbst imWiderspruch" nennt ihn Mommsen, der auch von der„greisenhaften Impotenz dieses Quasihistorikers" redet.Piutarch. War Dionysius ein stilistischer Nachklang derAlten, so haben wir hier einen sittHchen Nachklang; es istein ausgezeichneter Mensch, aber rückwärts gewendet undnur reproduktiv. Es ist ein Böotier aus Chäronea, ca. 50. n. Chr.geboren, aus tüchtiger Familie. Er w^ar später zu Rom Lehrerder Philosophie und hielt sehr besuchte Vorträge, ein Be-^^'underer des Plato und heftiger Gegner der Epikureer. DerKaiser Domitianverbannte später alle Philosophen aus Italien;') „Zersrörungen von Städten und dergl., die als unangenehm zu lesenbesser in Vergessenheit begraben würden." Ebenso wirft er ihm vor, dasser die Athener in den Unterhandlungen mit den Meliern ihren Uebermuthund ihre Herrschsucht oiFen aussprechen lasse; das Proömium sei nichtpassend, weil es den peloponnesischen Krieg nicht in einem efFektvollenLichte erscheinen lasse" usw.203


:Plutarch scheint schon früher in seine Heimath zurückgekehrtzu sein. Dort heirathete er die Timoxena, hatte mehrereAemter inne, war Priester des Apollo.Seine parallelen Lebensbeschreibungen geben einen dergrossartigsten Gesammteindrücke, gemischt mit tiefster Traueres ist ein Wandeln unter den kolossalsten Resten der menschlichenGrösse und Polyphonie der Alten. Was für eineUnsumme von charaktervollen und ungeheuren Menschenstanden seiner Zeit noch vor der Seele! Was ist da verlorengegangen! Kein Buch der Welt hat tiefer gewirkt als dieseSioi, das ist nicht eigentlich Plutarchs Verdienst j aber dochinsofern, als er noch einer war, auf den jene ältere Weltnoch am mächtigsten gewirkt hat; er ist ein Zeugniss dafür,was unter veränderten Umständen noch aus der Betrachtungder Alten gewonnen werden kann; selbst bei mittlerer Begabung;darunter ist z. B. ein tiefer Blick für das Individuelleund Lust daran. Alles schwimmt in Geist, typischen Anekdotender feinsten Art, Witzen, bedeutenden Bildern; auchseine moralischen Schriften, das ganze geistreiche Alterthumklingt uns entgegen. Dabei blicken uns ältere Autoren oftan, kaum verhüllt, die er benutzt hat. [. . .]Flavius Arrianos (mit dem kaiserlichen Familiennamen)ist ebenfalls eine Art Copie des Alterthums, als Mensch undSchriftsteller, und zwar nach dem Bilde Xenophons geformt.c. loo in Nikomedien geboren, zeitig zu Ansehen gelangt,durch Hadrian zu höheren Aemtern berufen,136 Präfekt vonCappadocien; als solcher führte er den entscheidenden Schlaggegen die Alanen. Er bekam consularische Würde und, zurückgekehrtin seine Heimath, das Priesterthum der Demeter undPersephone. Unter der Regierung Mark Aureis starb er. WieXenophon zu Sokrates verhielt er sich zu Epictet. Die AnabasisAlexanders ist eine genaue sklavische Nachahmung. Aberstrategisch sehr bedeutend und überhaupt mit strengem Sinn204


fiir das Wirkliche abgefasst. Die Schrift über Indien eineFortsetzung, im ionischen Dialekt, nach Herodots und Ktesias'Vorbild.Viel verloren gegangen; die Geschichte der Parther,ßithynische Geschichte, der Nachfolger Alexanders (lo B.),über die Alanen u. s. w. Die Schrift über die Jagd, wiedernach dem Xenophontischen Vorbilde. Auch über Taktik.Dieses Vorbilderwesen spukte damals fürchterlich: unterHadrian schrieb Kephalion eine allgemeine Geschichte, irav-ToBaTiai lOTopiai, ionisch, in 9 Büchern, mit den Namen derMusen. [. . .][Weitere Aufzählungen.]Wesentlicher ist von diesen Nachahmern des HerodotPausanias der Perieget; alle Nachrichten nur aus seinemWerke zu entnehmen. Er hat in Lydien seine erste Bildungerhalten, dann grosse Reisen, auch nach Aegypten, gemacht,er schreibt in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts. Zwischendem ersten Buche und dem fünften liegt ein Zeitraum von15 Jahren. Er hat einzelne Theile separat veröffentlicht. EinWandel der religiösen Ansichten ging nebenbei. Er sagt 8, 8:„Die Sagen der Griechen schrieb ich beim Beginn des Werkesder Einfältigkeit zu; bis zur Beschreibung von Arcadien vorgerückt,fasste ich darüber folgende Ansicht; die, welche beiden Griechen als Weise galten, trugen ihre Lehren ehemalsnicht geradeaus, sondern in Bildern vor." Vielleicht Einflussder Einweihung in die Mysterien. Es ist ein sehr gelehrtesWerk, auf Grundlage reicher Lektüre^ er citirt massenhaftund dabei gewissenhafter als sonst üblich (d. h. er giebt an,was er selbst gelesen habe). Er benutzt auch eine vorhandenePeriegetenlitteratur, amtliche Verzeichnisse, Inschriften.[Appian,Cassius Dio, Herodian, Dexippus.]205


Geschichteder griechischen Litteratur(Dritter Theil; Vorlesung Wintersemester i%j^/-j6.^


Meine Herren! Ich habe nur diese kurze Vorbemerkungzu machen:Das Froblem, mit dem wir uns an den Donnerstagen diesesWinters beschäftigen werden: die Genesis der klassischengriechischen Litteratur, oder in Form der Frage: Wie kamendie Griechen zu ihrer klassischen Litteratur? Zu lösen durchSummirung der Einzelerfahrungen, die wir bei Betrachtungder Gattungen gemacht haben: denn ich habe in den zweiletzten Semestern die Geschichte der einzelnen Gattungenerzählt. Aber nicht dadurch allein: vieles konnte nicht bisherbesprochen werden, weil es zum allgemeinen Schicksal jederGattung gehörte, das sich bei jeder wiederholt [...]. Unddoch ist dies das Wichtigere, weil das Problem, wie dieGriechen zu dieser so klassischen Litteratur xax e$o)^7]v kamen,viel weniger auf die individuellen Bedingungen jeder Gattunghin, als auf allgemeine Bedingungen hin zu betrachtenist. [. . .]I. Die klassische Litteratur der Griechen als Erzeugnisseiner unlitterarischen Bildung.Hier sind mehrere Begriffe zu bestimmen: klassische Litteraturder Griechen im Gegensatz zu einer unklassischen,unlitterarische Bildung im Gegensatz zu einer litterarischenBildung. Von letzterem auszugehen:Die Bildung der neueren Zeit ist eine litterarische, sieberuhtaufdem Lesen. Grad der Verbreitung dieser Fertigkeit —14 Nietzsche V'209


jnicht etwa der Grad des Gutsprechens: was viel natürlichererschiene! — gilt als Maass der Cultur eines Volkes: dies setztstillschweigend voraus, dass das schon da sein müsse, wasgelesen zu werden verdiene und woraus die Bildung dannerwachse: also auf der Existenz von bildenden (klassischen)Büchern. Denn nicht das Lesen an sich und ebensowenigdas Lesen von allem Beliebigen kann die Bildung schafFenjman würde diese Fertigkeit für unnütz oder für schädlich,besonders in Hinsicht auf die grosse Masse, halten müssen,wenn nicht der Maassstab des Lesenswerthen schon da wäre.Also: eine litterarische Bildung einer Zeit ruht auf der Anerkennungeiner klassischen Litteratur als deren Grundlage.Nur in Hinsicht auf sie hat die Forderung des Lesens Sinn.Könnte jemand nachweisen, die oder jene Litteratur sei garnicht klassisch, sogar schädlich, so würde von dieser Seiteaus das Nichtlesen verlangt werden. So dachte in Betreff dergriechischen Litteratur die katholische Kirche, so auch derKalif Omar, als sein General Amru wegen der alexandrinischengriechisch geschriebenen Bibliothek(zu Gunsten des JohannesPhiloponos) anfragte: „Stimmen die Bücher mit dem Koran,dem Worte Gottes, dann sind sie überflüssig und brauchennicht erhalten zu werden j stimmen sie nicht, dann sind siegefährlich, lasse sie also verbrennen!"sollten also nicht gelesen werden.Die griechischen BücherEin Volk, welches eine litterarische Bildung hat (dessenCultur auf anerkannt klassischen Büchern ruht) — wird eseine klassische Litteratur erzeugen? Es ist unwahrscheinliches scheint überflüssig. Aber es wird viel Litteratur erzeugenkönnen,durch Nachahmung, Wetteifer, Erklärung derklassischenBücher u. s. w. So bei der christlichen Litteratur, so bei derbuddhistischen, so auch bei der hellenistischen Litteratur.Die spätere griechische (und die römische) Litteratur ruhtauf dem Kanon der älterenklassischen.2IO


Unsere deutsche Litteratur ruht auf der antiken vornehmlich,auf der französischen.Aber wo wir originale klassische Litteraturen finden — worauftheilsruhen die? Das ist eben das Problem.Sie sind nicht das Erzeugniss einer litterarisch gebildeten Zeitoder litterarisch gebildeter Volksklassen. Sie sind nicht nachVorbildern gemacht.Ihre Klassicität ist das Erzeugniss einer hohen Bildung, abernicht einerauf Büchern beruhenden.Es muss schwer sein, sich eine unlitterarische Bildung vorzustellen.Unwillkürlich legen wir unsere Zustände in dieVergangenheit hinein. Die Gleichartigkeit der modernen undder antiken griechischen Cultur war lange Zeit fest angenommen.Man vergass, dass der Zustand, der die Regel gebiert,ein andrer ist als der, den die Regel gebiert.Bekanntlich begann mit Wolfs Prolegomena zu Homer dasgrosse Erstaunen über eine fundamentale Differenz der Altenund der Modernen. Vordem hielt man es für möglich, dieklassischen Werke der Griechen zu überbieten: man nahmfür ihre Entstehung gleichartige Bedingungen an, wie wir siehaben.Leibniz: Was lobt man viel die Griechen?Sie müssen sich verkriechen,Wenn sich die teutsche Muse regt. —Horaz in Flemming lebet,InInOpitz Naso schwebet.Greiif Senecens Traurigkeit.Pope, der enghsche Homerübersetzer, glaubte der home-und ihnrischen Erhabenheit Ovidische Anmut beizugesellen:sozu übertreffen.Ein Volk, dessen Bildung litterarisch ist, kann wohl wähnen,seine Vorbilder zu übertreffen: aber eigentHch ist es unmög-Hch, den Boden, auf dem man wuchs, zu verleugnen; auch


im Falle eines scheinbaren Bessermachens hat man eben dochdie Originalität nicht. Die Entstehung der originalen Litteraturenerfordert eine vergleichende Betrachtung, die noch nichtgemacht ist. Es scheint trivial, aber ist es nicht: eine originaleLitteraturkann nicht auf Grund einer anderen Litteraturwachsen^ sie muss anderswoher entstehen: aus einem anderenBedürfniss als einem litterarischen. Ueberall, wo eine klassischeLitteratur entstanden ist, ist sie aus etwas Neuem hervorgegangen,was nicht litterarische Bildung war, mit ihr nichtszu thun hatte.Die klassische Litteratur der Griechen ist nicht mit Hinsichtauf den Leser entstanden: das ist ihr Eigenthümlichstes. Dieklassischen Werke sind gar nicht als Litteratur gemeint gewesen:es war eine Art Verkennung bereits, dass sie späterrein litterarisch genommen wurden und zur Basis einer Bildung,büchermässig, benutzt wurden.Schriftsteller, welche für Leser schreiben, denken sich einideales Publikum, das bald hier, bald dort ist, und lange nachdem Tode des Autors erscheinen kann; es ist das das eigentlichReizvolle aller Schriftstellerei,der Stimulus, ohne den sichniemand bemüht — (man denke an den Journalisten!) — eineganz überschwängliche Möglichkeit der Wirkung, der Nachwirkung.Im Gegentheil beklagt man den Mimen, der fürden Augenblick ist, dessen Kunst keine Nachwelt hat.Nun ist aber die klassische Litteratur der Griechen, wiedie Kunst des Mimen, für den Augenblick gemeint, für dengegeniü'ärtigen Hörer und Zuschauer, ohne Gedanken an dieNachwelt (oder erst mittelbar). Ein homerischer Hymnus,ein Chorlied Pindars, eine Tragödie des Sophokles, eine Rededes Demosthenes haben einem ganz bestimmten einmaligenPublikum zu genügen: auf diese Wirkung ist es abgesehen.Es ist kein ideal unbestimmtes Publikum. Zugleich sehen wirhier jedesmal eine Verknüpfung von Kunstenj mindestens die212


der Aktion und Deklamation, sonst aber Musik, Gesang,Orchestik. Von dieser Vei^b'mdtmg mit Künsten wird abstrahirt,wenn man die reinen klassischen Litteraturwerke später alsKanon aufstellt, für lesende Menschen.Also in doppelter Weise verkannte man spater die griechischenKunstwerke der Sprache; i. man löste sie vomspeciellen Anlass, speciellen Publikum los und nahm sie alsob sie für ein unbestimmtes Publikum verfasst seien j 2. mantrennte sie von den zugehörigen Künsten und nahm sie alsverfasst für Leser. (Zeno der Stoiker fragt das Orakel: waser zu thun habe, um am besten zu leben. Er bekommt zurAntwort, „wenn er sich mit den Todten begatte". Er verstanddies vom Lesen der Alten. Das Unnatürliche ist starkausgedrückt, ebenfalls das Zurücksehen auf eine bereits alsklassisch und bildend anerkannte Litteratur.)Gegen diese Verkennung muss nun die Betrachtung sichrichten: sie muss den Verband zwischen Dichtung, Anlassund Publikum zeigen, sie muss den Zusammenhang mit denanderen Künsten — den äusserst engen! — zeigen: Darausergiebt sich das Bild der unlitterarischen Bildu7ig.Wenn ich sage, die Werke sind 7iicht für Leser verfasst,so ist damit nicht gesagt, dass sie der Schrift ermangelten.Sind aber überhaupt Kunstwerke der Sprache möglich ohneSchrift? Und ist eine imlitterariscbe Bildung eines Volkes etwaauch ohne Schrifcgebrauch zu denken?Das war Wolfs Problem und das seiner Zeit. Zu HomersZeitengab es noch keine weitverbreitete Schrift in Griechenland,also kann der Dichter nicht geschrieben haben, alsomündliche Fortpflanzung („Volksdichtung"). Trotzdem mussteman einen hohen Grad von Cultur unter ihnen voraussetzen,da die Ilias nicht nur entstehen, sondern ihre einzige Würdigungfinden konnte. So bemühte man sich heftig zu Gunstendes schreibenden Homer. Denn unter allen Gelehrten stand213


fest: ohne Schrift keine höhere Cultur, d. h. eigentlich: ohneLeser und ohne Rücksicht auf den Leser. Ohne ihn schiendas geistige Leben zusammenhangslos. — Man hätte umgekehrtsagen sollen: auf Homers Schreiben oder Nichtschreibenkommt nichts an, wohl aber darauf, dass er nichtfür Leser dichtete: wo sind nun die Dichter, welche fürMan meint noch jetzt: die Kykliker, die Nach-Leser dichteten?ahmer der Ilias und Odyssee. Oder Archilochos u.s. w. Nein!Bis zur Zeit des Aristoteles müssen wir gehen, ehe wirdvaYvwaxixoi finden (in Tragödie und Dithyramb — Chairemon,Likymnios von Chios). Das ist das Stadium des Ueberganges.Bis dahin denkt der Künstler nicht an den Leser.Aber er selber benutzte natürlich die Schrift: auch konntejeder gebildete Hellene lesen und schreiben. Trotzdem ruhtenicht die Bildung darauf Deren Fundament ist der religiöseCultus und die Festfeier,auch das Symposion und der Wettkampj,Es stellt sich auch allmählich, zur Erinnerung an die Dichtwerke,eine Verbreitung durch Schrift ein, es beginnt einBuchhandel. Aber das ist nur eine Folge des erreichten Erfolgesder Aufführung: für die Aufführung dichtete man, nicht fürjenes nachträgliche Lesen.Der Unterschied ist ungeheuer, nicht tief genug zu fassen,es giebt immer noch keine Psychologie des Schriftstellers.^etzt nämlich hat man den Leser im Augej Beweis: dieAutoren, welche schön schreiben, verstehen nicht ihre eigenenWerke vorzutragen und ihre Perioden u. s. w. natürlich erscheinenzu lassen, während die Rücksicht auf den sinnHchenEindruck, auf Athemholen, auf begleitende Gesten erst denganzen Stil der Prosa und Poesie geschajfen hat. Es ist jetztso, als ob Musiker ein Werk nicht für's Erklingen, sondernfür Partiturleser schrieben, auch ganz unfähig wären, es zumErklingen (richtig im Tempo u. s. w.) zu bringen, wenn man'sverlangte.214


Umgekehrt: als bei den Griechen eine Kunstprosa fürLeser- entsteht (seit Isokrates), ist gerade der Leser nur dersuhümh'te Hörer, der besonders scharf hörende, nichts überhörende,der langsam prüfende: vor seinen Ohren erklingtdie Rede wirklich, es sind nicht nur Zeichen für Begriffe undBelehrung; also so wie jetzt ein Musiker eine Partitur liest:ihm schwebt der ganz modificirte Klang vor, er beurtheiltmitunter ein Werk beim Lesen feiner als beim wirklichenHören.Wenn die Griechen später eine massenhafte Litteratur fürLeser hatten, so wurden Autoren und Leser doch immer durchdie ungeheure rhetorische Schulung und Geübtheit disciplinirt.Weshalb der antike Schreibstil nie in dem Maasse in derLuft schwebte wie der unsrigejauch selbst bei verschrobenenManieren war der Schreibstil doch nur die Abspiegelung desSprechsx'ih. Wegen dieses natürlichen Verhältnisses von Redezu Schrift bleiben sie vorbildlich.Das Gefahrliche des Schreibens ist ihnen bewusst, z. B. beiPlato; eine gewisse Abneigung und Furcht ist sichtbar (z. B.bei den Spartanern bewahrt). Darin stehen sie höher als dieModernen. Sie fühlten es, dass die alphabetische Schrift einviel zu unvollkommenes Werkzeug ist, um die mannichfachmodulirte Sprache wiederzugeben, z. B. bei der Interjektion.In Zeiten, wo man noch sehr im Klange lebt, muss vor Geschriebenemein Widerwille empfunden werden, man liestsehr viel schwerer da, während man das Gehörte, mündlichVorgetragene leicht verstehen würde. So ist Aeschylus undPindar schwer für den Leser: die älteren Griechen warengeistreichere Dichter-Hörer, als wir, bei all unsrer Bildung,Dichter-Leser sind.Sie haben in ihrer klassischen Zeit sich gemässigt und sinderst spät zu einem Schreihwo^o. geworden; um sich herumhatten sie Völker mit Litteraturen, z. B. die uralte ägyptische,215


dann phönizische, jüdische, assyrische, indische (die Turdetaner,die gebildetsten der Iberer, haben Gedichte, Schriftenüber Geschichte, Gesetze in Versen öooo Jahre alt, Strabo III,p. 139), es ist sehr wahrscheinlich, dass schon in der indogermanischenZeit ein Schriftwesen existirte, denn es giebtviel 'ältere Alphabete als das phönizische (Schliemann, ilischeScherben, kyprisch). Die keltischen Priester haben den Verdachtgegen das Schreiben, aber verstehen es. Die axuidXiQder Spartaner, Botschaft mit Geheimschrift, ist schon zuArchilochos' Zeit als Metapher zu gebrauchen: die oxuTdXy]selbst setzt den Gebrauch von Leder als Schreibmaterialvoraus und die allgemeine Verlore'tnmg der Schrift, dass mansich schon der Geheimschrift bedienen muss. Priester desOrpheus Linus Musaeus müssen von Alters her die Schriftkundegehabt haben, Orpheus als Erfinder der Schrift istaber nur eine Heroisirung des Dionysos und Dionysos isteine gräko-kelto-italische Gottheit. Die Indogermanen selbstnicht ohne Schrift! Uralte Dionysoshymnen wurden nachHeraklit auf dem Haemus aufbewahrt. Dann ist Delphi einSitzder Hiera.(i.) Gebrauch der Schrift zum Orakel. Bei Weihungsformeln,Zaubersprüchen, Orakeln kommt es auf den Buchstaben an,sonst stiften sie Unheil. Bergk hat 'AttoXXwv l^^'h "^^ 7>^^ritzte, schrieb" erklärt (mit ypauu) ya.paaaia verwandt). Dasist nicht richtig. Vielmehr ist das Orakeln ursprünglich einBestimmen j ein Erzwingen der Zukunft: or^ fjieta xipaxa übeneine magische Gewalt auf die Zukunft aus. Sich prophezeienlassen ist ursprüngUch „sich die Zukunft bestimmen lassen":das heisst XP^"* vom Gotte gesagt. (Uebergang der Bedeutung„berühren", „zu Leibe gehen", „drängen", „nöthigen",„zwingen", x9'r\ heisst „es nöthigt, dass ich"^ „Apollo zwingt,bestimmt, dass das und das geschieht") Meistens fordert derGott etwas von dem Menschen, was er thun soUj und21Ö


estimmt so dessen Zukunft, „überschreitet Krolsos den Halys,so wird er ein grosses Reich zerstören". Wenn also auchBergk Unrecht hat, immerhin ist das Orakel eine mächtigeHilfefür Verbreitung der Schrift.Dann gehören auch die ältesten Hymnen hierher, auchhier handelt es sich um luörtlkhe Ueberlieferung, weil sie nurso die Götter günstig stimmen. Deshalb gab es alte Tempelexemplare.Daran knüpft sich die Entwicklung eines halbpriesterlichen Sängerstandes (für die verschiedenen Feste,5(opooi8daxaXoi und dergl.), der von vornherein im Besitz derSchrift ist. Natürlich ist der Kenner der Schrift auch derLehrer derselben: so ist Dichter und Schulmeister in EinerPerson frühe vereinigt.Sage von Homer, Phemios, Tyrtaeus.Die Gesetzgebung bedarf nachher zur Auffindung von Formnoch mehr als zur Aufzeichnung derselben Talente (Sachedes YpafijjiaTsu? wie in Rom).Das Volk hat inzwischen eine Nöthigung zur Schrift bekommendurch Handel und Wandel, die Verbreitung derOoivixT^la Ypd{X[iaTa ist nicht priesterlichen Ursprungs. Esschreibt und Hest eben nicht mehr als es muss, bei Contraktenu. s. w.: die höhere Kultur ruht nicht darauf Hates wenig Handel, so bedarf es dieser Kenntniss nicht: wieSparta. So kann ein ganzes Volk schreiben und lesen können:und doch giebt es keine Litteratur, kein Lesen der Bildungwegen. Die trotzdem vorhandene Bildung hat andere Fundamente:Religion und Kunst unmittelbar, für Ohr und Auge;Musik und Gymnastik.Woher nun die spätere Schätzung der Schrift? die so hochwird, dass allmählich die Bildung eine litterarische wird. Ammeisten wurde die Achtung vor der Schrift befördert durchdie rein mssenschaftlichen Menschen, die sich ihrer bedienten,Mathematiker, Astronomen, Aerzte, Naturforscher u. s. w.:ihnen kam es darauf an, den Gedanken möglichst rein217


darzustellen, das Gemüth, den Affekt bei Seite zu lassen.Nunist das Verstehen des Geschriebenen gerade nur deshalbschwer, weil das Gemüth, der Affekt sich schlecht in Zeichenwiedergeben lässt. Frage-, Ausrufezeichen, Stellung u. s. w.sind die ärmlichen Hilfsmittel. Wi/l man aber rein den Gedanken,wie z. B. beim mathematischen Schriftwerk, beimphysikalischen, logischen u. s. w., so genügt das Schreiben,weil es im Grunde affekdos ist. Je mehr die Lust am Logischen,am Wissenschaftlichen zunimmt, um so geachteterwird auch die Schrift, als das Organ dafür. Nun ist es eineder höchsten Uebungen der Griechen, die Sprache, die garnicht zur Mittheilung von Gedanken und Erkenntnissen geborenist, allmählich sich dazu herzurichten; alle möglichengeistreichen Arten, dieser Schwierigkeit auszuweichen, werdenerfunden, man muss sich auf irgend eine Art behelfen, umsich mittheilen zu können. Das symbohsch- metaphorischeDenken geht dem kausalen, schliessenden voran. Das ausserordentlicheWohlgefühl der Griechen, als sie ihre Sprachenüchtern, geschmeidig und logisch gemacht hatten, gingdurchs Volk, die Masse fühlte es bei Euripides ebenso alsbei den Philosophen. Damit steigt der Werth der Schrift.Euripides ist der erste grosse Leser unter den Dichtern(Besitzer einer Bibliothek). Aristoteles, der erste Logiker,hatte von Plato den Scherznamen dvay^i^oTY]?.2. Anlässe zur Entstehung von Litteratur.Die ältesten Anlässe zur Entstehung von Poesie sind diegleichen Anlässe,')bei denen man die Anwendung von Musik') [Anmerkung von späterer Hand.] Grund zur Verknüpfung von Wortund Musik. Die Lyrik ist die älteste Poesie: ihre älteste Bestimmung einereligiöse Hier ist die Musik und der Tanz mit ihr zusammengekommen:hier der Rhythmus /;; die Folge von Worten und Silben absichtlich hineingelegt.2l8


und deren Rhyth?nHs für nöthig befand. Wozu wandte mannun Musik und Rhythmus an? Zur Einwirhmg auf die Götterim Cultus oder ausser dem Cultus, nachdem man ihre Wirkungund Gewalt auf die Menschen kennen gelernt hatte.1. Man glaubt sie mit Musik zu zwingen, wie der Menschsich selbst gezwungen fühlt.2. Man glaubt sie zu reinigen und ihrer allzu heftigenAffektezu entladen.3. Man prägt ihnen das menschliche Anliegen tiefer ein,wenn man es rhythmisch fasst: das ist ein mnemonischesMittel.4. Man glaubt, deutlicher, über grössere Fernen hin mitihnen reden zu können.Die beiden letzten Wirkungen sind uns sofort verständlich,nicht so die zwei ersten.Je erregbarer ein Mensch, je ursprünglicher er ist, um somehr wirkt der Rhythmus auf ihn wie ein Zwang: er erzeugtein blindes Einstimmen in das rhythmisch Bezeichneteund weckt eine unbezwingliche Lust nachzugeben, nachzumachen.Der Mensch fühlt sich unfrei, bezwungen, überwältigt,daraus schliesst er, dass man auch die Götter aufdiese Weise zwingen könne.So kommt Rhythmus und Poesiein den Cultus, als Mittel der Einwirkung. Im Ion sagt Plato:„gerade wie die vom Korybantentaumel Ueberfallenen nichtmit klarer Besinnung ihre Tänze und Sprünge machen, sodichten auch die guten lyrischen Dichter nicht mit solcherihre schönen Lieder, sondern wenn die Gewalt der Harmonieund der Rhythmen über sie kommt." So wie der DichterWay um ?Offenbar wendet man rhythmisirte Rede und gesungene Rede zu ähnlichenZwecken an, zu denen man Rhythmus und Musik überhaupt anwendet.Der Rhythmus in die Rede gedrungen, nicht nur äusserlich, Wort nebenMusik: eine Gewalt, die die Atome des Satzes neu ordnet, die Wortewählen heisst, den Gedanken färbt. Warum!219


die kathartische Wirkung des Rhythmus zu denken.Die uralteheilige Tempelmusik, die sich an Orpheus und Musaeus knüpft,ist nicht agonal und verschmäht es, sich auf musische Wettspieleeinzulassen (nach Paus. X 7). Diese Art der Musik undPoesie kommt von den Thraciern namentlich zu den Griechen.Die Orakelpoesie glaubt durch den Rhythmus die Zukunft zuerzwingen; so wie das Wort buchstäblich ausgesprochenwurde, bindet es die Zukunft. ypTrja|xoi „Nothwendigkeiten",fata „Aussprüche". Der Hexameter soll in Delphi erfundensein,pythischer Vers.Die Musik bei Symposion soll die erhitzende Kraft des Weinesdämpfen und ihr das Gleichgewicht halten, nach Aristoxenos.Wiederherstellung von Ordnung und Ebenmaass nach demZustande des Unrhythmischen und Wankenden, das durchden Wein herbeigeführt ist. Hier ist der Anlass zur sympotischenElegie. Indess scheint so die kathartische Wirkungder Musik schon nicht ursprünglich aufgefasst. Ueberall istes im griechischen Cultus anerkannt, dass alle Regungen zumUehermaass streben und zeitweilig zu entladen sind; daraussind viele Gebräuche zu verstehen. Die kathartische Wirkungder Musik ist nun die, jene Entladung herbeizuführen, dadurch,dass man die Seele schnell zum trunkenen IJehermaasseführt. Wie die Tragödie nach Aristoteles dadurch von Angst,Gedrücktheit und Mitleid heilt, dass sie die krankhaft gesteigertenAffekte in der Seele der Zuhörer durch eine Handlungschnell auf die Höhe treibt: hinterdrein ist die Seelefreier davon. So ist wohl auch beim Symposion die ursprünglicheAbsicht des Weintrinkens und der Musik, den Taumelund die Ausgelassenheit durch Rhythmus und Wein so zuentfesseln, dass die Seele hinterher sich frei fühlt, sich entladenhat.Alle orgiastischen Culte haben den Sinn, die ferociaeiner Gottheit auf einmal zu entfesseln, damit sie uns nachherin Ruhe lasse und milde sei.221


Hierher gehört auch das Hohn- und Spottlied des Archilochos.Bei den Culten der Demeter gab es eine Berechtigung vonJedermann, all seine neidische, boshafte, gehässige, scheltende,höhnende Natur in Worten zu entladen, ebenso die Neigungzur unanständigen Rede. Da kam alles heraus, was sonst ver-und die ganzeschwiegen wurde, der Festrausch erlaubte dies,Feierlichkeit des Cultus brachte es zu Wege, dass hier sichin Worten entlud, was sich sonst in Thätlichkeiten entladenhätte.(Die Alten hatten kein Duell als das in Worten.) SelbstPlato trifft noch die Bestimmung (in den legg. [p. 935 f.]),dass bei den öffentlichen Kampfspielen Belohnungen undPreise vertheilt werden sollen, und dass alle Bürger bei dieserGelegenheit ihr Lob und ihren Tadel gegen einander äussernsollen, je nachdem sich ein jeder im Kampf oder im ganzenLeben bewährt hat. Nur über 50 Jahre muss man alt seinund eine rühmliche That bereits gethan haben, überdies ohneZorn und im Scherze reden. Allen jambischen, komischen,lyrischen Dichtern soll es aber verboten sein, sich lustig zumachen, mit oder ohne Zorn. — Man sieht, was Plato alsSitteantrafAlso dies sind die ursprünglichen Anlasse zu dem, was manspäter Litteratur nennt: wenn man eine Handlung durcheinen rhythmischen Spruch magisch fördern will, wenn maneinen Gott nöthigen will, zu erscheinen und uns nahe zusein, wenn man sich von irgend einem Uebermaass (Gewissensangst,Rachsucht, Manie u. s. w.) reinigen lassen will, wennman einen Gott von seinem Zorn, Hass gegen uns u. s. w.reinigen will, wenn man die Zukunft zwingen will, wennman seinen Spott und Hohn einmal unter religiösem Schutzeauslassen will u. s. w.Ganz in gleicher Weise, wie wir hier den Rhythmus aufdie Rede übertragen sehen, um die Wirkungen, die derMusik eigenthümlich sind, zu steigern, ist der Rhythmus-2,22


auch auf die körperliche Bewegung übertragen worden. Manvergisst gar zu leicht die ursprüngliche magische Wirkungaller Tänze; man glaubt durch Stampfen des Bodens mitden Füssen die Götter herbeizurufen.Nun erscheint es wohl nicht mehr so absurd, weshalb derMensch seinen Gedanken nicht so bestimmt als möglichausdrückt, sondern das Hopsasa des Rhythmus anwendet;es war ursprünglich keine Spielerei, noch auch ein ästhetischesBehagen; man glaubtedurch Anwendung des Rhythmus aufdie Rede richtige Vortheile zu haben. Je weniger die Griechenspäter abergläubisch waren, je mehr der Sinn für natürlicheCausalität erwachte, je bewusster das Leben wurde, um somehr tritt die Nöthigung zum Rhythmus der Rede zurück.Es ist ein Gradmesser für das Maass des Vernünftigen undBewussten, wie ein Volk oder ein Mensch noch die rhythmischeRede braucht. Man stelle Empedokles, Plato, Demokrit,Aristoteles hinter einander — das sind vier Steigerungen.Andererseits darf man sich nicht wundern, dass der Hangdazu unausrottbar ist, als Ueberlebsel vieler Jahrtausende,welche die grössten Segnungen der rhythmischen Rede zuverdanken glaubten. Die ursprüngliche Bedeutung ist vergessen:aber der Instinkt dafür ist doch noch so mächtig,dass Jedermann einen Gedanken für wahrer hält, wenn erim Vers ausgedrückt ist als in Prosa. Auch nachdem inGriechenland die Prosa, die Lösung vom iisipov errungenwar, sehen wir doch schnell wieder einen halben Rückfall,durch Einführung einer mehr rhythmischen Prosa; man hatteeben im Rhythmus ein Bezauberungsmittel namentüch dergrossen Menge, die Redner Hessen es sich nicht entgehen,was man hier noch für unbewusste Wirkungen erzielen könne.Die Menschen, welche die älteste Pflege des Rhythmischensich angelegen sein Hessen, die Vor- und Urlyriker, sindPriester, Wahrsager, Zauberer, Aerzte u. s. w., aus ihnen ent-223


wickelt sich der Dichter.Es sind einmal die reineren, wenigergewaltsamen, weniger hellen, die „dumpferen" Menschen(nach dem Goetheschen Ausdruck). Die blinden Männerhaben beigetragen. Auch Frauen kommen dazu. Ebenso dieübermässig -leidenschaftlichen Menschen des Gemüths, dieExcentrischen in Hass und Spott, auch ihr Zustand hatetwas Enthusiastisches 5 die Grille Archilochus z. B., dieschreit, wenn man sie an den Flügeln fasst. In allen diesenNaturen wirkt die Kraft des Rhythmus elementar, es sindzugleich die, welche den Sinn für das Symbolische, Andeutendestärker haben als den für das Causale.Die Befreiung von der Foesie ist erreicht worden in denhiervon abgewandten Sphären des Lebens durch Reisende(Hekataeus, Herodot), Astronomen und Physiker (Anaximander,Anaxagoras, Demokrit),durch Staatsmänner, Gesandte, Volksführer,durch Gerichtshändel, durch Lehrer der Wissenschaften,durch Aerzte: überall, wo die Ziele klarer, dieMittel klüger und praktischer sind, wo der Aberglaube demDenken und Beobachten hat weichen müssen, wo der Egoismusund die Selbstsucht des Menschen sich auf sich selberverlässt.3. Das ursprüngliche Publikum jeder Gattung.Jede griechische Gattung hat ein zugehöriges Publikum,das ist sehr wichtig. Es heisst nicht, dass jedes grosse Kunstwerkhinterdrein seine Bewunderer gefunden habe: eherkönnte man sagen: das Publikum ist da, und zu ihm findetOhne Homers Publikumsich auch sein zugehöriges Kunstwerk.ohne die athenische Stadtgemeindewar kein Homer möglich,kein Sophokles.Goethe meinte [Ueber epische und dramatischeDichtung, W. XXIX 224], man könne alle Gesetze des Eposund des Drama ableiten, wenn man sich hier den Rhapsodenmit seinem ruhig horchenden Kreise, dort den Mimen mit224


seinem ungeduldig schauenden und hörenden Publikum vergegenwärtige;man kann vor Allem die Entstehung des Eposund des Drama aus den so verschiedenartigen Ansprüchenihres Publikums ableiten. Noch jetzt ist es das Zeichen jedesguten Autors, von einer sehr genauen Empfindung über seinPublikum geleitet zu werden: wie der Maler für eine gewisseEntfernung und einen gewissen Grad von Sehschärfe malt.Alle Künstler wollen sich mittheilen, alle ihre Mittel dazusind bewusst oder unbewusst darnach gewählt, wem sie sichmittheilen wollen. Es ist eine grosse Unnatur, für ein „gemischtes"Publikum zu schreiben, weil die Anschauung davonvag ist und dem Autor kein Maass giebt. Aber schon jedeBestimmung für Leser einer gewissen Bildung, eines gewissenStandes ist noch sehr allgemein j wer sehr genau weiss, „derund der Leser ist mein Maass, ihm will ich mich mittheilen",schreibt gewöhnlich am besten: weshalb wohl relativ inkeiner Gattung so viel Vollkommenes (relativ!) geleistetworden ist als im Briefe (Zwiegespräch). Dagegen wie unsicherist die Anschauung vom Publikum, welches jetzigeDichter haben können!Einige Gattungen nun, z. B. die Rede, haben ihr Maass ineiner ganz bestimmten Absicht, der Redner will bei demPublikum etwas erreichen (Ueberzeugung erwecken), sein Vortheiloder Schaden, selbst Leben oder Tod hängt vom Erfolgab.Im Durchdenken aller Mittel der Rede, in ihrer Anpassungauf gegebene Verhältnisse sind die Alten unerreicht, es istdas, was sie vor allen Barbaren hervorhebt, zugleich das einzigeMittel, wie Einer über Viele die Herrschaft erlangt jjedesDing erscheint bei dem Publikum so, loie es der Redner habenwill.Diese unbedingte Rücksicht auf dieses Erscheinen-SoUen,auf den Erfolg der Rede mag man vielleicht anderweitig fürschädlich halten, das griechische Wesen ist allmählich vielleichtdadurch ganz Coulisse und bemalte Leinwand geworden.15 Nietzsche V 22?


Aber dies nothwendige Sich-Entsprechen von rednerischerAbsicht und von ganz bestimmtem Publikum, die Unfehlbarkeitim Griff und Gegriffenwerden, hat uns z. B. Demosthenesgeschenkt und mit ihm ein gutes Stück Athen: immer mussman das Publikum nachfühlen, an welches Demosthenes sichrichtete, man muss die stürmische Luft der athenischenDemokratie athmen, die noch vorhandene Fähigkeit zurBegeisterung, so dass er sich nicht als Don Quixote vorzukommenbrauchte.Von der Rede abgesehen, ist die Hauptursache dafür, dassjeder Künstler der Sprache, Epiker, Lyriker, Tragiker, Komikersogenau seinem jedesmaligen Publikum entspricht und immerfür eine bestimmte Gelegenheit dichtet, wohl die, dass sieagonistisch waren und um einen Preis wetteiferten. Dies hättedie Ursache einer rapiden Verschlechterung werden können,wenn nämlich der Erfolg immer bei der Majorität gewesenwäre und diese immer aus den Ungebildeten bestanden hätte.In der That sind auch die Gattungen schnell entartet,sobaldder Gegensatz von „Gebildet" und „Ungebildet" da war.Zum Theil war es der Geldgewinn, der den Künstler zwang,an sein Publikum zu denken: z. B. Pindar und Simonides, sielebten davon und arbeiteten auf Bestellung. Also: derpersönliche Vortheil, theils der Ehre, theils des Gewinns, theilszur Durchführung der eignen (pohtischen) Pläne, ist dieUrsache, dass die Dichter und Schriftsteller ihr Publikum imAuge behalten^ es hätte die Ursache ihres Verderbens werdenkönnen, aber die künstlerische Sittlichkeit der Schaffenden undder Aufnehmenden war zu hoch, das ist das Bewunderungswürdigstedaran. Das „verkannte Genie" kommt nicht vorjman ist einander würdig. — Die Gefahren waren sehr gross!Betrachten wir zuerst die Dichter,die im Auftrag dichteten.Da sind die ^^iwi/^/V/^-Dichtungen 5 sie sollen zum Theil sehrschnell gemacht sein, als Begrüssungen nach eben erlangtem226


Siege oder beim festlichen Zuge nach dem Heiligthum.Vielerlei soll erwähnt werden, was Schwierigkeiten für denDichter macht, das Lob z. B. der Thiere, zumal der Maulesel,')oder die Art und der Ruf des Siegers: als z. B. Simonidesauf den grausamen Tyrannen in Kranon zu dichtenhatte (fr. 5), wo er die niedrigste Linie der griechischenMoralität streift, dann die politische Lage, auch das Verhältnissder Heimath des Dichters zu der Stadt, die verherrlichtwerden will (Athen durch Pindar). Er hat selbst ein Liedim Auftrag der korinthischen Hetären gedichtet, voll Scherzund doch grossartig, „ihr vielbesuchten Mädchen, Dienerinnender Peitho" — später, „es soll mich Wunder nehmen, wasdie Korinthier dazu sagen werden!" Andere Dichtungendurften langsam fertig werden, dafür erwartete man dieweiseste Haltung in Allem, was gesagt und was verschwiegenwurde: so ein pindarisches Lied ist mitunter ein Tanzzwischen Schwertern, der Sieg selbst und die Umstände,das Lebensgeschick des Siegers, seine Verwandten, derheimische, vielleicht anstössige Mythus, die Stadt, die politischeGegenwart, alles sollte zu einem Denkmal werden,„dauernder als Marmor". Anders waren die Schwierigkeitenfür Ibycus. Es gab Schönheitsspiele, xotXXiaTeTa, der Preisbestand in Waffen, die man dem Gott in Prozession darbrachte.Beim Siegesmal wurde ein Feierlied vom Chor derentzückten Freunde angestimmt: da musste der Dichter denTon leidenschaftlichster Verliebtheit treffen, er dichtete imAuftrag von solchen Gesellschaften. Jede Anspielung wirdhier verstanden, es ist die individuellste Lyrik, die es gebenkann, aber der Dichter selbst kann kalt und unbewegt sein: wieauch bei den Trauerliedern nihil maestius lacrimis Simonideis:') Wofür Simonides [fr. 7 PLGr. III p. 390 B] sich einmal geweigerthat, „ihr Töchter der sturmfüssigen Stuten".1 5* 227


der Lyriker spricht eine ausserpersönliche Leidenschaft aus,die seines PubUkums.Ebenso ist es bei der Komödie. Der ganz jugendlicheAristophanes wird zum Organ für den Hass und Spott einerpolitischen Partei, der Oligarchen, welche Friede mit Spartaum jeden Preis wollen: alles, was diese Partei auf demHerzen hatte, ihr Hass gegen Perikles und Nachfolger, diemoderne Erziehung und die Verderbniss der Sitte, denphilosophisch-dialektischen Geist, die Neuerungen der Musikund der Tragödie — das ist das Thema des Aristophanes, derpersönlich in dem neuen Geiste bis über die Ohren steckte.Mitunter klingt es, als ob ein uralter Greis seinen Zornausliesse — aber es ist ein junges Bürschchen. Das Publikumder Komödie ist einmal die Ritterpartei selber, dann das sichmassenhaft hinzudrängende attische Landvolk, das immerconservativ war und die Verspottung der neuen Anschauungengern hörte; der eigentliche städtische Syjixo? war mehrdas Opfer als das Publikum der Komödie, jedenfalls aber dieMinorität. Später, mit dem moralischen und finanziellen Ruinder dXiyoi und ihrer Politik, entsprachen die Komiker demveränderten Publikum^ sie traten aus dem Dienste der dXiyoiheraus und stellten sich auf den Standpunkt des gebildetenÖTJfio?; was dessen Bildung widerstrebt, wird jetzt verhöhnt,was ihr gemäss ist, verherrhcht: so dass z. B. Euripides unddie neuere Musik von der alten und der neuen Komödie,bei einem geringen Abstand von Jahren, ganz entgegengesetztbeurtheiltward.Im Allgemeinen stirbt eine Gattung ab, wenn ihre ArtPublikum abstirbt, das versteht sich von selbst. Dies istwichtig für die Geschichte des Epos. F. A. Wolf war dererste, der die Bedeutung des Publikums fasste: er sagte, „esgab kein Publikum, das ein so grosses planmässig angelegtesGedicht als Ganzes hätte fassen können". „Ich kann mir228


nicht denken, wie es Homer einfallen konnte, ein so langesund verschlungenes Gedicht zu verfassen, wenn er keineLeser hatte." Nun aber gab es damals keine Leser. Also!„Wenn Homer auch, mit einem Uebermaass von Gedächtniss,Kraft, Ueberblick, Stimme ausgerüstet, die Ilias und dieOdyssee nach ihrem jetzigen Umfange gedichtet und vorgetragenhätte, so würden sie doch bei dem Mangel derjetzigen litterarischen Hülfsmittel einem grossen Schiffe ähnlichsein, das Jemand in der Kindheit der Schifffahrt mittenauf dem festen Lande gebaut hätte, ohne Walzen undMaschinen zu haben, um es ins Wasser zu schieben, woes seine Brauchbarkeit zeigen könnte." Also: wie kann eseinem Dichter nur einfallen, ein solches Ganze zu construiren,wenn seine Zuhörer nur Stücke und Einzelheiten fassenkönnen? Wolf meint: die Einheit ist von vornherein uyimöglich:scheint es so, dass unsere Gedichte Einheit der Compositionzeigen, so muss dies eben Schein sein. Dies eben wollteLachmann später nachweisen, die Composition ist Schein,nämlich Irrthum und Vorurtheil,für den kritischen Betrachterfiele alles in Stücken auseinander. Es ist ganz richtig: dieComposition der homerischen Gedichte hängt von der Möglichkeitab, sie als Ganzes vorführen zu können. Nun denkeman sich in politisch-patriarchalische Zustände hinein: anden langen Abenden in des Königs Halle war Raum genug,um selbst das umfänglichste Epos vorzutragen. Später, beimSturz des Königthums, verliert das grosse Epos sein natürlichesPublikum, jene ruhigen sesshaften Zuhörer, die einemSänger wochenlang treu bleiben, weil er bei ihnen wohnt.Später entsteht der Rhapsode, der vor der TuaviQYupi? auftrittund immer nur ein Stück vortragen kannj jetzt dichtet mankeine Iliaden mit einheitlicher Composition mehr, das Rhapsodenthumist ausser Stande, Ilias und Odyssee als Einheitfestzuhalten, es bevorzugt nur Stücke, die sich mit besonderer229


Wirkung auf einmal vortragen lassen. Die Entstehung vonIlias und Odyssee ist der Abschluss einer langen Entwicklungder Epopöe unter gleichartigen politisch- socialen Bedingungen,nicht der Anfang, sondern das Ende. Diemancherlei Epen, welche nachher gedichtet sind, sind keineEinheiten mehr, es sind viele Einzelabenteuer, Rhapsodieen,welche durch das <strong>Band</strong> des Mythus zusammengehalten wurden,nicht durch eine künstlerische Einheit; dahin gehören dieTheseiden, Herakleen u. s. w.So ist es auch für die Entstehung der griechischen Historiewesentlich, dass sie für das Hören bestimmt war; ihre Künstlersinddie Nachkommen des Rhapsodenthums und haben einemähnlichen Publikum zu entsprechen, Sie wollen ergötzen undgefallen, sie wollen Ehren und Belohnungen durch ihre Vorträgeernten. Ihre Zuhörerschaft begehrt womöglich ein zusammenhängendesStück, mit befriedigendem Schlüsse, siewill Wunderbares, Aufregendes, sie will Erschütterung undThränen, siewill Verherrlichung ihrer Heimatsstadt, der einheimischenHeroen, Rechtfertigung ihrer Thaten, gelegentlichBeschönigung. Sie will den Glauben, dass Alles wirklich sosei, wie es der Historiker erzähle, daher möglichst genaueSchilderung, als ob man dabei gewesen sei, sie hat Ansichtenüber sittliche Dinge und möchte, dass der Verlauf der Erzählungdiesem Glauben entspreche. Das ist die Luft, in derdie Herodoteische Geschichtskunst entstand. Es ist die Fortsetzungder ionischen Novellen-Erzählung. Ihre Urheber warenweitgereiste Männer, die zu hören, zu sehen und besonders zufragen verstanden und sich ihr Leben lang im Erzählen-Hörengeübt haben: sie wussten, wie es dem Hörer zu Muthe ist.4. Entstehung des Lesepublikums.Wäre im strengsten Sinne immer nur für eine einmaligeGelegenheit und für ein ganz festes Publikum gedichtet worden,230


hätte die Dichtung immer einen momentanen, nicht einenmonumentalen Charakter gehabt, wäre es gewesen wie mitden Blättern im Wald, die immer wieder vergehen müssen,um neuen Platz zu machen: so würden wir nichts von dengriechischen Dichtern haben und kaum etwas von ihnen wissen.Sind doch alle die lokalen Dichter der Griechen fast völligverschollen ; und doch muss un Dienste des Cultus jede Stadtgemeindeihre Dichter gehabt haben, z. B. als xopo^^SdaxaXoifür alle Prozessionen u. s. w., und die berühmten Namengriechischer Dichter erinnern an eine umfassende, überallspriessende und wuchernde dichterische Thätigkeit des ganzenVolkes:man darf eine Sprache ebensowenig nach der aus ihrentsprungenen Schriftsprache allein beurtheilen, sondern hatdie Dialekte nicht zu vergessen. Und so müssen wir uns einunendlich volleres Bild der griechischen Kunstthätigkeit vordie Seele stellen, als die wenigen, zufällig überlieferten Namenerlauben. Ein alter sikyonischer Dichter Ariphron, herrlicherHymnus auf die Hygieia. Es gab z. B. lakonische Dichter(Dionysodotos, dessen Päane bei den Gymnopädien Athen,p. 6y8 C), aber weil diese nie über die lokale Bedeutung hinausgekommensind, sagt man wohl, die Spartaner seien völligunfruchtbar in Poesie gewesen. Das ist nicht wahr, ihr Heranziehenauswärtiger Berühmtheiten, ihre Constitution der Musiklässt sogar schliessen, dass sie in ihrer frischesten Zeit (bevorsie verdummten und verknöcherten und an pohtischer Selbstsuchterstickten) auch die regste dichterische Kraft und Urtheilgehabt haben.Das Problem ist nun, wie die Dichtung im Dienste einergeschlossenen religiösen Gemeinde aus diesen Schrankenheraustritt.Das Nächste ist, dass ein Lied oder Gebet, das einmal ^ivirksamsich erwies, zum regulären Culnislied bestimmt wurde, alsobei allen ähnlichen Gelegenheiten angestimmt wurde: so231


ekommt es monumentalen Charakter: dahin gehören die uraltenTempelgesänge des Orpheus, dahin der Paan des Tynnichosaus Chalkis auf den delphischen Apollo, „das schönste Lied"nach Plato, gedichtet vom schlechtesten Dichter.') Mit derVerbreitung und Uebertragung eines Cultus (durch Eroberung,Colonisation, Mischung der Stämme, Amphiktyonie) verbreitetsich auch das Cultuslied auf mehrere Orte: durch die gemischtenFestversammlungen wird es in noch weiterenKreisen bekannt, man bringt es im Gedachtniss mit fort, mandichtet es zu Hause nach. Alle Mittel, welche auf Einheitder Nation wirken, wirken auch auf Verbreitung der Lokaldichtungenund Lokalmusik. Das wichtigste ist wohl der WettkampfhtiGelegenheit religiöser Feste: er zog die Erscheinungdes Virtuosen nach sich. Nach der Sage führten die Altendem Apoll nur Chöre auf, die den Nomos sangenj Chrysothemisaus Kreta ist der erste, der mit der Kithar in derHand in prächtigem Talare, „als wenn er den Apoll vorstellte",eU [xi(jL7]oiv Tou 'AttoXXcüvo? (ProcL), auftrat, einen Nomos zusingen; er fand Beifall, und so blieb die Sitte dieses dYtt)via{jia.Also der ctycöv entsteht so, dass man fragt: wer stellt am bestenden Gott dar? noch ursprünglicher gefragt: in wem offenbartsich am meisten der Gott? Der gemeinsame Glaubevieler Gemeinden an bestimmte musische Götter machte esmöglich, dass Bürger verschiedener Städte bei einem solchenAgon auftraten. So entsteht die Dichter-ßerühmthek, ausPriestern bestimmter Gottheiten. Weil man nun glaubte, mitden Dichtungen einesgotterfüllten Sängers mehr beim Gotteselbst auszurichten, hatten die Städte ein hohes Interessedaran, solche Dichter-Priester an sich zu ziehen: wie Athenden Epimenides, Sparta den Thaletas (Befreiung von einerPest), Terpander (der einen Aufruhr stillt), Alcman. Als die^) Aeschylus vergleicht es mit den uralten Götterbildern und will nichtrivalisiren. [Porphyr, de abstin. II, i8, p. 30, 35 Hercher.]232


esten Organe und Vermittler zwischen Mensch und Gottentsteht der ausserörtliche Dichter, der davon lebt, dass erals Rhapsode von einem Fest zum andern zieht oder sichzeitweilig von einer ttoXi? in Dienst nehmen lässt (worausviele Differenzen über die Heimat: Klonas nehmen die Arkadierund auch die Böotier in Anspruch); da ist er /opo-BiBdaxaXo?, der einstudirende Meister des Chorgesanges, derTanzkunst, der Anordnung der Prozession u. s. w., er bringtDichtungen von sich und anderen mit und bringt für gewisseDichtungen eine panhellenische Berühmtheit zu Wege: obwohlzunächst Diener des Cultus, vermittelt er auch dasiveltlkhe Lied, lehrt Scolia singen u. s. w. Es sind die Tragereiner unstadtischen, panhellen'tschen Bildung: die sonst, ausserbei ihnen, gar nicht existirt, es sind die Lehrer derselben.Nun herrscht in der alten roXi«; eine ausserordentliche Angstvor aller neuen Bildung: für sie ist ja das Maass und dieArt durch die Gesetze, die gesetzliche Erziehung bestimmt,man fürchtet, dass Lockerung der Anschauungen durch auswärtigeLehrer den Staat untergrabe. Zwischen diesem Gefühlder Angst und dem, jene Organe der Gottheit nicht entbehrenzu können, schwankt man: wie später bei den Sophisten.Dazu kam das Gefühl, dass man hingerissen und überwältigtund zu Allem durch diese Dichter und Musiker bestimmtwerden könne: Entzücktsein und Beängstigung. Daher versuchtenimmer die Staaten wieder, diesen Einfluss in gesetzlicheSchranken zu thun, man nahm z. B. eine Neuerung derMusik an, legaüsirte sie, aber sagte nun um so entschiedener:„nun nicht weiter!" So hatten die Argiver eine Strafe auf Verletzungder musikalischen Regeln gesetzt und sie an dem vollzogen,der zuerst von der mixolydischen Tonart abschweifte.— Protagoras hat ganz recht, wenn er sagt, die Sophistik seischon sehr alt, nur hätte man ehemals aus Vorsicht sich als etwasanderes maskirt, als Dichter, Turnmeister u. s. w. Das, was233


die Sitten und Anschauungen der Hellenen unter sich annäherte^war auch das, was die starre Eigenthümlichkeit jederTToXi? brach. Insofern ist die allgemeine Verehrung für Homerdie tiefste Erschütterung der städtischen exklusiven Religiosität:und Plato bekämpfte für seinen Idealstaat schon vorläufigseinen Einfluss. Ueberhaupt zeigt das Verhalten Piatos gegendie Dichter, wie er eine der grössten Gefahren für die iroXt?in ihnen sieht. Die Dichtkunst wird nur unter strengsterCensur zugelassen und dann möglichst ägyptisch-ewig sanktionirt:er denkt darin wie das ältere Hellenenthum, nur dassdies nicht der Bezauberung widerstand und seine Angst vergass.Ein neuer Schritt ist, dass man einsieht, wie Dichter einePerson, eine Stadt unsterblich machen können; das Begehrennach ihnen wurde jetzt viel grösser. Vordem sang man inOlympia den Archilochischen Hymnus auf Herakles mit Anwendungauf den jedesmaligen Sieger; der Gott wurde herbeigerufen,dann erschien er,da begann der Chor: „Sei gegrüsst,siegverschönter Herrscher Herakles," als ob er nun zugegensei. Das ist althellenisch: das siegreiche Individuum gilt alsIncarnation des Gottes, tritt in den Gott zurück. AUmähHchtritt das Individuum immer stärker heraus und will sich aufdas Stärkste unterscheiden, zunächst will es seine Stadt, seinGeschlecht mit verherrlichen, es ist noch die Repräsentationdieser Einheiten; immer mehr tritt endlich der einzelne Menschhervor. Die lobende Dichtkunst entwickelt sich, wie die lobendeBildhauerkunstj immer mehr ins Individuelle. Man veranstaltetverschiedene Aufführungen, Gedächtnissfeiern, man wiederholtältere Feiergesänge; es cirkuliren Abschriften, weil mandamit für seinen Ruhm sorgt, man will (namentlich dieTyrannen!), dass viele von dem Preisiiede hören und es kennenlernen. Ein Hauptmittel ist, solche Lieder für den Jugendunterrichtzu verwenden, man übergiebt sie den wanderndenLehrern und Sophisten. Man ivill auch, dass das PersönÜche^34


daran, die Anspielungen, verstanden werden, es stellt sichein Bedürfniss nach Interpretation des Gedichts heraus. Sowerden die vortragenden Künstler, Rhapsoden und Sophisten,auch zum Sprechen über die Dichter genöthigr, die ältestenInterpreten, wie Glaukos, Stesimbrotos, Metrodoros, sindRhapsoden von Beruf; dieselben kommen dahinter, dass vielan Homer zu interpretiren ist: der platonische Ion wichtig.Durch das Bedürfniss, dem einzelnen Sieger zu panhellenischerBerühmtheit zu verhelfen, d. h. das einzelne Kunstwerkfür jeden Griechen zugänglich zu machen, überspringennun die Dichter die Schranken der Dialekte: sie suchen eineSprachej die panheUenisch ist (wie Pindar und Simonides —künstliche Mischung).Man sucht die Färbungen der Dialekteals Kunstmittel zugleich zu handhaben, das Pathetische, dasErzählende von einander abzuheben. Der panhellenischeDialekt, als höchst künstlicher, verschiebbarer Mischdialektwird nicht erreicht: ein anderer Weg war der, dem mächtigstenStaate, dem fruchtbarsten an Dichtung und Lesewerken,auch das Uehergewicht in der panhellenischen Redezu schaffen: früher war es das Milesisch- Ionische, welchesein solches Uehergewicht besass, es bestimmte alle Prosa.Später ist es das Athenische, ein Einzeldialekt, der die anderenniederwirft, als xoivy] später regiert; Gorgias thut den Griffund spricht in Olympia athenisch. Nun kommt die athenischeTragödie und trägt über alle frühere Dichtung den Siegdavon: von Aeschylus ab überwindet sie den stadtischenCharakter, ganz Hellas fühlt hier seine Kunst, immer mehrTheater entstehen und überall hält man sich an die athenischenMeisterwerke, Aeschylus führt die Perser in Athenund in Syrakus auf, er dichtet die Aetnaeerinnen für dieGründung der Stadt Aetna, am makedonischen Hofe zeigtsich das stärkste Verlangen nach den athenischen Tragikern,Euripides und Agathon sind dort zu finden.23$


Erst nachdem durch die wandernden Sophisten überalleine Bildungsaristokratie angepflanzt war, nachdem eine StadtCentralsfätte der Bildung geworden war, ihre Sprache derallgemeine hellenische Btldungsdialekt: ist ein weitverbreitetesLeseptiblikum da, das sich nun auch die eigentlichen Litteratenerzeugte. Es giebt damals eine grosse Masse, die noch ganzunlitterarisch ist 5 die Gebildeten und die Ungebildeten scheidensich aufs Schärfste, zum Nachtheil für Beide. Merkwürdigist nun, dass die Gebildeten, die Lesenden im Allgemeinensich von der Poesie abneigen, eine Art Ekel ampoetischen Ausdruck entsteht, die geistreiche SchUchtheitund Direktheit, das Logisch-Magere gefällt hier; noch zuAristoteles' Zeiten zollt aber die grosse Masse denen Beifall,welche eine poetische Sprache reden. Die Tragödie und derDithyramb gehen zum Theil dem Modegeschmack der Gebildetennach: Euripides höchst entscheidend, seine Sprachewar so, dass sie auch gelese1^ werden konnte. Die Spracheder eigentlichen ava^vwaTi/oi wie Chairemon ist ganz nachdiesem Muster. Der damalige Leser war das feinhörigsteund auch tadelsüchtigste Wesen. Die grossen Begründer derLeseprosa, wie Isocrates, haben an ihrer Aufgabe gearbeitet,als ob es sich um eine neue Heraklesarbeit handelte. Erfühlte es, dass er nicht mehr für Athen, für eine einzelne•n;6Xi? arbeite: wie er auch den panhellenischen Gedanken inseinen Schriften zum Ausdruck bringt. Es ist eine vornehme,kältere Geistigkeit, welche die eigentliche Leselitteratur schaffund begehrt; man hat die Wirkungen durch Schauspielerkunst,Augenweide der bildenden Künste, Musik, Anrufung derLeidenschaften, des Gemüths, etwas satt, man fühlt mit demPathetischen des Ausdrucks nicht mehr mitj im Zeigen desAflfekts sieht man entweder etwas Zügelloses oder Schauspielerhaftes.Diese vornehmen Menschen haben sich allesehr in der Gewalt und verstehen es, sich kalt und besonnen235


zu stellen;sie haben viel gelernt und denken gerne dialektischfür und wider; ein paradoxes Thema isteine Feinschmeckereifür sie: alle ihre Eigenschaften gehen auf den Schriftstellerüber, der sie als sein Publikum betrachtet; dieselben Eigenschaftenconstituiren sich als Maassstäbe des Urtheils auchüber die älteren Schriftsteller und Künstler. Man nimmt anvielem Anstoss; besonders die Vielwissenden finden in denälteren Dichtern viel Albernes: aber die noch feineren Köpfelegen sich die Sonderbarkeiten wieder zurecht durch freieInterpretation, naturwissenschaftliche, moralische, symbolische.Als das LesepubJikum da war, war das naive Verstehen deralten Dichter und Schriftsteller vorbei; man wollte diese nichtmehr verstehen aus ihrer Zeit und Art heraus — wie dasdie modernen Menschen mit allzugrosser Gefälligkeit thun.Mochte man sie nicht ganz bei Seite thun, wie es die ehrlichstenLeute, Plato z. B., thaten (namentlich auch dieCyniker, die sich nichts aus Dichten und allgemeiner Bildungmachten), so musste man sie sich zurecht interpretiren,auf die Höhe der Zeit hinauf!Der sophistische Interpret und Fhilolog ist das nothwendigeHülfsmittel der Lesebildung, um nicht ganz mit der Bildung,Kunst und Dichtung der Vergangenheit brechen zu müssen.Homer als ludvaofpo? Kenner aller Künste und Wissenschaften(Geographie eingeschlossen!) — das war eine nothwendigeBehauptung — keine Spielerei, sehr ernst und emphatischgenommen: hier wurde leidenschaftlich gekämpft, denn eshandelt sich darum, ob man die Einheit der ganzen Bildungaufgeben wolle oder nicht, ob die lesenden Hellenen in derZeit des Aristoteles noch ein Anrecht auf die Dichter undSchriftsteller des alten Hellas haben. Wenn man sie fahrenHess,worauf konnte sich dann jene höhere allgemeine Bildungnoch stellen! Wo war noch ein Fundament! Man fürchtete,allen Zusammenhang unter sich zu verlieren, sich gar nicht237


mehr zu verstehen, für Sitte, Staat, Religion nichts Verbindendesmehr zu haben, ganz in der Luft zu schweben. —Einige wagten es, es sind die philosophischen Sektirer: die habenihr Fundament, freilich abseits von aller Tradition. Aberselbst ganze philosophische Sekten hielten es für nützUch,die ältere Litteratur als eine einleitende, vorbereitende fürsie zu interpretiren, z. B. Homer als Stoiker oder Skeptiker.5. Einwirkung der Gattungen auf einander.Die Griechen waren in Betreff der Originalität nicht peinlich,das ist bekannt, sie nahmen das Gute, woher es kam,und schätzten überhaupt mehr das Vollenden als das Erfinden.Man liebte es, dasselbe plastische Motiv hundertfach nachzubilden(8k xal TpU t6 xaXov), mit den zartesten Veränderungen;alles Gute schien Gemeingut. Diese Gesinnungherrscht auch bei den Trägern der Litteratur: deshalb erscheinendie Gattungen iiicht starr neben einander, ohne Berührung,es ist vielmehr ein beständiges Hinübergreifen, wojeder aus der anderen Gattung holt, was er in dieser brauchenkann. Ebenso wie die Griechen zum ganzen Oriente stehen!Vom Dichter des homerischen Epos hat man jedenfallsanzunehmen, dass er die schönsten Motive, die er vorfand,nicht zurückwies ; es ist das der unlösbarste Theil der homerischenFrage, wie weit der Dichter seinen Vordichtern verschuldetist.') Er und sie haben etwas Anderes entlehnt, dasist die Sprache, zusammen mit zahllosen Wendungen undFormeln, sie sind bei der hieratischen Poesie in die Schulegegangen und haben tüchtigzugegriffen.^) [Anmerkung von späterer Hand] Homer alles entlehnt: aber in denleisesten Veränderungen der kostbarsten entlehnten Motive und deren Auswahlliegt seine Grösse — und in der Cowposition derselben: das kann mananalogischerschliessen.238


hatDarauf finden wir den Dichter des hesiodischen Epos, erin Kleinasien etwas von der epischen Composition gelernt,jetzt macht er die Anwendung, indem er die Spruchweisheitseiner Gegend an einem Faden der Erzählung zu einemGanzen aufreiht und ebenfalls viele einzelne theogonischeSagen und Dichtungen zusammenbringt, in systematischerFormj es ist die Kunst des umfmglkhen Baues hier versucht.Inzwischen nimmt ein Anderer die homerische Sprache undVerskunst und fügt zu einer rhythmischen Flötenweise, dieaus Phrygien stammt, metrisch gebundene Worte: der Erfinderder Elegie. Nachdem nämlich einmal das homerische Liedsich überall hin verbreitet hatte, benutzte man seine Spracheals eine dichterische xoiv^, in der man überall sich verständlichmachen konnte. Durch die Elegie verpflanzte man die Dichtungins Symposion, die vornehmen jungen Männer, nicht mehrnur die Rhapsoden, lernten den Vortrag und auch das Dichtensolcher Poesieen: durch diese praktische Uebung kam manzu einem ganz andern höheren Kunstgefühl und Kunsturtheil;ebenso wie in der grossen Periode der klassischen Instrumentalmusikund der Entwicklung der Tragödie nach den Perserkriegenfast jeder vornehme Mann den auX6? blasen lerntund sich mit Instrumentalmusik abgiebt.Auf Grund dieses erhöhten Kunstgefühls und der VerbreitungHomers und der Elegie konnte nun der musikalischdichterischeVirtuose des Agons auftreten: Terpander vonLesbos, der erste, der zugleich Dichter und Componist ist,als Dichter hängt er von Homer ab, als Musiker von denIaeXy] des Orpheus und Amphion, d. h. von der thrakischenMusik. Ebenso ist aber Lesbos von der phrygischen Musikergriffen (durch Olympus charakterisirt, der das tjOo? durchMusik darstellbar entdeckt). Hier kommen beide Musikströmungenzusammen, die uralt-hieratisch- thrakische unddie fanatisch-dithyrambische aus Phrygien: die lesbische Musik^39


wandert dann durch Terpander und seine Schüler und machtsich die dorischen Musikfeste im Peloponnes, z. B. die Kameenin Sparta, unterwürfig. Die spartanische Musik der erstenxaidoTaai? ist wesentUch die lesbische. Ebenso bei denpythischen Spielen, wo Terpander selbst viermal siegt. —Der grosse Individualist Archilochos ist bei Lebzeitendes Terpander abhängig von ihm: er bildet die terpandrischenHymnen auf die Götter mit päanischer Einleitungnach und fügt Flötenmusik hinzu, d. h. giebt diesenHymnen einen leidenschafthchen Ausdruck, da sie vornehmlichfür die leidenschaftlichen Culte der Demeter und des Dionysoszu dienen hatten. Im Ganzen aber hat doch in der Musikdes Terpander, Archilochos und Thaletas der Einfluss derorphisch-hieratischen Musik das Uebergewicht, gegen diephrygischen Einflüsse ist man sehr behutsam, wenn auch nichtablehnend. So ist es auch noch bei der zweiten musikalischenxaxdaTaai?, deren Heimat Arkadien und Argolis ist;die Meistersind Thaletas aus Kreta, Xenodamos aus Kythera, Xenokritosaus dem italischen Lokri, Polymnastos aus Kolophon undSakadas aus Argos: die Gelegenheiten sind die Endymatienin Argos und die aTuoSsi^ei? in Arkadien.Dagegen kommt in den grossen Oratorien des Stesichorosder Einfluss des phrygischen Olympos zur Herrschaft: erhängt nicht mehr von der orphisch-terpandrischen Musikab: das giebt ihm seine Stellung. Noch mehr kommt durchdie Entwicklung des Dithyrambs diese Richtung zum Siege:der Lesbier Arion lernt von der Lesbierin Sappho die mixolydischeTonart, welche nach Plutarch Tra&YjTixTjund Opr^vwBixiQist; er verwendet sie im Dithyramb. Von ihm nimmt siedann der Sikyonier Epigenes,der Tragödiendichter, und dervererbt sie an die attischen Tragiker. Diese verwenden sie,um eine ergreifende Wirkung auf das Gemüth hervorzubringen,während sie das Dorische zum Ausdruck des240


Erhabenen und Würdevollen benutzen: sie sind die Erbender ganzen früheren Musikentwicklung. So steht es fest, dassAeschylus in der tragischen Melik von Terpander abhängigwar, dass er dessen 6pi}io? vojxo? benutzte; ebenfalls dass dietragischen Dichter von Archilochos gelernt haben, Jambentheils mit Begleitung zu recitiren, theils zu singen: hier istjedenfalls schon Arion vorangegangen, von dem wiederEpigenes von Sikyon lernte.Derselbe Arion ist Erfinder desTpayixo? TOTTo? (Stimmlage), d. h. er hat den Bassgesang eingeführt,für den auftretenden Heros; denn diese sangen inder Tragödie immer Bass. Vor Allem übernahm man ausder Ausbildung des Dithyramb durch Lasos (zur Zeit derPisistratiden) das dithyrambische, (feurige, enthusiastische)Tempo und die grösseren Orchestereffekte für die Tragödie.Es taucht in der Geschichte der griechischen Poesie undMusik immer wieder von neuem der gleiche Gegensatz auf:eine freiereenthusiastischere Richtung und daneben eine gebundenere,würdevollere, mehr hieratische. In ersterer liegtdie Kraft des Fortschritts, in letzterer die Kraft der Stabilität:sie sind immer in Fehde. Doch ist die Stufe, welche als gebundenerund hieratischer erscheint, verglichen mit einernoch früheren, eine freie, fortschreitende: es giebt eine Zeit,wo sie heftig bekämpft wird, als neumodisch und verführerisch,und später kommt wieder eine Zeit, wo die Vertreter desAlten und Ehrwürdigen sie als ihre Musik und Kunst (einerneueren gegenüber) vertreten. Man muss also bei der Polemikgegen solche Stufen sehr die Zeit unterscheiden. PindarsDithyramb ist z. B. vergleichsweise hieratisch und reaktionär,verglichen mit dem neuern Dithyramb: und doch wiedersehr fortgeschritten gegenüber dem ältesten des Arion. Derälteste Dithyramb unterschied sich noch nicht sehr vonden Päanen der zweiten xaidaiaai?: wie man wohl die16 Nietzsche V 24I


Dichtungen und Compositionen des Italieners Xenocritosauch schon sonannte.Die glückliche Entwicklung der antiken Kunst beruht darauf,dass man mit ausserordentlicher Schonung dem Altenentgegenkommt, aber das Neue doch zulässt: das Neuemtiss aber erst ganz dem Volke gewohnt worden sein undselber gesetzlich werden, bevor wieder etwas Neues kommenkann: stoss weises Vorwärtssichbewegen, unaufhörliche Stabilität(„Statigkeit") und sicheres Verharren des grössten Theilsvom Alten. Noch einmal wird die Musik und Dichtung aufdie Stufe des Gebundenen, Würdevollen, Reaktionären gedrängt,die Tragödie des Aeschylus und Sophokles als „klassischeMusik" festgestellt — dadurch dass die letzte Erhebungder Musik und der Dichtkunst erfolgt, in dem neuen Dithyrambund Nomos, der schon auf Euripides Einfluss bekam.Der Kampf war der heftigste, es mögen in der That vielebedenkliche Elemente in dieser letzten Phase der Lyrik undMusik sich gefunden haben. Siegreich war sie jedenfalls undso glänzend, wie nie vorher eine Phase gesiegt hat. Aberwir vermögen mit den Hellenen, welche in Timotheos einen„Gott" auf Erden sahen, nicht mehr sehr zu sympathisiren, esistdie Musik und Lyrik nicht einmal der untergehenden altgriechischenGesinnung, sondern der neuen geistreich- üppigen,müsse- und festesüchtigen und servilen neuhellenischen Gesinnung.Es war nicht die Kunst, welche die Leute zur Scham,zur Rückkehr, zum Ernste zwang: sie war aber aufregendund berauschend und jedenfalls etwas überaus Herrliches.Haben wir die Einwirkung der Gattungen auf einanderhinsichtlich der Musik verfolgt: so nun noch hinsichthchder Sprache. Auch hier finden sich immer zwei Stufen nebeneinander, eine dithyrambischere, kühnere Sprache und eineschlichtere, einfachere, hieratischere. Das geht immer mitder Stellung zur Musik Hand in Hand. Auch hier sind die242


Tragiker die Erben der ganzen früheren Entwicklung: siebenutzen alle geschaffenen Stilarten des poetischen Stils, denepischen in den Boten -Erzählungen, den stesichorisch-pindarischenin den Chorgesängen, den archilochisch-soloni sehendes Jambus in dem Dialog. Das gilt auch hinsichtUch derDialekte: ivie sehr die Hellenen sorgsam in ihrer Lust anPoesie waren, beweist sich namentlich durch die Ausbildungverschiedener poetischer Dialekte, die man nehen einanderverstand und übte: so dass eine ganze Stadtgemeinde wiedie athenische an verschiedene Dialekte zum Ausdruck verschiedenerFärbungen des Ethos und Pathos gewöhnt warund nicht lachte, wenn Jemand in der Tragödie eine aeolischeoder dorische Form brauchte.Nun die Einwirkung der Foesie auf diQ prosaischen Gattungen.Die Kunstprosa, wie sie zuerst Gorgias ausbildete, war ganzund gar von der poetischen Sprache abhängig, von w^elcher?Unzweifelhaft ist es der Dialog der aeschyleischen Tragödie,und der öffentlich auftretende Kunstprosaiker ahmt demaeschyleischen Schauspieler nach. Als nun Euripides dengewählten Stil erfindet, der im Wesentlichen aus gemeinüblichenWorten besteht, aber durch die Auswahl sich einenfremdartigen Reiz giebt (nach Arist. Rhet. III 2 TCpÄxo; 67ceS£i^£),da macht sich Thrasymachus den Fund des Euripides zuNutze und wird Erfinder des mittleren Stils und der Periode.Isokrates endlich kommt mit seiner Forderung der rhythmischenProsa der Poesie wiedef einige Schritte entgegenund macht dann halt: andere gingen später weiter und Alles,was an Lust am Rhythmischen durch die Poesie in denGriechen gepflanzt war, tobte sich später in allen möglichenrhythmischen Formen der Prosa aus. Der Vortrag der Rednerwurde immer mehr abhängig vom Vortrag der Schauspieler:und beim vollendeten Redner Demosthenes muss mannicht vergessen, dass in seiner Bildungsperiode die höchste16*243


jMeisterschaft der tragischen Schauspielkunst erreicht wurdesein Nebenbuhler Aeschines war Schauspieler gewesen undhatte vornehme „königliche" Manieren in Haltung undSprache beibehalten.Die Philosophie erscheint zuerst ganz abhängig von derPoesie: doch so, dass sich eine Gegenrichtung entgegenstellt,die den Fortschritt vertritt und auf das Unpoetischeund Nüchterne ausgeht. Jene Philosophen, die sich desMetrons bedienen, auch etwas Priesterhaftes und Seherhafteshaben, sind die Alterthümlichen und Zurückgebliebenen, dieAnderen wollen den Gedanken möglichst streng. Aber auchunter den Prosaschreibenden selber zeigt sich dieser Gegensatz:Anaximander, Heraclit die Rückständigen, Zeno, Anaxagorasdie Fortschreitenden, Demokrit der erste Klassiker, ineiner gewissen Mitte der Ansprüche: derselbe Gegensatzspäter zwischen Plato und Aristoteles: letzterer zeigt die rücksichtslosesteAbsicht, alles Poetische fernzuhalten, er ist derGegenpol: doch nur in seinen wissenschaftlichen Schriften.Die Entwicklung des sokratischen Dialogs ist abhängig vomEinfluss der Redemeister und Sophisten^ man konnte anderswoeben nicht schreiben lernen und machte, wenn einmal geschriebenwerden musste, hohe Ansprüche: so schrieb Sokrateslieber nicht, offenbar weil er es nicht gelernt hatte.Aeschinesund Antisthenes, die beiden Meister des sokratischen Dialogs,hängen von Gorgias ab, Xenophon von Prodikos. Sehr einflussreichwar auch der Dialog der attischen Tragödie undKomödie. —Die Historie erhebt sich als die Nachblüthe der epischenBegabung, die Historiker haben vom Epos die Compositionund das Erzählen gelernt. Deshalb giebt es keine Stümperei,sondern gleich die ersten Historiker sind Meister, wie Hekataeusvon Milet: sie erscheinen auf dem Punkte, wo dasabnehmende erzählende Talent noch und der zunehmende244


Sinn für das Wirkliche schon bedeutend genug sind: in derMitte zwischen dem phantasievollen Lügen-Epiker und demziemlichtrockenen Berichterstatter.6. Blüthe, Entartung,Wiederaufblühen in den Gattungen.Man rühmt ganz besonders die „naturgemässe Entwicklung"der griechischen Litteratur und wieder jeder einzelnenGattung, ja man meint, darin eben allein die Naturgeschichteder Poesie zu haben: überall sonst sei es unregelmässigerzugegangen. Da ist viel Blendwerk dabei: erstens ist bekanntlichdie Art,wie die Natur ihre Gattungen entwickelt, keinesw^egsein Muster der Vernünftigkeit, sie kommt nur bei einemübergrossen Reichthum damit zu Stande, und es missHngtihr in der Regel, das Gelingen ist die Ausnahme — insofernwäre jene Behauptung kein Lob. Sodann hat man erst dieAesthetik nach dem allgemeinsten Schema der griechischenEntwicklung gemacht, z. B. in der Aufeinanderfolge: Epos,Lyrik, Drama, und hinterher darin eine innere Nothwendigkeitzu begreifen gesucht. Je mehr ich nun diese Entwicklungbetrachte, um so weniger sehe ich noch von dieserNothive^rdigkeitj welche alle die Einzelnen dirigirte. Vielmehrtreten die Dinge lange nicht so einfach und instinktiv, ohneRücksicht auf die ästhetischen Kategorieen, viel <strong>com</strong>plicirterauf, die Individuen gewaltsamer, die Entartungen häufiger,das Irrationelle sehr mächtig: und am allermeisten spüre ichdie Vnvoüstand'igkeit des Materials. Kaum eine einzelne Gattungist so erhalten, dass man ihren Verlauf etwas controllirenkönnte: höchstens die Rhetorik: aber auch da fehlendie interessantesten Epochen, z. B. die verschiedenen Stufender Entartung und der Kampf früherer Stile durch zwei Jahrhunderte.Im Allgemeinen möchte es mir aber mehr scheinen,dass die Entartung auch in Hellas überiviegendj das Gute selten ist,245


dass die Entartung hinter jeder grossen Erscheinung her ist, dassin jedem Augenblick der Ansatz zum Ende da ist,dass die Liniezwischen einem Genius und dem andern selten eine gerade Linieist, dass eine Menge von Formen der Entwicklung erdrücktworden sind, und dass es überhaupt sehr gefährlich herging.Will man das „naturgemäss" nennen, so habe ich nichts dagegen.Die Entstehungder griechischen Poesie geschah nicht autochthon,sondern auf fremden Einfluss hin: die Thrakier und dieKleinasiaten machen sie mit ihrer Musik bekannt, mit ihrenRhythmen, die Griechen versuchen ihre Sprache nach diesenRhythmen zu bewegen, den Eindruck jener orphischen undolympischen Melodieen in Worten wiederzugeben. Die Musender Same der Tragödie, Philosophie und Wissenschaftsind lydisch-thrakisch ursprünglich. Ebenso kam, im 6. Jahrhundert,noch einmal eine grosse Sturzwelle asiatischer Einflüsse,wurde mitgeschleppt,das Ernster-Tieferwerden der Hellenenkam ihnen nicht von innen: denn ihr eigentliches Talentwar, wie Homer zeigt, die Ordnung, Verschönerung undVerflachung, das Spielen und eu o^oXaCeiv. Während des6. und 5. Jahrhunderts war im fernen Indien die Erscheinungdes Ernstesdes Lebens übermächtig geworden: aus der zuletztdie buddhaistische Philosophie und Religion hervorging. DieletztenWellen dieser tiefen Bewegung schlugen an griechischenüber diesenBoden an. Nun bemüht sich wieder das hellenische Wesen,aufgezwungenen Ernst Herr zu werden, es separirtdie Ernsten (in den Philosophenschulen) und benutztdie Leidenschaft: am Schönsprechen, zum schönen Auftretendazu, um die Seelen wieder hohl und scheinsüchtig zu machen:ihr später Triumph der Sophist des 5. Jahrhunderts, der ganzAussenseite und pomphaftes Wort ist.')Die Abneigung des') [Anmerkung von späterer Hand.] Selbst das Agonale der griechischenNatur kämpft gegen den Ertist der Philosophen an. So gilt eine Niederwerfungin der Dialektik für einen Sieg der Wahrheit — unwillkürlich.24Ö


klassischen Hellenenthums gegen die Strenge der Wissenschaft(wie gegen die Strenge des Lebens) zu Gunsten des Gutsprechenszeigt sich am wunderbarsten im Athener (cpiXoXoYo?)Sokrates: die Philosophen vor ihm, eine kleine Zahl! habeneine ungeheure Arbeit in Mathematik, Astronomie, Physikgethan, da ist nun freilich Thaies ein wirklicher Phönizier,Pythagoras ein Schüler der Aegypter, und Demokrit, dieeigentlich ivissenschaftlkhe Natur, vielleicht ein Thrakier: wiees zu dem besten Theil der wissenschafthche HistorikerThukydides war. Sokrates machte sich über diese wissenschaftlichenLeute lustig, Sternkunde sei etwas für Nachtwächterund Seeleute, man solle überhaupt nicht wissenwollen, was die Götter sich vorbehalten hätten, Mathematiksei gar etwas Lächerliches; man müsse erst mit sich imReinen sein, ehe man zu den Wissenschaften komm^e: undWimti sei der Mensch so weit! Da musste freilich erst dieWissenschaft wieder durch einen halben Makedonier (wieAristoteles) und durch viele halbe und ganze Aegypter undSemiten zu Ehren gebracht werden: damit die alexandrinischeBlüthe der Wissenschaften zuletzt noch gar als Erzeugnissdes griechischen Geistes erscheinen kann. — Es ist zwischenDemokrit und Sokrates ein Riss, keine Brücke: Sokrates erfindeteine neue Form des eu o/oXdCsiv mit der Leidenschaftfür Zwiegespräche, aber die wissenschaftliche Forschung unddas einsame Gelehrtenleben macht er seinen Schülern zueinem Gegenstande des Widerwillens. Das Reden können,das durch Reden niederwerfen können, tritt übermässighervor: die Meinung, es sei ein Satz -mderlegt, wenn diePerson, die ihn vertritt, sich hat durch Dialektik fangenlassen. Aus seiner Schule ging, wie billig, als grösste Schöpfung,eben Dialektik und Logik hervor.Also: die Genesis durch auswärtige Antriebe bedingt, dietiefen, gründlichen und ernsten Geister sind eine Ausnahjne,247


die Regel. ist, dass die aus der Fremde entnommenen Formenzum schönen Scheine umgebildet werden : man hasst das Ernsteund Gründliche als eine Art Verzerrung. Der Typus für das,was die Griechen eigentlich können und mögen, ist die Erzeugungder olympischen Götter aus einem wahren Chaos vonfremden, zum Theil ungethümlichen und schrecklichen, zumTheil falsch verstandenen Gottheiten. Plato hat ganz Recht,wenn er das [xi[i.£tadai bezeichnet als das Werk von Solchen,die weder das rechte Wissen um die Dinge haben, noch vonsolchen Wissenden sich leiten lassen, sondern die es so machen,wie esder grossen Menge der Nichtwissenden gut erscheint:der Maler malt z. B. nicht Zügel und Zaum als ein Kundigerebensowenig wie ein Riemer sie macht (nachder Reiterkunst,Anleitung des kundigen Reiters), sondern so wie sie demunerfahrenen Nicht-Reiter schön erscheinen. Diesen hellenischenSinn für das Schön-scheinen, den Sinn der Ordnung imScheinbaren, das Nachahmen nicht zum Gebrauch, sondern zurkünstlichen Tauschung, wird man nun auch in der GeschichtejederGattung finden.Am besten kann man das an der Rhetorik zeigen. Nachdem Höhepunkt in Aeschines und Demosthenes zeigt sichdas Sinken so: da haben wir in Dinarchus den Vielseitigen,den Nachahmer verschiedener Stile, der bald Hyperides, baldbald Demosthenes vor Augen hat — ein gewöhnlicherLysias,Hergang bei der Blüthe einer Kunst, dass begabte Talentehin und her gezogen werden und eine grosse Fertigkeit inverschiedenen Stilarten erlangen: immer ein Nachtheil fürdie Kunst, weil sie äusserlich zu den verschiedenen Stilenstehen. Beim grossen Künstler ist der Stil aus ihm, mitNoth, gewachsen^ hier ist es, als ob man einen Stil wie einKleid anziehen und ablegen könne. Solche Künstler verderbendas Urtheil, das Gefühl: überdies nutzen sie dieFormen ab und wirken so der Nachempfindung der ganz248


grossen Werke entgegen.Dann haben wir Demades, den Improvisator:bei jeder hohen Kunstblüthe giebt es reproduktiveTalente, die auf Grund einer allverbreiteten hochentwickeltenTechnik durch ein momentanes Qmsi-Schafjen in Erstaunensetzen. Sie verderben den Sinn für Originalität und nehmendem mühselig ringenden Genius den Preis seiner Mühe unterseinen Augen weg, auch den Beifall und Ruhm. Wir habendrittens den Phalereer Demetrius, den „Verfeinerer", das Talentfür vornehme und verführerische Kuyist, mit etv\'as Reaktionim Grunde. Ihm ist Demosthenes zu stark, zu derb, zu schauspielerhaftj sein Auftreten und Benehmen ist ruhiger, „würdiger",lässiger und anmuthiger zugleich, er benutzt die philosophischeFeinheit als Reizmittel für die öffentliche Rede.Für Cicero schien ganz Athen aus seiner Rede zu „duften"— ein verführerischer Duft! Wir haben viertens die eigent-Hchen Reaktionäre, die „Rückläufigen", welche die Vergangenheitwiederkäuen: bewusster Ueberdruss am Gegenwärtigen,Lust am Einfachen und Primitiven als mächtigem Reizmittel,es gab Lysianer. Dies alles noch vor der eigenthchen Wendung,die mitHegesias, dem Asianer, beginnt: dem Vergröberer,der auf die stärksten Wirkungen in jeder Beziehung direktausgeht: Herrschaft des Effektes.Das ist das Gefolge hinter jeder grossen Entwicklung her:die Vielseitigen, die Improvisatoren, die Verfeinerer, die Absichtlich-Rückläufigen,die Vergröberer. Das würde sich ungefährüberall nachweisen lassen, z. B. bei der Entwicklungder Tragödie, nur fehlt es uns meistens am Materiale. Selbstdie grössten Talente sind zumeist eine Zeitlang in einerdieser Bahnen, bis sie endUch ihre Klassicität, sich selberfinden. So war Sophokles nach seinem eigenen Zeugniss inseinen Jugendwerken auf Nachbildung des aeschyleischcn oyxo?aus: da er keine aeschyleische Seele hatte, war dies jedenfallsäusserhch und eine Vergröherung, — Das üeberhandnehmen249


der Zahl der Tragiker nach Aeschylus, Sophokles und Euripideszeigt, dass man sie, bei aller Bewunderung, dochzu leicht, zu flach nahm und sie nicht genug verehrte. DieSchritte auf einer solchen Bahn, nach solchen Vorgängern,sind viel schwerer und langsamer nach vorwärts jaber manbegnügt sich mit einem leichten Nachmachen, mit Schwelgenin Erinnerungen. Das täuscht den Dichter, der produktivzu sein wähnt und doch bloss Echo ist. Nur die grösstekünstlerische Ehrlichkeit erhält den Stil rein, diese Ehrlichkeitverlor sich: weshalb man die Fruchtbarkeit der grossenGenien mit der Fruchtbarkeit jener Nachahmer ja nicht verwechselndarf: letztere ein Zeichen des Verfalls!Auf eine ähnliche Weise scheint schon das Epos todtgemachtworden zu sein, durch allzu leichte Nachahmung: dannkommen diewirklichen Talente und finden alle Stoife schonverbraucht, die Theilnahme des Publikums vergeudet: soChoirilos,als er klagen musste, das er zuletzt in der Rennbahnerscheine: damals sei es besser gewesen, ot dxYjpaxo? ^v IxiXeifjKüv. Dann wieder Antimachos. Noch später Theokrit.Es sind die Ehrlichen, die dann dem leichten Geschmackwiderstreben und sich nicht durchzusetzen vermögen, odermit schrecklicher Mühe: wie Euripides, der sicher einer derEhrlichsten war und nicht ohne Weiteres seine Vorgängerausplünderte. Wir haben vielleicht noch im Rhesos ein Stückaus seiner Entwicklung: später geht er von diesem Wege ab:es ist ein Versuch, eine homerische Scene zu dramatisu-enjsehr viel Handlung, Lust am Geschehen, der Chor in einzigerWeise belebt und mannigfaltig, wenig Reflexion, keineSentenzen, Abneigung gegen das aeschyleische Pathos sichtbar.:ein Versuch, das dramatisirte Epos zu finden! Wie vieleWege und Entwicklungen sind so abgebrochen worden! DieEntfaltung der attischen Tragödie hat gar keinen so nothwendigenVerlauf, eine Menge Stufen sind ausgefallen.250


5Euripides zeigt, wie gewaltsam und bewusst der Einzelne seinkann: ebenso zeigt es Gorgias, der Schöpfer der attischenKunstprosa.Die ganz grossen Geister haben gewöhnlich einschweres Leben gehabt und sind spät zur Anerkennung gelangt,ihr Charakter ist es, der ihre Kunstformen durchsetzt, unddie verhältnissmässige Adenge von grossen Charakteren unter dengriechischen Künstlern und Schriftstellern ist es, was wir zubewundern haben, nicht einen instinktartig sicher verlaufendenGang der Entwicklung der Gattungen. Ueberall aber, wodie Charaktere hervortreten, ist die Geschichte irrationell,unberechenbar. Wenn es hellenisch ist, den schönen Scheinüber den Ernst und die Wahrheit zu stellen, so sind diegrossen Künstler wegen ihres charaktervollen Ernstes, mitdem sie ihre Kunst nahmen, Ausnahmen innerhalb der hellenischenWelt: es sind ihrer nicht zu viele! Um sie herumwar die Entartung, der Verfall — Rege/.7. Ueber die Fruchtbarkeit in den einzelnenGattungen.Gesetzt, wir wüssten die Zahl der in jeder Gattungwährend eines bestimmten Zeitraumes gedichteten Werke,sohätten wir durch Vergleichung der Zahlen durchaus keinenMaassstab für die Produktivität. Erstens ist das Werk einerleichteren Gattung dem einer schwereren nicht gleichwichtigeine Elegiedes Tyrtaeus kann billiger Weise nicht wie eineTragödie gezählt werden. Dann giebt es in den einzelnenGattungen so verschiedenartig produktive Dichter, dass dieWerke des einen durchaus nicht äquivalent denen des anderensindj und oft steckt in Einem Werke mehr Produktivität alsin hundert anderen. Ueberdies ist in den meisten Fällen jeneZahl nicht zu berechnen, vielleicht die Tragödie und Komödieausgenommen (z. B. alte Komödie 365 Stücke, von der mittleren617). Also mit Statistik ist wenig anzufangen. Man251


könnte nun die Fruchtbarkeit an der Leichtigkeit des Produzirensmessen wollen; es würde aber falsch sein, zu sagen,„wer am leichtesten produzirte, war der fruchtbarste Dichter".Denn erstens könnte der leicht produzirende doch noch derlässigste und bequemste sein und so in der Zahl seiner Werkehinter der Zahl der mühsamer arbeitenden zurückbleiben.Sodann ist die grösste Leichtigkeit immer auf Seiten derder Nachahmung gewesen.Routine,Man muss erst von der Schivierigkeit der einzelnen Gattungen,im Vergleich mit einander, ausgehen, sodann fragen,wie in der einzelnen Gattung die einzelnen Dichter gearbeitethaben, leicht oder schwer. Man hätte dort von der höchstenProduktivität zu reden, wo die Gattung selbst die grösstenSchwierigkeiten macht, und wo der einzelne Dichter wiedermit den grössten Schwierigkeiten, die er sich selber stellt,zu kämpfen hat und doch zu einer erstaunlichen Zahl vonWerken kommt. Hier zeigt sich, eben an der <strong>com</strong>pHcirtestenSchwierigkeit gemessen, die Höhe seines Triebes zum Schajfen,die Unbezwingbarkeit dieses Triebes: es ist nicht nur eineprolixe Zeugelust, welche unter zufällig günstigen und bequemenVerhältnissen sich zeigt, sondern eine solche, welcheunter schwierigen Hemmungen sich noch reich und fruchtbarzeigt.Im Allgemeinen habe ichnun den Eindruck, dass die griechischenMeister sehr schwer und langsam arbeiteten, aberunaufhaltsam, ohne sich zerstreuen zu lassen j die Geschwindigkeitist entweder ein Zeichen des Verfalls oder einerniederen Gattung. Bei Pindar, Euripides, Isokrates, Thukydidesund (um einen Vertreter des Epos zu nehmen) Antimachusliegt dies auf der Hand und ist bezeugt. DieSchwierigkeit liegt hier in der Höhe der eigenen Ansprüche,es sind originale Naturen, die sich durchsetzen wollen undschon erstaunlich grosse Vorgänger und deren Manier zu25^


fürchten und zu überwinden haben: während andere sichdas Ziel stecken, nur den hohen Ansprüchen, die das Publikummacht. Genüge zu leisten. Bei Pindar, dem auf Originalitätstolzen, ist es die allerhöchste Besonnenheit, mit derWort an Wort, Gedankenwendung an Wendung gesetztwird zu prachtvoller Verschlingung der Arabesken, er fühltsich allen Lebenden überlegen in den u|jLvtüv Tüxuxai (Ol. i,170), ein höchst mühsames Bauen, Ausmeissein, Decorirenkennzeichnet ihn wie andererseits Thukydides. Euripides istder (piXoTToviütaxo; in Betreff der Sprache, nach der Anekdotehat er 3 Verse in 3 Tagen gemacht, Goethe erzählt, dass erbei dem zweiten Theil des Faust etwa bestenfalls so viel aneinem Tage machte, als er mit der Hand bedecken konnte.Isokrates arbeitete 10— 15 Jahre an dem Panegyricus, es waretwas, den Kunststil der Prosa für alle Zeiten hinzustellen jebenso ist ja Demosthenes bekannt als ausserordentlicherArbeiter.Aber man kann es verallgemeinern, das Dichten undSchreiben galt als etw^as sehr Schweres (in der älteren Zeitnatürlich); man glaubte immer an übernatürlichen Beistandund nahm an, was einen zu so schweren Dingen treibe,könne nicht ein eigener Entschluss, sondern ein göttlicherZwang sein. Wir lassen uns leicht durch die berühmtegriechische Durchsichtigkeit und Leichtigkeit verführen, zuglauben, das sei alles Natur und sei den Hellenen geschenkt:Lichtenberg meinte, die Griechen hätten eben gar nichtanders gekonnt als gut schreiben. Das ist gar nicht wahr. DieGeschichte der Prosa von Gorgias bis Demosthenes zeigt einheldenhaftes Hindurchringen zur leichten reinen Composition;ebenso ist schon der Dialog der Tragödie die eigentlichesprachliche That der Tragiker, wegen der ungemeinen Helleund Bestimmtheit, bei einer Volksanlage, welche im Symbolischenund Andeutenden schwelgte, und welche an der253


grossen chorischen Lyrik dazu erzogen war. Und so ist esdie That des Homer, zu allererst die Helle der Compositionim Ganzen und Einzelnen errungen zu haben, daher die unendlicheBewunderung, er hat die Griechen von dem asiatischenPomp in der Poesie und dumpfen Wesen befreit.Es musste gar nicht für leicht gelten, etwas recht rein undhell zu sagen: sonst begriffe man die Bewunderung für dasEpigramm des Simonides nicht, es ist äusserst schlicht undhat nicht etwa eine Spitze, einen auffallenden Blitz: aber essagt, was es zu sagen hat, in der lichtesten Weise. Das Hinstrebenzum Lichte aus einer gleichsam eingeborenen Dämmerungist griechisch, es ist dies auch noch bei Euripides,bei Plato. An diesem Kampfe hat man ihre Fruchtbarkeit zumessen. Welches Frohlocken über eine lakonische Sentenz,wie die Sprüche der sieben Weisen, und schon vorher überdie gnomische Sprache bei Solon, Theognis, Phokylides, nochfrüher über Hesiod! Es ivar etwas, einem Gedanken dieletzte abschliessende metrische Form zu geben, so dass ernun darin fest wurde und er Jedermann deutlich war trotzdem Metrum. Vorschriften in Versen zu geben, galt nichtals unpoetisch, sondern als Sieg des hellen Geistes über dieGefahren der Dunkelheit, als apollinische That und somitrecht poetisch, d. h. schöpferisch. Gerade das, was uns dieElegie mitunter als leichte Gattung erscheinen lasst (was siespäter auch war!),die Geschmeidigkeit, die Nüchternheit sindder Naturanlage ^wgerungen, immer schwebte die Gefahreines Rückfalls ins Asiatische über den Griechen, sie konntenes von Zeit zu Zeit nicht entbehren, von da aus musstevon Zeit zu Zeit ein neuer Strom von dunklen mystischenRegungen über sie kommen, aber nicht ihnen vöUig unterliegend,sondern daraus neugestärkt auftauchend zeigt sichder eigentliche hellenische Genius. Deshalb fällt Dichtkunstunter die aocpia, und der Dichter ist 0096?, d. h. ein scharf254


,Erkennender, und Pindar wünscht am Schluss der Ol. i Trpo'f aviovoo'fia xad' "EXXava? eovta Travxa zu sein.')Die Schwierigkeitdes Dichtens und Redens lag zu eitens inder Verknüpfung der Poesie und Rede mit anderen Künsten,die gefordert wurde: so dass auch hierin Produktivität nöthigwar und der vollendete Meister vielseitig sein musste. Derchorische Dichter als erfinderischer Musiker und Tänzer(Ordner, Aufsteller des Chors), der tragische und komischeDichter ursprünglich sogar noch als Schauspielet (Erfordernissder plastischen Begabung fiit die Gruppe!), der epischeDichter musste sein Epos rhapsodiren können, der lyrischees singen und begleiten können, der Redner musste sich aufkunstvolle uTtoxpiai? verstehen. Die hier verwendete Arbeitdie verschiedenen Anlagen zu einer harmonischen Gesammtwirkungzu erziehen, ist ganz unberechenbar für uns; es gabganz allseitige Künstler (wie den Spartanet Gitiades, der Erzbildner,Baumeister und Hymnendichter war), aber merkwürdigersind die vielseitigen und doch einheitlichen Künstler,wie vor allem Aeschylus und die Anderen. An ihrten ist abergerade die Fruchtbarkeit am höchsten zu sehen/) weil sie jedenfallsdie grössten Schwierigkeiten zu überwinden hatten: einewiges Oau|Jia! Aeschylus mit 90, Sophokles mit mehr als 100,Euripides gegen 90 Stücke. Im 5. Jahrhundert wurden inAthen alljährlich an den grossen Dionysien neun neue Tragödienund drei Satyrdramen aufgeführt, also 12 Stücke vontragischen Dichtern (an den Lenäen keine neuen). Für eineZeit von 70—80 Jahren, vom ersten Siege des Aeschylus angerechnet, 484 bis auf den Tod des Sophokles und Euripides^) [Spätere Hand Nietzsches.] Den Deutschen einen Wink geben: jederwird als Kennzeichen des Fortschritts fühlen r. leichtere Luft, 2. milderim Lieben und Hassen, 3. muthiger, weil besonnener.^) [Spätere Hand.] Sie entlehnen Alles: der Dramatiker ist am wenigstenSchöpfer.


400" und 5, beschafften die drei grossen Dichter nicht mehrals den dritten Teil des ganzen Bedarfs, den übrigen Phrynichos,Pratinas, Choerilus, später Achaeus, Ion, Agathon,Aristarchos, Polyphradmon u. s. w. Um eine solche staatlicheEinrichtmig zu treffen,dazu gehört ein ungeheurer Glaube anProduktivität der Tragiker, das attische Festtheater hatte keinRepertoir von Stücken, die öfter gebraucht wurden, das gehörterst der Periode des Verfalls an, welcher eingetretenscheint nach einer zeitweiligen Ueberproduktion der extremstenArt, Karkinos mit ido, Astydamas der Aeltere mit240 Tragödien (d. h. alle Jahre dichtete er durch 60 Jahrehindurch vier Tragödien). Noch merkwürdiger bei den Komikern!Bei jedem der Feste, an welchen jährlich Komödienaufgeführt wurden, tratenim 5. Jahrhundert drei Dichter auf,nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges aber fünfDichter mit fünf Stücken, d. h. fünf an den Dionysien, fünfan den Lenäen, also jährlich zehn neue: und selbst so hatman für a. 390—290 noch einen guten üeberschuss vonStücken, die entweder gar nicht oder bei anderen Festen aufgeführtsind: so gross ist die Fruchtbarkeit (Antiphanes 160,Alexis 245: das heisst doch, dass in einer (5o jährigen Thätigkeit,jeder jährlich vier oder mehr Stücke aufführte!). Mankann berechnen, dass die grossen Tragiker durchschnittlichzwei Jahre zur Abfassung einer Tetralogie brauchten. Aristophaneswarf von Jahr zu Jahr eine Zeitlang je ein Junges,^ahr an gerechnet, AaitaXY]? BaßuXtovioi 'kjapf^c, 'Itutctj?vom ?7.Ne(feXai ScpTjxe? Eipi^vTf], da war er endlich 23 Jahre alt. Dasist wirkliche ungeheure Produktivität! Seine Thätigkeit umfasstetwa 40 Jahre und 44 Dramen (mit vier zweifelhaften)wurden ihm zugeschrieben: welche Unermüdlichkeit! Wenndie alexandrinischen Grammatiker von der alten Komödie3(^5 Stück zählten, so heisst das, jährlich sechs neue gerechnet,dass sie ihr einen Zeitraum von 61 Jahren gaben: zählten sie25Ö


für die mittlere Komödie ^17 Stücke, so ist das wieder einZeitraum von 61 Jahren 5sie rechneten natürlich nach denDidaskalien, nicht nach den erhaltenen Stücken j der Plutos(a. 388) gehört in die mittlere, es gab schon fünf Concurrenten(das scheint mir das äusserlich Entscheidende zwischenäpxaia und (leoTj), er war an der Grenze. Das heisst doch,die alten Didaskalien rechneten von 450—389 die a/te Komödieund 450 als das Einsetzung/jähr (die erste Komödie des Cratinusist von 449, die ÄpxiXoxoi). In der Zeit von 480—450herrscht in Athen ein überschwänglicher Glaube an Produktivität;der naivste Ausdruck ist wohl der, dass Aeschylusden Homer a/s Verfasser des epischen Cyklus verstand (vondessen Mahlzeit seine Stücke TSfxdxir] seien), das hiess, ihn alsVerfasser von ca.\6 mächtigen Epen zu verstehen!Die Produktivität der Philosophen ist am wenigsten nachBücherzahl zu bestimmen, aber wer ein Klassiker der Formwerden sollte, hatte freilich Uebung nöthig und durfte nichtso einsilbig sein wie die älteren Meister Anaximenes, Heraklit,Parmenides, Anaxagoras. Den ganzen Cyklus des Wissenswürdigenversuchte zuerst Democrit zu umspannen, nachihm Hippocrates für die Medizin, später für alles Aristotelesin noch grösserem Maassstabe: Knappheit und Schärfe warenfür alle drei dieses Ziels wegen nöthig. Plato hat für einen,der das Schreiben nur als Tuay/aXT^ iraiSid schätzt, viel geschrieben,schönste ubertas! natürlicher Reichthum! Aberbald geht das ehrgeizige N/V^^rschreiben los, dessen ExtremChrysipps Wetteifer mit Epikur ist.Chrysipp brachte es über700 Schriften und schrieb täglich 500 Zeilen, d. h. ungefähreinen Druckbogen.Unter den Historikern macht Theopomp den Uebergangzur Vielschreiberei, er brüstet sich damit. Seine rednerischenWerke belaufen sich auf 20000, seine geschichtlichen auf150000 — der aTip? etwa von der Grösse eines Hexameters,17 Nietzsche V 257


also zusammen etwa 4760 Seiten des Teubnerschen Formates.Das Buch wird ungefähr einen Durchschnitt von 58 Seitengehabt haben (bei Thukydides 75, bei Herodot 80, bei Polybiusund Diodor iio, nach Blass' Berechnung). In Betreffder Schwierigkeit des Producirens und zugleich der Masse desProducirten steht im Gebiet der Prosa gewiss Aristotelesunvergleichlich da, zumal er auch vielseitiger in der Formwar, als man gewöhnlich meint und im Dialog und Briefdie Klassicität der Kunstprosa erreichte: aber für den strengwissenschaftlichen Stil mit gedrängtestem Inhalt, so dass manden reinen Gedanken ohne jeden Schmuck zu hören bekommt,ist er ein unübertreffliches Muster.8. Ueber das Publikum der griechischen Dichter,Redner und Schriftsteller.')Hat der Grieche als Zuhörer und Zuschauer der Kunstdie gleiche klassische Einzigkeit wie als Schöpfer des Kunstwerks?Haben wir das Publikum, welches ihre Dichter fanden,als eine klassische Erscheinung zu bewundern? Verstandensie und empfingen sie so, wie sie schufen? — Das ist dasProblem. Oder: wenn Gerechtigkeit ist, jedem das Seine zugeben, waren die Griechen gerecht gegen die produktivenGeister,einander,namentlich auch in der Abschätzung derselben gegenals Kenner und Richter im Wettkampf der Talente?Die allgemeine Bewunderung und Lust an der Poesie reichtnoch nicht hin, es giebt eine sehr urtheilsunfähige Lust. Sieging zwar sehr weit, denn man opferte Homer gleich einemGotte und wählte Sophokles,nach seinem Antigone- Erfolg,^) [Aus den Dispositionsnotizen nicht verwerthet.] Die Gebildeten zurZeit des Euripides sind ästhetisch höher gebildet, aber ivohin neigt sich dader Geschmack! Früher sind es die vornehmen Familien, die Richter derTragödie, wo Musenkunst zur Erziehung gehört.Die Künstler haben sich gegenseitig gesteigert, nicht das Publikum.Demosthenes ist kein Klassiker der Prosa für seine Zuhörer u. s. w.258


zum Strategen 5wir werden von den Auszeichnungen undEhren noch sprechen. Aber die Emsicht in das Dichterische— wie stand es mit ihr? Sie lasst sich nicht durch jene ungeheurenBewunderungsausbrüche beweisen, diese beweisenmehr das Befremden (wie über etwas, das aus der Fremdekommt), das Ueberraschtsein, als die tiefe, innerliche, auf EinundMitblick ruhende Dankbarkeit. Und sowohl Dionysosals die Musen sind zugewanderte Gottheiten, die metrischenMaasse dem Auslande entnommen, die eindrucksvollste Musikvon Ausländern, Orpheus, Olympos. Und so kann man fragen— wie bei den Deutschen, ob sie, trotz aller ihrer grossenMeister, ein musikalisch einsichtiges Volk sind — ob dieGriechen ein ästhetisch helles Volk waren.Jedenfalls nahm die grosse Kunst der Lyrik, namentlichdie chorische, ihren Aufschwung unter dem Schutz der religtösenInstinkte des Volkes,oder einzelne Gattungen, wie dasEpinikion, unter dem der höchstgesteigerten Ehrsucht derIndividuen. Das Volk war dauernd ausser Stande, etwas reinästhetisch aufzunehmen, es war nicht Willens, von seineneigenen Urtheilen, Kenntnissen zu abstrahiren, es verlangte,dass der Dichter (ja die Personen der Dichtung!) derenDolmetsch seien, aber auch die Gebildetsten sahen in ihmden religiösen, moralischen, kenntnissreichen Lehrer undmassen sein Verdienst darnach. Der Kampf, der gegen dieDichter im Alterthum gekämpft wurde, richtete sich gegenihre Ansichten von Dingen, Plato, der den Hauptschlag führte,behauptete, sie seien unwissend. Die Gegenpartei kämpftefür die Wahrheit ihrer Ansichten (mit der schlimmstenDeutelei, und zeitig selbst mit allegorischen Versuchen) unddafür, dass sie als Wissende von den Dingen sprächen. Derganze Kampf hat etwas Ungereimtes, auf beiden Seiten! Esgeht ein Zug von Ungereimtheit durch alles^ was die älterenGriechen über Poesie sagen, ihr Urtheil ist unmündig, bis«7*259


auf die Zeit, wo die Philosophen wachsen. (Man hat nuran das parallele Geschick der bildenden Künste zu denken,über welche die Philosophen aus Hochmuth nicht einmalsprechen wollen: wie erscheint der Bildhauer bei Plato sogern neben dem Schuster und Riemer!)Hier kann man sichnun auf das Urtheil einzelner Dichterselbst berufen. Wenn Aeschylus dreizehnmal gesiegt hat, soist doch auf jeden Sieg eine Niederlage zu rechnen. Er warmit dem Kunsturtheil der Athener gar nicht zufrieden,Aristoph. ran. 820. Und Athen. VIII p. 347: er habe seineTragödien tä XP^"^^ dvaiiOevai — -hjXXYjOsU d5(x(o?j er stirbtU7u' dOu|jLia?. Den ersten tragischen Sieg erringt er vierzigJahre alt, nach fünfzehnjähriger Thätigkeit, er hatte schwerzu ringen. Ebenso ergeht es Euripides, auch er ist gegenvierzig Jahre alt und fünfzehn Jahre schon Dichter, als ersiegt. Und indem er innerhalb fünfzig Jahren ungefährneunzig Stücke macht, hat er fünfmal im Ganzen (d. h. alsomit zwanzig) gesiegt. Aber auch von der persönlichen Stellungder Dichter wird noch geredet werden.Was dem grossen Publikum eigentlich gefallen hat, siehtman an den Dichtern der Entartung, welche dahinter gekommensind, was eigenthch begriffen und bewundert wird.So ist die Entstehung des Ahenteuere^os nach Homer (Herakleiden,Theseiden) ein Verfall, gemessen an der Kraft desComponirens. Wie man zwischen „gereihter" und „periodischer"Rede unterscheidet — wo die periodische die kunstmässigeist so auch zwischen „gereihtem" Epos und „perio-—,dischem": aber die Entstehung des „gereihten" nachher zeigt,dass man keinen Sinn für die Composition, sondern nur fürdas Einzelabenteuer hatte, d. h. es fehlt der Sinn für daseigentlichHomerische.^)^) [Spätere Hand.] Ebenso der letzte Dithyramb gereihter Stil, nichtperiodisch,260


Im mythischen Wettkampf zwischen Hesiod und Homersiegt Hesiod nach dem ^f^^oc, IlaveiBoü, weil er Frieden undLandbau besungen, nicht Krieg: dies Urtheil galt als ungerecht,weil die Stimmung der älteren Griechen auf Seitedes Kriegsängerswar, d. h. es war auf den Sroff gerichtet, nicht aufdie Form. Was Solon gegen die Tragödie des Thespis einwandte,war das moralische Bedenken, ob er sich nicht schäme,einen Andern darzustellen, als er seij moralische Verketzerungder künstlerischen Nachahmung überhaupt! Heraklides warfüberhaupt den Athenern gröbliche Verirrungen im ästhetischenUrtheil vor, den Homer hätten sie wie einen Wahnsinnigenbehandelt und mit einer Geldbusse belegt, den Tyrtäus ausdem Lande gejagt (er sei verrückt). Phrynichus musste mitGeld büssen, weil die MiXt^tou aXwai? die Athener zu sehrergriffen hatte. Astydamas sei der erste Tragiker, den siemit einer ehernen Bildsäule geehi't hätten. Den Oedipus rexdes Sophocles haben sie durchfallen lassen. Ueberhauptmöchte man wissen, wonach eigentlich der aywv entschiedenworden sei, ich fürchte sehr, nach Urtheilen über den Stoffviel mehr als über die Form, nach dem Gefallen an Sentenzenund Missfallen daran. Aeschylus wurde der Entweihung derMysterien bezichtigt, Euripides entging mit Mühe einemAsebieprozesse. Um aber das Schlagendste über die ältereathenische Kunstkritik zu sagen: man erinnere sich, wie eigentlichAristophanes Kritik übt, was an Euripides von ihmausgesetzt wird, was Aeschylus bei ihm für eine kritischeSprache führt: es ist überraschend kleinlich und pedantischund sticht in der wunderlichsten Weise gegen die sonstigeFreiheit seiner Natur ab. Da macht sich Euripides darüberlustig, dass Niobe oder Achill in tiefem Unmuthe schweigendgesessen hätte, tief verhüllt: die Hörer wären gespannt wordendurch diese Dunstmacherei, „es schlich und schlich das Trauerspiel".Dann der Hohn über die Sprache, die grandiosen261


NaturschiJderungen (Aetnaausbruch, Weg der Feuersignalevon Troia nach Argos, von den Irren der lo, Wanderungendes Herakles), die Wunderthiere. Aeschylus fragt nachherfeierlich den Euripides, „was ist's, weshalb man den Dichterbewundert?" Er antwortet: „Die Belehrung ist's und dasswir bessern die Menschen in den Städten." Nun rühmt sichAeschylus der Sieben vor Theben „des Ares voll"^ „jederMann, der es sah, wurde von Kampflust durchglüht". Dannnennt er die Perser, damit „erweckte ich im Volk das Verlangen,stets freudig mit dem Feind den Kampf zu bestehn".„Zum Frommen und Heil sind stets die edlen Dichter gewesen,"sagt er, „Orpheus gab heilige Weihen und lehrteden Mord zu verabscheuen, Musäus brachte die Heilkunstund Orakel, Hesiod lehrte, wie man die Felder bebauenund ärndten müssej und was ist der Ruhm des Homer,wenn nicht, dass er Grosses gelehrt hat, Schlachtordnung,Gefecüt, Muth, Ordnung des Heers?" Dann rühmt er sich,dass nie ein liebendes Weib in seinen Tragödien vorkommt,keine Stheneboia, keine Phaedra, denn der Dichter soll dasSchändliche verhüllen, er ist in dem reiferen Alter der Lehrer.Dagegen habe Euripides Könige in Lumpen gehüllt auftretenlassen und Mitleid für die Armuth geweckt, dann habe erdem Volke Zungengewandtheit gelehrt. Darauf geht danneineabscheuHche Stocherei an den Prooemien des Aeschyluslosj am besten ist nachher noch die Karikatur einer EuripideischenMonodie. Es kommt in der ganzen Kritik nichtseigentlich Treffendes vor, wodurch die Dichter, nicht dieVolkslehrer, getroffen würden, aber viel Pedantisches.Nun denke man gar an Plato, der sich rühmt, sehr vonder Poesie bezaubert worden zu sein und sich mit Mühe wievon einer geliebten Person von ihr losreisse. Was wendetergegen die Dramatiker ein? Von ihnen bekommt der niedereTheil der Seele seinen Hunger und seine Lust gestillt, den262


jHeisshunger, sich einmal recht satt zu weinen und zu heulen,ja der edle Seelentheil werde in seinem Urtheil schwach undnehme es nicht so strenge, als ob er sich eben doch nur aneiner fremden Leidensgeschichte weide. Thatsächlich aberstehe fest: hat man durch das Anschauen jener fremdentragischen Fälle den jammernden Seelentheil (den mitleidendenund fürchtenden) grossgefüttert, so ist es gar nichtleicht, denselben bei eigenen tragischen Fällen im Zaumzu halten. Aristoteles, zur Rechtfertigung der Tragödie, meintdagegen, der leidenschaftliche Hang zu Mitleid und Furcht,der nach einem natürlichen Rhythmus im Menschen mitunterübermässig vorhanden sei, werde entladen, die Tragödieist ein moralisches Purgirmictel. Nach der Tragödieist der aristotelische Mensch kälter, mitleidloser als vorher,der platonische umgekehrt, wärmer, reizbarer, mitleidsvoller,seinen Affekten fnehr unterworfen 5 wer hat den tieferenBHck? — Aber jedenfalls ist das wieder nichts als die moralischeInstanz, bei Beiden. Und dann lese man nur die Republik,die Beweise, dass Homer kein guter Feldherr, Wagenlenker,Gesetzgeber gewesen sein könne, dass er nichtsordentlich gewusst habe.Man sehe, wie Sokrates im Protagorasdas Gedicht des Simonides interpretirt, wie willkürlich Platoseinen Sinn hineinlegt, wie alle Sophisten sich das Rechtzusprachen, aus den Dichtern alles, was ihnen zusagte,herauszuinterpretiren.Schon daraus ist zu schliessen, dass mandie Dichter viel weniger verstand, als man jetzt wohl glaubtsonst wäre ein so willkürliches Auslegen nicht allgemeingewesen. Selbst am grössten Kunstkritiker der Alten, anAristoteles, ist vielerlei völlig falsch: worüber viel zu sagenwäre: er hat keinen Blick gehabt für den grössten ProsarednerDemosthenes (den er sogar geringschätzt), noch für Thukydides,er behandelt Empedokles geringschätzig, er geht vonder Lesetragödie aus zur Beurtheilung der tragischen Kunst263


und meint, Aufführung, Aktion, Musik u. s. w. sei nebensächlich,Zuthat oder -^5ua|xaj von der Plastik weiss er sowenig als irgend ein Philosoph, ebenfalls war er ein Gegnerdes Isokratesund gründete gegen denselben eine rhetorischeSchule. Plato taxirte Euripides als den ersten tragischenDichter und nahm Antimachos, den Barocklyriker, in Schutz.Wie stand es nun mit dem Verstandniss bei der Menge,wenn es so bei den Gebildeten stand? Hat man wirklichein Chorlied des Aeschylus verstanden, mit dem vielfachRäthselhaften, Gewundenen, Dunkel-Geahnten mehr als Gedachten?Es ist gar nicht möglich, es muss der Menge genügthaben, den stimmungsvollen Eindruck eines solchen Chorliedeszu erfassen, zu dessen Verdeutlichung Musik undOrchestik mehr wirkten als das Wort. Und ebenso schonfrüher bei der chorischen Lyrik des Stesichorus, Pindar, Simonides.Es ist ebenso unmöglich, Heraclit bei einmaligem Hörenzu verstehen, auch wenn man Aristoteles wäre: der ihn sehrschwer fand. Der religiöse Gesammteindruck, der Zauber derMusik und des Tanzes, gelegentlich aufblitzende Gedanken,ein allgemeines Ahnen auf der Fährte der Gedanken desDichters — das war es, was die Menge daran hatte. EinemDichter, der dahinter kam, mochte wohl verzweifelt zu Muthewerden: wie Timotheos, als die Ziegelbrenner sein Lied falschsangen und er ihnen die Ziegel zertrat.Wenn trotzdem allmählich ein Kanon über den Werth derDichter zu Stande kam, an dem auch die gereiftere Kunsteinsichtaller Zeiten nicht mehr rütteln kann, so darf mannicht vergessen: es ist dies das Werk der kritischen gelehrtenZeitalter nach Alexander, die im hundertfachen Ventilirenjener Fragen endlich zu den rechten Gesichtspunkten kamen,d. h. es ist das Werk des unproduktiven Zeitalters. Wissen undKönnen ist nicht bei einander, die alten Dichter kamen zuihren Werken, ihnen oft selber zum Staunen, wie durch eine2(^4


übermenschliche Bezauberung und Eingebung. Und die Freudeüber ihre Werke war bei dem Publikum ebenfalls mehr blinderInstinkt und oft sogar viel verblendetes Urtheil, viel unschuldigeThorheit. Selbst im Urtheil des einen Dichters überden andern war nicht vergleichsweise eine Schärfe der Einsicht,die der Grösse ihrer schöpferischen Kraft entsprach.Es ist ein Räthsel, dass es so war, aber es iDar so.9. Der Erwerb durch die Dichtkunst undSchrift stellerei.Ist die Poesie in Griechenland auch zum Erwerbe benutztworden und hat sie dadurch in ihrer Entwicklung gelitten?Verdankt man mehr den Dichtern, die frei lebten und sangerp,wie der Vogel singt, und das Lied, das aus der Kehle dringt,für einen Lohn hielten, der reichlich lohnet? Pindar in derII. Isthm. spricht von diesem Gegensatz: vor Zeiten TcdXaiwar die Muse noch nicht «piXoxepBr^?, noch nicht epYdnc Lohndienerin.Jetzt geht sie auf die Spur des Mannes von Argos(Aristodemos), der gesagt hat ypr^\iaxa xpf^fxaT ä-^f^p. Der Mundder Terpsichore ist jetzt versilbert. Pindar selbst macht mitdem Lied eine Ausnahme: er dichtet es unbestellt und uneigennützigseinem geliebten Freunde Trasybulus, so wiefrühere Dichter aus Liebe zu Knaben (wo die Verliebtheitdie Muse ist:bei Alcäus, Ibykus, Sappho) ihre Lieder gedichtethaben, zum Andenken an dessen todten Vater Xenokrates.Simonides, der Rival, soll der erste gewesen sein, der seineMuse verkaufte. Anakreon, Alcäus, Sappho und ihre Schulehaben nichts mit Geldgew inn zu thun, ebensowenig Theognis,Solon. Aber man muss unterscheiden: wenn auch frühernicht das einzelne Lied bezahlt wurde — das hebt an mitder gesteigerten individuellen Ruhmsucht, welche durch dieTyrannen und die grossen Agone entflammt ist — , so gabes doch Berufsarten und Erwerbszweige, denen vorzugsweige2.6$


die Dichter sich widmeten: sie lebten von der Poesie, nochmehr von den sie begleitenden Künsten, wenn auch nichtgerade von ihrer eigenen Poesie. Wichtiger und nöthiger fürdie ältere Zeit war es, dass es, für bestimmte religiöse undandere Bedürfnisse, Meister des Vortrags und der musischenKünste gebe.Solche sind die xopo^i^a^^xaXoi im Dienste desCultusj zunächst die Lehrer der religiösen Tänze, Leiter derdramatischen Aufführungen des eigentlichen Stiftungsmythus,nebenher auch Gesanglehrer und Einüber der alten überliefertenGesänge, nebenbei, wenn sie es vermochten, auch Neudichter.Aber gewiss die wenigsten /opoSiScta/aXoi waren produktiveDichter, während alle grösseren Culte einen Chormeisternöthig hatten 5die Frage nach dem Verfasser der Lieder kamfür das religiöse Interesse der Griechen nicht so sehr in Betracht,man hielt sich an den aufführenden Meister und verzeichneteihn in den Urkunden. Ein seltenes Zeichen, wiehoch man einen guten Chormeister schätzte: Sannion, in derZeit, als der Redner Aeschines noch Schauspieler war, hattewegen versäumten Kriegsdienstes sein Bürgerrecht verloren:trotzdem liess man seine Verwendung zu. (Die eigenthümlicheHöhe der griechischen Lyrik, ihre Objektivität darin,dass sie anderen Subjekten diente. Abgesehen vom dichtendenIndividuum.) Simonides war in seiner Jugend im Dienstedes pythischen Apollo in der kleinen Stadt Karthaia seinerHeimatsinsel und hatte sein xopYj^etov bei dem Apollotempelnicht weit vom Meere. Lasos aus Hermione stand im Verhältnisszum Cult der Demeter, ebenso Archilochus, die SicilierStesichorus und Ibykus gehören zum Cult des ApoUon. Siestammen meist aus Familien,in denen jenes Amt sich erblichfortpflanzt: weshalb Pindar 6 uoXXa eiow? cpuä sich über Simonidesund Bacchylides tou? (xai)6vTa? lustig macht.Zweitens der auX-/]T-^c im Dienst des Cultus nöthig, sowerden in Inschriften aus Olympia die oTuovoauXai mit ver-166


zeichnet unter den religiösen Vorständen in Olympia.Pindarstammte aus einer solchen Familie, und Kallinos, der ersteElegiker, sowie Tyrtaeus sind Auleten. Das sind feste Anstellungenals Musiker: gelegentlich ist einer auch Dichter.Nun betheiligen sie sich daneben an den dyclivs?: was sie daerwarben, zeigt manche Notiz. Ebenso die xiöaptüBoi: bei denathenischen Panathenäen war der erste Preis für sie eingoldner Kranz im Werth von looo Drachmen. Freier sinddie 6 t: •/pi T a i , die Schauspieler, sie stehen im Verhältnisszu den bacchischen Culten und wandern, bald an diesem,bald an jenem Orte wirkend. Sie bringen alte Dramen mitund dichten w^ohl auch neue (wie noch zu Aristoteles' Zeitder Dichter und Schauspieler Theodoros). Epigenes, Thespisbis Aeschylus sind zunächst Schauspieler, bekommen aberdurch die staatliche Anerkennung der Tragödie in Athen,d. h. durch die Bemühungen, die sich nun die Phylen um guteSchauspieler und Dichter geben, dort einen sicheren Unterhalt.Vereinigung mit dem -/opoBiSdaxaXo?; später Trennung.Noch freier und noch weniger an den Ort gebunden istder Rhapsode, der vortragende Künstler des Epos. Er erwirbtseinen Unterhalt durch die grosse Menge musischer Festeund Wettkämpfe: so kommt Ion, der Rhapsode aus Ephesos,vom Asklepiosfeste in Epidauros in Argolis, in dem höchstanschaulichen Dialoge Platonsj aber bei jeder irav^Y^P^^ ist ergern gesehen, ja in der Xeaj^Yj jedes kleinen Ortes. In derälteren patriarchalischen Zeit war er der Gast der ßaaiXet?und hatte eine festere sociale Stellung, damals als eine besondereKlasse (cpuXov Od. VIII 481) der BvjiJiioepYoi angesehen.Er lebt nicht von eigenen Dichtungen, sondern von denerlernten älteren, gelegentlich ist er auch selbst Dichter, daswar gewiss die Ausnahme. Phemios hebt es als sein Verdiensthervor Od. 20, 347 auxoSiBaxxos 0' eifxi, Oso? oe |jloi ev cppeaivoifia? Tcavioia; evstpuasv. Ursprünglich muss der Rhapsode eben2(^7


doiSö? Sänger sein, erst später hat er einen rein recitirendenVortrag. Dass er in den Agonen nicht bloss Homerund Hesiod vortrug, sondern auch Archilochus, beweist eineAeusserung des Philosophen Heraclit. Kleomenes recitirt diexaOapfioi des Empedokles zu Olympia. Es gab Geldpreise fürsie, sie hiessen dpvwSoi, weil sie als Preis in älteren Zeiteneine Drachme erhielten, so viel kostete zu Solons Zeit einSchaf, man nannte wohl die Drachme äp^a, wie in Delos zweiDrachmen ßou? hiessen. Sie wurden zu Sprechern über dieDichter: Metrodor, der Schüler des Anaxagoras, Stesimbrotosund Glaukos waren wohl zunächst Rhapsoden.Für die Entwicklung der Prosa ist der Stand der Xoyo-Y p d


Einen sonderbaren Ervverbszweig mit Xoyoi erdachte derDichter Antiphon, er schlug zu Korinth eine Bude auf undmachte durch Anschläge bekannt, dass er durch Vorträgeden Schmerz zu heilen verstehe. Er erforschte die Ursachedes Kummers, tröstete die Leidenden und Hess sich dafürbezahlen.Das sind die Erwerbszweige, in denen die Kunst zu dichtenund zu schreiben sich entwickelte und bewährte j denkt mansie wegy denkt man z. B. das religiöse Bedürfhiss nach einem5(opo8i8d(3xaXo? hinweg, so fast die ganze hohe Lyrik. Es bliebe— scheinbar! — die rein individuelle Lieder-Lyrik übrig, dieder Sappho, des AlcäuSj aber ob auch diese entstanden wäreohne die vorausgehende Existenz der rehgiösen Lyrik?')Die merkwürdigste Erscheinung ist aber geu iss gerade dieeigentliche Lohndichtung bei Pindar und Simonides:*) es müssenda doch Mächte thätig gewesen sein von einer Allgewalt desIdealisirens, dass der Lohn nichts dagegen ausmachte undkeine Erniedrigung mit sich brachte: ein Hunger und Trieb,das Allerhöchste zu sagen, begierig, nur ein Ereigniss undeine Person in die Hand zu bekommen, an dem die Machtdes Verewigens und Idealisirens geübt werden könne: dawaren die vielen ehrgeizigen Tyrannen und Sieger gut daran!Verfasste Pindar einen Hymnus auf Bestellung, so doch nochvielmehr, um seinem Nebenbuhler damit den Rang abzulaufen:und wiederum noch viel mehr als aus diesem Ringenim Wettkampf, weil er, wie ein Maler, nach Gegenständen,nach Gegenständen der objektiven Lyrik verlangte. Es verlautetnichts von einem Ueberhasten, von allzu schnellerProduktion, man warf wohl Simonides vor, doch mit Milde,^) Es sind die Familien auf Lesbos, in denen die Kunstübung blüht,gerade solche, die religiöse Cuite zu besorgen haben,^) Es zeigt sich dasselbe wie bei den Werken der Bildhauer, Erzgiesser,Maler.2Ö9


dass er mitunter bösen und gewaltsamen Menschen habeLieder dichten müssen und viele — allzuviele! — Klugheitzu zeigen hatte. Schmeicheln und Höfischreden war abergründlich ungriechisch! Man muss nur den Pindarischen Tonhören, den er gegen Fürsten annimmt: es redet die oocpiaselbst, ein weises Zusprechen, Ermahnen, Warnen, Verpflichten,alles von einem wahren Göldglanz der Rede umflossen.^)Um so etwas — einen solchen Rathgeber! — sichzu verschaffen, zahlte man gern 3000 Drachmen: was Pindargefordert haben soll. Die Thoren, welche diese Summe zuhoch fanden, Hessen wohl ein Er^bild des Siegers herstellenund sorgten so für Unsterblichkeit — und haben sich dochverrechnet. Schol. Pind. Nem. V i.Welche Litteraturzweige haben sich ganz ohne Anlehnungan ein Gewerbe entwickelt? Vor allem die philosophischeLitteratur: man kann vielleicht auch die halb philosophischenDichtungen der orphischen Sekte und der Pythagoreer mithinzunehmen, bei denen von öffentUchem Vortrag, von Abfassenauf Bestellung nicht die Rede sein kann (viel später,als man auf pythagoreische Litteratur Jagd machte, da warGeld damit zu verdienen 5 es wurde auch schlimm gefälscht).Heraklit, Demokrit, Plato haben eher Gefahren für ihr Lebenals Gewinn von der Schriftstellerei gehabt.Anders steht es mit denen, welche zugleich Lehrer sind,wie vielleicht bei Anaxagoras, Protagoras u. s. w., hier ist dasBuch das Schema ihrer Vorträge, wie z. B. der Eleat Zeno,dem man von selten jedes Schülers in Athen 100 Minenzahlte. Ebenso steht es mit den ältesten xij^ox der Rhetorik:Schriften über Landbau, Gartenbau, Kochkunst setzt der platonischeMinos voraus. Isokrates erhielt 1000 Drachmen fürden Cursus.^) Bedeutender politischer Einfluss: Stesichorus, Simonides!270


Bei den Historikern ist Thukydides völlig frei von demVerdacht, irgend einen Gewinn durch sein Werk haben zuwollen 5 Herodot rechnete wohl eher auf öffentliche Vorlesungenund klingende Anerkennung. Theopomp rühmt mitStolz, dass er und sein Mitschüler Naucrates ausreichendeMittel besessen habe, um ledighch den Studien zu leben,während Isokrates und Theodectes genöthigt waren, sichihrenUnterhalt zu erwerben.Im Ganzen muss man verneinen, dass die Rücksicht aufGewinn bei der älteren Litteratur einen schädlichen Einflussgehabt: die Noth hat sogar gelegentlich genützt und Lysias,Isokrates, Demosthenes auf die Bahn ihres grossen Schaffensgebracht; so dass man ihr dankbar sein müsste. „Arm oderreich", dieser Gegensatz ist bei den Dichtern und Schriftstellernder klassischen Periode lange nicht so wichtig wieein anderer: der Gegensatz der vornehmen oder niederenGeburt.lo.Vornehme und niedere Geburt bei Dichtern,Rednern und Schriftstellern.Zwei Sätze sind im Ganzen und Grossen hinzustellen,welche die Griechen in einer ganz eigenen Stellung zurLitteratur erkennen lassen, so dass sie sich namentlich gegendie Römer als das geistig vornehmere Volk abheben.I. Der Sklave hat in der älteren Periode fast keine litterarischeBedeutung, das freie Bürgerthum ist Schöpfer undTräger der Litteratur. Die Ausnahmen sind ganz spärlich:w^nn es Ausnahmen sind. So soll Alkman ein lydischerSklave,') im Besitz eines Spartiaten, gewesen sein: aber schonim Alterthum sah man dies als Missverständniss einer Stelle desDichters an, z. B. der Aetoler Alexander in einem Epigramm.^) Nach dem Pergamener Grates rraiovTa (nach Suidas).271


„Du kamst vom hohen Sardes" lässt er die Mädchen zusich sagen in einem Chorliede, wo er der weiten Verbreitungseines Ruhms gedenkt. Man hat ihn vielleicht vomAuslande her kommen lassen, als er schon eine Berühmtheitwar,wie die Spartaner es mit Terpander, Thaletas, Nymphäus(aus Kydonia) machten: er kann der Geburt nach ein Helleneaus Sardes sein: es kann ihm auch einmal begegnet sein, wasdem Dithyrambendichter Philoxenos, was Phaedon aus Eüs,was Plato (also sehr vornehmen Leuten!) begegnet ist, einmalals Kriegsgefangener verkauft worden zu sein.Jedenfalls kanner nicht von Sklaveneltern stammen: in jener Zeit wäre esfür einen geborenen Sklaven unmöglich, die hohe vielseitigemusikalisch- choregische Ausbildung zu bekommen, um einAlkman zu werden. Ich glaube übrigens viel mehr an dieTradition, dass er ein geborener Lakonier (aus Msaaoct) ist [, . .].Er wird viel herumgekommen sein, in Lydien die Musik erlernthaben: bei seinen Reisen kann ihm einmal etwas widerfahrensein. Ein Reisender, ein Metöke war immer in Gefahr:man denke, dass der athenische Metöke Xenocrates, der seinMetökengeld am rechten Tage zu zahlen vergessen hatte, alsSklave verkauft werden sollte und nur durch persönlichesEinschreiten des Phalereers Demetrius gerettet wurde. Es isteine Klatscherei, dass der Haussklave des Euripides, Kephisophon,seinem Herrn geholfen habe, eine der vielen schnödenVerdächtigungen, vielleicht sogar auf einem Wortspiel beruhend,man glaubte an ein Verhaltniss desselben zu EuripidesFrau.Der Cynismus erst bringt den Sklaven in die Litteratur,er, der die ganze Basis des gebildeten Hellenen verwirft:das ist der Borysthenite Bion, der Sohn von Sklaveneltern:er wirft alle Stile durcheinander und behängt die Poesieund Philosophie (nach Eratosthenes) mit dem buntscheckigenHurengewande. Ein anderer Sklave, ebenfalls Cyniker, ist272


Menipp aus dem phönizischen Gadara, der im politischenHeraclea einen Herrn hatte, aber er war nicht als Sklavegeboren, und überdies ist seine Schriftstellerei nicht überden Verdacht der Unechtheit erhaben.Theophrast hatte einenphilosophirenden Sklaven, Pompylos, aber er wslt kein Schriftsteller.2. Die Gattungelt der Prosalitteratur sind vornehmlich durchden hohen Geburtsade/, die poetischen Gattungen namentlich inden mittleren Klassen der Bevölkerung gefördert worden: einsehr wichtiger und schwieriger Satz! Man würde nämlich ausallgemeinen Gründen gerade das Gegentheil schliessen können.Der Geburtsadel in den griechischen Städten, die (ZYaOoi,öXi'yoi u. s. w., ist der Pfeiler des Bestehenden, auf das Tiefsteverwachsen mit der Vorgeschichte, ja Urgeschichte der Stadt,in ihren Gesetzen und Einrichtungen das Bollwerk seinereigenen Existenz verehrend: für ihn giebt es nur Ein Verbrechen,Neuerung (das vscDiepiCsiv) der Gesinnung, alles Abweichenvon der alten gesetzhchen Erziehung und Religion.Deshalb schämten sich nach Plato Phaidr. p. 257 01 [leYiaiov8i)vd[i,svoi T£ xal os|xv6TaToi ev xai? TCoXeaiv davor, ^oyou? ypdcpeivund Schriften zu hinterlassen, aus Furcht vor dem Rufe einesSophisten, d. h. eines Freigeistes. Sie förderten und liebtendie Poesie, denn diese umkleidet das Herkömmliche in Sitteund Gottesverehrung mit ihrem Zauber und ist selber eineconservative Macht, überdies gehört musische Bildung zumVorrecht der Adelskreise, sie durchdringt die Formen ihresVerkehrs, ihrer Geselligkeit. Umgekehrt vertreten die mittlerenGattungen der Gesellschaft die fortschreitende veränderlicheGesinnung, die Befreiung des Geistes; und sonamentlich von den mittleren Schichten,sollte man meinen, dass die Mittel der Befreiung des Geistesund der Gesellschaft, Philosophie, Redekunst, Geschichtedie Poesie namentlichvom höheren Adel fruchtbar gefördert sei. Es ist aber18 Nietzsche V 273


gerade umgekehrt. Man rechne nur nach: Thaies gehört zueinem überaus edlen, mächtigen und reichen Geschlecht inMilet und ist Staatsmann,Führer einer Kolonie,ebenso Anaximander, der feierlicheebenso der Eleat Parmenides, bekanntlichauch Heraclit von Ephesus, in dessen Familie das Opferkönigthumforterbte, höchstwahrscheinlich auch Demokrit:Solon und Plato führen sich auf Könige zurück und gehörenzur höchsten athenischen Aristokratie. Empedokles hatte inGrossvater und Vater Olympioniken, seine ganz vornehmeFamilie war durch Rossezucht berühmt, er selbst unternimmteine Flusskorrektion des Hypsas auf eigene Kosten. DiePythagoreer der unteritalischen Städte sind sämmtlich vornehmeLeute, die in ihrer Heimat lange Zeit, als eine puritanischstreng und düster gefärbte Aristokratie, die Macht inden Händen haben. Phaedon, der in Elis eine Schule derPhilosophie stiftet, stammt aus einer der guten FamiUen vondort, ja, selbst der einflussreiche Krates ist ein thebanischerAristokrat — durch ihn bemächtigt sich die eigentUche Proletariatsphilosophie,der Cynismus, auch der höheren Classen.Von den Historikern ist Hecatäos ein mächtiger adliger Staatsmannin Milet, Hellanikus ist ein Mann mit \6 Ahnen,Herodot, aus vornehmer Familie, die tief in Widerstandgegen die Tyrannen von Halikarnass verflochten ist: er selbstsetzt die bewaffnete Befreiung seiner Vaterstadt durch. InThukydides fliesst das Blut von Königen und Tyrannen undden vornehmsten Athenern zusammen, das von thrakischenKönigen und das der Pisistratiden, von Kimon und Miltiades,er ist selber Staatsmann und Feldherr. Damastes, aus demGebiet von Troas, ist vornehm und reich, ebenso Philistos,der Staatsmann und General von Syrakus, auch Xenophonist adliger Abkunft. Theopomp hat es sein Leben langdurch ein hin und her geworfenes Leben und die grösstenGefahren büssen müssen, dass er der Aristokrat von Chios274


war und eine politisch weitreichende Bedeutung hatte, zuerstals cpiXoXdxoüv, später als Freund Alexanders. Dann der achäischeStaatsmann Arat; der grosse Polybius; der bedeutendste Schriftstellerder Alexanderhistorie ist ein ägyptischer König.Sehen wir die Redner an:voran der erste der zehn Redner,Antiphon, der ausgezeichnetste Kopf der damaligen AristokratenparteiAthens, xpdTioio? ev&ujJLr^ÖYJvai yevofisvo? xai a yvoiY)eliretv nach Thukydides, der ihn als den „ersten Menschen"seiner Zeit verehrt, ein mächtiger indirekter Staatsmann,immer hinter der Scene thätig. Das alte Geschlecht desAndokides hatte die Würde der Herolde für die eleusinischenMysterien. Lysias, der Sohn des vornehmen SyrakusanersKephalos, den sein Freund Perikles nach Athenzog. Lycurgos aus dem ganz vornehmen Geschlecht derEteobutaden. Selbst Aeschines, wenn man nicht auf diegemeinen Verdächtigungen hören will, gehört zu einem durchVerbannung sehr verarmten Zweige des Priestergeschlechtsder Butaden und ist vornehmerer Herkunft als Demosthenes.Dann das Ideal athenischer Vornehmheit, der Phalereer Demetrios,der Regent Athens unter Kassandros. Wie erklärt sichnun die Thatsache, dass die Gattungen der geister- undvolkbefreienden Prosalitteratur fast ausschliesslich durch denhöchsten Adel gehoben sind?Zur Erklärung benutze ich einen Wink des Aristoteles:„Der Geburtstadel strebt in höherem Grade nach Ehre, erhat die Neigung zu verächtlichem Herabsehn." Wenn dereinzelne Adlige erst einmal auf den Bann, die Beschränktheitseiner Standesgesinnung verächtlich herabsieht, wenn er seineEhre darin findet, eine höhere Warte der geistigen Betrachtungzu ersteigen als seine Genossen, so hebt ihn die angeboreneSchwingkraft seines Wetteifers, seiner Ehrsucht — „alie,welche nach dem Ruf der Weisheit trachten,sind neidisch",sagt Aristoteles — höher als den Nichtadeligen, der Freisinn18* 275


geht über viel mehr Schranken hinweg, wenn er erst dienächste, die seines Standes überschritten hat. Alle die genanntenvornehmen Philosophen stellen sich in Widerspruchzu ihrer Kaste, zum Theil in den feindseligsten j indem sieAristokraten des Geistes werden, ergreifen sie die vorwärtstreibendenMächte der Vernunft, der Kritik, der Wissenschaft,sie lösen sich aus der Verehrung des Herkömmlichen, damitauch aus dem Zauber der Poesie,die dem Herkommen dient:so finden wir in dem höchst vornehmen Heraclit und Platodie leidenschaftlichen Gegner des Homer und der ganzenauf den Dichtern ruhenden vornehmen Erziehung. Sie sindin einem Laufe, von Thaies bis Demokrit, auf einen Standpunktder Naturwissenschaft zugelaufen, wo 2000 Jahre späterdie moderne Wissenschaft wieder ansetzen konnte: dennGassendi ist der Fortsetzer Demokrits. Und ebenso ungeheuerist der Lauf der Historiographie in Thukydides, der Redekunstvon Perikles bis Demetrius. Bl'ieh dagegen der Adligeinnerhalb seines Bannes, so fehlte ihm meistens der leidenschaftlicheAntrieb, sich auf geistigem Gebiete mit seinesGleichen zu messen und vor allem der freie Anlauf: diekörperlichen Uebungen und Wettspiele und Ehren verschlangenmeist die Kräfte. Dazu kommt, dass das berühmte Prinzipder Aristokratie, das su a^oXaCstv, etwas die Ruhe und denGenuss in geistigen Dingen liebt, man ist leicht zu bequem,die Dichtkunst wird hier zur dilettantenhaften Ergötzung,nicht mit meisterliche??! Fleisse geübt. Die wenigen aristokratischenDichter, die über das Dilettantische hinausgingen,haben die Noth und die Erbitterung und die Aufregungeines schweren Lebens zur Muse gehabt: wie der LesbierAlcäus, der Megarer Theognis, der wunderbare, uneigennützige,leidende Patriot Solon, der überdies weit über dieSchranken seiner Partei hinaus war. Den Fleiss haben die inder Litteratur berühmten Aristokraten mehrfach durch die275


Noth gelernt, so Antiphon, Lysias, Demosthenes: sie versuchtenvon ihrem Talent zu leben.Auf den Fleissj der den mittleren Schichten der Gesellschaftmehr angeboren ist, führe ich es auch zurück, dassdie grössten Meister der Dichtkunst ihnen und nicht derAristokratie angehörten: Homer ist der Sage nach ein unsteterSchulmeister, Hesiod der Sohn eines kleinen, armseligenHandelsmanns, Pindar, Simonides, Stesichoros, Terpander,Aeschylus, Sophokles, Euripides, Aristophanes stehen imDienste der religiösen Culte meist von ihren Familien herund gehörten, ihrer Lebensstellung nach, nicht zu den euapXäCovTsc, sie hatten von frühe an arbeiten gelernt: siekamen in persönliche Berührung zum höchsten Adel undwurden ihm unentbehrüch, weil sie ihn gleichsam mit derKost nährten, welche jenef selbst aus sich nicht zu erzeugenvermochte und doch so nöthig hatte. So ergreifen die eigentlichenFörderer der Poesie, die Dichter der mittleren Schichten,das Prinzip der Aristokratie, den Schutz und die Verklärungdes Herkömmlichen: während wiederum die eigentUchenFörderer der Prosa und des geistigen Ringens, die vornehmenPhilosophen, Redner, Historiker das Prinzip der mittlerenSchichten erfassen und steigern, den Fortschritt und die Unabhängigkeitim Denken und Handeln, sei es im Interessedes einzelnen oder des Volkes. Von beiden Gruppen aber,den aristokratischen und demokratischen Förderern der Litteratur,kann man sagen: sie wurden dadurch produktiv, dasssie aus der Beschränktheit ihrer Lebensstellung, ihrer socialenPartei kühnlich heraustraten:sie waren fruchtbar und erfinderisch,weil sie den Charakterzug hatten, frei und selbständigunter ihresGleichen dastehen zu wollen.277


jII.Todesarten.Die Art, wie ein Mensch stirbt, ist vielleicht nicht so wichtig,als man häufig annimmt, und jedenfalls ist es gewagt undvoreilig, das Urtheil über das Leben eines Menschen aufEinen Punkt seines Lebens zu begründen: mehr ist ja derTod nicht. Alles das, wodurch jeder andere einzelne Momentunzureichend erscheint, um viel darauf bauen zu können,gilt auch hier: die Selbstbeherrschung, die Gewohnheit derVerstellung verbirgt vieles, was innen vorgeht, die gewaltsameErregung durch heftige Schmerzen u. s. w. treibt zu Aeusserungen,die gar nicht dem normalen, gesunden Zustand desMenschen angehören, und gar zu oft erscheint die äussersteErschöpfung ganz so wie der Seelenfrieden, der physischeSchmerz wie seelische Verzweiflung. Nicht die letzten Augenblicke,aber wohl die ganze Art, wie der Mensch währendseines Lebens, seiner Kraft an den Tod denkt, ist für ihncharakteristisch: auch für ein Volk. Unsere Frage ist nun:wie haben die höchsten Geister der Griechen sich zu demTode verhalten, die produktivsten Menschen unter ihnen?Vielleicht sind die schöpferischen Geister, die phantasievollen,erregbaren nicht gerade die charaktervollsten und standhaftesteneiner Nation, aber gerade deshalb die ehrlichstenan ihnen spricht Alles, sie können sich nicht so leicht verstellenund beherrschen, wie die Männer der That, die harteneinseitigen oTdai(ioi, im Gegensatz zu den sü^uei?. Ihr Verhaltenzum Tode ist bedeutungsvoller als der Gleichmuthder Krieger: auch schon deshalb, weil sie mit dem Lebenviel mehr aufgeben, ihren eigenen, zum Schaffen unaufhaltsamdrängenden Geist, d. h. etwas, das mehr als alles andeream Leben festhält.Im Allgemeinen habe ich nun bemerkt, dass eben deshalbder geistige Grieche Etwas mehr fürchtet als den Tod, das istdas Alter; weil dies ihm seine produktive Kraft nimmt und278


ihn vor sich selbst erniedrigt. Darum finden wir den Selbstmordbei den altgewordenen Denkern so häufig: Sokratesselbst meint echt griechisch, das Alter stehe bei ihm vor derThür und beraube ihn bald vielleicht der Thätigkeit, ohnewelche das Leben ihm unerträglich sei, nicht lebenswerth,des BiaXeYsoöai: so sei es für ihn Zeit zu sterben3 und sohütet er sich, irgend etwas zu thun, wodurch er sein Lebenhätte retten können. (Das Gegenstück ist Anacreon, der dasAlter genussfähig gemacht hat und nun freilich um so mehrvor den Tode zittert.)Der Jammer über das Alter geht durch die ganze poetischeLitteratur, von Mimnermus an, der jung sterbende Achillist das Ideal der Nation, der Mensch, der freiwillig nicht altwerden will, aber etwas Rühmliches in aller Jugendkraft zuthun beschliesst.Jene ganz seltenen Menschen, die unerschöpfharProduktiven, denen das Alter nichts anhat, sehen wir ander Euthanasie zu Grunde gehen, ohne Selbstmord, bis zumletzten Augenblick dichtend und schaffend: Plato der Zweiundachtzigjährige,der bei einem Hochzeitsschmause stirbt:Pindar im Theater,sein Haupt auf die Kniee seines Lieblingsgelehnt, nachdem er den Gott um das schönste der Lebensgütergebeten hatte: Sophokles, der als Sieger in einem tragischenWettkampfe ausgerufen wird, und der, nach Phrynichos,starb wie er lebte, als ein göttgeliebter Mann: Demokritin der Nähe der loo oder darüber hinaus, der aus Rücksichtauf die Schwester, welche ihn bittet, nicht während der Thesmophorienzu sterben, seinen Tod drei Tage lang aufhält:Anaxagoras, der sich von den Behörden in Lampsacus alseinzigen Ehrenlohn auf dem Sterbebett ausbittet, dass dieKinder jedes Jahr am Tag seines Todes einen Spiel- undFerientag haben sollen. Im Uebermaass der Freude stirbtChilon, während er bei den olympischen Spielen seinen Sohnals Sieger im Faustkampfe küsst. Blas redet vor Gericht für279


jemand und lehnt nachher seinen Kopf an die Brust seinesSchwestersohnes: als die Richter nachher zu Gunsten seinesdienten entscheiden, finden sie ihn eingeschlummert. AuchThaies sirbt, in hohem Alter, beim Anschauen gymnischerWettspiele j der ganz alte Chrysipp, der ungeheure Vielschreiber,stirbt vor Lachen, als er einen Esel starken Weintrinkensieht.Mehrfach aber findet sich auch bei den reichsten Geisternim Alter eine Anwandlung von Melancholie, an der siesterben, meistens mit einem unbedeutenden Anlass. So stirbtHomer der Sage nach, als er ein Räthsel, das junge Fischerihm aufgeben, nicht lösen kann, er wird missmuthig, stolpertüber einen Stein und ist in drei Tagen todt. Aeschylusstirbt im Groll über die Athener in der Fremde. Man erzählte,ein Adler habe eine Schildkröte auf das Haupt desDichters fallen lassen. Niemand glaubt daran, aber die Er-Meine Ver-klärungen dieser Parabel lauten sehr verschieden.muthung: eingrosser Aufschwung ergreift und hebt das trägeVolk — der Perserkrieg, an dem Aeschylus den persönlichstenAntheil hatte —, als das Volk wieder sinkt und fällt, derSchwung des Adlers die Schildkröte nicht mehr trägt, soveranlasst das den Tod des Dichters: er stirbt utc ddu[iiac,wie Homer. Der Dialektiker Diodor stirbt aus Kummer, alser eine Streitfrage, die Stilpon in Gegenwart von PtolemausSoter aufwirft, nicht lösen kann: er schreibt erst ein Buch darüberund stirbt dann utc d&ü|jiia?. In dieser Stimmung verfielendie Alten leicht auf den Selbstmord: ein eigentlicher Grunddazu ist oft nicht einmal da, nur ist das Leben reizlos geworden:das gewöhnliche Mittel ist dann Enthaltung vonNahrung. Ein spezieller Grund liegt vor bei Menedemus,der gehofft hat, seiner Vaterstadt Eretria Freiheit bei Antigonoszu erwirken, wo er sonst Alles vermochte, es gelingt ihmnicht und er tödtet sich durch Hunger.280Isokrates, theils durch


Krankheit der Blase gequält, theils durch die Schlacht beiChäronea entmuthigt, nimmt keine Nahrung mehr zu sich,beinahe hundert Jahre alt. Dem Stoiker Kleanthes schwilltdas Zahnfleisch, die Aerzte verordnen ihm, zwei Tage zuhungern und stellen ihn wieder her, er aber findet, dass erund stirbtschon den halben Weg zum Hades gemacht habe,durch Enthaltung. Der hundertjährige Zeno fällt, zerstösstsich den Finger; sagt zur Erde: „Ich komme schon: was rufstdu mich?" und erstickt sich. Ohne alle näheren Gründe:Gorgias, hundert Jahre alt, enthält sich der Nahrung. Metrokiesin hohem Alter erstickt sich selber. Dionysios 6 [ktzad£|x£voc,der aus einem Stoiker durch Augenschmerzen zumhedonischen System bekehrt wurde (d. h. er meinte, derSchmerz sei doch ein Uebel), wurde achtzig Jahre alt undenthält sich der Speise. Speusipp verdriesst sich über seinhohes Alter und thut dasselbe. Ebenso schon Pythagoras,der in den Musentempel von Metapont flüchtet und durchHunger stirbt.Pherekydes geht nach Delphi und stürzt sichvon einem Berge herab. Bei Diogenes ist es zweifelhaft; dieFreunde von ihm finden, dass er sich durch Zurückhaltungdes Athems getödtet habe, die Andern erzählen, er habe einenrohen Ochsenfiiss gegessen und sei an Krankheit gestorben.Ofl^enbar war das den Freunden nicht philosophisch genug,man sollte nicht an Krankheit sterben. Antisthenes, der Lehrerdes Diogenes, hatte sehr zuletzt an seiner Krankheit zu leidenund fragt: „Wer erlöst mich von meinem Leiden?" Diogeneszieht einen Dolch hervor und sagt: „Dieser". „Ach ja!" sagter, „von diesem Leiden, aber nicht vom Leben!" Eine ganztiefsinnige Aeusserung: dem Lebenstriebe selbst kann man miteinem Dolche nicht beikommen, er aber ist das eigentlicheLeiden. Es ist ersichtlich, dass der Cyniker am Leben hängt,mehr als die andern Philosophen: „der kürzeste Weg zumGlück" ist so viel als „Lust am Leben an sich" und volle281


Anspruchslosigkeit in Bezug auf alle andern Güter. Bei einemCyniker finden wir das einzige Zeichen von gemeiner Angstvor dem Tode, mit Preisgebung aller Ueberzeugungen, beiBion dem Borystheniten, der Amulette und Beschwörungengebraucht wie ein altes Weib. Ebenfalls bei einem Cynikerfinden wir den einzigen gemeinen Selbstmord, bei Menipp,der sein wucherisches Vermögen verlor und sich darüber erhängte.Die Skeptiker Pyrrhon und Simon haben kein Motivzum Selbstmord, auch der der Skepsis nahestehende AkademikerCarneades nicht: dieser hatte beim Tode Antipaterseine Anwandlung dazu, verlangte Gift, aber widerrief esund liess sich ein Honiggetränk geben. Weniger rühmlich istbei denen der Selbstmord, wo er durch starkes Weintrinkenmöglichst unmerkbar gemacht wird,also Betäubung zugleichbegehrt wird: so Stilpon, der Wein benutzt, um schneller zusterben. Ebenso Arcesilaus, über fünfundsiebzig Jahre alt.Epikur, der in ein heisses Bad steigt und starken lauterenWein trinkt (also durch Schlagfluss). Dagegen ist sehr begreiflichder Tod des Demosthenes und Aristoteles, die, umnicht in die Hände ihrer Feinde zu fallen, im letzten AugenblickGift nehmen.Die andern Todesarten treten zurück. An Krankheitensterben: Heraklit an der Wassersucht oder an seiner Kur mitKuhmist, Ariston am Sonnenstich, Polemo an der Schwindsucht,Krantor an Wassersucht, Strato an der Auszehrung,Lyko an der Gicht, ebenso Lakydes, und zwar weil er zuviel trank, Alexinos verletzt sich beim Schwimmen im Alpheus,Demetrius Phalereus durch den Biss einer Schlange,Xenokrates fiel Nachts in ein Waschfass, Protagoras ist wahrscheinlichbei einem Schiffbruch umgekommen. Kritias fielim Treffen bei Munychia, Archilochos wird erschlagen. GelüältsameTodesarten: mythische Exempel sind Orpheus durchMänaden zerrissen, Hesiod von zwei Brüdern ermordet, deren282


Schwester er verführt haben soll, Ibykus' allbekannter Tod.Anacharsis wird von seinem Bruder auf der Jagd mit einemPfeil erschossen, Euripides geräth in die Jagdmeute des makedonischenHofes: beide Male ist Missgunst im Spiel. Zenoder Eleat im Kampf mit Tyrannen, wie Anaxarchus, stirbtauf grausame Art, zerstossen in einem Mörser. Antiphonwird als Verräther des Vaterlandes hingerichtet, Thukydideshat einen gewaltsamen Tod gefunden.Im ganzen zeigen die Todesarten der grössten griechischenGeister genau dieselbe Auffassung vom Leben, welche dergriechische Mythus zeigt. Der grösste Dulder Heracles entziehtsich dem Schmerz durch Selbstverbrennung. Der Selbstmordwegen verlorener Ehre bei Ajax und bei Kalchas, derden Verlust seiner Prophetenehre vor Mopsos nicht erträgt.Der alte Kämpfer Timanthes giebt sich nach Pausanias VI 8den Tod, weil er den Bogen nicht mehr spannen kann.Lycurg tödtet sich, damit seine Verfassung so besiegelt werde,und wird deshalb von den Lakedämoniern bewundert. Sophoclessagt; xo \il^ -{äp elvai xpstoaov 7^ t6 C^v xaxÄ;, und hundertfältigwird es wiederholt. Was einer unter xaxÄ? C^jvversteht, das steht bei ihm. Selbst Aristophanes, die Stimmedes Volkes, sagt to ydp


Rufe stand, der Weinflasche zu fleissig zuzusprechen. Nunheisst es in einer Scene des Friedens, wo über verschiedeneAngelegenheiten Athens Erkundigung eingezogen wird: „Lebtdenn der weise Kratinos noch?" — „Der ist gestorben, alsdie Lakedämonier einen Einfall machten." — „Wie denn?"— „Er sank in Ohnmacht, als er sie ein volles Weinfasszerschlagen sah." — Hier haben wir ein anschauliches Beispiel,wie auf Grund eines Scherzes eine Historie entstehenkann. Im höchst wertvollen Traktat uspl x(ü|xü)8ia? [in KaibelsComic. Gr. fr. I, p. 7, i^ff.] heisst es: „Er starb, als die Lakedämonierden ersten Einfall in Attika machten." Das sollalso eine Zeitbestimmung sein!')Lehrs Rh. Mus. III [Pop. Aufs. » S. ao8 \ S. 396].284


Rhetorik(Darstellung der antiken Rhetorik; Vorlesung Sommer 1874,dreistündig)


BegriiF der Rhetorik.[^Eintheilung der Rhetorik und der Beredsamkeit.Verhältniss des Rhetorischen zur Sprache.Reinheit, Deutlichkeit und Angemessenheit der elocutio.Die charakteristische Rede im Verhältniss zum Schmuck der Rede.Modifikation der Reinheit.Der tropische Ausdruck.Die rhetorischen Figuren.Numerus der Rede.Die Lehre von der Stasis.Genera und figurae causarum.Die Theile der Gerichtsrede.Die berathende Beredsamkeit.Die epideiktische Beredsamkeit.Die dispositio.Ueber memoria und actio.'Anhang. Abriss der Geschichte der Beredsamkeit.]


§ I.Begriff der Rhetorik.Die ausserordentliche Entwicklung derselben gehört zuden spezifischen Unterschieden der Alten von den Modernen:in neuerer Zeit steht diese Kunst in einiger Nichtachtung/)und wenn sie gebraucht wird, ist auch die beste Anwendungunserer Modernen nichts als Dilettanterei und rohe Empirie.Im Allgemeinen ist das Gefühl für das an sich Wahre vielmehr entwickelt: die Rhetorik erwächst aus einem Volke, dasnoch in mythischen Bildern lebt, und noch nicht das unbedingteBedürfniss nach historischer Treue kennt: es willlieber überredet als belehrt sein, und auch die Nothdurft desMenschen in der gerichtlichen Beredsamkeit soll zur freienKunst entfaltet sein. Sodann ist es eine wesentlich republikanischeKunst: man muss gewohnt sein, die fremdestenMeinungen und Ansichten zu ertragen und sogar ein gewissesVergnügen an ihrem Widerspiel empfinden: man muss ebensogerne zuhören als selbst sprechen, man muss als Zuhörerungefähr die aufgewandte Kunst würdigen können. Die Bildungdes antiken Menschen kulminirt gewöhnlich in der^) Die Abneigung drückt am stärksten Locke aus (Untersuch, überden menschlichen Verstand III lo, 34): „— wir müssen zugeben, dass dieganze Redekunst, alle die künstliche und figürliche Anwendung derWörter, welche die Beredsamkeit erfunden hat, zu nichts weiter dient,als unrichtige Vorstellungen 2u erwecken, die Leidenschaften zu erregen,dadurch das Urtheil misszuleiten und so in der That eine vollkommeneBetrügerei ist."287


Rhetorik: es ist die höchste geistige Beth'ätigung des gebildetenpolitischen Menschen — ein für uns sehr befremdlicherGedanke! Am deutlichsten spricht Kant, Kritik der UrtheÜskraft,p. 203; „Die redenden Künste sind Beredsamkeit undDichtkunst. Beredsamkeit ist die Kunst, ein Geschäft desVerstandes als ein freies Spiel der Einbildungskraft zu betreiben,Dichtkunst ein freies Spiel der Einbildungskraft alsein Geschäft des Verstandes auszuführen. Der Redner alsokündigt ein Geschäft an und führt es so aus, als ob es blossein Spiel mit Ideen sei, um die Zuhörer zu unterhalten. DerDichter kündigt bloss ein unterhaltendes Spiel mit Ideen an,und es kommt doch so viel für den Verstand heraus, als ober bloss dessen Geschäfte zu treiben die Absicht gehabt hätte."Damit ist das Spezifische des hellenischen Lebens charakterisirt:alle Geschäfte des Verstandes, des Lebensernstes, derNoth, selbst der Gefahr noch als Spiel aufzufassen. DieRömer sind lange Zeit in der Rhetorik NaturaUsten, vergleichsweisetrocken und derb. Aber die aristokratischeWürde des römischen Staatsmanns,seine vielseitige juridischePraxis geben die Farbe: gewöhnlich waren ihre grossen Rednermächtige Partei/?//?r^r, während die griechischen Redner imInteresse von Parteien sprachen. Das Bewusstsein der individuellenWürde ist römisch, nicht griechisch. Auf ihre Auffassungder Rhetorik passt mehr, was Schopenhauer W.a.W.u. V. II 129 sagt: „Beredsamkeit ist die Fähigkeit, unsere Ansichteiner Sache oder unsere Gesinnung hinsichtlich derselben,auch in Anderen zu erregen,zu entzünden und sieunser Gefühl darüber in ihnenso in Sympathie mit uns zu versetzen:dies alles aber dadurch, dass wir, mittels Worten, den Stromunserer Gedanken in ihren Kopf leiten, mit solcher Gewalt,dass er den ihrer eigenen von dem Gange, den sie bereitsgenommen, ablenkt und in seinen Lauf mit fortreisst. DiesMeisterstück wird um so grösser sein, je mehr der Gang288


ihrer Gedanken vorher von dem unserigen abwich." Hierwird das beherrschende Uebergewicht der einzelnen Persönlichkeitbetont, im Sinn der Römer, bei Kant das freie Spielbei Geschäften des Verstandes, im Sinne der Griechen.Im Allgemeinen aber sind alle Neueren in ihren Definitionenungenau, während durch das ganze Alterthum hindurchder Wetteifer um die richtige Definition der Rhetorikgeht, und zwar unter Philosophen und Rednern. Alle chronologischzusammengestellt von Spengel, Rh. Mus. i8 p. 481.Darnach bei Rieh. Volkmann, Rhetorik, Berlin 1872.welche der Strenge der Definition auswichen,Diejenigen,suchten wenigstensdas xeXo?, officium, des Redners zu bestimmen. Diesist das TceiOeiv, dicendo persuadere, es war schwierig, dies inden opiofxo? aufzunehmen^ denn die Wirkung ist nicht dasWesen der Sache: und zudem bleibt das Ueberreden bei denbesten Reden mitunter aus. Die Sikuler Korax und Tisiassagen pr^xopixi^ eait usiOou? hr^[iioup-{6z: bei den Dorem hatdas Wort Byjjjlioupyo? eine höhere Bedeutung als bei denloniern „Schöpferin", „Walterin": die höchsten obrigkeitlichenPersonen in den dorischen Staaten heissen so{äo?'t nur„Gewerbetreibende"). Ebenso Gorgias und Isokrates, der esmit TTSiOou? eTCiaTT^fiTj prosaischer umschreibt.Plato hat einen grossen Hass auf sie: er bezeichnet sie alseine Geschicklichkeit e|x7r£ipia ^^dpiioc tivo? xctl ^,8ov7i(; aTcepYaoia?und ordnet sie zusammen mit der Kochkunst o'^^ottolixt^, derPutzkunst xofXfjKüTix-/^ und Sophistik der xoXaxeia unter (Gorgiasp. 4(53). Dagegen giebt es auch Spuren einer anderenAuffassung der Rhetorik. Rud. Hirzel, „Ueber das Rhetorischeund seine Bedeutung bei Plato", Leipzig 1871. Im Phaedr.p. 239 E ff. wird gefordert, der Redner solle mit Hülfe derDialektik über alle Dinge klare Begriffe erwerben, damit erim Stande ist, dieselben immer zweckdienhch darzustellen.Er soll sich in den Besitz des Wahren setzen, um auch über19 Nietzsche V 2S0


das Wahrscheinliche zu gebieten und so seine Zuhörer täuschenzu können. Dann wird gefordert, dass er die Leidenschaftenseiner Hörer zu erregen und dadurch über sie zuherrschen verstehe. Dazu müsse er eine genaue Kenntnissder menschlichen Seele haben und die Wirkung aller Redeformenauf das menschliche Gemüth kennen. Die Bildungeiner wirklichen Redekunst setzt also eine sehr tiefe und umfassendeVorbildung voraus: dabei ändert sich nichts an derVoraussetzung, dass es die Aufgabe des Redners sei, mit Hülfedes Wahrscheinlichen seine Hörer zu überreden. Freilicherklärt Sokrates 273 E, dass wer einmal diese Höhe des Wissenserreicht hat, sich nicht mit der niedrigen Aufgabe begnügenwird: das höhere Ziel ist dann „Mittheilung des erworbenenWissens an Andere". Der Wissende kann also sowohl ^y)topixo?als 8i5axTix6? sein. Das eine Ziel ist nur viel höher:doch sollnicht jede Anwendung der Rhetorik ausgeschlossensein: nur ja nicht ernsthafter Lebensberuf! Im Pohtikos 304Dspricht er die tilaxri der Rhetorik ab und weist ihr die Aufgabezu, tcXy]Öo? und ö/Xov hiä jiuOoXoYia? zu überreden. Soschildert Plato nun auch den wahren Philosophen Sokrates,bald wissenschafthch belehrend, bald populär-rhetorisch. Dermythische Bestandtheil der Dialoge ist der rhetorische: derMythus hat das Wahrscheinliche zum Inhalt: also nicht denZweck, zu belehren, sondern eine U^a bei den Zuhörern zuerregen, also zu ireiOeiv. Die Mythen gehören zur iraYxdXy]TuaiSid: die rhetorischen ebenso wie die schriftlichen Compositionensind nur zum Vergnügen angefertigt. Die Wahrheitlässt sich weder in schriftlicher noch in rhetorischerForm aussprechen. Das Mythische und das Rhetorische wirdangewandt, wenn die Kürze der Zeit keine wissenschaftlicheBelehrung zulässt. Das Anrufen von Zeugen ist ein rhetorischerKunstgrüFj ebenso werden die platonischen MythenHöchst merkwürdigdurch Berufung auf Zeugen eingeführt.290


Republ. 376 E: hier unterscheidet er zwei Arten von Reden,solche, die die Wahrheit enthalten, und solche, welche lügen:zu letzteren gehören die Mythen. Er hält sie für berechtigtund tadelt Homer und Hesiod nicht deshalb, dass sie gelogen,sondern dass sie es nicht in der rechten Weise gethan.Ebenso spricht er es 389 B geradezu aus, dass die Lüge unterUmständen den Menschen nütze und es den Herrschernerlaubt sein müsse, sich ihrer zum Wohl ihrer Mitbürger zubedienen. So führt er III 414 B einen vollständigen Mythusein, um eine bestimmte Ansicht in den Seelen seiner Bürgerzu begründen, und erscheut zu diesem Zweck die Lüge alsrednerisches Mittel nicht. — Die Polemik Piatos gegen dasRhetorische richtet sich einmal gegen die schlechten Zweckeder populären Rhetorik, sodann gegen die ganz rohe undungenügende unphilosophische Vorbildung der Redner. Aufphilosophischer Bildung ruhend, zu guten Zwecken, d. h. zuZwecken der Philosophie verwendet, lässt er sie gelten.Wir haben nur zjuei alte Werke über Rhetorik, alle anderenmehrere Jahrhunderte später. Die eine, die rhetorica ad Alexandrunjjhat nichts mit Aristoteles zu thun, sondern ist wohldas Werk des Anaximenesj s. Spengel, Philolog. 18, p. 604.Sie ist rein zu praktischem Gebrauche, ganz unphilosophisch,im Wesentlichen nach der Lehre des Isokrates. Keine Definitionder Rhetorik, nicht einmal der Name ^Y]TopixT^.Rein philosophisch und höchst einflussreich für alle späterenBegriffsbestimmungen die Rhetorik des Aristoteles. j^YjtopixY]öuvafjLi? Tcepl IxaaTov tou OewpTJaai xo ev8ej(6[xsvov iriOavöv, „allesmögliche Wahrscheinliche und Ueberzeugende" [Aristot.rhet. I 2]. Also weder eTüiaTYJixY] noch tiyyri-, sondern o6va[xi?,die aber zu einer ts^^vt] erhoben w^erden könne. Nicht dasTceiöeiv, sondern das, was man für eine Sache vorbringenkönne: gleich einem Arzt, der einen Unheilbaren pflegt,könne auch der Redner eine missliche Sache verfechten. Alle19*291


späteren Definitionen halten an diesem xaia t6 k^^Zti^^Ltvo^*«jreiösiv fest (gegen die sicilische Definition). Sehr wichtig dasuniversale TctpX r/aatov, auf alle Disciplinen anwendbar. Einerein formale Kunst. Endlich wichtig das Oswpf^aai: daraufhatman den Vorwurf gemacht, er habe nur die inventio, nichtelocutio dispositio memoria pronuntiatio aufgenommen. Aristoteleswill wahrscheinhch den Vortrag nicht als essentiell,sondern nur als Accidens betrachtet wissen: denn er denktan das Rhetorische in Büchern (wie er auch die Wirkungdes Dramas von der Aufführung unabhängig denkt und deshalbnicht das sinnliche Erscheinen auf der Bühne in dieDefinition aufnimmt). Es genügt xo evBexojxevov TCi&avov zuerkennen, zu schauen: dass dies Erkannte irgendwie darzustellenist, liegt bereits in Tciöavov: nun ist selbst jedes Kunstmittelder pronuntiatio aus diesem iriöavov ahhangig zu machen.Nur eben das \i'{t\.^ ist nicht nothwendig.Nun kommen Jahrhunderte erbitterten Schulkampfes in denRhetoren- und Philosophen-Schulen. Die Stoiker bezeichnensie Laert. D. VII, 42 xr^v xe ^Tjxopix-rjv eTriaxyjjxr^v ouaav xou euXsYeiv Trepl xäv ev Bie^oSu) X6yü>v xal xyjv SiaXexxixYjv xou dpOw?oiaXeYsaöai Trepl xwv h epwxVjaei xal aTToxpiaei Xo^wv. Wichtigdiese Verwandtschaft der Rhetorik und der Dialektik: gleichsameine ausgedehnte Eristik, obwohl dieser Begriff zu engist. Aristot. Topik I, 12 sagt, man behandle eine Sache philosophischnach der Wahrheit, dialektisch nach dem Scheinoder Beifall, nach der Meinung, der B6$a Anderer. DasselbeHesse sich von der Rhetorik aussagen. Beide unter den Begriffzu fassen: die Kunst, Recht zu behalten in Rede und Unterredung:EU Xeyeiv! Das lässt sich gegen die AristotelischeDefinition einwenden: die Dialektik erscheint als eine Unterrubrikder Rhetorik.Man bemüht sich nun, eine Definition zu finden, in derdie Theile der Beredsamkeit zu erkennen sind, da man292


:Aristoteles vorwarf, er bezeichne nur die inventio. Inventio undelocutio, als die wichtigsten Faktoren vereinigt Quint. 2, 15,37: qui recte sentire et dicere rhetorices putaverunt (6pöuj?Yvoüvai xal epiiT^vsüoat). Die dispositio (Td;i?) hinzugefügt beiRufus: eTCiaxT^jxTj xou xaXÄ? xal TreiaiixÄ? oiaOeaöai xov Xoyov.Theodorus Gadareus bei Quint. 2, 15, 21 hat vier Theile: arsinventrix et iudicatrix et nuntiatrix decente omatu (griechischwohl xe^fVY] süpexixY] xal xpixixY] xal epixr^vsüxixY) jxsxa TipeTrovxo?x6a(xou). Endlich alle fünf Quint. 5, 10, 54: id aut Universumverbis <strong>com</strong>plectimur ut rhetorice est bene dicendi scientia,aut per partes ut rhetorice est recte inveniendi et disponendiet eloquendi cum firma memoria et cum dignitate actionisscientia. Man sieht, wie das eu Xsysiv der Stoiker allmählichumschrieben wird.Sodann wurde an Stelle des aristotelischenTCspl Ixaoxov, wie es scheint, durch den höchst einflussreichenHermagoras (nicht lange vor Cicero lebend) gesetzt: ev tuoXixixä7:pdY|iaxi: um philosophische Untersuchungen sowie speziellfachwissenschaftliche auszuschhessen. Darunter werden verstandendie allen Menschen innewohnenden Begriffe vondem, was gut, recht und schön ist, die einer besonderenLehre nicht bedürfen: xoival Ivvoiai im Gegensatz eines speziellenStudiums oder Handwerks. Der platonische Protagorasgiebt Aufschluss, was man unter der äpzx'fi TroXixix-/] einesMannes verstand.Nach den zwei griechischen Lehrbüchern des Anaximenesund des Aristoteles folgen lateinische Bearbeitungen derRhetorik: auctor ad Herennium und Ciceros Schriften. AlsErsterer gilt jetzt Cornificius: in seinen Thatsachen berührter nur die sullanische Zeit [. . .]. Ciceros de inventione(U Bücher) eine Jugendarbeit ganz nach griechischen Quellender Auctor ad Herennium hier viel benutzt, doch machtCicero im Allgemeinen alles schlechter als jener. Die inspäterem Alter (698) geschriebenen Bücher de oratore hält er293


nach Form und Inhalt für sehr wichtig: die Hauptpersonen,Crassus und Antonius, drücken nur die Ueberzeugung desVerfassers aus. Er eifert gegen die trivialen gewöhnlichenLehrbücher (darunter z. B. der auctor ad H. gehört). Inder Person des Antonius belehrt er uns, wie er seine Redentechnisch ausarbeitete: in der des Crassus entwirft er dashöhere Bild des philosophischen Redners (etwa das IdealbildPiatons). Aber er hat nie den Gegensatz des wahren Philosophenund des Redners begriffen, gegen Aristoteles ist seiaBuch roh und unerspriesslich. — Der Brutus ist eine aova-YU)YY) Twfjiaiwv ^TjTopcüv, Charakterzeichnung der berühmtenRedner Roms, unschätzbar. Der Orator behandelt nur einenTheil der Rhetorik: C. findet den perfectus orator in derelocutio. Die Topik, eine Gelegenheitsschrift an den Trebatius,geht aber über ihr Ziel, eine Topik zu sein, hinaus.[Folgen Litteraturangaben.]§ 2.Eintheilung derRhetorik und der Beredsamkeit.Die ältesten xepai, vor Isokrates, enthielten nur Anleitung-zur Abfassung von Prozessreden. Diese Beschränkung aufdie gerichtliche Beredsamkeit tadelt Isokrates in orat. XIII 19und fügt die berathende Beredsamkeit hinzu. Diese beidenGattungen kennt allein Anaximenes. Aristoteles fügt dasgenus demonstrativum eTuioeixxuöv hinzu, zum deliberativumund iudiciale. Dem Stoffe nach zerfällt die Beredsamkeit alsoin drei genera caussarum, genus owavixov ou}i.ßouXeuTix6v etti-8eixTix6v (auch TravTjupixöv und k'(Y.{o\i\.aQ'ziy.Q^ genannt). Diegerichtliche will anklagen oder vertheidigen, die berathendewill zu etwas antreiben oder von etwas abmahnen, die epideiktischehat zu loben oder zu tadeln.Grosser Kampf dagegen: als Suasorien und Controversienaufkamen, gab es zwei Arten der Beredsamkeit. ThatsächUch294


II17evoc TrpaYjjiaTixov in negotiis und "(ivoc, eTuiBeixxixov in ostentationepositum. Für beide vier Unterarten elSo? Bixavixov(wirkliche oder fingirte Controversien) ,yhoc, auiißouXsuxixovwirkliche in Rathsversammlungen oder vor dem Volk gehalteneberathende oder imitirte Suasorien, Lob- und Tadelreden,yevo? £YX(üjiiaaiix6v (mit den invectivae) und ^svocevTsuxTixov Gelegenheitsreden, namentlich Begrüssungs- undAbschiedsreden. Andere stellten als viertes genus dasloTopixov dazu: wohl gemeint die rhetorisirende Geschichtsschreibung,wie sie durch die Schule des Isokrates namentlichbei Theopomp hervortritt. Auf diesem Wege weitergehendzählten einige an 30 Gattungen auf (Eintheilung dergesammten kunstmässigen Prosa).Die Philosophen haben eingetheilt in Oeai? und uiroOeaK;.Erstere betrachtet die Sache an sich und ganz allgemein,letztere wie sie unter gegebenen Umständen in die Erscheinungtritt. Das Allgemeine zu bestimmen, ist Sacheder Philosophie, das Spezielle fällt der Rhetorik anheim.Die drei genera haben die Philosophen der urodsai? untergeordnet.Nur die Stoiker setzen das demonstrativum unterdie Oeaic, das nämlich macht die grösste Mühe und der gemeinenPraxis ist es sehr unbequem. Die Stoiker theilen:XoYo? öewpTnxixö? Xoyo? Tcpaxxixo?I^eYxa)|i,iov ^6-{o


uTcoxpiai? und (j.vt^[jlyj (bei Aristoteles ganz consequent, da erdie Leserede als Typus anerkennt). Vor allem aber war diestoische Eintheilung zu überwinden vovjai? e5p£oi


indices, quod sentio quam sit exiguum, aut si qua exercitatiodicendi, in qua me non infitior mediocriter esse versatum,aut si huiusce rei ratio aliqua ab optimarum artium studiisac disciplina profecta, a qua ego nullum confiteor aetatismeae tempus abhorruisse etc.§ 3.Verhältniss des Rhetorischen zur Sprache.„Rhetorisch" nennen wir einen Autor, ein Buch, einenStil, wenn ein bewusstes Anwenden von Kunstmitteln derRede zu merken ist, immer mit einem leisen Tadel. Wirvermeinen, es sei nicht natürlich und mache den Eindruckdes Absichtlichen. Nun kommt sehr viel auf den Geschmackdes Urtheilenden an und darauf, was ihm gerade „natürlich"ist. Im Allgemeinen erscheint uns, die wir rohe Sprachempirikersind, die ganze antike Litteratur etwas künstlichund rhetorisch, zumal die römische. Das hat auch darin seinentieferen Grund, dass die eigentliche Prosa des Alterthumsdurchaus Widerhall der lauten Rede ist und an deren Gesetzensich gebildet hat: während unsere Prosa immer mehr ausdem Schreiben zu erklären ist, unsere Stilistik sich als einedurch Lesen zu percipirende giebt. Der Lesende und derHörende wollen aber eine ganz andere Darstellungsform,und deshalb klingt uns die antike Litteratur „rhetorisch":d. h. sie wendet sich zunächst ans Ohr, um es zu bestechen.Ausserordentliche Ausbildung des rhythmischen Sinnes beiGriechen und Römern, im Hören des Gesprochenen, beiungeheurer fortwährender Uebung. — Es steht hier ähnlichwie bei der Poesie — wir kennen Litteraturpoeten, dieGriechen wirkliche Poesie ohne Vermittlung des Buches.Wir sind viel blasser und abstrakter.Es ist aber nicht schwer zu beweisen, dass was manals Mittel bewusster Kunst „rhetorisch" nennt, als Mittel297


unbewusster Kunst inder Sprache und deren Werden thätigwaren, ja, dass die Rhetorik eine Fortbildung der in der Sprachegelegenen Kunstmittel ist, am hellen Lichte des Verstandes.Es giebt gar keine unrhetorische „Natürlichkeit" der Sprache,an die man appelliren könnte: die Sprache selbst ist dasResultat von lauter rhetorischen Künsten. Die Kraft, welcheAristoteles Rhetorik nennt, an jedem Dinge das heraus zufinden und geltend zu machen, was wirkt und Eindruckmacht, ist zugleich das Wesen der Sprache: diese beziehtsich ebensowenig wie die Rhetorik auf das Wahre, auf dasWesen der Dinge, sie will nicht belehren, sondern eine subjektiveErregung und Annahme auf Andere übertragen. Dersprachbildende Mensch fasstnicht Dinge oder Vorgänge auf,sondern Reize: er giebt nicht Empfindungen wieder, sondernsogar nur Abbildungen von Empfindungen. Die Empfindung,durch einen Nervenreiz hervorgerufen, nimmt das Ding nichtselbst auf: diese Empfindung wird nach aussen hin durchein Bild dargestellt: es fragt sich aber überhaupt, wie einSeelenakt durch ein Tonbild darstellbar ist? Müsste nicht,wenn vollkommen genaue Wiedergabe stattfinden sollte, vorallem das Material, in welchem wiedergegeben werden soll,dasselbe sein, wie dasjenige ist, in dem die Seele arbeitet?Da es nun aber ein Fremdes ist — der Laut —, wie kannda Genaueres herauskommen als ein Bild? Nicht die Dingetreten ins Bewusstsein, sondern die Art, wie wir zu ihnenstehen, das Tuidav&v. Das volle Wesen der Dinge wird nieerfasst. Unsere Lautäusserungen warten keineswegs ab, bisunsere Wahrnehmung und Erfahrung uns zu einer vielseitigen,irgendwie respektabeln Erkenntniss der Dinge verholfen hat:sie erfolgen sofort, wenn der Reiz empfunden ist. Statt derDinge nimmt die Empfindung nur ein Merkmal auf Dasist der erste Gesichtspunkt: die Sprache ist Rhetorik, denn siewill nur eine 86 Sa, keine eTriaTT^fiTj übertragen.298


Als wichtigstes Kunstmittel der Rhetorik gelten die Tropen,die uneigentlichen Bezeichnungen. Alle Wörter aber sindan sich und von Anfang an, in Bezug auf ihre Bedeutung,Tropen. Statt des wahren Vorgangs stellen sie ein in derZeit verklingendes Tonbild hin: die Sprache drückt niemalsetwas vollständig aus, sondern hebt nur ein ihr hervorstechendscheinendes Merkmal hervor. Wenn der Rhetor„Segel" statt „Schiff", „Welle" statt „Meer" sagt, so ist dasdie Syjiekdoche, ein „Mitumfassen" trat ein 5 aber dasselbe istdoch, wenn opdxwv Schlange heisst, eigentlich die „glänzendblickende" oder serpens die kriechende 5 aber warum heisstserpens nicht auch Schnecke? Eine einseitige Wahrnehmungtritt ein für die ganze und volle Anschauung. In anguisbezeichnet der Lateiner die Schlange als constrictorj dieHebräer nennen sie die Zischelnde oder die Sichwindendeoder die Verschlingende oder die Kriechende. — Diezweite Form des Tropus ist die Metapher. Sie schafft die^Wörter nicht neu, sondern deutet sie um. Z. B. bei einemBerg redet sie von Koppe, Fuss, Rücken, Schlünde, Hörner,Adern; TCpoowTCov Gesicht, mit vsco? das Vordertheil,5^eiXT] Lippen, mit TroxaiiÄv Flussufer, yXÄaoa Zunge, auchMundstück der Flöte jiiaoio? Brust, auch Hügel. Die Metapherzeigt sich in der Bezeichnung des Geschlechtes, dasgenus im grammatischen Sinn ist ein Luxus der Spracheund reine Metapher. Dann Uebertragung vom Räume aufdie Zeit, „zu Hause", ,Jahraus", von der Zeit übertragenauf Causalität, qua ex re, hinc inde, oöev, ei? ti. — Einedritte Figur ist die Metonymie, Vertauschung von Ursache yund Wirkung; wenn z. B. der Rhetor „Schweiss" für „Arbeit"sagt, „Zunge" statt „Sprache". Wir sagen „der Trank istbitter" statt „er erregt in uns eine Empfindung der Art";„der Stein ist hart", als ob hart etwas anderes wäre als einUrtheil von uns. „Die Blätter sind grün." Auf Metonymie299


zurück geht die Verwandtschaft von Xeuaaw und luxluceo, color(Decke) und celare.[xt^v mensis manot ist der „Messende", nacheiner Wirkung benannt. — In summa: die Tropen treten nichtdann und wann an die Wörter heran, sondern sind deren eigensteNatur. Von einer „eigentlichen Bedeutung", die nur in speziellenFällen übertragen würde, kann gar nicht die Rede sein.Ebensowenig wie zwischen den eigentlichen Wörtern undden Tropen ein Unterschied ist, giebt es einen zwischender regelrechten Rede und den sogenannten rhetorischenFiguren. Eigentlich ist alles Figuration, was man gewöhnlichRede nennt. Die Sprache wird geschaffen von den einzelnenSprachkünstlern, festgestellt aber dadurch, dass der Geschmackder Vielen eine Auswahl trifft. Die einzeln Wenigen redenoyrniaTOij ihre virtus vor Vielen. Dringen sie nicht durch, soberuft sich Jeder ihnen gegenüber auf den usus und sprichtvon Barbarismen und Solöcismen. Eine Figur, welche keineAbnehmer findet, wird Fehler. Ein von irgend einem ususangenommener Fehler wird eine Figur. Die Freude an Gleichklangengilt auch bei den p'^xopec, xot laa a)cirj(jLaTa, zu denkenan die uapiatuaei? des Gorgias. Aber über das Maass istgrosser Streit: der Eine ist da entzückt, wo der Anderewidrige Fehler empfindet. Luther tadelt als neue Wörterbeherzigen, erspriesslich.Sie sind durchgedrungen, ebenso wie„furchtlos" seit Simon Dach, „empfindsam" seit der Uebersetzungvon Yoriks empfindsamer Reise 1768. „Umsicht" alsUebersetzung von circumspectio von 1794, „Leidenschaft"erst seit Ch. Wolf nach izd^oc,. Aber die Formen der Enallage,Hypallage, Pleonasmus sind bereits im Werden derSprache, des Satzes thätigj die gesammte Grammatik ist dasProdukt dieser sogenannten figurae sermonis.')^) Ausführliche Sammlungen in diesem Sinne gemacht bei Gustav Gerber,,,Die Sprache als Kunst", Bromberg 1871.300


§ 4.Reinheit, Deutlichkeit und Angemessenheitder elocutio.Von „Reinheit" ist nur die Rede bei einem sehr entwickeltenSprachsinn eines Volkes, der vor allem in einer grossenSocietät, unter den Vornehmen und Gebildeten sich festsetzt.Hier entscheidet sich, was als provinziell, als Dialekt undwas als normal gilt, d. h. „Reinheit" ist dann positiv der durchden usus sanktionirte Gebrauch der Gebildeten in der Gesellschaft,„Unrein" alles, was sonst in ihr auffällt. Also das„Nicht-Auffällige'' ist das Reine. An sich giebt es weder einereine noch eine unreine Rede. Sehr wichtiges Problem, wiesich das Gefühl für die Reinheit allmählich bildet, und wieeine gebildete Gesellschaft wählt, bis sie das ganze Bereichumschrieben hat. Offenbar verfährt sie hier nach unbewusstenGesetzen und Analogieen; eine Einheit, ein einheitlicher Ausdruckwird erreicht: wie einem Volksstamm ein Dialekt genauentspricht, so einer Societät ein als „rein" sanktionirter Stil. —In Perioden eines Sprachwachsthums ist von „Reinheit" nichtdie Rede: nur bei einer abgeschlossenen Sprache. Barbarismen,häufig wiederholt, gestalten endlich die Sprache um: so bildetesich die xoivyj yXttiaaa, später die byzantinische j6(üjxalxY] yXÄaaa,endlich das gänzlich barbarisirte Neugriechisch. Wie vielBarbarismen haben daran gearbeitet, um aus dem Lateinischendie romanischen Sprachen zu bilden. Und durchdiese Barbarismen und Solöcismen kam es zu gutem, sehrgesetzmässigem Französisch!Das xadapov tt)«; Xe^sw? allgemeines Erforderniss : nicht nurgrammatische Correktheit, sondern auch richtige Wahl derWorte. Aristot. Rhet. III 5 sagt: äpyri tyj? Xe^sox; t6 eXXyjviCsiv.Die späteren Redner gehen im reinen Atticisnms bis zurManierirtheit. Bei Cornific. IV 12, 17 wird ebenso die latinitasbetont — welche die Rede freihält von Solöcismen,301


syntaktischen Verstössen, und Barbarismen, Verstössen gegendie Formenlehre (das Wort von der athenischen ColonieSöXoi in Cilicien,besonders schlechtes Griechisch Strabo XIVp. 66}). Die Barbarismen sind folgende: i. icpooOeai?: z. B.SwxpdiTQv für SwxpdTT], relliquiae als „adiectio litterae"j 2. d^aipeai?:'Ep|jL7j statt 'EpiiTjv, pretor für praetor als „detractiolitterae"j 3. IvaXXay^: z. B. 7]SuvdjJLT^v für e8üvd{Air]v als immutatiolitterae, si litteram aliam pro alia pronuntiemus ut arvenirepro advenirej 4. jxsTd&eai«;: Spicpov für Sifppov, transmutatioOevYjj 7. xaxd tovov: z. B. ßouXwjjiai für ßouXojxaij 8. xaid j(p6vou?:z. B. steteruntque <strong>com</strong>aej 9. xaxd Tcveujia: z. B. aSpiov stattaöpiov, omo für homo, chorona für Corona. Dann zweiteGattung: Solöcismen,') dritte Gattung die dxupoXoYia, Verstössegegen die Synonymik. Die Unterscheidung geht auf dieStoikerzurück.litterae Evandre statt Evanderj 5. ouvaXonpT^: 6 i^diepo? statt6 exepo? bei Menander, weil die Crasis ödiepov nur das Neutrumbetreffen kannj 6. Biaipsai?: z. B. Arjiioaöevsa statt Ayjfioa-Die dxupoXoYia ist die Hauptsünde gegen die Deutlichkeit, dadurchdass sie die proprietas der Worte vernachlässigt. Unterproprietas im rhetorischen Sinne der Ausdruck zu verstehen,der eine Sache am vollständigsten bezeichnet, quo nihil inveniripotest significantius. Besonders Lysias wird gerühmt, er habeseine Gedanken stets durch xupid xe xal xoivd xal ev [xsow xeijievadv6(jiaxaausgedrückt und doch, beim Vermeiden des Tropus,seinem Gegenstand Schmuck, Fülle und Würde erwiesen.Die*) Solöcismen bei Lessing Bd. 20 p, 182: „Seien Sie, wer Sie wollen,wenn Sie nur nicht der sind, der ich nicht will, dass Sie sein sollen", quinolo ut sis Bd. 8 p. 3 : „Die Gelehrten in der Schweiz schickten einen<strong>Band</strong> alter Fabeln voraus, die sie ungefähr aus den nämlichen Jahren zusein urtheilten", quas iisdem annis ortas esse iudicabant. Schiller, Wallenstein:„gefolgt von einer Heeresmacht", ,,gehorcht zu sein, wie er, konntekein Feldherr sich rühmen".302


Dunkelheit entsteht durch Gebrauch veralteter Wörter undAusdrücke/) auch entlegener termini technici, durch unübersichtlicheLänge, durch verschränkte Wortstellung, durch Einschiebselund Parenthesen, dfjKpißoXiai, die doiavor^xa (wo hinterklaren Worten ein ganz anderer versteckter Sinn liegt). Der Rednermuss nicht nur dafür sorgen, dass man ihn verstehen kann,sondern dass man ihn verstehen muss.[§ 291] 43(5 f. [553Schopenhauer Parerga IIR.]: „Dunkelheit und UndeutHchkeit ist allemalund überall ein sehr schlimmes Zeichen. Denn in 99 Fällenunter 100 rührt sie her von der Undeutlichkeit des Gedankens,welche selbst wiederum fast immer aus einem ursprünglichenMissverhältniss,Inconsistenz und also Unrichtigkeit desselbenentspringt." — «Die, welche schwierige dunkle verflochtenezweideutige Reden zusammensetzen, wissen ganz gewiss nichtrecht, was sie sagen wollen, sondern haben nur ein dumpfes,nach einem Gedanken ringendes Bewusstsein davon: oft auchwollen sie sich selber und Anderen verbergen, dass sieeigentlichnichts zu sagen haben." — „Wie jedes Uebermaass einerEinwirkung meistensdas Gegentheil des Bezweckten herbeiführt,so dienen zwar Worte, Gedanken fasslich zu machen jjedoch auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Ueber diesenhinaus angehäuft, machen sie die mitzutheilenden Gedankenwieder dunkler und immer dunkler . . . Jedes überflüssigeWort wirkt seinem Zweck entgegen: wie Voltaire sagt, „dasAdjektiv ist der Feind des Substantivs", „das Geheimniss,langweilig zu sein, ist, alles zu sagen". „Immer noch besser,etwas Gutes wegzulassen, als etwas Nichtssagendes hinzuzusetzen."„Alles Entbehrliche wirkt nachtheilig."^) Es ist oft schwer zu sagen, was ein Archaismus sei: Adelung tadeltals Archaismen z. B. heischen, entsprechen, Obhut, bieder, Fehde, Heimat,stattlich, lustwandeln, befahren, Rund, Schlacht, Irrsal, als unzulässigeNeologismen „sich etwas vergegenwärtigen", liebevoll, entgegnen, Gemeinplatz,beabsichtigen, Ingrimm, weinerlich.303


Das dritte Erforderniss der Darstellung ist Angemessenheitdes Ausdrucksj oratio probabilis eine Rede, die nicht wenigernoch mehr sei, als recht istj die Xe^i? müsse TcpsTrouoa sein,sagt Arist. Rhet. III 2. Vermeidung gewisser Fehler nöthig:I. xaxe|ji(faTov oder aio^^poXoYia (durch zufällige Trennung oderVerbindung von Silben kommen Obscenitäten zum Vorschein,cum notis hominibus loqui, cum Numerio fui). 2. xaTrsivcüai?oder humilitas, durch die die Grösse oder Würde einerSache beeinträchtigt wird,saxea est Verruca in summo montisvertice. Ein Mörder darf nicht als nequam, jemand, der miteiner Hetäre ein Verhältniss hat, nicht als nefarius bezeichnetwerden. 3. Die |iei(oaic, hier fehlt etwas an der Vollständigkeit.4. Die xauToXoYia, die Wiederholung desselben Wortesoder desselben Begriffes. 5. Die auvü)vu|xia, die Wiederholungdes eben Gesagten mit anderen Ausdrücken. 6. Die ofxoio-Xoyia, Mangel jeglicher Abwechslung, Monotonie. 7. DiejiaxpoXoyia, longior quam oportet sermo. 8. Pleonasmus, cumsupervacuis verbis oratio oneratur. Unser „FHckwort" istTrapaTiXT^piofia. Cicero redet bei den asiatischen Rednern von<strong>com</strong>plementa numerorum. 9. Trepispyia supervacua operositas.10. xaxoCTjXov eine verkehrte Affektation, der Stil erscheint als„gemacht" (das was wir „rhetorische" oder poetische Prosanennen), entsteht aus der Neigung, den Stil blühend zumachen:dahin gehört aber auch das Frostige t6 (j;u;(p6v (Arist. Rhet.in 3) im Gebrauch dichterischer Composita, glossematischerAusdrücke, überflüssiger Epitheta und zu weit hergeholterMetaphern, ir. xö dvoixov6(i,Y]xov schlecht disponirt. 12. o.


sich geziemt. Apologie des Sokrates darnach zu beurtheilen. —Manche von diesen vitia kommen nun auch als Zierden, alsSteigerungen später, unter der Rubrik des ornatus, vor.Es kommt ferner darauf an, für wen und bei wem manspricht, zu welcher Zeit, an welchem Ort, für welche Sache.Anders der bejahrte Redner, anders der junge Mann. BewundernswerthLysias, sich bei seinen Reden nach demCharakter der Redenden zu richten, ebenso nach den Zuhörernund dem Gegenstande. Dionys. de Lys. iudic. 9 p. 245.Manche an sich lobenswerthe Eigenschaften können unpassenderscheinen — in einem Prozess auf Leben und Tod ist zugrosse Sorgfalt des Stils und Kunst der Komposition nichterlaubt. Die epideiktische Beredsamkeit verlangt viel mehrSchmuck als die gerichtliche. Die scharfe Scheidung der generaim Ausdruck führte sogar zur Manier: Quint. III 8, 58 klagt,dass einige Deklamatoren bei der Suasoria einen schroffenAnfang afFektiren, eine eilige und aufgeregte Rede, im Ausdruckden cultus effusior, um in allen Stücken von der Gerichtsredeabzuweichen. — Also in summa: Reinheit undDeutlichkeit überall 5 alles aber modificirt nach dem Charakteristischenvon Ort, Gelegenheit, Sprechenden, Zuhörenden— das Stilgefühl, welches in jedem Falle einen modifizirtenAusdruck verlangt: etwa wie in der Musik der gleiche Rhythmuseines Tonstücks durchgeht, unverletzt: innerhalb desselbenaber die zartesten Modifikationen nöthig sind. Dercharakteristische Stil ist das eigentliche Kunstbereich desRedners: hier übt er eine freie plastische Kraft, die Spracheist für ihn ein bereites Material. Hier ist er nachahmenderKünstler, er redet ähnlich wie der Schauspieler aus einerfremden Person oder einer ihm fremden Sache heraus: hierliegt der Glaube zu Grunde, dass Jeder in seiner eigenstenManier seine Sache am besten führt, d. h. am überzeugendstenwirkt. Dabei empfindet der Zuhörer die Natürlichkeit,20 Nietzsche V 305


d. h. die unbedingte Angemessenheit und Einheitlichkeit:während er, bei jeder Abweichung davon, die Künstlichkeitempfindet und dann misstrauischgegen die vertretene Sachewird. Die Kunst des Redners ist, nie eine Künstlichkeitmerken zu lassen: daher der charakteristische Stil, der abererst recht ein Produkt der höchsten Kunst ist:wie die „Natürlichkeit"des guten Schauspielers. Der wahre Redner redetaus dem rfioz der von ihm vertretenen Person oder Sacheheraus: er erfindet die besten Apologieen und Argumente(wie sie gewöhnlich nur der Egoismus findet), die überredendstenWorte und Manieren: das Merkwürdige an ihmist, dass er durch Kunst, durch ein Vertauschen der Personenund durch darüber schwebende Besonnenheit alles dasfindet und sich zu Nutze macht, was der beredteste Anwaltjedes Menschen und jeder Partei, der Egoismus, nur zu findenvermag. Es ist eine Vertauschung des ego wie bei demDramatiker. Goethe betont, dass alle bei Sophokles auftretendenPersonen die besten Redner sindj denn wennjede gesprochen, hat man immer den Eindruck, dass ihre Sachedie gerechteste und beste ist. Das ist eben die Wirkung descharakteristischen Stils, durch den Sophokles, zur Reife gelangt,sich auszeichnete, nach seinem eigenen Zeugniss.§5.Die charakteristische Rede im Verhaltniss zumSchmuck der Rede.Im Munde dessen, der für sich oder eine Sache redet, mussdie Rede ganz angemessen und natürlich erscheinen: manmuss also an die Kunst der Vertauschung nicht erinnertwerden, weil sonst der Zuhörer misstrauisch wird und überlistetzu werden fürchtet. Es giebt also, auch in der Rhetorik,eine „Nachahmung der Natur", als Hauptmittel zu überzeugen:nur wenn der Sprechende und seine Sprache einander adäquat305


sind, glaubt der Zuhörer an den Ernst und die Wahrheit dervertretenen Sachej er erwärmt sich für den Redner undglaubt an ihn — nämlich dass er selbst an seine Sache glaubt,also redlich ist. Die „Angemessenheit" geht also auf einenmoralischen Effekt hinaus, Deutlichkeit (und Reinheit) aufeinen intellektuellen:verstanden will man werden, als redlichwill man gelten. Die „Reinheit" ist schon eine halb künstlerischeBeschränkung des Charakteristischen j denn in demMunde vieler würden, zur vollen Täuschung, auch Solöcismenund Barbarismen nöthig sein (zu erinnern an die Art, wieShakespeare Pförtner und Ammen auftreten lässt, KiXiaoa inden Cheophoren). Das Charakteristische wird also einmalgebrochen durch Uebertragung in die gebildete Sprachsphäre.Zweitens durch das allgemeine Erforderniss vom „Schmuckder Rede". Dieser ist aus der agonalen Neigung der Altenzu erklären — alles öffentliche Auftreten des Individuumsist ein Wettkampf: dem Kämpfer aber ziemen nicht nurstarke, sondern auch glanzende Waffen. Nicht nur angemessen,sondern schön muss man die Waffen handhaben, nicht nurzu siegen, sondern „elegant" zu siegen, ist Erforderniss beieinem agonalen Volke. Ausser dem Eindruck der „Redlichkeit"soll auch der Eindruck der Ueberlegenheit, in der Freiheit,Würde, Schönheit der Form des Kampfes, hervorgebrachtwerden. Das eigentliche Geheimniss der rhetorischen Kunstist nun das weise Verhältniss beider Rücksichten, auf das Redlicheund auf das Künstlerische. Ueberall, wo die „Natürlichkeit"nackt nachgeahmt wird, fühlt sich der künstlerischeSinn der Zuhörer beleidigt, wo dagegen rein ein künstlerischerEindruck erstrebt wird, wird leicht das moralischeZutrauen des Zuhörers gebrochen. Es ist ein Spiel auf derGrenze des Aesthetischen und Moralischen: jede Einseitigkeitvernichtet den Erfolg. Die ästhetische Bezauberung soll zudem moralischen Zutrauen hinzukommen, beide sollen sich20'307


nicht aufheben: die admiratio des Kämpfers ist ein Hauptmitteldes TciOavöv. Cicero schreibt an Brutus: nam eloquentiam,quae admirationem non habet, nullam iudico. Er sagtDe orat. in 14, 52 s. [. . .]: „Niemals ist ein Redner darumbewundert worden, weil er lateinisch sprach: kann er dasnicht, so wird er ausgezischt und kaum für einen Menschen,geschweige für einen Redner gehalten. Noch niemand hatden gepriesen, der so redete, dass die Anwesenden ihn verstehenkonnten, sondern den verachtet, der das nicht konnte.Wer also erschüttert die Menschen? Wer fesselt die staunendenBlicke? Wem tönt lauter Beifall? Wer ist so zusagen der Gott unter den Menschen? Wer deutlich, werzusammenhängend, wer mit reicher Fülle und strahlenderPracht der Sachen und der Worte redet und dabei fast indichterischen Rhythmen sich bewegt — das ist's, was ichschön nenne. Wer zugleich sich so weit mässigt, als es dieWürde der Sachen und Personen verlangt, von dem sageich, dass er das Lob eines angemessenen Vortrags verdient."des Schönen:'')Hier erscheint das Charakteristische fast als eine Einschränkungwährend gewöhnhch das Schöne als Einschränkungdes Charakteristischen betrachtet wird. Sehr schön sagtder Autor des dialog. de orator. c. 22:') „Ich verlange vomRedner, wie von einem wohlhabenden und stattlichen Hausvater,dass das Haus, in dem er lebt, nicht nur gegen Regenund Wind schütze, sondern auch Sinne und Augen erfreue,dass er sich ein Hausgeräth schaffe,nicht nur zur Befriedigungder nächsten Bedürfnisse, sondern dass auch Gold und Edelgesteinin seinen Schränken liege, das man bisweilen in die*) Ebenso Quintilian I, 5, i (quia dicere apte, quod est praecipuum(fort, ego rpeTTOv) plerique ornatui subiciunt) fängt so an: iam cum omnisoratio tres habeat virtutes, ut emendata, ut dilucida, ut ornata sit.*) [Die lateinischen Citate sind in dem ganzen Abschnitt am Randemeist vollständiger ausgeschrieben.]308


Hand nehmen und anschauen mag." Die Abwesenheit jedesSchmuckes wird c. 23 keinesfalls als Zeichen voller Gesundheitangesehen ies gebe trübselige und von jeder Anmuthentblösste Redner, die ihre geistige Frische, von der sie soviel Wesens machen, nicht aus einer starken Organisation,sondern durch eine Hungerkur gewinnen. „Den Aerztengefällt aber das physische Dasein einer Gesundheit nicht, dieman durch ängstliche Sorgsamkeit erwirbt j nicht krank sein,genügt durchaus nicht: wacker, lustig, froh soll der Menschsein. Wo man nur das Wohlbefinden zu rühmen weiss, daist die Kränklichkeit nicht ferne." Die Schönheit gilt ihmgewissermaassen als die Blüthe der Gesundheit, c. 21: „es istmit der Rede, wie mit dem menschlichen Körper:dann schön, wenn die Adern daran nicht hervortreten, dieKnochen nicht zu zählen sind, wenn vielmehr gesundesgutes Blut die Glieder füllt, schwellende Muskeln bildet undauch über die Nerven die Röthe breitet und alles schönsie ist nurdarstellt." Andererseits macht Cicero de oratore III 25, 98 ss.darauf aufinerksam, wie an die grösste Sinnenlust der grössteUeberdruss angrenzt: es sei also grosse Gefahr mit demornatus verknüpft. Die Rede muss Schatten und Ruhepunktedarbieten, einmal, damit keine Abstumpfung eintrete, sodann,damit die Lichtseiten hervortreten (wie Hamann sagt: „Deutlichkeitist die richtige Vertheilung von Licht und Schatten").Die allgemeinen Eigenschaften des ornatus beschreibt Quint.VIII c. 3, 61: ornatum est, quod perspicuo ac probabili plusest — also eine Steigerung (oder Modifikation) der Eigenschaftender Deutlichkeit und des Angemessenen. Die grammatischeCorrektheit lässt sich nicht steigern, aber modificiren,durch Ausdrucksweisen, die von dem Herkömmlichen zwarabweichen, aber doch berechtigt sind und angenehme Abwechslungbringen (z. B. alterthümliche Formen und Ausdrücke).Die sogenannten grammatischen Figuren gehören309


hierher. Dann Abweichen von der proprietas durch dieTropen. Die Deutlichkeit zu steigern durch Anwendung vonBildern und Gleichnissen, oder ausdrucksvolle Kürze oderAmplifikation. Dann Sentenzen und Figuren als Kunstmittelder Rede, zur Verstärkung des Angemessenen. — Aber allerSchmuck muss männlich kräftig und würdig sanctus sein, freivon weibischer Leichtfertigkeit und falscher Schminke. Obwohlhierdas Grenzgebiet zwischen Tugenden und Fehlernsehr klein ist. Dies gilt besonders im Betreff der numeriorationis: die Alten verlangten auch für die ungebundeneRede fast Verse: zum Athemholen nämlich Schlusspunkte,die nicht nach Ermüdung, nicht nach Interpunktionszeichen,sondern nach dem numerus einzufügen seien. Diese numeristehen wieder in Verbindung mit der modulatio der Stimme.Dabei gilt aber ein wirklicher Vers durchaus als Fehler.Damit hängt dann wieder der Bau der Periode zusammen.Besonders wichtig sind die Anfänge und die Schlüsse derPerioden, diese fallen am stärksten ins Ohr.Der Schmuck also verlangt die Uebertragung des Angemessenenin eine höhere Sphäre von Schönheitsgesetzen,er ist Verklärung des Charakteristischen, einmal durch Ausscheidungdes minder Edlen im Charakteristischen, sodannSteigerung des Edlen und Schönen, der grossen Züge desCharakteristischen. Er ist höhere Natur, im Gegensatz zueiner gemeinen Natürlichkeit, Nach- und Umbildung, imGegensatz zur Nachahmung und Nachäffung.§ 6.Modifikation der Reinheit.Da die Dichter (sagt Arist. Rhet. III i) trotz gewöhnlicherGedanken durch den Reiz ihrer Sprache zu solchem Rufgelangt zu sein schienen, deswegen war die erste Redeeine poetische, und auch jetzt noch glauben die meisten


Ungebildeten, dassdiese Art Redner am schönsten sprächen.Gorgias wollte der Rede einen ähnlichen Reiz verleihen, wieihn die Dichter besassen :er erkannte das Gesetz des Isokratesnicht an, dass sie sich nur der gewöhnüchen Worte zu bedienenhätten. Er wurde derErfinder der grossartigen und poetisirendenRedegattung, die besonders von Thucydides ausgebildet wurde.Thucydides liebt, nach Dion. v. Halic, die Xe^i? dTC-/]p^ai(o(xevY)und YXu)aaYj[xaTixTQ. Seine Sprache ist die für öffentliche Verhandlungendamals in Athen nicht mehr gebräuchliche: er hieltsichan das Verschwindende, wie an den altattischen Dialektmit seinem updaacD, Z6v, kc,, TSTdj^aiai u. s. w. Thucydidesfühlte, dass die gemeine Sprache weder ihm noch seinemThema angemessen sei. In neuen und eigenthümlichen Formen,in ungebräuchlichen Construktionen thut er seine Herrschaftüber die Sprache dar. Bei Rednern, die durch ihreReinheit und Schlichtheit berühmt sind, ist der Gebrauchveralteter Worte -^Küooai sehr selten, ebenso der der Neubildungen7reTCoi7]|jL£va und Composita SiTcXä oder ouvdsxa.Werden sie gebraucht, dann an gehobenen Stellen. Es verrätheine mangelhafte technische Durchbildung, wenn selteneWörter beliebig, ohne bestimmten Zweck, wie bei Andocides,verwendet werden : der Stil wird buntscheckig. (Hier findensich Reminiscenzen an die Sprache der Tragiker.) Sehr vielBewusstsein hat Antiphon, der Würde erstrebt, auch durchAlterthümlichkeit, z. B. oa: während schon Pericles sich demmodernen Dialekt in öffentlichen Reden anbequemte und dieKomödie beweist, wie man zu Antiphon's Zeiten öffentHchim Volke sprach. In seiner xi-pf] waren Vorschriften überBildung neuer Worte gegeben. Innerhalb der Grenze derDeuthchkeit schmückt er die Rede mit allen Reizen desNeuen und Ungewöhnlichen. Viele äiza^ Xe^^fi-eva. Dann dieSubstantivirung der Neutra von Participien und Adjectiven.— Bei den Römern beginnt die Neigung zum archaistischen3"


Ausdruck mit der Kaiserzeit, nachdem Sallust das Beispielgegeben hat, und steigert sich sehr schnell. Schon Augustusmacht (Sueton Aug. 8(5) dem Tiberius in einem Briefe Vorwürfeut exoletas interdum et reconditas voces aucupanti.Seneca sagt von seinen Zeitgenossen ep. 114, 13: multi exalieno saeculo petunt verba: duodecim tabulas loquuntur.Gracchus illis et Crassus et Curio nimis culti et recentessunt, ad Appium usque et ad Coruncanium redeunt. Es warein Reizmittel für einen verdorbenen Geschmack. Cicerovv^urde als Schädiger der echten latinitas angesehen j das Harmonischewar verhasst. Sehr wichtige Periode für die Erkenntnissdes Archaischen: viel aus Gellius zu gewinnen.Fronto ist der dümmste und frechste Vertreter. Von dieserkrankhaften Phase ist ganz das Verhältniss zum Archaischenin der klassischen Periode zu unterscheiden. Die festen terminisind: latinitas (ausgeschieden das Ausserlateinische),urbanitas (ausgeschieden alles Plebejische und Provinzielle imLateinischen). Die patavinitas, die Asinius Pollio dem Liviusvorwarf, war ein Fehler gegen die urbanitas. Im Allgemeinenwird jedes insolens verbum gemieden: Caesar (nach MacrobiusI 5, 4) tamquam scopulum sie fuge insolens verbum.:Cicero de oratore III 25, 97: moneo ut caveatis ne exilis neinculta sit oratio vestra, ne vulgaris, ne obsoleta. Varro bewahrtmit Bewusstsein das Archaische,Sallust mit AfFektation.Cic. de orat. III 38, 153, der sehr vor dem Archaischen in derRede warnt, sagt aber doch, am rechten Orte gebraucht, gebees der Rede einen grossartigen Anstrich; er werde sich nichtscheuen zu sagen qua tempestate Poenus in Italiam venit,oder proles suboles oderfari nuncupare, non rebar opinabar.')Verständig Quint. I (5, 39 ff., eine Rede sei fehlerhaft, si egeatinterprete, daher seien verba a vetustate repetita zwar, sofern^) Genauer über diese Moden Quincil. VIII 3, 25.312


sie Majestät mit Neuheit verbinden, vortrefflich, aber opusest modo ut neque crebra sint haec neque manifesta, quianihil est odiosius affectatione, nee utique ab ultimis etiam oblitteratis repetita temporibus, qualia sunt topper etantegerio et exanclare et prosapia et Saliorum carmina vixsacerdotibus suis satis intellecta. Das Wort äpy^aiaiioz, kommtvor bei Dionys. de <strong>com</strong>pos. verbor. c. 22. Dann auch äpY^ai(^(adpj^aioXoyetv dpj(aio£iSe;, auch dp^^aixov xdXXo?.Die Neubildungen Tceicoir^fisva dv6|xaTa, nova fingere. Cicerohat de orat. III 38, 152 inusitatum verbum aut novatum, undim orator c. 24 nee in faciendis verbis audax et parcus inpriscis.Neologismus ist kein griechisches Wort, ebensowenigwie Monolog, Biographie. Die Griechen waren viel freierund kühner darin. Quint. sagt: Graecis magis concessumest qui sonis etiam et affectibus non dubitaverunt nominaaptare, non aha libertate quam qua illi primi homines rebusappellationes dederunt. Bei den Römern war es bedenklich.Celsus verbot es dem Redner ganz. Cicero hatte Glück mitden Uebertragungen philosophischer termini. beatitas undbeatitudo von ihm gebildet de nat. deor. I 34, 95 mit denWorten: utrumque omnino durum, sed usu moUienda nobisverba sunt. Sergius Flavius hat ens und essentia gebildet,doch beruft sich wegen des zweiten Wortes Seneca ep. 58, 6auf Cicero und Papirius Fabianus. Reatus ist zuerst vonMessalla, munerarius von Augustus aufgebracht, bald im allgemeinenGebrauch, piratica fanden die Lehrer Quintihansnoch anstössig. Cicero hielt favor und urbanus für neu, ertadelte piissimus (von Antonius gebraucht, ganz gebräuchlichin der silbernen Latinität). breviarium statt summarium erhältin der Zeit Senecas Eingang, obsequium hielt Cicerofür eine Neubildung des Terenz (doch schon bei Plautusund Naevius). Cervix singularisch zuerst von Hortensius.Quintilian giebt dann die Vorschrift: si quid periculosius313


finxisse videbimur, quibusdam remediis praemuniendum est„ut ita dicam", „si licet dicere", „quodam modo", „permittitemihi sie uti". Nach welchen Gründen sich die Aufnahmevon Neologismen entscheidet, ist nicht zu bestimmen. Horazars poet. 60 vergleicht den Wandel der Wörter mit demWechsel des Lebens, ja, es scheint noch willkürlicher undzufälliger zuzugehen v. 70:multa renascentur quae iam cecidere, cadentquequae nunc sunt in honore vocabula, si volet usus,quem penes arbitrium est et ius et norma loquendi.Bei den späteren Griechen überwuchern besonders dieNeubildungen von Compositionen. Lobeck redet darüberim Phrynichos p. öoo. Der wunderbare Prozess einer Auswahlder Sprachformen geht immer fort. Man hat gefunden,dass unter den wilden und rohen Volksstämmen Sibu*iens,Afrikas und Slams schon zwei oder drei Generationen hinreichen,um das ganze Aussehen ihrer Dialekte zu verändern.Missionäre in Centralafrika versuchten die Sprache wilderStämme niederzuschreiben und machten Sammlungen allerWörter. Nach zehn Jahren zurückkehrend, fanden sie diesesWörterbuch veraltet und unbrauchbar. In litterarischen Zeitengeht es langsamer, doch muss Goethe, während eines langenLebens, eine ausserordentliche mehrmalige Neufärbung undAbänderung d^s Stils gemerkt haben. Wir stehen jetzt unterdem Einflüsse des übermässigen Zeitungslesens, besondersnach dem Jahre 1848. Man muss sorgsamer als je sein, wennunsere Sprache nicht allmählich den Eindruck der Gemeinheitmachen soll.ist§ 7.Der tropische Ausdruck.Cic. de orat. III 38, 155 sagt, die metaphorische Redeweisevon der Nothwendigkeit im Drang der Armuth und Verlegenheiterzeugt,nachmals aber gesucht worden wegen ihrer314


Anmuth. „Wie die Kleidung zuerst, um die Kälte abzuwehren,erfunden, nachmals auch zum Schmuck und zur Veredlungdes Körpers gebraucht wurde, so entsprang der Tropus ausMangel und wurde häufig gebraucht, wenn er ergötzte. Selbstdie Landleute reden von den Augen der Reben,') gemmarevires, luxuriem esse in herbis, laetas segetes, sitientes agri.Metaphern sind gleichsam geliehenes Gut, das man anderwärtsnimmt, weil man es selbst nicht hat." Gegensatz derxupioXoYia xupioXe^ia xupiaivujxia und der xpoTTuv] cppdai?. Oderproprietas und improprium (axupov), Quintil. VIII 2, 3 bezeichneteinmal als proprietas die niedere volksmässige, vonder man nicht immer abweichen könne, da man nicht füralles passende Ausdrücke habe, z. B. müsse man iaculari auchsagen, wenn pilis geworfen werde, lapidare, wenn glebisoder testis. Dergleichen abusio oder xaiaxpr^ai? sei nothwendig.Sodann ist ihm proprietas auch die Urbedeutungder Wörter, z. B. Vertex sei eigentlich contorta in se aqua,dann quidquid aliud similiter vertitur, dann die pars summadann id quod in montibuscapitis (propter flexum capillorum),eminentissimum. Die eigentlichen Bedeutungen erscheinenso als die älteren, schmucklosen. Dagegen richtig Jean Paul,Vorschule der Aesthetik: „Wie im Schreiben Bilderschriftfrüher war als Buchstabenschrift, so war im Sprechen dieMetapher, insofern sie Verhältnisse und nicht Gegenständebezeichnet, das frühere Wort, welches sich erst allmählichzum eigentlichen Ausdrucke entfärben musste. Das Beseelenund Beleiben fiel noch in Eins zusammen, weil noch Ichund Welt verschmolz. Daher ist jede Sprache in Rücksichtgeistiger Beziehungen ein Wörterbuch erblasseter Metaphern."Die Alten konnten sich die Kunst nur als eine bewusste vorstellen}die nichtkünstlerischen Metaphern — in quo proprium*) 6 T^c djJLTreXou


deest — schrieben sie (wie Quintil.) den indoctis ac nonsentientibus zu. Obwohl auch der feine Mann sich oft nichtzu helfen weiss.') Also aus Veriegenheit und Dummheitentstehen die volksthümlichen Tropen, aus Kunst undWohlgefallen die rednerischen. Ganz falscher Gegensatz. Indie Sprache zu Uebertragungen gezwungen,gewissen Fällen istweil Synonyma fehlen, in anderen Fällen sieht es aus, alstriebe sie Luxus: dann vornehmlich, wenn wir die Uebertragungenmit den eher gebräuchlichen Ausdrücken vergleichenkönnen, erscheint die Uebertragung als freies Kunstschaffen,die usuelle Bezeichnung als das „eigentliche" Wort.Als Bezeichnung für Uebertragungen hatten die Griechenzuerst (z. B. Isokrates) [xsTacpopd, auch Aristoteles. Hermogenessagt, dass bei den Grammatikern noch (isxacpopd heisse,was die Rhetoren xpoiro? nannten. Bei den Römern ist tropusangenommen, bei Cicero noch translatio immutatio, späterauch motus mores modi. Ueber Zahl und Unterarten derTropen gab es erbitterte Streitigkeiten: man kam zu 38 undmehr Arten. Wir besprechen Metapher, Synecdoche, Metonymie,Antonomasie, Onomatopoiie, Katachrese, Metalepsis,Epitheton, Allegorie, Ironie, Periphrasis, Hyperbaton, Anastrophe,Parenthesis, Hyperbel. Ueber die logische Berechtigungdieser Arten will ich nichts sagenj man muss aberdie Ausdrücke verstehen.Die Metapher ist ein kürzeres Gleichniss, wie wiederumdas Gleichniss als jxsxacpopa irXsovdCouaa bezeichnet wird. Cic.de orat. III 40, 159 s. findet es verwunderlich, dass die Menschenbei dem grössten Reichthum an eigentlichen Ausdrückendoch die Metapher lieber haben. Es rühre wohl daher, weiles ein Bev\eis von Geistesstärke sei, das vor den FüssenLiegende zu überspringen und nach dem weit Entfernten^) 'iTuitoi IßouxoXouvTo, „Silberne Hufeisen".3{d


zu greifen. Vier Fälle werden unterschieden: i. Von zweibelebten Dingen setzt man das eine für das andere („Scipioist von Cato gewöhnlich ,angebellt' worden", Hund fürMensch). 2. Unbelebtes für anderes Unbelebtes Verg. Aen.ir, i: classi inmittit habenas. 3. Unbelebtes für Belebtes, z. B.wenn Achill epxo? A^aiÄv genannt wird. 4. Belebtes für Unbelebtesz. B. Cic. pro Lig. c.3,9: quid enim Tubero, tuus ille,destrictus in acie PharsaUca gladius agebat? cuius latus ille mucropetebat? qui sensus erat armorum tuorum? Aristot. Poetikc. 21 unterscheidet dagegen: eine Metapher ist die Uebertragungeines Wortes, dessen gewöhnliche Bedeutung eineandere ist, entweder von der Gattung auf die Art oder vonder Art auf die Gattung oder von der Art auf die Art odernach der Proportion.') Uebertragung von der Gattung aufdie Art z. B. „dort ruht mir das Schiff" a 185, denn imAnkerplatz sein ist eine Art des Ruhens. Von der Art aufdie Gattung: „schon tausende von edlen Thaten hat Odysseusverrichtet", (o 308 t] St] [lup'C 'OSuaasu? eaöXd lopY^v, denndie tausende sind viele, und der Dichter gebraucht hier jenenAusdruck im Sinne „viele". Von der Art auf die Art: „mitdem Erze das Leben wegschöpfend", und „mit dem unverwüstlichenErze wegschneidend", hier steht wegschneidenfür schöpfen, dort schöpfen statt wegschneiden, beides sindArten des Wegnehmens. Nach der Proportion: „wie dasAlter zum Leben, so verhält sich der Abend zum Tage,also kann man den Abend das Alter des Tages nennen unddas Alter den Abend des Lebens".Streng genommen, bleibtnur diese vierte Art übrig xatot t6 dvdXoYov. Denn das Ersteist keine Metapher (das Ungenauere steht für das Genauere,nicht das Uneigentliche für das Eigentliche), die dritte ArteiSo;, xaxa t6 avaXoYov [dann Homerstellen].


ist nicht klar. Die zweite Art hat es nur mit engeren undweiteren Begriffssphären eines Wortes zu thun.Ein übermässiger Gebrauch von Metaphern verdunkelt undführt zum Räthselhaften. Sodann, da es der Vorzug derMetaphern ist, einen sinnlichen Eindruck zu machen, so mussman alles Unanständige meiden: Cicero giebt die orat. III 41die Beispiele: castratam morte Africani rem pubiicam, stercuscuriae Glauciam. Quintilian tadelt den Vers des Furius Bibaculus:„Juppiter hibernas cana nive conspuit Alpes."Synecdoche. Nach einem wesentlichen Theile wirdder Begriff von domus bezeichnet, wenn man es tectumnennt: tectum aber ruft die Vorstellung des domus hervor,weil in der Wahrnehmung, auf welcher diese Wörter beruhen,beide Dinge zugleich auftreten: cum res tota parvade parte cognoscitur, aut de toto pars. In der Sprache sehrmächtig, wie ich schon ausführte. Bopp, Vergl. Gramm. T. IIp. 417 vertheidigt die Ansicht, dass das griechische Augmentursprünglich identisch mit dem a privativum sei, d. h.dass es die Gegenwart verneine und so die Vergangenheitbezeichne. Die Sprache drückt niemals etwas vollständig aus,sondern hebt überall nur das am meisten hervorstechendeMerkmal hervor: freilich ist die Negation der Gegenwartnoch keine Vergangenheit, aber die Vergangenheit ist wirklicheine Negation der Gegenwart. Ein Zahn-habender istnoch kein Elephant, ein Haar-habender noch kein Löwe,und dennoch nennt das Sanskrit den Elephanten dantin, denLöwen kesin. Der Gebrauch ist natürlich für Dichter nochfreier als für Redner: die Rede verträgt mucro als Schwert,tectum als Haus, aber nicht puppis als Schiff'. Am meistenzulässig die freie Anwendung des numerus, z. B. Romanusfür Romani, aes aurum argentum für eherne, goldene undsilberne Gefässe, gemma ein aus Edelstein gefertigtes Gefäss.altüTzr^^ Fuchspelz totum pro parte, kU^ac, Elfenbein, x^^"*^^318


Schildkrot, x6|jLai XapiTsaaiv 6(xotai (für XapiTiov x6{xai;). OderChoeph. 175 Chor iroiai? eöeipai?j Electra auiotaiv -^[itv xdpiairpoacpepY]? iSstv. Dahin gehört auch das von Ruhnken bezeichnetegenus loquendi quo quis facere dicitur, quod factumnarrat, z. B. Homerus Venerem sauciat sagitta humana.Metonymia, Setzung eines Hauptwortes für ein anderes,auch uTuaXXayi^. eius vis est, pro eo quod dicitur, causampropter quam dicitur, ponere. In der Sprache sehr mächtig:die abstrakten Substantiva sind Eigenschaften in uns undausser uns, die ihren Trägern entrissen werden, und als selbständigeWesen hingestellt werden. Die audacia bewirkt, dassMänner audaces sindj im Grunde ist das eine Personifikation,wie die der römischen Begriffsgötter Virtutes Cura u. s. w.Jene Begriffe, die lediglich unserer Empfindung ihr Entstehenverdanken, werden alsdas innere Wesen der Dinge vorausgesetzt:wir schieben den Erscheinungen als Grmid unter,was doch nur Folge ist.Die Abstrakta erregen die Täuschung,als seien sie jenes Wesen, welches die Eigenschaften bewirkt,während sie nur in Folge jener Eigenschaften von uns bildlichesDasein erhalten. Sehr lehrreich der Uebergang der eiBrjin iSeat bei Plato: hier ist die Metonymie, Vertauschung vonUrsache und Wirkung, vollständig. In der jetzigen Bedeutungvon „alt" ist Ursache und Wirkung vertauscht, eigentlich„gewachsen". Pallida mors, tristis senectus, praeceps ira. Dieerfundenen Dinge werden nach ihren Erfindern, die unterworfenennach ihren Unterwerfern genannt. Neptunus Vulcanus,vario Marte pugnare. Homerische Helden als typischeRepräsentanten ihrer Fertigkeiten. Automedon für „Fuhrmann",die Aerzte Machaones. [. . .]319


Der Gottesdienst der Griechen(Alterthümer des religiösen Cultus der Griechen;Vorlesung "hinter 1875/76 und Winter i%jj/j%, dreistündig)21 Nietzsche V


[Einleitung § 1 — 12.Hauptrheil.I. Orte und Gegenstände des Cultus.§ I. Arten der Tempel nach ihrer Bestimmung. § 2. VerschiedeneGrade der Heiligkeit von Ort und Besitz der Gottheit.§ 3. Entwicklung der Götterbilder. § 4. Cultusgeräthe im Heiligthum.§ j. Die Gräber. § 6. Die heiligen Strassen.II. Personen des Cultus: Priester, Wahrsager und Verwandtes.§ I. Die Priester. § 2. Die Exegeten. § 3. Die Manteis.§ 4. Die Orakelsänger xpr^aixoXSfoi. § 5. Die Orakelstätten alsVereinigung von Priesterthum und Mantik. § 6. Religiöse Genossenschaftenvon Laien.III. Die religiösen Gebräuche.§ I. Die Reinigung, xiOapdi; lustratio. § 2. Bekränzungund Verwandtes. § 3. Die Opfer.]


Einleitung.§ I.Es hat nie einen solchen Gottesdienst gegeben wie dengriechischen: er ist durch Schönheit, Pracht, Mannichfaltigkeit,Zusammenhang einzig in der Welt und eins der höchstenErzeugnisse ihres Geistes. Der „festfeiernde Grieche", dasSubjekt zu jenem Objekt, gehört dazu; man muss sich sehrbemühen, eine solche Erscheinung sich deutlich vor dieSeele zu führen, man bekommt so erst einen Maasstab fürdas, was in religiösen Gülten barbarisch ist. Ueberdies istman es den Griechen schuldig, sie auch hierin nicht in Stichzu lassen und ihnen ihren einzigen Platz in der Weltgeschichtezu bewahren. Sie haben gerade auf die Entwicklung dergottesdienstlichen Gebräuche eine ungeheure Kraft verwendet,eingerechnet Zeit und Geld} wenn bei den Athenern dersechste Theil des Jahres aus Festtagen bestand (Schol. Aristoph.Vesp. V. 66^), die Tarentiner sogar mehr Festtage hatten alsWerkeltage, so ist dies nicht nur ein Zeichen von Ueppigkeitund Faulenzerei, es war nicht hinausgeworfene Zeit.Das erfinderische Denken, Vereinigen, Ausdeuten, Umbildenauf diesem Gebiete ist die Grundlage ihrer tcoXi?, ihrer Kunst,ihrer ganzen bezaubernden und weltbeherrschenden Machtgewesen. Nicht als Litteratur haben die Griechen die Römerund den Orient sich unterwürfig gemacht, sondern als prachtvolleErscheinung in Aufzügen, Tempeln, Cultusgeräthschaften,überhaupt als festefeiernde Hellenen^ ihre „klassische Litteratur"mit Chorlied, Tragödie, Komödie ist ja auf dem Boden21* 323


des Cultus oder als Anhang zu demselben zum guten Theilerwachsen. Es fragt sich, ob eine Zeit wie die unsere, diein Maschinenwesen und Ausbildung des Krieges ihre Stärkehat, ihre Kraft auf eine allgemein nützlichere Weise anlegt.Es ist gar nicht auszurechnen, was man der eigenthümlichenNeigung der Hellenen verdankt,an den gottesdienstlichenGebräuchen alle ihre Kraft, ihren Ernst, ihre Erfindungsgabeauszulassen. Original zwar sind sie, im Sinneeinesganz autochthonen und unberührt gebliebenen Cultus,nicht; im Gegentheil, die Elemente ihres Cultus finden wirüberall wieder, es ist gar nicht zu sagen, warum nicht diePhönizier oder die Phryger oder die Germanen oder dieRömer es hätten ebenso weit bringen können; sie brachtenes nicht so weit, weil sie auf dieselben Elemente nicht so vielGeist, so viel Mühe verwendeten. Man sage auch nicht: „Ja,man muss erst Geist haben, um Geist verwenden zu können";— ich wüsste nicht, warum die Griechen als Ganzes mehrGeist haben sollten als z. B. die Germanen. Aber die anhaltendeEnergie des Nachdenkens, der gute Wille, sich mitnichts Mittelmässigem genügen zu lassen — das ist hiergriechisch: also Charaktereigenschaften. „Wie kamen Sie nurzu Ihren Entdeckungen?" fragte man Newton. Er antwortete:„Dadurch, dass ich immer daran dachte.^''Etwas von diesem Denken der Griechen zu errathen, istauch diesmal unsere Aufgabe.Nur ist freilich die Logik des Denkens auf dem Gebieteder gottesdienstlichen Gebräuche etwas im Verrüfe: denndiese Art Logik istder wissenschaftlichen feindlich und antagonistisch;sie ist verwandt mit der Logik des Aberglaubens,aber auch mit der der Poesie. Bei allen magischen, spiritistischen,sympathetischen Wirkungen wird eine ähnliche Artzu schliessen angewendet; aus guten Gründen kämpft maneben gegen das hier geübte unreine Denken an. Ueberall, wo324


man jetzt noch Völkerschaften auf niederen Culturstufenfindet, und ebenso überall in den niederen, schlecht unterrichtetenVolksklassen der civilisirten Nationen findet mandie gleiche Art zu denken. Auf diesem Boden des unreinenDenkens erwuchs der griechische Cultusj wie auf dem Bodendes Rachegefühls das Rechtsgefühl erwachsen ist. So wieman gesagt hat: „Die besten Dinge und Handlungen habenunappetithche Eingeweide."Wir wollen die charakteristischen Züge und Fehler diesesDenkens und Schliessens zusammenstellen jalle Menschen,die an Wunder und Magie glauben, haben die EigenschaftdiesesDenkens.1. Ungenauigkeit der Beobachtung. Wie gewinnt jetzt z. B.ein Universalheilmittel, ein Wunder- und „Königstrank"seinen Ruf? Es werden Leute gesund, welche ihn trinken;aber es werden auch Leute nicht gesund, die ihn trinken!Das Publikum beachtet nur den einen Theil der Erfahrungen,günstige Fälle werden allein bekannt, denn da eben zeigtsich die angebliche „Wunderkraft" j an diese zu glauben —das ist eben die Prädisposition vieler Menschen. Man ivillheber den Beweis eines Wunders alsdie Widerlegung.2. Falscher Begriff der Causalitat, Verwechselung des Nacheinandermit dem Begriff der Wirkung. „Jemand nahm denTrank einj später wurde er gesund — also in Folge desTrankes!" so schliesst man. Der König der Coussa-Kaffernhatte ein Stück von einem gestrandeten Anker abgebrochenund starb bald darauf. Sämmtliche Kaffern hielten nunmehrden Anker für ein lebendes Wesen und grüssten ihn ehrfurchtsvoll,sobald sie in seine Nähe kamen.]3. Ausschliesslichkeit des Gedächtnisses für absonderliche Fälle:während der Philosoph und der wissenschaftüche Menschgerade das Gewöhnliche, Alltägliche als Problem fasst und325


interessant findet. Das Unregelm'ässige, Aussergewöhnlichebeschäftigt fast allein die Phantasie der unwissenschaftlichenMenschen, auch der Gemüthsmenschen.4. Stärke im Erfassen von Aehn/ichkeiten und Hang dazu.Wie bringt man wohl die Göttin des Oelbaums und eineNachtgöttin zusammen und hält sie dann für eins? — wiees in Attika geschehen sein muss. Die Nachtgöttin hat denMond als Auge, sie sieht und leuchtet im Finstern — dieGöttin des Oels auch, weil sie auch im Nachtlicht, als Oelvorhanden ist.5. Der Antrieb der Faulheit, Trägheit und der StimmungMüssiger, weil magische Ceremonien zwar Mühe machen,aber lange nicht so viel als die natürhche Arbeit, die vongöttlicher und zauberischer Mithülfe absieht. Man denke andie Prozessionen zur Abwehr von Epidemieen im Mittelalter,während die Städte von Unrath stanken-, freilich istdas wohlfeiler und leichter als Canalisation (deren Urheberbeiläufig Empedocles ist, bei den Selinuntiern). Aber auchbei viel höheren und edleren Dingen ist die Faulheit einmächtiger, selten eingestandener Beweggrund. Eine poetischmystischeErklärung der Welt ist leichter, müheloser als einewissenschafthche, so gross auch die aufgewendete Kraft seinmag.Eine gewisse Abneigung gegen anstrengende und langweiligeBeschäftigung ist den Griechen zu eigen, sie sehendarin gern etwas Banausisches oder gar Barbarenwürdiges.Das Denken in Cultusgebräuchen, das Erfinden und Vereinigenist wesentlich die Thatigkeit müssiger Menschen, esgehört mit zu dem xaXw? o;(oXdC£iv, dem leitenden Principdes edelsten Hellenenthums: seinetwegen sind die Griechendie vornehmen Menschen an sich.325


§ 2-0Ich habe einige Züge angeführt, welche dem Denken dermagie- und wundergläubigen Menschen gemeinsam sind —sie betreffen die Form ih'es Denkens. Nun haben sie alsMaterialihres Denkens auch eine Grundüberzeugung gemein:sie betrifft die Natur und den Verkehr mit ihr. Man weissnichts von Naturgesetzen jweder für die Erde noch fürden Himmel giebt es ein Müssen, eine Jahreszeit, der Sonnenschein,der Regen kann kommen oder auch ausbleiben. Esfehlt überhaupt jeder Begriff der natürlichen Causalität; wennman rudert, ist es nicht das Rudern, was das Schiff bewegt,sondern Rudern ist nur eine magische Ceremonie, durchwelche man einen Dämon zwingt, das Schiff zu bewegen.Alle Erkrankungen, der Tod selbst ist Resultat magischerEinwirkungen. Es geht beim Krankwerden und Sterben nienatürlich zuj die ganze Vorstellung vom „natürlichen Hergang"fehlt (— sie dämmert bei den älteren Griechen allmähHchin der Conception der über den Göttern thronenden'AvdyxY, Motpa). Wenn einer mit dem Bogen schiesst, es istimmer ein ^rationelles Element dabeij bleiben Quellen aus,so sind es wohl Drachen, die das Wasser im Erdboden zurückhalten.Einen Menschen, den plötzlich ein Schlag trifft, hatein Gott mit dem Pfeil niedergeschossen. In Indien pflegt(nach Lubbock) ein Tischler seinem Hammer, seinem Beil undden übrigen Werkzeugen Opfer darzubringen. Ein Brahmanebehandelt den Stift, mit dem er schreibt, ein Soldat dieWaffen, die er im Felde braucht, ein Maurer seine Kelle,ein Arbeiter seinen Pflug in gleicher Weise.Die ganze Naturist eine Summe von Handlungen bewusster und wollenderWesen, von Wiükiirlichkeiten. Es giebt in Bezug auf Alles,^) [In leichter Umgestaltung — der die Korrecturen von späterer Handzu Grunde liegen — aufgenommen in den Aphorismus „Ursprung des religiösenCultus", Menschliches-Allzumenschliches, I, in.]327


was ausser uns ist, keinen Schluss, dass etwas so und sosein werde; das ungefähr Sichere, Berechenbare sind wir:der Mensch ist die Regel, die Natur die Regellosigkeit.Nun beachte man: je reicher der Mensch sich innerlichfühlt, je polyphoner sein Subject ist, um so mehr imponirtihm das Gleichmaass der Natur j so wie Goethe die Naturals das grosse Beschwichtigungsmittel für die moderne Seeleansah. Umgekehrt: denken wir an rohe, frühe Zustände vonVölkern oder sehen wir die jetzigen Wilden, so sehen wirsie auf das stärkste durch das Gesetz, das Herkommen bestimmt:das Individuum ist fast automatisch an dasselbegebunden. Ihm muss die Natur als das Reich der Freiheit,der Willkür, der höheren Macht erscheinen, ja gleichsam alshöhere Menschheitsstufe: Gott. Nun fühlt der Einzelne aber,wie von jenen Willkürlichkeiten der Natur seine Existenz,sein Glück, das der Familie, des Staates, das Gelingen allerUnternehmungen abhängen: einige müssen zur rechten Zeiteintreten, andere nicht: wie kann man einen Einfluss auf sieausüben, wie kann man das Reich der Freiheit binden? Sofragt er sich: giebt es Mittel, jene Mächte ebenso durch einHerkommen und Gesetz regelmässig zu machen, wie du selberregelmässig bist? — Das Denken der magie- und wundergläubigenMenschen geht dahin, der Natur ein Gesetz aufzulegen:der religiöse Cultus ist sein dazu erfundenes Mittel.Es ist ein ähnliches Problem, wie das : wie kann der schwächereStamm dem stärkeren doch Gesetze diktiren, ihn bestimmen,seine Handlungen (im Verhalten zum schwächeren) leiten?Die harmloseste Art ist der Zwang, den man ausübt, wennman jemandes Neigung erwirbt. Durch Flehen und Gebete,durch Unterwerfung, regelmässige Abgaben und Geschenke,durch schmeichelhafte Verherrlichung u. s. w. Dann kann manVerträge schliessen, wobei man sich zu bestimmtem Verhaltengegenseitig verpflichtet und Pfänder stellt. Schwüre wechselt.328


Aber es kann auch ein gewaltsamer Zwang ausgeübt werden,durch Magie und Zauberei: wie der Mensch mit Hülfe desZauberers einem Feind schadet und ihn vor sich in Angsterhält, wie der Liebeszauber in die Ferne wirkt. Das Hauptmittelaller Zauberei ist, dass man etwas in Gewalt bekommt,was jemandem gehört, Haare, Nägel, etwas Speise von seinemTisch, ja selbst sein Bild, seinen Namen. Damit kann mandann zaubern: zu allem Geistigen gehört etwas Körperliches,mit Hülfe dessen kann man den Geist binden, schädigen,vernichten. So wie nun Mensch den Menschen bestimmt,so bestimmt er auch irgend einen Naturgeist j der hat auchsein Körperliches, an dem er zu fassen ist. Der Baum undneben ihm der Keim, aus dem er entstand, scheinen zu beweisen,dass dies nur Einkörperungen von einem Geiste sind.Ein Stein, der plötzlich rollt, ist der Leib, in dem ein Geistwirkt : hegt auf einsamer Haide ein ungeheurer Block, so mussder sich selbst hinbewegt haben, also einen Geist beherbergen.Alles, was einen Leib hat, ist der Zauberei zugänglich, alsoauch die Naturgeister. Ist ein Gott geradezu an sein Bildgebunden, so kann man auch ganz direkten Zwang gegenihn ausüben. Die geringen Leute in China umwinden dasBild eines Gottes, der sie im Stich lässt, mit Stricken, reissenes nieder, schleifen es über die Strassen durch Lehm- undDüngerhaufen; „du Hund von einem Geiste," sagen sie, „wirHessen dich in einem prächtigen Tempel wohnen, wir vergoldetendich hübsch, wir fütterten dich gut, wir brachtendir Opfer und doch bist du so undankbar."Durch alle diese Beziehungen sind unzählige Ceremonienin's Leben gerufen. Allmählich bemüht man sich, sie zu ordnen,zu systematisiren, so dass man den günstigen Verlauf desNaturganges') sich durch einen entsprechenden Verlauf eines^) [Am Rande von erster Hand:] Namentlich des grossen Kreislaufsder Natur (annus annulus).329


Prozeduren-Systems zu garantiren meint. Der Sinn des religiösenCultus ist, die Natur zu unserem Vortheil zu bestimmenund zu bannen, also ihr eine Gesetzlichkeit einzuprägen,die sie von vornherein nicht hat; während in der jetzigenZeit man die Gesetzlichkeit der Natur erkennen will, um unsin sie zu schicken. Kurz, der religiöse Cultus ruht auf denVorstellungen der Zauberei zwischen Mensch und Mensch;und der Zauberer ist älter als der Priester. Aber ebenso ruhter auf anderen und edleren Vorstellungen j er setzt das sympathischeVerhältniss von Mensch zu Mensch, Wohlwollen,Dankbarkeit, Erhörung Bittender, Vertrag zwischen Feinden,Unterpfänder, Schutz des Eigenthums u. s. w. voraus. DerMensch steht auch in sehr niederen Culturstufen nicht derNatur als ohnmächtiger Sklave gegenüber,') er ist nicht derKnecht derselben: auf der griechischen Stufe der Religion,besonders im Verhalten zu den olympischen Göttern siehtman mehr das Zusammenleben von zwei Kasten, einer vornehmeren,mächtigeren und einer weniger vornehmen; aberbeide gehören zusammen und sind Einer Art, sie brauchensich vor einander nicht zu schämen.§ 3.Bis jetzt haben wir nur das allgemeinste Verhalten vonMenschen gegen die Natur betrachtet, auf Grund dessen sieeinen Cultus erzeugen. Nun wollen wir einige speciellereAnsätze zu einer solchen Erzeugung, die Conception bestimmterereinerBegrifFsgruppen und den von ihnen erregten Keim zugottesdienstlichen Handlung erwägen.Zuerst das Ahnengrab. Der Todtencultus ist noch älter alsder Göttercultus, und der Glaube an Ahnengeister früher,') Bei den Italikern, in Aegypten und Babylon drückt der Mensch mitder quadratischen Kunstform das Zeichen der Knechtschaft auf.330


ja eine nothwendige Vorstufe im Glauben an die belebteNatur; hier haben die Menschen die pietätvolle AfFektiongegen Geister gelernt. Besonders gut haben die Römer dieseVorstellung ausgebildet. In ältester Zeit begrub man dieTodten im Hause (Nissen Tempi. 147). Als lares, „Herren",wachen die geschiedenen Geister darüber, dass alles mitrechten Dingen zugehe. Der lar familiaris ist der Ahnherrdes ganzen Hauses. Vor jeder Mahlzeit wird ein Theil derSpeise in die Heerdflammen geschüttet. Verlässt man dasHaus und geht zum Kreuzweg, <strong>com</strong>pitum, wo die Gentilensich versammeln, da wachen andere Geister, die Ahnherrender Geschlechter, die lares <strong>com</strong>pitales. Der Italiker hattekeinen unbewachten Augenblick im Leben, Geisteraugensehen alles, Geisterohren hören alles. Der Hausvater kannWeib und Kind an Leib und Leben strafen, aber er hat mitden Vorfahren abzurechnen j der König kann jeden Bürgerverkaufen oder tödten, aber in der Königswohnung wartendie Geister der verstorbenen Könige auf ihn, Rechenschaftzu fordern. Wer recht gehandelt hat, geht ruhig ein zuseinen Vätern und sorgt, dass das Gute bestehen bleibt. Beiden Griechen sind es die r^^pü}s


Baume lebt, muss jedenfalls der Geist des Todten sein. Alsoeine Verwandlung, eine neue Einkörpertmg. Dadurch wirdder Baum zu einem Weihebaume j man huldigt ihm wie mandem Lebenden huldigt, und mehr noch, denn der Todte istmächtiger als der Lebende. Ein Thier, das zufällig sich aufdem Grabe sehen lässt, erweckt die gleiche Vorstellung.Nun nimmt die Heiligkeit eines Dinges mit dem Alter zu.Ein uralter heiliger Baum gilt endlich als Urbaum einer Gattungvon Bäumen: so wie das Geschlecht sich von jenem Ahnausgebreitet hat. Solche Urbäume sind dann im Besitz vonGeschlechtern, als Cultstättenj andere Geschlechter, die vielleichtdemselben Baume ihre Wohlfahrt verdanken, blickenhin nach jenem Geschlecht, das den Urbaum der Gattunghat. Denn ein mächtiger Stamm scheint seine Macht demheiligen Baum und dem Ahnengrab schuldig zu sein,daraufhinunterwerfen sich andere, schwächere, gleich als ob ihreMacht nur eine abgeleitete sei. So werden ganze Gattungenvon Naturgegenständen heilig und mit Fiefät behandelt; wasdoch immer sonst ein Problem bliebe! Ebenso ist es, wennder Geist eines Ahnherrn in einem Thierse fortlebt.Nun ist der Besitz des Grabes und Baumes nöthig, um dieMacht nicht zu verlieren. Es entstehen Bauten, Schutzmittelaller Art, um die Entweihung des Grabes, die Beraubungu. s. w. zu verhüten j um solche rehgiöse Bollwerke herumbauen sich Familien an, begeben sich in deren Schutz. Danun, nach Thukydides, die hellenische Geschichte mit einemfortwährenden Kriegszustande anhob, mit unsteten Wohnsitzen,so gewährte allein die steile Berghöhe natürlichenSchutz, hier werden die eigenthchen Niederlassungen gegründet,Burgstädte entstehen daran, die Burg mit dem Ahnengrabund dem heiligen Baum ist der Mittelpunkt der Macht. —Noch eine andere Nachwirkung des Todtencultus ist anzudeuten:der Ahnencultus ist eine Quelle der Mysterien, er332


neigt zum Geheimnissvollen, er bereitet den Boden für dieLehre von den sterbenden und wieder auflebenden Götternvor.Zweitens das Unterpfat?d. Wie kann maft eine Wirkung indie Ferne ausüben, einem fernen Feinde Leid machen u. s. w.?Die Zauberei sagt: dadurch, dass man irgend etwas von ihmin Gewalt bekommt. Das ist schwer zu erklären 5vielleichtist dies der Uebergang. Feindliche Stämme, die einen Vertragschliessen, stellen Geissein: sobald der Vertrag verletzt wird,verletzt man die Geissein und weiss, dass man damit demanderen Stamm Schmerz macht. Nun kann das Unterpfanddes Vertrages auch ein Thier, ein Baum sein, etwas, worander Affektionswerth hängtj das Verstümmeln von Bäumenhat oft die Menschen in die höchste Wuth versetzt. Ueberhaupt:alles, was einem anderen gehört, alles fremdes Eigenthum,kann durch Misshandlung, Verstümmlung u. s. w. Ursachewerden, dass der Andere in einen leidenden Zustandversetzt wird. Dies macht den Uebergang zu den magischenProzeduren, sie beruhen darauf, dass man ein Stück Eigenthumdessen, auf den man wirken will, in der Gewalt hat.Jemand Pfänder, bei einem Vertrage, geben heisst ihm etwasin die Hand geben, woran er uns schädigen kann, ohne dasser uns selber in der Hand hat. Dies Verhältniss nehmennun die Menschen zwischen sich und den Naturgeistern anjes finden Verträge statt, und als Zeichen derselben hinterlassendie Götter Unterpfänder in den Händen der Menschen:Stücke Holz, Steine u. s. w. Alles Gute, was man diesenerzeigt, erzeigt man den Göttern j darin, dass sich die Menschenzu einem bestimmten Cultusder Unterpfänder verpflichten,verpflichten sie nun wiederum den Gott, der es gab, ihnenhülfreich zu sein. Gelegentlich kann man sie auch zwingen,weil man etwas von ihnen in der Gewalt hat. Aber diegrosse Gefahr besteht immer darin,dass man das Unterpfand,333


oujißoXov, verlieren könnte: damit verlöre man die Hülfeund Macht des verbündeten Gottes. Und so trifft man Vorsichtsmassregeln,man versteckt die oufxßoXa,regelt den Zutrittzu ihnen, macht unächte, glänzende Nachbilder, um den Sinndes etwaigen Räubers irre zu leiten u. s. w. Der Bilderdienstin Griechenland ist nie an Bedeutung dem Symbolendienstgleichgekommen. Mit dem Dasein des Schutzbildes ist dasBestehen des Stammes unlösbar verknüpft, mit seinem Daseinund Cultus ist der Stamm erst geworden, es ist ihm vomHimmel zugesandt oder seinem Ahnherrn bei einem Besuchder Gottheit selbst geschenkt. Es ist das heilige Unterpfandgöttlichen Schutzes j mit der Entführung oder Vernichtungdes Bildes löst sich die Staatsgesellschaft. Die ttöXi? ruht ganzauf der Existenz eines solchen aojißoXov.Drittens die Reinigung. Jetzt denkt man bei allen Reinigungsgebräuchenan symbolische Handlungen, wodurch der Menschan die innere Reinigung und Sammlung, die dem Verkehrmit der Gottheit vorangehen müsse, erinnern wolle. So meintman auch, dass die Musik im Cultus da sei, um den Menschenandächtige Snmmung zu geben. Aber an die „Stimmung"des Menschen, an sein „Inneres" wird ursprünglich bei religiösenGebräuchen nie gedacht. Mit allen Reinigungen willman feindselige Dämonen verscheuchen, die den Verkehr mitder Gottheit stören könnten. Bei vielen wilden Völkern istes nachgewiesen, dass sie mit Feuerbränden böse Geister verscheuchen,mit Feuer die Wöchnerin, das Kind, die vomBegräbniss zurückkehrenden Hinterbliebenen von den ihnenanhaftenden bösen Mächten zu befreien suchen. Dasselbewill man auch mit dem Wedel und dem Schlag der Ruthe,z. B. mit dem Lorbeer als Sprengwedel des Weihewassers.Das Brandopfer scheint ursprünglich nichts anderes zu seinals das Verbrennen feindseliger, dem Gotte widriger Dämonenin Thier- oder Pflanzengestalt:J34so wird beim Verbrennen des


Maibaums der Tod aller jener den Misswachs hervorbringendenGeister gemeint sein: alles, was die Pflanzen auf Aeckern,Wiesen, Obstgärten anfrisst, zerstört, hindert, wird da verbrannt.Auch das Besprengen mit Wasser hat nicht sowohlden Sinn den Menschen zu waschen, sondern die feindseligenGeister zu scheuchen, als ob man sie ertränken wollej invielenCulren kommt wirkliches Ertränken, Ein- und Untertauchenvon Bildern, stellvertretenden Personen u. dergl. vor.Auch Reinigung durch die Luft giebt esj so die Aufhängungder oscilla zur Abwehr von Manie, Verderben und Pest.Ebenso dient die Musik zur Reinigung, insofern ihr Geräuschfeindselige Stimmen, alles Klappernde, Klirrende, alle bösenomina bei der religiösen Handlung übertäubt, unschädlichmacht und so einen reinen Verkehr mit der Gottheit, ohneMissverstehen, ermöglicht. Die Reinigung von böseti Geistern,die Unfug anstiften können, ist bei allen Gülten eine Vorbedingung.Viertens die nachahmende Hayidlung. Fast alle Culte enthaltenein 8pa|xa, ein Stück dargestellten Mythus, der sich auf dieGründung des Cultus bezog. Der eigentUche Sinn scheintder: es ist das höchste Zeichen der Ergebenheit, zu thunund zu leiden, was ein Gott selbst gethan und gelitten hat:kurz, so viel als es möglich ist, sich bemühen, er selber odersein Gefolge zu sein.Dies gilt als Mittel, den Gott zu bewegen,selber mit theilzunehmen und zu erscheinen. Bei den Dionysosfeiernauf dem Parnass glaubte man immer, dass derGott da sei, hörbar werde, im bakchischen Geschrei undCymbelton. Man nimmt an: wenn man gleiche Bedingungenschafft, tritt das Gleiche ein, also die Epiphanie eines Gottes,die immer dann mit Segen verbunden ist. Es ist eine ArtZwang. Man glaubte leicht, einen Gott zu sehen, es galt fürnichts so Schweres, ihn zum Kommen zu bewegen. Abernicht nur dadurch, dass man dasselbe thatj auch insofern man335


das Ae/mlkhe that, fühlte man sich ihm nahe. Man denkean die Stellung der Frauen im Cult der Demeter: der Keim,der in der Erde Schooss gepflanzt wird, um Früchte hervorzubringen,war das Analogon der geschlechtlichen Zeugung,alle Frauen fühlten sich als der Mutter Erde ähnlich unddienten ihr.Auch glaubt man, durch ähnlicheHandlungen Aehnlicheserzwingen zu können: man glaubt z. B. an den Einfluss derKampfspiele auf das Gedeihen der Staaten,weil das Schiessenund Werfen der Wirkung der Sonnenstrahlen ähnlich gesetztwird: die ja als Pfeile gedacht werden. Das Begiessen mitWasser ist ein Regenzauber für die kommende Erndte.Damit haben wir die Antwort auf vier Fragen, die fürdie Entstehung aller Culte von höchster Wichtigkeit sind:I. Was bedeutet es, dass ein pietätsvoller Cultus sich aufganze Gattungen von Naturwesen, z.B. auf bestimmte Thiereoder Bäume, bezieht? 2. Was meint man damit, wenn manHolzklötze, Steine u. s. w. als heiligste Schutzbilder verehrt?3. Warum ist mit jeder religiösen Handlung Reinigung verbunden?4. Was ist der Sinn einer jeden Cultushandlung,insofern sie Nachahmung des Mythus ist?§ 4.Ein Ort^ dessen Besitz wichtig ist, dessen Vergangenheitweihevolle Empfindungen weckt: Thiere, Pflanzen in seinerNähe lebend, in einer geheimnissvollen Verwandtschaft mitdem genius loci: ein sorgfältig verborgenes Unterpfand göttlichenSchutzes: Mittel, böse Geister zu verscheuchen, umdann zu dem Gott sprechen zu können oder ihn selbst erscheinenzu machen: Mittel,durch ähnliche Handlungen, wiesie früher der Gott gethan hat, den Gott zu nöthigen,wiederum Aehnliches zu thun — ich glaube, damit haben wirdie Grundrequisite eines Cultus beisammen. Wir finden sie33


auf jeder Stufe wieder, denn alle Gebräuche sind zäh, undverharren, ob auch die Vorstellungen wandeln. Gehen wirnun einen Schritt weiter. Wir wollen die Mittel kennen,durch welche ein Cultus sich nun iveiter entivickelt; denn dasstabile Element ist so mächtig in ihm, dass er gar zu leichtstehen bleibt. Alle Weiterentwicklung ist an den Kampf, dasAufeinanderstossen verschiedener Cultusansprüche und an dieVersuche zu vermitteln gebunden. Die ausserordentliche Mannigfaltigkeitdes griechischen Cultus ist ein Beweis für dieKämpfe seiner Entstehung. Abrechnung zwischen Pietät undPietät gegen das Altverehrte, Schonung gegen Bestehendesdurch den Sieger, gewaltsames Aufdrängen des Fremden durchGewalt, im politischen Prozesse der Stämme und Städte, allmählichesUmsichgreifen ausländischer Culte, die von Einwanderernmitgebracht sind und endlich staatliche Anerkennungund Einordnung zu fordern haben, ganz neue Cultedurch plötzliche Naturereignisse und Hülflosigkeit aller Göttereingeführt, die gegenseitige Abgrenzung der Rechte der zusammenverehrten Götter, Austausch zwischen Nachbarstädten,Vereinigung mehrerer Stämme oder Nationen durchGleichsetzung verschiedener Gottheiten, Kampf der auf eineeinzelne Gottheit gehäuften Prädikate untereinander und Loslösungeiniger, so dass neue Gottheiten entstehen (durchZertheilung wie bei manchen Thieren) — das sind die wichtigstenMittel. In den mythologischen Vorstellungen, in dermythenbildenden Phantasie ist natürlich der Kampf und dasDurcheinander noch viel grösser, denn das ist das unstabileElement; jeder um einen Gott herum gruppirte Mythus hatteeine Neigung, sich auszuspinnen und auf den Gott alle möglichenPrädikate und Kräfte und Wunder zu häufen: aberdie Frage: wie sollen die Gebräuche sein? hielt das mythologischePhantasiren in Schranken. Die Neigung, zäh an denalten Gebräuchen zu halten und sie irgendwie doch noch22 Nietzsche V 'i'in


durchzusetzen, und auf der anderen Seite der Zwang, Fremdesannehmen zu müssen, um nicht zu Grunde zu gehen, auchwohl Furcht vor der fremden Gottheit, hier und da auchwohl Toleranz gegen das ungefährliche Neuere, das hat den<strong>com</strong>plizirten Cultus aller Welt gemacht. Offenbar ist dieGefahr jeder späteren Phase des Cultus die Ueherladung unddadurch hervorgerufene Unverständlichkeit. Die Griechensind gerade bewundernswerth wegen ihres Sinnes für Ordnung^Gliederung, Schönheit, xoofiocj man merkt in dem Talent zuordnen ihre Verwandtschaft mit den Italikern und deren mathematischconstruktiver Phantasie,mit der sie den Himmel, dieErde, die Götter und sich selbst massregeln. Aber auch ihrOrdnungssinn hat ein Maass, er verfällt nicht in das Pedantischeund Juristische, wie der der Römer. Was hier auchdie gemeinsame Mitgift gewesen sein möge, was auch dieGriechen von sonsther angenommen haben, sie bilden esin's Schönere um.') Es ist ihre glänzendste Seite: die Aneignungund Ueberwindung des Fremden} sie sind vonAnfang an durch eine fremde Culturwelt ganz allseitig undgleichmässig angeregt worden 5jede Art asiatischer Maasslosigkeitund Ausschweifung trat ihnen grell vor das Auge, in derGestalt von hochentwickelten Culturen, die bereits fertigwaren} ihre Spannkraft und Energie schätzt man um so höher,wenn man bedenkt, wie andere Völker ebenso stark, ja längerals sie den Einwirkungen des Orients ausgesetzt waren unddoch, wie Iberien, zu keiner höheren Entwicklung gekommensind (wie dies besonders MüUenhoff, Deutsche Alterthumskunde,gezeigthat).§ 5.Machen wir einen Ueberschlag aller der verschiedenartigenElemente, auf denen der griechische Cultus beruhte, undbeginnen wir mit den semitischenElementen.*) MüllenhofF, Deutsche Alterthumskunde S. 7a.338


Dem Hellenenthum in Griechenland muss eine Herrschaftder Semiten vorangegangen seinj die Städte, Bauwerke, Anlagenund Einrichtungen, auch ihre Götter, Culte und Sagengingen zum Theil an die Griechen über. Der Gestirndienst»die Verehrung der 7 Planeten (d. h. Sonne, Mond und der5 im Alterthum bekannten Wandelsterne) und die daran geknüpfteAstrologie, gehörte zur semitischen Urrehgionj erwurde am besten in Babylon und Assyrien entwickelt 5 dieBenennung der Wochentage nach den 7 Planeten und diesiebentägige Woche ist rein semitisch. Dieser Dienst ist denGriechen vollständig fremd, die Lehre von den 7 Planetenbringt erst Pythagoras mitj sie haben nicht die siebentägigeWoche, noch ihre Beziehung zur Sonne und den Planeten.Aber bei den phönizischen Ansiedlern in Griechenlandherrschte sie; daraus ist Manches übrig gebheben: die Siebenzahl,die beim ApoUodienst so häufig ist, seine Geburt am7. Thargelion, die siebenfachen Kreise, welche die heiligenSchwäne bei derselben um Delos zogen, seine BeinamenepSojxaio? epBoixaysTT^c, die 7 Strahlen, die sein Haupt umgeben,die 7 Knaben und 7 Mädchen, die beun Apollofest in Sikyonministrirten, die gleiche Anzahl, die alle Jahr aus Athen nachKreta geschickt wurden, die 7 Heliaden in Rhodos : die Griechengaben ihren Kindern am 7. Tage ihren Namen, 7 Säulenstanden bei dem Rossdenkmal der Helena in der Nähe vonSparta, den Planeten geweiht. Hier haben wir die Reste einesDienstes, den sich die Griechen nicht einverleibt haben, sodass nur spärliche Spuren davon reden: während die Diensteder phönizischen Götter selbst, denen die einzelnen Planetengeweiht waren, übergegangen sind: Sonne == Apollo, Mond= Artemis, Astarte = Aphrodite, Nebo oder Kadmos =Hermes, Bei = Zeus, Moloch = Kronos, Melkarth = Ares,Heracles. Theben mit seinen 7 Thoren ist von Brandis(Hermes II 259) als durchaus phönizischen Ursprungs nach-339


gewiesen : da sieht man den Uebergang sehr deutlich j am altenphönizischen Sonnenthor war der Tempel des Apollo Ismeniosgegründet. Am nächsten, dem Mondthor, der Tempelder Artemis (npoixiSe? TroXai: die drei Töchter des Prötoslängst als Sinnbilder der Mondphasen erkannt j Prötos weihteder Artemis nach ihrer Heilung von Raserei Tempel: derCultus der phönizischen Mondgöttin war wild und orgiastisch.Auf dem Schild des Tydeus, der am Prötidenthor fiel, warder klare Vollmond in der Mitte des Sternenhimmels abgebildet).Das nächste Thor muss dem Melkarth geweiht gewesensein : hier hat Hera den Heracles gesäugt. Am folgendensind die Spuren des Hermesdienstes nicht mehr nachweisbar.Am fünften aber wieder: dem Bei heilig, später dem Zeosöcj^iaiosj am sechsten auch: es war der 'Aöt^vy] 'OYxa heilig, diePausanias 9, 12, 2 eigens als phönizhche Göttin anführt.') Inder Sage ist sie die Schutzgöttin des Kadmus: sie ist eineAstarte 5 weil aber die wahrhafte Natur bei ihr in den Vordergrundtrat, haben sie die Hellenen als Athene gefasst. Vonden drei uralten Schnitzbildern der Aphrodite, die die Thebanerauf der Burg zeigten, stellte das erste dieselbe Göttindar, der das ongkäische Thor geweiht war. Das siebente Thorgehörte dem Moloch, die Griechen sagten dem Zeu? 'OixoXuiioc,was vielleicht ein Anklang des Namens ist, wie in Zeo? (leiXi^^io?auch Moloch steckt, in Aphrodite Astarte, in Herakles Melkarth.— Durch die Weihung der Thore war die ganze Stadtzu einem Tempel der Planetengötter gemacht. Der Eingangzu den semitischen Tempeln war wie der zu den hellenischender olympischen Götter regelmässig nach Osten gerichtet:*) [Mit Bleistift, von späterer Hand]: böot. (Hesiod!). Die Böotierhaben ihre Athene mit der Astaroth zusammengebracht: folglich war sieetwas anderes, als die athenische. Aber auch deren Entwicklung ist spät.Altere Züge: die Trap&evo; erst spät (EtymoL). Mondgöttin = FloraVenus Pales.340


demnach war das Mondthor von Theben das Hauptthor,welches sich an der Ostseite befand. Europa, die phönizischeMondgöttin, macht hierdurch ihren Einzug in die Stadt. Eswar nicht nur das Hauptthor, sondern auch das erste Thor,indem es dem Planeten gehörte, der den ersten Tag derDer erste Tag der Woche ist dem Monde,Woche beherrschte.der letzte der Sonne geweiht: deshalb der 7. Tag dem Apolloheilig: so rechnete man die Woche in Phönizien, in Babylonund in der semitischen Zeit von Griechenland. Die jüdischeWoche dagegen weiht den ersten Tag der Sonne, den letztendem Saturn j sie herrscht auch bei den iranischen Sternanbeternin Persien und Medien. — Kadmos, der ersteGründer von Theben, ist der Bruder des Phoenix, des Kilixund der Europa (der aus dem Osten nach dem fernen Westenentführten Astarte), das sagt genüge überdies ist er der Urheberder nachweislich aus Phönizien stammenden Erfindungen:Buchstabenschrift und Kunst, Metalle zu gewinnen.Dann auch die Sphinxsage j die Bezeichnung Thebens alsvTJoo? Tcüv [laxdpüjvj hier ist, wie überall, wo iidxap vorkommt,die Herrschaft des Baal Makar und der Phönizierangedeutet,vgl. Olshausen, Ueber phönizische Ortsnamen ausserhalbsemitischen Sprachgebiets. Rhein. Mus. 8, pag. 328.desDie Bauten und Anlagen in Böotien sind phönizischenUrsprungs, die grossartigen Denkmäler von Argos führtendie Griechen auf lykische Baumeister zurück, die Lykierstanden aber mit den Phöniziern in uralter Verbindung.Movers I 292 hat als phönizische Worte angemerkt xicovBildsäule, otjxo? Hürde, heiliger Grabesraum oxY]vr] Upd, auch07] (la Name, Denkmal, xitwv u. s. w. Die Vorstellung vonHimmel tragenden Säulen ist altsemitisch, die Griechen gebendem Atlas selbst eine semitische Abkunft, indem sie ihn zueinem Sohn des Titanen lapetos machen, des semitischenJaphetj es bedeutet sprachlich „den hochragenden Berg"341


j(semitisch). Zeus hat seine Herrschaft erst durch den Sturzseines Vaters Kronos und des alteren Göttergeschlechts derTitanen gewonnen: derselbe Mythus findet sich bei den Semitenwieder, der Name des nächst Kronos vornehmsten Titanenlapetos verräth den semitischen Ursprung der griechischenSage. Pherecydes von Syros, der „aus den geheimen Büchernder Phönizier" geschöpft haben soll, berichtet, dass Kronosden Ophion in den "Qy^'^o? gestürzt hat, das ist der Okeanos.In Theben wurde das Grab des '07677]? am Thor der AtheneOnka gezeigt, in der babylonischen Sage ist Ogyges derjenigeder Titanen, der aus dem Kampf mit Bei davonkam undnach Tartessos entfloh j Kalypso, die Tochter des TitanenAtlas, ihre Insel '^yu^itj — alles ist semitisch. Die ganzePerseussage, die Hesperidenfabel, die Sage von Elysion, Rhadamanthysist Pa-d{ievd7]? „König des Westens oder der Unterwelt":der Bruder des karisch-kretischen Minos. Die Geryoneussage,in der Theog. 287 ff. völlig ausgebildet, hat eine vollkommenklare Lokalanschauung vom Tartessoslande und isteine phönizische Sagej es ist die Sage von der Colonisationdes Landes, das der tyrische Stadtgott den wilden Naturgewaltenentreisst. Besonders merkwürdig ist der phönizischeEinfluss in den troischen Sagen, von MüllenhofF nachgewiesendie troische Küste ist von einem Kranze phönizischer Ansiedlungenumgeben: nun soll der phönizische Herakles dieStadt Troja erobert haben, die Semiten gingen den Griecheninder Herrschaft an der troischen Küste wie auf den Inselndes ägäischen Meeres vorauf:die Griechen finden eine semitischeSage von der Flepai? 'IXioü schon vor, als sie jene Küstein Besitz nehmen, sie eignen sich auch die Sage und denRuhm an. Anchises, der Geliebte der Aphrodite, ist einAdonisj wiedessen Kult in den phönizisch-troischen Küstenstädtenam Hellespont verbreitet war. Ebenso steht es mitAeneas, es giebt bei den semitischen Elymern am Eryx eine342


Aphrodite Aivsid?. Ebenso Paris, der zu den Lieblingen derAphrodite gehört. Helena wurde ebenfalls mit einer phönizischenGöttin identüicirt: manche Spuren gehen darauf. Esscheint ein lakonischer und ein troischer Mythus zusammengetroffenzu sein: die Griechen stellten zwei Mythen, einenheimischen und einen fremden, zu Einem zusammen. VielPhönizisches hat sich in dem Dionysoskult der Orphiker erhalten,Adonis und Dionysos ist gleichgesetzt worden unddem Vers de. Zeü? el? 'AtSr^?, el? "HXio?, £i? Aiovuoo? wird vonMacrob. Saturn. 1. i8 ein Orakel des Klarischen Apoll beigefügt,wonach man den höchsten Gott lao) nennen solle,und zwar im Winter Hades lao, im Frühjahr Zeus lao, imSommer Helios lao, im Herbst aßpö? 'latu. dßp6?*A8ü)vic ist dieKultusbezeichnung Bion Id. i, 79. Byblos ist die heilige Stadtdes Adonis, des „grössten der Götter": Holzbild in seinemTempel, ein auf einem Wagen umhergefahrener Phallos,Höhlen, in denen sein Trauerfest gefeiert wird, lau) ist einappYjTov in den dionysischen Mysterien der Athener, die phönizischeBedeutung „er macht leben", damit soll der Freudenruf"lax^o? zusammenhängen (wir würden das Wort laj^u) aussprechen).Der „erstgeborene" (TcpwxoYovoc) Phanes oder Ericapaeusder Orphiker als Drache mit Stier- und Löwenkopf,in dessen Mitte ein deou TCpoaüDirov „Gottes Angesicht" war:nun bedeutet Phanes phönizisch „das Angesicht". Ericapaeusist der „langmüthige", also die Seite des Dionysos, die mitjjieiXixio? ausgedrückt wu:d.Der Herakles der Orphiker ist nichtder Sohn der Alkmene, sondern aus sich selbst erzeugt, autocpuT^?.Wo Herakles als Gott (nicht als ripoiz) verehrt wird,ist er phönizisch. Ueberall, wo im Mythus zwei ungleicheBrüder auftreten, ist eine Erinnerung an den phönizischenHerakles als Doppelwesen, dem man auf zwei Altären opferte:zu Rhodos z. B. opferte man dem Herakles zwei Stiere, einendavon unter Verwünschungen: es ist eine gewöhnliche Sitte,343


zu Ehren des einen Gottes das heilige Thier eines anderenihm feindseligen zu verfluchen, wie den Ackerstier zu Ehrendes Mars, den Eber zu Ehren der Venus und des Adonis, denEsel in Beziehung auf Typhon, den Hund wegen des Hundssterns.Dadurch nahm man für den Gott Partei, und Heraklessegnete für die Verfluchung des Ackerstiers (der dem Adonisheilig ist) die Rhodier mit Rosinen und Feigen. Der tyrischeHerakles (Baal) wurde auch als Feuergott Moloch verehrt,auf seinem Altar brennt das ewige Feuerj der grausenhafteassyrische Molochdienst istauf den tyrischen Herakles übergegangen,das sich Zerschneiden mit Schwertern und Lanzen,dieMenschenopfer, erschlagen mit der ehernen Mörserkeuledes Herakles, nachher im heiligen Feuer verbrannt j seinePriester müssen unverheirathet sein, deshalb vielKastratenthumjwie bei den Megabyzen der ephesischen Artemis:in Böotienmussten die Priesterinnen des Herakles (Paus. IX 27) unverehelichtsein, Weiber durften sein Heiligthum nicht betretenoder auf einem von den zwei ihm heiligen Altären nichtopfern. Auch Hunde durften nicht in seinen Tempel kommen^Hundsopfer stehen immer in Beziehung zum heissen Sirius,der der „Zotthaarige" heisst: ein Gestirn, welches die Sonneentzündet und dem man die versengende Hitze des Sommerszumass, deshalb schlachteten die alten Römer einen Hund,der den Hundsstern vorstellte j man quälte die Thiere erst,um sich an dem Gotte zu rächen (den Eber wegen desAdonis). In Argos wurden am Feste Kynophontis Hundeerwürgt, weil Linos durch Hunde umgekommen j das ist einAdonisfest. Das orientalische ai-lanu ailenu „weh uns" fandHerodot zu seinem Erstaunen in Cypern, Palästina, Babylonien,Aegypten wieder^ eine Klageweise, wie der Manerosin Aegypten über die Hinfälligkeit der schönen Natur und desLebens. Ganz semitisch ist die stellvertretende Hirschkuh imArtemiskult (bei der Opferung der Iphigenie), es ist eine344


assyrisch-babylonische Sitte, die Melechet mit Hirschkühenstatt der Menschenopfer zu sühnen. Durch den Synkretismusder phönizischen Religion ist das ganze orientalische Religionswesenin das Griechische eingedrungen, aegyptisch-assyrischbabylonisch(lo = Isis). Wie orientalisch es aber noch zurZeit des Pausanias in Griechenland aussah, und wie die uraltenphönizischen Culte ganz unerschüttert bestanden, dassehe man an einem Beispiel. Phönizier hatten auf Kythere,um an den lakonischen Küsten Purpurfischerei zu treiben,eine Niederlassung gemacht und ein Heiligthum der AphroditeUrania gegründet (mit Waffen, als Kriegsgöttin), vonda verbreitet sich der Aphroditekult nach dem Innern desPeloponnes, und nun weist der Perieget auf Schritt und Trittphönizische Götterbilder und Culte nach, die lakonischenDioskuren, Ares-Dionysos, die blutige Artemis-Danais, denSchlangengott zu Epidauros, die Ueberbleibsel des Fischkultus,den Apollo Karnius zu Gythion, die vier Kabiren, phönizisch„die Mächtigen" zu Prasiae, die sieben Planetar-Säulen auf demWege von Sparta nach Arcadien, das verschleierte und gefesselteBild der Aphrodite Morpho. Besonders sind die unzüchtigenCulte der Aphrodite, z. B. in Korinth, wo dieHefären als Hierodulen der Göttin heilig waren, phönizisch.Nicht aber ist bei den Griechen die phönizische Artdes Priesterthums herrschend geworden: die Organisationeiner Menge Priester mit Graden, einen Oberpriester an derSpitze, woran sich noch viele (tausende!) männliche und weiblicheHierodulen anschliessen; der Hohepriester im Rang demKönig der nächste. Aber Spuren finden sich, es war an denkleinasiatischen Heiligthümern der Fall, dass der Hohepriesterdem Range nach neben dem König stand und das Vorrechthatte, zu Zeiten die Königstiara zu tragen (Heraklit in Ephesos).Erbliche Priesterfamilien kennen auch die Griechen.345


§ 6,Thrakische Elemente.Man hat lange Unfug mit der Hypothese angestiftet, dassdie wichtigen Thraker des Mythus, denen die Griechen soviel verdanken, nicht identisch seien mit den sp'äteren historischenThrakern, dass durch Homonymie ein alter griechischerStamm und der später bekannte ungriechische verwechseltseien. Das ist jetzt überwunden. Die mythischenThraker sind dieselben wie die späteren, nicht griechisch, verwandtmit den Phrygernj also so wie es die Tradition derAlten ist, die z. B. Orpheus und Thamyris in der Tracht derhistorischen Thraker darzustellen pflegten. Ebenfalls findensich die Mythen von Orpheus zugleich in Pierien und amOlympus, am Helikon und am Hebros^uss, also sowohl anden Sitzen der historischen als der mythischen Thraker jebenso stimmen viele Namen der mythischen und der historischenThraker überein, z. B. Tereus, Ismaros, Nysa, unddie Culte des Ares und Dionysos finden sich hier und dort.Die alten Thraker finden wir in der Landschaft Pierien ander Gränze von Makedonien und ThessaUen, ihre nächstenNachbarn sind die Phryger, welche an den Abhängen desGebirges Bermion sesshaft waren, wo der Rosengarten desKönigs Midas lag. Auch der Name Olympus, häufig inVorderasien, ist vielleicht phrygischen Ursprungs:durch dieseVermittlung der Thraker ist manches zu den Griechen gekommen,z. B. auch der Name {xouaa, der lydisch ist (Hesych.jxÄu t6 uStüp, [iÄü? \ T^fiyri mit Th. Bergk) nach Steph. Byz. v.ToppYjßo? — Nüjx'^pÄv äxouoac, et? xal Mouoac, AuSol xaXouai, also„QuelJgeister". Wir finden die Thrakerculte auf Euböa, aufNaxos, in Phokis am Parnass, in Böotien am Helikon, inAttika, immer mit Musen- und Dionysosdienst. Musen undDionysos gehören ursprünglich viel enger zusammen als346


Musen und Apoll: als zusammengehörig wurden sie z. B.noch in Eleutherae, in der ISähe von Eleusis verehrt, inOrchomenos sagte man vom verschwundenen Dionysos, ersei zu den Musen entflohen und halte sich bei ihnen verborgen.In der Gegend der makedonischen Stadt Dion lagenzwei Ortschaften Leibethra und Pimpleia, nach heiligenQuellen benannt: am quellenreichen Abhänge berühmterWeinberge j hier Hauptsitz des Musen- und Dionysosdienstes:Orpheus hier der älteste Musensohn und der erste Dionysospriester,eigentlich nur eine Heroisirung des Gottes, „derDunkle". Die Musen überall an Quellen und in Hainen verehrt.Die Auferziehung des Dionysos im thrakischen Nysa(erwähnt z. B. II. 6, 33), und überall, wo es Nysa giebt, istthrakischer Einfluss, dkekt oder indirekt, in Makedonien,Thessahen, auf Euböa, Böotien, Parnass, Naxos. Die Bedeutungscheint vu^ia, „das Nächtliche", Aidvuao? selbst ist Zsu?vu^io?. Mit ihm, dem jährlich sterbenden und wiederauflebenden,hängt wohl auch der Cult der Demeter und Persephonezusammen, im Homer. Hymnus v. 17 erfolgt derRaub der Köre auf dem N6oiov usBiov, in Eleusis stehendie Culte thrakischer Rehgion in engster Verbindung mitdem Demeterdienst, in Athen war die Feier des Dionysosam Anthesterienfeste (dem ältesten Dionysosfeste) einemystische, in Bezug zu Demeter und Persephone, das Grabdes Hymnendichters Musaeus, der den eleusinischen Gottheiten,besonders der Demeter die Hymnen gedichtet hat,ist auf dem Museion. Der thrakische Ursprung des Demeterdienstesist nicht direkt zu beweisen, aber jedenfalls steht erin Verbindung mit der thrakischen Einwanderung. Dieschwärmenden Mänaden nennt man thrakisch Klodonen undMimallonen. Thrakisch und phrygisch heisst Dionysos auch2dßo? 2aßdöio? SaßctCio?,der Cult der Göttermutter, der phrygische,ist phrygisch-asiatisch und, wie gesagt, verschmolzen347


mit dem thrakischenj an diesen Cultus der Göttermutterhat sich wieder eine Menge Babylonisch-Phönizisches angelehnt,der Syncretismus ist ausserordentlich. Vielfach habensich die thrakischen und die phönizischen Elemente bekämpft:überall, wo z. B. Amazonen bekämpft werden, z. B. in Troizen,wo an der Stelle, wo Theseus die Amazonen bekämpft hat,ein Tempel des thrakischen Ares steht. Ares ist keinächtgriechischer Gott 5 der Cult des uralten thebanischenAres hängt mit der Eroberung des phönizischen Thebensdurch die Thraker zusammen. Thrakien als Heimath des Aresbei Homer, Sophokles und Kallimachus bezeugtj an denwenigen Punkten, wo er in Griechenland verehrt wurde,ist immer auch thrakischer Einfluss sonst nachweisbar. Derälteste Sitz ist das böotische Theben, in Athen erzählte manvon den Thrakern Tereus und Eumolposj hier auch Cultdes Ares Pausan. I, 8, 4. Dann zu Hermione und an mehrerenPunkten Lakoniensj indirekt (lakon. Musen- und DionysosdienstPausan. III, 17, 5 und 19, 6) mit den Thrakern amParnass und Helikon zusammenhängend, denn zu Hermionesassen barbarische Dryoper vom Parnass ; in Lakonien wandertenzugleich mit den Dorern thebanische Aegiden ein.Von Lakonien mag der Areskult nach dem frühzeitig dorisirtenTegea gekommen sein. Auch in mehreren genealogischenMythen erscheint er als Thraker. Genaueres beiRöscher, Studien zur vergl. Mythologie i, p. 13. Er ist einePersonifikation des wilden Kämpfens und Mordens, schonbei Homer bedeutet er nicht selten einfach den Krieg; seineBegleiter "Epi?, Asifxo?, Ooßo?, KuBoi[x6? sind abstrakte Begriffe.Er ist nicht unter die Zahl der grossen griechischen Nationalgottheiteneingegangen, während er ursprünglich eine derhöchsten Gottheiten seines Volkes war. Nach Herodot 5, 7verehren sie bloss folgende: den Ares, den Dionysos unddie Artemis. Nur die Könige haben den Hermeskult, schwören348


ei diesem und sagen, sie stammten von ihm ab. Wahrscheinlichdeutet das auf eine unthrakische Herkunft desselben.(Oder etymologisch? dpjxT^ ist phrygisch = Krieg, /är inopfjt-^ ad-orior, vielleicht auch Hermes? Jedenfalls scheintAres ein thrakisches Wort). — Diese Artemis ist in derHecate übrig geblieben; in Höhlen wohnend, z. B. in derzerynthischen Höhle auf Samothrake; in Thessalien brachteman sie mit der rTepascpövr^ Bpi(Xtt) (Zürnende) und der "Apteixi?Oepaia zusammen; mit diesen beiden Göttinnen immer engverbunden. Cult in Theben, in Athen, auf Aegina: nächtlicheMondgöttin, auch Schützin als solche, Tpi(jiopcpo?, die dreiPhasen des Mondes. Als sehr angesehene Göttin in derHesiod. Theog. v. 404!?. Homer Hymn. auf Demeter V. 24,52 ff. sehr mächtig, in Handel und Wandel, auf dem Meere,im Kriege, Rossezucht, Jagd, Viehzucht, Geburtshülfe, Kinderzucht.§ 7.Graeko-italische Elemente.Dazu erlaubt die Sprachvergleichung noch die Kelten hinzuzunehmen,insofern keltisch und italisch sich näher verwandtsind als italisch und griechisch. Ich erkenne als bewiesenan:die Identität von Z£u


Sonnenlauf die Ordnung des Jahres bestimmt, so wurde derBeginn des Jahres mit einem Fest gefeiert, das bei denGriechen dem Apoll, bei den Römern dem Mars galt.Wahrscheinlich waren auch die Anhngstage der Monatebeiden Göttern geheiligt. Beide wurden vorzugsweise inder warmen Jahreszeit wirkend gedacht, weswegen ihresämmtlichen Feste nur in diese Zeit fallen. Weiter galt derFrühling als beiden Göttern geheiligt, ihr Geburtstag wurdebeim Beginn desselben festhch begangen. Im Sommer dachteman sich beide entweder wohlwollend und segnend oderstrafend und zürnend und suchte sie deshalb mit Gebetenund Sühnopfern zu beschwichtigen. Alle Krankheiten derwarmen Jahreszeit, vor allem die Menschen und Thieremordende Pest, welche man für die Wirkung der Sonnenstrahlenhielt, allen Misswachs, wie er namenthch aus demebenfalls auf die Sonne zurückgeführten Kornbrand (robigo,epuaipYj) hervorging, aber auch alle Segnungen durch guteErndte und Gesundheit schrieb man der Wirkung dieserGottheiten zu und verehrte sie demgemäss als ctXe^ixaxoi,averrunci. Wie Apollo, so gilt auch Mars als Orakelgott,die Beziehung auf Kampf und Schlacht ist beiden gemein,sie werden beide als bewaffnete Streiter gedacht. Wie Apolloin mannigfachen Sagen griechischer Stämme und Städte alsiraTpÄo? und apxrjexr^? erscheint, so auch Mars-Quirinus inder Gründung Roms und Cures. Dieselbe Sage, welche vonRomulus dem Sohn des Mars handelt, lässt sich auch in allenwesentlichen Zügen bei Miletos und Kydon, den Gründernvon Milet und Kydonia und Söhnen des Apollo, nachweisen.Apollo und Mars führen und schützen in gleicher Weise diewandernden Kolonistenschaaren, die eigenthümliche damitzusammenhängende Sitte des ver sacrum findet sich auchim Kulte des Apollo. Endlich haben sie identische Symbole:den Wolf, den Habicht und den Lorbeer. — Juno und Hera350


sind ursprünglich Mondgöttinnen, wurden als solche ausschliesslichan Neumonden verehrt und führen die gleichbedeutendenNamen Juno und Akovy] (div leuchten), vondenen letzterer der alte epirotische Name der Hera gewesenist.Ein zweiter synonymer Name war Lucina oder Lucetia(lue), „die Leuchtende". Da der Mond nach der Anschauungnicht nur der Griechen und Italiker, sondern auch vieleranderer Völker die für den weiblichen Körper so wichtigenKatamenien und was damit eng zusammenhängt, die Entbindung,zu bewirken schien, so sind Juno und Hera zunächstGöttinnen der Menstruation und weiterhin, ebensowie Artemis, Selene und Diana, der Entbindung geworden(Juno sospita conservatrix "Hpa EiXeiöuia). Beide wurden inlokalen Culten als 6|xcpaXY]T6jxoi mit einer Scheere in derHand dargestellt. Mit der Mondbedeutung beider hängt esferner zusammen, dass sich mehrfache Berührungen mitanderen evidenten jüngeren Mondgöttinnen desselben Volkes,z. B. der Juno mit Diana, der Hera mit Artemis, Eileithya,Hecate und Selene finden. So werden Juno und Hera, wieauch Artemis, Hecate und Selene auf einem Wagen fahrendund fackeltragend gedacht, und Hera führt auf einer höchstalterthümlichen Vase den Bogen wie eine Artemis. Mit derVorstellung des Mondes als einer die Katamenien und dieEntbindung bewirkenden Göttin steht es im engsten Zusammenhang,dass Juno und Hera als Ehe- und Hochzeitsgöttinnenverehrt wurden. Juno Juga und Pronuba, "UpaZoYia und TsXsia.Beide wurden dem höchsten Himmelsgott,welcher sicherlich schon der graeko- italischen Urzeit angehört,vermählt und ihre Hochzeit und Ehe als das idealePrototyp sämmtlicher menschUchen Hochzeiten und Ehengedacht. Höchstwahrscheinlich wurde auch in Italien wie inGriechenland diese Hochzeit (i£p6? -{diioz) alljährüch mit allenCeremonien, welche bei menschlichen Hochzeiten üblich351


sind, gefeiert. Sicherlich leitete man hier wie dort die einzelnenAkte der Hochzeit, welche im Wesentlichen denGriechen und Italikern gemeinsam sind und gewiss aus dergräko- italischen Periode ihres Zusammenlebens stammen, vonjener idealen göttlichen Hochzeit ab, z. B. den Hochzeitszugvom Hause der Braut zu dem des Bräutigams, die Salbungder Thürpfosten, die Anlegung des bräutlichen Gürtels, undverehrte demgemäss die Juno als Domiduca Unxia CinxiaPronuba, gerade wie Hera bei dem Ispö? ydiAo? als die Stifterinsämmtlicher Hochzeitsgebräuche verehrt wurde.Ferner geltenbeide für himmlische Königinnen, Juno Regina, "Hpa ßaoiXeia:ebensowohl weil vermählt mit dem König des Himmels alsaus der Anschauung des Mondes als regina siderum. Beidewerden vorzugsweise auf Höhen und mit Kuhopfern verehrt,beiden ist ein Monat geweiht (Junius, Junonius, Junonalis,"Hpaioc, 'Hpdaio?), ihr Tempeldienst wird von verheirathetenPriesterinnen versehen.Die Lilie und die Granate sind beidenheilig.Was für Götter als die machtigsten italischen galten, kannman daraus schhessen, wie sich viele Völkerschaften nachihren Landesgöttern genannt haben: als Söhne des Marsbezeichnen sich Marsi und Marrucini, ferner die Mamertini.Picentes heissen sie nach dem Specht, Hirpini nach demWolf, heiligen Thieren des Mars, welche ihre Züge in dasverheissene Land geleiteten.Vestini sind „Kinder der Vesta".Lucani bezieht man auf Lucetius (Juppiter), Aurunci oderAusones, Söhne der Sonne (aurora aurum „das Leuchtende").Der Stammvater der Sabini oder Samnites (Sabinites) ist nachCato Sabus der Sohn des Semo Sancus oder Dius Fidius.Sabini und Oenotri sind gleichbedeutend, Sabus gilt als Erfinderdes Weinbaus. Dem Namen nach ist er mit demSdßoc, SaßdCio? (in Thrakien und Phrygien) identisch undentspricht dem Dionysos, wird aber auch als Zeus angerufen.


Zeus und Dionysos sind Differenzirungen aus derselbenWurzel, und wie letzterer zum Sohn des Zeus gemacht wird,so heisst auch Dius Fidius Vater des Sabus. Sanskr. sabajh„verehren", „der Verehrungswürdige" (SeßXi^, 2s{xeXYj). Beiden Lateinern fehlt der Name, nicht die Gottheit. Die dreiWeinfeste legt der Kalender des Numa dem Jupiter bei.Daneben findet sich ein eigener Weingott, Liber Pater: derkapitolinischen Trias steht die Trias Ceres, Liber, Liberaentgegen, ihr Tempel ist der Mittelpunkt und das Hauptheiligthumder plebejischen Gemeinde Roms. Der Liber Paterwar eine der gefeiertsten Gottheiten Altitaliens, er galt alsRepräsentant der bürgerlichen Freiheit (eXeu&epio?).Es existirtauf Inschriften ein Jupiter Liber, der das ganze Geheimnissenthüllt, die ursprüngliche Identität von Beiden, wie ebensovon Zeu? und Aiovuao?: es ist der Himmelsgott als Gott desTageshimmels einmal und als Gott des Nachthimmels, desDunkels, des Unwetters, der Unterwelt andererseits. DasLand Italien ist von dem Stier genannt, der die Sabiner einstauf die Halbinsel führte. Der Stier das Symbol des Ackerbaues,der bleibenden Gründung: der Wolf dagegen, ihmfeindlich, das Symbol von Streit und Kampf Mit Pflug undZugstier, mit Rebe und Winzermesser ausgerüstet, überschrittendie Italiker die Alpen, das ist ihr graeko-italischesErbtheil. Aber auch die Kelten haben es. In Betreff desHimmelsgottes tritt die Differenz des Climas hervor, derGott des schlechten Wetters (wie Wuotan der Wüthendebei den Germanen), der Nacht, der Unterwelt, also Sabus,Dionysos ist wichtiger, mächtiger als der des schönen reinenTageshimmels j als Hauptgott der der Unterwelt, das sagtschon Caesar. Strabo IV p. 198 erzählt von einer kleinenInsel im Ozean am Ausfluss der Loire, wo die Frauen der2a|i,vTT:ai Dionysoskult treiben jdie Samyiiten derselben Gegendnennt Ptolem. 2, 8, 6^ vgl. Dionys. Perieget. v. 570. Dieser23 Nietzsche V 353


Name weist auf Sabus (aeß) zurück; nun nennt Laert. I, iTzapd T£ KeXxoT? xal FaXdiai? tou? xaXoü(ievouc ApuiBa? xal 2e(ivoOeoü?,dies ist eine Uebersetzung von Samniten und zugleicheine den Klang nachahmende, es sind die Nachkommen desLiber Pater.')Bei den Griechen ist der thrakische Dionysosdienst zumächtig aufgetreten und hat den alten einheimischen Gott,der jene andere Seite des Zeus ausmacht, verkümmert: diesist nach meiner Vorstellung Hermes. Es sind nur noch Restedavon gebheben, in dem Prädikat des ^^övioc, des Todtengottes((^uxoTcojnro?), dem Phallos, der ihm, wie gewöhnlichDionysos, hier und da heilig war, als Segenspender epiouvio?u. s. w.§ 8.Im Ganzen hat sich die italische Religion reiner erhalten,der griechische Anthropomorphismus isteine verhaltnissmässigjunge Bildung. Ueberdies ist jene viel strenger und systematischer.Darüber werfen besonders Licht die Forschungenüber Tempel und deren Orientirung. Als etwas Gemeinsamesergiebt sich dies: das Verhältniss der Längenaxe zuraufgehenden Sonne bezeichnet den Gründungstag und Festtagdes Tempels, bei Griechen wie bei Italikern. Ueber derAbsteckung des decumanus ruht eine höhere Weihe: diegroma wird aufgestellt auspicaliter, d. h. nach Befragung desGötterwillens, der Gründer selbst ist anwesend, die Ceremoniebezeichnet den Gründungstag des Templum. Derdecumanus entspricht der Richtung, in welche die erstenStrahlen der aufgehenden Sonne fallen. Wie jeder Mensch,so hat auch der Gott und die Götterwohnung einen Geburtstag;ebenso die Stadt. Wenn nun die Richtung desdecumanus dem Sonnenaufgange am Gründungstage des^) Diodor. Sic. V, 31, 2 habe ich SaptovfSa? in 2a|j.v{Sa; corrigirt.354


templum entspricht, so lässt sich aus dem decumanus derGründungstag finden oder, falls der Tag bekannt, die Richtungdes decumanus. üeber Sonnenauf- und Untergang ruhteine besondere religiöse Weihe; mit dem Aufgang beginnendie Babylonier ihren bürgerlichen Tag, mit dem Untergangdie Athener. Mane et vesperi fand die religiöse Feier beiden Römern statt, der Mittag war dem bürgerlichen Verkehrüberlassen. Am Sonnenaufgang werden auspicia eingeholt,Bündnisse gegründet.Die besondere Heiligkeit beider Tageszeitenprägt Hesiod op. 340 ein. Mit der Bedeutung deraufgehenden Sonne hänge es zusammen, dass der Betendesein Antlitz nach Osten wendet. Die römische Sitte verlangt,dass, nachdem ein Theil des Gebetes gen Osten gesprochen,man sich rechtsum drehe und das Antlitz nach Westenwende, also von Ost durch Süd nach West dem Lauf derSonne entsprechend. Ebenso bei den Kelten, nicht aber beiden Griechen. Da nun der Römer beim Gebet Osten alsdie vornehmste Richtung ansieht, muss das Götterbild imTempel, wenn der Betende sich an dasselbe richten soll,nach Westen schauen; der Altar, weil er direkt auf das BildBezug nimmt, muss die entgegengesetzte, also östliche Fronthaben. Die italische wie die hellenische Orientirung sind ausden nämhchen Anschauungen hervorgegangen; daraus folgt,dass auch die Feste und ihre Stellung im grossen Kreislaufder Natur ursprünglich dieselben waren. Die beiden Tagedes Parthenon fallen zusammen mit dem Parilienfest und denludi Romani. Im April steht die Sonne im Zeichen desStiers, eine bedeutsame Zeit für den Stadtgründer. WennAthene Nike auf den 15. März, das uralte Minervenfest derQuinquatrus auf den 19.—2(5. fällt, so wird es schwer, einenZusammenhang zu leugnen. Athene Polias ist in Rom dieVenus, die altitalische Flora, Theseus dagegen Mars. Wirbekommen hier die Andeutung, dass Athene eine alte gräko-23* 355


italische Liebesgöttin und Frühlingsgöttin ist: nach athenischerSage stand sie im Verkehr mit Hephaest, dem ursprünglichenRepräsentanten des himmlischen Lichts und Feuers,einem alten Apollo: wie Flora in Verbindung mit demStaatengründer Liber oder Juppiter erscheint. Hier ist nochmancherlei zu entdecken.Der Begriff des templum reicht in gräko-italische Zeithinauf. Er hat sich nicht entwickelt aus dem Begriff desHeiligen,Gottgeweihten, die Vorstellung des Eigenthums liegtzu Grunde. Das Haus gehört dem Gott, der darin wohnt,die Kurie dem Senat, das Comitium den Bürgern 5es ist nichtgleichgültig, wie der Augur den Himmel limitirt, denn zwarreicht der Wille Juppiters durch den ganzen Umfang desselben,gleichwie der pater familias das ganze Haus beherrscht,aber in den verschiedenen Regionen wohnen andere Götter,und je nachdem man den Willen dieses oder jenes erkundenwill, werden andere Linien gezogen. Die Constituirung einesTempels hat sofort zur Folge, dass der also eingehegte Raumvon einem Geiste in Besitz genommen wird. Nicht blossdie Stadt, sondern auch das <strong>com</strong>pitum und das Haus, nichtbloss die Feldflur, sondern auch jeder Acker und Weinberg,nicht nur das Haus als Ganzes, sondern jeder Raum innerhalbdesselben hat seinen Gott. Jeder Geist, der in einenRaum gebannt ist, gewinnt Individualität und einen bestimmtenNamen, bei dem der Mensch ihn anrufen kann.Wenn man die räumliche Spaltung auf die Zeit überträgt,so bekommt man die Indigitamentengötter. Man hat erkannt^dass die mathematisch zertheilende Naturanschauung der Ita-Uker nur inder Ebene entstanden sein kann, wahrscheinlichin der Poebenej das ganze Land stellte sich als ein einzigesgrosses templum dar, vom Po als decumanus maximus, vonseinen alpinischen und apenninischen Zuflüssen als cardineslimitirt. Hier schlugen die Elemente der geometrischen35^


Anschauung, welche die Wanderer aus dem Orient mitgebracht,Wurzel. Hier entstand ein grossartiges System.Bei den Griechen ist das templum') zur Bedeutung einesden Göttern geweihten Bezirks zusammengeschrumpft, erzwingt weder Himmel noch Erde in feste Schemata, dieder Natur spotten. Wohl haben Hellenen und Italiker denAckerbau und mit ihm die Form des Eigenthums in festerBegrenzung und Vertheilung von Grund und Boden gemein.Das älteste Flächenmaass Italiens, der vorsus von loo Fussim Quadrat, findet sich bei den Griechen wieder als uXeöpov,die Grenze terminus als Tepfiiov. Aber die herrische Durchführungdes Eigenthumsprinzips auf Natur und Götter istitalisch, nicht griechisch. Die Griechen erscheinen mehr vonder Herrlichkeit der Natur befangen, als dass sie ihr dasZeichen der Knechtschaft aufprägten. Die „Stadt" ist nichtgräkoitalisch, das italische Stadtschema ist nach der Trennungder Italiker und Hellenen, aber vor der Spaltung der italischenStämme geschaffen, es ist das Lager mit seinem Erdwall undSchanzpfählen, der Steinbau war noch nicht bekannt. Voneiner festen Lagerform der Hellenen kann gar nicht dieRede sein. Die Ausdrücke für Haus und Hof sind indogermanischesEigenthum, Haus, Thür, Hof, Garten hat inallen Sprachen die gleichen Worte:skr.: dama gr.: 86(xo? lat.: domus goth.: timjan, bauenAber beidvär Oupa fores dauro, ahd.: turigarta y^opToc, hortus gartove^a olxo? vicus vic.der Bezeichnung von Stadt kommen wir zu einervollständigen Spaltung: T:6Xic, aatu (von vas wohnen), urbs^) templum (tem, wie exemplum zu eximere). Bei Homer heisst Tefxevoi;jedes als Eigenthum abgegrenzte Stück Land, mag es einem Könige, Heldenoder Gotte gehören, im ersten Fall Privatbesitz, das aus dem Gemeindelandausgeschieden ist, IL 6, 194, als solches erblich. Nachdem es keineKönige mehr gab, ist es ganz nur „heiliger Bezirk".357


(orbis), oppidum (von ob-pedum, das über der EbeneLiegende), castrum „das Schirmende", arx die Burg, verwandtmit aX-xii dpxetv arcere u. s. w.§ 9-Elemente aus ureinheimischen, niedrigerstehenden Bevölkerungen.Die Hellenen haben gleich Indern, Italikern, Deutschenihr Land mit den Waffen in der Hand erobert und sich eineältere Race botmässig gemacht: doch so, dass die urältesteSitte zum Theil wieder auf die Einwanderer übergeht, namentlichdurch die Angst, welche höher entwickelte Völker vorder magischen Kraft der niedrigeren haben, in deren Nähesie wohnen. Hierher gehört z. B. bei den Römern das Opferder Fetialen, die mit dem heiligen Stein des Diespiter dasThier erschlagen, der Schwur bei diesem Stein, der bei denRömern als der heiligste galtj die Bedeutung dieses ritus beidem völkerrechtlichen Verkehr der Italiker, sein Vorkommenbeim stammfremden Nationen weisen auf seine Entstehungin der entlegensten Zeit hin: Zeichen der metalllosen Zeit.Bis auf den heutigen Tag giebt es im südlichen Asien Distrikte,wo die Verehrung der Bäume herrscht, trotzdem die Gegendenbuddhaistisch sind. Offenbar war es nicht möglich, dieseCulte auszurotten: man bildete Uebergangs- Legenden undHess z. B. Buddha selber dreiundreissigmal in Baumgenienverwandelt gewesen sein. Die Skulpturen des Tope vonSanchi in Centralasien beweisen (nach Fergusson, „BaumundSchlangenverehrung"), dass um das erste Jahrhundertunserer Zeitrechnung heilige Bäume in buddhistischen Religionssystemensehr viel Bedeutung haben. Man sieht dieNagas, d. h. die Repräsentanten der eingeborenen Rasse undReligion, den heiligen Baum anbeten, inmitten einer buddhistischenUmgebung, mit schützenden Schlangen um Schultern358


und Kopf, ebenso andere Stämme, die als Affenmenschengezeichnet sind. Auch die phönizische Legende hat dieVorstellung, dass die ersten Menschen die Pflanzen der Erdeheiligten und sie zu Göttern machten. Die Baumverehrungist überall vorgefunden worden und findet sich dann alsBestandtheil der höheren, siegreichen Religionen wieder. Esist der natürliche Glaube der Jägervölker j er ist so mächtig,dass er die ganze Religion des Alterthums überdauert, alsderen zähestes Element er auch zuletzt bekämpft werdenmuss.Die Concilien verlangen von den Kaisern namentlichVernichtung der heiligen Haine und Bäume j derjenige, indessen Presbyterium Lampen und Kerzen entzündet. Bäume,Quellen und Steine verehrt werden, mache sich zum Mitwissersolchen Sacrilegiums, wenn er es zu rügen unterlasse.Theodosius im 4. Jahrhundert verbietet mit bedeutendenStrafen die Verehrung der heiligen Bäume mit Weihebinden,Rasenaltären und Räucherwerk: Verlust von Habe und Gut.Das Gesetz des Langobarden Luitprand bei Paulus Diakonus:„Wer etwa einen Baum, den die Landleute einen heiligennennen, verehren oder mit Weihegesängen feiern wird, dersoll unserem heiligen Fiscus mit dem halben Werthe seinerHabe büssen." Der Gegensatz ist stark: das göttliche undmenschliche Recht der Hellenen erkannte es als sakrileg,wenn jemand einen geweihten Baum entheiligte oder garvernichtete, es strafte mit Tod oder Exil, wenigstens mitVerlust von Hab und Gut. Wie wenig es dem Cbristenthumgelungen, diesen Glauben zu vernichten, zeigen z. B. dieSammlungen Mannhardts, „Der Baumkultus der Germanen undihrer Nachbarstämme". Es ist eben etwas Vorgermanisches, Vorslavisches,Vorgriechisches,die Religion, aufweiche die indogermanischenWanderstämme stiessen :wnA findet sich deshalb 'überall.Der Uebergang ist leicht gemacht, man darf nämlich nichtalle Baumverehrung der Welt in die eine Kategorie bringen:359


dass ein heiliger Baum einen Geist habe, der in ihm eingekörpertist oder ihm anhaftet. Eine weitere Stufe ist die:der Baum kann der Wohnsitz, das Obdach des Geistes seinjunter diesen Begriff fallen die Bäume, welche man mit Gegenständenbehängt, die für die Gefässe von Krankheitsgeisterngelten. Zwischen dem heiligen Baum und dem heiligen Haingiebt es, wenn man sie als Aufenthaltsort von Geistern betrachtet,keinen Unterschied. Dann ist der Baum als Opferstätteoder als Altar ein deutlicher Platz, wo man die Gabenfür ein geistiges Wesen aussetzt,das ein Baumgeist sein kann,aber vielleicht auch eine Lokalgottheit. Der Schatten eineseinzelnen Baumes oder das geheiligte Gehegte eines Hainesbildet einen natürlichen Ort der Verehrung, für mancheStämme den einzigen Tempel, den sie kennen, für viele denältesten Tempel. Endlich kann der Baum auch bloss ein geheiligterGegenstand sein, der von einer Gottheit beschütztwird, mit ihr in Verbindung steht, sie symbolisch darstellt:es ist ein bloss idealer Zusammenhang. Diese drei Stufen:wirkliche Einkörperung, Besuchsort von Göttern, idealer Zusammenhang— gehen leicht ineinander über. Es sind demHellenen, Latiner, Meder, Armenier, Chaldäer, Kananiter,Inder, Germanen Bäume die ersten Tempel gewesen, inwelchen der Geist der Gottheiten hauste und mit ihnen verkehrteund den Willen durch Vorzeichen und Orakel offenbarte:das ist die zweite Stufe: Vereinigung der früheren undder neuen Culturstufe! Der dritten Stufe gehört es an, wenndie Eiche dem Juppiter, der Oelbaum der Athene, der Lorbeerdem Apollo, die Pappel dem Herakles geweiht ist. Hauptwerkfür die Griechen: „Der Baumkultus der Hellenen" vonCarl Bötticher, i^s6. Es fehlt nur die Scheidung der verschiedenenStufen und die Einsicht, dass hierin nicht daseigentlich Hellenische des Cultus zu finden ist, sondern dasVor- und Ausserhellenische. Aber wie die Griechen mehrl6o


anzunehmen wussten und die ivertigst spröde Nation waren, sohaben sie auch sich am tiefsten mit der Baumverehrung eingelassen:während doch wandernde Stämme natürlich nurwandernde Götter haben können, solche, die sie überall hinbegleiten (Himmels- und Wettergottheiten) : Baumcult ist aberfür uralt ansässige Waldbewohner. Dies ist der älteste Synkretismusj auf pelasgischer Stufe: die ankommenden Himmelsgottheitenwerden in Bezug zu den altansässigen Baumgottheitengebracht. In Athen z. B. ist der Oelbaumcult dieälteste Thatsache, der heilige Baum stand auf der Burg alsältestes Ispov, das älteste Cultusbild der Athene, aus Olivegebildet, ein Pfahl mehr als ein Bild: in Athene haben wirdann die Verschmelzung der eingewanderten Mondgöttin(der Hera, gräkoit., entsprechend) mit dem ureinheimischenBaumdienste. Hephäst (ein gräkoitalischer Zeus, das himmlischeFeuer) ist zugleich gekommen: die älteste Legendeweiss noch von einem geschlechtlichen Bunde zwischenAthene und Hephäst (wie zwischen Hera und Zeus). Mitdem Baume ist dann die Verbindung so fest geworden, dass,wohin die sacra als Filiale übersiedelt werden, auch ein Sprösslingvom heiligen Baume mitgeführt wird: da pflanzt manihn auf und heihgt ihn durch Gründung des Altars undSpeisetisches. Der pontische König Mithridates und die Bewohnervon Panticapaeon bemühen sich auf alle Weise,Lorbeer und Myrthe anzupflanzen, es gehört zur Stiftungvon Sacra des Apoll und der Aphrodite jwo ein Baum durchausnicht wachsen will, konnte ein Cultus nicht geübtwerden j man brauchte ihn zu allem. Alles wird mit seinenBlättern und Zweigen bekränzt, Opfer, Weihegeschenke, dasHeiligthum selbst, die priesterUchen Personen. Das Weihwasserkonnte nur mittelst heiliger Zweige gesprengt werden.Zu Olympia konnte dem Zeus nicht einmal ein Brandopferohne Oelzweige gebracht werden, weil die Opferfladen damitl6i


elegt sein mussten. Das Verbot, einen Kranz zu tragen,eine Person von aller Theilnahme am Gottesdiensteschliesstaus. Gewissen Göttern konnte nur gewisses Holz verbranntw^erden. Heiligen Bäumen werden die gleichen Ehren undCeremonien erwiesen wie dem Gottesbilde und seinemTempel. Man weiht den Baum ein und aus, mit den gleichenGebräuchen der consecratio und exauguratio; man heiligtihn durch Salbung, bekränzt Stamm und Zweige mit Kränzenund Binden, errichtet unter seinem Laubdache den Brandopferaltar,man stellt Agalmata und Anathemata an und beiihm auf, zündet heilige Lichter an, opfert Locken, Votivtafelnjdie Erstlinge der Jagdbeute, der Waffen kommen ihmzu 5 er hat das Vorrecht des Asylon. Um die Weihgeschenkeunterzubringen, legt man Schatzhäuser, Thesauren und Hallenin seiner Nähe an. Solche Bauwerke sind älter als das Tempelhausselbst. Später weiht man ihm das Bild der Gottheitselber an 5 ein Reliefbild von der Insel Thera zeigt dasGottesbild auf dem Stamme. Der genius loci muss den Schirmdes Gotteszeichens und Altars übernehmen, so erscheint derDämon eTuixtopio? bei allen heiligen Bäumen, die Schlange.Athena trägt eigenhändig den schlangengestaltigen HerosErichthonios sammt dem ersten Oelbaum auf die Burg undsetzt ihn hier zum Wächter dieses Baumes und Ortes. Ursprünglichist es umgekehrt: der Baum und Schlangenkultist da und Athene kommt hinzu. Ebenfalls sind natürlich dieVerwandlungen in Bäume, d. h. in Baumgeister, uralte Vorstellungen,die die Griechen keineswegs mitzubringen brauchten.Dies hängt mit dem Grabesbaume zusammen. — Die Verbindungdes Wettergottes und des Baumcultes konnte z. B.so entstehen, dass der Blitz-Zeus, xaxaißdTYjc, sich den Ort,wo er herniedersteigt, als Sitz und Heiligthum bezeichnet:eine fortwährende Gelegenheit zum Verschmelzen vonda istGülten.So gehören gewiss manche der ältesten Cultusbilder362


einem durch Blitz verbrannten Baume zu: der Ueberrest istdas geheiligte symbolon einer göttlichen Anwesenheit andiesem Orte. Auch Steine, die vom Himmel fallen, geltenals solche Symbole. Bei den Hellenen ist derjenige Eichbaumim Eichenwalde heilig, auf dem sie eine Mistelstaude entdecken,sienehmen an, was auf ihm wachse, sei vom Himmelgesendet und ein Zeichen, dass der Baum vom Gott selbsterwählt sei.So haben wir denn die wichtigsten Elemente beisammen:das Erbgut, welches die Hellenen mitbrachten und gemeinmit Italikern und Kelten hatten, Culte, die sich auf denHimmel, das Wetter, Tag und Nacht und die Fruchtbarkeitdes Bodens bezogen: den Baum-, Schlangen- und Steinkultus,den sie bei den niedrigen Volksstämmen vorfanden, welchein ihnen untergiengenj den sehr bunt und stark entwickeltenCultus in allen den phönizischen Ansiedlungen, gerade anden besten Stellen des Landes und der Inseln, um die ammeisten gekämpft werden musste, wo noch häufiger Verträgestattfanden, die sich auch auf Cultus bezogen: hier hattensie am meisten zu sehen und zu lernen, z. B. den entwickeltenTempelbau, dessen Ursprünge nach Aegyptenhinweisen, der aber durch Phönizier den Griechen bekanntgeworden ist. Endlich kamen, nachdem sie im Ganzen Herrendes griechischen Bodens waren, noch thrakische Stämme, mitdenen man kämpfte und sich schhesslich vertrug, so dassman sie und ihren Cultus in sich aufnahm, so den Musendienstund die orgiastischen Gebräuche der Dionysosfeste.§ lo.Nachdem die Grundbedeutung alles Cultus entwickelt ist,darnach die Grundformen alles Cultus, nachher die Elementedes griechischen Cultus nach der Verschiedenheit der hiereinwirkenden Völker, bleibt für die Vorrede noch übrig, die3^3


organis'trenden Gewalten des Cultus zu besprechen. Was schufso vielspältigen Elementen immer wieder neue Einheiten?ausWoher entstanden Centren des Cultus, von denen aus dieVielheit von Gebräuchen sich regelte, die Rechte abgegrenztwurden? Was brachte wieder die kleinen Centren in einVerhältniss zu den grösseren? Wo sind die Kräfte, welcheden ganzen <strong>com</strong>plicirten Bau des Cultus zum x6o{ioc machen,vor Selbstzerstörung bewahren?der Familie, des Geschlechtes,Es ist die Gewalt des Hauses^der Phratrie (Sippe), des Stammes:lauter um einander gelegte concentrische Kreise. Dann der89] {10?, die Amphiktyonie und vor allem die tuoXi?, diemachtigste organisirende Gewalt des Cultus, aber mit andernMitteln und Formen und durch jenen Aufbau oft mittendurchfahrend j sie ist oft aus den Ruinen jenes anderen Gebäudesaufgeführt, meistens aber mit der allergrössten Gewaltund Festigkeit.Das griechische Haus") enthielt vom Eingange bis zumEnde eine Reihe von Heiligthümern. Die Steine, welche dieFusspfade am Haus gegendie Gefahr der Wagen schützten,die Hermen, galten als öffentliche Heiligthümer, welche aberdie Bewohner der nächsten Häuser gelegentlich mit Blumenschmückten. Ganz dem Hause gehörte ein abgestumpfterKegel unmittelbar an der Mauer neben der Thür, Symbolund Altar des A pol Ion dyuieu? und Ouptopoc. Er heisstauch dXs^ixaxo?, iraidv, aTCOTpoTraio?, TCpooTaiTJpio?, er soll nichtsUebles hineinlassen. In breiteren Strassen war der Lorbeerbaumdaneben gepflanzt. Das delphische Orakel hatte denAthenern geheissen, für die Gesundheit dem höchsten Zeus,dem Heracles und dem Apollo TTpooTai^pio?, für ein Glückdem Apollo dyuieu?, der Latona und der Artemis Opfer zu') [Am Rande der Grundriss eines griechischen Hauses von NietzschesHand, der das Folgende veranschaulicht, ferner die Notiz:] nachzutragenCurtius, Wegebau.364' ' .^


ingen. Hinter der Thür ein Heiligthum des Hermes Sxpocpaio?(der Thürangel) gegen Diebe und Einschleicher. Trat manvon der Flur in die anstossende Halle, so hatte man denHof der Männerwohnung vor sich, deren Mitte ein aufStufen erhöhter vierseitiger Altar einnahm, dem Zeus epxeto?geweiht: vielleicht stand die Bildsäule daneben; dies ist einesder ältesten Heiligthümer.Kratinos lässt einen Heimkehrendensagen: „Nach vielen Jahren kehrt' ich aus Feindesland heim,kaum fand ich wieder die Verwandten, Sippen, Gaugenossen,ins Register ward ich eingetragen, ich habe einen ZeusHerkeios und Phratriosj ich vollziehe die geheimen Weihen."Die Kenntniss diesergeheimen Weihen war ein Beweis desangestammten Bürgerrechts, bei der Uebernahme des höchstenStaatsamts, des Archontats, musste sie durch die That bewiesenwerden. — Die Gemächer an den inneren Ecken(luxoi der Halle waren ebenfalls Heiligthümer, die Götterhiessen jau^ioi (doch umfasst der Name die in den Schlafgemächernverehrten mit). Es gab zweierlei hier verehrteGötter, solche, die den Erwerb schützten, denen die Familieihren Unterhalt verdankte, und die angestammten GeschlechtsundFamiliengötter. Zuerst die Oeol xtt^oioi, voran Zsu?xT-^aio? (auch eTcixdpTCio?, sttiBwty]?). Sein Bild wurde in einerKapsel aufbewahrt, die einem zweihenkeligen Trinkgefassglich. Bei der Weihe wurde das Gefäss mit weisser Wolleumwunden, Wasser mit Oel und Früchten hineingegossen.Häusliche Feste ihm zu Ehren mit Gebeten, Opfern undGastmählern. Auch Hermes gehört in diesen Kreis, dannder 'Aya^oSaifAtüv (Bonus eventus) als Silenengestalt mit demFüllhorn oder als Mann mit Aehren in der Hand oder imSymbol der Schlange j dann die Tuxv] ä^a^ (Fortuna secunda),eine Göttin mit Steuerruder oder Füllhorn. Auch wohlPlutos. — Sodann die {^sol Traxpüioi, irdipioi, genau gesprochenimmer vom Staatskultus.Der Begriff ist schwankend,36s


einmal der weitere Sinn: alle in einem Lande von Alters herverehrten Götter, so heisst Apollo in allen ionischen StaatenTuaipÄo?. Dann sind, enger gefasst, die angeerbten Göttereiner Familie, eines Geschlechts zu verstehen. MehrereFamilien bilden ein Geschlecht, mehrere Geschlechter eine«ppaxpia, mehrere Phratrien einen Stamm, mehrere Stämmeeinen Staat. Die dorischen Staaten hatten drei, die ionischenvier Stämme. In Attika leiteten sich die vier Stämme vonden vier Söhnen Ions ab, der selber als Sohn des Apollund einer athenischen Königstochter galt und daher alsTuaxpÄo? Symbol der religiösen Fö/^j-einheit war. Die vierunter ihren Heroen und Göttern ebenso vieleStämme, die zwölf Sippen, die 360 Geschlechter Attikas bildenrehgiöse Gemeinden.Es gehörte jeder Bürger einem Stamm, einer Sippe,einem Geschlechte an und hatte die Götter und Heroenaller dieser Gemeinschaften zu verehren. Auch vereinigtensich noch die Familien desselben Geschlechts, die am selbenOrte wohnten, durch die Gemeinschaft der Gräber in gemeinsamerVerehrung der Todten und der Unterweltsgötter.Dazu kamen noch Heiligthümer, wodurch sich die einzelnenFamilien desselben Geschlechts unterschieden. Der Hausgottesdienstbezog sich zugleich auf die Familien- und Geschlechtsgötter.Isagoras verehrte mit seinen Angehörigenden Zeo? Kdpio?, Andocides den Hermes, das Geschlecht derAmynandriden [TöpfFer, Attische Genealogie S. 160 f.] denKekrops. Die Geschlechter, in denen Priesterthümer erblichwaren, verehrten die dazugehörigen Götter als väterliche,und die einzelne Familie hatte den Cultus des Geschlechtsgottesmit im Hause. Die Sklaven nahmen nicht theii andiesem Theil des Gottesdienstes jdoch aber der Koch alsOberschlächter. Sonst Weihrauch, Fladen und Opferkuchen.Zu den väterlichen Göttern gehörte immer der Stammheros,Homer für die Homeriden, Dadalos für die Dädaliden,3^6


Asclepios für die Asclepiaden: so knüpft sich an dieses Heiligthumder aus dem Heroendienst hervorgegangene Todtendienst,bei der einzelnen Todtenfeier als auch bei denallgemeinen Todtenfestenj Reinigungsgebräuche also mitSchwefel und Weihwasser, Trankopfer von Wein, Milchund Honig. Zu den väterlichen Gottheiten gehört ApolloPatroosj er hatte sein öffentliches Heiligthum in Athen aufdem Markte; jeder zum höchsten Staatsamt Gewählte musstehier die im Hause erworbene Kunde der geheimen von denVätern ererbten Verehrung beweisen;ebenso wie den Dienstdes Zeus Herkeios: so erwies man sich als ebenbürtigerBürger Athens.Auch Athene gehörte zum häuslichen Gottesdienst,sie ist Vertreterin der Landeseinheit. Sodann sorgtesie als Athene cppaipia neben Zeus für das Wohl der Sippen:sie wie Zeus gehören zu den Oeoi ojxoyvioi (zum Schutz derBrüder und entferntem Verwandten), der yeveOXioi (derZeugung, Verhältniss von Eltern und Kindern). — Der Ort,wo die Tzaxpwoi verehrt werden, gilt vorzugsweise als dasHeiligthum des Hauses: Hauskapelle. Offenbar ist diese Verehrunggräkoitalisch, die FamiHengötter sind in den Lareswiederzuerkennen. Ursprünglich war wohl hier das Grabdes Stammheros.Nach Betrachtung der Götter in den Flügeln der Halletreten wir in den Männersaal (Mitte des Hauses), in dessenMitte der runde Altar der Hestia mit weissen Binden geschmücktprangte. Es war der alte Heerd in der Zeit, wodie Fürsten dort, wo sie schmausten, auch selber schlachtetenund assen. Die Hestia wurde am meisten angerufen, ihr ammeisten geopfert, mit ihr ward jedes Opfer einer anderenGottheit eingeleitet, denn erst musste die Flamme brennen,ehe sie das Opfer verzehren konnte. Auch der Schluss desOpfers war ihr geweiht; was ihr geweiht war, musste ganzvon der Flamme verzehrt werden, nichts durfte herausgetragen3


und zu profanen Zwecken verwendet werden. TäglicheTrankopfer bei den Mahlzeiten. Es theilten mit ihr dasHeiligthum als öeol ecpecmoi Zeus, Hephäst, Nymphen, Poseidonu. s. w.; Veranlassung zu ihrer Verehrung bot Abreiseund Rückkehr, Aufnahme ins Haus, selbst bei Sklaven, Verlassendesselben, Geburt, Namengebung, Hochzeit, Tod. IhrAltar ist aaüXov. Der Fremde, der Feind des Hauses fandhier Schutz: Freie, Sklaven, Fremde wurden hier als Hausgenossenvereinigt. — Das letzte Heiligthum ist das Schlafgemachdes Ehepaares. Hermes und Aphrodite (|Auxia genannt)sind die eigentlichen Ehegötter (YotfAT^XioO? ihr Heiligthumim Thalamos (auch (xu^oc). Dazu Peitho, Eros, Himeros, Pothos,Hymen, die Chariten, die Musen u. s. w.Geschlechterculte : allen Geschlechtern Athens Gegenstanddes Privatcultes Zso? epxeto; und Apollon Ttarpü^o?. Ein Tempeldes Apollon Tuaipük)? stand in der Nähe der Königshalle: hierpflegtendie Kinder von ihren Eltern oder Vormündern vorgestelltzu werden.Zeus Herkeios hatte einen Altar auf der Akropolis imPandrosion. Er stand hier als Hort des ErechtheischenHauses, in welchem die Gesammtheit des Staates vertretenwar.Thratrie: ihr besonderes Lokal (ppdtpiov, mit Altären derPhratriengötter. Zeus und Athene allen gemeinsam. DasHauptfest aller Phratrien die Apaturien. Am dritten Festtagetraten die Schüler auf, um Proben ihrer Fortschrittezu geben: mit Prämien.Jeder Cultus einer grösseren oder kleineren Gemeindewar deren ausschliessliches Eigenthum: Acker, Weideland,Fischteiche, Wälder j sie hatte die Kosten durch Abgabenoder Stiftungen zu bestreiten, die Gebäude zu erhalten, diepriesterlichen Personen aus ihrer Mitte zu bestellen. JederTempel mit seiner Priesterschaft ein geschlossenes Ganze,3(58


das sich aus seinen Einkünften erhielt, und so auch einegeschlossene Macht. Dies gilt natürlich zunächst vom HausundGeschlechtsgottesdienst. Die TraTp(i)oi ösoi ist hier derwichtige Begriff. Wenn Geschlechter in den Verband desStaats eintraten,so überlässt man ihnen offiziell die Verehrungihrer Gesch/echts-Gotthek: man nimmt diese mit in den Kreisder Stadtgottheiten auf, der Hausdienst wird ein Staatsdienst,an dessen Bestehen ist das Heil des Staates geknüpft. Sobilden die priesterUchen Geschlechter den festen Kern derBürgerschaft, an welchen sich die loseren Elemente anschlössen.Nun aber hatten sich die Ansprüche der verschiedenenGeschlechter gegen einander auszugleichen, esbedurfte eines Nachdenkens über heiliges Recht, so vieleGeschlechtsculte zur Einheit zu organisiren. Diese Einheitder Geschlechtsculte ist im Cultus des Stjixo? verwirklicht:während auf der Grundlage der concentrischen Kreise desHauses, Geschlechtes, Phratrie die ReHgion der Stämme beruht,die einen gemeinsamen göttlichen Ahnherrn haben;OTifjLo? ist der der ttoXi? voranliegende Begriff. Der nächsteSchritt sind Gülte, zu denen sich alle benachbarten Demenverständigen: so wurde das älteste und grösste Zeusfest, dieAidaia, als allgemeines Volksfest der Attiker begangen, wosie nach Thukydides Trav8Y](xel öuouaivj nachdem bis dahindrei Demen neben einander gesondert gelebt hatten jdasspätere Olympieion lag auf der Grenzscheide der drei Gebiete.Man feierte in Athen ein Fest der Synoikien zumAndenken an eine wirkliche Zusammensiedelung, die durchTheseus vollzogen sein soll; er gründete den Heerd der?olis. Athen wurde dadurch die einzige wirkliche Stadt imLande; nicht dass die übrigen Attiker nun nach Athen gezogenwären, sie blieben sitzen, wo sie sassen; aber nunwurde — etwas Neues! — Athen wurde auch der Centralsitzder Regierung, von dem aus die gesammten übrigen24 Nietzsche V 3Ö9


jGaue von Attika verwaltet wurden. Diese staatliche Einigung,etwas anderes als jener Synoikismos, hat ihre Festfeier in denPanathenäen gefunden; der Name entsprechend wie diePamböotien, Panionien, Panaetolien, Panhellenienj das ebenwar das Charakteristische des ganz Attika umschliessendenStaates, dass alle Attiker Athener waren. — Die iSV^/^/^gründung,d. h. die Vereinigung der Demen der Nachbarschaft zu gemeinsamenCulten ist oft wohl älter als die iSV^^rgründunginnerhalb eines solchen Staates.Also Geschlechtercuke, Demencuhe, Culte vereinigter, sicheinander anschliessender Demen, Culte der tuoXi?, die häufigaus einem örtlichen Sichzusammenschliessen von Demen entsteht.Dann die Aniphiktyonie: eine Gruppe von Stämmenbetrachtet sich als zusammengehörig, erkennt gegenseitigeVerpflichtungen an und enthält sich im Fall unvermeidlicherFehde unter einander wenigstens der äussersten Gewaltmaassregeln(„kein hellenischer Stamm soll eines andern Wohnortvon Grund aus zerstören j keiner Hellenenstadt soll bei derBelagerung das Wasser abgeschnitten werden").Daran knüpftsich der Cultus des Bundesgottes, Ordnung des Hauptfestes,damit eine Art Uebereinstimmung der übrigen Feste unddes ganzen Götterglaubens. Eine Reihe von Gottheitenwurde als gemeinsam anerkannt. Das Göttersystem vonzwölf amphiktyonischen Gottheiten ist nicht aus religiösenAntrieben hervorgegangen. Es gab keinen Cultus der Zwölfgötter,keinen Tempel derselben. Es ist eine politische Einrichtung.Man will nun auch im olympischen Götterweseneinen festen Abschluss, ein Abbild der auf Erden begründetenGenossenschaft. Für die Entstehung der Einheit der Nationund der Einartigkeit des Cultus war die uralte Amphiktyonievon. der grössten Wichtigkeit. Curtius hebt hervor (p. pp^):„Man bedurfte einer gemeinsamen Kasse zur Erhaltungder gottesdienstlichen Gebäude, zur Bestreitung der Opfer370


dadurch wurde gemeinsame Münze erforderlich. Kasse undTempelschatz bedurften einer verwaltenden Behörde, zuderen Wahl man sich vereinigen musste. Bei Veruneinigungder Stämme war eine richterliche Behörde da, deren Ausspruchman anerkannte. Man lernte sich gegen aussenStehende als Ganzes fühlen. Der Name „Hellenen" entstandals Amphiktyonenname: es ist etwas sehr Wichtiges, wennman sich durch einen gemeinsamen Namen zusammenbindet.§ II-Die Grundvoraussetzung der politischen Einheit eines8yj(jlo? und weiterhin der ttoXk; ist die Schutzgottheit, derenCult über dem aller Geschlechter steht, auf den sie sicheben vereinigt haben: wie nachher die Schutzgottheit derTToXi? wieder über den Culten aller Demen stehtj es ist dasBindemittel aller dieser kleinen Centren. Der Altar und dieSacra des Schutzbildes sind für die gottesdienstliche Verbindungaller Einzelculte dasselbe, was die Hestia für diepolitische Gemeinschaft der einzelnen Familien,die Gesetzestafelndes Prytaneion für den einzelnen Demos sindj jedeHand, die diesefi Mittelpunkt der reUgiösen Gemeinschaftaufhob, hob auch den Staatsverband auf. Jeder kleinere bisdahin unabhängige Staat, wenn er sich als ^(ao? an einengrösseren freiwillig anschloss, wurde genöthigt, sein väterlichesSchutzbild neben dessen Sacra nach der Hauptstadtüberzusiedeln und gab damit seine Selbständigkeit auf; auchbei erzwTingener Staatsgenossenschaft trat dasselbe ein, sodass das Schutzbild jedes in feindlichem Kampfe vernichtetenOrtes in das Heiligthum des Siegers versetzt wurde. Sowurden Städte, die eine grosse Anzahl umliegender Städteunterwarfen, mit neuen Tempeln und auswärtigen Cultengefülltjoder schon bestehende Tempel wurden mit erobertenGötterbildern bereichert. Die Hand, welche das Schutzbild24* 371


des Stammes und sein Heiligthum gewann, gewann den Hortdes Stammes mit allem auf ihm ruhenden Segen, von ihrging die Leitung der unumgänglichen Gemeindeopfer aus,sie ordnete die Festpompen und die Spiele und war somoralisch Herr über das ganze Gemeinwesen. Da der Feinddie Existenz eines Staates vernichtete, wenn er mit List oderGewalt die Schutzheiligthümer entführte, so vollendete auchjeder Sieger die Unterjochung oder Wegführung eines Stammesthatsächlich erst durch Entriickung des Schutzbildes: uralteSitte. Wie nothwendig für die Rücksit^thing des Stammesdie Wiedergewinnung der ursprünglichen Sacra war,bezeugtdie Geschichte . von den vergrabenen Heiligthümern derMessenier, in Folge deren Auffindung ihre NachkommenMessene erst neu gründen können.Die Rücksicht auf Sicherung der Schutzbilder gegen Gewaltdaher erklären sichoder heimliche Entwendung sehr wichtig:Gebräuche wie das Belegen der Bilder mit <strong>Band</strong>en, das Anfesselnderselben an ihren Thronsitz, die flügellose Darstellungvon Gottheiten, die gewöhnlich mit Schwingen gebildetwerden. Es ist phönizisch-tyrisch, sich die Bilder der Götterdurch Fesselung zu erhalten: aber auch die Nike aTzxtpoc, zuAthen, die Fesseln an den Füssen der Aphrodite Morphound des Enyalios zu Sparta, das mit Ketten gefesselte Bildder Artemis Eurynome gehört hierher. In Orchomenos wurdendie Leute durch das umgehende Eidolon des Aktaion erschreckt:auf Befehl des delphischen Orakels bildeten sie es in Erz nachund schlössen es an seiner Stätte mit Ketten fest. — Besondersnahm man Rücksicht bei der baulichen Einrichtung der Tempel jdie Schutzbilder wurden sehr häufig in geheime Gellen eingeschlossen,oft unterirdisch: ein aouxov.Dazu die Vorstellung,dass das Bild für den Anbhck eines Jeden (mit Ausnahmedes Priesters) Wahnsinn und Tod nach sich ziehe. HöchstesGebot: kein Mann eines fremden Stammes darf auf dem37^


Altare eines Schutzbildes opfern. Das rituelle Reinigungsbaddes Bildes in Meer oder Fluss wird an einsamen Orten mitgeheimnissvollen Ceremonien vorgenommen 5die Strafe derGottheit trifft jeden, der es auch nur zufällig erblickt. Dasalte Holzbild der Athene zu Pallene stand für gewöhnlichim verschlossenen Heiligthum; wurde es herausgetragen, sowandten sich alle ab, sein Anblick war den Menschen verderblich,es machte die Bäume unfruchtbar, die Früchtefielen ab. — Eine andere Vorsichtsmassregel ist Aufstellungeines un'ächteji Bildes. Pausanias kennt eine ganze AnzahlTempel mit Adyta, bei denen das zur öffentUchen Verehrung,glänzend an Kunst ausgestattete Bild als ^ia\ia in der Cellasteht: das allerheiligste, unscheinbare Bild im Adyton verborgenzur Feier von intimen Sacra und Mysterien. — Beijeder von aussen drohenden Gefahr war es die vornehmsteSorge, die Schutzbilder in Sicherheit zu bringen. Beim Andrängedes Xerxes flohen die Athener mit dem alten ^oavovder Athene nach Salamis, überliessen aber das Bild der BrauronischenArtemis den Persern: daraus schliesst Pausanias mitRecht: offenbar könne nicht dieses athenische, sondern daslacedämonische Bild das acht tatirische gewesen sein, dieAthener würden es sonst gewiss nicht vergessen haben.Lieber wollten die Phokäer von ihrer geUebten Stadt scheiden,als die väterUchen Heiligthümer in die Hand des Harpagosgeben: so setzten sie die Schutzgottheiten, die dvaör^fiaxa ihrerTempel nebst Weib und Kind zu Schiff und entfliehen. JederStamm, mag er freiwillig oder gezwungen seine Heimath verlassen,führt stets sein Schutzbild mit sich. Wo er sich niederlässt,w^ird das neue Heiligthum nach dem Vorbilde des in derHeimath zurückgelassenen gegründet und die neue Pflanzstadtum dasselbe gebautj auch die Gebräuche sind ganz dieselben.Ein merkwürdiges Zeugniss von dem Glauben der Hellenenan die Macht der Schutzbilder, wie von der Scheu, ein373


Sacrileg am Staatsheiligthum eines anderen Stammes zu begehen,zeigt sich darin: der siegreich eindringende Feind,noch ehe er es wagt, sich an der Burg und dem Heiligthumder Schutzgottheit als Oberherr zu vergreifen, muss erst dieZustimmung des letzteren dazu erhalten, verrichtet Opferund fragt an. Gewann der Sieger kein Zugeständniss, so zoger unverrichteter Sache ab: oder sofort erfolgte irgend einegöttliche Ahndung. Es war einem Mann des fremden Stammesim Voraus untersagt, sich dem Altare des Schutzbildes zunahen, zu opfern, gar es zu berühren j erzwang er mit Gewaltdas Opfern, so suchte der Priester die Handlung zuunterbrechen und sie ungültig zu machen. Dringt er jetztin die Zelle, so erwartete man panische Schrecken, Wunderzeichen,abwehrende Flammen: so als Kleomenes die Heravon Argos entführen will, oder als er Athen genommenhatte und in den Tempel der Polias tritt: die Priesterin sagt:„Weisst du nicht, dass kein Dorer das Heiligthum betretendarf?" „Weib, ich bin kein Dorer, sondern ein Achäer!"Auch Miltiades vor Faros ist ein Beispiel. Das religiöse Bewusstseindieser Art war sehr tief,man suchte oft Jahre langvorher die Gunst der Gottheit, bevor man zum Angriff desihr empfohlenen Stammes schritt. Der Gedanke liegt zuGrunde, dass jede fremde Hand durch das heilige Opfer aufdem Altare einer Schutzgottheit Anrecht und Mitbesitz ihrerSacra gewinne und sie auf seine Seite ziehe: so dass es dannkein Sakrileg mehr sei, das Bild wegzunehmen und in dieStadt des Siegers überzusiedeln.Die Römer haben auch die Vorstellung, bei Bekämpfungeiner Stadt die Schutzgottheit derselben zu gewinnen j aberman meinte, es genügten gewisse Fascinationsformeln die Gottheitzu evocare. Der Name derselben war dabei sehr wichtig,deshalbwar die Verheimlichung des Namens der Schutzgottheitin Rom streng geboten, der heilige Schild im Capitole374


hatte nur die Inschrift: „Dem Genius der Stadt Rom, sei esMann oder Weib" (es scheint, dass es die Flora gewesen ist).Mit der Reception auswärtiger Culte war bei den Römernstets die Aufnahme fremder Kunst- und Architekturformenvereinigt; damit ist das eigentliche Wesen der römischenKunstproduktion und Bauweise als einer nachahmenden bezeichnet:ursprüngliche Schöpferkraft haben sie nie bewiesen.Athen. I, 20, b. c nennt deshalb Rom eine „etcitoix-?) t^?oixoufievT]?, in welcher die Dinge aller Städte vereinigt zuschauen seien, die Zeus mit seinem Licht bescheinej weralles aufzählen wolle, was die Römer in ihren Sitz übergesiedelthaben, dem reichten kaum die Stunden eines Tages hin".Auch in Hinsicht auf private Bauweise und Lebenssitte folgtees demselben Brauche, und so war Rom das vermittelnde,überleitende Element, welches in gröberer Fassung die Kunstund Lebensgedanken vergangener Geschlechter erhielt undvererbte.§ 12.Unter welchen Umständen veränderteine ttoXi? ihren Cultus?— Im Allgemeinen ist ja starre Stabilität das Prinzip,man glaubt der Gunst der Gottheit nicht sicher zu sein,wenn nicht peinlich alle überlieferten Gebräuche beobachtetwerden. Berühmter Satz des Hesiod: w? xe tcoXi; i^sCxjai* v6{ao?S' apxaio? apiaxo? [fr. 185 G.]. Es gab ja keinen Glaubenszwang,keinen Tempelbesuchszwang, keine Orthodoxie, man duldeteüber die Götter alle möglichen Meinungen^ nur den Cultusdurfte man nicht angreifen, das ist antike Religiosität. Wiefrei es sonst zuging, zeigt die Komödie, wo man auch dieLachlust gegen die Götter sich austoben liess. Aber denCultus haben die Götter von Rechtswegen zu fordern, dieMenschen von Rechtswegen zu leisten, das ist Sache desStaates, hierüber zu wachen: daher einzelne Asebieprozesse375


(Diagoras, Protagoras, Anaxagoras, Stilpon, Theodoros, Socrates,Aeschylus, Aristoteles). Beamte, die ex officio wegenAsebie einschritten, gab es nicht, also keine Inquisition, überhauptgab es keine geistlichen Gerichte. Es funktionirten derAreopag oder die Heliasten, in Mysterienfällen Eingeweihteals Beisitzer. Es steht fest, dass alle Gesetzgebungen nur dasausserliche Verbalten des Menschen zu den Göttern erwähnen.Es giebt nichts Unächteres als das Prooemium des lokrischenGesetzgebers Zaleukos, wo es heisst, dass man den Götternnicht mit kostbaren Gaben und prunkendem Aufwände dient,sondern mit Tugend: zu den Heiligthümern solleman seineZuflucht nehmen, um den Versuchern zu entrinnen. DieGötter wolltendas Rechte und bestraften das Unrechte: zuletztHinweisung auf zukünftige Vergeltung im Jenseits. Schömannmeint, man habe den Staat unter die Obhut der Göttergestellt, weil man die Religion als die sicherste Stütze derMoralität betrachtet.Er denkt sich „ohne Moralität kein Ideal,kein Bürgerthum, aber ohne Religion keine Moralität":so dasserst indirekt die Religion für den Staat eine Nothwendigkeitwäre. Da wundert er sich freilich, dass die Gesetzgeber fürdie religiöse Belehrung des Volkes keine Sorge tragen: denner denkt bei der Religion nur an die inneren Wirkungenderselben, aus den richtigen Vorstellungen (die durch Lehremitzutheilen seien) über Religion könne allein die richtigeMoralität entstehen: die nun wieder die Basisdes Staats wäre.In Wahrheit hat die griechische Religion mit der innerenGesinnung und den Vorstellungen wenig zu thun: aber dasWohl der tuoXi? hängt davgn ab^ dass der Einzelne nicht dieGötter durch Verletzung ihrer rechtlichen Ansprüche auf Cultuserzürne. Schuld gilt jetzt als persönlicher Makel, in altenZeiten wird aber die Missethat des Einzelnen als Gottlosigkeitdes ganzen Stammes angesehen, als Beleidigungeiner Gottheit, die am ganzen Stamm Rache nimmt. Eine376


0?Abweichung von den religiösen Satzungen erlauben, hiesseWahnsinn; es wäre so viel als das Glück der Mehrzahl aufsSpiel setzen. Als die Hermen in Athen verstümmelt wordenwaren, erfüllt Schrecken und Zorn alle Athener, sie glauben, siewürden alle untergehen. Es bestand eine solche „Solidarität"unter den Bürgern, dass ein Jeder geneigt war, den Andernaus Furcht vor eigenem Schaden zu verfolgen. Das ist dieVerfolgungssucht der alten Zeit. Hesiod Erga 240 f: iroXXdxixai oufxiraaa ttoXi? xaxou dv5p6? axT^upa|xi? dXiipaivEi xaldidai^aXa |xY]^avdaTai.Trotzdem war man in einem beständigen Neuern des Cultusund dazu gezwungen! Es war aber eine sehr ängstliche Sacheund kostete viel Kopfzerbrechen und Seelenunruhe. EinmalVeränderung durch Vereinigung von älteren, schon bestehendenHeiligthümern mit neu hinzutretenden in einem Tempelhause.Will man nämlich auf derselben Stätte das Heiligthumeiner anderen Gottheit gründen, so fragt man die alte Gottheitan, ob sie ihren Sitz wechseln wolle: stimmte sie zu,so wurde ihr Tempel feierlich exaugurirt, Sacra, Bild undCultus in ein neues Tempelhaus übergesiedelt, das in Formund örtlicher Lage gleich war. Wollte sie nicht, so wirddie neue Gottheit in das Tempelhaus mit eingeschlossenund der Cultus in diesem mit fortgeführt: häufig werden siein besondere Cellen gestellt, wenn sie ganz verschiedenenCult haben: so entsteht oft eine unsymmetrische Anlage desBaues. Der Cultus einer Gottheit auf seiner Stätte kann nievom Culte einer anderen so verdrängt werden, dass er ganzund gar aufhörte; gewinnt ein späterer Gott den Vorrang,so wird der alte Cult doch noch fortgeführt, vielleicht derOeffentlichkeit entrückt, im Adyton, mysterienhaft. Es giebtTempel mit einer ganzen Succession von Culten, so derdelphische. Die Sage spricht dann häufig von Ö£o[ia;(ia; demPoseidon gewann Athene das Schutzrecht über Attika im377


Wettkampf ab, aber seine Sacra blieben an der Stelle haftenund wurden in der Cella des Erechtheus an gewissen Tagenim Jahr geübt. Lange Zeit züchtigte Poseidon die Argiverdafür, dass sie ihm die göttlichen Schutzrechte entzogen undan Hera übertragen hatten, bis ihm endlich zur Sühne einneues Tempelhaus an dem Platze gegründet wurde, den erselbst durch ein Zeichen bestimmte.Schhesst sich eine Stadt oder kleine Landschaft, freiwilligoder gezwungen, an einen grösseren Staat als Demos an, sowird ein solcher Stamm unter den Schutz der Landesgottheitdes grösseren gestellt. Der neue Demos hat jetzt gleichenAntheil an den Sacra derselben, wogegen die Bürger derMetropole gleichen Antheil an dem Culte der Landesgottheitder Synoikenstadt gewinnen, indem dieser nun demStaatscult einverleibt wird. Nur siedelt die Synoikenstadt ihreigenes Schutzbild und dessen Cultus nach der Hauptstadtüber. Dadurch werden die Synoiken genöthigt, die vornehmstenFeste ihres angestammten Cultus hier zu begehen;sie hatten dabei allerlei Ehrendienst. Die Eleuthereer, welchesichaus Hass gegen die Thebaner den attischen Demen einverleibten,siedelten Bild und Sacra ihres Dionysos nachAthen überj da sie aber doch nicht ohne Sacra sein konnten,so wurde ein Abbild desselben im alten Tempelhause zurückgelassen}der ursprüngliche Cult war zur Filiale geworden.Merkwürdig hierfür die Gründung von MegalopoHs. Als aufAnstiften Thebens die Bürger der einzelnen Städte Arkadiensden Beschluss fassen, sich zur Synoikie zu vereinigen undMegalopolis zu bewohnen, gründeten die meisten in MegalopoHsTempel und Sacra für ihre väterlichen Götter undübersiedelten deren Bilder dahin. Es entstanden Nachbilderund Abbilder von fast allen Heiligthümern des arkadischenLandes dort, und alle ursprünglichen Cultusstätten wurdenin Filialen verwandelt.378


Das ist Veränderung des Stadtcultes durch Erweiterung derStadt, durch Kriege, Uebereinkünfte usw. Wird eine Stadt,ein Land erobert, so bringt der Sieger Culte mit, die einheimischenwerden verdunkelt. Oft waren es nicht neueGottheiten, aber neue Auffassungen, neue Mythen: da wurdenVerschmelzungen, mythologische Fiktionen nöthig. Herodotll,171 sagt, dass früher im Peloponnes der Dienst der DemeterOsoiioffopo? weit verbreitet warj durch die eingedrungenenDorer sei er unterdrückt. Nur die Arkadier und wahrscheinlichdie Messenier bewahrten ihn. Korinth hatte ursprünglichden Helios als Stadtgott, hiess „Stadt des Helios"^ die Dorerunterdrückten diesen Dienst. Die vielen Fref?jdenj die ihreCulte mitbrachten 5 oft werden Staatsculte daraus, wie diethrakische Bendis.Auswanderer nehmen die heimischen Cultemitj da dies aber häufig sehr gemischte Leute waren, z. B.bei den äolischen und ionischen Colonien, so traten Vervielfältigungenoder Amalgamirungen der Culte ein. Häufigwurden die am Orte urheimischen Culte noch hinzugenommen.So waren die Branchiden bei Milet ein alteinheimischeskarisches Geschlecht; in ihrer Gottheit erkannten die Griechenihren Apollo wieder,in der ephesischen Göttin ihre Artemis,in der phrygischen Göttin Ate auf troischem Boden ihreAthene.Politische Gründe, den Cultus zu verändern.Die Sikyonierhatten den Adrast, einen argivischen Heros, hoch verehrtund dadurch ihre Zugehörigkeit zu Argos bekannt. Kleistheneswollte das <strong>Band</strong> zerreissen; so setzt er dem Adrast zumVerdrusse den Cultus des Thebaners Melanippos ein, vonwelchem nach der Sage einst Adrast besiegt war; mit derHoffnung, dass Adrast nun wohl von selber gehen werde.Er übertrug auch die tragischen Chöre, mit denen man denAdrast geehrt hatte, auf Dionysos. Dann können Tramngesichtedie Ursache sein, den Cultus zu ändern resp. neue379


Culte zu stiften. Ein Traum Pindars ist Ursache, dass derCultus der Göttermutter in Theben eingeführt wird.Im Allgemeinen wird es bei der Veränderung des Cultusman zieht,stehen wie bei allen menschlichen Veränderungen jwenn eine Veränderung unvermeidlich ist, die Form, dieLehre vor, welche am meisten für einen Zusatz gelten kann,der die alten Formen und Lehren erhalt. Jede Veränderungist eine Erhaltung durch Auswahl, der grösste Theil desAlten wird erhalten und etwas Neues, Gleichartiges nur alsZusatz angefügt. Die Griechen verstanden sich auf die Inoculationdes Neuen, auf das Einwachsenlassen des Fremden,so dass der ganze Stamm nicht beschädigt wird.Inmitten der höchst unruhigen und gewaltsamen griechischenGeschichte, dem unaufhörlichen Kampf der Stämme,und Poleis und wieder der Parteien in den Poleis, der Geschlechter,Demen, Familien, Personen: ist es ein merkwürdigesSchauspiel, die zahllosen Culte fortleben zu sehen,überall als der zarteste und verfänglichste Theil geschont, unddoch fortwährend verschoben, neu gruppirt, höchst lebendigsich entwickelnd, unendlich mannigfach: und nirgends herrschtin der Entwicklung des Cultus die Gewalt, die Rohheit derUebermacht, die momentane Leidenschaft.Es ist ein sorgsamgeschontes Leben, inmitten aller Gewalt: und von der höchstenFruchtbarkeit l380


Haupttheil.I. Orte und Gegenstände des Cultus.§ I.Arten der Tempel nach ihrer Bestimmung.Die bei weitem meisten griechischen Tempel sind nichtzur Aufnahme grösserer Menschenmassen bestimmt; zu Gebetund Opfer ist dem Einzelnen der Eintritt gestattet, ebenso zurSchau der Götterbilder; die eigentlichen grösseren FeierUchkeitengingen vor den Tempeln vor sich. Die Anzahl derinnen Feiernden ist immer gering, die grosse Menge kommtnach und nach hinein. Es gab aber auch Tempel, die Versammlungshäuserder Gemeinde sind: es sind die Weihetempelzur Feier der Mysterien, [li-^apa^ leXean^pia. Hier hat jjteyapaden prägnanten Sinn, vollständiger wäre [li-^apa dvdxtopa, „dieWohnung der göttlichen Herrscher" mit spezieller Anwendungauf den Dienst der chthonischen Gottheiten: so hat Megara,als Cultusort der Demeter, daher seinen Namen. Das Weihehausder eleusinischen Demeter konnte mehr als 6000 Menschenaufnehmen j dies ist das einzige uns bekannte Gebäude, eshat gemäss seiner Bestimmung eine von den anderen Tempelnsich ganz unterscheidende Anordnung.') Ein grosses Viereckvon 212—21(5 Fuss Länge und 178 Fuss Breite: auf der Vorderseiteeine Halle von zwölf Säulen, sie bildet den irpovao?. Der^) [Am Rande ein schematischer Grundriss.]381


fast quadrate Raum, in welchen man durch die Thür desTipovao? eintrat, war durch vier Säulenreihen in fünf paralleleSchiffe getheilt. Unter dem Fussboden gab es Krypten. Periklesliess den Bau ausführen: Koroibos, wohl unter Oberleitungdes Iktinos, begann ihn; nach seinem Tode habenMetagenes und Xenocles ihnvollendet.Scheidet man diese Gattung der Tempel ab, so fragt essich, wie die übrigen, die ungeheure Mehrzahl, einzutheilensind.Die grössten Verdienste hat Karl Bötticher darum: frühernahm man an, dass jeder Tempel ohne Unterschied nur einzur Ausübung des Cultus geweihtes Bauwerk sei (BerhnerZeitschrift für Bauwesen 18525 Philolog. 17. 19. 23. „Der Zophorusam Parthenon", Berlin 1875). Er stellt drei Gattungenauf: I. nur zu Cultusgebrauchen, bezeichnet durch eine duixeXr^mit Opferaltar vor dem Tcpovao?, ein heiliger Speiseopfertisch(Upa TpaTTsCa) vor dem Cultusbilde oder im sacrarium derCelkj II. nur zu cultuslosen Festlichkeiten und daneben auchbestimmt zur Niederlage von Schätzen jIII. ausschliesslich nurzu Thesauren und Donaria bestimmt. Die Cultustempel habenalso als Kriterium jenen Opferapparat, sie haben die heiligeCultusweihe empfangen. Der zweiten Gattung fehlt diesCriteriumj ihre Tempel sindcultuslose Bauwerke und blossedvadiQfxaxa, mochten sie nun auf Cultusstätten oder abgesondertvon diesen bestehen; die berühmtesten Tempel dieser Gattungsind zu der cultuslosen Feierlichkeit der Kränzung agonalerSieger genutzt, und neben der Bestimmung als donaria undThesauren hängt ihre Benutzung zusammen mit TravTjYopeisund dy^vec; deshalb hat Bötticher sie kurz als agonale Festtempelbezeichnet. Auch den Tempeln der dritten Gattungfehlt jenes Anzeichen des Cultusj diese als dvaOT^iiaia gestiftetentempeiförmigen Thesauren, welche als vataxoi vatSiadonaria erscheinen, stehen gewöhnlich im Peribolos von Cultusstätten,wohl auch an profanen Strassen, wie der Tripoden-382


Strasse von Athen; nicht an den heiligen Wegen, wie z. B.zum Tempelbezirke des Apollo zu Delphi, der Demeter zuEleusis,der Artemis zu Ephesus.Sind nun die Tempel beider letzter Gattungen nicht zurMinistration des Cultus bestimmt, sondern bloss cultusloseGebäude und dvadf^jxaxa, so folgt, dass die Götterbilder inihnen keine Cultusbilder, sondern ebenfalls nur dvaO^^fxaxasein können, welche bei agonalen Festtempeln nur zum verherrlichendenPrachtapparat bei Festlichkeiten dienen.Darausfolgt endlich, dass die Bildnereien, womit ihre architektonischenTheile bezeichnet werden, nicht auf Cultushandlungen,sondern auf die angegebene Bestimmung des Gebäudes anspielen.Zu solchen agonalen Festtempeln gehören nachBötticher vornehmlich der Parthenon,zu Olympia mit ihrenGoldelfenbein-Colossen.dann der ZeustempelNamentlich ist über die Bedeutung des Farthenon derStreit entbrannt. Die gegnerische Ansicht (z. B. von Starkvertreten Philol. 15 und 16) lautet so: der Parthenon ist einheilig geweihter Cultustempel, sein goldener Coloss dasconsekrirte Cultusbild der im attischen Cultus von altersher heilig verehrten Athene Nike: vor letzterer, im hypaethralenRaum des Innern, hat auf einer noch sichtbarenStelle ein Altar für Speiseopfer, Weihrauch u. s. w. gestanden.Dagegen Bötticher: es ist der Parthenon kein Cultustempel,sondern einmal bestimmt zum ör^aaupo? des Staates, zumTüoiiTceTov des Apparates zu den Pompen und Theorien, dannist es der agonale Festtempel, in welchem die Kränzung derSieger im dycov der grossen Panathenäen stattfindet, weil diegrossen Panathenäen kein heiliges Tempelfest, sondern einecultuslose iza^iTf^upic, sind. Sein Elfenbeincoloss ist kein Cultusbildder Parthenos Athena-Pronoia, er ist ein von der medischenBeute gestiftetes Bild, vor welchem die Belohnung mit demßpapeiov („Kampfpreis") des dytüv vor sich geht. Böckh hatte383


schon (Staathaush. II, 248) davor gewarnt, das Goldelfenbeinbildder Parthenos-Athene für ein Bild der Athene-Nike zuhalten^ ebenso hatte er betont, dass unter den Schätzen desParthenon, einschliessUch des ganzen Goldes an dem Elfenbeinbildeder Parthenos, nichts unveräusserlich Heiliges war— wie das bei consekrirtem, heilig geweihtem Apparate desCultus doch hätte der Fall sein müssen. Dazu kommt, dassder Parthenon, weil er in dorischer Kunstform gebaut ist,kein C/^/rz/xtempel einer attisch- ionischen Nationalgottheitsein kann. Die nationale Bauweise der ionischen Athenerfür ihre vaterländischen Heiligthümer ist die altionische: sodasväterliche Stammheiligthum der Athener auf der Kekropia,der gemeinsame Tempel der Athene Polias, der Pandrososund des Poseidon-Erechtheus. Stiftet der Athener eine Abzweigung,ein Filial dieses Heihgthums (wie beispielsweiseeiner Potenz der Polias im Tempel der Athene-Nike), sokann das Heiligthum nur in der Form des Mutterheiligthumsgebaut werden. Eine Bauweise wie die dorische ist demreligiösen Bewusstsein der Athener fremd, ein Dorer durftenicht einmal das Nationalheiligthum der Athener betreten.Sodann ruhten auf dem Niketempel, auf dessen Opferstätteund Altare der Cultus und die Sacra der Athene-Nike: dannkann es aber keinen anderen Tempel für diesen Cultus,keinen anderen Opferaltar als nur vor diesem Tempel, aufder Burg, geben. Der Parthenon kann dann weder derCultustempel dieser Athene -Nike gewesen sein, deshalbheisst er auch nicht der „Tempel der Athene-Nike" — wasdoch unbedingt nothwendig wäre, ja selbst -s^enn er auchnur ein cultusloses, ein blosses Schauhild dieser Gottheit einschlösse.Endlich: die Athene-Parthenos tragt eine Nike. Alsokann sie da nicht als Athene-Nike gelten. Sobald sie selbstin eigener Person zur Nike geworden, was soll dann nocheine besondere Nike bei ihr! Sie kann doch kein Bild der384


Nike, die sie selbst ist, auf der Hand tragen. Jedes Athenebild,welches eine Nike trägt, ist wohl ein Nike tragendes,nicht ein selbst Nike seiendes. Die Nike in der Hand derParthenos ist eine Hindeutung auf das ßpaßstov und auf denAkt der Verleihung desselben. Die Göttin selbst als ppaßsun^?,das ist es.Zu dem Bilde und seinem ßd&pov gab der Staat das Goldaus der salaminischen Beute her (das ßddpov war mit getriebenemGoldblech umkleidet wie der Holzkern des Bildes).Perikles verwandelte das bisher zwecklos deponirte Gold inein Kunstwerk, welches als Schatzstück unter der Form derWeihe sicher gestellt, einen zinslosen Grundfonds und Nothpfennigbildete, der nur im äussersten Nothfalle und unterBedingung seiner Rückerstattung angegriffen werden dürfe:ein Schatzstück, dessen Verbrauch sammt allen übrigen icofji,-Tcsta und dvaöiqfjiaTCi zu den Zwecken des peloponnesischenKriegs sich als das äusserste Mittel in Aussicht stellt, dassich aber doch ganz von selbst versteht. Nicht ein todterKlumpen Metall, sondern ein Werk höchster Meisterschaftder Kunst zum Stolz und Ruhme der Athener. Nur mitdem höchsten Widerstreben würde man dazu schreiten, diesWunder der Kunst zu vernichten, das Ruhmeszeichen vonder salaminischen Grossthat. Je unersetzbarer das Kunst%verk,um so grösser die Scheu vor seinem Verbrauch. Thatsächlichhaben die Athener trotz dem völligen Verschwinden einesStaatsschatzes und der drückendsten Geldnoth nicht Handan das Gold gelegt, es hat alle Katastrophen überdauert,Pausanias sah das Bild ganz vollendet. Ursprünglich war esnur ein Inventarstück des Schatzes, es war kein hochheiliggeweihtes Cultusbild, kein Gegenstand der Anbetung. Eswar ein Schatz, der nur unter der „Form der Weihe" (wieBöckh sagt) deponirt war. In Ephesos wurden einmal alleFrauen gezwungen, ihren Goldschmuck an die Staatskasse25 Nietzsche V "^O^


(im Artemision) als Darlehn einzuliefern j legte noch jemandbaares Geld hinzu, so wurde dies mit dem Namen des Einlegersauf einer Stele verzeichnet, die man im Tempel aufstellte,aber in einer Form, als habe er dasselbe gleichsamgeweiht. Dies ist nicht die Cultusweihe, die v8puai?. So stehtes mit der Flapöevo^j trägt das Bild keine Spur von Cultusweihean sich, trotzdem dass es ayaXjxa e8o? Oso? genanntwird, dann kann nicht für den Tempel von Cultusheiligkeit,von Adoration und Opferweihe in demselben die Rede sein.Wird nun in Schriftstellern wie in offiziellen Urkunden derganze grosse Tempel va6?, lepov, seine Cella vsw?, sein TcpdSojxo?Tirpovao? genannt, wird der Geldschatzraum, der o7ciaö68o{jLo?,als Upov, ja die Cella sogar als aSütov bezeichnet, dann liegtes am Tage, wie dehnbar diese Worte sind, wie sehr manvon der orthodox religiösen Bedeutung absehen müsse.Ebenso werden die Thesauren zu Olympia, Delphi, Samoszwar als vaoi vatoxot vaiSia bezeugt, ausdrücklich aber auch^Tjoaupoi und donaria genannt. Ursprünglich zwar ist va6(;synonym mit I80?, Upov, also nur Cultustempelj gewissetektonische Formen wie dexoi (Giebel), Triepa oder TüTepuYs?,die rechts und links von der Cella vorspringende Ueberdeckungdes Umganges, oopaviaxoi (oder «faxvc&ixaTa), die sogenannteLacunariendecke, gehören ursprünglich nur ihnenzuj diese hieratischen Bauformen sind eine 7:povo|xia täv vaÄv.Später hat auch der ÖYjoaupo? die hieratische Bauform undihren Namen erhalten, aber natürlich nicht die hieratischeBestimmung als Weihetempel. Wäre uns jener grossartigeOYjaaupoc in Olympia, den die Megarenser stifteten, irgendwieerhalten, wäre er gar mit den Gruppen der Gigantomachieim deio?, mit seinen Bildern des Zeus, Ares, Herakles,Acheloos und der Deianira (aus Cedernholz, Gold und Elfenbein)erhalten, wer würde, fragt Bötticher, den Bau für etwasAnderes erklären als für einen Cultustempel! Etwa einen38(5


Tempel des Gigantenbezwingers Zeus! Glücklicherweise lehrteine Notiz des Pausanias, dass er nur ein Thesauros, eindonarium zur Aufnahme von dvaflVjfiaTa war. — Zuletzt übertrugman den hieratisch tektonischen x6a|i,o? auf Gebäude,die nicht im Entferntesten im Bezug zum Religiösen stehen,auf Magazine für Staatseigenthum, z. B. die Sceuothek imPiräus, welche Demetrius Phalereus erbauen Hess.Die reinen Thesauren, die also nicht zugleich als agonaleTempel dienen, sind immer selber ha^y\]xaxa, das bezeugendie Inschriften. Manche Staaten stiften mehrere, wie dieAthener in Delphi einen aus der marathonischen Siegesbeute(c. Ol. 73), später einen aus der peloponnesischen Beute(Ol. 87—90). Es hat kein einziger Thesauros die unerlässlichenKennzeichen der Cultusstätte, keiner eine OujieXTj mitAltar, keiner einen heiligen Speiseopfertisch. Wohl wirdseine solenne dedicatio dvd&eai? wie bei jeder Geschenkstiftungvollzogen, nicht eine consecratio iSpuai? mit Gebet undOpferweihen. Man legte den Thesauros hinein in das t£|x£vo?und stelhe es so unter den Rechtsschutzj man vollendetediesen Gedanken, indem man ihm die Bauformen gab, welcheursprünglich als religiöse vorbehalten waren. Ausser diesenBauwerken fanden sich diese Formen allen Bauwerken übertragen,an welchen man ein gleiches Verhältniss bemerkbarmachen will, z. B. an den Propyläen der t£|i£vy], selbst anGebäuden, welche in keinem örtlichen Zusammenhange mitdem Heiligthum standen, z. B. in der Tripodenstrasse vonAthen. Hier gab es hohle, aber thürlose ^d^^o. zur Aufnahmeder Anathemdreifüsse auf ihrem Dache. Weil sie a^o.^^o.\atragen sollten, waren sie in Form von Tempeln gehalten,Miniatur-vaol Osuiv. Die noch vorhandene Dreifussbasis desLysikrates ist ein lehrreiches Beispiel.25 387


§ 2.Verschiedene Grade der Heiligkeit von Ortund Besitz.Alles, was einmal Ihpuaic. empfangen hat, bleibt unbeweglichesund ewig gebundenes Besitzthum der Gottheit, vomCultusbilde an und dessen x6ajxo; und Tempel, Altären,Opfersfätten bis zum kleinsten Stücke des Apparats der sacra.Alles andere, was nur als dvdOr^fAa gestiftet worden ist, bleibtbewegliches und veräusserliches Besitzthum. Daher ist esmöglich, al/e ä\abri\iaxa ohne Ausnahme profan zu verwerthen,sowohl die, welche der Staat gemacht hat, als die Widmungenund Gaben des Einzelnen. Damit ist nicht das <strong>com</strong>mendh'teGut im Thesauros zu verwechseln jalle dvaOVjjjLaTa sind durchAnathesis und Schenkung EigenthwJi des Tempelschatzes, diesaber ist privates oder profanes Eigenthum, welches demThesauros nur anvertraut wird. Beide Arten zusammenkönnen unter Upd /pi^iiaxa zusammengefasst werden; inWahrheit können beide nicht die Cultusweihe haben. Indemdas ganze Te(x£vo? Eigenthum der Gottheit ist und unter demSchutze derselben steht, wird alles in ihm Untergebrachteund Geborgene in die Sicherheit des Upov hineingezogenund geniesst das gleiche religiöse Schutzverhältniss. Das sacro<strong>com</strong>mendatum hat das gleiche Recht wie das sacrum, dasgeheiligte Gut selbst; die Entwendung oder Schädigung beiderwird mit dem gleichen Strafmaass belegt. Wo die Staatsgewaltden Schutz des Cultus und des Heiligthums übernimmt,behält der Staat auch die Verwaltung der Güter undSchätze desselben sammt ihrer freien Verwendung. Nur dashochheilige Besitzthum bleibt seiner Verfügung entzogen.Im übrigen wird der Schatz des Up6v thatsächhch zum Staatsschatz,das Gebäude desselben zum Thesauros des Staates.So ist z. B. der Schatz der Athene Polias in Athen der Schatz388


des attischen Staates 5 alles, was sich darin befindet (mit jenerAusnahme) ist veräusserlicher Staatsbesitz, es kann durch(|


das BiJd eines Menschen geweiht (wie der Olympioniken),so galt dies als Heroen-Ehre. Aber sogar Apotheose ist es,wenn ihr Bild auf der Basis oder in der Kapelle des Cultusbildesaufgestellt wird (so Demetrios und Antigonos von denAthenern). Zur Aufstellung jedes dvdörjiJLa muss erst dieGottheit Zustimmung geben. Mitunter fordert der Gott,wenn man zu weihen unterlassen hat: so (nach Herod. VIII122) verlangt Apollo von den Aegineten den Zehnten ihrerSalaminischen Siegesbeute. Alle Siegespreise, die in den Agonengewonnen wurden, mussten vom Sieger dem Gott wiedergeweiht werden. Bei jedem bedeutenden Lebensereignissgelobte man, das Köstlichste zu weihen, was man besass,z. B. Krösus Gürtel und Halsband seiner Gemahlin. Vieletestamentarische Verfügungen. Ausser den Gegenständen,die nur zum xocixo? dienen, gab es solche, die zum Cultusdienten: Tische, Leuchter, Weihwassergefässe, Räuchergeräthe,Teppiche, Baldachine. So weiht Krösus nach Delphi einengoldnen und einen silbernen Krater; hierin mischte mannachher den Festwein. Die Hetäre Rhodopis weihte Bratspiessezum Rösten der Festhekatomben, Trajan in das Heraeonzu Argos einen Pfau aus Gold, Silber und Edelgestein, der dannin der Pompe getragen wurde. Den Zehnten der Erstlingevom Bodenertrag, Fischfang u. s. w., den man stofflich nichtgeben konnte, verwandelte man in ein Kunstwerk: erzeneRinder, Ziegen mit zwei säugenden Kindern, goldne Aehren.Die Orneaten hatten gelobt, täglich in Delphi eine Pompeabzuhalten: sie bildeten sie in Erz und weihten sie dorthin.Die Anatheme können vom numen der Gottheit ergriffenwerden und dann ominös wirken, wenn über den Stifter einUnglück hereinbricht. Von der erzenen Siegespalme, welchedie Athener in Delphi geweiht hatten, fielen die goldenenFrüchte ab,vor dem unglücklichen Ausgange der sicilischenExpedition. Die Pythia hatte ihnen gerathen, Ruhe zu halten,390


in der symbolischen Form: sie sollten die Priesterin derAthene aus Erythrae gewinnen, diese hiess 'Haü^^ia.Ursprünglich sind die dvaöVjiAaxa ein Zehntopfer der Erstlingealles verliehenen Segens,später auch Spenden für andereWohlthaten. So weihte Hippokrates einen skelettirten Körper,eine „erzene dvaxojiia" nach Delphi. Dann Waffen beim Siegeaus der Beutej so besass der Parthenon 300 goldene Schildeund Rüstungen von Alexander aus der Siegesbeute am Granikos.Uralte Form des dvdÖT^[ia ist der Dreifuss, Symbol desHeerdes und des Friedens. Dann Reliquien, das Ei der Leda,die Haut des kalydonischen Ebers,die Zähne des erymanthischenEbers. Dann ganze Gruppen, z. B. aus Erz gebildetder Chor von 35 flehend die Hände erhebenden Knaben mitPädagogen und Flötenbläsern, von den Messeniern geweiht,als dieser Knabenchor, als öewpia, mit dem Festschiff untergegangenwar. — Es können nun dvaOi^fjiaTa auch den höherenGrad der Weihe empfangen, durch iSpuon;, und alles, washochheilig werden soll, jmtss erst dedicirt sein, das kann nurdie priesterliche Rechtsgewalt. Dagegen kann der Staat allein(Volk, Fürst, Bevollmächtigte) dediciren, die priesterlicheGewalt allein für sich vermag das nicht. Daher die Vernichtungund Ungültigkeit jeder Dedikation, welche iniussupopuU gemacht worden ist. Der Staat hatte den heiligenRechtsvorbehält in Händen, die Gesetzgebung der altenStaaten stellte den Staat über den Cultus, sie ordnete letzterender politischen Rechtsgewalt unter, um zu verhüten, dassder Cultusnicht Staats- und Gemeindebesitz wie Privateigenthumnach Belieben zu Zwecken des Heiligthums dedicirenund auf solche Weise an sich reissen könne. Auf dieserRechtsanschauung ruht die griechische TroXiteia nach demSturze des Priesterkönigthums. Die Gesetzgebung Hess demCultus sein ursprüngliches Recht der iSpuai? des Dedicirten.Heiiigmacher war der Staat nicht. Wird eine Widmung391


ausschliesslich zu Zwecken des Cultus gemacht, so dedkmder Staat, der Cultus heiligt das Dedicirte.Bei den Staatsfesten (Agonen, Theorieen, Pompen) werdentheils Priester gebraucht: wenn nämlich irgend eine iSpuai?damit verbunden ist, z. B. Heiligung des Opfers, und dannwerden auch die hochheiligen (wenigen!) Gerathe aus demCultustempel genützt. Bei Staatsfesten und Opfern, welcheohne Priester gefeiert werden, tritt an Stelle des vorbetendenPriesters der Herold, an Stelle des opfernden Priesters dieVorsteher der 7cav-/jYupi


Grab vom Augenblick der vollzogenen Bestattung an einFamilienheiligthum; zwar belegt das Gesetz die Verletzung undSchädigung solches Grabes mit harten Strafen. Trotzdemist es nur religiosum, nicht sacrum. Einen locum religiosumkonnte jedermachen, dadurch dass er eine Bestattung daraufvollzog} einen locum sacrum konnte nur die öffentliche dedicatioerwirken. Die Sepulcralsacra, welche die Familie hiervollzieht, sind nur Privatsacraj Privatsacra sind aber nachpriesterlichem Rechte nur profana. Das Grab konnte schonaus dem Grunde nicht sacer, die Sepulcralopfer schon deshalbkeine sacra werden, weil weder der Staat die Stätte dedicirteund consecrirte, noch priesterliche Personen bei denSepulcrakiten ministriren durften.Kein Priester durfte einemLeichenbegängniss bewohnen, ein Sterbehaus oder gar einGrab betreten, ohne nicht pollutus zu werden und seinheiliges Amt zu beflecken. Ganz anders steht es mit dem-^puiovwie dem Grabe solcher Personen, deren Verehrung alseine heroische von Staats wegen ausgerichtet wurde. DieVerehrung der Heroen von Seiten des Staats ist so alt alsder Göttercultus. Ein solches Grab ist sacer gleich demTempel, auch wenn es sich nicht im Cultustempel oder imtemenos desselben befindet. Nach altem attischem Recht warein jeder dem Tode verfallen, wer einem Heroon das Geringsteentwendete. Es war ein Capitalverbrechen, Bäume vonda zu fällen. Zweige abzubrechen. Die höchste Gattung sinddie Cultusheroen, welche Stifter und Träger des Göttercultuswaren, nach denen Götter ihre Beinamen erhielten, die sogarals numina coniuncta im Cultus ihnen beigesellt waren. DieHeiligkeit ihrer Gräber wird dadurch bezeugt, dass sie im Tempeloder temenos ihren Platz haben: dann Upuaic, des Altares undTisches und die hieratische Form der Tektonik o/r^[La viou.Der Tejjjpelbezirk rspipoXo; Te(xevo?. Um den Tempel herumein weiter hypaethrischer Raum (auX-/j lefisvo? Ipxo;), von einer393


Mauer (luepipoXo?) umschlossen. Niemand darf hier wohnen,ausser etwa Priester und Schutzbefohlene der Gottheit. Aufihm ruht der Gottesfrieden, er ist aauXov so gut als derTempel. Mitunter ungeheuer gross, Wäldchen (wie zu Olympia)einschliessend.Auf jeder einzelnen Stelle haftet eine religiöseErinnerung, sie wird durch Zeichen als Weihemal charakterisirtjalle diese Gegenstände müssen mit in den Umkreis desTempels gezogen werden, z. B. Steine (der des Kronos zuDelphi), Erdklüfte, Quellen (z. B. die Kassotis zu Delphi),heilige Haine und Bäume (der Oelbaum der athenischen Akropolis),mitunter auch bestimmte Thiere, die zur Cultussage gehören,Geflügel, Fische in Teichen j dann Siegesmale, Standbilder,Altäre, kleine Tempel u. s. w. Der Blutopferaltar stehtvor dem Pronaos, so dass man beim Opfern das Götterbildim Tempel erblickt. — Hier hatte, bei der Vertheilung zahlloserGegenstände, der eurhythmische Sinn Gelegenheit, sichim Grossen zu zeigen: überaus überraschend muss der Anblickund die Ausstattung eines Bezirks wie die Altis zuOlympia, der Peribolos zu Delphi, die Akropolis zu Athengewesen sein! — Der Eingang zum Tempelbezirk ist dasPropylaion, eine Wand, welche mehrere neben einanderliegende grosse Flügelthüren enthielt^ nach aussen sindStoen vorgesetzt. — In den Peribolos durfte kein unreinesThier kommen, z. B. kein Hund (canis immundus Hör. ep.I, 2, 2(5). Seit die ganze Insel Delos für heilig erklärtwurde, durfte sie kein Hund betreten (Ausnahme Paus.VII, 27). Geschah es doch, so musste lustrirt werden. Ebensowurden Weiber, deren Entbindung herannahte, Alteoder Kranke, deren Tod bald zu erwarten war, aus demPeribolosentfernt.Gewisse Tempelbezirke sind vorzugsweise zu Asylen bestimmtund deshalb fortwährend geöflriet, z. B. der Cypressenhainder Ganymeda auf der Akropolis zu Phlius: dem394


Verbrecher, der ihn betrat, wurden die Fesseln sofort abgenommenund an den Bäumen aufgehängt.Viel heiliger als der Peribolos ist nun das Innere des Weihetempels,die cella (ar^xo;) des va6?, wo das Cultusbild steht.dOeaiov und aSuxov (aßaxov) für jeden, der nicht die gebotenexctOapai? durchgemacht hat: ohne diese begeht er ein Sakrilegium.Völlig und für immer verschlossen bleibt es für den,der für axi|jio? erklärt wurde. Die solonischen Gesetze erlaubenjedem, der hier einen aiijxo? traf, die ärgste Misshandlungihm anzuthun (Todtschlag abgerechnet). Derselbe durfte ebenfallskeinem Festzuge beiwohnen, keinen Kranz tragen. —Um den Zugang nicht zu leicht zu machen, stehen alle Tempelnicht auf ebener Erde, sondern auf einem Unterbau, der sieüber die Wohnungen der Menschen erhebt.Dieser Unterbaubildet eine stufenförmig emporsteigende Terrasse j die Stufensind gewöhnlich höher, als dass es bequem gewesen wäre:deshalb gab es gelegenthch Einschnitte mit kleineren Stufen.Die Zahl der Stufen war herkömmlich eine ungerade, damit,des guten Vorzeichens wegen, die erste und letzte Stufe vomrechten Fusse betreten werden könne. — Um das Bild vorjedem entweihenden Blick zu bergen, ist sein Wohnsitz hochumbautj innerhalb dieses Raumes steht der unblutige Altar(für Opferfladen, Früchte, Rauchwerk) Upa xpaTusCa, hinterihm auf einer Basis (ßaöpov) das Bild. Der Ort um das Bildherum mit Gittern verschlossen, als der spezielle Sitz IBo?des Bildes.Die Ueberdeckung des Tempels ist bedingt durch das ältesteund heiligste Material der Götterbilder: diese waren ^^avo.(Ebenso müssen ewige Feuer-Herde und stets brennendeLampen überdeckt sein.) Licht fällt entweder durch die Metopenoder durch grössere Fenster. Um mehr Licht zu haben,bedeckt man die Cella nicht ganz, sondern stellt rechts undlinks Säulenreihen auf, so dass schützende Dächer nach der395


Mitte zu vorspringen. Den Raum in der Mitte selbst aberlässt man unbedeckt. So entsteht inmitten der cella ein Ortev uTraiöpo) mit einem um denselben herum geführten SäulengangTCspiaTuXiov. So führt man Zenithlicht in die Halle einund giebts allen in den Portiken aufgestellten Götterbildern,Anathemen, Wandgemälden taghelle Vorderbeleuchtung 5 zugleichmit dem Hypaethrum treten natürlich die Säulen-Portikenauf. Der Intercolumnien werden nun als Kapellen oi/T^jj-axaverwendet, für Götterbilder und dvad^aia, auch wohl durchGitter abgeschlossen. Bei überreichen Tempeln verdoppeltman den Raum durch Anlegung von oberen Portiken oioaluTTspÄoi, zu denen man auf Treppen stieg, so im Zeustempelzu Olympia. — Die Thür, zweiflügelig und gewöhnlich mitBildwerken verziert, öffnete sich nicht, wie bei den menschlichenWohnungen, nach innen, sondern immer nur nachaussen.An den Naos schlössen sich nun Nebentheile an. Vorallem der irpovao? oder das Vorhaus, so gebilder, dass mandie Seitenmauern des Naos nach vorn hinausrückte, dendadurch gewonnenen Raum aber nicht durch eine Vorderwandschloss, sondern statt solcher ein paar Säulen stellte,die das Dach des Vorhauses stützten und den Blick undZugang zur Eingangsthüre frei Hessen. Auch hier fandendvaÖ7j(xa-ca ihren Platz. Forderte es das Bedürfniss, so konntean der entgegengesetzten Seite des Naos auch ein Hinterhaus,6uiadü8o(xo?, angebaut werden. Dies diente oft als Thesaurosund war dann nicht durch Säulenstellung und Gitrerthüren,sondern durch eine Wand mit fest verschli essbarer Thür abgeschlossen.Beide, Pronaos und Opisthodomos, konnten durcheine vorgestellte Säulenhalle erweitert werden. Ein Tempel,dessen Pronaos allein eine solche Vorhalle hat, heisst TrpoaiuXo?,einer, der sie auch hinten hat, heisst d|xcpnrp6aTuXo?. Nunwerden auch wohl noch Säulenhallen zu beiden Seiten zugefügt:396


jso entsteht, wenn die Hallen einfach sind, der vaö? Tcepi-TTtepo?, wenn doppelt, der vabc, SiTrtepo«;. Auch hier werdenWeihgeschenke aufgestellt, kleine Capellen angebracht.Die Gestalt des Tempels ist meist ein länglichtes Viereck,etwa doppelt so lang als breit, mit einem Giebeldache,welches an der Vorder- und Hinterseite ein Dreieck dsio?deicüfxa bildet, in dessen Felde mannigfaltige Verzierungenangebracht, bisweilen auch Skulpturwerke aufgestellt werdenkonnten. Auch die Friese und Metopen der Seitenwändewurden auf gleiche Weise geschmückt.§ 3.Die Entwicklung der Götterbilder.Die Entstehung von Götterbildern führt auf den Baumcultuszurück, ist also relativ etwas Ungriechisches: vielmehrist die bildlose Anbetung des Himmels und der Frühlings-,Todesgötter u. s. w. indogermanisch, namentlich die Anbetungdes unsichtbar und allgegenwärtig im weiten All der Naturherrschenden Zeus : das war der Zeus Peloros der Thessaler,der Lykaios der Arkader, der Hypsistos der Kekropiden, derOlympios der Eleer. Aus der Verschmelzung der neu ankommendenWandergötter und der ureinheimischen Baum-,Schlangen- und Steingötter, unter Anregung des sich vorfindendenGötterbildercultus der Phönizier, entsteht allmählichauch das griechische Götterbild: als etwas Spatesbesonders spät ist das ganz vermenschlichte. Aelter sind heiligeOrte und der ganze Cultus daselbst, mit Speiseopfertischund Brandaltar und Weihgeschenken.Ursprünglichsind Götterbilder aus dem Holz heiliger Bäumegearbeitet: in Form eines Pfahles, den Kopf roh geschnitzt,das Uebrige durch Draperie bekleidet. ^6ava Serv. V. Aeneis 2,397


225 Massurius Sabinus: deluhrum b. delibratione corticis: namantiqui felicium arborum ramos, cortice detractro, in effigiesdeorum formabant, unde Graeci ^oavov dicunt. Ein abgerindetesHolz. Ueberreste dieser Anschauung bei den Griechen:das Bild der Athene Polias aus Oelholz. Die Epidauriermussten die Bilder der Damia und Auxesia auf Gottesbefehlaus Oelholz schnitzen : was so viel hiess, als den Athenecultund die Pflege des Oelbaums einführen. Dionysos Meilichiosauf Naxos aus Feigenholz (die Naxier nannten die Feige[leiXi^ov), während sie den Dionysos Baxys^oc, aus Weinrebenholzbildeten. Das Bild des Asklepios Agnitas zu Spartabestand aus heiligem Weidendorn: der Weidendorn -^ ayvo?ist ihm heilig. Das Bild der Aphrodite Morpho ist ein Cedernholzbild,wie auch aus demselben Stoff die drei ältestenHolzbilder der Aphrodite zu Theben. Das Bild der Herazu Tiryns aus wildem Birnbaum. Ein ganz anderer Gesichtspunktist später der, dem Bilde möglichst lange Dauer zugeben, deshalb Ebenholz, Cypresse, Weinholz, Ceder, Olive,Lotos,Ein PfahlBux, Taxus, Wacholder.mit angeschnitztem Kopf und voller Bekleidung:dies die älteste Form des stabilen Cultusbildes, während Stäbe,Scepter, Lanzen mit den Emblemen der Götter ihre ältestentragbaren Bilder sind. Eine ganze Zahl Bildwerke stellen dastroische Palladion als einen Pfahl mit behelmtem Kopf,Schilde, Speer und Kleidung vor. 'Clemens sagt im Protrept. 4,§ 46, dass die Alten zuerst schön schimmernde Hölzer alsCultusbilder geweiht, es sei die ikarische Artemis ein rohesHolz, die kithäronische Hera zu Thespiä ein ausgehauenerStamm, die samische Hera zuerst ein glattes Holz, spätermenschengestaltig, die lindische Athene ein kunstlos geglättetesBildj das Agalma des delphischen Apollo ist dieSpitzsäule. Auch der thebanische Dionysos war eine Säule.Zwei aufrecht stehende Hölzer mit zwei Querhölzern398


verbunden bedeuten Kastor und Pollux in Sparta. Diesestragbare Zwillingspaar führte jedes spartanische Heer mitsich ins Feld, ja man verlieh es als hilfebringend an befreundeteStämme. Auch das Bild der paphischen Aphroditewar eine Spitzsäule, wie auch Zeus Ammon. Der kadmeischeDionysos in Theben sollte mit Erscheinung des blitzflammendenZeus zugleich vom Himmel in den Thalamos derSemele gefallen und mit Erz oder Gold gamirt worden seinjursprünglich war es wohl eine Fackel: wie Dionysos auf denMünzen von Amphipolis als brennende Kerze erscheint. DasBild des Zeus Patroos des Priamos, welches in der Aula desKönigs gestanden hatte, sah Pausanias [II 23, 3] im Tempelder Athene zu Argos als Holzbild mit einem dritten Augevor der Stirn als Symbolik des Zeus als Herrschers im Himmel,auf Erden und inder Unterwelt.Die Scepter, Stäbe und Lanzen gehören in die älteste Zeitdes Bilderdienstes. Es ist nur der bildliche Ausdruck einereinzelnen Potenz, aber die ganze Gottheit wird hier inhärentgedacht. Es scheint schon ein ureinheimischer Cultus, überdie ganze Welt verbreitet wie der Baumkultus jnamentlichsind es auch rechte Götterbilder für kriegerische Wandervölker.Der Speer ist der heilige Schirm- und Schutzgott,bei dem man schwört: das älteste ä^(aX\i.a des Mars z. B. inRom: seine automatische Bewegung verkündete Krieg, ihnschwang der flamen des Mars, wenn Rom das Heer zumAbzug rüstete, mit den Worten „Mars vigila". Der Schwur-Juppiter, Juppiter Feretrius, war ein Speer, der pater patratusfasste ihn und sprach den Schwur. Das Scepter des Agamemnonzu Chäronea war ein Speer 86pu; seine ununterbrocheneVerehrung bezeugt der vor ihm stehende heiligeTisch mit frischen Speiseopfern. (Zeus hatte es einst demPelops und seinem Geschlechte verheben.) — Ebenso werdendie Heroen der Phönizier unter dem Bilde von Stäben399


verehrt: Vaticination mit Hilfe von Stäben j^aßSofxavisia beiPersern, Assyriern, Juden, Skythen, Germanen.Ein solcher Speer oder Scepter kann nicht ohne weitereBezeichnung der Gottheit sein. Agamemnons Scepter mitAndeutung des Adlers (es ist ein alter Zeus), Hera trägtden Kuckuck auf dem Scepter, Dionysos den Fichtenzapfen,Ares die todbringende Lanzenspitze. Der Dreizack desPoseidon ist ein altes Götterbild von ihm. Die Friedenslanzedes Herolds ist ohne Schlangen an der Spitze nicht denkbar:so ist sie ursprünglich ein Götterbild des Hermes.Ueberreste des Steinkuhus: rohe und unüberarbeitete XiOotdpYoL Darunter Meteore, z. B. bei Aegospotamoi vor derSchlacht vom Himmel gefallen, wurde von den Chersonesitennoch zu Plutarchs Zeiten für heilig gehalten. Zu Thespiaeein Tempel des Eros: da ein Stein. Zu Orchomenos imTempel der Xdpiie? drei Steine, zu Hyettos in Böotien imTempel des Heracles ein Stein. Dreissig in vierkantiger Formzu Pharae in Achaia, als Symbole von 30 Göttern 5 ein pyramidenförmigerStein zu Megara als ApoUon Karinos verehrt.Ebenso Zeus (leiXi^io? in Sikyon, dort auch Artemis Traiptoaals Steinsäule, Apollon dyuieu? als Wegegott wie Hermesdurch kegelförmige Säuleangedeutet.Ueberreste des T^/Vrdienstes. Dionysos als Stier oder mitStierhörnern dargestellt. Demeter in Phigalia in Arkadienmit Pferdekopf und Mähnen. Eurynome ebendort mit Fischleib(aber menschlichem Oberkörper). So ist der Adler demZeus, die Eule der Athene, der Schwan dem Apollo, dieTaube der Aphrodite (Sperlinge), der Fisch xfylri der dreigestaltigenHecate geweihtj aber ursprünglich war das andersgemeint. Athene YXauxwTri? ist ursprünglich Athene mit demEulenkopfe, die Eule mit ihren schrecklich durch die Nachtleuchtenden Augen ist Symbol der Nachtgöttin. Die "Hpv]ßoÄTci? ist gewiss ursprünglich die „kuhköpfige"j man wird400


eim Nachgraben in Samos das schon noch finden, wieSchliemann die Eulenköpfe gefunden hat. Als Mondgottheithat sie Kuhhörner und erschien deshalb wohl ursprünglichganz als Kuhj so hat sie den Pfau als Sinnbild, als Herrindes gestirnten Himmels, wegen des sternenbesäeten Schweifes.Am besten erhalten ist der Schlangenkult, der sich überallzusammen mit dem Baumkultus findet und deshalb fast unausrottbarerscheint.Einer jeden Gottheit, welcher der Schutzeines heiligen Ortes obHegt, erscheint die Schlange beigegeben,d. h. sie ist hier an Stelle des ursprünglich hier waltendengenius loci getreten, mit ihm verbunden jdie hier ursprünglichallein mächtige Schlange ist zu einer Potenz der hinzugekommenenGottheit herabgedrückt. Pflege der Schlangen,Anlage von Schlangengemächern und Gellen für die sacrades genius loci in den Tempelhäusern. Des Ortsheros imTempel der Athene Polias oder im Erechtheum, überhauptder ganzen Akropolis von Athen war Erechtheus oder Erichthonios.Die ouT^ii-ata des Erechtheus lagen neben und westlichvon der Athenacellaj ein otjxo? für die Schlange gehörtzu diesen Gemächern, ein Grabgemach (Krypta) des Erechtheusgleichfalls. Nach der Sage vertrieben diese Schlangendie Erinnyen, welche den schutzflehenden Orestes von demBilde der Athene wegreissen wollten. Unter Schlangengestalterscheintder genius loci zum Schutze seines bedrohten Sitzes:so der Heros Ku^^peu? von Salamis zum Beistande gegen diePerser, welche die Insel bedrohten. Ebenfalls ein Schlangengemachim Demetertempel zu Eleusis, denn die kychreischeSchlange soll durch Eurylocbos von Salamis vertrieben, durchDemeter aber in Eleusis als Dienerin aufgenommen sein. Alsdie Eleer den eingedrungenen Arkadiern mit den Waffen inder Hand entgegentreten, wird der Knabe SosipoHs in einerettende Schlange verwandelt: daher Schlangencella und Verehrungdieses Dämon Sosipolis. Wo ein Tempelbild mit dem26 Nietzsche V ^0\


Attribut der Schlange vorkommt, ist höchstwahrscheinlichauch Schlangenkult und eine Schlangenwohnung. Im Dienstdes Asklepios bezeichnet sie die Übel abwehrende undLeben schützende Heilkraft. Die heilige Schlange des Asclepiusbezeichnet oft den Platz, wo sein Tempel gebautwerden soll. In der Cella des Asclepiustempels zu Pitanekrochen die Schlangen so frei herum, dass man nicht wagte,den Raum zu betreten, bevor man ihnen nicht an der Thürein Speiseopfer hingesetzt. Am Orakelgemache des Tempelsdes Amphiaraos müssen sich Schlangen befunden haben:denn die Orakelfragenden hatten sich mit Honigkuchen zuversehen. Als der spartanische König Cleomenes zu Alexandriagetödtet, sein Leichnam ans Kreuz geschlagen war, sahman nach wenig Tagen eine Schlange ihn umringein:darauserkannten die Alexandriner, dass er ein Heros sei.In Bäumen, Thieren, Holzstücken, Steinen dachte mansich das numen der Gottheit geborgen: von da ist ein ungeheurerSchritt bis zur menschlichen Darstellung. Manscheute in der älteren Zeit vor ganz menschenartig gebildetenGöttern gewiss wie vor einer daeßeia zurück: erst dieDichter hatten die innere Phantasie der Menschen darangewöhnen müssen: und dann war die Heiligkeit immer nochauf Seiten des Ungethümlichen, Uralten, Unheimhchen. Esist vieles, was die innere Phantasie schaut und was ihr inleibhafter Darstellung doch peinlich ist: so steht es namentlichmit der religiösen Phantasie. Sie ivill nicht an die Identitätdes Gottes mit einem Bilde glauben, es soll das numennur in irgend einer geheimnissvollen Weise hier als thätigund örtlich gebannt erscheinen. Ich wiederhole, das ältesteGötterbild soll den Gott bergen und zugleich verbergen,nicht zur Schau stellen. Kein Grieche schaute innerlich seinenApollo als Holz-Spitzsäule, seinen Eros je als Stein j man kanndeshalb eigentlich nicht sagen, dass die Vermenschlichung402


der Bilder immer mehr zugenommen habe, sobald man andie eigentlichen 0///«j-bilder denkt: von einem Holzklotzund Stein giebt es keinen Uebergang. Die ungefügen Holzbilder(d. h. eben nur Holzklötze mit dürftigster Schnitzerei)sind der Zeit nach nicht später als jene Steine und glattenHölzer; sie gelten als uralt und als nicht von Menschengemacht, oiiTrsxTij so die Aphrodite zu Delos, eine Athenezu Knossos, ein Herakles zu Theben, ein Trophonios zuLebadea. Der Apoll mit vier Händen und vier Ohren inLakonien, der amyklaische Apollo mit Kopf, Händen undFüssen, aber ohne Arme und Beine, die Dionysoshermen,Herm-Athenen, Herm-Heraklen, Hermen-Pane, d. h. Steinemit theilvveiser Anbildung eines Kopfes. In dem Unvollständigen,Andeutenden oder Uebervollstandigen, recht eigentlichUnmenschlichen liegt hier die grausenhafte Heiligkeit;es istnicht eine embryonische Stufe der Kunst, als ob man es in derZeit, wo man so etwas verehrte, nicht hätte deutlicher darstellenkönnen. Man scheut gerade eines: das ^/Vr^r^ Heraussagen: sowie die Cella das AUerheiligste, das göttliche Numen birgt undin geheimnissvollem Halbdunkel versteckt, doch nicht ganzj wiewieder der peripterische Tempel die Cella verbirgt,gleichsamschirmend umfängt, aber nicht ganz. Es ist etwas ganz eigentlichHellenisches, dass die Sieger in den grossen Kampfspielendurch Standbilder (dvBpidvis?) in den Tempelhöfen geehrtwerden durften j erst um die Zeit die Pisistratus, als die erstenBilder dieser Art, aus Holz geschnitzt, in Olympia geweihtwurden, erst als die Regel galt, dass der dreimalige Siegerin ganzer Grösse und voller Treue dargestellt werden dürfe,verliert sich die Scheu vor der eigentlichen Vermenschlichungder Bilder, aber auch nur für die dvaöVjfjLaTa. Die schönsteund entwickeltste Plastik der Götterbilder war nicht imDienste des eigentUchen CultuSj die ßpexT] und ^oava verlorennicht ihre Würde, im Gegentheil.Also das eigentliche206* 403


heilige Gottesbild ist etwas ziemlich Stabiles und in seinerForm immer wieder Nachgebildetes: so erneuerte der AegineteOnatas, der es recht gut verstand, figurenreiche Gruppen,zu Fuss und zu Ross kämpfende Männer und Heroen inErz darzustellen, den Phigaleern ihr heiliges Bild der schwarzenDemeter (mit Pferdekopf, aus dem Drachen und andereThiere hervorwachsen), indem er sich durch eine TraumofFenbarungzu einergewissen Ummodelung bestimmen Hess,nämlich in Erz! — das alte ^oavov war verbrannt! Man warhier sehr ängstlich. Das war man nicht bei den Reliefdarstellungenvon Göttergeschichten zum Schmuck der Tempelwände,der heiligen Brunnen, der Altäre, der Untersätzevon Weihegeschenken, bei der Aufstellung von Götterbildernund Göttergruppen, welche nicht zur Anbetung dienen sollten.Hier war das Tummelfeld der griechischen Bildner: die Phönizierwaren die Vermittler, durch sie lernte man von Aegypternund Assyriern. Von den Aegyptern die Bearbeitungdes Steins und die plastische Ausbildung des menschhchenKörpers, von den Assyriern die Buntwirkerei und die figurenreicheRelief<strong>com</strong>position. Die Teppichmuster werden inFarben nachgeahmt, wir finden auf den bemalten Thongefässenvon Rhodos, Thera und Melos dieselben Fabelgestalten,Zierrathe und Thierreihen, wie sie bei den Babyloniernund Assyriern gebräuchlich waren. Die Phöniziersind in der Tektonik und Verwendung des Erzes die Lehrerder Griechen. Die Kunstweise der Phryger und Lyder wirdnach Griechenland übertragen: für eine lange Zeit ist Griechenlandein Chaos aller möglichen Einflüsse und Stilarten:ebenso in der Baukunst wie in der Dekoration.Gegen 700 war eine vielseitige Kunsttechnik im Peloponneszu Hause, in Sparta finden wir den Erzbildner, Baumeisterund Hymnendichter Gitiades, dann Syadras und Chartas,die mit Korinth und Rhegion (der Pflanzstadt der erzreichen404


Chalkis) in Verbindung stehen. Im folgenden Jahrhundertfinden wir Kunstschulen auf Chiosj hier erfand Glaukos dievielbewunderte Kunst, Eisenstücke durch Anwendung desFeuers innerlich mit einander zu verbinden: während dienoch älteren Erzbilder, z. B. das des Zeus zu Sparta, ausgehämmerten Stücken bestanden und durch Stifte und Klammernverbunden, nicht gegossen waren. Glaukos benutzteleichtflüssige Metalle als Bindemittel. Die Samier erfindensodann den Erzguss für plastische Arbeiten (während diePhönizier schon gegossene Erzgefässe haben). Theodoros vonSamos Haupt einer grossen Künstlerschule. Dann Schulen inGreta, in Naxos. Gegen 580 treten als die ersten in ganzGriechenland berühmten Marmorbildner die kretischen MeisterDipoinos und Skyllis hervor,sie arbeiten in Argos, in Sikyon,Ambrakia, Kleonae. Jetzt treten die mächtigen peloponnesischenSchulen auf und überflügeln weit die östlichen vonChios, Naxos und Samos: also die von Korinth, Sikyon,Argos und Aeginaj dazu gehört Kanachos, der erste berühmteMeister von Sikyon. Aeginetische Meister sind Kallon, Glaukias,Onatas, die ebenso den menschlichen wie den thierischenKörper beherrschen. Die argivische Schule erreichte ihre Höhein Ageladas, wie die aginetische in Onatas, beide arbeitetenzusammen an dem delphischen Weihgeschenk der Tarentinerum 4(55. Alle diese Schulen stehen mit einander im Zusammenhang,ihre Wirksamkeit geht weit über die nächste Heimathinaus: so arbeiten die Peloponnesier für Athen, für Thasos,für Epidamnus in Illyrien, fiir Tarentiner und SikeHoten wiefür die Milesier.Die höchste Blüthe der Kunst wird dann durchKaiamis, den toreutischen Erzgiesser und Bildhauer, und durchPythagoras von Rhegion und den Phokäer Telephanes vorbereitet,dann durch Phidias von Athen, den Sohn des Charmides,durch Polykleitos den Sikyonier, durch den AthenerMyron erreicht. Das Genauere gehört in die Kunstgeschichte.405


§ 4-Cultusgeräthe im Heiligthum.Die vornehmste Stelle nimmt der Altartisch ein, die UpaTpaTueCa oder öüwpo? bei den Hellenen (sacra oder augustamensa bei den Römern). Er ergänzt den Brandopferaltarvor dem Tempel, insofern er dient, um jene Opfergabenaufzunehmen, die den feuerlosen Speiseopfern angehören,eingerechnet den Spendewein. Deshalb sein Platz zunächstvor dem eSo? des Götterbildes. Es ist der heilige Speisetisch,während der Brandopferaltar der heilige Speiseheerd ist. Erunterscheidet sich von dem Altare auch namentlich dadurch,dass er zum penetrale sacrificium bestimmt ist, einem Opfer,bei welchem die Gaben nur von den priesterlichen Personenin Empfang genommen und aufgetragen werden, wogegendas Brandopfer der 7rpo06|xaTa von den Gebern gebracht,verrichtet und mit verschmaust wird. Es kommt mituntervor, dass ein solches feuerloses Opfer auf dem Altar imFreien bloss von den Priestern verrichtet wird, während esdie Opfernden nur hinzubringen: so beim Opfer vor demBilde und der Höhle der schwarzen Demeter von Phigalia(es bestand aus Trauben, Baumfrüchten, Oel, roher Wolle,aber kein Fleisch!). Das ist die Ausnahme. Ursprünglich warwohl der heilige Tisch aus Holz oder Erz hergestellt, später,sammt seinen Geräthen, aus kostbaren Metallen 5 im Heraionzu Olympia eine chrysoelephantine TpotueCa. Man stellt hierals Speisen auf ausser Backwerken und gekochten Hülsenfrüchtenrohe Früchte, Wolle, Blumensträusse, Kränze, Guirlanden.TreiijjLaTa Opferfladen in verschiedener Gestalt: mondförmigeKuchen mit brennenden Lichtern besteckt in demTempel der Artemis an Tagen des Neumondes: Kuchen inGestalt von Hirschen bei den Elaphobolien zu Ehren derselbenGöttin. Für den Apollo zu Patara in Form von Leier4od


und Bogen. Auch an der sipeoicüVY], welche bei den attischenPyanepsien an die Cellenthür des Apollon gebracht wird,hängen Kuchen in Leierform. Die Lokrer bringen Ochsenaus Feigen und Hölzchen gemacht^ bei den Amphidromienzu Athen Vierfüssler, Vögel, Fische aus Kuchen, Aepfeln undFeigen geformt. Ein gefesseltes Nilpferd als Symbol des gebundenenTyphon, am Feste der Isis. Bilder eines gefesseltenEsels. — Die Umwindung aller solcher Gaben mit heiligenBändern, Tänien, Infuln ist ein uraltes Symbol der consecratio.— (Der Altartisch findet sich in der ayia TpaireCa, demHochaltar der christlichen Kirche, wieder.)Zum Apparat des Tisches gehört der Kehrwedel xdXXuvtpovxopr^jjLaj damit wird derselbe gereinigt, der Abfall von denOpfergaben in Körbe gefegt. Wohl auch ein Weihwasserbeckenneben dem Tisch, ein diroppavr^piov. Dann stehendeLeuchter, mögen sie Kerzen oder Lampen tragen, auf oderneben dem Tisch: auch von der Decke herabhängende Gestellemit vielen Lampen. Ein kolossaler Lampenkranz wurdevon dem jüngeren Dionysios dem Prytaneion in Tarentgeschenkt, an welchem sich so viel Flammen anzündenliessen, als das Jahr Tage zählte. Dann Räuchergeräthe, diemit Kohlen gefüllt zur Verbrennung von Wohlgerüchendienen, tragbare und stehende. Niemals konnten sacra, wennsie vollkommen sein sollten, ohne Räucherung vollzogenwerden: also öu|i.iaTT^pia und Weihrauchkästen (acerrae). DannOel- und Salbgefässe, sowie Weinkannen. Zur Ausrüstungvieler Tempel gehörten die Teppiche (irapaTusTdofJiaTa). Anden dies nefasti oder dTrocppdBs? r^[iipai verhüllte man dieaedicula der Cultusbilder. Stets trat Verhüllung der Götterund Schliessen der Tempelthüren ein, wenn die Gemeindemit funeralia beschäftigt ist und während dem der Cult derOlympischen Götter ruhen musste. Die thessalischen Priesterbrachten die dies nefasti ausserhalb der Tempel im Freien407


zu. Wer durch Todtendienst befleckt war, darf keine sacraverrichten. Kommt es vor, dass einer zu derselben ZeitTodtengebräuche und reine Opfer verrichten muss, sorichtete er es so ein, dass er erst die sacra vollbrachte, bevorer zu den funeralia ging. — Sodann Verwendung derTeppiche zum Schutze gewisser Götterbilder gegen Climaund Staub. Von der grossen Anzahl Tempelbilder, welchePausanias aufzählt, sind gegen zwei Dritttheile hölzerne, vondiesen wieder die Hälfte chrysoelephantinej diese letzterenverlangten wegen ihrer Einölung besonders Schutz vor Staub.Die Alten verstanden (nach Democrit) die Kunst, das Elfenbeindurch Behandlung mit gelinder Säure zur Dehnungund Plattirung weich und geschmeidig zu machen j es mussteaber nach seiner Verarbeitung beständig mit Oel eingeriebenwerden, um ihm die Geschmeidigkeit zu erhalten, das Aufwerfender Platten und Reissen der mit Hausenblase geleimtenNähte zu verhindern. Gleich vorsichtige Pflegeverlangte der Holzkern, den das Gold und Elfenbein wieeine Haut überzog; denn er war hohl gearbeitet, aus einzelnenStücken durch Klammern zusammengefügt, mit Pech und Harzverstrichen. Man ölte ihn mit Cedern- und Wacholderöl ein,um die Fugen schliessend zu erhalten und den Wurmfrasszu verhindern. Beim Bilde der Artemis zu Ephesos gossman durch Löcher, die nach aussen hineingebohrt waren,Nardenöl. Zwar waren jene berühmten Kolosse zur Zeitdes Phidias aus einem schwer zerstörbaren Holz gearbeitet,wie Cedern- und Ebenholz:die freigestreckten Theile, Arme,Füsse, Hände hätten doch ohne Nachhilfe aus ihren Zapfenweichen müssen, wenn sie z. B. goldene Niken auf der ausgestrecktenRechten trugen. Diese Gegenstände (Speere,Schilde, Thiere) nahm man für gewöhnlich weg und setztesie für kurze Zeit wieder auf, wo die Bilder zu schauenwaren. So die Nike des Parthenosbildes: und wieder der408


Nike den mächtigen goldenen Kranz und die schwerengoldenen Fittige. So konnte die Nike (trotz aller eisernenStangen im Inneren) nur eine Anzahl Tage auf dem Armdes Olympischen Zeus stehen, ohne ihn abzubrechen oderzu senken. Aufsetzen und Abnehmen solcher Lasten sehrschwer. Ebenso den getriebenen Goldüberzug abzunehmen.Man hatte eigene Künstler zur Wartung solcher Bilder, Phaidrynten,denen die Conservation aller Kunstwerke einesHeiligthums oblag: zur Verhütung von Unterschleif wogman ihnen das Gold in seinen einzelnen Stücken ebensozu, wie bei Uebergabe an die neuerwählten Schatzmeister.(cpaiBpuvTYJ?- 6 cpai8p6v(i)v xa a-^6X\Laxa xcil tou; vscü;.) Die Phaidryntendes Zeus zu Olympia, gewählt aus den Nachkommendes Phidias, brachten vor Beginn der Arbeit jedesmal derAthene 'EpY^vr, ein Opfer. Das Zusammenflicken und Wiederherstellenwar oft schwieriger als das Neuherstellen. Dahererwiesen die Eleer dem Damophon grosse Ehren, als er ihrenzerfallenen Zeuskoloss wiederherstellte. — Dann noch dieklimatischen Rücksichten: die Parthenos war einer trockenenund heissen Atmosphäre ausgesetzt, die das Holzwerk dörrenmuss, das Elfenbein zum Werfen bringt. Der mächtige Peplos,welcher an den grossen Panathenaen geweiht wurde, dientewohl als Umschlag und Ueberwurf, den man je nach Erfordernissdurch feines Uebersprühen von Wasser anfeuchtenkonnte. Ein Seitenstück dazu der golddurchwirkte Peplos umdas Bild des Olympischen Zeus zu Syrakus, welchen Gelonaus der karthagischen Beute weiht, Dionysius wieder raubt}dann der purpurne Peplos, welchen Nero dem Goldelfenbeinbildeder argivischen Hera widmete. Damit sind nichtdie eigentlichen Garderobenstücke der Cultusbilder zu verwechseln,z. B. der samischen Hera, wenn sie zur Feier desUpo? Ydfio? mit Zeus im Brautgewande erschien. Priesterund Priesterinnen erschienen im Kostüm der Gottheit, die409


Festvorsteher zu Olympia und Antiochia im Kostüme desJuppiter. — Der Boden des Tempels an gewissen Festen mitTeppichen belegt, daher der Agamemnon des Aeschylus esmit Scheu abweist, die von Klytamnestra gebreiteten Purpurteppichezu betreten.Der AJtar ßu)|jL6?, Oun^piov, auf welchem der Tempelgottheitdie grossen ßrandopfer dargebracht werden. Diese fandenstatt auf der ^ujjLeXr^ vor dem Pronaos des Tempels, so, dassdas Bild der Gottheit durch die weitgeöiFnete Tempelpforteauf den Altar hinblicken konnte. Diese Altäre oft mit besondererPracht aufgeführt. Ursprünglich blosse Erhöhungdes Bodens, Anhäufung eines Rasenaufwurfs, Planirung einesunregelmässigen Felsblocks:das erhöhte Erdplateau des Heerdesist das ursprüngliche Vorbild jeder Ueberhöhung desBodens, durch welche der Mensch etwas als Weiheplatz vonder Erde ablöst: Repräsentant des festen Quaderbaues derErde. Der Altar des Olympischen Zeus (nach Pausan. V, 13)ein künstlicher Bau, dessen Unterbau, xpTjTcic; und Tupodüai?genannt, 125 Fuss im Umfang hatte. Darauf erhob sich dereigentliche Altar (32 Fuss im Umfang) bis zu einer Höhe von22 Fuss; steinerne Stufen führten zur 7rp60uoi


konnte. Ausdrücklich ein Altar zu Pergamon erwähnt ausMarmor, 40 Fuss hoch. Die Form gewöhnlich viereckig; viereckigund allmählich in die Höhe steigend nennt Pausaniaseinen Altar der Artemis zu Olympia; viereckig ist auch derkolossale Altarbau zu Parion, der ein Stadium {600 Fuss)breit und lang war. Ein runder Altar aus weissem Marmorist auf auf Delos gefunden worden, ein achteckiger von Stuartzu Athen, verziert mit Blumengewinden, Stierschädeln undOpfermessern. Die Kränze ursprünglich von lebendigen Laubgewinden,später durch die Kunst in Stein nachgeahmt. ZumBegriff der ara gehört es, dass sie auf ihrer Oberfläche längsden beiden Nebenseiten Erhöhungen hat, meist als Polster;diese Polster werden beibehalten, wo es sich darum handelt,einem Gefäss oder Gebäude die Form der ara aufzudrücken.Besonders an den Gräbern (Scipionensarkophag, die grossenGräber an der via Appia und in Pompeji). Die Polster erscheinenimmer auf den Nebenseiten, wenn die ara oblongenGrundriss hat, den Schmalseiten, und immer erscheint Inschrift,Hauptrelief auf der oder den Seiten, wo das Polsteroben nicht ist. Diese leeren Seiten sind also die Hauptseiten,die eine davon die Fa^ade. Ist das nun auch griechisch? —Doppelaltäre kommen z. B. in Olympia vor, wo die Olympionikenihre Siegesdankopfer darbringen: auf jenen sechs vonHerakles bei der Einsetzung der Olympien gesetzten Doppelaltären,auf denen er selbst zuerst geopfert haben soll (die zweiGottheiten als a6fjiß(Dji,oi): i. Zeus Poseidon; 2. Hera Athene;3. Hermes Apollon; 4. Chariten Dionysos; 5. Artemis Alpheios;6. Kronos Rhea. Der Altar am Amphiareion bei Oroposhat fünf einzelnen Göttergruppen gewidmete Theile, vielleichtspätere Vereinigung früher ganz getrennter Altäre.Kein Weihetempel konnte ohne Altar, wohl aber fortwährendein Altar ohne Tempel sein, wenn nur die Stätteanderweitig geheiligt war: so in der Ilias Te(jL£vo? ßwfio? ts41T


öuT^si; VIII 48, XXIII 148 und öfter bei Paus. aXoo? zt xaiß(0(xoi. Daher auch Altäre für Götter, die ihrem Wesen nachkeine Tempel haben können wie die Winde, und die berühmtenßu)|JLoi ösÄv dyvtüaiiov Paus. I, i, 4^ V, 14, 55 Apostelgesch.17, 23. Ueberall wo der heilige Baum Bild und Wohnsitzeiner Gottheit ist, steht diesem zunächst der Speiseopfertisch,vor diesem der Brandopferaltar. Mehrfach aufBildwerken dargestellt. Ueberhaupt ist der Opferdienst wiealle Cultusgebräuche älter als der Tempelbau selbst, deshalbist jedenfalls die Orientirung des Altars ursprünglich]ebenso wichtig genommen worden, wie später die derTempel [Aus § 5. Die Gräber.In uralter Zeit wie bei den Römern im eignen Haus (PlatoMin. p. 315)5 der Gedanke, dass „jede Berührung mit demTodten verunreinige, entfernte sie". Die Stadt selbst gilt „alsTemenos templum, insofern sie die Tempel der Götter umfängt."So Delos, Athen, anders Sparta, Tarent. AttischeFamilienbegräbnisse auf dem Lande, an der Strasse. Formender Gräber. Die heiligen Gräber „mit den Reliquien derStifter des Tempels und Träger des Cultus, der Dämonen,ja selbst der Götter. Auf Kreta das Grab des Zeus, aufSicilien die tumuli des Kronos, in Sparta das Grab derDioskuren. Kaum möchte einer der Cultustempel ohne heiligesGrab in seinem Innern zu denken sein, und Namenwie Erechtheion, Oidipodeion, Pythion zeigen, wie ganzehochheilige Tempel nach Grüften der Heroen genannt waren".Die Sitte, über den Reliquien Tempel zu errichten, „ist vonder christlichen Kirche im alten Sinne adoptirt worden".Grab des Python, Hyakinthos, Palaemon u. s. w. „Im ursprünglichenSinne ist also wohl der Tempel als Grab zuverstehen, als Todtenhausj den sterblichen Göttern, nicht412


den olympisch- unsterblichen, hat man zuerst solche Wohnungengemacht und sacra, die mit Tempeln verknüpft waren,gestiftet. Die mächtigsten Himmelsgottheiten verehrte mangewiss lange Zeit tempel- und bildlos j aber ihre auiißoXawurden an die heiligen Grabstätten geknüpft und dort geborgen,und mit ihnen siedelte allmählich ihr Dienst in diealten Gräber über und wurde mächtiger als der eigentlicheTodtendienst. Vom o6|xßoXov wurde dann der üebergangzum Götterbilde gemacht und damit der Tempel zum Wohnsitzder lebendigen Gottheit."Aus § 6. Die heiligen Strassen.Der Wagenverkehr trat im bürgerlichen Leben zurück . . .Der Cultus bahnt die ersten künstlichen Fahrstrassen . . . DerProzessionswagen, der hoch und künstlich aufgebaut war, indem auch aufrecht stehende Götterbilder gefahren wurden,soll ohne Störung der feierlichsten Ruhe zum Ziel kommen.Zwischen den Gleisen ist der Boden rauh und höckericht.Wegen des Einschneidens des Gleises sagt man „den Wegschneiden", Te'iivsiv 6S6v, ^ufioTojxia, secare viam . . . Die heiligenWege . . . sind zunächst solche, welche die Götterselbst gewandelt sind. Zeus ist nirgends ein zuwandernderGott; wohl ist es Aphrodite, wie Ino Melikertes, dann Dionysos,vor allem Apollon. Delphi ursprünglich ein vorstädtischesHeiligthum zu Krissa, wie Olympia zu Pisa 5 derälteste apollinische Prozessionsweg verband die beiden Nachbarorte,hier ist Apollo citherspielend den Kretern vorangegangen.Dann die lange Strasse, welche Parnass und Olympverband, und die bei den Daphnephorien benutzt wurde,um durch einen delphischen Knaben die Herkunft Apollosaus dem Tempethal darzustellen. Dann die dritte, von Attikabeginnend, in Böotien auch die peloponnesische undthebanische Strasse aufnehmend, führt wieder nach Delphi.413


der Dio-Denselben Weg ziehen die Thyiaden zum Parnass;nysosdienst ist älter am Parnass, als der Apollodienst, unddoch ziehen die dionysischen Schaaren auf den Wegen, diedie Apollopriester gebahnt haben.Eine andere Art: wenn ein griechischer Staat einen andernüberwältigt, muss er sich die fremden Culte aneignen jdazumuss nun eine heilige Strasse errichtet werden . . . Der Festtag,an welchem die Prozessionsbilder, wie z. B. der Dionysosaus Eleutherae, denselben Weg getragen wurden, war auchder Jahrestag der Einverleibung des Demos in den attischenStaatskörper. So Sparta mit Amyclae vereinigt, so Olympiamit Elis. Was die Ausstattung betrifft, so war das Erste eininaugurirter Anfangsort, ein heiliges Thor für die ausziehendenProzessionen oder am Heiligthum. Zwischen Anfangund Endpunkt eine Reihe von Stationen, z. B. Heiligthümerbefreundeter Gottheiten, Plätze zum Andenken an gewissemythische Ereignisse im Leben des Gottes: der Weg wirdzur Schaubühne seiner Thaten und Leiden. Wo dem vomOsten kommenden zuerst der tiefe Bergwinkel von Delphisich öffnet, begann mit dem Spähefelsen, Xido? xaTOTrxeun^pio?,die Reihe der Stationen vom Kampf mit dem Python: siesind gewissermassen der Text zu den religiösen Darstellungen,Tänzen und Liedern. Die Orestesstationen im Alpheiosthal{Aavia? BdxTuXo? axT] xoupetov, sie stellen die ursprüngliche Sagevor, „Sinnbild des schuldbeladenen, sühnungsbedürftigen Menschen". . . Die gerade Richtung der Stadtstrassen hatte meistin Prozessionen und Fackelläufen ihre Veranlagung. Die eoOeia,die „Zeil", von Megara führte zum Apolloheiligthum. Pindarnennt die apollinische Battosstrasse von Kyrene Pyth. V 83. .]. Der Landstrasse würdigster Schmuck waren die Gräber[.[. . .]. Weil dann die Flussthäler die natürlichen Wege sind,so sind die Hügel an abschüssigen Flussufern voller Gräberjam ehrenvollsten das an einer Brücke. Pelops z. B. „der an414


des Alpheios Fürth gelagerte", Find. Ol. I 92. [Einzelheitenüber Grabanlagen; Begräbniss der im Kampf Gefallenen imuoXudvSpiov]. Hier übernimmt der Staat die Bestattung, 6 5^[xo?TTsjATtei oder 7upoTr^[jnrei, die Leichenfeier ist eine Tro[i:nrj [. . .].Es sind „reine Gräber" xaöapsucav xacpo?, ihre Berührung verunreinigtselbst Friester und Friesterinnen nicht, es sindja die Ehren für in Folge des Opfertodes zu hülfreichenDämonen Umgewandelte, denen heroische Ehre entspricht,nicht Klage, sondern Freis und wetteiferndes Andenken;nicht für wesenlose Schatten. Zu vergl. Flaton Gesetze p. 942.— Besonders ehrenvoll das Grab am Thorej man gewanndamit einen Thorschutz dämonischer Art [Heroon des Chalkodon,Grab der Antiope in Athen . . .]. Zeichen des älterenBrauches sind die Marktgräber der königlichen Gründer ältererStädte: später schied man die Todten von den Lebenden.In jüngeren Städten bezeichnen Gräber die Stadtgrenze.IL Personen des Cultus: Priester, Wahrsagerund Verwandtes.§ I.Die Friester.Für ein Leben, welches ganz und gar auf religiöse Voraussetzungenaufgebaut ist, war das griechische Friesterthummerkwürdig unmächtig, wenigstens ist seine Wirksamkeit eineverborgene und idealere, es fehlen die Züge der Herrschsuchtund List, die Anmassung politischer Gewalten, es fehlt dasRingen mit dem Staat, die Organisation der priesterlichenMacht, der grosse Riss zwischen Laienhaftem und Friesterlichem:kurz es fehlt der asiatische Typus der Friesterschaft.Die wichtigsten Charakterzüge, die es dagegen abheben, sind:I. in jedem Tempel waltet je eine priesterliche Person. Herodot415


2, 37erzählt von der entgegengesetzten Sitte der Aegypteripäiai Se oux ei? exdaioü täv öewv, aXkä ttoXXoi, twv ei? eotiap^iepeu?. Dazu Diodor i, 71. Erst Plato denkt legg. 12 p. 947an einen griechischen dp^ispsu?. In späterer Zeit (in Asiensehr häufig) kommt der Titel vor, z. B. in einem Erlass desKönigs Antiochus des Grossen, wodurch jemand zum dp/iepei?der Heiligthümer in Daphne bestellt wird. 2. Die Priesterderselben Gottheit an verschiedenen Orten erkennen sichnicht als organisirte Genossenschaft zum Dienst desselbenGottes an, stehen nicht in Verbindung mit einander. DieUrsache ist,dass eigentlich eine griechische Gottheit an jedemOrte ein ganz bestimmtes Wesen ist, etwas Verschiedenes,w^as nicht zum zweiten Mal da ist, mit ihrer eigenen Cultuslegende,eigenem Ritual^ sie ist streng lokalisirt, der Zeus hierist für den Kult nicht der Zeus dort. Und der Priester istgerade nur zum Dienst dieser streng individualisirten undlokalisirten Gottheit da. 3. Noch weniger giebt es eine Organisationaller Priester, aller Götter, und zwar eben, weil dazuerst eine Ueberwindung des lokalen Charakters der Gottheitennöthig gewesen wäre; die ungeheure Fülle der Gottheitenhätte geordnet, gegliedert, abgestuft, alle Rechte festgesetztwerden müssen. Es fehlte ganz an einer solchengewaltsamen und abstrakt machenden Centralgewalt: Delphihatte eine viel mildere und weisere Mission sich zugedacht.Weil das Götterwesen nicht organisirt war, wares auch das Priesterthum nicht, es fehlte die Rangordnung,für die bestimmten Cultusfeste war der leitende Priesterimmer der höchste und einzige Priester. 4. Als Bestimmungder Priester gilt das Opfern und Beten, xd yepa Xa|AßdveivOpfergaben in Empfang zu nehmen, sie sind dem Namennach UpeT? und dpr^TYjpe?. Aber jeder Hausvater konnte Opferam häuslichen Altar verrichten (in der homerischen Zeit halfihm der öuoaxoo?, eine Art der BYjfxioupYoi)? so früher die4id


Könige, später die Magistrate für den Staat, man bedarf fürviele Opfer der Priester nicht, und Aristoteles unterscheidetzwischen hieratischen und solchen Opfern, die von Magistratenin Folge ihres Amts vollzogen werden, Polit. VI, 5,II (öuaioii UpaiixaC — 8y](xot£X£i?). Bei gottesdienstlichen Akten,die in einem priesterlichen Heiligthum vorgenommen werdensollten, bedurfte man ihrer, bei Akten anderwärts waren sienicht erforderlich, ob sie auch schon in Anspruch genommenwerden. ErstPlato will, dass ^^^ gottesdienstlichen Handlungennur unter Mitwirkung der Priester und nur in den Heiligthumerndes Staates vollzogen werden jwomit er alle Privatgottesdiensteausschliesst.Der eine Priester war an eine ganz lokal aufgefasste Gottheitgebunden — das ist die Thatsache. Man sagt gewöhnlich,dass die Entstehung dieses Priesterthums mit dem Entstehender Tempel zusammenfalle j das ist gewiss falsch, denn derCultus mit allen heiligen Handlungen existirt vor dem Tempel jdie Voraussetzung jedes lokalen Cultus ist wiederum die Ortslegendevon irgend einer That, einem Leiden, einer Erscheinungdes Gottes. Welche Stellung nimmt der Priester zureigentlichen Tempellegende ein? So frage ich. Denn die Stiftungaller Culte und Sacra knüpft immer an ein mythisches Ereignissanj und überall, wo Culte gestiftet werden, wird der Priestermit gestiftet. Was bedeutet nun da der Priester? Er erinnertan den persönlichen Verkehr des Gottes mit den Menschenan dieser Stelle, er unterhält im Opfer diesen Verkehr, ineiner Art von Liebesmahl, er macht den einmaligen Gnadenakt(beim mythischen Ereigniss) zu einem ewigen und unvergessHchen,erhält die Gottheit bei Gedächtniss über das,was sie damals gelobt. Am Hauptfesttag ist der Priester derRepräsentant seines Gottes und geht ein mystisches Einswerdenmit ihm ein. Am Jahresfest der Stiftiung, wo die Geschichteder Entstehung dargestellt wkd, ist der Priester der27 Nietzsche V 4^7


Gott selbst. Er hat die Kleidung seines Gottes an. So sah manzu Pellene die Priesterin der Athene mit Waffen und einemHelm auf dem Haupte, die Priesterin der Artemis Aa^pia zuPaträ fuhr auf einem mit Hirschen bespannten Wagen. DerPriester der Demeter zu Pheneos legte bei der Mysterienfeiereine Maske der Göttin an. Der Heraklespriester auf Kos trägtWeiberkleidung wie sein Gott. Die Dionysospriester habensafranfarbene, buntverzierte Gewänder. Die Priesterin derArtemis in Delphi erschien ganz gleich kostümirt, mit derFackel in der Hand, den goldnen Bogen und Köcher auf demRücken. Da die Olympien zu Antiochia denen zu Olympiaganz genau nachgebildet waren, so gilt dies auch von demAlytarchen, nur der edelste und durch hohe Tugenden ausgezeichneteMann wurde zu diesem Amte für die Dauer desFestes gewählt und vom Volk mit denselben Würdebezeugvmgengeehrt wie Zeus selbstj er trug eine weisse, golddurchwirkteStola, um das Haupt einen Stephanos mit Edelsteinen(namentlich feuerfarbenen), in der Hand das Ebenholzsceptermit Adler, seine Fussbekleidung weisse Schuhe jer wohnte und schlief im Hypaethrum eines Tempels, unterfreiem Himmel, auf dem steinernen Fussboden, über den geweihteMatten aus Binsen gedeckt waren. Diokletian legt dieHerrschaft: nieder, nachdem er als Alytarch die Olympiengeleitet: „nun entsage ich der Herrschaft des Reiches, dennes hat die Gestalt des unsterblichen Zeus mich umkleidet".Zeus hier als Siegeskranz -Verleiher. Daher häufige Verwechslungder Priester mit den Gottheiten selbst bei Erschreckten;z. B. entfliehen die Aitoler von Pallene, als sie die Priesterinder Athene im Waffenschmuck der Göttin aus dem Tempeltreten sehen. Auch Betrug: wie wenn Pisistratos sich vonder als Athene gekleideten Phya in die Akropolis einführenlässt.Oder wenn König Archidamos von Sparta zwei beritteneJünglinge mit glänzenden Waffen um den Altar herumreiten418


lässt, als seien die Dioskuren erschienen, oder wenn zweimessenische Jünglinge als Kastor und Polydeukes am hellenTage ins Lager der Lacedämonier reiten, am Feste der Dioskuren,und von ihnen durch Niederfallen verehrt werden,obschon viele von ihnen unter den Speeren der beiden Reiterfallen.Bei der Darstellung der Schicksale des Gottes ist es immerder Priester, der ihn darstellt: zahllose Beispiele. TertuU. adnationes II, 7: cur rapitur sacerdos Cereris, si non tale Cerespassa est? Der Upo? yaiio? z. B. im Heräenfest zu Argos isteine genaue Nachahmung des mythischen Vorbildes jdieBraut wird geraubt, nämlich im dichten Walde endlich gefunden,wo sie sich versteckt hat, verrathen durch eineZiege u. s. w. Zu den Daphnephorien in Theben wurdeals Priester des ismenischen Apollo jährlich ein schönerKnabe aus angesehenem Hause gewählt, er stellt den Apollodar. Auch die Namen des Gottes und des Priesters sindhäufig dieselben: so heisst hier der Priester Sacpvvjcpopo?. DiePriesterin der Aphrodite zu Sikyon hiess XouTpocpopo«;. Bakchosheisst der Priester des Dionysos nach Hesych., Aglauros diePriesterin der Athene mit gleichem Beinamen. In Spartaheissen die Priesterinnen der Leukippiden selbst Leukippiden,'Epjjiat heissen die führenden und bedienenden Knaben amTrophoniosheiligthum.Aus allem ergiebt sich die ursprüngliche Auffassung desPriesters als einer zeitweiligen Inkarnation des Gottes. Mituntergeht die Auskleidung des Menschlichen so weit, dass einPriester mit Annahme seines Amtes den früheren weltlichenNamen ablegt, z. B. der Hierophant, die Hierophantin undder Daduchos in Attika. In manchen Staaten werden dieJahre nach den Priestern der Hauptgottheiten bezeichnet,z. B. in Argos nach den Priesterinnen der Hera, d. h. alsonach der Reihenfolge der Hera-Incarnationenj soin Syracus27' 41p


nach den Zeuspriestern, den „djicpiTcoXoi des Zeus"^ so wiedie tibetanischen Oberpriester in continuirlicher Reihe alsIncarnationen Buddhas gelten.So erklärt sich der eine Priester jedes Tempels; so derstreng lokale Charakter des Priesterthums: jeder Priester istdas Mittel, die einmalige Geschichte des Gottes an jederStelle zu verewigen, zu einer immer wieder geschehendenzu machenj es giebt im religiösen Leben kein Einmal. Mansieht, das Opfern und Beten ist nicht die Hauptsache imPriesterthum, erst bei der späteren Verblassung des Verhältnisses:im Festjahr giebt es Tage, wo die ursprüngliche Bedeutungdeuthch hervortritt, andere Zeiten, wo sie zurücktritt.Der Priester ist ein Hauptgrund, weshalb die Götterbildererst so spät sich entwickeln; eigenthch gehört zu ihm nurdas Symbolen, das Unterpfand, das er, als zeitweiliger Gott,selbst in Schutz nimmt: er vertritt, den Menschen gegenüber,das Anrecht des Gottes, in Opfergaben, in der Artder Verehrung.Das Vriesterthum (lepioa6vT|) wird verliehen nach dem Erbrechtin bestimmten Familien oder durch Volkswahl, oftsogar in Verbindung mit Loosen (so dass mehrere Candidatenausgewählt, unter diesen durch Loos entschieden wird). Beider Bestellung des Heraclespriesters im Syj|aoc 'A)a(AOü?, dessenSr^IxoTai zuerst eine Anzahl Personen wählen, welche sodannunter sich loosen. — Das "kayidvtiv gilt sogar vom apjin'^ßaaiXeu?, der zugleich auch Vorsteher der eleusinischenMysterien ist. Der Grundgedanke bei allen Formen istnatürlich, dass der Gott es ist, der seinen Priester einsetzt:die Erbpriesterthümer führen auf eine solche persönlicheEinsetzung zurück; bei den andern Arten ist die Consecration6ai{üai? nach aller Wahl doch erst nöthig, um zu erfahren,ob die Gottheit den ihr vorgeschlagenen Priester ivill.—Später kommt hier und da auch der Kauf auf, z. B. in einer420


halikarnassischen Inschrift: hier soll der perg'äischen Artemisein Tempel und Cultus gestiftet v/erden: der Käuferin wirddies für eine Summe übertragen, ihr ist lebenslängUchesPriesterthum garantirt, nebst dem Rechte, sich eine Nachfolgerinzu ernennen. Priesteramt bekleiden heisst UpäaOaiTivo?oder xivi.Das Erbpriesterthum (lepsi? 8ia yevoO?): z. B. das der grossenGöttinnen in Messene, das des karneischen Apollo auf Thera(im Geschlecht der Aegiden), des Poseidon in Hahkarnass, inAthen die Eteobutaden mit dem Priesterthum der AthenePolias und des Poseidon Erechtheus, die Kynniden mit demKult des Apollon Kuvvio?, die IloifisviBai mit dem Kult derDemeter, die Poseidonpriester in lalysos, phönizischer Abkunft.Die Ly<strong>com</strong>iden haben als Daduchen in Eleusis dieHymnen des Orpheus und begleiten mit dem Gesang dieliturgischen Handlungen. Je weiter man in der Geschichtezurückgeht, um so mehr tritt der Priesteradel auch als politischbedeutsam hervor. Die Abstammung von einem Gottbei einem solchen Geschlechte heisst so viel als der Glaubean das Fortleben dieses Gottes in diesem Geschlechte. Ichsetze für das ältere Griechenland den ganz massenhaftwaltenden Glauben voraus, dass überall leibhafte Götter zusehen sind, dass Menschen bei Lebzeiten sich als Göttergefühlt haben — was später nur noch vereinzelt vorkommt,wie bei Pythagoras und Empedoclesj man denke an dievielen Frauen, welche von Göttern Besuche bekommenhaben. Man fühlt sich den Göttern gar nicht so fern: nochAristoteles unterscheidet drei Gattungen von Xoyixot Cäci,ösoc, avöpwTTo? und t6 Se olov nudayopoi?. So wird Lykurgvon der Pythia Gott genannt, in einer Klasse mit Heraclesund Amphiaraos, er hat einen Tempel, man opfert ihm jährlich(b? Ö£(ü. (Artemidor: wer träumt, ein Gott zu werden,wird Priester oder [xavti?.) Viel älter als das menschenähnhche421


Götterbild ist der Glaube, Götter unter sich zu sehen, inallen menschlichen Thätigkeiten und Verrichtungen, an denennur hier und da etwas Göttliches und Uebermenschlichesaufblitzt. So meint nach Herodot ein Grieche im heranziehendenXerxes den Zeus zu erkennen, der die Griechenvernichten wolle: „Du entgehst mir nicht I"Offenbar ist in solchen Priesterfamilien ein heiliges Grabdie feste Stelle der Verehrung, zumeist wenigstens (oder einAhn hat Umgang mit einem Gotte gehabt und ist beschenktworden): hier bildet sich aus dem Grabe der Tempel, ausGräberdienst der Tempeldienst.Die Göttergräber sind nichtmit den andern, auch nicht den Heroengräbern zu verwechseln:sie sind heiliger. Die Welt, wie sie der heroischeMythus schildert, lag in Griechenland nicht wie eine uralteferne Phantasiewelt hinter allem WirkHchen, nein, sie lebtenoch fort 5 die Griechen hatten das mythische Auge nochlange in der hellen historischen Zeit, sie glaubten an Theophanieenund fortwährendes Weiterleben des Mythus. Diepriesterlichen Familien und in ihnen die Priester sind dieUeberreste einer vornehmeren Stellung des Menschen, wo erden Göttern viel näher, viel göttlicher war, wo man Ehenschloss, Gastfreundschaft mit einander übte, wo Götter zuMenschen, Menschen zu Göttern wurden jder Opferdienstgilt meistens als Zeichen der Tischgemeinschaft. (Die Menschensind Gäste und Tischgenossen beim Opfer, ^evoi und6[ioTpd7isCoi Paus. 8, 2, 2. Jedes Opferthier wird in dem Augenbhck,wo es rite die consecratio empfängt, Eigenthum derGottheit: was der Opfernde hiervon zum Mahle erhält, istdann Gabe der Gottheit, sie selbst nimmt nur die Primitiendes nun ihr Gehörenden, das Uebrige spendet sie als Wirthin).Insofern ist Priesterthum und Mantik sehr verschieden. Sophokleswar den Göttern sehr lieb und empfing den Besuchdes Asklepios (deshalb wurde er als -J^P"*? Ae^iwv nach seinem422


Tode verehrt). In der älteren Zeit glaubte man das Wohleiner sich bildenden icöXi? gut zu fundiren, wenn man dieman gewannHausgötter der Familien zu Staatsgöttern machte ;sie so als Freunde und Schützer. So entstand ein priesterlicherErbadel unter gegenseitiger Anerkennung ihrer Götter,als fester Kern der Bürgerschaft: unter ihm allein pflanztsich die rechte Art Verkehr mit den Göttern fort; natürlichsind die Opferfamilien auch die Träger alter Gesinnung undGesittung, es ist die conservative Macht, gelegentlich alsoauch die restaurative. Es gewährt ihre Thätigkeit oft einenBlick in uralte Zustände. So ist in Messene, nach frühzeitigerAbwerfung der dorischen Macht, die Priesterschaft ganz restaurativund hat pelasgische, vordorische uralte Zustände hergestellt,in Reaktion gegen die dorischen Eroberer. Glaukos,Aepytos' Sohn, richtet den Cult des Zeus Ithomatas wiederein, sein Nachfolger den Asklepiadencult in Gerenia, dieLeichenspiele des Heros Eurytos. Verbindung mit dem ionischenDelos, im Gegensatz zu dem dorerfreundlichen Delphi;dann im höchsten Ansehen die mystischen Weihen derhöchsten Götter, denen die Dorer immer feindlich waren.Später wurden die pelasgischen Culte durch die Dorerschonungslos dort ausgerottet, die messenischen Kriege sindzum Theil auch Religionskriege. — Athen hatte einst nebender uralten autochthonen Akropolisgemeinde die ionischeHelikongemeinde; die Geleonten sind der Priesteradel derersteren, zu ihnen gehören die Geschlechter der Butadenund Buzygen. In den Hopleten sind die lonier wiedererkannt,die Diener und Abkömmlinge des Apollo. Wennein stürmischer Neuerer wie Kleisthenes in Sikyon einenDienst mit dem andern vertauschte, so war die Hauptsache,dass er eine Reihe Geschlechter, die zähen Widerstand leisteten,aus dem Staate entsandte und neue willfährigere Geschlechtermit ihrem Hauskulte in den Staat zog. In Chios geschah es,423


dass die Priester die Auslieferung eines Schutzflehenden,welche die weltlichen Behörden beschlossen hatten, missbilligten;sie erklärten, sie würden aus dem durch jenenFrevel erworbenen Landgebiete keine Opfergaben entgegennehmen;das war für das Gebiet von Atarneus ein Bann.Mit dem Uebergang der Erbmagistrate in Wahlmagistrate,des Königthums in Archontenthum u. s. w. sind nun verschiedenepriesterliche Aemter, die früher an die erblicheKönigsvvürde gebunden waren, an bestimmte Aemter gebunden.Diese Beamten haben nicht den regelmässigen Dienstder oder jener Gottheit zu versehen, sondern den Staatsdienstbald bei dieser, bald bei jener Gottheit zu vertreten,das unterscheidet sie von den Priestern. Das Amt des rexsacrificulus wurde zwar hie und da von den Nachkommender Königsfamilien bekleidet, theils aber durch Wahl besetzt,wie in Athen. Der apj^wv ßaaiXsui; hatte die Lenäen und dieAnthesterien zu besorgen, die gymnischen Agone und dieBestellung der Gymnasiarchen und Arrhephoren. Seine Gattin,die ßaaiXiaaa, hatte auch hochheilige geheime Funktionen,namenthch am Lenäenfest. Der erste Archon hatte die Besorgungder grossen Dionysien und Thargelien, der ap^wvTToXefiapj^o? die Staatsopfer der Artemis ^ypoTspa und desEnyalios, die Todtenopfer des Harmodios und die Jahresfeiernzu Ehren der im Kriege Gefallenen. In Sparta verwaltendie Könige ein paar eigenthche Priesterämter,der einedas des Zeus Oupdvioc, der andere des Zeus AocxsSaifitov. DerHieromnemon zu Megara war auch Priester des Poseidon,der Stephanophoros zu Tarsus auch Priester des Heracles.Unbestimmt, ob die IspoOutai wirkliche Priester oder Beamtesindj nach ihnen wurde in Agrigent, in Segesta, auf Melitein öflTentlichen Urkunden datirt. Anderwärts bezeichnet mandamit Gehülfen der Priester, z. B. in Messene, wo dem Priesterdes Kresphontes zwei Hierothyten, zu Phigalia der Priesterin424


der Demeter drei zur Seite stehen. Ebenso unbestimmt Ispa-TTöXoc Staatsbeamte neben den Priestern sind die Hierarchen,mit Aufsicht über Tempelgebäude, Anathemen und Gelder,die Hierophylakes, namentlich für die Bauten, dann die Hieronomen.Die Hieropoeen Besorgung von Opfer, ökonomischenAngelegenheiten. In Athen wurden drei oder zehnHieropoeen der 2e{jLvai vom Areopag bestellt, um im Namendes Staates die Vorweihe zu verrichten:das eigentliche Opfervon Priestern aus dem Geschlecht der Hesychiden.Bedingungen, an welche die Erwählung geknüpft ist. Vollbürtigebürgerliche Abkunft, d. h. also wirkliche Zugehörigkeitzu einer ttoXi? (mindestens echtbürtige Abstammung im drittenGliede), das Priesterthum ist lokal gebunden, kein allgemeines;das Wohl des Gemeinwesens ist der Horizont des ganzenCultus. — Ebenso bürgerhche Ehrenhaftigkeit £7riTi[xia. Freiheitvon körperlichen Schäden und Verstümmelungen (dieverschnittenen Priester der ephesischen Artemis waren keineGriechen, der Cult nur ein angenommener). Speziellere,höchst mannigfache Bedingungen: bald ist der Priester einMann, bald ein Weib. Wenn es im Heraion von Argosnach Herodot VI 8i auch einen Priester neben der Priesteringab, so ist er als Repräsentant des Zeus für die Darstellungdes Upo? Y^H-o? nöthig, es ist ihr Gatte, wie der flamen Dialisseine Gattin als Vertreterin der Hera neben sich hatte. Inder Regel haben männliche Gottheiten einen Mann, weiblicheein Weib zum Priester. Von Knaben wird das Priesterthumbekleidet: zu Tegea das der Athene Alea, zu Elateadas der Athene Kpavaia, von Jungfrauen das des Poseidonauf der Insel Kalauria, das der Artemis zu Aegina und Patrae.Zu Aegium ein Knabe, der schönste (6 vixäv xdXXsi), alsPriester des Zeus, ebenso der Priester des ismenischen Apollozu Theben.Unverheirathet musste der Hierophant von Eleusissein (dcppoBiai(ov d7rej(6[X£\/o?), der zu Phlius konnte heirathen.425


Eine Jungfrau die Priesterin der Athene und Artemis, auchder Aphrodite zu Sikyon.Lebenslängliche Jungfrauschaft derPriesterin des Heracles zu Thespiae. Ohne geschlechtlichenUmgang für ein Jahr der Priester des Herakles (iiaoYuvY]; inPhokis, gewöhnlich ein betagter Mann. Betagte Frauen (^uvai/e?irsTCauixevai Ydjxou) gewöhnlich bei der Hestia in Delphi (überhauptwo ein Tuup aaßsaiov war), der Athene Polias in Athen,der Artemis Hymnia (sehr strenges Ritual!) zu Orchomenosin Arkadien (nachdem einmal eine jugendliche Priesterin voneinem Liebhaber, Aristocrates, verführt worden war). Eskommen auch verheirathete Priesterinnen der Athene undArtemis vor. (Keine Priesterin in zweiter Ehe!). Sonst verlangtedas Ritualgesetz nur Enthaltsamkeit auf gewisse Zeitvor allen priesterlichen Verrichtungen.Viele Vorschriften aufSpeise (der Priester des Poseidon in Megara keine Fische),Trank und Kleidung (namentlich weisse Farbe) bezüglich. —Die Zeit der Anstellung sehr mannigfach: lebenslänglich (8iaßioü) der Hierophant in Attika, die Priesterin der argivischenHera, die Saioi in Delphij die erblichen sind fast immerlebenslänglich, sonst sehr viel einjährige (lepwouvY] eTceieioc),auch drei- und fünfjährige, oder bei Knaben bis zum Eintrittder Mannbarkeit. — Die Einkünfte der Priester sehr ungleich^sie beziehen von den Opfern eine bestimmte Gebühr, Antheilvom Fleisch der Opferthiere, Hesych. Ö£u|xopia • oTcap^-^^uoia? 7] 8 Xafißctvouaiv oi tepet? xpea;, ©TüsiSav t^uT^xai „dasGottesstück" (also auch hier Vertreter der Gottheit), dannFelle, auch Geld für ihre Mühewaltung und für Holz, Oel,Opfergerste, Honig u. s. w. Die Darbringungen von Früchtenund Backwerk kamen ihnen zugute. Einige Priester werden ausden Einkünften des Tempels gespeist. In Athen sind unterden Aisiten (d. h. die auf Staatskosten im Prytaneum gespeistwerden) einige Priester. Der Tyrann Hippias verordnete,dass bei allen Geburten und Todesfällen in Attika ein Maass426


()(otvi$) Gerste, ein Maass Hafer und ein Obolos an diePriesterin der Polias entrichtet werden solle. Dann das Rechtzu ä^up[ioi oder Collecten: namentlich bei den Kybelepriestern,die als monatliche Geldsammler [ivjvaYupTai heissen. Römischstipem cogere.Der Cultus bedurfte nun ausser den Priestern noch einegrössere Anzahl Personen, die bestimmte Gebräuche verrichteten,abgesehen selbst noch von den Tempeldienern:also Träger und Trägerinnen heiliger Gegenstände beiProzessionen, Knaben und Mädchen zu Chorreigen u. s. w.Hier waltet wiederum die Forderung angesehener Geburt,des Lebens beider Eltern, Schönheit, Unbescholtenheit, TralSe?dficpiöaXei? „welche noch beide Eltern haben", v. PoUux. Fürgewisse Zeit aus der Gemeinde gewählt die dppr^cpopoi zumDienst der Athene Polias in Athen, die Praxiergiden, diePlyntriden oder Lutriden, die cpaiBpuviai. Oder man nahmdiese Ministranten aus den Hörigen des Gottes, den tepo-SouXoi, zu Olympia war der Holzschaffner (^uXsu;) ein Tempelsklavedes Zeus: auch die Upol TspTiai stehen häufig in diesemVerhältniss. Andere Ministranten Oberschenk dpj(ioivo5(6o;(die oivopoi die edelsten Knaben, wie Euripides, er war beiden dp/TiOTai des delischen Apollon zu Athen), WeihrauchanzündereTtiöuiAiaxpo?, Hymnensänger, Flötenbläser : dieHerolde UpoxT^poxs;, die bei Festen den Gottesfrieden ansagen,Gebetsformeln vorsprechen; auch mit Nebendiensten,bei Schlachtung und Enthäutung und Zerlegung des Opferthieres.Die Küster, beiderlei Geschlechts, Cdxopoi unduTToCdxopoi oder vewxopoi; später wurde bei gewissen Heiligthümerndas Amt eines Neokoren besonders würdevoll, fürdie angesehensten Männer, in Asien nämlich. Parasitennannte man die Tischgenossen der Priester, welche ihr Amtin der Einsammlung der Getreideheferung hatten, mit Nebendiensten.Wenn bei manchen Festen ein Festschmaus nöthig427


war, so hatten die Parasiten ihn auszurichten: gewählt ausden Demen, welchen die Tempel zugehörtenj man suchtesich diesem Amte zu entziehen, deshalb waren gesetzlicheZwangsmaassregeln oft nöthig. Es mussten Leute von Vermögenund gutem Lebenswandel sein.Die Exegeten.Wir kennen sie aus Athen und Olympia, letztere beiPausanias als Exegeten der Eleer bezeichnet. Aus Herodotlernt man Exegeten gleicher Art zu Telmessos kennen, ausPausanias zu Sikyon, Argos, Epidauros, Messenien undOropus.') Sie dürfen nicht verwechselt werden mit dene^TjYvjtal TÄv eTuiytopiujv, die in Argos und Messene nebenihnen genannt und also als von ihnen verschieden bezeichnetwerden, ausserdem in Paträ, Platää und zwar immer einzelnvorkommen^ in ihnen sind die sonst TrepnrjYTQxai genanntenFremdenführer zu erkennen. Auch diese sind mit den Alterthümerndes Landes bekannt, dehnen ihre Kenntniss dagegenauch auf die spätere Geschichte aus. Die Exegeten im engerenund höheren Sinne haben nur mit dem heiligen Rechte zuthun und werden daher nur um Alterthümer gefragt, derenreligiöse Bedeutung dunkel und ungewiss ist. Denn sie sindim Besitz der Tradition, die zwar später aufgezeichnet istjmanches von ihr mag aber doch nicht in die Schriften übergegangensein. Sie haben Fertigkeit, die Satzungen auf deneinzelnen Fall anzuwenden, also nicht nur Kenntnisse. Werin Verlegenheit ist, wer religiöse Skrupel hat, findet bei ihnenAuskunft. Aus den Inschriften in Olympia ergiebt sich, dasssie im Range nicht bloss den Priestern, sondern auch den*) Petersen, Philologus Suppl. I.428


|idvT£i? nachstehen, auf welche sie unmittelbar folgen. Siesind wahrscheinlich Lehrer der jungen Priester und ungeübtenOpferer. Ihre amtliche Thätigkeit umfasst: namentlichBeobachtung der Himmelszeichen für Volksversammlungenund Gerichte; Rath und Unterstützung bei derWeihe von Heiligthümern und Götterbildern, bei Hausgottesdienst,Geburts- und Hochzeitsfest, besonders imTodtendienst und überall, wo eine besondere Reinigungnöthig ist, wie bei gewaltsamer Tödtung, endlich die Deutungaller ungewöhnlichen Ereignisse in der Natur, besonders inder Thierwelt, sofern darin eine Absicht der Götter ausgedrücktist, die Menschen zu belehren oder zu warnen.Auch vermittelten sie wahrscheinlich den Verkehr mit Delphi,doch sind sie schwerlich hingesandt, um das Orakel zu befragen,denn theils war dies das Amt der Pythaisten undTheoren, theils konnten sie nicht abwesend sein. Aber dieBerathung über die Anfrage, ob und wie diese zu stellensei, ist ihre Sache, ebenso Deutung und Aufsicht über Ausführung.Ausgeschlossen von ihrer gewöhnlichen Thätigkeitwar die eigenthche Vogelschau und die Deutung des Götterwillensaus dem Inneren der Opferthiere. Jenes war dieAufgabe der oicovioxai, dieses die der ixavisic, die auch theilsvom Staate angestellt waren, theils_, obgleich sie ein freiesGewerbe mit ihrer Kunst trieben, vom Staat befragt und alsAuktorität anerkannt wurden (wie sie im Felde die Thätigkeit,welche in der Stadt den Exegeten oblag, mitversahen).Der Umfang der Thätigkeit scheint bei den [idvTsi«; wenigerbeschränkt und fest bestimmt gewesen zu sein und ist derThätigkeit der Exegeten so nahe verwandt, dass auch siegelegentlich [xdvxsi? genannt werden. — Vergleicht man ihreStellung mit entsprechenden Aemtern in Rom, so sind siein Ertheilung der Gutachten und Rathschläge den pontificesähnlich, doch ohne so hohes Ansehen, und berühren den429


Geschäftskreis der prudentes oder iure consulti, aber nur inBetreff des heiligen Rechts. In Rücksicht auf die Beobachtungder Himmelszeichen sind sie den augures zu vergleichen,ohne gleich hohe Stellung: die (idviei? gleichen mehr denharuspices, haben aber eine höhere Stellung als diese. Insumma: das, was den Exegeten in Rom entsprach, war höhergestellt und angesehen, was den griechischen [xdviei? entsprach,war dort tiefer gestellt.In Inschriften aus Olympia, die Beule 1851 bekannt gemachthat,erkennen wir die Rangordnung unter den priesterlichenund religiösen Würden in Olympia:dsYjxoXoi 'OXufiicixoiO7uov8o


Stande war, die Mantik an sich zu ziehen, da sie doch erlernbarwarj auf diesem Gegensatz zwischen Priestern und|xdvT£i? beruhte es aber gewiss, dass das griechische Alterthumnicht pfäffisch war, nicht von einer Priesterschaft gedrücktund unterjocht wurde. Es war ein heilsamer Widerspruchzwischen den Vertretern der Religiösen: die Einen hattendas Alte, die mythischen grossen Ereignisse, die Andern dasNeue und auch Kleine: gefährlicher waren die (xaviei?, aberihr Beruf auch missgünstiger, bedenklicher angesehn [. . .].Die Skepsis gegen die jxdviei? unterscheidet die Griechengegen die Römer, sie sind nicht so ängstlich und peinlichbefangen im Anblick der gesammten Natur, obgleich die Elementeder Mantik beiden gemeinsam sind. Besonders widerwärtigdie Verquickung der Mantik mit der PoUtik! Undwiederum unterscheidet es das befangenere Sparta von andernStädten: hier wurde das politische Leben in wesentlichenPunkten von Himmelszeichen abhängig gemacht, die Ephorenwahlan Auspicien geknüpft, Traum gesiebter im Heiligthumder Pasiphae wurden geltend gemacht, um politische Massregelndurchzusetzen [. . .].Aus § 4. Die Orakelsänger xP^^i^H-o^^To^-Das sind also keine Zeichendeuter, sondern begeisterteMenschen, die direkt die Zukunft vorfühlen und anzeigen:selbst Zeichen und Deutung in Einer Person, an Ein Bewusstseingebunden. Sie sprechen IvOedCovis? „gottbegeistert". Ineiner Anmerkung wird xpr^ajAÖ«; im Gegensatz zu Bergk (Gr.L.-G. I 202), da „das Schreiben des Orakels jedenfalls etwasSpäteres ist, von ipana berühren, zu Leibe gehen, drängen,nöthigen, zwingen" abgeleitet. Apollo zwingt, bestimmt, dassdas und das geschieht, er sagt häufig, was der Mensch thunsoll.„Sich prophezeien lassen" ist „die Zukunft sich bestimmen431


lassen". xpv]a[ji6? ist „Schicksalszwang, Bestimmung". Das Orakelist ursprünglich nicht nur ein Wissen um die Zukunft,sondern ein magisches Erzwingen und Bestimmen der Zukunft.Später bleibt der schwächere Begriff allein in Kraft:so in 5(pT^a|xoX6Yoi.§ 5.Die Orakelstätten und die Vereinigung vonPriesterthum und Mantik.Unter den vielen Heiligthümern giebt es eine beschränkteAnzahl, deren Priester zugleich die dort lokalisirte Mantikin den Händen haben: an diesen Stätten kulminirt die Machtreligiöser Personen. Die Priester eignen sich entweder, wiein Klaros bei Kolophon, dann im Apolloorakel am BergePtoon in Böotien, das Weissageamt selbst an, oder sie wählendie weissagenden Frauen und deuten ihre Reden. Gewöhnlichversteht ja der Seher oder die Seherin selbst, in ihrerVerzückung, nicht, was sie sagt, sie bedarf der Deutung, Ordnung,Bindung der Worte. Sibylle, Mantis, Exeget, Priestersind hier zu einer religiösen einheitlichen Macht organisirt,welche im Verlaufe der Zeit immer mehr w^ächst: weil durchdie Tradition sich an solchen Orten eine Menge von Wissenum politische und private Verhältnisse und Verbindungenanhäuft, die das Rathgeben immer einflussreicher macht. Rathgebenunter der Form eines göttlichen Befehls oder Winkesist aber die Hauptthätigkeit der Orakel; Weisheit und Erfahrungder Priesterj die es ja ziemlich in der Hand hatten,ijüie sie unverständliche Laute und Reden deuten wollten (mitBenutzung einzelner Worte derselben zur Bilderrede), erstesFirforderniss. Man glaube ja nicht an ein völliges Bewusstseinüber die verübte Täuschung bei den hier thätigen Personen jdas richtige Finden eines Rathschlags unter schwierigen432


Verhältnissenerschien den Priestern selbst als Inspiration vonSeiten des Gottes, der ja 6 k^r^^r^xrlc, heisst. Dabei erfüllte dieGrossartigkeit der Aufgabe, welche sich Delphi (der 6\i^a\bc,T^? YY]?!) gestellt hatte, die Vertreterin der hellenischen Einheit,Führerin der Hellenen überhaupt zu sein, die Gemütherder dabei Betheiligten mit dem Schauer jeder grossen Mission:die ungeheure Aufgabe der griechischen Coloniegründung,die Ordnung des heiligen Rechts, Vermeidung von Religionskriegen,die Einrichtung der wichtigsten Verfassungen, dieMittlerstellung in einem höchst zwieträchtigen Volke, diepatriotische Vertretung desselben nach aussen, z. B. währendder Perserkriege — eine solche Last durch mehrere Jahrhunderteehrenvoll getragen zu haben, verdient gewiss diehöchste Bewunderung: und die Ehre bestand eben darin, dassdas Orakel währenddem für wab'haftig galt: multis saeculisverax fuisse id oraculum Cic. divin. i, 19, 38. Selbst nochThukydides, der ja sonst gegen Weissagung keineswegs gläubigist, tritt 2, 17 einem Orakel, das er als falsch verstanden betrachtet,nicht zu nahe, sondern kommt ihm durch verständigeAuslegung zu Hilfe. Es ist dcj^euBsoTaTov täv ird^Kov nachStrabo IX p. 542. Es kommen einige Flecken vor: dass diePythia einige Male bestochen worden ist, erzählt der sogläubige Herodot ganz ehrlich 5, 6y, (5, 66. Die Zeit des Verfallsbeginnt aber erst, als die Phoker an ihm den Raub begehenund dabei von Hellenen unterstützt werden, als diealte delphische Mission fürderhin unausführbar ist: die Pythiazum Parteiorgan wird, als die angebliche Vertheidigung vonDelphis Rechten der Haupthebel der macedonischen Politikwird: Demostbenes hat gesagt -^ Hudia cpiXiTUTriCsu Schon zuPyrrhus' Zeit hört die metrische Einkleidung der Sprüche auf.Zu Ciceros Zeit war es ganz verachtet. Nero entweiht es,unter Domitian heisst es Juven. VI $$$ Delphis oracula cessant:damals entstanden Plutarchs Schriften de defectu oraculorum28 Nietzsche V 433


und Tuepi tou \i^ j^päv i[i[i.^rpa vov tyjv Iluöiav. Constantin istder eigentliche Zerstörer des Orakels, er stellt das Standbilddes delphischen Gottes und den Dreifuss im Cirkus zu Konstantinopelauf.Das delphische Orakel hatte eine lange mythische Vorgeschichte:sicher ist, dass es erst spät apollinisch wurde. Daam Parnass der Dionysosdienst (der thrakische) älter ist alsder Apollodienst, so war es wohl einst ein Dionysosorakel,in der Art, wie ein solches die Sdxpai, das freie thrakischeBergvolk, besass, gelegen auf hohem Gebirge mit den Br^oooials den TrpocpTjxeüovTe; tou Ipoo und einer 7rp6(iavTic, welchenach Herodot prophezeit, wie in Delphi xal ouSev TcouiXwxepov.Deshalb nennt Eurip. Hekab. 1245 den Dionysos als den[xdvTi? für die Thraker 5 auch in Amphikleia in Phokis ist einDionysosorakel, der Priester ist zugleich Trpofjiavxtc. Nur Dionysosund Apollo haben die Macht, Menschen zu persönlichenWerkzeugen der Weissagung zu begeistern, Männerund Frauen in ekstatische Zustände zu versetzen. Man zeigtein Delphi das Grab des Dionysos und feierteeinen Todtenkult,die Ehren und Feste des Jahres waren zwischen beidegetheilt.Am Parnasse steigen über der Schlucht die Felsen senkrechtan, namentlich zwei nackte Kalkwände von ca. 900 FussHöhe, die


jverlor sich hier in die Erde: über der Mündung des Schlundesstand ein hoher tpiTCou? (zur Gattung der k[L^:up\^r^xa.l, nichtzu der der xpatf^pe? gehörig): auf diesem ruhte ein Beckenmit einer kreisförmig durchbrochenen Scheibe 5X{xo?. Ueberihm ist der Sitz für die Seherin angebracht. Vor demselbenstanden zwei goldene Adlerbilder, zu beiden Seiten desOmphalos (bedeckt durch das mantische Netz, ein bacchischesSymbol d'(pr^v6>f), eines kegelförmigen weissen Steines: derMittelpunkt der Erde, wo einst die Adler, welche Zeus ausOst und West ausgesandt hatte, in ihrem Fluge sich begegnetwaren.Die Pythia oder ElüOid?,nach Diodors Angabe XV 26 zuerstein junges Mädchen, dann aber, nach der Verführungdurch den Thessaler Echekrates, eine Frau über 50 JahreAeschylus und Euripides kennen sie bereits als YpaO;. LangwallendesHaar, der ärmellose langwallende Chiton, das mitLorbeerblättern besteckte Diadem entspricht dem ApolloKitharodos. Später waren zwei Pythien angestellt, die sicheinander ablösten, und noch eine dritte als Stellvertreterin.In der ältesten Zeit besteigt die Pythia nur einmal jährlichden Weissagestuhl, im Anfang des Frühlings, am 7. des MonatsB6aio? = riü&io? „Fragemonat". In der Heimat des griechischenApollo, in Lykien, schloss sich die Priesterin, wennsie das Nahen des Gottes glaubte, im Tempel ein, dies Ereignisswurde besonders an den Tagen erwartet, wo mandas erste Erscheinen des Gottes, seinen Geburtstag feierte:das ist namentlich der siebente des Frühlingsmonats Thargelion.Während der Wintermonate weilt der Gott bei denHyperboreern, da heissc es Pind. Pyth. IV 5 dTroBd{ioü AtcoXlu)vo?Tu^ovio?. Da regiert Dionysos in Delphi. In der Zeitder Blüthe waren aber nur wenige Tage in jedem Monateungünstig dTco^fpdSs?, an allen übrigen durfte sie den Tripusbesteigen, vorausgesetzt, dass der Gott es genehmigte. Mana8* 435


fragt durch Opfer anj Ziegen, Stiere, Eber bevorzugt. Warendie Zeichen günstig, so betrat die Pythia das Adyton, nachRäucherungen mit Lorbeer und Gerstengraupe, trank aus derKassotis, nahm Lorbeeren in den Mund und bestieg denmantischen Sitz. Ein Priester, der 7rpocp-/jTTr]? (Plat. Tim. p. 72,ja nicht [idvii? zu nennen! meist Doknetsch täv (jiavTeuofxevtov)stellt sich neben den Sitz. Man streitet, ob es einen odermehrere Tcpo^^xai gegeben habe (ursprünglich einenj als eszwei bis drei Pythien giebt, auch zwei bis drei Propheten);daneben die fünf lebenslänglich ernannten 5aioi, priesterlicheUnterbeamte neben den Propheten. Eigentliche Priester erscheinenurkundlich nur in der Zweizahl (ich denke,als Apollo-, der andere als Dionysospriester).der eineDie Befragenden(östopoi, öeoTcpöiroi) wurden nach dem Loose zugelassen, odersie hatten die 7rpo(jLavTsia (das Vorrecht, ausser der Reihedaran zu kommen, die Delphier ertheiltenzahlreiche Tcpofjiav-Tsiai z. B. an Crösus, an Philipp). Die Fragen wurden aufein Buchsbaum. täfeichen geschrieben, das bekränzt man mitLorbeer und reicht es der Pythia. Der Prophet bringt ihreAeusserungen in eine metrische Form. Strabo 9, 3, 5 sagt,dass die Aeusserungen der Pythia selber theils l(x{X£Tpa, theilsofiexpa waren j Dichter, welche dem Tempel dienten, hättensie immer in metrische Sprüche verarbeitet. Die nichtmetrischen,die wir bei Herodot finden, sind erst in Prosa übersetzt,vom Historiker. In der Regel Hexameter, doch auchelegisches Maass und Trimeter (z. B. aus Kyros Zeit eins beiHerodot i, 174; das auf Sokrates, welches Apollonius Molomit Unrecht angreift [SchoL] Ar. Nub. 144), Themis oder dieerste Pythia Phemonoe soll den Hexameter erfunden haben.Die Priesterschaft eignet sich die Kunstform des ionischenEpos an, d. h. die erste panhellenische Sprache: so schon inden Orakeln, welche Lykurg von Delphi bekommt. Nur diePythia spricht in Versen, im Namen des Gottes selbst,43d


deshalb begrüsst sie Lykurg e|i6v xaia iriova vr^ov. Der Prophetfügt Erläuterungen in Prosa hinzu. Die sogenannten spartanischenprixpai sind Erklärungen der delphischen Priester.Wir haben in Delphi einen ganzen Cyklus von mantischenKräften vereinigt: Baumorakel, Wasser- und Quellenorakel,Feuerorakel und Erdhauchorakel:die Sage legt dies alles historischauseinander. Als Gaea noch das Orakel besass, standein mantischer Lorbeer neben dem Erdschlundj sie ernenntdie Daphne zu ihrer Weissagepriesterin Trp6{jiavTi?. Musaeuserzählte in der Eumolpia, dass auch Poseidon mit Gaea gemeinsamBesitzer des Orakels gewesen, er habe durch denMund des Pyrkon, des Stammvaters der Ilupxooi {iC eixiruptüv|iavT£ü6(jL£voi) geweissagt, sie vaticinirten aus der Opferflamme,der Dreifuss als uraltes Geräth des Heerdes und Symbol desHeerdes gehört zu dieser Art von Weissagung.Das Wasser der Quelle Kassotis, die wie alle QuellenGeschenk und Erzeugniss des Poseidon ist, wird von derPromantis getrunken.Dazu kommt noch das Orakel mit Hilfedes Erdhauchs 7:vsu{ia (anheUtus terrae) aus der Kluft, zeitweiligein Traumorakel mit Incubation. — Die Gaea übergiebtdas Orakel der Themis, diese dem Apollon. Der Spruch,der als Wille und Gesetz des Gottes verkündet ward, heisstOsfxi?} die Uebergabe des Orakels an die Themis heisst soviel als: das Orakel bekommt eine höhere Mission, früherwar es da für vorwitzige Befrager der Zukunft: jetzt soll esgöttliche Satzungen verkünden öejiiaia?. So im Hymnus aufden pythischen Apollo 74 xotaiv U z ey«) vr^fiepiea ßouXyjvTräai Ö£jxvoTe6oi(Jii, ypscov evi iriovi vr^o». Mit Oe|xiax£? wird dasheilige Recht bezeichnet: das geht von Delphi aus noch vorder Besitznahme durch Apollo.Themis bleibt Orakelgöttin neben Apollo Pind. Pyth. 11, 9und der Erdnabel heisst dpöoSixr^?. — In Apollons Tempelgemeinschaftkommen allmählich die iiim blutsverwandte Leto437


und Artemis, ferner Athene irpovoia, sie hatte einen Tempelausserhalb des Peribolos. Dagegen ist die )\0-^v7j icpovaia eineStatue der Göttin vor dem Apollotempel innerhalb des Peribolos.[Andere Apollo -Orakel. Gaea, Here, Demeter, Fan,Glaukos, Herakles als Orakelgottheiten. Das Zeus-Orakel inDodona, Olympia j Trophonios.]Das Orakel des Amphiaraos in Oropus, wo Thebaner,Barbaren und Sklaven ausgeschlossen waren. Opfer undReinigungen vorher, zuletzt wird ein Widder geschlachtet,man breitet dessen Fell unter und legt sich schlafen in Erwartungeines Traumgesichtes: also 6xoi{jiTjOi


orakeln eher auszuschliessen, denn sonst hätte ja Tiresias'Seele auf der Oberwelt befragt werden können. Unverkennbarnach Homer ist erst gefabelt worden, Odysseus sei indas vexüofAavxeiov am Averner See gekommen. Strabo V p. 374.Ebenso wird Pausan. 9, 30 des Orpheus' Gang in die Unterweltals Todtenbefragung am'Aopvov in Thesprotien betrachtet.Das älteste Zeugniss für ein vexuofiavtetov ist Herodot 5, 92:Beschwörung Melissas, der Gattin Perianders von Korinth(am Acheron oder See "Aopvov in Thesprotien). Dann Plut.Cimon 6: Der Geist der von Pausanias gemordeten ByzantierinKleonike, der im vexuojjLavxetov von Heraclea berufenwird. Dann die den Spartanern vom Orakel auferlegte Beschwörungdes hingerichteten Pausanias j zu dieser werdenTodtenbeschwörer aus Italien herbeigeholt cpu^^Yrnyoi. EineBeschwörung, die nicht in den Anstalten vorgenommen ist,ist die des Darius durch Atossa, in Aeschylus' Persern.Namentlich als thessalische Kunst gerühmt Schol. Euripid.Ale. 1131. Auch die Beschwörer in Phigalia in Arkadienwerden von Pausanias befragt. Uebrigens hat man zu unterscheidenzwischen solchen Todtenorakeln, wo die Seele einesalten {i-dviic (wie Tiresias einst ein Orakel in Böotien hatte),eine mythische Person berufen wurde, und solchen,wo manjede beliebige citiren konnte. Das Mittel war theils Incubationmit Traumeinwirkung, theils Erzeugung von Hallucinationenbei Wachenden, jedenfalls mit Unterstützung vonhalbbetrügerischen Künsten.Religiöse Genossenschaften von Laien.Es wurde bereits erwähnt, dass Demos Phratrie und Genoszugleich neben ihrer politisch- socialen Bedeutung eine Bedeutungals religiöse Genossenschaft hatten, mit Cultus im439


eigenen Tempel und gemeinschaftlichen Mahlzeiten, zur Verehrungdes Stammgottes Oso? 7za-:pwoc, oder Heros. Nachdiesem Muster bildeten sich Vereine innerhalb derselbenoder verschiedener Geschlechter. Ursprünglich in Athen ausden Geschlechtern der opy^^iove? (eines der 360 Geschlechter)hervorgegangen, wie es scheint: bald wird der Name festzur Bezeichnung von Cultvereinen Phot. lex. p. 344 01 toi?ihioL dcpiSpuii-evoK; öeoi? öpYidCovie;. Dasselbe bedeutet auchöiaoÄiai, öiaotxai Mitglieder eines Thiasus (oder aiaop,wie die Lakoner sagen). Beide Namen deuten zunächsthin auf Culte orgiastischer Gottheiten, wie namentlich desDionysos 5 es ist wahrscheinhch, dass der X6aio? auch Veranlassunggab zu solchen Verbrüderungen, die über dieGeschlechtergrenze hinweggingen: späteraber hat der Namegar keinen Bezug mehr auf Dionysisches. Aus den verkehrreichstenStädten die meisten Nachrichten von Cultvereinen,z. B. in Delos, Rhodos. Der Anschluss an ausländische Gottheiten,mit Tempeldienst und Versammlungshäusern ist besondersin Hafenstädten begreiflich, in solchen Vereinenherrscht die Heimüchkeit. Im Piräus hatte die phrygischeGöttermutter ihren Tempel und ihre Genossenschaft, diesich Orgeonen und Thiasoten nennen, mit Fremden alsBeamten.Ebendort ein Verein der syrischen Aphrodite, deskarischen Zeus. Zu Ehren aller Heroen ein Verein täv'HpwioTÄv. Weil der 20. Tag jedes Monats dem Apolloheilig ist, so giebt es zu Oropos (auf der Grenze von Attikaund Böotien) t6 xoivov (Verein) täv EixaBewv, sie hielten am20. ihre Zusammenkünfiie. Die Schüler Epikurs, die denGeburtstag ihres Meisters jeden 20. feierten, Messen Eixa-Siaiai. Die sich zur Zeit des Neumonds versammelten,Noü|jiYjviaaiai. Zu Philipps Zeit gab es ein Collegium von60 Mitgliedern ysXiototuoioi, die sich zu Ehren des Heraclesim Diomeion zu Athen versammelten, berühmt durch seine440


Spässe, die Philipp aufzeichnen und mit einem Talent bezahlenHess. Dann das berüchtigte Collegium von jungenMännern zu Ehren des Ithyphallos, deren verderbte SittenDemosthenes geisselt. Als Thiasoten des Heracles erscheinendie Parasiten: der Archon ßaoiXeo; wählte aus jedem Gaue12 Vollbürger mit Reinheit der Sitten aus, welche an einembestimmten Tag allmonatlich im Heiligthum des Heraklesspeisten: Gegenstand der aristophanischen Komödie Aaixa-Xet?. — Thiasoten der Bendis auf Salamis. In Theben eineGenossenschaft zur Verehrung der Hesiodischen Musen tävaüv&uidu)v xav Mwaav xav EiaioBeiwv. Zu Haliartus eine o6vo5o?Tü)v xüvTjYÄv, Jäger, mit Artemis. [Folgen Notizen über verwandteVereine in Teos, Pergamon u. s. w.]AusserordentUcher Wetteifer in Freigebigkeit und Wohlthun,z. B. Bewirthung der ganzen Gesellschaft auf einenoder mehrere Tage, Leihen von Geld ohne Zinsen axoxo?,Einrichtung des Versammlungshauses u. s. w. — Auch Sklavenhaben unter sich religiöse CoUegien mit Unterstützungskassen,z. B. zu Rhodos zu Ehren des Zeus Atabyrius. In sehr bedrängtenZeiten reisst der Staat das Vermögen der Vereinesie erhalten dafür Monopole oder öffentliche Grund-an sich,stücke. Die genauem Nachrichten bei Lüders, Die dionysischenKünstler, 1873. Immer neues Material kommt herzu,z. B. pergamenische Inschrift Hermes 7 p. 39: Die pergamenischenRinderhirten ßouxoXoi hatten einen dem Dionysosals xaOY]YSjA(üv gew^eihten Mysteriendienst mit Aufführung vonMonatliche Versammlungen derHymnen und Chorgesängen.Hirten gabes auch in Lydien, in einer solchen erschien nachPlato rep. II, 359 der spätere König Gyges. Am wichtigstendie Vereine der dionysischen Künstler ol irepl xov Aiovuoovi^X^Xxai (scherzweise AiovuooxöXaxec). Der Moment, wo dieAusübung der Kunst Bedingung des Lebensunterhaltes wird,ist der V^endepunkt in der griechischen Schauspielkunst: eine441


Fluth von Künstlern kommt heran, gemischt mit Jongleurs,Zauberern, Wunderthätern: den Heeren Alexanders folgteeine unzählbare Menge der Art, als 'AXe$av8pox6Xaxsc, um densie sich wie um einen neuen Dionysus schaarten (so hattendie Athener ihn [Diog.] La. VI 63 genannt). Zu TheopompsZeit war auch Athen voll dieses Volkes, er stellt sie mitMatrosen, Dieben, Sykophanten, Meineidschwörern zusammen.Später wurde im Dionysischen Theater neben der Statue desAeschylus die eines berühmten Bauchredners aufgestellt. Beider um sich greifenden Verwilderung empfanden die grösserenStädte das Bedürfoiss, die Schauspielerthätigkeit und -Erziehungzu ordnen und die religiöse Bedeutung festzuhalten.So bildensich unter dem Schutz des Staates Collegien mit sakralemCharakter ouvoöoi (auch Upal ouvoBoi) täv Trepl xöv AiovuaovTtyyix&'i. War die Gesellschaft nicht für eine bestimmte Stadtconzessionirt, brachte sie das Jahr auf Wanderungen zu(Wandertruppe), hiess sie o6vo8o? TcepiiroXioTixT^,das AuftretenuTcoxptveaöai etcI $ev7j?. Die erste deutliche Nachricht giebtein Schreiben des Amphictyonenrathes an den Demos vonAthen, worin der Synodos athenischer Künstler Freiheitengarantirt werden: i. AsyHe und Steuerfreiheit^ 2. keiner wederin Krieg noch Frieden dienstbar, bei allen Hellenen j 3. unantastbarj4. niemand soll sie ins Gefangniss fuhren dürfen,es sei denn, dass sie etwas der Stadt schulden oder aufeigene Hand ohne Autorität des Collegs Schulden gemachthaben. Im entgegengesetzten Falle soll die ganze Stadtbüssen, in der an einem Techniten gefrevelt ist. — Als derAbgesandte des Mithridates, Athenion, nach Athen kam,gingen die dionysischen Künstler ihm entgegen, begrüssenihn als Boten des neuen Dionysus, ziehen darauf in ihrenTempel und bringen Opfer und Spenden dar. DionysosMelpomenos hatte einen eigenen Priester aus der Gesellschaft.In der Nähe des Tempels hatten sie ihr mächtiges442


Vereins- und Uebungshaus. In der hellenistischen Periodeist lonien das Hauptland der dramatischen Künste, bis tiefin die Kaiserzeit beziehen Griechenland und Italien von hierihren Bedarf an Künstlern. Hinterdrein kamen auch Pantomimikund Orchestik hier zu ihrer höchsten Blüthe. Dorthatte aber Dionysus wieder in Teos die glühendsten Verehrer,der Schutzpatron der Stadt, Cult der Gottheit heissthier so viel wie Verehrung des Dionysus. Drei Inschriftendes Vereins zu Gunsten von Mitgliedern aus der Zeit derEumenes IL und Attalus II. Da erfährt man, wie sie vonden Göttern, den Königen und allen Griechen geehrt werden,wie ihnen Asylie und Schutz im Krieg und Frieden gewährtwird, gemäss dem Spruch des Apollinischen Orakels [C.I. G.II30(^7 = Michel 1015, S.37— 41], „demzufolge auch die Frömmstenvon allen Hellenen dem Verein die Concession ertheilt, zuspielen an den Agonen des pythischen Apollo und denender helikonischen Musen und des Heracles, in Delphi an denPythien und Soterien, in Thespiä an den Museen, in Thebenan den Herakleen". Unter den Frömmsten der Hellenen hatman die Ispopf^fiovs; der griechischen Staaten zu verstehen,die sich zum Amphiktyonenrath in Delphi zu versammelnpflegten j diese Behörde hat also beim Gotte angefragt, welcheKünsder sie an den ihrer Aufsicht anvertrauten Festen auftretenlassen solle. Sodann bildet sich der Brauch siegreicherFeldherren, mit scenischen Agonen glückliche Erfolge zufeiern 5 vor Philipps und Alexanders Zeiten wissen wir nicht,dass Dramen auch an nichtdionysischen Festen Aufnahmegefunden hätten. Alexander benutzt sie zur Hellenisirungder Welt. Nach der Einnahme von Olynth versammeltePhilipp alle Künstler Griechenlands zur grossartigen Feierder Olympien. Alexander feierte zu Aegae die schon vonArchelaus (dem Gönner des Euripides) eingesetzten Olympienmit grösstem Pomp, auch hat er einen Agon zu Ehren der443


Musen gestiftet.Bei den Leichenfesten zu Ebren des Hephästionversammelte er 3oooTechniten, ebenso nach dem Siegüber die Perser und der Gefangennahme des Darius. Beiden Hochzeitsfesten in Susa traten der Reihe nach auf: öau-[jLGtTOTCoioi, ^ac|^({)Soi, cpiXoxiöapiaiaij xi9apu)0oi, auXtpSoi, auXTjxai,au)^Y]Tal jisxa täv j^opÄv, xpaycoSoi, x(o{i(o5oi^ ^aXxr^c,. Infolgeder Vereinigung scenischer und musikalischer Aufführungen anallen grossen Festen verbanden sich die scenischen Künstlermit den musischen, und der Name Dionysuskünstler kommtbeiden zu.|iouaix6;, öu(jLeXix6c, oxr^vixö? dywv ist eine allgemeineBezeichnung für eine Aufführung mit musischem und dramatischemSpiel. In Athen scheinen selbst später an den PanathenäenTragödien aufgeführt worden zu sein, vielleicht auchan den Brauronien. Jene ionische Wandergesellschaft erscheintbei der Feier der grossen nationalen Feste, die mitDionysus nichts zu thun haben (kurz nach 279 v. Chr.). DieSoterien wurden nach dem Brande von Delphi und derNiederlage der Gallier (279) von den Aetolern gestiftet inGemeinschaft: mit den Athenern, zu Ehren des Zeus Soterund des pythischen Apoll. Vier kürzlich gefundene Inschriftengeben Kataloge der da aufgetretenen dionysischen Künstler.Reihenfolge der Spieler in der ersten Inschrift: 2 fia^oihoi,2 xiOapiaiai, 2 xiOapojSoi, 5 TuaiSs? j^opsuToti, 5 avSps? j^opsuiai,2 aoXYjiai, 2 SvSdoxaXoi (d. h. auXTjtüiv), dann 3x3 TpayiüBoi mit3 Auleten und 3 Regisseuren (8i8daxaXoi) (d. h. jede aus 3 Schauspielernbestehende Truppe hatte i Auleten und i Regisseur),dann 4x3 Komöden mit 4 Auleten und 4 Regisseuren, zuletzt7 5^op£UTai x(o|i,ixoi und 3 tfiaiio|xia8ai (Kleiderverleiher).Die Rhapsoden wetteifern im Vortrag Homers oder aucheines neuen Epyllions (denn auch Dichter epischer Gesängesind in der Synodos). Merkwürdig, dass bei den Tragödienaufführungendie ganze Aktion auf drei Schauspieler beschränktist, wie ehedem, und dass kein Chor auftrat.444


(Vielleicht aber sind doch ausgewählte Chorpartien, z. B. ausEuripides, von einem Akteur recitirt worden.) Von Komödiennur Stücke der neuen Komödie, die keinen Chor kennt. Diesieben komischen Choreuten sind doch wohl Sänger undPantomimen, vielleicht um Zwischenpausen auszufüllen.Ebenso sind an den Pythien Dramen aufgeführt worden,Komödien und Tragödien. Aus den genauen Agoneninschriftenaus Thespiae, Orchomenos, Oropos und Aphrodisiasergiebt sich, dass es hier scenische Aufführungen gab.Man unterschied hier zwei Arten von darstellenden Tragödenund Komödenj einmal TpaytpSö? und xü)|x(p86? auch als Schauspielerder alten Tragödie und Komödie bezeichnet, dannneben dem Dichter neuer Stücke ein zugehöriger Schauspieler.Die erste Art tritt in alten, schon aufgeführtenStücken auf (sei es nun Euripides oder Menander u. s. w.),die andere führt die neuen, für das Fest eigens verfasstenKomödien und Tragödien auf. Im Ganzen wird wohl imVergleich zur athenischen Choregie, die ungeheure Summenkostete, die Ausstattung in der griechisch-römischen Periodedürftig gewesen sein. Das Verzeichniss der Künstler an denSoterien giebt einen üeberblick über die Herkunft der Technitenaus Teos; sie sind überallher zusammengeströmt: 53 Orteund Gegenden sind vertreten. Am meisten sind dabei Athener,Argiver, Arkader, Böotier, Sikyonier, Megarenser.III. Die religiösen Gebräuche.§ I.Die Reinigung, xdOapaic, lustratio (suffimentum,expiatio, purgatio).Nur der gereinigte Mensch darf dem Heiligen sich nahen,darf Gebet und Opfer verrichten. Deshalb selbst das Waschen445


der Hände vor jeder Mahlzeit, weil diese mit dem Paanbeginnt. Den Pythagoreern war es verboten, das Bild einesGottes im Ringe an der Hand zu tragen, weil die Handallerlei Unreines berühre. Hipp, de morbo sacro 2 sagt:„Wir weisen deshalb den Göttern die Grenzen der Hieraund Weihebezirke an, damit sie niemand überschreite, wenner sich nicht geweiht hat, und beim Eingehen waschen wiruns, nicht als ob wir eine Blutschuld auf uns hätten, sonderndass, wenn auch von früher her irgend ein Makel auf unshaftet, wir uns von demselben befreien." Die Gegenwarteines Beflecktenverunreinigt und entweiht die heilige Stätte.Das bedeutsamste Mittel ist der Gebrauch des lebenden,fliessenden Wassers, das durch einen Zusatz von Salz gereinigtwar, namentlich des Meerwassers.^) Es war eine der schrecklichstenStrafen, wenn jemand das Weihewasser verbotenwurde, weil er ohne dieses nicht einmal beten konnte. Die,welche mit Blutschuld oder Atimie beladen sind, dürfenweder zum Tempel noch zum Opfer kommen, sie dürfendas Weihwasser nicht nehmen, aus den Krateren den heiligenOpferwein nicht schöpfen. Selbst die Priester müssen sichder xdöapai? unterziehen und bei ihrem beständigen Verkehrmit der Gottheit sich rein erhalten, als ein lebender Tempelund ayaXiia der Gottheit. Bei Demosthenes c. Androt. in fine(§ 78) „Wer in ein Heiligthum gehen, am Weihwasser theilnehmenund die Gefasse mit anfassen will, in denen : dasSalz und Schrot liegt, womit das Opferthier geweiht wird,ja, wer sogar Vorsteher des Gottesdienstes sein will, der sollsich nicht nur bestimmte Tage, die der Feierlichkeit vorangehen,aller sinnlichen Befleckung enthaltenj ein täglichesBad gehört zu seiner Disciplin. Die Besucher des delphischen*) Eur. Iphig. Taur. 1193: OiXaaaa xXuCet itavTa Tttv^^ptuircav xaxi. Sprichwörtlich:irT]6a>a'oo a^voTepo; • IttI täv ayvüi; ßeßKüxoTtuv.


Tempels baden erst in der Kastalia, ehe sie zum Peribolosgehen. Nach Paus. X 34 badet der Priester der Athene sichtäglich in einer Wanne. Auch reine Fussbekleidung wirdverlangt. Die Tempel liegen stets in der Nähe von fliessendemWasser, von dem aus leicht Röhrenleitungen in dasHeiligthum geführt werden können j oft sind die Quellen imTempel selbst j oder es giebt Wasser tragende JungfrauenXouxpocpopoi, epoT^cp6poi, die 30 Lykiaden zu Sparta, welche täglichfrisches Wasser holen, namentlich für das Weihebecken(TCspij5|iavf^piov). Man hat zu unterscheiden: i. die wirklicheReinigung durch ein Bad; 2. die andeutende Reinigung durchBesprengen mit Wasser aus dem Weihbecken.')Der andere Theil der xd&apai? ist die Raucherung mitWeihrauch, duftendem Holze, Pflanzen, welche dem Gottheihg waren, Schwefel und Pech: und zwar Räucherung desTempels, des Opferplatzes, der Prozessionswege und derPersonen: alles soll von jedem unreinen Gerüche befreitwerden. Dass es die ursprüngliche Absicht war, die unreine,dicke Luft zu verdünnen, geht aus Plutarchs Abhandlungüber Isis und Osiris hervor, wo ausführlich darüber geredetwird und ausser dem Holze der Cypresse, der Kiefer unddes Wacholders das Recept für die Anfertigung des berühmtenägyptischen Kyphi gegeben wird. Dazu gehörtevielleicht einst das Anzünden grosser Feuer in den Städten,um die Pest zu vertreiben. Oed. Tyr. 213 rufen die Thebanerin der Pest den Dionysos herbei: „Komm und verbrennemit der Fichte Gluth den alles verderbenden Gott." BeiDionys. Hai. I 88 lässt Romulus das ganze Volk über angezündeteFeuer springen. Also der reale Grund dort, dassdas Harz und Schwefeldämpfe die schädliche Luft, sowie die^) Das Wasser selbst wurde gereinigt, indem man Salz hineinwarf oderAsche. Bei dem Opfer tauchte man Feuerbrände vom Altar in das Wasserdes Weihebeckens.447


Gegenstände, die mit unreinem Gerüche gefüllt sind,daher Symbol im Kultus.')reinige:Die dritte Art der Reinigung ist die durch die Luft. Serv.zu Virg. Aen. VI 740; triplex est omnis purgatioj nam auttaeda purgantur et sulfure aut» aqua abluuntur aut aere ventilantur,quod erat in sacris Liberi. Ikarus, der erste Weinbauerdes attischen Landes, wird von den trunkenen Landleutengetödtet. Seine Tochter Erigone erhängt sich aus Kummerdarüber. Die Mörder des Ikarus werden damit bestraft, dassDionysus eine eigenthümliche Todessucht über das Landschickt. Alle Töchter des Landes ergreift die Manie, dieErigone zu sühnen und sich gleich dieser an Bäumen aneiner Schlinge (aiu>pa, oscillum) aufzuhängen. Dies geschahso lange, bis man die Mörder des Ikams ergriff und tödtete.Der Gott hatte somit selbst die Manie der aiwpa angegebenals Mittel der Sühnung: Gleiches durch Gleiches! Wie seingeweihter Priester die Tochter verloren hatte, so sollten alleVäter des Landes ihre Töchter verlieren, bis Busse für denunschuldig gemordeten Vater gegeben ist. Die Sitte der Aiorablieb bestehen als simulatio, indem an Stelle der Menschenleibermenschliche Bildchen, Puppen aufgehängt wurden,stellvertretend. Man gab statt Leib und Leben wenigstensScheinleib und Scheinleben. Die Oscilla wurde ein Symbolder Sühne wie der Abwehr von Manie, Verderben und Pest.Reinigung mit dem Kehrbese?i, namentlich dem Lorbeerbesen,mit welchem der Opferplatz und Fussboden desTempels wie der Häuser gereinigt werden. So werden anden Palilien zu Rom alle Häuser und Höfe, Opferplätze und^) Der Grund hier: Reinigung durch Verbrennung des Schädlichen oderwenigstens Andeutung der Verbrennung, worauf ich beim Opfer zurückkomme.Auch giebt es noch eine Reinigung durch Feuer als Trocknung;z. B. Apollo als Sonnengott reinigt eine Gegend, indem er sumpfige Niederungentrocken legt.448


Herde in Stadt und Land mit Opferbesen abgefegt, alsdanndurch R'aucherung und Weihesprengen mit Lorbeerwedelwieder neu geheiligt. In Athen stellte m.an vor den Häusernder Eupatriden als Zeichen ihrer Macht, apollinische Sacraauszuüben, an den Ephebien der Söhne und Töchter neue,mit Binden gezierte Lorbeerfeger (xopuödXr] oder xopudaXU,der sündenabfegende Wedel) auf,vor der Thür des Hauses.Es ist das Wahrzeichen der erblichen, auf den ionischen Eupatridenfamilienruhenden Eigenschaft als apollinische Sühnerund Reinigerj von ihnen dürfen die xaöapiiot des Apollo ausgeübtw^erden.Der Lorbeerwedel w irdmit der Reinigung durch Wasserzusammen benutzt als Sprengwedel. So sprengt Apollo aufalten Bildwerken das Lustralu asser mit Lorbeerzweigenüber Orestes 5 sein Prophet Branchos befreit die Milesiervon der Pest, indem er dem Volk mit Lorbeerzweigen dieSprengweihe giebt, Sühnelieder dabei singend. Der Schlagmit dem Wedel bedeutet für sich allein das Abwenden einesbösen Geistes durch Schläge: dies wird verstärkt durch dieBesprengung des Gegenstandes, der von ihm besessen ist,mit Wasser: so dass jener jetzt hier als an einem reinen Ortenicht mehr hausen kann. Denn dies ist die uralte Vorstellungfür alle Reinigungsgebräuche: ein Ort, ein Ding, das unreingeworden ist, wird von einem unreinen, bösen Wesen soforteingenommen j die Gottheit, welche verunreinigt wird (durchBesudelung ihres Tempels, ihrer Diener, ihrer Besucher),verwandeltsich in ein schädliches, böses, unreines Wesen. DieReinigungen sind in Hinsicht auf die Gottheit erfunden, nichtin Hinsicht auf den Menschen jaber später tritt dieser Gesichtspunktimmer mehr zurück.')^) Der Gegensatz in Soph. Antig. 997: Die Götter nehmen kein thebanischesOpfer mehr an, weil die Altäre befleckt sind mit Stücken vonPolyneikes' unbegrabenem Leichnam, welche von Hunden und Vögeln29 Nietzsche V 4^49


Als Beispiel einer sehr vollständigen Reinigung cf.:TheocritIdyll. 24 V. 88 SS. (Ausg. v. Ahrens Id. 19, S. 41 V. 6$ ff.):Der kleine Herakles tödtet die Schlangen, Alkmene ruft denTiresias und begehrt Deutung des xipac,, er giebt sie undbefiehlt i. Feuer- xd^apai? (V. 86 ff.). Um Mitternacht sollendie Schlangenleiber verbrannt werden auf Reisig von Hagedorn,Wacholder, Brombeer. Ein Diener soll die Asche davonüber den Fluss tragen und eine steile Klippe hinunterwerfen(wie alle xaödp|i,aTa entweder vergraben oder weggeworfenwerden) und dann, ohne sich umzusehen, heimkehren (symbolisirtvölliges Beseitigen eines Feindes). 2. Räucherung desganzen Hauses mit Schwefel (deiov; so heisst auch der Blitz).3. Besprengung mit reinem Wasser aXeoai |ie|jliy|X£vov, w? vevo-(xiaxai, und zwar 4. mit einem Wedel, von Laub umhüllt.Darauf kommt dann dasund dasGebet.Opfer (männliches Ferkel für Zeus)Seltener ist die Reinigung durch den Schall von Erz (6yaXxocgilt als äTTsXaaxixoc täv |xiaa(idTU)v), Schellen und Pauken jvielleichtphrygisch. Fraglich, wie die Eier zur Lustration verwandtwurden, was doch mehrfach bezeugt ist (ich denkean den Schwefelgeruch alter, harter Eier). Mehrfach kommtdas Ruhen auf heiligen Zweigen vor zur Bezvahrung der Reinheit,z. B. der Weiber, welche die Thesmophorien feiern.Es waren Weidenblattzweige (Keuschlammbaum) Xo^o? oderayvo?. Die unfruchtbare Weide stand im Rufe, die Abstinenzzu befördern; ayvo? weist auf dyveusiv, in casto esse, hin. Dadie Thesmophorien in allen Gebräuchen eine Darstellungdes Trauerlebens und der Fasten der Demeter waren, somuss die Sage überliefert haben, dass die Göttin währendauf Lygosblättern unter freiem Himmel Tag unddieser Zeithingetragen wurden Kreon aber sagt (V. 1039 ff.), er zittere nicht vor derBefleckung, wenn die Adler Stücke des Leichnams zu Zeus Thron emportrügen,„Ott ösou; [xtai'veiv ouxt; avOptbztuv aöevsi" (V. 1044).450'


Nacht geruht habe.Die Mysten benutzten die Blätter der Erikazum Streulager in gleicher Absicht. — Was verunreinigt alles?Der Beischlaf: selbst dem häuslichen Heerde darf man sich nachHesiod nicht ungereinigt nahen. Die Schwangerschaft: weshalbvon Delos und dem Asklepiosheiligthum in Epidaurosschwangere Frauen weggeschafft werden mussten. Die Wöchnerinist 40 Tage unrein, das neugeborene Kind bis zumsiebenten oder neunten Tag. Die Berührung oder Nähe vonLeichen (Reinigung von Delos j Thucyd. III, 104): deshalbwurden Sterbende von gewissen Heiligthümern entfernt. BöseTräume, Krankheiten, Pest, Geisteskrankheit, gleichsam alsWirkungen verunreinigender Geister, die man fortzuscheuchenhat. Öuaiai aTcoipÖTcaioi fallen oft mit xadapfioi zusammen. ImHeiligthum istselbst auszuspucken oder die Nase zu reinigenverboten. Ebenso mit dviTUToi«; yspaiv zu opfern (Hesiod "EpyaV. 725).Die Reinigung des Mörders (hier ist die Befleckung amgrössten): entweder mit Bltit oder mit Wasser. Die Blutreinigungdoppelt, indem theils Thier- (namentlich Schweins-)Blut, theils das Blut des Gemordeten selbst dazu verwendetwird. Aesch. Eum. 449: „Der Mörder muss so lange schweigen,bis ihn durch eines andern Mannes Dienst die Schlachtungeines säugenden Thieres mit Reinigungsblut beträuft." Diesist cpovo) cp ovov exviTCTsiv. Nach ApoUonius Argon. 4, 705 wirddies Blut mit andern Flüssigkeiten abgewaschen, und dieseX6|jLaia werden aus dem Hause getragen, den Beschluss machtein Brandopfer von Opferkuchen und dergleichen {isiXiYiAaia,ohne Weinspende und mit Anrufung des Zsu? xaOdpaio«;.Dabei wurde häufig ein Fell benutzt: A16? xuiöiov, das einesdem Zeus geopferten Sühnewidders j der zu Reinigende tratmit dem linken Fuss darauf, während der Reinigungsaktmit ihm vorgenommen wurde; wahrscheinlich wurden diexai^djOfxaxa (die abgespülten Verunreinigungen) auf das Fell29» 451


gesammelt und dann beseitigt.Dies der alte Begriff von aTco-Sioiro[iTC£i(30ai, dann übertragen gebraucht von denen, welcheunter Anrufung des Zeus das Schlimme hinwegthun oder-wünschen/) Zuweilen versuchte der Mörder gleich nach vollbrachterThat sich selbst zu reinigen; er schnitt dem GemordetenStücke von den Händen und Füssen und bandihm diese unter die Achselhöhle (fiao^aXir]), daher (laoxa^^Ceivjdann Kosten und Ausspeien des Blutes, Abstreichen desSchwertes am Haupt des Feindes.Als Zweck wird im Schol.Soph. Electra 439 angegeben: iva daOsvv]«; y£^'o'-''^o (^ aTro&avcbv)Tzpbc, t6 dvTiTiaaaOai tov cpovea, er ist so verstümmelt, dass erauch im Tode sich nicht mehr helfen kann. Auch kann manan einen Versuch denken, des Blutes, mit dem man sich befleckthat, ledig zu werden, ja, es auf den Gemordeten zuübertragen.')Dann die xdöapait; ai(idT(i)v mit fliessendem Wasser. „Fürden, der Frauengemächer erbricht, giebt es kein dxo?. AlleStröme zusammenfliessend würden vergebens mit reinigendemWasser fliessen." (Choeph. 71 ff.) „Es giebt für Nothzucht,Ehebruch der Frau, Brudermord, Kindesmord, Verletzung desSchutzflehenden, Frevel gegen die Gottheit keine Reinigung.^)') Es gab bestimmte Gewässer, in welche man die xaöapaia warf, z. B.den lernäischen Quell, daher sprichwörtlich AepvT) xaxtöv. Oder sie wurdenverbrannt, und zwar mit Holz von Unglücksbäumen (aYpia cüXa).^) Ein Nebenmotiv deutet Aeschylus Choeph. 440 an: |x6pov xr^aai fxü)-[j-eva äcpepTov alwvi aio, durch äusserste Beschimpfung sollen die nächstenBluträcher zum Selbstmord getrieben werden.3) Also namentlich unsühnbar war, wer vorsätzlich schnöden Mord,Schändung des Asylon, Tempelraub begangen; die Schuld blieb auf ihmhaften, da er nicht gereinigt werden konnte. Es fand sich nämlich niemand,der ihn reinigen und sühnen mochte. Daher barg selbst der Bach Helikonsein Wasser unter der Erde, um es nicht zur xadapcric herzugeben, als dierasenden Weiber ihre mit dem Blut des gemordeten Orpheus beflecktenHände in ihm waschen wollten. (Paus. 9. 30.) Die alte Mordsühne verlangteinen angesehenen Mann, an dessen Herd sich der ixirri^ mitdemüthiger Geberde setzt, wie Adrast bei Herod. i, 36.


In anderen Fällen ist Reinigung durch Wasser möglich, wienach der Sage die Trözenier zur Reinigung des Orestes unteranderem das Wasser der Hippokrene benutzt haben. DieWirkungdes {xiaa(ia ohne Reinigung ist: i. es raubt dem Mörder das lichteBewusstsein (Schilderung am Schluss der Choephoren), -capaY-{Ji6? fällt k cppevac, öfters wird ßa/^eusiv übertragen gebrauchtvon der wahnsinnigen Erregung des Mördersj 2. schadet erdurch Berührung den anderen wie ein Verpesteter. Orest schliesstauf seine wirkliche Reinigung daraus, dass er (Eum. 285)TToXXoi? TTpoa^Xöev apXaßst ^uvouoicf. Vor Athene tretend suchter die Göttin zu überzeugen, dass seine Nähe, seine Personnicht mehr verpestend wirkt, dass er nicht mehr als einTTpooTpoTraio? erscheine, der erst gereinigt werden müsse; daskönne sie schon daraus abnehmen, dass er nicht mehr zumSchweigen verurtheilt sei, sondern langst schon Erlaubnisszu reden habe. 3. Das (iiaa|ia schliesst von jedem Gottesdiensteund menschlichen Verkehr aus: noch stärker Kreon,Oed. rex 1422 ff., das ayo? des Oedipus verunreinige sogardie Erde, die Sonne, das Licht, den Regen und müsse deshalbim Hause verborgen werden (während Oedipus selbermeint, seine Sünde sei zu gross, als dass sie sich anderenmittheilen könne, er allein sei im Stande, sie zu tragen). Sogeht der Mörder ins Ausland, schweift im Gebirge herum.Er erhält kein Grab, wenn er innerhalb der Grenzen desVaterlandesstarb.Häufig fallen Reinigung und Sühnung, iXaa|x6?, auseinander;ein Frevler wie Orestes kann gereinigt sein und ist dochnicht gesühnt, kann allen Strafen noch unterworfen sein;der noch nicht Gesühnte wird von den Erinyen verfolgt.Das Opfer bei dem lXaaji.6?, das Ix&uaaoöai t6 ayo? (Herod.VI, 91) enthält keineswegs eine Stellvertretung durch dasOpferthier. Es ist zu muthmassen, dass ursprünglich alleSühnegebräuche den Gottheiten der Erde und Unterwelt453


gelten, zu welchen auch Zeus als (leiXi^^io; Xacpuoxio? cpu^io?und Dionysos gehörten. Später sammeln sich alle SühneundReinigungsgebräuche um Apollo, der die dionysischeniXaofjLoi erbt. Dem Wesen nach gehören die Ouoiai aTroxpoTraioi,d7roiro[jL7raij Upd (jL£iXi)(ia xai 7üapa(x6i}ia zu den IXaafioi, indemsie künftigem Unheil vorbeugen sollen 5 deshalb entfernteman das Opferthier als das mit dem Unheil beladene vonsich und vernichtete es. Sie werden bei Nacht gebracht, denaTuoTpoTuaioi oder {jisiXi^^ioi Oeoi, speziell dem Zsüs |xeiXij(ioc,[jiai[xdxTTjC und dem Apollo dXs^ixaxo? iraidv, vor allem denchthonischen Gottheiten und den Erinyen. In Attika sindes die Phytaliden, die solche Reinigung und Sühnung vollziehen,so an Theseus schon 5 dies geschah auf dem Altardes Ztuc, xaOdpaioc In der lokrischen Inschrift von Naupactuswerden zwei Classen des lokrischen Volkes (Oepuoöapiai undMusa/ei?) genannt, vielleicht zwei grosse Geschlechter, diein verschiedenen Ortschaften des Landes ihren Sitz hatten.Dass sie begütert sind, ergiebt sich daraus, dass bei ihnenund nur bei ihnen neben dem Besitz in Naupactus auchder im hypoknemidischen Lokris erwähnt wird 5die richtigeLesung der Stelle zuerst durch Vischer Rh. M. 26 ip. 20 [58]gefunden, die Deutung der Namen durch mich: irspixoOapiaidie Reiniger; denn die Dorer sagen xodapo? für xctöapoc,[iuaaiBlc, =- (xuoaxsic, die „Blutschuldheiler".Nach der Sage vollzieht Zeus an Ixion die erste Reinigung,für den Mord an seinem Schwiegervater Airjioveu?, und lehrtihn die Weihe der xdOapai?. Zuerst erwähnt ist die xdOapai?bei Hesiod im xaTd^oyo? (Schol. II. II 336), dann bei Arctinus,Reinigung des Achill durch Odysseus auf Lesbos vomMord des Thersites; hier ist schon Trennung der hilastischenund der kathartischen Gebräuche. Apollo selbst unterzogsich nach der Tödtung des Python auf Befehl des Zeus derReinigung zu Tempe (oder Kreta). Herodot bemerkt, dass454


die lydischen Reinigungsgebräuche den griechischen ganzähnlich sind: Thraker und Lyder sind aber ganz eng verwandt;es muss wohl besonders durch den Einfluss derthrakisch-orphischen Religion das tiefere Bedürfniss nach Sühnungund Reinigung verbreitet worden sein. Aristoph. ran.1032 „Orpheus gab uns heilige Weihen und lehrte den Mordzu verabscheuen". Die Begriffe ayo;, (luao?, ixiaojia findensich in llias und Odyssee gar nicht. Das rehgiöse Motivexistirt für Homer nicht,dass der Mörder für unrein gehaltenwird, der, wenn er das Land nicht miede, die Strafe derGötter auf sich und die, mit denen er verkehrt, herabruft.Die Bestrafung des Todtschlägers liegt lediglich den Blutsverwandtendes Erschlagenen ob; es giebt eine Art Blutsühne,der Mörder muss den Angehörigen des Ermordeten eineBusse zahlen, sonst muss er das Land meiden, wenn er dieAngehörigen nicht versöhnt. Hartnäckige Unversöhnlichkeitderselben wird gemissbilligt.Die homerischen fünf Beispielegeben keine Möglichkeit aufzuklären, ob man einen Unterschiedzwischen absichtlicher und unvorsätzlicher, erlaubterund unerlaubter Tödtung gemacht habe, und ob es derWillkür der Angehörigen überlassen war, sich durch einSühnegeld abfinden zu lassen. In Athen war später dieTödtung erlaubt gegen den Buhlen, den Dieb, der Nachtsmit Gewalt ins Haus dringt, den durch das Gesetz für vogelfreiErklärten. Bei unabsichtlichem Todtschlag Verbannungzeitweilig: dTCsviaDTiajxo?, mit Reinigung vorher und nachher.Eine sehr alte Form der Sühnegebräuche zeigen peloponnesischeOrestessagen. Sieben Stadien von Megalopolis, zurLinken des Wegs nach Messene, stand ein Heiligthum derErinyen, die hier den Beinamen Maviai trugen, weil an dieserStelle Orestes vom Wahnsinn ergriffen worden war. Gingman weiter, traf man auf das Fingermal, SaxxuXou [ivv^fA«, woder wahnsinnige Orest sich einen Finger abbiss. Dieser steht455


aus Stein gebildet auf einer massigen Erdaufschüttung. Benachbartein zweites Heiligthum der Eumeniden, welches"AxY] hiess; hier fand er Heilung von seinem Wahnsinn. Esfolgt ein drittes Tempelchen, der Name im Text ausgefallen.Dort schor er den Göttern sein Haar. Während seinesWahnsinns erschienen ihm die Erinyen schwarz.Als er sichden Finger abgebissen hatte, nahmen sie diese freiwilligeStrafe als Sühne an und erschienen ihm weiss. Den erzürntenGöttern opferte er, wie man den unterirdischen Göttern zuopfern pflegt (ev^Yioev ist der rituelle Ausdruck), um ihrji,-^vi(i.a (das von ihnen ausgehende Zürnen) abzuwenden.Nach der Sühne brachte er ihnen Opfer nach Art derjenigen,die man den oberen, den olympischen Göttern darbot: dasist eigentlich öueiv. Zugleich mit den Furien wurde denChariten geopfert, um die Wandlung der Erinyen in Eumenidenals jap^^, den Ausdruck huldvollen Gewährens, zubezeichnen. — Zu Kerynea, östHche Küste von Achaia, hatOrest den Furien ein Heiligthum gegründet, nachdem er siezuvor durch das Opfer eines schwarzen Schafes aus Erinyenzu Eumeniden gemacht. Wenn jemand, der einen Mord oderein Vergehen gegen die Pietät auf dem Gewissen hatte,ihren Tempel betrat, so wurde er von Wahnsinn befallen.*)Die Eumeniden zu Kolonos wurden auf diese Weise verehrt.Im Heiligthum standen Mischkrüge, die man mit Wasseraus einer heiligen Quelle füllen und mit wollenen Fädenumwinden musste. Darauf spendete man dreimal aus diesendrei Krügen, gen Osten gewendet} und zwar musste manden dritten ganz ausgiessen. Dieser dritte war nicht mitreinem Wasser gefüllt, man mischte Honig hinzu, Wein") Ein guter Theil der Sühnegebräuche sind die Gebräuche, mit denenman den Zorn der Unterirdischen beschwichtigt, also eine spezielle Artder Todtenopfer, oder der chthonischen Gottheiten, der Erinyen namentlich(der Personifikation des „Zornes", Ipivueiv).45^


aber nicht (weil dies ein aufregender Trank ist). Alsdannlegte der Schutzflehende dreimal neun Oelzweige auf denBoden, und nachdem er mit leiser Stimme ein Gebet gesprochen,entfernte er sich, ohne zurückzublicken. Man bedientesich der Oelblätter und des Honigwassers, um dieerzürnten Gemüther der Gottheiten zu beruhigen (|ieiXiY(xaTa,(leiXixipa, [ASiXi^ia Suipa, d. h. jieXi, auch jJieXo? ist wohl ursprünglicheinBesänftigungslied).§ 2.Bekränzung und Verwandtes.Allem Opfern und feierlichen Beten zu Ehren olympischerGottheiten geht ausser der Reinigung auch die Kränzungzuvor.') atecpavoi werden als aYyeXoi eucpYj(Jiia?, „Herolde, welchedas Gebet hinauf zu den Göttern tragen", „Boten der andächtigenStille" bezeichnet vom Dichter Chairemon. Es isteine grosse Ausnahme, dass man den Chariten auf Farosohne Kranz opferte, ebenso ohne Flötenbegleitung. Ausführlichwird bei Athen. XV 67^ darüber gehandelt. Im allgemeinendient das der Gottheit geweihte Gewächs zum Kranze:dem Zeus und der Athene Oelzweige jEpheu und Weinrebedem Dionysos, die Aehre der Demeter, die Myrthe derAphrodite, Narcissenkranze für Dionysos, Rosen der Aphrodite.Nach Paus. II 17, 2 bekränzt man sich mit Asterion,wenn man den Tempel der Hera betrat. Kränze aus Kosmosandalonim Tempel der Demeter und bei der PompePaus. II 35. Beim Feste der Demeter Blumen anstatt der LaubkränzePaus. II 4. Weil man Herz und Sinne zum Gottesdiensteheiligen musste, bekränzte man nach Aristoteles dasHaupt, den Sitz der Empfindungen, und die Brust, weil dort^) Bei Homer zwar sehr selten bemerkt; man hatte sogar im Alterthumbehauptet, dass Homer ouSe aTe'-pavou[Aevou; tcoieT (Athen. I 107).457


das Herz sei. „Von Unbekränzten wenden sich die Götterab," sagt Sappho: dais^avcüToioi S' aTroatpef^oviai. Fiel einemOpfernden der Kranz vom Haupt, so bedeutete dies einungünstiges Opfer. Wie die Binde aus Wolle, so ist derKranz ein uraltes Symbol' der Verbindung mit der GottbeitjZweig und Kranz nehmen heisst sich in Verbindung mit derGottheit setzen. Kranz und <strong>Band</strong> sind ganz synonym, derLorbeerkranz heisst auch „Binde": xaivla, axecpavoc Sdcpr/]?£pio> o£5£|j.£voi;. Er ist das unerlässliche Zeichen jedes Gottesdienstesj das solonische Gesetz schloss den Uebelthäter ausder religiösen und poHtischen Gemeinschaft dadurch aus,dassdie Richter ihm verboten, einen Kranz zu tragen. Wer denZweig des Baumes tragt, der ursprünglich der Gottheit Ebenbildwar,') ist Träger des heiligen Zeichens^ weil die Bindedas noch ältere Zeichen jeder Consecration ist (zum Eigenthummachen), ist kein Kranz oder Zweig ohne Binde. DiePerson, welche diese Zeichen trägt, ist unverletzlich. Demostheneserhebt die schwerste Anklage gegen Meidias, weildieser ihn geschlagen hat, als er, der Ausrichter dionysischerSacra, den Kranz auf dem Haupte trug. Nachdem EpimenidesAthen durch Rath und Gesetz (Reinigung) gesühnt und geheilthatte, erbat er sich als Gotteslohn den Kranz von demheiligen Oelbaum der Athene, d. h. Unantastbarkeit für immer.Nach der orphischen Geheimlehre konnte ein jeder unangetastetin die Behausung der Persephone kommen, sobaldereinen Zweig von dem Tempelbaum dieser Gottheit tragenwerde. Nach Plinius lö, 4 kommt der Kranz ursprünglichnur dem Gotte zu, es ist das Zeichen des Gottgleichseins.Dem Sieger in den heiligen Spielen von Olympia z. B. kommtder Kranz zu als eine vorübergehende Manifestation desHeracles, wie er auch als xaXXivixo^'Hpctx^? angesungen wurde.^) Der Zweig, welchen jeder Myste trug, hiess Bäxyoc, wie der Gott;Schol. Aristoph. equ. 408.458


Deshalb ist es Sitte und Pflicht, dass die Kränze der Siegernachher dem Gotte geweiht werden, es ist Heiligthumssch'andung,wenn Nero seine zu Olympia gewonnenen Kränzestatt im Capitolinum in seinem Schlafgemach aufhängt. —Weder das Opferthier, das man schlachtet, noch irgend eineWeihegabe ist ohne Zweig und Kranz zu denken 5selbst dieKörbe, in welchen die Opfergeräthschaften liegen, die Gefasse,aus denen man die Spende giesst, Tempelherd und Altar.Die Götterbilder oft so mit Kränzen umhüllt, dass man siekaum zu erkennen vermag, wie z. B. das Bild der Ino imTempel bei Thalamai Pausan. III 26. Auch die Schifl^e, welchePompen und Theorien nach einer Cultusstätte führten, PlatoPhaed. 58. Das A^ordertheil des delischen Festschifl^es wirdvom Priester des Apollo bekränzt. Man kränzt ebenso Thiere,Geräthe, Schmuck, Kunstwerke, alles was als dva^r^fiaia geweihtwird. Auch im Privatleben giebt es keine heilige Handlung,wo das Haus nicht mit heiligen Reisern geweiht wird. BeiTodtenweihen erscheinen die Trauernden in schwarzer Kleidungund stets ohne Kranz, der Leib des Verstorbenen abermit Kränzen und Binden geschmückt, auf Zweige gebettet:ein Zweig der Cypresse oder Pinie vor dem Hause aufgesteckt.Aristoteles sagt: „Wenn der Kranz vollkommenmache, so wandelten wir uns bei der Trauer ins Gegentheilum, denn aus Mitgefühl mit dem, der ausgeduldet hat, verstümmelnwir uns selbst durch das Scheeren des Haares unddas Abnehmen der Kränze." Als Xenophon, eben opfernd,die Trauerbotschaft vom Tod des Gryllos bekam, zog erden Kranz ab: als er hört, jener sei als Sieger gefallen, setzter ihn wieder auf. Nur wenn man des Todten als einesvergötterten Heros gedachte, trugen die Feiernden Kränze.Die xaiviai, vittae, infulae heissen häufig selbst a-Eji-tiaia.Die Bittflehendentrugen Zweige, mit Binden von geknoteterrother und weisser Wolle umwunden. Daher heissen die459


5Flehenden selbst e^saTejjLiievoi (Oed.Tyr. 3). An dem heiligenOelbaum der Athene wurden purpurne und weisse Bindenunterschieden geknüpft: mit den Purpurbinden wurden dieErstlinge der Früchte aufgehangen, jedoch so, dass in einemZwischenraum von zwei Fuss weisse Binden sie trennten.Purpurne Binden tragen die in Samothrake Geweihten. Unter-^[ispoxaXXe? verstehen die Athener die purpurfarbene Binde,welche gebraucht wird zu Sühnungen und ReinigungenPurpur bedeutet die Farbe des Blutes.Clem. Alex. Strom, p. 302 sagt, dass rothe Wolle zurReinigung gewisser Befleckungen gebraucht worden sei. Deraus wollenen Strängen gedrehte Ballen, mit welchem mandie Cultusbilder reinigte, öpOaTriov, bestand aus rother Wolle.Die eipeoiwvT] ist ein Zweig des Lorbeers oder Oelbaumsmit rother und weisser Wollenbinde umwunden und mitErsthngsfrüchten behangen, ein „Erndtekranz". In Delphigab es den Stein, der Kronos statt eines Kindes gegebenwurde, und den er wieder ausspie, über diesen giessen siealltäglich Oel und legen an jedem Feste rohe Wolle daraufWenn Libanius sagt, dass alle Mysten zu Eleusis geweihterHand und reinen Sinnes seien, so war das Symbol derWeihe die Umbindung des rechten Hand- und Fussknöchelsmit krokusfarbenen Binden jdie kabirischen Mysten musstendie Hüften mit einer solchen Tänia, als Zeichen ihres gottgeweihtenLeibes, umgürten.Der Bittziveig des Schutzflehenden Ixsir^pia: der Gedankeist,dass auf den heiligen Zweigen, namentlich dem Oelzweig,der Gottesfriede ruht. Ein Oelzweig, mit weisser wollenerBinde consekrirt, wie ihn die Eleusinier Scheu gebietenddem Tyrannen Aristotimos entgegenhalten, Symbol der supplicatio,Abwehrmittel von Schaden und Gewalt. Der Menschist durch ihn unantastbar, im Schutz jeder Gottheit dadurch,namentlich des Zeus. „Fasset die Xeuxoaiecpst? IxeTTjpla?, den4(5o


Schmuck des Zeus,"räth Danaos den Schutzflehenden Aesch.suppl. 189. Nach Polybius bedeutet er so viel für Hellenenwie der Heroldstab für Barbaren.Zu erwähnen der Gebrauch des Oels und der Salben beiförmlichen Weihen. Bei Homer noch nicht erwähnt. Beider jährlichen Todtenfeier in Platäa wäscht der Archont dieaTTjXai ab xai fiupto xpUi. Wenn einzelne Bäume geweihtwerden, die iSpuai? empfangen, so gehört nach Theoer. 18, 44dazu: Aufhängen von Kränzen und Lotosblumen an denZweigen, Ausgiessen des Oels uypöv aXeicpap unter den Stamm.Ebenso kann keine gottesdienstliche Handlung ohne geweihteFlamme vollzogen werden: daher der Gebrauch derKerzen, Lampen, Fackeln bei Opfern, festlichen Mahlen,Pompen. Dem Römer war die Flamme jedes Lichtes soheilig, dass er dieselbe niemals auslöschte, sondern von selbstausbrennen Hess: denn alles Feuer ist dem olympischenGottesfeuer entlehnt. Der Augenblick, wenn beim Mahledie Lichter entzündet wurden, war jedesmal ein feierhcher,die Zusammensitzenden schwiegen andächtig, man glaubte andie Gegenwart der Götter. Mit dem Entzünden der Flammebeginnt der Opferdienst. Lactantius sagt von Hellenen undRömern: „sie zünden ihren Göttern Lichter an, als verkehrtensie sonst im Dunkeln." Die Lichtentzündung sei überflüssig,weil ja alle Verehrung im Freien vor sich gehe. Die heiligenLichter dienen aber nicht zur Erhellung,sondern zur feierlichenCelebration. Man trat mit entzündeten Fackeln unterden Baum von Dodona. Theophrast erklärt die Flamme derFackel, mit der jeder Myste in den eleusinischen Weihenvor den Altar der Gottheiten trat, als ein Wahrzeichen dergewonnenen Reinheit des Sinnesj und von der ewigen Lichtflammeder Athene Polias zu Athen wurde angenommen,dass sie als Denkzeichen ihrer unbefleckten Reinheit gestiftetworden sei. Die Bedeutung des Tempelfeuers zeigt sich in4dl


ganzer Grösse, wenn man annahm, es verkünde sein Erlöschenden Hinweggang oder Tod der Gottheit, die Wiederentzündungzeige Rückkehr und Wiedergeburt an. Sehrwichtig das Amt des uupcpopo«; oder oaSouxo?, jenes priesterlichenKnaben, der mit der Fackel, die am Tempelfeuer entzündetwar, jedes neuvermählte Paar in Athen nach Hausebegleitete, um den neugegründeten Heerd zum ersten Malezu entzünden. Man zog ihn selbst zu den eleusinischenMysterien heran.§ 3.Die Opfer.Die Griechen verkehren mit ihren Göttern wie eine niedereKaste mit einer höheren, mächtigeren, edleren, mit der mansich aber von gleicher Abstammung weiss. Man lebt mit ihrzusammen und thut alles, um dies Zusammenleben für sichwohlthäüg zu gestalten: das allgemeine Mittel ist, zu lieben,was jene liebt, zu hassen, was jene hasst, aber nicht im Wetteifermit ihr, sondern so, dass man ihr giebt, was sie liebt,dass man aber sie von dem befreit, was sie hasst. Alles, wasman ihr giebt, sind avaSViiiaTa, seien dies regelmässige Tributeoder einzelne Schenkungen: zum Opfer wird ein dvdÖTjjiadadurch, dass man die Zusammengehörigkeit von Götternund Menschen in gemicinsamem Verbrauche des Geschenkesfeiert, also die Gottheit beschenkt, dann aber von ihr bewirthetwird: das Fortleben der mythischen Speisegemeinschaft.')Die andere Gattung von Opfern beruht darauf, dass manvernichtet, was der Gottheit feindlich ist, auch wohl, dass') Hes. fr. 187: cuval 7ap tote oaiTS^ Iciav Suvoi xe Oöwxot ä9aväT0t


man ein Objekt ihres Hasses ihr unterschiebt und sie dannbei der Vernichtung desselben unterstützt: Ableitung ihrerbösen und gefährlichen Eigenschaften, Reinigung der Gottheitvon Zorn und Hass ist hier das Ziel. Der Hauptunterschiedzwischen beiden Arten von Opfern ist, dass im zweitenFall das Opfer ganz vernichtet wird, ohne dass der Menschdaran rührt. So unterscheide ich Vernichtungsopfer und Speiseopfer.4(53


EinzelneGedankenaus den Jahren 1869-187530 Nietrsche V


Vom Ursprung der Sprache.(1869/70.)Altes Räthsel: bei Indern, Griechen, bis auf die neueste Zeit.Bestimmt zu sagen, wie der Ursprung der Sprache nicht zudenken ist.Die Sprache ist Toeder das beivusste Werk einzelner noch einerMehrheit, i. Jedes bevvusste Denken erst mit Hülfe der Sprachemöglich. Ganz unmöglich ein so scharfsinniges Denken etwamit einer blos thierischen Lautsprache: der wunderbare tiefsinnigeOrganismus. Die tiefsten philosophischen Erkenntnisseliegen schon vorbereitet in der Sprache. Kant sagt: „Eingrosser Theil, vielleichtder grösste Theil von dem Geschäfteder Vernunft besteht in Zergliederungen der Begriffe, die er[der Mensch] schon in sich vorfindet." Man denke an Subjektund Objekt; der Begriff des Urtheils ist vom grammatischenSatze abstrahirt. Aus Subjekt und Prädikat wurden die Kategorienvon Substanz und Accidenz/) 2. Die Entwicklung desbewussten Denkens ist der Sprache schädlich. Verfall beiweiterer Kultur. Der formelle Theil, in dem gerade der philosophischeWerth liegt, leidet. Man denke an die französischeSprache: keine Deklination mehr, kein Neutrum, kein Passivum,alle Endsilben abgeschliffen, die Stammsilben unkennbarveranstaltet. Eine höhere Kalturentwicklung ist nicht einmalim Stande, das fertig Ueberkommene vor Verfall zu bewahren.») [Schopenhauer, W. a. W. u. V. I s66fF. (608 f. Gr.).]30* 4Ö7


3- Für die Arbeit eines Einzelnen ist sie viel zu <strong>com</strong>pUzirt,für die der Masse viel zu einheitlich, ein ganzer Organismus.Es bleibt also nur übrig, die Sprache als Erzeugniss jiesInstinktes zu betrachten, wie bei den Bienen — dem Ameisenhaufenu. s. w.Instinkt aber ist sticht Resultat bewusster Ueberlegung, nichtblosse Folge der körperlichen Organisation, nicht Resultat einesMechanismus, der in das Gehirn gelegt ist, nicht Wirkung einesdem Geiste von aussen kommenden, seinem Wesen fremdenMechanismus, sondern eigenste Leistung des Individuums odereiner Masse, dem Charakter entspringend. Der Instinkt ist sogareins mit dem innersten Kern eines Wesens. Dies ist das eigentlicheProblem der Philosophie, die unendliche Zweckmässigkeitder Organismen und die Bewusstlosigkeit bei ihrem Entstehn.Abgelehnt sind also damit alle früheren naiven Standpunkte.Bei den Griechen, ob die Sprache Oeasi oder «puasi sei: alsoob durch willkürliche Gestaltung, durch Vertrag und Verabredung,oder ob der Lautkörper durch den begrifflichen Inhaltbedingt sei. Aber auch neuere Gelehrte brauchten diese Schlagwörter,z. B. der Mathematiker Maupertuis (1Ö97— 1759):Uebereinkunft als Grundlage. Zuerst ein Zustand, ohne Sprache,mit Gesten und Schreitönen. Dazu habe man conventioneileGesten und Schreitöne gefügt. Diese Mittel hätten vervollkommnetwerden können zu einer pantomimischen SchreiundGesangsprache. Aber das wäre misslich gewesen. RichtigeIntonation: feines Gehör sei nicht jedermanns Sache. Da wäreman darauf gekommen, eine neue Ausdrucksweise zu finden.Durch Zunge und Lippen habe man eine Menge von Artikulationenherstellen können. Man fühlte den Vortheil der neuenSprache, und man sei dabei stehen geblieben.Inzwischen war die andre Frage in den Voidergrund getreten,ob die Sprache durch blosse menschliche Geisteskrafthabe entstehen können oder ob sie eine unmittelbare Gabe4Ö8


Gottes sei. Das Alte Testament ist die einzige Religionsurkunde,die einen Mythus über den Ursprung der Sprache hat oderetwas Aehnliches. Zwei Hauptpunkte: Gott und Mensch redendieselbe Sprache, nicht wie bei den Griechen. Gott undMensch geben den Dingen Namen, die das Verhältnissdes Dinges zu dem Menschen ausdrücken. Also die Namengebungder Thiere u. s. w. war das Problem des Mythus: dieSprache selbst wird vorausgesetzt. — Die Völker schweigenüber den Ursprung der Sprache: sie können sich Welt, Götterund Menschen nicht ohne dieselbe denken.Jene Frage bei der geringen historischen und physiologischenEinsicht berechtigt. Einmal war durch Vergleichungder Sprache klar, dass die Entstehung aus der Natur der Dingenicht zu erweisen sei. Die willkürliche Namengebung schondurch Plato's Cratylus: dieser Standpunkt setzt nämlich eineSprache vor der Sprache voraus.Jean Jaques Rousseau glaubte, es sei unmöglich, dassSprachen durch rein menschliche Mittel entstehen könnten.Bedeutend in der Gegenansicht das Werk von de Brosses(1709—1777), der an der rein menschlichen Entstehung festhält,doch mit unzureichenden Mitteln. Die Wahl der Lautehänge von der Natur der Dinge ab, z. B. rüde und doux,und fragt: „Ist nicht das eine roh und das andre süss?" SolcheWorte liegen aber unendlich von der Entstehung der Spracheab: wir haben uns gewöhnt und eingebildet, dass in denKlängen etwas von dem Dinge läge.Demnächst Lord Monboddo bedeutend.Er nimmt einereflexive Geistesthätigkeit an: eine Erfindung der Menschen,und zwar öfter gemacht. Darum braucht er keine primitiveSprache. Einundzwanzig Jahre schrieb er daran: die Schwierigkeitenwerden immer grösser. Den allerweisesten Männernschiebt er die Entstehung zu. Etwas übermenschliche Hülfebraucht er doch: die ägyptischen Dämonen-Könige.469


:In Deutschland hatte die Berliner Akademie — vor hundertJahren — eine Preisfrage „Ueber den Ursprung der Sprache"gestellt. 1770 erhielt Herder's Schrift den Vorzug. Der Menschsei zur Sprache geboren. „So ist die Genesis der Spracheein so inneres Drängniss, wie der Drang des Embryos zur Ge-Aber mit seinen Vorgängernburt beim Moment seiner Reife."theilt er die Anschauung, wie die Sprache aus sich äusserndenLauten sich verinnerlicht. Die Interjektion die Mutter derSprache: während sie doch eigentlich die Negation ist.Die richtige Erkenntniss ist erst seit Kant geläufig, der inder Kritik der Urtheilskraft die Teleologie in der Natur zugleichals etwas Thatsächliches erkannte, andrerseits die wunderbareAntinomie hervorhob, dass etwas zweckmässig sei ohneein Bewusstsein. Dies das Wesen des Instinktes.Zum Schluss Worte von Schelling (Abth. II, Bd. I, S. 52)„Da sich ohne Sprache nicht nur kein philosophisches, sondernüberhaupt kein menschliches Bewusstsein denken lässt, sokonnte der Grund der Sprache nicht mit Bewusstsein gelegtwerden^ und dennoch, je tiefer wir in sie eindringen, destobestimmter entdeckt sich, dass ihre Tiefe die des bewusstvollstenErzeugnisses noch bei weitem übertrifft. Es ist mitder Sprache wie mit den organischen Wesen 5 wir glaubendiese blindlings entstehen zu sehen und können die unergründhcheAbsichtlichkeit ihrer Bildung bis ins Einzelnstenicht in Abrede ziehen."Ueber dieCyniker und ihre Bedeutung für dieLitterat ur.(1869.)Die Cyniker haben auch ihren Einfluss auf die griechischeLitteratur gehabt: sie wagten es die Form für ein aSid(fopov470


zu achten und die Stile zu mischen, sie übersetzten gleichsamSokrates in ein litterarisches genus, sammt dem Satyrgehäuseund dem Gott darin. Also sind sie die Humoristen des Aiterthumsgeworden.Ihr Grundcharakter ist die sokratische sipwvsia, derb inspraktische Leben übersetzt. Wie Sokrates aber auch in derForm der Rede jene Doppelheit seiner Natur ausprägte, somachten es auch seine consequentesten Jünger: und da sieschriftstellerten, waren sie genöthigt einen neuen Stil zu erfinden.Doch was unterscheidet die cynische Schriftstellereivon der des Aeschines? Ja selbst wodurch unterscheidet sicheine Schrift des Menipp von einer antisthenischen? Was ist,mit anderen Worten, jene Philosophie in der Hanswurstjacke,welche Bion der Cyniker aufbrachte?Ueber den Staat.(Winter 1874.)Zum „Staat". Welche Kräfte er jetzt verschlingt und insich umsetzt. Zugleich ist er Mittel zum ungeheuersten Weltverkehr,zur Auflösung des Eigentlich-Volksthümlichen. DasProvinzielle, Städtische, schliesslich das Individuelle erlischtimmer mehr. Endlich hält auch der nationale Staat nichtmehr fest: einstweilen braucht er Kriege, um Klüfte zu schaffen— schöne Aussicht! Ist aber durch die unbegrenzte Freizügigkeitund Dreisprachigkeit die Menschheit präparirt, dann7nuss sie hin zum europäischen Universalstaat (auf Grund undmit der Grenze der europäischen alten Cultur).Deshalb müssen Secten entstehen, in welche die Bildungund das Individuum sich rettet, um den Preis, sich nicht mitPolitik abzugeben.Hier giebt es keine nationalen Differenzenmehr. Während das allgemeine Niveau der europäischen471


Cultur immer mehr zurückgeht, kann hier, in der Secte, dieForderung und das Ziel immer höher gestellt werden. DieKluft wird am grössten sein dann, wenn der atomistischeUniversalstaat aus lauter individualitätslosen Individuen sichbildet. — Die Secte wird zu verschiedenen Zeiten verschiedenverdächtigt werden, jetzt als Bundesgenossin, aber verkappte,der Ultramontanen oder der Socialisten, später als die Prophetindes Universalstaats, zuletzt, wenn dieser da ist, alsreactionäre und verkappte Bundesgenossin der alten nationalenzu Grunde gehenden Staaten: und alles dies mit Unrecht.Wenn erst die Individuen beseitigt sind, dann ist der Gangder Geschichte zu errathen: denn der einzige irrationelleFactor istbeseitigt.Ueber den Dichter.(>875-)Wie der Dichter religiöse Empfindungen und Vorstellungenübernimmt und in Zeiten des Verfalls conservirt (Aeschylus).Feindschaft der Dichter gegen die Philosophen: deren Freundschaftfür sie (sie betrachten die Dichter als Brücken vonder Religion zur Philosophie: die Dichter aber sehen nurdie Gegner in den Philosophen und wissenschaftlichenMenschen).Der Glaube an den /J/V^r^r-Wahnsinn zu erklären: der Dichterist Werkzeug und Mundstück, nicht der Götter,sondern derhöheren Meinungen, er spricht sie so aus, dass das Publicumnicht erkennt, wie der Dichter sie von ihm entlehnt hat. DasVerstecken und Maskiren, als ob jetzt etwas ganz Neuesdaherkomme — Hauptwirkung der dichterischen Kunstmittel(Metrum u. s. w. und die begleitende religiöse Aufregung).Die Dichter selbst täuschen sich über sich selber: sie wissennicht, wo es eigentlich herkommt. — Der Irrthum hat ihre472


Schätzung als Inspirirter so hoch gemacht.(aus Piatons Ion).Hesiod TynnichosDe?' Dichte?- als Betrüger: er i?fiitirt, ein Wissender (Feldherr,Schuster, Seemann) zu sein, es gelingt ihm vor Nichtwissenden:er glaubt endlich selbst daran. So gewinnt er dasGefühl der Ehrlichkeit. — Die empfindenden Menschenkommen ihm entgegen und sagen sogar, er habe die höhereWahrheit: sie sind der Wirklichkeit zeitweilig müde. Schlafund Traum für den Kopf — das ist der Künstler für denMenschen. Er macht die Dinge mehr iverth: da iJieinen dieMenschen, das werthvoller Scheinende sei das Wahrere^ Wirklichere.— Auch jetzt noch suchen die dichterischen Menschen(z. B. Emerson Lipiner) die Grenzen der Erkenntniss,ja der Skepsis mit Vorliebe, um sich dem Bann der Logikzu entziehen.Sie wollen Unsicherheit, weil dann der Zauberer,die Ahnung, und die grossen Seelen-Effecte wdeder möglichwerden.Ueber den Rhythmus.(1875.)Wie die Menschen selbst in dem, was sie zur Erleichterungdes Daseins erfinden, neue Mühsal und Arbeit aufsich laden, und wie ernst das Leben aussieht, wenn man aufdie Geschichte seiner heitersten Züge blickt, davon giebtdie Poesie und überhaupt die kunsrmassige Behandlung derSprache einen Beweis. Der milde Glanz, den die Dichterüber die Welt wie einen Staub von Schmetterlings-Flügelnzu legen wissen, ist ihr nicht wie von ungefähr angeflogen.Die Summe von Arbeit, welche die Menschen allein auf soetwas, wie der Rhythmus ist, verwendet haben, zeigt, wieschwer es sich lebt und wie ungeheuer der Trieb sein muss,diesem Gefühl der Schwere wenigstens für Augenblicke zu473


entfliehen. Wäre das Leben zu allererst nur ein Problemder Erkenntniss und läge seine Schwere vor allem darin, dasses räthselhaft wäre, so könnte es, mit Schopenhauer zu reden,„fast als ein Hochverrath gegen die Vernunft erscheinen,wenn einem Gedanken, oder seinem richtigen und reinenAusdruck, nur die leiseste Gewalt geschieht, in der kindischenAbsicht, dass nach einigen Silben der gleiche Wortklangwieder vernommen werde, oder auch damit diese Silbenselbst ein gewisses Hopsasa darstellen"/) Aber weil dasLeben die Empfindung so unregelmässig erregt und deshalbschmerzhaft ist, so „folgen wir jedem regelmässig wiederkehrendenGeräusch innerlich und stimmen gleichsam mitein. Dadurch werden nun Rhythmus und Reim theils einBindemittel unserer Aufmerksamkeit, indem wir williger demVortrag folgen, theils entsteht durch sie in uns ein blindes,allem Urtheil vorhergängiges Einstimmen in das Vorgetragene,wodurch dieses eine gewisse emphatische, von allen Gründenunabhängige Ueberzeugungskraft erhält"/) Der Zauber imRhythmus liegt in einer ganz elementaren Symbolik, vermögederen wir im Regelmässigen und Geordneten ein höheresReich, ein Leben über oder ausser diesem unregelmässigenLeben verstehen 5 was an uns es in der Gewalt hat, sichgleich rhythmisch zu bewegen, das folgt dem Andrängenjenes symbolischen Gefühls und bewegt sich ebenso oderfühlt mindestens eine starke Innervation dazu. Je erregbarerund ursprünglicher ein Mensch ist, um so mehr wirkt derRhythmus auf ihn — wie ein Zwang zum Nachbilden desRhythmus, und erzeugt jenes „blinde, allem Urtheil vorhergängigeEinstimmen"^ es ist ein Zwang, der gewöhnlich mitLust verknüpft ist, aber er kann so plötzlich an den Seelenreissen und sie überwältigen, dass er mehr noch einem474») Schopenhauer, W. a. W. u. V. II, 3, 37 S. 487 (Gr. II 502).2) Schopenhauer I, 3 S. 287 (Gr. 1323)-


schmerzhaften Krämpfe gleichkommt. Selbst dieses schmerzhafteFolgen und Sich-fortziehn-lassen wird aber für den,welcher mitten in der Noth des Lebens steht, noch alsReiz, Abziehung, Entrückung, Vergessen gelten können —dessen sind sich die Dichter und Musiker aller Zeiten bewusstgewesen; sie glaubten den Druck des Daseins zu erleichtern,selbst wo sie Schmerzen machten. Und so nahmensie selber das Leben schwer, und erfassten ihre Kunst miteinem ungemeinen und verzehrenden Ernst, so dass nunwieder die Betrachtung ihrer Jahrtausend alten Geschichtezum Ernste mahnt und zum Bilde des Lebens den letztenStrich hinzuthut: ist doch in ihm nichts tragischer als dassgerade die Erleichterer und Beglücker des Lebens an ihmtiefer zu leiden, härter zu tragen hatten, als alle die Welterobererund Weltvernichter. Vielleicht liegt dies darin, dasssie etwas wollen, was dem Charakter des Daseins widerstrebt,dass sie an den Pfeilern der düstern Nothwendigkeit zurütteln sich unterfangen; sie können über den Charakter desDaseins nur auf kurze Zeit sich und andre täuschen — dieseTäuschung ist ja das Wesen der Kunst — , aber dafür rächtsich an ihnen auch fortwährend das böse Gewissen undWissen aller Künstler, wie sie den Dingen eine Larve mitreineren, freieren Zügen aufsetzen wollen, die immer wiederherabfallen muss. Ja wenn Plato Recht hätte! Wenn derMensch ein schönes Spielzeug in der Hand der Götter wäre!Wenn das Leben als eine Kette edler Spiele und Feste angeordnetwerden könnte! Wenn das Dasein nichts als einästhetisches Phänomen wäre! Dann würde der Künstler nichtnur der vernünftigste, weiseste Mann sein, er fiele nicht nurmit dem Philosophen in Eins zusammen, er würde auch dasleichteste Leben haben und dürfte mit gutem Gewissen wiePlato sagen: die menschhchen Dinge sind grossen Ernstesnicht werth. — Ob wir freilich dann eine Kunst haben475


würden? Ob der Künstler entstanden sein würde, wennder Mensch selber ein Kunstwerk wäre? Ob nicht geradedas Dasein der Kunst beweist, dass alles Dasein ein unästhetischesböses und ernstes Phänomen ist? Man erwäge docheinmal, was ein wirklicher Denker, Leopardi, sagt. — Eswäre doch wahrlich zu wünschen, dassKunst nöthig hätten.die Menschen keine47Ö


:Die vorliegende Ausgabe der Werke Friedrich Nietzscheswird im Auftrage seiner Schwester veranstaltet.Herausgeber sind: Dr. Richard Dehler, Max Oehler undDr. Friedrich Chr. Würzbach.Nachbericht.AbkürzungenW. = Gesamtausgaben von Nietzsches Werken (Großu.Kleinokrav, die in Text und Seitenzahlen übereinstimmen;die Philologika hat nur die Großoktav-Ausgabe).Hds. = Im Nietzsche-Archiv aufbewahrte Handschriften,die mit Buchstaben und Nummern bezeichnetBr.sind (z. B. P XI).= Gesammelte Briefe.Biogr. = „Das Leben Friedrich Nietzsche's" von Elisab.Förster-Nietzsche.Die in diesem <strong>Band</strong> vereinigten Vorlesungen belegen den schon mehrfachbetonten Satz, daß das ganze Denken, Fühlen und Streben Nietzschesin den von ihm als klassischer Philologe mit Eifer betriebenen Fachstudienwurzelt, besonders deutlich. „Es ist bezeichnend:" — schreibtKarl Joel in seiner Abhandlung ,Nietzsche und die Antike'') — „vonallen Vorlesungen, die Nietzsche ankündigte, fällt die Hälfte — neben4 für Geschichte der griechischen Literatur überhaupt — speziell aufHesiod (6), die Lyriker (7) und die älteren Tragiker (8). Die Zeitzwischen Hesiod und Aeschylus, die Zeit des düsteren Ernstes, in demdas Epos versinkt und aus dem die Tragödie aufsteigt, das ist sein Hellas.Das überlieferte Bild vom ,heiteren' Hellas zerschlägt er mit zornigerFaust alseine Fälschung, abgenommen von späterer, also entarteter Zeit.Die elegische Epoche von Hellas, die schwüle Werdezeit, die Zeit, die zuReflexion und Tragödie hinstrebt, die Zeit der großen Lyriker und — der») Mit den Abhandlungen ,Nietzsche und die Romantik« und ,Schopenhauer unddie Romantik' zusammengefaßt zu dem Buch ,Nietzsche und die Romantik' (Jena undLeipzig 1905).477


großen Tyrannen, das ist die wahre, die geistige Heimat Nietzsches. Keinerwird ihn verstehen, der ihn nicht aus diesen Zeiten und Landen versteht."Der erste Herausgeber der Vorlesungen über die Literatur, die Beredsamkeitund den Gottesdienst der Griechen, Prof. Otto Crusius, hatin dem Vorwort zum IL Bd. der Philologika (W. XVIII) die hohe Bedeutung,die diesen Vorlesungen in Nietzsches Gesamtwerk zuzuerkennenist, in einer Weise gekennzeichnet, wie es treffender auch im Rahmender kurzen, skizzenhaften, dieser Ausgabe beigegebenen Nachberichtenicht geschehen könnte. Einige Abschnitte seiner Ausführungen mögendaher, unwesentlich gekürzt und unter Abänderung einiger Textverweisungen,hier folgen:„Diese Kolleghefte sind etwas ganz andres als die bHtzendcn Aphorismenkettenoder die Vorträge, bei denen sich Nietzsche etwa Richardund Cosima Wagner als Hörer dachte. Dort die äußerste Vereinfachungund zugleich eine ganz eigenartige Verlebendigung und Vergegenwärtigung,um in der Sprache neuester Theologie zu reden. Hier der ganzeZeugnisapparat, eine Überfülle von Einzelheiten und petits faits, oft einläßlicheDebatten bei scheinbar untergeordneten Punkten. Man wirdsich überzeugen: jene sublimen und anmutigen Darlegungen, mit denender junge Nietzsche seine Leser fesselt, sind nicht aus der Luft gegriffenwie die Schwindelblumen eines Prestidigitateurs, sondern hervorgewachsenaus einem Erdreich, das mit handfesten Werkzeugen emsigund beharrlich bearbeitet wurde.In dieser Richtung liegt auch Zweck und Ziel der ganzen Veröffentlichung.Was bedeuten die Fachstudien für Nietzsche's Persönlichkeit undselbständige Schriften! Wer mit diesem Gedanken die Vorlesungen durchgeht,wird auf Schritt und Tritt halt machen und einen Fund mitzunehmenhaben. Bezeichnend ist gleich am Anfang der griechischenLiteraturgeschichte der Elan, mit dem der Begriff einer nicht-literarischenBildung entwickelt und ins Vordertreffen geschoben wird.') — ,Wasi) Noch ausführlicher geschieht das am Anfang des dritten Teils der Lit. Gesch. —Die Abneigung Nietzsches gegen unsere Schreib- und Lesekultur kommt in ergötzlicherWeise in einer Notiz auf einem Vorlesungsheft jener Zeit zum Ausdruck: „Wir habenden Vorteil, unsere Zeit kennen lernen zu können; das wird vielleicht ein paar Jahrhundertespäter gar nicht mehr möglich sein. Ich ergötze mich an der Vorstellung, daßdie Menschen bald einmal das Lesen satt bekommen werden und die Schriftsteller dazu,daß der Gelehrte eines Tages sich besinnt, sein Testament macht und verordnet, daßsein Leichnam inmitten seiner Bücher, zumal der eigenen Schriften, verbrannt werdensolle." (Philologika, Bd. III, 407). Die Herausgeber.478


liegt an Büchern, an diesen Särgen und Leichentüchern!' Der kühneVersuch, die ästhetische Wirkung des überlieferten corpus Homericumzu bestimmen, gibt eine willkommene Ergänzung zu der Homerrede undverwandten Äußerungen. Manches in den Darlegungen über Theognis,die Tragiker oder über ,die schwächliche Humanität Menanders' kUngtwie jspäter' Nietzsche. Immer wieder läßt uns der jugendliche Dozentjene ,Tiefblicke in das Leben der Alten' tun, die Rohde an den Aphorismenbüchernbewunderte. Auch zu ,Richard Wagner in Bayreuth'spinnen sich mancherlei Fäden hinüber. Züge aus dem Bilde des Demostheneswerden in der vierten Unzeitgemäßen verwertet (Abschn. 9Ende); in Darlegungen über halb verschollene griechische Poeten leuchtetder Name auf, der für Nietzsche das höchste Symbol künstlerischenLebens bedeutete, und neben die Diagramme antiker Verse und Scrophentreten Formeln, die den Rhythmus und Periodenbau der Musik zumTristan oder Siegfried festzuhalten suchen.Die Abhängigkeit der Werke von den Heften ist oft mit Händen zugreifen. Der Text wird leicht umgestaltet, hier erweitert, dort zusammcngefeilt;aus der Vorlesungsskizze wird der Abschnitt eines Buches oderVortrags. Es gibt Fälle, wo in dem Heft die handschriftliche Vorlagefür ganze Abschnitte der Jugendschriften zu finden ist. So stammt dieBetrachtung ,Vom Ursprung der Poesie' in der ,fröhlichen WissenschafV(Buch II 84) aus der ,Literaturgeschichte'; eine Randnotiz bietet denEntwurf für die neue Form. In den Vorlesungen über den Gottesdienstder Griechen sind einige Blätterreligionswissenschaftlichen Inhalts vonspäterer Hand Zeile für Zeile so durchkorrigiert, daß sie wörthch in,Menschliches, Allzumenschliches' aufgenommen werden konnten. DenPhilologica ist dann die ältere und einfachere Fassung zuzuweisen.Der Leser gewinnt hier also vor allem eine Urkundensammlung, dieihm ermöglicht, sieb ein Urteil zu bilden über das Verhältnis zv:ischenNietzsches Lebensiverk und seinen Fachstudien.In der ,Nietzscheliteratur'ist, soweit meine Kenntnis reicht, von diesen Dingen wenig die Rede,und die Thyrsosträger, die Nietzsche umschwärmen, fragen vollendsnicht, wo ihr neuer Dionysos seine Heimat hatte. Gern werden gewisseabschätzige Äußerungen Nietzsches über seine Fachgenossen zitiert; ,wirPhilologen' kommen bei ihm ja gelegentUch schlecht genug weg. Trotzdem:die Philologie blieb ihm immer eine geistige Großmacht, die Antikein dem bisherigen Werdegang menschlichen Wesens der ,klassische'Höhepunkt, von dem aus sich der Blick in eine bessere Zukunft auftut.479


,Die beiden großen Gegnerinnen allen Aberglaubens, Philologie undMedizin' — so heißt es noch in einem der radikalsten Werke jener Jahre,in denen für ihn die Götzen- und Götterdämmerung anbrach, und aufder letzten Seite der Aufzeichnungen aus der Umwertungszeit (W. Bd. Xlll)steht als Schlußstein der Satz: bisher, nach langer kosmopolitischer Umschau,der Grieche als Mensch, der es am weitesten brachte/[ ]Mag man vom fachwissenschaftlichen Standpunkt ausnoch so vieleEinzelheiten bemängeln: es bleibt genug, was diesen Blättern ihrendauernden Reiz und Wert auch für den Gelehrten verleiht. In ersterLinie die Fragestellungen, die ,Gesichtspunkte% unter denen der StoflFgeordnet und betrachtet wird. Charakteristisch ist da vor allem derdritte zusammenfassende Teil der Geschichte der griechischen Literatur— beiläufig, nur das Anfangsstück eines geplanten größeren Werkes,für das Stichwörter und Materialien im Nachlaß vorhanden sind. Nietzschegeht an die alten Dinge vielfach auf Wegen heran, auf die sich vielleichtJacob Burckhardt wagte (man denke etwa an dessen ,weltgeschichtlicheBetrachtungen'), die aber die Philologie der siebziger Jahre — auch dieRitschl's — vermied oder nicht kannte; und selbst wo er die Routeeinschlägt, die sozusagen offiziell markiert und gesichert war (wie inder Rhetorik), zeigen sich ihm doch oft gengg unbeachtete Fernblicke undübersehene Feinheiten am Wege. Es gibt nur ein philologisches Buch ausjener Zeit, in dem sich, trotz aller Verschiedenheit der Haltung und Arbeitstechnik,ein ähnlicher Geist verrät: Erwin Rohdes griechischer Roman.Das Erfreulichste, das diese Bände dem Leser darbieten, steckt wohlin den Charakterzeicbnungen und Urteilen über literarische Persönlichkeitenund ihr Werk.Der junge Nietzsche weiß — um ein Wort seines MeistersRitschi zu gebrauchen — , daß ein Gelehrter, der zum Verständnis fremdenWesens gelangen will, ,schlechterdings mit der Liebe anfangen muß,und nicht mit der Kritik'. Er denkt noch: in positivo salus. Wie verstehter es, selbst Erscheinungen, die ihm innerlich fernbleiben, wieXenophon, gerecht zu werden! In einer Zeit, wo auch in Philologenkreisendie blinde Cicerohetze anhub, findet er begeisterte Worte für diePersönlichkeit und Kunst des Mannes, der,das unermeßliche Verdiensthatte, die klassische Sprache der römischen Weltkultur gefunden zuhaben'. Da spricht überall der feine Psychologe, der verschwenderischreich begabte Mensch, der werdende große Schriftsteller und Poet —kurz, der Pair unter seinen Pairs.480


Im Gegensatz zu der puritanischen Strenge der Mehrzahl seiner Zunftgenossenhatte Nietzsche, nach Burckhardt's Forderung, den Sinn undTrieb, vor allem ,das Interessante zu sehen'. Merkwürdig ist es, wie ihndie anekdotische Kleinüberlieferung, die man als geschichtlich wertlosunter den Tisch zu wischen pflegt, lockt und beschäftigt. Hier lagendie markantesten Vorzüge, aber auch die Gefahren seiner Natur. Nietzschekannte sie wohl. Die zahlreichen Vorstudien und Vorstufen dieser Arbeiten,die das Weimarer Archiv verwahrt — von Zettelhaufen und Dispositionenbis zum sauberen Manuskript — , lassen erkennen, wie strenger sich immer wieder in Zucht zu nehmen suchte. Es klingt wie eineSelbstschau und Selbstkritik, was er in den Jahren, wo er diese Vorlesungenzu halten hatte, einmal schreibt: ,Unwissenschaftliche, aber begabteMenschen schätzen jedes Anzeichen von Geist, sei es nun, daß esauf wahrer oder auf falscher Fährte ist; sie wollen vor allem, daß derMensch, der mit ihnen verkehrt, sie gut mit seinem Geist unterhalte,sie ansporne, zu Ernst und Scherz fortreiße und jedenfalls vor der Langeweileals kräftigstes Amulet schütze. Die wissenschaftlichen Naturenwissen dagegen, daß die Begabung, allerhand Einfälle zu haben, auf dasStrengste durch den Geist der Wissenschaft gezügelt werden müsse;nicht das, was glänzt, scheint, erregt, sondern die oft unscheinbare Wahrheitist die Frucht, welche er vom Baume der Erkenntnis zu schüttelnwünscht. Er darf, wie Aristoteles, zwischen ,Langweiligem' und 5Geistreichem'keinen Unterschied machen; sein Dämon führt ihn durch dieWüste ebenso wie durch tropische Vegetation, damit er überall nur andem Wirklichen, Haltbaren, Echten seine Freude habe. Daraus ergibt sich,bei unbedeutenden Gelehrten, eine Mißachtung und Verdächtigung desGeistreichen überhaupt, und wiederum haben geistreiche Leute häufig eineAbneigung gegen dieWissenschaft: wie zumBeispiel fast alle Künstler.'"—Soweit Crusius. —Einige Einzelheiten bleiben noch nachzutragen:In engem Zusammenhang mit der Vorlesung über dieGeschichte dergriechischen Literatur stand die über die griechischen Lyriker (vergl. dieHerausgeberbemerkung unter §7 der Literaturgeschichte [S. 108]). Übergriechische Lyriker hat Nietzsche gelesen:Sommer 1865): Erklärung der Fragmente der griechischen Lyriker;im philologischen Seminar: Interpretation griechischerLyriker.31 Nietzsche V 48 1


Sommer 1872; im philologischen Seminar: Theognis.Sommer 1873: im philologischen Seminar; Theognis."Winter i 8 7 3/74; im philologischen Seminar; ein griechischer Dichter.Winter 1878/79; Ausgewählte Fragmente der griechischen Lyriker.(Vergl. das Verzeichnis der von Nietzsche angekündigten VorlesungenBiogr. 2. Bd., erste Abtlg. S. 324 ff. und K. Joel, Nietzsche und dieRomantik, S. 3 6 3 über die tatsächlich gehaltenen Vorlesungen nach denoffiziellen, von Nietzsche selbst gelieferten, im Basler Staatsarchiv aufbewahrtenSemesterberichten; desgl. Elisab. Förster-Nietzsche, Der einsameNietzsche, S. 85 ff.)Das Handschriftenheft P XI enthält ausführliche Aufzeichnungen übergriechische Lyriker aus verschiedenen Jahren (18Ö9 und später). Siegehen nach kurzer Einleitung (die antike Lyrik wendet sich an einhörendes, nicht lesendes Publikum) sofort zu den einzelnen Dichtern(Terpander, Archilochos, Olympus) über; dann folgt ,,die klassischePeriode der Lyrik", „die lesbische Dichterschule" usw. So ist die Vorlesungalso offenbar 1869 gehalten worden.Mit späterer Fland und anderer Tinte ist dann auf S. z folgende Einteilungnachgetragen:Einleitung.§ I. Der griechische Lyriker ist zugleich Musiker.$ 2. Gründe für die uralte Verbindung von Lyrik und Musik.§ 3. Das Wort Xopixi^ und seine Berechtigung.§ 4. Die Melik und ihre Arten.§ 5. Die Elegie.§ 6. Jambisch-trochäische Dichtung.§ 7. Zustand der Überlieferung.Mit derselben Hand und Tinte ist als Überschrift über die bisherigekurze Einleitung geschrieben: „§ i. Der griechische Lyriker ist zugleichMusiker".Im Sommer 19 19 wurde nun von Herrn Dr. Friedrich Seebaß demNietzsche-Archiv eine Nachschrift „Griechische Lyriker, Vorlesungenvon Prof. Nietzsche" als Geschenk überwiesen, die der eben genanntenEinteilung im wesentlichen folgt, nur daß sie als § 7 „die Sprache derLyrik" (die poetischen Dialekte) und den „Zustand der Überlieferung"als § 8 enthält. Der Gang der Vorlesung im einzelnen war nach dieserNachschrift folgender:482


Einleitung.§ I. Lyrik und Musik im engsten Zusammenhang.Unterschied griechischer und moderner Lyrik. Antike Musikund antiker Gesang. Die antiken Musikinstrumente. Die Artendes Vortrags.Lyrik und Tanz.§ 2. Mutmaßungen über diesen Zusammenhang.Die religiöse Bedeutung des Rhythmus und der Musik. ReligiöseBedeutung des Tanzes. Abnahme des Rhythmus mit Zunahmeder reinen Vernunftanschauung.$ 3. Bedeutung und Berechtigung des Wortes Lyrik.Verschiedenheit der antiken und modernen Unterscheidung derDichtungsarten. Die Lyra als Saiteninstrument. Die xiödpa, xiOapic,^cpiJLiY^ und ihr Verhältnis zur X6pa. Das Wort Xupixo? undXupix'^ und sein Gebrauch.§ ^. Die Arten der Melik.Der Hymnos und seine Unterarten. Der Päan. Die uTZopyri[i.axa,Die dp'qvoi. Die Epinikien. Der Dithyrambos. Das Skolion.§ 5. Die Elegie.Name und Heimat der Elegie. Der aoXo?. Bedeutung von eXsyeiov.Verbindung von Elegie und Musik. Verschiedener Charakterder Elegie. Das Gemeinsame im Charakter aller Elegien. Ursprungund Pflege der Elegie. Blütezeit der Elegie zur Alexandrinerzeit.Blüte des Epigramms.§ 6. Die jambisch-trochäische Dichtung.Name und Ursprung des Jambus in dem Demeterkultus. Nameund Bedeutung des Trochäus. Der Jambus als Ausdruck des Persönlichenin der Tragödie. Veredelung des Trochäus durch stetigeVerbindung mit der Musik. Jambographen.§ 7. Die Sprache der Lyrik.Die poetischen Dialekte. Der neujonische Dialekt der Jambikerund Elegiker (Anacreon). Der äolische Dialekt der Melik. DerdorischeDialekt der chorischen Poesie.§ 8. Zustand der Überlieferung der Lyrik.Hindernisse in der Überlieferung der Lyrik: der Schulgebrauch;Abneigung gegen die alte Lyrik in der römisch-hellenistischen31'483


Zeit; Selbstüberschätzung dieser späteren Zeit. Absterben der griechischenMusik; die Schwierigkeiten der Sprache. — Quellen derFragmente. Handschriftliche Reste. Auszüge byzantinischer Grammatiker.Das Anthologien des Stobaios, 5. Jahrhundert. Anthologiagraeca Meleagers. Anthologia Palatina. Zitate einzelnerStellen. Hilfsmittel. Nachtrag (Etymologie von Xupa).Terpander.Ursprung und Entwicklung dergriechischen Musik im Peloponnes.Die ZeitTerpanders, 8. Jahrhundert. Charakter derTerpanderschenPoesie. Die Liedweisen, v6[ioi des Terpander. Die Bedeutung Terpandersfür die Entwicklung der Lyrik. Der v6[jlo?. Die dorischenxaiaoiaaei?.Archilochos.Sein Ruhm im Altertum. Urteil des delphischen Orakels über ihn.Archilochos der Dichter des kolonialen Zeitalters.Die Sittlichkeitdes Archilochos. Das Äußere des Dichters nach seiner Büste. Diemetrischen Neuerungen des Archilochos.Fragmente.Kallinos. Mimnermos. Tyrtaeus. Solon. Phokylides. Xenophanes.Alkman (mit dem die Nachschrift abbricht). —In der ausgebauten Form, wie sie die (nicht datierte) Nachschriftwiedergibt, ist die Vorlesung also offenbar im Winter 1878/79gehalten worden, nachdem unterdessen die Niederschriften zur Geschichteder griechischen Literatur entstanden waren. In Heft P XIist hinter der kurzen Einleitung mit späterer Hand vermerkt;„Fortsetzg. im Heft für Literatur § 5" und dort steht mit derselbenSchrift: „zur Lyrik § i".Nietzsche hat also für die Vorlesung überdie Lyriker in der neuen Form keine neue Niederschrift gefertigt,sondern die alten Aufzeichnungen und die unterdessen zur Literaturgeschichteentstandenen benutzt, so besonders die über antikeMusik und antiken Tanz, über Lyrik und Tanz, über die Elegieund die poetischen Dialekte. Umgekehrt verwandte er für den§ 7 der Literaturgeschichte („die Hauptformen der lyrischen Kunstwerke")die alten Aufzeichnungen über die Lyriker.Als Anhalt für die Form, in der die Vorlesung über griechische Lyrikerspäter gehalten worden ist, ist die offenbar zunächst stenographisch gefertigteund dann sorgfältig übertragene Nachschrift von größtem Wert.484


Ohne sie würde man die neue, ausgebaute Form der Vorlesung kaumhaben rekonstruieren können; die von Nietzsche selbst skizzierte Einteilungund die Verweisungen in dem Heft für Literaturgeschichtewürden dafür nicht völlig ausgereicht haben. —Daß sich Nietzsche schon seit der Studienzeit mit dem Plan einerkritischen Geschichte der griechischen Literatur trug, ist bereits imNachbericht zum IL Bd. (S. 392) näher ausgeführt worden. Die zahlreichenfrüheren Arbeiten und Sonder- Vorlesungen über griechischeDichter, Philosophen und Literarhistoriker konnten für die Vorlesungnutzbringend verwendet werden, so auch der Vortrag „Die irivaKe^ deraristotelischen Schriften'-^ den Nietzsche im Winter 1866/67 im philologischenVerein in Leipzig gehalten hatte (vergl. Nachbericht zu Bd. II,S. 393) und dessen Inhalt nun in den § 1 1 der Literaturgeschichte(S. 154ff.) aufgenommen wurde. (Aus diesem Grunde ist sowohl beider ersten Herausgabe der Philologika wie bei dieser Ausgabe auf denAbdruck des Vortrags verzichtet worden.) —„Themata für kritische Übungen auf dem Gebiete der Literaturgeschichte"hat sich Nietzsche auf der Abschrift, die Frhr. von GersdorfFvon der Abhandlung über die SiaSoxoti der Philosophen gefertigt hatte,notiert;darunter „Die Bedeutung der Etymologie für die historische Forschung".Das ist von besonderem Interesse im Hinblick auf die Anregung,die Nietzsche am Schluß der ersten Abhandlung der Genealogie derMoral gibt: ein Preisausschreiben zu erlassen über das Thema: „WelcheFingerzeige gibt die Sprachwissenschaft, insbesondere die etymologischeForschung, für die Entwicklungsgeschichte der moralischen Begriffe ab?"')(Vergl. Philologika, Bd. III, W XIX, S. 407.)—Zu der Vorlesung über den Gottesdienst der Griechen heißt es im Nachwortzum III. Bd. der Philologika: „Die Einleitung des Kollegs, die aufNietzsches religionsgeschichtliche und religionsphilosophische Ansichtenhelle Streiflichter wirft, wurde vollständig abgedruckt. Nietzsche hathier, anders als in der griechischen Literaturgeschichte, das Allgemeinevorausgeschickt; das Kolleg war, wie die vorhandenen Entwürfe undSammlungen zeigen, mit besonderer Sorgfalt vorbereitet und entworfen.Auch von der Gesamtanlage und Durchführung des Hauptteils wird derLeser auf Grund der mitgeteilten Stücke ein genügendes Bild gewinnen."i) Preisausschreiben der Stiftung Nietzsche-Archiv für 1922/23.485


Die aus den nicht abgedruckten Paragraphen (Hauptteil I, § 5, 6; II,53,4) von Crusius im Anhang des III. <strong>Band</strong>es der Phil, nachgetragenenHauptsätze ^5f'urden in den Text aufgenommen.Ebenso schien es geboten, die an derselben Stelle mitgeteilten apho~ristischen Proben aus Nietzsches philologischem Sachlaß aus ihrem Versteckhervorzuziehen: handelt es sich doch zum Teil um Gedanken, dieNietzsche in späteren Werken verwertet und ausgebaut hat; so dieNotizen über den Staat in „Menschliches, Allzumenschliches" I, Aph.^^75,48 und betr. der „Sekte" als Retterin der Kultur in einer Aufzeichnungder letzten SchafFensjahre: „Bei derFreizügigkeit des Verkehrs könnenIGruppen gleichartiger Menschen sich zusammentun und Gemeinwesengründen. Überiuindung der Nationen.'^ (W. XIII, S. 359). Die Betrachtungenüber den Dichter sind eine Vorstufe der Aphorismen „Menschliches,Allzumenschliches" I, Nr. i 55 iF.Zur Rethorik heißt es im Anh. z. III. Bd. d. Philologika (S. 333):„Die Darstellung wird von § 7 an sichtlich skizzenhafter und unselbständiger;da mag das Mitgeteilte als Probe genügen."Abgesehen von den oben angeführten Änderungen bei der Vorlesungüber den Gottesdienst der Griechen sind die in diesen <strong>Band</strong> aufgenommenenNiederschriften so abgedruckt worden, wie sie von den erstenHerausgebern der Philologika in deren II. und III. <strong>Band</strong> (W. XVIII u.XIX) veröffentlicht wurden; im Anhang dieser Bände finden sich Einzelheitenüber spätere Zusätze, andere Dispositionsentwürfe, benutzte Literaturusw. Eckige Klammern bedeuten auch in diesem <strong>Band</strong>, sowohl imText wie in den Fußnoten, Bemerkungen oder Zusätze der ersten Herausgeber.Einige Druck- und zahlreiche Lesefehler — letztere durch Vergleichungmit den Handschriften, der sich Herr Prof. Dr. Boehme unterzogenhat, — konnten berichtigt werden.Weimar und Leipzig im März ipzz.Max Dehler.Dr. Richard Oehler.486


Diese einmalige Monumentalausgabe erscheint in 1 600 Exemplaren:davon Nr. i— 15auf Japan -Velin, Nr. 16— 200 aufHadernpapier, Nr. 201 — 1500 auf rein holzfreiem Papier.100 Exemplare Nr. I—C gelangen nicht in den Handel. DenDruck besorgt die Offizin W. Drugulin in Leipzig. Gebundenwerden Nr. i— i 5 in Ganzleder von P. A. Demeter in Hellerau,Nr. 16—200 in Ganzpergament und Nr. 201— 1500 inHalbleder von der Großbuchbinderei Hübel & Denck in Leipzig.Entwürfe des Einbandes von Ottomar Starke in München.Dieses Exemplar trägt die Nummer4..L.i/..c>


PLEASE DO NOT REMOVECARDS OR SLIPSFROM THIS POCKETUNIVERSITY OF TORONTO LIBRARYfi3312A21920Bd.3Nietzsche, Friedrich Wilhelmgesammelte werke


ifili

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!