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Politische Transformation und Gewalt in Tunesien, Ägypten und ...

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GIGA Research Programme:Violence and Security___________________________<strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong><strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011:E<strong>in</strong> ForschungsaufrissHanspeter MattesNo 219 April 2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers serve to dissem<strong>in</strong>ate the research results of work <strong>in</strong> progress prior to publicaton to encourage the exchange of ideas and academic debate.Inclusion of a paper <strong>in</strong> the Work<strong>in</strong>g Papers series does not constitute publication and should not limit publication <strong>in</strong> any other venue. Copyright rema<strong>in</strong>s with the authors.www.giga-hamburg.de/work<strong>in</strong>gpapers


GIGA Work<strong>in</strong>g Papers 219/2013Edited by theGIGA German Institute of Global and Area StudiesLeibniz‐Institut für Globale <strong>und</strong> Regionale StudienThe GIGA Work<strong>in</strong>g Papers series serves to dissem<strong>in</strong>ate the research results of work <strong>in</strong>progress prior to publication <strong>in</strong> order to encourage the exchange of ideas and academicdebate. An objective of the series is to get the f<strong>in</strong>d<strong>in</strong>gs out quickly, even if the presentationsare less than fully polished. Inclusion of a paper <strong>in</strong> the GIGA Work<strong>in</strong>g Papers seriesdoes not constitute publication and should not limit publication <strong>in</strong> any other venue. Copyrightrema<strong>in</strong>s with the authors. When work<strong>in</strong>g papers are eventually accepted by or published<strong>in</strong> a journal or book, the correct citation reference and, if possible, the correspond<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>k will then be <strong>in</strong>cluded on the GIGA Work<strong>in</strong>g Papers website at.GIGA Research Programme “Violence and Security”Copyright for this issue: © Hanspeter MattesWP Coord<strong>in</strong>ation: Errol BaileyEditorial Assistance, Production and German‐language Copy Edit<strong>in</strong>g: Silvia BückeAll GIGA Work<strong>in</strong>g Papers are available onl<strong>in</strong>e and free of charge on the website.For any requests please contact:E‐mail: The GIGA German Institute of Global and Area Studies cannot be held responsible forerrors or any consequences aris<strong>in</strong>g from the use of <strong>in</strong>formation conta<strong>in</strong>ed <strong>in</strong> this Work<strong>in</strong>gPaper; the views and op<strong>in</strong>ions expressed are solely those of the author or authors and donot necessarily reflect those of the Institute.GIGA German Institute of Global and Area StudiesLeibniz‐Institut für Globale <strong>und</strong> Regionale StudienNeuer Jungfernstieg 2120354 HamburgGermanyE‐mail: Website: GIGA Work<strong>in</strong>g Papers 219/2013


<strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong><strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011:E<strong>in</strong> ForschungsaufrissZusammenfassungIn <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen wurden 2011 nach Massenprotesten <strong>und</strong> blutigen Ause<strong>in</strong>andersetzungendie langjährigen Machthaber Ben Ali, Mubarak <strong>und</strong> Qaddafi gestürzt.Alle drei Staaten bef<strong>in</strong>den sich seither <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em noch nicht abgeschlossenen <strong>Transformation</strong>sprozess.Diese Umbruchphase ist gekennzeichnet von gewaltsamen Konflikten um politischeMacht <strong>und</strong> Repräsentanz sowie die neue <strong>in</strong>stitutionelle Ordnung <strong>und</strong> ihre normativenGr<strong>und</strong>lagen. Die Sicherheitsprobleme nahmen seither <strong>in</strong> allen drei Staaten zu. Sie s<strong>in</strong>dzum e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>stitutioneller Natur <strong>und</strong> betreffen sowohl die Reorganisation der bestehendenbzw. den Aufbau neuer Sicherheitskräfte als auch deren demokratische Kontrolle.Zum anderen s<strong>in</strong>d sie e<strong>in</strong>e Folge des nach den Machtwechseln e<strong>in</strong>getretenen Sicherheitsvakuums.Im Schatten dieses Sicherheitsvakuums weiteten krim<strong>in</strong>elle <strong>und</strong> terroristischeOrganisationen ihre Aktivitäten aus <strong>und</strong> festigten ihre Strukturen. Darüber h<strong>in</strong>aus begünstigtedas fehlende staatliche <strong>Gewalt</strong>monopol die (bewaffnete) Selbstregulierungnachbarschaftlicher, tribaler oder religiöser Konflikte. Zur Analyse der Sicherheitsherausforderungen<strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen <strong>und</strong> den staatlichen Reaktionen werden diebisherigen Erkenntnisse der <strong>Transformation</strong>sforschung zu den Entstehungsbed<strong>in</strong>gungenvon Unsicherheit <strong>und</strong> zum Umgang mit Sicherheitsdefiziten <strong>in</strong> anderen <strong>Transformation</strong>sstaatenherangezogen. Zugleich werden Fragen entwickelt, auf die sich die zukünftigeForschung konzentrieren sollte, um den Zusammenhang zwischen Prozessen der politischen<strong>Transformation</strong>, <strong>in</strong>stitutioneller Instabilität <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> zu klären, die e<strong>in</strong>e Wiederherstellungder öffentlichen Sicherheit nach politischen Umbrüchen erschweren.Schlagwörter: <strong>Transformation</strong>, öffentliche Sicherheit, <strong>Ägypten</strong>, Libyen, <strong>Tunesien</strong>Dr. Hanspeter Mattesist wissenschaftlicher Mitarbeiter des GIGA Instituts für Nahost‐Studien. Hauptgegenstandder Forschung s<strong>in</strong>d neben den <strong>in</strong>nen‐ <strong>und</strong> außenpolitischen Entwicklungen derMaghrebstaaten Algerien, Marokko, Libyen <strong>und</strong> <strong>Tunesien</strong> vor allem Sicherheitsaspekte<strong>und</strong> die sicherheitspolitische Dimension <strong>in</strong> der EU‐Nachbarschaftspolitik.Kontakt: Webseite: 219/2013 GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


<strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong><strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011:E<strong>in</strong> ForschungsaufrissHanspeter MattesInhalt1 E<strong>in</strong>leitung: <strong>Gewalt</strong> <strong>und</strong> Sicherheitsherausforderungen <strong>in</strong> der <strong>Transformation</strong>sforschung2 <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> die Erosion des staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopols3 Sicherheitspolitische Herausforderungen <strong>in</strong> der <strong>Transformation</strong>sphase4 Maßnahmen zur Wiederherstellung des staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopols5 Zwischenergebnis <strong>und</strong> weitere ForschungsfragenLiteraturh<strong>in</strong>weise1 E<strong>in</strong>leitung: <strong>Gewalt</strong> <strong>und</strong> Sicherheitsherausforderungen <strong>in</strong> der <strong>Transformation</strong>sforschungIm Standardwerk von Wolfgang Merkel zur Systemtransformation (Merkel 2 2010), das sichals E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Theorie <strong>und</strong> Empirie der <strong>Transformation</strong>sforschung versteht, wirdzwar der Rolle der Massen <strong>und</strong> Eliten im <strong>Transformation</strong>sprozess e<strong>in</strong> eigenes Kapitel gewidmet,nicht jedoch die Rolle der Sicherheitsorgane oder die von gewaltbereiten <strong>und</strong> bewaffnetenAkteuren bei Machtwechseln <strong>und</strong> im weiteren Verlauf von <strong>Transformation</strong>spro‐GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 5zessen 1 oder die Auswirkungen des teilweisen oder vollständigen Verlusts des staatlichen<strong>Gewalt</strong>monopols eigens thematisiert.Diesem Aspekt widmeten sich hauptsächlich Untersuchungen zum Wiederaufbau vonRecht <strong>und</strong> Ordnung nach Konflikten wie der 2005 im Auftrag der Rand Corporation entstandeneBand Establish<strong>in</strong>g law and order after conflict (Jones u.a. 2005). In dieser Studie wurdeanhand der Fallbeispiele Kosovo, Afghanistan <strong>und</strong> Irak nach dem Erfolg der umgesetztenMaßnahmen zum Wiederaufbau <strong>in</strong>terner Sicherheitsstrukturen <strong>und</strong> zur Herstellung von Sicherheitgefragt <strong>und</strong> geprüft, ob sie zur <strong>in</strong>ternen politischen Stabilität <strong>und</strong> Umsetzung staatlichenRechts („rule of law“) führten. War dies der Fall, dann, so die Autoren, war von Erfolgzu sprechen. Als Indikator für Stabilität zogen sie u.a. die Krim<strong>in</strong>alitätsrate, das Niveau derpolitischen <strong>Gewalt</strong> <strong>und</strong> die Wahrnehmung von Sicherheit <strong>in</strong> der Bevölkerung (Sicherheitsempf<strong>in</strong>den)heran. Die ergriffenen Maßnahmen g<strong>in</strong>gen von drei Annahmen aus (Jones u.a.2005: XII‐XIII):1) Die Wiederherstellung von Sicherheit sollte unmittelbar nach Beendigung der Hauptkampfhandlungenerfolgen; sie hat Priorität.2) Der Wiederaufbau <strong>und</strong> die Reform von Polizei <strong>und</strong> Sicherheitsorganen reichen nicht aus,um e<strong>in</strong> sicheres Umfeld <strong>und</strong> den Schutz der bürgerlichen Freiheiten zu garantieren. E<strong>in</strong>epolitisierte, korrupte, <strong>in</strong>kompetente Justiz <strong>und</strong> <strong>in</strong>humaner Strafvollzug unterm<strong>in</strong>ierene<strong>in</strong>e verbesserte Polizeiarbeit <strong>und</strong> ‐organisation; e<strong>in</strong>e schwache Justiz begünstige OrganisierteKrim<strong>in</strong>alität, extralegale Tötungen, politische Morde <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>krim<strong>in</strong>alität.3) Zum effektiven Wiederaufbau von Sicherheit bedarf es e<strong>in</strong>es bestimmten personellen<strong>und</strong> f<strong>in</strong>anziellen Umfangs (z.B. 1.000 Soldaten auf 100.000 E<strong>in</strong>wohner) <strong>und</strong> seitens externerUnterstützer Garantien, m<strong>in</strong>destens fünf Jahre Hilfestellung zu leisten.Nur wenn alle drei Bed<strong>in</strong>gungen erfüllt s<strong>in</strong>d, kann <strong>in</strong>terne Stabilität erreicht werden; weitereBed<strong>in</strong>gungen seien jedoch erforderlich. Die Autoren def<strong>in</strong>ierten deshalb Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen,die e<strong>in</strong>e Schlüsselrolle beim Aufbau von Sicherheit <strong>und</strong> „rule of law“ nach Konflikten e<strong>in</strong>nehmen<strong>und</strong> das Resultat maßgeblich bee<strong>in</strong>flussen; hierzu zählen die Existenz e<strong>in</strong>er funktionsfähigenRegierung, funktionsfähige Sicherheitsorgane <strong>und</strong> der Status/das Ansehen derSicherheitsorgane, e<strong>in</strong> effektives Justizsystem <strong>und</strong> gegebenenfalls e<strong>in</strong> Friedensabkommen.Die Hessische Stiftung Friedens‐ <strong>und</strong> Konfliktforschung wiederum veröffentlichte <strong>in</strong> ihrerStudienreihe 2012 e<strong>in</strong>en Sammelband, der sich dem Thema Demokratisierung <strong>und</strong> <strong>in</strong>nere<strong>Gewalt</strong> widmet (Spanger 2012), um e<strong>in</strong>e Lücke <strong>in</strong> der Forschung zu schließen, denn bislangsei die Korrelation zwischen Demokratisierung <strong>und</strong> <strong>in</strong>nerstaatlicher <strong>Gewalt</strong> hauptsächlich1 Auch im Konferenzbericht des Genfer Centre on Conflict, Development and Peacebuild<strong>in</strong>g (CCDP 2012) zu denHerausforderungen der politischen <strong>Transformation</strong>sprozesse für zivile Akteure <strong>in</strong> arabischen Staaten nachden Umbrüchen 2011 wurden die zunehmend freigesetzte <strong>Gewalt</strong>, das nicht <strong>in</strong>takte staatliche <strong>Gewalt</strong>monopol,die Auflösung der Sicherheitsarchitektur oder generell Sicherheitsdefizite <strong>und</strong> ihre Folgen für den weiterenVerlauf des <strong>Transformation</strong>sprozesses nicht näher erwähnt. Bei dem Aspekt <strong>in</strong>stitutionelle Reformen warder Blick verengt auf Wahlen <strong>und</strong> Verfassungsreformen.WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


6 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011quantitative Forschung gewesen. Der aktuelle Forschungsstand, so die Autoren, lasse „h<strong>in</strong>länglichgesichert“ die Annahme zu,— „dass sowohl politische Instabilität als auch Regimewandel die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit von<strong>Gewalt</strong>konflikten jeglicher Form bee<strong>in</strong>flussen“ (Spranger 2012: 30) <strong>und</strong> relevant für denAusbruch von <strong>Gewalt</strong>konflikten seien;— ausschlaggebend für den Ausbruch von <strong>Gewalt</strong>konflikten sei h<strong>in</strong>gegen nicht der Regimetyp,sondern eher die zeitliche Nähe zum Regimewandel.— Die Ausprägung der <strong>Gewalt</strong>konflikte hänge wiederum von zwei weiteren Faktoren ab:erstens der Leistungsfähigkeit der politischen Institutionen <strong>und</strong> zweitens dem sozioökonomischenEntwicklungsniveau.Es bedürfe jedoch deutlich mehr qualitativer E<strong>in</strong>zelfallstudien, um empirisch den Wirkungszusammenhangzwischen Demokratisierung <strong>und</strong> Konflikt bzw. zwischen den Ersche<strong>in</strong>ungsformen<strong>in</strong>nerer <strong>Gewalt</strong> <strong>und</strong> der Ausformung <strong>und</strong> Stärke der staatlichen Institutionen nachzugehen(Spranger 2012: 35). Zur Untersuchung starker/schwacher Staatlichkeit wurde nachder Leistungsfähigkeit von fünf staatlichen Institutionen gefragt: Staatsführung/Regierung,Militär, Polizei, Justizapparat <strong>und</strong> Verwaltungsapparat. 2Petter Grahl Johnstad untersuchte, wie sich die gewaltsame oder gewaltfreie Durchführungvon Regimewechseln (also die Transitionsart) auf die folgenden <strong>Transformation</strong>sphasenauswirkte (Johnstad 2010). Er belegte mit se<strong>in</strong>er Fallüberprüfung die Ergebnisse e<strong>in</strong>erUntersuchung von Adrian Karatnycky <strong>und</strong> Peter Ackermann (2005), demzufolge gewaltfreier,von zivilen Akteuren herbeigeführter Regimewandel zu e<strong>in</strong>em höheren Niveau an Freiheit<strong>und</strong> Demokratie führt als e<strong>in</strong> Regimewandel, der mit <strong>Gewalt</strong> umgesetzt werden, sei esvon oben durch die bisherigen Machthaber oder durch die Opposition. Die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit,dass langfristig e<strong>in</strong>e „high‐quality“ Demokratie aufgebaut werde, reduziere sich mit(steigendem) <strong>Gewalt</strong>e<strong>in</strong>satz (Johnstad 2010: 474). Die Existenz e<strong>in</strong>er gewaltbereiten Oppositionbegünstige zudem die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>es Konflikts <strong>in</strong> der Phase nach dem Regimewechsel.Staatliche <strong>und</strong> oppositionelle <strong>Gewalt</strong> haben negative Langzeitauswirkungenauf die politische <strong>und</strong> wirtschaftliche Entwicklung nach e<strong>in</strong>em (demokratischen) Regimewandel.Auf die verschiedenen <strong>Gewalt</strong>formen <strong>und</strong> Sicherheitsdefizite, die im E<strong>in</strong>zelnen entstehenkönnen <strong>und</strong> welche Maßnahmen <strong>in</strong> welchem Stadium der Regimetransformation nötigwären, um <strong>Gewalt</strong> zu reduzieren <strong>und</strong> die Sicherheit zu erhöhen sowie dem Aspekt, welcheRolle dabei staatlichen Sicherheitsorgane zukommt, wird <strong>in</strong> der Analyse jedoch nichtnäher e<strong>in</strong>gegangen. 32 Für die Fallanalysen wurden von der Hessischen Stiftung für Konfliktforschung verschiedene Skalen <strong>in</strong>ternationalerE<strong>in</strong>richtungen (wie u.a. Freedom House, F<strong>und</strong> for Peace, Global Peace Index, Political Terror Scale,)zugr<strong>und</strong>e gelegt. Das Sp<strong>in</strong>nendiagramm des F<strong>und</strong> for Peace stellt die Leistungsfähigkeit der fünf Institutionen:Leadership, Military, Police, Judiciary, Civil Service im Netzdiagramm auf e<strong>in</strong>er Werteskala von0 („poor“) bis 4 („excellent“) dar; je kle<strong>in</strong>er der Wert, desto höher die Gefahr des Staatsversagens.3 E<strong>in</strong>en diesbezüglichen allgeme<strong>in</strong>en Analyserahmen entwickelten h<strong>in</strong>gegen Kurtenbach/Wolf (2012).GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 7<strong>Gewalt</strong>phänomene, wie <strong>Gewalt</strong> „gezähmt“ <strong>und</strong> wie das staatliche <strong>Gewalt</strong>monopol imRahmen von Prozessen des State‐build<strong>in</strong>g gewonnen <strong>und</strong> gesichert werden kann, ist Themader Studie von Antonio Giustozzi (2011). Für Staaten, deren Staatlichkeit <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong>monopolnach Macht‐ oder Regimewechseln <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>leitung e<strong>in</strong>es <strong>Transformation</strong>sprozessesnicht mehr <strong>in</strong>takt ist, die somit Maßnahmen zu deren Rückgew<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> Konsolidierungergreifen müssen, gilt demnach, dass Institutionenbildung e<strong>in</strong> Schlüssel zur E<strong>in</strong>grenzung(Zähmung) von <strong>Gewalt</strong> ist <strong>und</strong> deshalb dem Sicherheitssektor e<strong>in</strong>e besondere Rolle zukommt.Diese Schlussfolgerung zog auch Rob<strong>in</strong> Luckham <strong>in</strong> dem Sammelband Govern<strong>in</strong>g Insecurity.Democratic control of military and security establishments <strong>in</strong> transitional democracies(Cawthra <strong>und</strong> Luckham 2003), der die Bedeutung e<strong>in</strong>er (demokratischen) Sicherheitssektorreformhervorhebt, die allerd<strong>in</strong>gs mit e<strong>in</strong>er Reihe von Maßnahmen koord<strong>in</strong>iert werden müsse,um die Wirtschaft <strong>und</strong> die Alltagssicherheit nach gewaltsamen Konflikten <strong>und</strong> Macht‐/Regimewechseln zu normalisieren. In erster L<strong>in</strong>ie bedeute dies„adequate livelihoods for demobilised combatants; rebuild<strong>in</strong>g taxation systems; antismuggl<strong>in</strong>gand anti‐corruption measures; reconstruction of police and judicial systems;and the regulation of private security bodies“.(Cawthra <strong>und</strong> Luckham 2003: 24)Alle Analysen bekräftigen die Annahme, dass die E<strong>in</strong>leitung von politischen <strong>Transformation</strong>sprozessen(zunächst) Unsicherheit erhöht <strong>und</strong> der Wiedergew<strong>in</strong>nung des öffentlichen<strong>Gewalt</strong>monopols <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>grenzung von <strong>Gewalt</strong> für den weiteren Prozess des staatlichenInstitutionenaufbaus e<strong>in</strong>e zentrale Rolle zukommt.Im folgenden Text werden <strong>in</strong> Kapitel 2 ausgehend von den Beobachtungen <strong>in</strong> Zusammenhangmit den Fallbeispielen <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen die Erosion des <strong>Gewalt</strong>monopolsim Verlauf der politischen, gewaltsamen Umbruchsprozesse thematisiert. Kapitel 3geht auf die neuen Akteure <strong>und</strong> Machtkonstellationen e<strong>in</strong>, die bereits bestehende Konflikte<strong>in</strong>tensivieren <strong>und</strong> neue Konflikte generieren, die <strong>in</strong> gewaltsame Konfrontationen mündetenoder das Potential zu <strong>Gewalt</strong>konflikten haben <strong>und</strong> zum Teil grenzüberschreitende sicherheitspolitischeAuswirkungen zeigten. Kapitel 4 befasst sich mit Maßnahmen der Regierungen<strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen, mit denen das staatliche <strong>Gewalt</strong>monopol wiederhergestelltwerden soll. In Kapitel 5 werden die vorläufigen Erkenntnisse zusammengefasst <strong>und</strong>weitere Forschungshypothesen entwickelt.2 <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> die Erosion des staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopolsIn <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> Libyen kam es 2011 aus Unzufriedenheit mit der sozialen <strong>und</strong>wirtschaftlichen Lage <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere der Perspektivlosigkeit der <strong>in</strong> hohem Maße von Arbeitslosigkeitbetroffenen Jugendlichen, jungen Erwachsenen <strong>und</strong> Hochschulabgänger, aberauch aus Protest gegen die politische Unfreiheit zu umfassenden Massenprotesten, die zu politischenMachtwechseln führten. Nach dem Sturz der Präsidenten Ben Ali (14. Januar 2011) <strong>und</strong>WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 9In allen drei Staaten betonen jedoch die Regierungen ihren Willen zur Wiederherstellungstaatlicher Strukturen <strong>und</strong> des <strong>Gewalt</strong>monopols. 5 <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen s<strong>in</strong>d deshalbentsprechend den Kriterien von Eizenstat u.a. (Eizenstat 2005) zum jetzigen Zeitpunktals „weak states“, nicht als „failed states“ zu klassifizieren. 6Die drei nordafrikanischen Umbruchstaaten stützen die Annahme, dass politische Instabilität<strong>und</strong> Regimewandel die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit von (weiteren) <strong>Gewalt</strong>konflikten erhöhen(Spanger 2012: 30). Dem Aufbau der fünf zentralen staatlichen Institutionen: Staatsführung/Regierung,Militär, Polizei, Justizapparat <strong>und</strong> Verwaltungsapparat kommt deshalbnachweislich für den Verlauf des <strong>Transformation</strong>sprozesses <strong>und</strong> für die Sicherung leistungsfähigerStaatlichkeit e<strong>in</strong>e große Bedeutung zu. Leistungsfähigkeit des Staates bedeutet auch,dass das staatliche <strong>Gewalt</strong>monopol wiederhergestellt <strong>und</strong> <strong>in</strong>takt ist <strong>und</strong> der Staat öffentlicheSicherheit gewährleistet. Die Erfahrungen <strong>in</strong> Kosovo, Afghanistan <strong>und</strong> Irak (Jones u.a. 2005)zeigten, dass der Wiederaufbau von Sicherheit, also die Herstellung der Leistungsfähigkeitdes Sicherheitssektors <strong>und</strong> die Umsetzung e<strong>in</strong>er Sicherheitssektorreform (<strong>in</strong>klusive desStrafvollzugs <strong>und</strong> des Justizapparates) direkt nach Kampfhandlungen bzw. der „heißen“Konfliktphase Priorität haben müssen, 7 um die stabilen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für weitereAufbaumaßnahmen (wirtschaftlicher, sozialer Art usw.) <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>hegung von <strong>Gewalt</strong> zuschaffen. Voraussetzung für die E<strong>in</strong>leitung der notwendigen Schritte ist e<strong>in</strong>e funktionsfähigeRegierung, die durch ihr Handeln dezidiert zu verstehen gibt, dass <strong>Gewalt</strong> als Mittel desKonfliktaustrags nicht toleriert wird. Die Rolle der e<strong>in</strong>zelnen politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichenAkteure <strong>in</strong> den nordafrikanischen <strong>Transformation</strong>sstaaten ist deswegen genauer zu untersuchen.5 Dies bekräftigte z.B. mehrfach der libysche Premierm<strong>in</strong>ister Zaidan Anfang 2013; vgl. Libya Herald, 3. März 2013,Zeidan: Security ‐ The state must impose its will. Premierm<strong>in</strong>ister Larayedh nannte als zweite wichtige Aufgabeder neuen tunesischen Regierung vom 8. März 2013 nach Verabschiedung der Verfassung <strong>und</strong> der Organisationvon Wahlen die Wiederherstellung der Ordnung, den Kampf gegen Krim<strong>in</strong>alität <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> all ihren Formen;vgl. X<strong>in</strong>huanet, 13. März 2013, Tunisie: Les quatre priorités prioritaires du nouveau gouvernement.6 Diese Auffassung vertritt auch der Terrorismusforscher Bruce Hoffman, der erst im Februar 2013 noch e<strong>in</strong>malden aus se<strong>in</strong>er Sicht zentralen Unterschied zwischen „weak“ <strong>und</strong> „failed states“ machte: „Failed states haveneither the will nor the capacity to police their borders, ma<strong>in</strong>ta<strong>in</strong> law and order <strong>in</strong>ternally, and fulfill even themost basic requirements of governance. They are generally <strong>in</strong>capable of receiv<strong>in</strong>g <strong>in</strong>ternational assistance <strong>in</strong>support. Weak states may perhaps have the will, but not the capacity to discharge these same functions butare often amenable to <strong>in</strong>ternational assistance and support.” Vgl. se<strong>in</strong> Interview vom 19. Februar 2013, onl<strong>in</strong>e:(12. März 2013).7 Dies schließt die Unterstützung durch das Ausland e<strong>in</strong>. In Libyen endete die ausländische Unterstützung mitder Proklamation der Befreiung Libyens durch den Nationalen Übergangsrat am 23. Oktober 2011; die anhaltendeUnsicherheit e<strong>in</strong>schließlich der höchst defizitären Grenzsicherheit entfachte allerd<strong>in</strong>gs seit Ende 2012die Diskussion um e<strong>in</strong>e Postkonflikt<strong>in</strong>tervention (hier bezogen auf den Bürgerkrieg Februar‐Oktober 2011);direktes Ergebnis war die am 12. Februar 2013 <strong>in</strong> Paris abgehaltene Unterstützerkonferenz (s.u.).WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


10 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 20112.1 Neue Akteure <strong>und</strong> MachtverschiebungenDie erfolgreichen Machtwechsel <strong>in</strong> den nordafrikanischen <strong>Transformation</strong>sstaaten führten –wenngleich <strong>in</strong> unterschiedlichem Ausmaß – zur Herausbildung zahlreicher neuer Akteure<strong>und</strong> Institutionen. Durch den Wegfall repressiver Vorschriften des alten Regimes wurden fürneue wie alte Akteure die Handlungsspielräume erweitert. Diese Feststellung betrifft sowohldie politischen als auch die sicherheitspolitischen Akteure. Unter länderspezifischen Gesichtspunktenvollzog sich <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Libyen durch die vollständige Zerschlagung derJamahiriya‐Staatsstruktur <strong>und</strong> der qaddafischen Sicherheitsorgane e<strong>in</strong> deutlich gravierendererBruch mit der Vergangenheit als <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> <strong>und</strong> <strong>Ägypten</strong>, wo es nur zu Teilmodifikationender politischen Struktur kam <strong>und</strong> die Sicherheitsarchitektur nahezu unverändert blieb.In Libyen bestimmen seit der Proklamation der Befreiung des Landes im Oktober 2011 dievollständige Institutionenneubildung <strong>und</strong> der Wiederaufbau neuer nationaler Sicherheitsorganedie politische Agenda. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der bereits unter Qaddafi politisch bedeutsamgewordenen tribalen Struktur des Landes ist die tribale Ausgewogenheit im Institutionenbildungsprozessvon großer Bedeutung. Problematisch für die Stärkung nationaler Institutionen<strong>und</strong> Organe ist seither auch die Integration der überwiegend auf tribaler/lokalerBasis organisierten revolutionären Brigaden, die das Faustpfand für die Durchsetzung vontribalen/lokalen Interessen waren/s<strong>in</strong>d.Die neuen Akteure haben e<strong>in</strong> jeweils länderspezifisches Profil, auch wenn es teilweiseähnliche Entwicklungen gab. Dies betrifft vor allem die Gründung neuer Parteien; <strong>in</strong> allendrei Staaten wurden gesetzliche Restriktionen zur Parteigründung nach den Machtwechselnaufgehoben. Die Gründung von über 140 Parteien <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, von über 160 Parteien <strong>in</strong> Libyen<strong>und</strong> zahlreichen Parte<strong>in</strong>eugründungen <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong>, darunter die Freedom and JusticeParty (FJP) der Muslimbrüder <strong>und</strong> die Nur‐Partei der Salafisten, zeugen von e<strong>in</strong>er nahezuexplosionsartigen Dynamik der Zivilgesellschaft. Empirische Studien über die regionale <strong>und</strong>soziale Verankerung der Parteien stehen allerd<strong>in</strong>gs noch aus. Es gibt auch noch ke<strong>in</strong>e Erklärungendafür, warum es manche Parteien <strong>und</strong> zivilgesellschaftliche Gruppen trotz jahrelangerRepression aus dem Stand heraus vermochten, <strong>in</strong> hohem Maße Anhänger <strong>und</strong> Sympathisantenzu mobilisieren <strong>und</strong> zu rekrutieren. Gerade die salafistischen Gruppen <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong><strong>und</strong> <strong>Ägypten</strong> konnten überproportional viele jüngere Männern <strong>und</strong> Frauen mobilisieren,wobei offen ist, <strong>in</strong> welchem Umfang hier ideologische Gründe, Geldzuwendungen <strong>und</strong> Zuweisungenvon subjektiv s<strong>in</strong>nvollen gesellschaftlichen Aufgaben (z.B. Aufgaben als selbsternannteSittenwächter) e<strong>in</strong>e Rolle spielten.Von der politischen Öffnung nach den Machtwechseln profitierten <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> (u.a.) mitder Ennahda‐Partei <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong> mit der FJP sowie der Nur‐Partei <strong>in</strong>sbesondere religiösgeprägte politische Parteien, denen bislang die Zulassung verwehrt worden war. Ihr Bonusals Opposition <strong>und</strong> Opfer der Repression des alten Regimes verhalf ihnen nach dem Machtwechselbei den ersten Wahlen (<strong>Ägypten</strong>: Parlament; <strong>Tunesien</strong>: Verfassungsgebende Versammlung)zum Wahlsieg. Der Wahlsieg der Islamisten <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> <strong>Tunesien</strong> führte zurGIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 11Bipolarisierung der politischen Landschaft (Säkularisten versus Islamisten) <strong>und</strong> zur Eskalationder <strong>Gewalt</strong> zwischen beiden Lagern.Der Wahlsieg islamistischer Parteien wiederholte sich jedoch nicht <strong>in</strong> Libyen, wo bei denWahlen zum Nationalkongress im Juli 2012 die islamistischen Parteien überraschenderweise(auch für sie selbst) kaum Sitze erzielen konnten. 8 Die Polarisierung der Gesellschaft <strong>in</strong> zweiLager verh<strong>in</strong>derte dies <strong>in</strong>des nicht: In Libyen stehen sich vielmehr zwei Lager, die sich deutlichim Umgang mit Vertretern des alten Regimes (harte Haltung versus moderat‐versöhnlicheHaltung) unterscheiden, gegenüber. Allerd<strong>in</strong>gs geht es dabei <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um dieDurchsetzung von macht‐ <strong>und</strong> wirtschaftspolitischen Interessen <strong>und</strong> die Gestaltung der neuenOrdnung (Lacher 2013: 13 f.).Begünstigt durch die Proliferation von Waffen <strong>in</strong> Libyen <strong>und</strong> von libyschen Waffen <strong>in</strong>den Nachbarstaaten (Ammour 2012) kam es zu e<strong>in</strong>er Verschärfung des Konfliktes zwischenbeiden Lagern. In Libyen wollen vor allem islamistische Brigaden <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> die vonEnnahda dom<strong>in</strong>ierten „Ligen zum Schutz der Revolution“ sowie militante salafistischeGruppen ihre Gesellschaftskonzeption <strong>und</strong> den islamistischen Machtanspruch durchsetzen.In <strong>Ägypten</strong> sche<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>gegen eher Vertreter des säkularen Pols wie der 2013 <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>unggetretene radikale „Schwarze Block“ 9 mit se<strong>in</strong>en Angriffen auf Anhänger des seit Juni2012 amtierenden islamistischen Präsidenten Mursi die <strong>Gewalt</strong>eskalation anzufachen. Zuden unterschiedlichen Akteuren <strong>und</strong> ihren Handlungsmotiven liegen bislang allerd<strong>in</strong>gs erstrudimentäre Informationen vor. 10Machtverschiebungen gab es auch im Bereich der zivilmilitärischen Beziehungen, wobeies nach gegenwärtigem Forschungsstand weniger <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> als vielmehr <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong><strong>in</strong> Libyen zu e<strong>in</strong>er zivilmilitärischen Machtverschiebung kam. Diese unterschiedlichen Entwicklungsverläufewerden <strong>in</strong> Kapitel 2.2.1. skizziert (s.u.).2.2 Produzenten von Sicherheit <strong>und</strong> UnsicherheitBei den Akteuren, die <strong>in</strong> der seit 2011 laufenden <strong>Transformation</strong>sphase <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong><strong>und</strong> Libyen mit Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit aktiv wurden, s<strong>in</strong>d die „Produzentenvon öffentlicher Sicherheit“, sowie ihr Spiegelbild, die „Produzenten von Unsicherheit“,die das staatliche <strong>Gewalt</strong>monopol unterm<strong>in</strong>ieren bzw. es gar nicht erst anerkennen,vone<strong>in</strong>ander zu unterscheiden (vgl. Graphik 1):Die „Produzenten von Sicherheit“ s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel die staatlichen Sicherheitsorgane, alsodas Militär, die Nationalgarde, Polizei, die Inlandsgeheimdienste; <strong>in</strong> Libyen kommt e<strong>in</strong>Teil der revolutionären Brigaden, die sich unter das Kommando des Verteidigungsm<strong>in</strong>isteri‐8 Von den 80 Parteisitzen entfielen 39 auf die eher säkular ausgerichtete Allianz der nationalen Kräfte <strong>und</strong> 17 Sitzeauf die Partei der Muslimbrüder, die Partei für Gerechtigkeit <strong>und</strong> Wiederaufbau; die restlichen 24 Sitze fielen an19 Parteien, die meistens je nur e<strong>in</strong>en Sitz errangen; darunter waren ke<strong>in</strong>e islamistischen Parteien.9 Vgl. Reuters, 25. Januar 2013, A “black bloc” emerges <strong>in</strong> Egypt.10 Zu Libyen vgl. ansatzweise Lacher (2013), Chivvis (2012) sowie El‐Katiri (2012).WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


12 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011ums <strong>und</strong> des Innenm<strong>in</strong>isteriums gestellt haben, h<strong>in</strong>zu. Zunehmend aktiv werden aber auchprom<strong>in</strong>ente E<strong>in</strong>zelpersonen <strong>und</strong> zivilgesellschaftliche Gruppen wie die tunesische Vere<strong>in</strong>igungfür e<strong>in</strong>e demokratische Polizei oder der libysche Großmufti, der sich <strong>in</strong> den letztenMonaten mehrfach für die E<strong>in</strong>sammlung von Waffen <strong>und</strong> das Ende politischer Morde aussprach.Sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diese Kategorie mit aufzunehmen.Die „Produzenten von Unsicherheit“, also jene Akteursgruppen, die mit ihren Aktivitätendie öffentliche Sicherheit unterm<strong>in</strong>ieren <strong>und</strong> das staatliche <strong>Gewalt</strong>monopol herausfordern,s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>gegen <strong>in</strong> der Regel militante Islamisten (primär Salafisten mit ihren Übergriffenu.a. auf Sufischre<strong>in</strong>e, Kirchen, aber auch Bars <strong>und</strong> Schönheitssalons), neugebildete Milizenzum Schutz der Moral (Sittenwächter), terroristische Zellen mit <strong>und</strong> ohne Verb<strong>in</strong>dungzu Al‐Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM), aber auch gewaltbereite Demonstranten gegenArbeitslosigkeit <strong>und</strong> soziale Marg<strong>in</strong>alisierung, gewaltbereite Verfechter ethnisch begründeterForderungen sowie Mitglieder krim<strong>in</strong>eller Banden – <strong>in</strong>sbesondere die <strong>in</strong> der Regeldem Bereich Organisierte Krim<strong>in</strong>alität zuzuordnenden <strong>und</strong> häufig grenzüberschreitend operierendenWaffen‐ <strong>und</strong> Drogenschmuggler sowie Schleusergruppen illegaler Migranten.H<strong>in</strong>zuweisen ist schließlich auf e<strong>in</strong>e dritte Gruppe, die h<strong>in</strong>sichtlich ihres Verhältnisseszur öffentlichen Sicherheit ambivalent ist, weil sie sowohl Sicherheit als auch Unsicherheitproduzieren kann. Zwei Beispiele: Diejenigen islamistischen Kämpfer, die <strong>in</strong> Libyen 2012 Teilder Armee oder des mit polizeilichen Sicherungsaufgaben betrauten Supreme Security Committeesgeworden s<strong>in</strong>d, haben im Fall der Zerstörung von Sufischre<strong>in</strong>en durch die Salafistennicht e<strong>in</strong>gegriffen, die Zerstörungsaktionen ja sogar teilweise gedeckt oder durch ihr passivesVerhalten erst möglich gemacht (vgl. AI 2012b).In <strong>Tunesien</strong> s<strong>in</strong>d die Anfang 2011 entstandenen Ligen zum Schutz der Revolution, die heuteunter Kontrolle der Ennahda stehen, ke<strong>in</strong>e stabilisierenden Verbände mehr, sondern sie polarisieren<strong>und</strong> praktizieren e<strong>in</strong>seitig zugunsten der Regierungspartei Ennahda politische <strong>Gewalt</strong>.Sie gelten als Miliz der Ennahda <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d damit destabilisierende Organe e<strong>in</strong>er Partei, die vorden Wahlen im Oktober 2011 mit dem Anspruch angetreten ist, für öffentliche Sicherheit zusorgen. Seit der Regierungsübernahme Ennahdas im Januar 2012 wurden aus machtpolitischenGründen Gegner <strong>in</strong> Schach gehalten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>geschüchtert <strong>und</strong> mittels <strong>Gewalt</strong> an Protesten<strong>und</strong> politischen Aktivitäten geh<strong>in</strong>dert, die sich gegen Ennahda richteten bzw. kritisch gegenüberEnnahda waren. Damit soll <strong>in</strong> der Phase der laufenden Institutionenbildung <strong>und</strong> dernoch nicht abgeschlossenen Verfassungsdiskussion der E<strong>in</strong>fluss Ennahdas konsolidiert werden.Probates Mittel zur Ausschaltung von Konkurrenz war <strong>und</strong> ist landesweit der E<strong>in</strong>satzgewaltbereiter Unterstützer („eigener“ Akteure wie die Ligen zum Schutz der Revolution), dieDuldung <strong>und</strong> Begünstigung gewaltsamer Aktionen gleichges<strong>in</strong>nter anderer Akteure (z.B. salafistischeVere<strong>in</strong>igungen <strong>und</strong> Gruppen) oder die Duldung von Aufforderungen zu <strong>Gewalt</strong> seitensislamistischer Imame <strong>in</strong> ihren Predigten, sofern dies die eigenen Positionen stärkt. DieseVere<strong>in</strong>igungen, Gruppen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelpersonen hatten ke<strong>in</strong>e Strafverfolgung oder, wenn es dennochzu Anklagen kam, ke<strong>in</strong>e harten Strafen zu befürchten.GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 13Graphik 1: Produzenten von Sicherheit versus Produzenten von Unsicherheit <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>,<strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011Produzenten von SicherheitAusgangspunkt:In allen drei nordafrikanischen <strong>Transformation</strong>sstaatenexistieren Produzenten von Sicherheit,die im Rahmen des staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopolsaktiv werden oder (wie <strong>in</strong> Libyen) von derStaatsführung beauftragt s<strong>in</strong>d, das <strong>Gewalt</strong>monopolwiederherzustellenProduzenten von Unsicherheit <strong>und</strong>ihre AktionsbereicheAusgangspunkt:In allen drei nordafrikanischen <strong>Transformation</strong>sstaatenist als Folge des entstandenen Sicherheitsvakuumse<strong>in</strong> Anstieg an gewaltförmigen Konflikten,an Krim<strong>in</strong>alität <strong>und</strong> an terroristischen Aktivitätenzu verzeichnen.Bereiche, <strong>in</strong> denen Produzenten von Unsicherheitwirken: Nationale Armee Teilstreitkräfte (Heer, Mar<strong>in</strong>e, Luftwaffe) Militärpolizei Staatssicherheit (al‐amn al‐amm) Nationalgarde/Gendarmerie Polizei Grenzpolizei/Zoll <strong>in</strong> Armee <strong>und</strong> Polizei <strong>in</strong>tegrierte revolutionäreBrigaden (teilweise islamistischausgerichtet) (Libyen 2011/2012) Nachrichtendienste (Inland/Ausland)Maßnahmen<strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen: E<strong>in</strong>satz von Sicherheitsorganen neue Gesetze/Dekrete gegebenenfalls Verhängung des Ausnahmezustandes/Notstands Bereitschaft zur regionalen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalenKooperationEthnisch/tribale Konflikte um den Zugangzu Ressourcen/Dispositionsgewalt überRessourcenerlöseReligiöse KonflikteIntrareligiös: Salafisten versus Andersdenkende;Sunniten versus SchiitenInterreligiös: Muslime versus ChristenMachtpolitische Konflikte<strong>Politische</strong> <strong>und</strong> materielle Forderungen z.B.der revolutionären Milizen <strong>in</strong> Libyen;<strong>Tunesien</strong>: Die nichtstaatlichen Komiteeszum Schutz der Revolution s<strong>in</strong>d de factoProduzenten von UnsicherheitSoziale KonflikteMilitante, gewaltbereite Demonstranten(Übergriffe auf staatliche E<strong>in</strong>richtungen)Terrorismus<strong>Gewalt</strong>akte von Al‐Qaida im IslamischenMaghreb (AQIM), salafistischen jihadistischenGruppenKrim<strong>in</strong>alität, primär Drogenhandel, Waffenhandel,Schleuseraktivitäten, Entführungen,ProduktpiraterieQuelle: eigener Entwurf.Die genannten Akteursgruppen griffen nicht alle gleichzeitig, sondern zu unterschiedlichenZeitpunkten <strong>in</strong> den jeweils nationalen <strong>Transformation</strong>sprozess e<strong>in</strong>, wobei die „Interventionszeitpunkte“eng mit dem Entstehungskontext der entsprechenden Akteursgruppen <strong>und</strong>ihren Zielen verknüpft sche<strong>in</strong>en. Warum diese Ablaufprozesse <strong>in</strong> allen drei <strong>Transformation</strong>sstaatenzeitlich deutlich unterschiedlich abliefen, bleibt zu h<strong>in</strong>terfragen. Offensichtlich ist allerd<strong>in</strong>gs,dass zum Beispiel Konflikte zwischen sogenannten „Revolutionsanhängern“, alsoUnterstützern e<strong>in</strong>es Macht‐ <strong>und</strong> Regimewechsels, ke<strong>in</strong> Phänomen der ersten St<strong>und</strong>e nachdem Machtwechsel waren. 11 Sie traten erst im Laufe des weiteren <strong>Transformation</strong>sprozesses11 Die Konflikte zwischen revolutionären Brigaden (<strong>in</strong>sbesondere aus Rivalität um die Kontrolle von Territorium)s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Libyen erst nach dem Sturz Qaddafis im Oktober 2011 ausgebrochen.WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


14 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011beim Kampf um politischen E<strong>in</strong>fluss auf, als sich die Machtambitionen speziell der islamistischenOrganisationen deutlich manifestierten <strong>und</strong> diese nach den Wahlsiegen <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong><strong>und</strong> <strong>Ägypten</strong> z.B. versuchten, die Opposition <strong>und</strong> generell Andersdenkende von der Machtfernzuhalten <strong>und</strong> ihren E<strong>in</strong>fluss auf den Verfassungsgebungsprozess zu unterlaufen. Diesgilt für die gewaltsamen Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> zwischen Anhängern e<strong>in</strong>er islamistischenOrdnung <strong>und</strong> jenen Parteien, Vere<strong>in</strong>igungen, Persönlichkeiten <strong>und</strong> Bürgern, diefür e<strong>in</strong>en religionsneutralen Staat e<strong>in</strong>treten, genauso wie für die Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong><strong>Ägypten</strong> zwischen Anhängern des islamistischen Präsidenten Mursi <strong>und</strong> säkularoppositionellenKräften Ende 2012.2.2.1 Rolle der SicherheitskräfteBis zum Ausbruch der Massenproteste Ende 2010/Anfang 2011 waren die Streitkräfte <strong>und</strong>vor allem die anderen staatlichen Sicherheitsorgane <strong>in</strong> den meisten Staaten Nordafrikas <strong>und</strong>des Nahen Ostens repressive Instrumente zur Regimesicherung, die den unorganisierten<strong>und</strong> lokal begrenzten Versuchen oppositioneller Betätigung stets schnell e<strong>in</strong> Ende bereiteten(z.B. Brooks 1998).Nach Ausbruch der Proteste, vor allem aber, nachdem sich e<strong>in</strong>e Massenprotestbewegungabzeichnete, veränderte sich (unvorhersehbar) im Zeitablauf sukzessive die Rolle des Militärs,der Polizei 12 <strong>und</strong> der anderen Sicherheitsorgane: Weder <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> noch <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong> war dasMilitär, wenngleich es anfänglich noch zögerte, bereit, den Präsidenten gegen die als berechtigtanerkannten Forderungen der Bevölkerung zu unterstützen. In beiden Staaten war durchdiese Aufkündigung der Loyalität der Machtwechsel unvermeidbar (Daguzan 2013).Während sich das tunesische Militär nach dem erfolgten Machtwechsel schnell wiederaus dem politischen Raum zurückzog 13 <strong>und</strong> nicht mit der seit der Unabhängigkeit des Landes1956 praktizierten „apolitischen Tradition“ brach, übernahm das ägyptische Militär <strong>in</strong>Form des Supreme Council of Armed Forces (SCAF) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft als oberstes Exekutivorganzur Regelung der Übergangsphase zum<strong>in</strong>dest von Februar 2011 bis zur Wahl e<strong>in</strong>esPräsidenten e<strong>in</strong>e aktive Rolle. Damit entsprach das ägyptische Militär wiederum se<strong>in</strong>er historischenRolle. Der SCAF griff gestaltend <strong>in</strong> die weitere Planung des <strong>Transformation</strong>sprozessese<strong>in</strong> (El Fegiery 2012). Erst nach der Wahl des Übergangspräsidenten, aus der MohamedMursi, Kandidat der Partei der Muslimbruderschaft, im Mai 2012 (Amtsantritt Juni)siegreich hervorg<strong>in</strong>g, gab das Militär gezwungenermaßen politische Rechte ab. In welcher12 In der heißen Konfliktphase (s.o.) ist <strong>in</strong>sbesondere das Verhalten der beiden bewaffneten Hauptakteure Armee<strong>und</strong> Polizei zu analysieren, die sich durch e<strong>in</strong>e unterschiedlich ausgeprägte Regimeloyalität auszeichnen.Die Gründe für diese unterschiedliche Haltung gegenüber dem Regime (wobei u.a. die soziale Herkunft <strong>und</strong>Rekrutierungsmuster e<strong>in</strong>e Rolle spielen dürften) <strong>und</strong> die Rückwirkung auf den Ablauf des Machtwechselss<strong>in</strong>d bislang nicht aufgearbeitet; vgl. Lutterbeck (2011).13 Bis auf E<strong>in</strong>zelfälle wie bei der Bekämpfung islamistischer Terrorgruppen vor allem <strong>in</strong> der Grenzregion zu Algerienist die Armee nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getreten <strong>und</strong> folglich auch <strong>in</strong> den Medien kaum präsent. GeneralstabschefRachid Ammar ist selten <strong>in</strong> der Öffentlichkeit zu sehen.GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 15Form <strong>und</strong> wie E<strong>in</strong>fluss ausgeübt wird, welches Arrangement zwischen Militärführung <strong>und</strong>Präsident besteht, ist allerd<strong>in</strong>gs unklar <strong>und</strong> für die Öffentlichkeit nicht sichtbar. Das Militärsche<strong>in</strong>t – auch angesichts des erzwungenen Rückziehers des Präsidenten von se<strong>in</strong>em <strong>in</strong>itiiertenVerfassungscoup 14 im November 2012 – immer noch e<strong>in</strong>e Vetomacht zu se<strong>in</strong>, die daraufbedacht ist, ihre vor allem wirtschaftlichen Privilegien zu sichern. Vorbehaltlich weitererForschung <strong>und</strong> neuer Erkenntnisse sche<strong>in</strong>t <strong>Ägypten</strong> trotz aller Veränderungen immer noche<strong>in</strong>e „Offiziersrepublik“ (Sayagh 2012) zu se<strong>in</strong>.Die offensichtlichsten Veränderungen im übergeordneten Bereich der zivilmilitärischenBeziehungen gab es <strong>in</strong> Libyen. Im Unterschied zu <strong>Tunesien</strong> <strong>und</strong> <strong>Ägypten</strong>, wo die InstitutionMilitär weitgehend unangetastet den Machtwechsel überlebte, waren <strong>in</strong> Libyen alle Sicherheitsorgane,auch das Militär, <strong>in</strong> die Repression gegen die protestierende Bevölkerung <strong>in</strong>Ostlibyen <strong>in</strong>volviert. Es war der massive <strong>Gewalt</strong>e<strong>in</strong>satz gegen die Protestierenden, der zu e<strong>in</strong>erunvorhergesehenen Dynamik der Proteste <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er b<strong>in</strong>nen weniger Tage e<strong>in</strong>tretenden„Befreiung“ Ostlibyens von der Herrschaft Qaddafis führte. Es gründeten sich überwiegendauf lokaler/tribaler Basis H<strong>und</strong>erte von „revolutionäre Brigaden“, die gegen die Armee <strong>und</strong>die anderen Sicherheitsorgane des Regimes kämpften (McQu<strong>in</strong>n 2012). Die Loyalität derArmee <strong>und</strong> der von Qaddafi bereits seit den 1970er Jahren aufgebauten <strong>und</strong> mit Privilegienausgestatteten militärischen Sondere<strong>in</strong>heiten sowie paramilitärischen Revolutionsgardenbröckelte erst langsam <strong>und</strong> dann auch nur bei Teilen. Alle<strong>in</strong> die seit März 2011 auf der Basisvon UN‐Resolution 1973 e<strong>in</strong>setzende NATO‐Luftunterstützung zugunsten der Opposition<strong>und</strong> die umfangreiche Hilfe Katars ermöglichte es den revolutionären Brigaden nach neunmonatigemBürgerkrieg, das Qaddafi‐Regime im Oktober 2011 zu stürzen (E<strong>in</strong>nahme vonTripolis am 20. August 2011; Tod Qaddafis am 20. Oktober 2011; Etablierung des NationalenÜbergangsrats als neue Übergangsführung <strong>in</strong> der Hauptstadt Tripolis).In Libyen war die gesamte qaddafische Sicherheitsarchitektur zusammengebrochen <strong>und</strong>stellte den Nationalen Übergangsrat vor die schwierige Aufgabe des Neuaufbaus nationalerSicherheitskräfte (Streitkräfte <strong>und</strong> Polizei). In <strong>Tunesien</strong> <strong>und</strong> <strong>Ägypten</strong> konzentrierte sich dieanstehende Sicherheitssektorreform h<strong>in</strong>gegen weniger auf die Streitkräfte denn auf die Polizei<strong>und</strong> Staatssicherheit. Diese waren <strong>in</strong> den Augen der Bevölkerung im Verlauf der Protestediskreditiert, weil sie die repressiven Befehle ausführten <strong>und</strong> Tote <strong>in</strong> Kauf nahmen. Das Ansehender Polizei war allerd<strong>in</strong>gs bereits seit Jahren <strong>in</strong> beiden Ländern extrem negativ (Korruptionsverwicklung;Folter); die Umbruchsstimmung im Kontext der Machtwechsel <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong><strong>und</strong> <strong>Ägypten</strong> schuf den „Freiraum“, um die angestauten Aggressionen <strong>und</strong> Frustrationengegenüber der Polizei auszudrücken (Angriffe auf Polizisten) <strong>und</strong> nach dem Machtwechselentsprechende Untersuchungen <strong>und</strong> Strafverfolgungen e<strong>in</strong>zuleiten (Stichwort:Transitional justice). Die Polizei <strong>und</strong> speziell die E<strong>in</strong>richtungen der Staatssicherheit (politi‐14 Am 22. November 2012 verfügte Präsident Mursi per Verfassungsdekret, dass alle von ihm erlassenen Gesetzeunanfechtbar s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> die Justiz nicht das Recht habe, das Parlament aufzulösen; nach massiven Protestenmusste Mursi das Dekret zurücknehmen.WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


16 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011sche Polizei) waren personell <strong>und</strong> <strong>in</strong>stitutionell <strong>in</strong> der bisherigen Form nicht mehr aufrechtzuerhalten;sie wurden aufgelöst <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt <strong>in</strong> den Innenm<strong>in</strong>isterien <strong>und</strong>den Polizeiapparaten zahlreiche Führungskader ausgewechselt. 15In allen drei <strong>Transformation</strong>sstaaten s<strong>in</strong>d seit 2011 die Produzenten von Sicherheit imUmbau begriffen <strong>und</strong> als Institutionen <strong>in</strong>stabil. Alle drei Regierungen nahmen die Reformdes Sicherheitssektors <strong>in</strong> Angriff, zumal für die Bevölkerung „Sicherheit <strong>und</strong> Arbeitsplätze“zentrale politische Anliegen s<strong>in</strong>d. 16 Allerd<strong>in</strong>gs genießt die Sicherheitssektorreform bei dene<strong>in</strong>zelnen Regierungen unterschiedlich hohe Priorität; am höchsten ist sie derzeit <strong>in</strong> Libyen.Die salafistischen Angriffe auf Sufischre<strong>in</strong>e, die gewalttätigen sozialen Demonstrationen oderdie ethnisch‐religiösen Konflikte konnten trotz aller Gegenmaßnahmen bislang jedoch nichtunterb<strong>und</strong>en werden. Auch der zunehmend machtpolitisch motivierten <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>,die am 6. Februar 2013 den politischen Mord an dem l<strong>in</strong>ksgerichteten Politiker ChoukriBelaid – dem ersten politischen Mord seit dem Machtwechsel – nach sich zog, stehen die polizeilichenKräfte relativ hilflos gegenüber; das Militär se<strong>in</strong>erseits verhält sich politisch striktneutral, auch wenn es Forderungen aus der Zivilgesellschaft zum antiislamistischen E<strong>in</strong>greifenwie <strong>in</strong> Algerien 1992 gibt. Das tunesische Beispiel zeigt, wie durch entsprechendes Regierungshandelnbzw. Nichthandeln der Regierung <strong>Gewalt</strong> als Mittel des machtpolitischenKonfliktaustrages <strong>in</strong> Umbruchszeiten um sich greift, wenn e<strong>in</strong>e Komplizität der Regierungmit Produzenten von Unsicherheit vorhanden ist, <strong>und</strong> die Verfügbarkeit von Waffen <strong>und</strong>gewaltbereiten Personen gewährleistet ist.2.2.2 Rolle nichtstaatlicher bewaffneter AkteureAuch wenn es bislang kaum empirische Untersuchungen zu den nichtstaatlichen bewaffnetenAkteuren <strong>in</strong> den <strong>Transformation</strong>sprozessen <strong>Tunesien</strong>s, <strong>Ägypten</strong>s <strong>und</strong> Libyens gibt, ist offensichtlich,dass die Präsenz nichtstaatlicher bewaffneter Akteure <strong>in</strong> den Untersuchungsstaatenquantitativ <strong>und</strong> qualitativ 17 ebenso unterschiedlich ist wie ihr E<strong>in</strong>fluss auf den <strong>Transformation</strong>sverlauf.Quantitativ dom<strong>in</strong>ieren e<strong>in</strong>deutig die islamistischen Brigaden <strong>in</strong> Libyen, von denen e<strong>in</strong>Großteil autonom (<strong>und</strong> nicht <strong>in</strong> das Verteidigungs‐ oder Innenm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong>tegriert) agiert.Innerhalb der landesweit seit Februar 2011 r<strong>und</strong> 500 entstandenen Brigaden 18 bilden diejenigen(islamistischen) Brigaden, die sich – über den Sturz Qaddafis h<strong>in</strong>aus – für die Durchset‐15 Vgl. zu <strong>Tunesien</strong> ICG (2012).16 Vgl. exemplarisch Magharebia, 6. März 2013, La sécurité et l’emploi en tête des priorités des Tunisiens.17 Aus den folgenden Ausführungen s<strong>in</strong>d die bewaffneten krim<strong>in</strong>ellen Banden ausgenommen, auch wenn diese<strong>in</strong> Libyen teilweise mit den bewaffneten Brigaden kooperieren oder diese personell durchsetzt haben(McQu<strong>in</strong>n 2012).18 Die Brigaden (S<strong>in</strong>gular: katiba, Plural: kata‘ib) der libyschen „Freiheitskämpfer“ (thuwwar) hatten sich abFebruar 2011 spontan landesweit aus Freiwilligen <strong>und</strong> Überläufern der qaddafischen Streitkräfte gegründet,wobei Organisationspr<strong>in</strong>zip die lokale/tribale Herkunft oder die ideologische (islamistische) Ges<strong>in</strong>nung war;geme<strong>in</strong>sames Ziel war der Sturz des Qaddafi‐Regimes.GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 17zung religiöser Ziele e<strong>in</strong>setzen (Kalifat als Staatsform; islamisches Recht <strong>in</strong>klusive Strafrecht;salafistische Gesellschaftsordnung), e<strong>in</strong>e Sonderkategorie. 19 Die islamistischen Brigaden, derenoffensichtliches Ziel es ist, die schnelle Wiederherstellung des staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopolszu verh<strong>in</strong>dern, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dreifacher H<strong>in</strong>sicht problematisch:— zum e<strong>in</strong>en spielen sie <strong>in</strong>nerhalb der Brigaden selbst e<strong>in</strong>e Sonderrolle, weil ihre Ziele <strong>und</strong>Interessen nicht denen der Mehrheit entsprechen <strong>und</strong> sie damit auch <strong>in</strong> den Interessenvertretungender Brigaden (z.B. dem Majlis al‐watani al‐ala lil‐thuwwar) für Konfliktesorgen;— zum anderen stellen die islamistischen Brigaden die Demobilisierungs‐ bzw. Integrationsbemühungender Armee <strong>und</strong> der Polizei vor große Herausforderungen; die islamistischenBrigaden lehnen vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ihrer religiösen Mission e<strong>in</strong>e Demobilisierung<strong>und</strong> die Integration <strong>in</strong> die nationalen Sicherheitskräfte e<strong>in</strong>es aus ihrer Sicht unislamischenStaates ab;— drittens s<strong>in</strong>d die Grenzen zu terroristischen Aktivitäten (u.a. Angriffe auf ausländischeBotschaftse<strong>in</strong>richtungen) fließend; zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e punktuelle Kooperation der gewaltbereitenislamistischen Brigaden wie den Ansar al‐shar‘ia mit dem al‐Qaida‐Netzwerk/AQIM ist nachweisbar.Gegenüber den libyschen islamistischen Brigaden s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> agierenden salafistischenGruppen <strong>und</strong> (die mit Messern <strong>und</strong> Schlagstöcken bewaffneten) Mitglieder der Ligenzum Schutz der Revolution zwar landesweit präsent, aber zahlenmäßig nachgeordnet. 20 In<strong>Ägypten</strong> existieren bis auf wenige jihadistische Gruppen/Terrorzellen (u.a. auf der S<strong>in</strong>ai,Kairo) sowie den Schwarzen Block ke<strong>in</strong>e größeren nichtstaatlichen bewaffneten Akteure.3 Sicherheitspolitische Herausforderungen <strong>in</strong> der <strong>Transformation</strong>sphase3.1 Intensität der <strong>Gewalt</strong> <strong>und</strong> Folgen für das staatliche <strong>Gewalt</strong>monopolDie wenigen bislang vorhandenen Analysen des jeweiligen Verlaufs der Konflikte vom erstenProtestausbruch bis zum Machtwechsel <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen zeigen, dassdie Länge der Konfliktphase bis zum Machtwechsel wesentlich durch das Verhalten der Sicherheitsorgane(<strong>in</strong>sbesondere des Militärs <strong>und</strong> der Staatssicherheit) bee<strong>in</strong>flusst wurde <strong>und</strong>dass die Verfügbarkeit von Waffen (wie im Falle Libyens) e<strong>in</strong>e Rolle spielte (vgl. Graphik 2).19 Bekannte Beispiele islamistischer Brigaden s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong> der Ittihad Saraya al‐thuwwar unter dem E<strong>in</strong>fluss vonIsma’il Sallabi <strong>und</strong> Fawzi Bukatif zusammengeschlossenen Brigaden aus dem Großraum Banghazi, die vomJabal Akhdar stammenden Katiba shuhada‘ Abu Slim, die Katiba Umar al‐Mukhtar, die Katiba Ubaida Ibn al‐Jarra,die Katiba Ansar al‐shari‘a <strong>in</strong> Banghazi <strong>und</strong> Darna sowie die Brigade of the Imprisoned Omar Abdul‐Rahman <strong>in</strong>Banghazi.20 Es gibt allerd<strong>in</strong>gs Schätzungen wie jene der International Crisis Group (ICG 2013); ICG geht von 50.000 (gewaltbereiten)Salafisten <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> aus.WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


18 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011H<strong>in</strong>sichtlich der feststellbaren unterschiedlichen Länge der e<strong>in</strong>zelnen Konfliktphasen <strong>in</strong><strong>Tunesien</strong> <strong>und</strong> <strong>Ägypten</strong> e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> <strong>in</strong> Libyen andererseits s<strong>in</strong>d Erklärungsansätze notwendig,die sowohl die Sozialstruktur der Gesellschaften als auch den Zerfalls‐ <strong>und</strong> Auflösungsprozessstaatlicher Strukturen berücksichtigen. Zu untersuchen wäre die Hypothese,ob e<strong>in</strong>e Militärführung mit starken korporatistischen Eigen<strong>in</strong>teressen e<strong>in</strong>e kurze Konfliktphasebegünstigt <strong>und</strong> auf der anderen Seite stark tribal geprägte Sicherheitskräfte, diezugleich Sicherungs<strong>in</strong>strument der tribal geprägten Staatsführung s<strong>in</strong>d, den Konfliktverlaufverschärfen, weil es (wie <strong>in</strong> Libyen h<strong>in</strong>sichtlich der politisch dom<strong>in</strong>ierenden Stammesallianzder Qadadfa, Warfalla <strong>und</strong> Maqarha) „um alles oder nichts“ geht. 21Auch h<strong>in</strong>sichtlich des Verlaufsprofils der Postkonfliktphase (<strong>Transformation</strong>sphase) lassensich vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der ereignisgeschichtlichen Entwicklung <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong><strong>und</strong> Libyen <strong>und</strong> dem Umfang der erforderlichen Institutionenneubildung mehrere Hypothesen(siehe Graphik 2) formulieren.Graphik 2: Phasen der politischen <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> Konflikt<strong>in</strong>tensität1 PräkonfliktphaseIn allen drei Staaten(<strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong>,Libyen) langjährigeautoritäre Regime2 Konfliktphase2011 (kurz)Sturz des Präsidenten(<strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong>)3 Postkonfliktphase(<strong>Transformation</strong>sphase)seit Januar/Februar 2011 (<strong>Tunesien</strong>,<strong>Ägypten</strong>) bzw. Oktober 2011(Libyen)Konfliktphase 2011 (lang)Bürgerkrieg erzw<strong>in</strong>gtMachtwechsel (Libyen)Regimewechsel (LY)Übergang von 1 zu 2: Dauer der Konfliktphase ‒ Hypothesen1 – Je tribaler die Gesellschaft, desto länger dauert der Konflikt.2 – Je korporatistischer das Selbstverständnis der Armee, desto kürzer der Konfliktverlauf.Übergang von 2 zu 3 / Verlauf der Postkonfliktphase: Hypothesen1 – Je ger<strong>in</strong>ger die direkten Institutionene<strong>in</strong>griffe s<strong>in</strong>d, desto schneller <strong>und</strong> stabiler wird der politische Neuanfangerfolgen.2 – Je weniger das staatliche <strong>Gewalt</strong>monopol fragmentiert/zerfallen ist, desto schneller wird die öffentliche Sicherheitwiederhergestellt werden können.3 – Je größer die <strong>in</strong>stitutionellen E<strong>in</strong>griffe s<strong>in</strong>d, desto größer s<strong>in</strong>d die Probleme beim Aufbau e<strong>in</strong>er neuen Sicherheitsarchitektur<strong>und</strong> desto größer s<strong>in</strong>d die Sicherheitsherausforderungen.Quelle: Eigener Entwurf21 Offensichtlich hat e<strong>in</strong> ausgeprägtes korporatistisches Eigen<strong>in</strong>teresse (wie im Fall der ägyptischen Armee) ke<strong>in</strong>enverlängernden E<strong>in</strong>fluss auf den Konfliktverlauf, denn die „Tage des Zorns“ dauerten <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong> nur 18 Tage.GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 19Die Erosion des staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopols <strong>und</strong> die nach dem Machtwechsel auftretendenSchwierigkeiten neu e<strong>in</strong>gesetzter (Übergangs‐)Regierungen, das staatliche <strong>Gewalt</strong>monopolwieder zu errichten, wird besonders deutlich am Fallbeispiel Libyen, das e<strong>in</strong>en Bürgerkriegerlebte <strong>und</strong> wo es zu e<strong>in</strong>er landesweiten Mobilisierung <strong>und</strong> Bewaffnung kam. Diegroße Anzahl der bewaffneten <strong>und</strong> kampferfahrenen Gruppen/Brigaden, die sich weigern,die Waffen abzugeben, um ihr wichtigstes Druckmittel zur Interessenumsetzung nicht ausder Hand zu geben, sowie die ethnischen <strong>und</strong> religiös motivierten <strong>Gewalt</strong>konflikte (Stand:März 2013), <strong>in</strong> die diese Brigaden verwickelt s<strong>in</strong>d, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Indiz für die fehlende Bereitschaftdieser Brigaden, e<strong>in</strong> staatliches <strong>Gewalt</strong>monopol anzuerkennen <strong>und</strong> für das anhaltende Problem,das sich daraus für den nationalen Institutionenbildungsprozess der Regierung ergibt.Gerade das tunesische Beispiel zeigt allerd<strong>in</strong>gs, dass auch <strong>in</strong> Gesellschaften, die e<strong>in</strong>e nurkurze heiße Konfliktphase vor dem Machtwechsel erlebten, die <strong>Gewalt</strong>bereitschaft <strong>und</strong> derE<strong>in</strong>satz von <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> unterschiedlichen Bereichen bzw. zur Umsetzung unterschiedlicherZiele <strong>in</strong> der <strong>Transformation</strong>sphase nach dem Machtwechsel e<strong>in</strong>en deutlichen quantitativen<strong>und</strong> qualitativen Aufschwung erleben kann.Auffallend sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> die Kausalbeziehung zwischen <strong>Gewalt</strong>bereitschaft <strong>und</strong>Institutionenbildungsprozess. Die <strong>Gewalt</strong>bereitschaft nahm zu, je länger sich die Phase derInstitutionenbildung h<strong>in</strong>zog <strong>und</strong> die wirtschaftliche <strong>und</strong> soziale Leistungsfähigkeit des Staatesdefekt blieb bzw. sich verschlechterte. Die <strong>Gewalt</strong>bereitschaft <strong>und</strong> die umgesetzten <strong>Gewalt</strong>aktesteigerten sich zudem, je angefochtener die Position der dom<strong>in</strong>anten Regierungspartei,der islamistischen Ennahda‐Partei, wurde, <strong>und</strong> je gefährdeter sie selbst <strong>und</strong> diejenigenOrganisationen <strong>und</strong> Gruppen, die Ennahda unterstützen, die Umsetzung ihres islamistischenProjekts e<strong>in</strong>stufen. Je mehr Widerstand sich gegen die Politik der Ennahda organisierte,desto mehr organisierte sich auch der „Ennahda‐Widerstand“ gegen diese Opposition (Eskalationsspirale).Festzustellen ist zudem, dass die Übergriffe auf Andersdenkende <strong>und</strong> nichtislamischeGlaubensgeme<strong>in</strong>schaften (<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Christen/Kopten, aber auch Juden) umso stärkerausfielen, je mehr sich die machtpolitische Position der islamistischen Akteure im <strong>Transformation</strong>sprozesskonsolidierte. Diese Kausalitätsbeziehung gilt <strong>in</strong> allen drei Staaten.3.2 Intensivierung alter <strong>und</strong> Entstehung neuer KonflikteDie Sicherheitsherausforderungen seit den Machtwechseln <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyens<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> statisches Phänomen. Sie veränderten sich im Zeitverlauf seit 2011. Allerd<strong>in</strong>gs bilden‒ wie bereits vor den Machtwechseln ‒ Terrorismus, Krim<strong>in</strong>alität <strong>und</strong> soziale Protestedie drei Hauptkomponenten der Sicherheitsdefizite (Mattes 2012) mit signifikanter quantitativerVerdichtung der E<strong>in</strong>zelereignisse. Aber auch unter qualitativen Gesichtspunkten habensich neue Aspekte an Sicherheitsdefiziten eröffnet, die <strong>in</strong> dieser Form vor den Machtwechselnnicht existent waren <strong>und</strong> die sowohl e<strong>in</strong>e territoriale als auch e<strong>in</strong>e ethnisch‐tribale sowieWP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


20 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011e<strong>in</strong>e religiöse Dimension hatten. In allen <strong>Transformation</strong>sstaaten ist nach Beg<strong>in</strong>n des politischenKonflikts als Folge zusammengebrochener Sicherheitsstrukturen <strong>und</strong> als Folge desentstandenen Sicherheitsvakuums e<strong>in</strong> Anstieg an gewaltförmigen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<strong>und</strong> an krim<strong>in</strong>ellen Akten sowohl im Bereich bereits bestehender (primär islamistischer Terrorismus,Organisierte Krim<strong>in</strong>alität) als auch im Bereich neuer Sicherheitsherausforderungenfeststellbar (Details vgl. Mattes 2013). 22Unter den „neuen“ Sicherheitsherausforderungen zählen die aufbrechenden ethnischenKonflikte (Berber/Amazigh versus arabische Bevölkerung/Stämme; schwarzafrikanischstämmige Tubu versus arabische Bevölkerung) <strong>und</strong> die religiös motivierten Konflikte zwischenMuslimen <strong>und</strong> Christen/Kopten 23 sowie <strong>in</strong>nermuslimische Konflikte zwischen Salafisten<strong>und</strong> moderaten Muslimen vorbehaltlich e<strong>in</strong>er empirischen Überprüfung zu den größtenKonfliktkategorien. Während die Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit Berbern bislang nur <strong>in</strong> Libyennachgewiesen s<strong>in</strong>d, wo es e<strong>in</strong>zig <strong>in</strong>nerhalb der drei Untersuchungsstaaten e<strong>in</strong>e nennenswerteberberische Bevölkerungsgruppe gibt, s<strong>in</strong>d die salafistischen Übergriffe auf Andersdenkende(darunter Schriftsteller, Künstler) <strong>und</strong> Andersgläubige (Christen, Juden) e<strong>in</strong> Phänomen,das <strong>in</strong> allen drei <strong>Transformation</strong>sstaaten vorkommt (Details: Faath 2012) <strong>und</strong> eher Anzeichene<strong>in</strong>er Verschärfung denn e<strong>in</strong>es Rückganges erkennen lässt.H<strong>in</strong>zu kommen <strong>in</strong> der <strong>Transformation</strong>sphase die Konflikte zwischen „Revolutionären“<strong>und</strong> Loyalisten des gestürzten Regimes sowie Konflikte zwischen „Revolutionären“, wobeidiese Konflikte nicht sofort nach dem Machtwechsel zutage traten, sondern erst im Rahmender politischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen um Macht, Ämter <strong>und</strong> Ressourcenzugang seit Ende2011 entstanden <strong>und</strong> seither eskalierten. Allerd<strong>in</strong>gs ist die Form des <strong>Gewalt</strong>austrages vonLand zu Land unterschiedlich; am meisten bewaffnete Konflikte <strong>und</strong> die höchsten Todeszahlenverzeichnet Libyen, wobei das ausgeprägte tribale Element hierfür die Hauptursachedarstellen dürfte.Die mangels e<strong>in</strong>er funktionierenden Übergangsjustiz <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Libyen 24 praktiziertenpolitischen Morde – alle<strong>in</strong> 2012 über zwanzig – haben vor allem <strong>in</strong> der öffentlichen Bedrohungsperzeption(Perzeption an Unsicherheit) e<strong>in</strong>en hohen Stellenwert <strong>und</strong> fordern denStaat zum Handeln auf.22 Trotz des deutlichen Anstiegs der Sicherheitsprobleme fehlen bislang übergreifende Analysen. Die jüngsteVeröffentlichung von Eberhard Kienle (2013), deren Titel e<strong>in</strong>e solche Analyse suggeriert, handelt e<strong>in</strong> vollkommenanderes Thema ab. Es geht <strong>in</strong> der Analyse zu den „Security implications of the Arab Spr<strong>in</strong>g“ um diesicherheitspolitischen Folgen der Umbrüche für westliche Staaten.23 Übergriffe auf jüdische Bürger <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen s<strong>in</strong>d bislang angesichts der ger<strong>in</strong>gen Präsenz von Juden <strong>in</strong>den drei nordafrikanischen Staaten nur <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen vorgekommen, z.B. Schändung jüdischer Gräber <strong>in</strong> dertunesischen Stadt Sousse im Januar 2013.24 Zwar ist die Justiz auch <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> <strong>und</strong> <strong>Ägypten</strong> bislang kaum mit der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungenunter den Präsidenten Ben Ali <strong>und</strong> Mubarak vorangeschritten, doch s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesen beiden Ländern – sodie Vermutung – wegen des erschwerten Zugangs zu Waffen Akte der Selbstjustiz schwieriger auszuführen.GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 213.3 E<strong>in</strong>flussnahme externer Faktoren/Akteure auf die <strong>Gewalt</strong>konflikteDie <strong>in</strong> den laufenden <strong>Transformation</strong>sprozessen identifizierbaren <strong>Gewalt</strong>konflikte <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>,<strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen waren bislang nur sehr selektiv <strong>und</strong> ungleichgewichtig verteilt vonexternen Faktoren bee<strong>in</strong>flusst. Im Zentrum der grenzüberschreitenden E<strong>in</strong>flussnahme stehtzweifellos Libyen, wo die Übernahme <strong>und</strong> Plünderung der qaddafischen Waffendepots e<strong>in</strong>enProzess der nationalen wie regionalen Waffenproliferation e<strong>in</strong>leitete. Libysche Kle<strong>in</strong>waffens<strong>in</strong>d so seit Herbst 2011 über <strong>Ägypten</strong> bis nach Gaza <strong>und</strong> von der Cyrenaika <strong>in</strong>s benachbarteDarfur gelangt. <strong>Tunesien</strong> ist sowohl Zielort von Waffenlieferungen (Bewaffnung salafistischerGruppen) als auch Transitland für Waffenschmuggel nach Algerien, wo libyscheWaffen die nordalgerischen Arsenale von AQIM auffüllten. E<strong>in</strong> Großteil libyscher Waffen istzudem von aus Libyen zurückgekehrten Tuareg <strong>in</strong> großem Umfang nach Nordmali gelangt<strong>und</strong> trug zur Eskalation des schwelenden Nordmalikonflikts ab Januar 2012 bei (Ammour2012). Inwiefern sich nach der französischen Militär<strong>in</strong>tervention <strong>in</strong> Nordmali ab Januar 2013die dort ansässigen islamistischen Terrorgruppen <strong>in</strong> die an Nordmali grenzenden Anra<strong>in</strong>erstaaten(<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Algerien <strong>und</strong> Niger, aber auch Libyen) zurückzogen <strong>und</strong> dort das Potenzialmilitanter Gruppen stärkten, ist zwar gängige Unterstellung <strong>in</strong> den Medien (vgl.Graphik), bleibt aber zu belegen.Graphik 3: Rückzugsbewegungen islamistischer Terrorgruppen aus NordmaliQuelle: Issikta, 16. Januar 2013, onl<strong>in</strong>e: (12. März 2013).Von den nationalen Sicherheitsbehörden wurde der Umfang der Waffenproliferation <strong>in</strong>Nordafrika noch nicht nachrichtendienstlich aufgeklärt. Abgesehen von der grenzüberschreitendenWaffenproliferation kam es zwischen den nordafrikanischen <strong>Transformation</strong>sstaatenbislang nicht zu gegenseitiger E<strong>in</strong>flussnahme auf die jeweils nationalen <strong>Gewalt</strong>konflikte.Weder haben gewaltbereite Salafisten <strong>in</strong> den Nachbarländern zugunsten gleichges<strong>in</strong>nterWP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


22 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011Gruppen <strong>in</strong>terveniert, 25 noch haben die Sicherheitsbehörden über das bestehende Ausmaßh<strong>in</strong>aus signifikant ihre Kooperation verstärkt.E<strong>in</strong>e Ausnahme bildet hier allerd<strong>in</strong>gs Libyen, das unter dem E<strong>in</strong>druck der bedrohtenGrenzsicherheit durch Schmuggler‐ <strong>und</strong> Schleuserbanden (vgl. Cole 2012) speziell europäischeStaaten um Hilfe bei der Sicherung se<strong>in</strong>er 4.000 km langen Grenze gebeten hat. Auf derLibyen‐Unterstützungskonferenz am 12. Februar 2013 26 <strong>in</strong> Paris wurde diesem Wunsch nichtzuletzt aus europäischem Eigen<strong>in</strong>teresse an e<strong>in</strong>em effektiven Schutz vor illegaler Migrationnachgekommen <strong>und</strong> Mittel u.a. zur Entsendung e<strong>in</strong>er „Civilian border management mission“ab Juni 2013 bereitgestellt.Der Verlauf <strong>und</strong> die Intensität der <strong>Gewalt</strong>konflikte <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyensche<strong>in</strong>en folglich weitgehend e<strong>in</strong>er ausschließlich nationalen Ausrichtung zu folgen.4 Maßnahmen zur Wiederherstellung des staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopolsDie Regierungen der <strong>Transformation</strong>sstaaten stehen vor der Aufgabe, das staatliche <strong>Gewalt</strong>monopolbzw. die öffentliche Sicherheit wieder herzustellen. E<strong>in</strong>e Analyse der staatlichenMaßnahmen der <strong>Transformation</strong>sstaaten, um dieses Ziel Wiederherstellung der <strong>in</strong>neren Sicherheit<strong>und</strong> des staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopols zu erreichen, sollte sich zunächst – auch <strong>in</strong> Anlehnungan Erfahrungen aus dem Irak <strong>und</strong> aus Afghanistan – auf drei Bereiche <strong>und</strong> die <strong>in</strong>ihnen umgesetzten Maßnahmen konzentrieren:1) den Gesetzgebungsbereich (Welche neuen Gesetze/Dekrete mit Bezug zum Sicherheitssektor/öffentlicheSicherheit wurden verabschiedet?);2) den Sicherheitsbereich (Welche Maßnahmen zur Reorganisation der Sicherheitsorganee<strong>in</strong>schließlich ihrer materiellen/technischen Besserstellung wurden ergriffen?) <strong>und</strong>3) den Bereich der regionalen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen Kooperation (Mit welchen Staaten <strong>und</strong> <strong>in</strong>welcher Form wurde auf regionaler <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationaler Ebene die Kooperation verstärkt,um die Sicherheitsherausforderungen zu meistern?).E<strong>in</strong> erster Blick auf die seit 2011 nach den Machtwechseln ergriffenen Maßnahmen zeigt,dass diese entsprechend den länderspezifischen Ausgangsvoraussetzungen stark variieren.4.1 Verabschiedung neuer Gesetze <strong>und</strong> DekreteIn allen drei Staaten reagierten die Regierungen mit gesetzlichen Maßnahmen auf die Sicherheitsprobleme.Der Rückgriff auf die Verhängung <strong>und</strong>/oder Verlängerung des Notstandes(landesweit oder wie z.B. <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong> auf der S<strong>in</strong>ai‐Halb<strong>in</strong>sel oder <strong>in</strong> den Unruhestädten25 Dies ist der Unterschied zu Syrien, wo zahlreiche tunesische <strong>und</strong> libysche salafistische Jihadisten auf Seitender Oppositionskräfte gegen das Asad‐Regime kämpfen; Transitland für diese Jihadisten ist die Türkei.26 Vgl. Details zur Konferenz onl<strong>in</strong>e: (12. März 2013).GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 23Port‐Said, Suez <strong>und</strong> Ismailia) sowie auf temporäre Ausgangssperren im Fall akuter Gefährdungender öffentlichen Sicherheit gehörten sowohl <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> als auch <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong> zumStandardrepertoire. In Libyen, wo es nach dem Sturz Qaddafis zunächst ke<strong>in</strong> gesetzlichesReglementarium gab, wurde e<strong>in</strong> solches mit dem Ende September 2012 verabschiedetenNotstandsgesetz geschaffen. Ergänzt wurde dieser Schritt sowohl <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong> als auch <strong>in</strong> Libyendurch die E<strong>in</strong>führung bzw. die Verschärfung des Demonstrationsrechts, die den Innenm<strong>in</strong>isterienweitreichende Verbotsmöglichkeiten an die Hand gaben. Gesetzliche Initiativen<strong>in</strong> Form sogenannter politischer Ausschlussgesetze wurden schließlich <strong>in</strong> allen drei<strong>Transformation</strong>sstaaten e<strong>in</strong>geleitet, um ehemalige Regimeanhänger von zukünftigen Führungspositionen<strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> Wirtschaft auszuschließen.4.2 Reorganisation des SicherheitssektorsDie Reform des Sicherheitssektors wurde – wenngleich <strong>in</strong> unterschiedlichem Umfang – <strong>in</strong> allendrei Staaten nach den Machtwechseln <strong>in</strong> Angriff genommen. In <strong>Tunesien</strong> gab es seitFrühjahr 2011, beg<strong>in</strong>nend mit der Auflösung der politischen Polizei am 7. März 2011, ersteAnsätze zur Reform des Sicherheitssektors <strong>und</strong> des Innenm<strong>in</strong>isteriums, doch verläuft diekonkrete Umsetzung bislang eher zögerlich (vgl. Lutterbeck 2012a; Hanlon 2012); 27 die neueRegierung Layaredh vom März 2013 erklärte allerd<strong>in</strong>gs angesichts der ausufernden politischen<strong>Gewalt</strong> die „Wiederherstellung der Sicherheit“ zur Toppriorität.In Libyen ist die Sicherheitslage bislang am schwierigsten, weil mit dem Sturz des Qaddafi‐Regimesnicht nur die bestehenden staatlichen Institutionen, sondern auch alle Sicherheitsorganedurch neue zu ersetzen waren (Salem <strong>und</strong> Kadlec 2012; ICG 2012a; Pack <strong>und</strong>Barfi 2012). Die Institutionenbildung ist nach der Wahl des Nationalkongresses im Juli 2012im November 2012 mit der Wahl der neuen Regierung von Premierm<strong>in</strong>ister Ali Zaidan aufsolidere Be<strong>in</strong>e gestellt worden, so dass jetzt auch die M<strong>in</strong>isterien strukturierter arbeiten können.Gefragt s<strong>in</strong>d hierbei vor allem das Verteidigungsm<strong>in</strong>isterium <strong>und</strong> das Innenm<strong>in</strong>isterium,deren M<strong>in</strong>ister im Dezember 2012 im Nationalkongress ihre Pläne zum Aufbau der Armee<strong>und</strong> Polizei, der Demobilisierung irregulärer Brigaden <strong>und</strong> der sukzessiven E<strong>in</strong>sammlungleichter <strong>und</strong> schwerer Waffen vorlegten. In diese Pläne s<strong>in</strong>d die Zivilgesellschaft, dieStammesführer <strong>und</strong> die Medien eng e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en; mit dem Programm Tumuh im Umfangvon 500 Millionen Libysche D<strong>in</strong>ar soll zudem mehreren Tausend Brigadisten die wirtschaftlicheSelbständigkeit ermöglicht werden.In <strong>Ägypten</strong> s<strong>in</strong>d bislang am wenigsten neue Ansätze zur Lösung der Sicherheitsdefiziteerkennbar. Zwar gibt es auch hier <strong>in</strong> Ansätzen e<strong>in</strong>e Restrukturierung des Sicherheitssektors(vgl. Aclimandos 2012; Arab Reform Initiative 2012; Brumberg <strong>und</strong> Sallam 2012); so wurde27 So wurde das Weißbuch vom Beigeordneten M<strong>in</strong>ister für die Reform des Innenm<strong>in</strong>isteriums, Lazhar Akremi,das im Frühjahr 2012 fertiggestellt wurde, nie veröffentlicht; der nachfolgende Sechs‐Punkte‐Plan von Innenm<strong>in</strong>isterAli Larayedh vom 4. Dezember 2012 war wenig konkret.WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


24 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011die am 15. März 2011 aufgelöste Staatssicherheit durch den neuen National Security Sektor abgelöst,dabei aber viele der 100.000 Beamten übernommen. Die polizeiliche Funktionsweisenähert sich nach Angaben von ägyptischen Menschenrechtlern <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen Menschenrechtsorganisationenwegen ausbleibender <strong>in</strong>haltlicher Reformen <strong>in</strong>zwischen stark derjenigender Mubarak‐Ära an (vgl. AI 2012, 2012a). Der E<strong>in</strong>satz der Sicherheitskräfte auf demTahrirplatz <strong>in</strong> Kairo <strong>und</strong> im Regierungsviertel bei den Protesten der Opposition gegen PräsidentMursi im Dezember 2012 erfolgte deshalb wie früher äußerst repressiv; dies gilt auchfür den Umgang mit dem Terrorismus, der sich seit 2011 hauptsächlich auf der S<strong>in</strong>ai konzentriert;e<strong>in</strong> neuer Bekämpfungsansatz, u.a. e<strong>in</strong>e politische Deradikalisierungsstrategie mitsozioökonomischer Komponente, ist derzeit nicht erkennbar.4.3 Die Bedeutung der transnationalen SicherheitskooperationTrotz der ausgeprägten transnationalen Dimension der nordafrikanischen Sicherheitsprobleme(Waffenschmuggel, Drogenschmuggel, transnationale Aktivitäten terroristischer Gruppen)<strong>und</strong> des hohen Reformbedarfs der nationalen Sicherheitsorgane e<strong>in</strong>schließlich ihrer politischenFührungsstrukturen (Innenm<strong>in</strong>isterium, Verteidigungsm<strong>in</strong>isterium) ist bislang ‒ ausgenommenLibyen ‒ die Kooperationsbereitschaft mit ausländischen Partnern als beschränkt zu bezeichnen.Die Ursachen für diese Zurückhaltung s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs zu h<strong>in</strong>terfragen; das ausgeprägteBewusstse<strong>in</strong> nationaler Souveränität ist ke<strong>in</strong>e ausreichende Begründung, denn diesesf<strong>in</strong>det sich auch <strong>in</strong> Libyen. Die libysche Staatsführung leitete sowohl im Bereich der Ausbildungvon Armee‐ <strong>und</strong> Polizeioffizieren seit 2012 e<strong>in</strong>e enge Kooperation mit mehreren Staaten(u.a. der Türkei, Jordanien, Großbritannien, den USA) <strong>in</strong> die Wege <strong>und</strong> suchte speziell im Bereichder Grenzsicherung 28 um ausländische Hilfe (u.a. seitens der EU) nach.Fazit: Ke<strong>in</strong>e schnelle Verbesserung der öffentlichen SicherheitBislang gibt es <strong>in</strong> allen drei nordafrikanischen Staaten „Sicherheitssektorreformen“ im S<strong>in</strong>neeffektiver <strong>und</strong> effizienter staatlicher E<strong>in</strong>griffe zur Reorganisation des Sicherheitsapparates<strong>und</strong> zur Wiederherstellung des staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopols. In ke<strong>in</strong>em Staat haben allerd<strong>in</strong>gsdie ergriffenen Maßnahmen bislang e<strong>in</strong>en normativen Charakter (demokratische Kontrolleder Sicherheitskräfte, Transparenz). Was das Ziel der Erhöhung der öffentlichen Sicherheit/Stärkungdes staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopols anbelangt, so verbesserte sich allerd<strong>in</strong>gs<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Staat bislang die Lage <strong>in</strong> signifikanter Weise. Die öffentliche Sicherheit ist trotz derergriffenen Maßnahmen immer noch prekär, was sich exemplarisch <strong>in</strong> den hohen Krim<strong>in</strong>alitätsraten<strong>und</strong> der politischen <strong>Gewalt</strong> (mit der Folge e<strong>in</strong>er stetigen Verlängerung des Not‐28 Wegen der prekären Lage <strong>in</strong> den 4.000km langen Grenzregionen zu Algerien, Niger, Tschad <strong>und</strong> Sudan wurdennach e<strong>in</strong>er Reise von Premierm<strong>in</strong>ister Zaidan <strong>in</strong> diese Staaten (Beratung der Grenzsicherungsoptionen)am 17. Dezember 2012 die Grenzen geschlossen <strong>und</strong> die <strong>in</strong>ternen Maßnahmen zur Bekämpfung vonSchmugglern <strong>und</strong> Waffentransporten <strong>in</strong>tensiviert (u.a. E<strong>in</strong>satz der Luftwaffe).GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 25standes) zeigt. Vor allem militante Islamisten/Salafisten 29 <strong>und</strong> islamistische Terrorzellen sowieder Waffenschmuggel werden weiterh<strong>in</strong> die sicherheitspolitische Hauptherausforderungbilden; aber auch die gewaltförmigen sozialen Proteste werden anhalten, weil die Ursachenfür die Proteste nicht beseitigt wurden.Hier s<strong>in</strong>d die auch von der UNO (vgl. United Nations 2011 <strong>und</strong> 2012) e<strong>in</strong>geforderten politischenAktivitäten gefragt, die über den re<strong>in</strong>en Sicherheitsansatz h<strong>in</strong>ausgehen; gerade diesozioökonomische Entwicklung stockt jedoch (als Folge des drastischen Rückgangs des Tourismus<strong>und</strong> der ausländischen Direkt<strong>in</strong>vestitionen, steigender Auslandsschulden <strong>und</strong> Haushaltskriseusw.), so dass die erforderlichen Regionalentwicklungsmaßnahmen nicht <strong>in</strong> Angriffgenommen werden können.Die Ausbreitung des Phänomens der „chronischen <strong>Gewalt</strong>“ (Adams 2012), hervorgerufendurch e<strong>in</strong> Bündel von Faktoren, darunter die soziale Ungleichheit, die Auswirkungen der<strong>Transformation</strong>sprozesse (wie Instabilität, Sicherheitsvakuum) <strong>und</strong> die negativen Effekte derGlobalisierung, sche<strong>in</strong>t sich anzudeuten.5 Zwischenergebnis <strong>und</strong> weitere ForschungsfragenDie drei <strong>Transformation</strong>sstaaten <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen stellen mit ihren seit Ende2010/Anfang 2011 laufenden politischen Prozessen <strong>und</strong> sicherheitspolitischen Problemen <strong>in</strong>zweifacher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes Untersuchungsobjekt dar. Zum e<strong>in</strong>en können Theorienzum Verlauf von <strong>Transformation</strong>sprozessen <strong>und</strong> den zivilmilitärischen Beziehungen 30 oderzur Rückwirkung von e<strong>in</strong>gesetzter <strong>Gewalt</strong> auf den Verlauf der <strong>Transformation</strong>sprozesse amBeispiel der drei nordafrikanischen Staaten überprüft werden. Zum anderen spielten <strong>in</strong> den<strong>Transformation</strong>sprozessen <strong>Tunesien</strong>s, <strong>Ägypten</strong>s <strong>und</strong> Libyens bislang <strong>in</strong> der Forschung vernachlässigteAspekte e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Hierzu zählen <strong>in</strong>sbesondere— der Tribalismus <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Funktion beim Machterhalt autoritärer Strukturen <strong>und</strong> der militärischenVerteidigung des Regimes <strong>und</strong>— der Loyalitätsaspekt bzw. die notwendigen Kriterien für die Aufkündigung von Loyalitätbzw. für die Herausbildung neuer Loyalitäten.Angesichts der feststellbaren Forschungslücken ergeben sich mehrere neue Forschungsfelderbzw. Forschungsfragen für zukünftige empirische Studien (vgl. auch Rashed 2012; Raleigh2012):29 Bezüglich der Salafisten <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> ist auf die Komplizität zwischen Salafisten <strong>und</strong> Ennahda h<strong>in</strong>zuweisen;die Regierungspartei Ennahda geht zwar unter ausländischem Druck gegen e<strong>in</strong>zelne salafistische <strong>Gewalt</strong>täter(Angriff auf US‐Botschaft) vor, nicht aber gegen ihre landesweiten E<strong>in</strong>schüchterungsmaßnahmen gegenüberAndersdenkenden.30 Insbesondere die Rolle der Streitkräfte ist <strong>in</strong> jedem nordafrikanischen <strong>Transformation</strong>sland anders ausgefallen;vgl. Bourrat 2012; Lutterbeck 2012.WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


26 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011— Überprüft werden muss die These von Johnstad (2010) bzw. Karatnycky <strong>und</strong> Ackermann(2005), die besagt, dass e<strong>in</strong> gewaltfreier <strong>und</strong> von zivilen Akteuren herbeigeführter Regimewandelzu e<strong>in</strong>em höheren Niveau an Freiheit <strong>und</strong> Demokratie führt als e<strong>in</strong> mit <strong>Gewalt</strong>herbeigeführter Regimewandel. Die Fälle Libyen <strong>und</strong> <strong>Tunesien</strong> sche<strong>in</strong>en gerade dasGegenteil zu demonstrieren. In diesem Zusammenhang s<strong>in</strong>d auch die bereits oben formuliertenHypothesen zum Konfliktverlauf beim Übergang von der Präkonfliktphasezur (heißen) Konfliktphase <strong>und</strong> h<strong>in</strong>sichtlich des Verlaufs der Postkonfliktphase (<strong>Transformation</strong>sphase)zu überprüfen; gerade für diese Phase fehlen präzise Untersuchungen.Ted Gurr stellte allerd<strong>in</strong>gs hierfür mit se<strong>in</strong>em <strong>Gewalt</strong>‐/Konfliktphasenanalysemodell bereits1980 e<strong>in</strong> probates Analyse<strong>in</strong>strument 31 vor (Gurr 1980), von dessen Anwendung aufdie Entwicklungen <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen aufschlussreiche Erkenntnisse erwartetwerden können.— Die Anwendung des Gurrschen Analysemodells kann auch Aufschlüsse über die Akteure<strong>und</strong> die Bed<strong>in</strong>gungen br<strong>in</strong>gen, die zum Ausbruch ethnischer Konflikte (vor allem <strong>in</strong> Libyen)<strong>und</strong> religiöser Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong>sbesondere mit salafistischen Gruppenführten.— Es fehlt an Wissen über jene Faktoren, die konkret <strong>in</strong> den <strong>Transformation</strong>sstaaten dieWiederherstellung des staatlichen <strong>Gewalt</strong>monopols erschweren. E<strong>in</strong> wichtiger Faktordürfte die enge Verb<strong>in</strong>dung zwischen militanten Gruppen <strong>und</strong> organisierter Krim<strong>in</strong>alitätse<strong>in</strong>, die seit 2012 vor allem <strong>in</strong> Libyen <strong>und</strong> <strong>Tunesien</strong> sichtbar wird. 32 E<strong>in</strong> weiterer erschwerenderUmstand dürfte die Notwendigkeit für gleichzeitige Reformen sowohl im zivilstaatlichenBereich als auch im Sicherheitssektor se<strong>in</strong>. Diese Doppelbelastung ist stärkerzu berücksichtigen; gerade die <strong>in</strong> allen drei Staaten erhobenen Forderungen nachstärkerer Dezentralisierung (die den E<strong>in</strong>fluß lokaler Akteure stärken wird) <strong>und</strong> der damitverb<strong>und</strong>ene verschärfte Kampf um die Verfügungsgewalt über Ressourcen (Verwaltungs‐<strong>und</strong> Entwicklungsbudgets) s<strong>in</strong>d hier verstärkt <strong>in</strong> den Fokus zu nehmen; etwaigeRückwirkungen auf das Reformtempo wären <strong>in</strong> diesem Zusammenhang gesondert herauszuarbeiten.— Zu untersuchen ist ferner, <strong>in</strong> welcher Weise <strong>und</strong> warum sich e<strong>in</strong>zelne Akteure sicherheitspolitischambivalent verhalten, sich also z.B. die islamistische Partei Ennahda <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>e<strong>in</strong>erseits als Regierungspartei (zum<strong>in</strong>dest rhetorisch) für die öffentliche Sicherheitstark macht, andererseits mittels der sich unter ihrer Kontrolle bef<strong>in</strong>dlichen „Ligen31 Gurr geht vom gewaltsamen <strong>in</strong>nenpolitischen Konflikt aus <strong>und</strong> fragt nach den Rahmenbed<strong>in</strong>gungen des gewaltsamenAgierens <strong>in</strong>volvierter Gruppen sowie der zeitlichen Abfolge des Konfliktverlaufs (Sequenzen) unterE<strong>in</strong>beziehung der Reaktionen betroffener Gruppen (Aktion – Reaktion). Sowohl bei der Darstellung derKonfliktgruppen als auch beim Prozessablauf wird Wert auf die Zielsetzungen der Akteure, ihren Organisationsgrad<strong>und</strong> ihre soziokulturelle Verankerung gelegt.32 Offensichtlich ist diese Verflechtung <strong>in</strong> Nordmali; vgl. Lacher (2012); zu den allgeme<strong>in</strong>en Analyseaspektenvgl. Locke (2012).GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 27zum Schutz der Revolution“ politische <strong>Gewalt</strong> praktizieren. Ist dieser Rückgriff auf <strong>Gewalt</strong>der noch nicht konsolidierten Machtposition bzw. der Angst, die Macht wieder zuverlieren, geschuldet oder ist <strong>Gewalt</strong> Teil der Strategie <strong>und</strong> des Verhaltensrepertoires e<strong>in</strong>er<strong>in</strong> sich autoritär strukturierten <strong>und</strong> e<strong>in</strong> autoritäres System anstrebenden Organisation?— Ungenügend ist zudem das Wissen über die Art <strong>und</strong> Weise der Rekrutierung von Personenzugunsten jener Akteursgruppen, die das staatliche <strong>Gewalt</strong>monopol unterm<strong>in</strong>ieren.So verlief z.B. die Rekrutierung für salafistische Gruppen oder für die Ligen zum Schutzder Revolution <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong> sehr schnell. In welchem Umfang hierfür das Charisma derPrediger, ausländische Gelder oder gruppenpsychologische Elemente e<strong>in</strong>e Rolle spielen,ist weitgehend ungeklärt.— Wissensbedarf besteht auch <strong>in</strong> Bezug auf die Loyalität von Gruppenmitgliedern gegenüberihrer Gruppe <strong>und</strong> der Gruppenführung. Wenn im Kampf gegen die Produzentenvon Unsicherheit nicht nur auf polizeiliche Methoden zurückgegriffen werden soll, mussdas Zustandekommen von Loyalität untersucht werden, um adäquate Maßnahmen zurAuflösung der Loyalitätsbeziehung zu entwickeln. Dieser Prozess dürfte dort besondersschwer se<strong>in</strong>, wo der Bezugspunkt der Loyalität (wie oft <strong>in</strong> Libyen) die Großfamilie oderder Stamm ist. Wissensbedarf besteht auch h<strong>in</strong>sichtlich der (teilweise divergierenden)Loyalität von Polizei <strong>und</strong> Militär gegenüber dem Machthaber/Regime bzw. ihrer Aufkündigung,weil sich diesbezüglich <strong>in</strong> den drei <strong>Transformation</strong>sstaaten unterschiedlicheVerhaltensmuster feststellen lassen.— E<strong>in</strong> weiteres wenig bearbeitetes Feld s<strong>in</strong>d die Ansätze zu Sicherheitssektorreformen <strong>in</strong><strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen 33 e<strong>in</strong>schließlich der unterschiedlichen Bereitschaft derStaatsführungen zur sicherheitspolitischen Kooperation mit dem Ausland. 34 Es stellt sichsowohl die Frage nach den Gründen für die unterschiedliche Reform<strong>in</strong>tensität im nationalenSicherheitsbereich bzw. den Gründen für die Blockade bei der Umsetzung beschlossenerMaßnahmen als auch nach der unterschiedlich ausgeprägten Bereitschaft zurgrenzüberschreitenden Sicherheitskooperation (u.a. mit den Nachbarstaaten, der EU, Interpolusw.) angesichts der feststellbaren transnationalen Sicherheitsherausforderungen.— Insgesamt ist schließlich zu untersuchen, ob die von den Staatsführungen ergriffenenmateriell‐technischen, personellen <strong>und</strong> gesetzgeberischen Maßnahmen zum Ausbau derSicherheitskräfte auf die nationalen Sicherheitsherausforderungen adäquat zugeschnittens<strong>in</strong>d. Der Erfolg <strong>und</strong> die Effektivität der staatlichen Maßnahmen zur <strong>Gewalt</strong>m<strong>in</strong>derungs<strong>in</strong>d für jeden <strong>Transformation</strong>sstaat gesondert zu analysieren <strong>und</strong> die Ergebnisse vergleichendzu bewerten.33 Vgl. zur übergreifenden (gesamtarabischen) Problematik Sedra (2011) <strong>und</strong> Planty (2012).34 Vice versa ist aber auch die Kooperationsbereitschaft z.B. der europäischen Staaten/Deutschlands mit zu untersuchen;hier ist gegenwärtig e<strong>in</strong> Diskussionsprozess im Gange; vgl. Benantar (2011); Auswärtiges Amt(2012); EU‐GRASP (2012); zur Vorläuferdiskussion vgl. R<strong>in</strong>còn (2006); nordafrikanische Positionen f<strong>in</strong>den sichbei Soltan (2004).WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


28 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011Diese Wissenslücken <strong>und</strong> offenen Fragen lassen sich nicht alle<strong>in</strong> durch die Auswertung vorhandenerPrimärquellen beantworten, sondern erfordern umfangreichere empirische Untersuchungenvor Ort. In diese Analysen s<strong>in</strong>d dabei soweit als möglich lokale Forschungse<strong>in</strong>richtungen<strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>igungen wie z.B das Observatoire Tunisien de la Transition Démocratique35 oder die tunesische Vere<strong>in</strong>igung zur Reform der Polizei Reform/Islah 36 , aber auchdie Regionalbüros des Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF) <strong>in</strong>Tunis <strong>und</strong> Tripolis e<strong>in</strong>zubeziehen.Tabelle 1: Staatlicher Umgang <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen mit Problemen deröffentlichen Sicherheit bis zu den politischen Umbrüchen 2011Problembereich Terrorismus Problembereich Krim<strong>in</strong>alität Problembereich Soziale ProtesteAusgangspunkt Ausgangspunkt AusgangspunktHauptaspekte<strong>Tunesien</strong> Seit den 1980er Jahren: Vere<strong>in</strong>zelteAktivitäten islamistischer Gruppen;zuletzt Anschläge vonDjerba (2002) <strong>und</strong> Slimane (2007). Gefahr der Infiltration terroristischerGruppen aus Ostalgerien.<strong>Ägypten</strong> Sabotage von Erdgas<strong>in</strong>stallationen(Pipel<strong>in</strong>e nach Israel). Kooperation von islamistischenZellen mit der Hizbollah(Libanon). Anschläge auf christliche Kirchenbzw. Kopten.Libyen Aktivitäten islamistischer Gruppenseit 1992. Aktivitäten von AQIM auf libyschemStaatsterritorium.Krim<strong>in</strong>elle Hauptdelikte <strong>in</strong> allendrei Staaten im Großen <strong>und</strong> Ganzenidentisch:DrogenhandelWaffenschmuggelSchleuseraktivitätenProduktpiraterieAntikenschmuggelausgeprägte KorruptionGeldwäsche<strong>Tunesien</strong>In größeren Abständen sozialeUnruhen mit Schwerpunkt <strong>in</strong> dersüdwesttunesischen Region Gafsa;besonders gravierende UnruhenMai/Juni 2008.<strong>Ägypten</strong>Unruhen von überregionaler Bedeutung<strong>und</strong> Auswirkung fanden 2005(Kampf der Kifaya‐Bewegung gegendie Verfassungsmodifikation) <strong>und</strong>April 2008 (Generalstreik der Textilarbeiter<strong>in</strong> Mahalla gegen schlechteArbeitsbed<strong>in</strong>gungen) statt.LibyenIn Zawiya Ausschreitungen gegenMigranten aus schwarzafrikanischenStaaten (September 2000).2008/2009 mehrfach Unruhen dernichtarabischen Tubu <strong>in</strong> Kufra (Protestegegen ungenügende Entwicklungsmaßnahmen<strong>in</strong> der Region <strong>und</strong>die Marg<strong>in</strong>alisierung der Tubu).In Darna 2010 Proteste gegen Wohnungsnot.Bekämpfungsmaßnahmen Bekämpfungsmaßnahmen BekämpfungsmaßnahmenInstitutionell‐personelle EbeneMilitärtransformation <strong>in</strong>sbesondere<strong>in</strong> Algerien: Die bisherige Hauptaufgabeder Landesverteidigung an derGrenze <strong>und</strong> die kampf‐ <strong>und</strong> waffentechnischeKonzentration auf Panzerwurde entsprechend den neuen Herausforderungenmodifiziert. Es fande<strong>in</strong>e Reorganisation <strong>und</strong> Umgestaltungstatt, um die militärische Be‐Institutionell‐personelle EbeneParallel zum generellen Ausbau derPolizei Aufbau deliktspezifischer Polizeie<strong>in</strong>heiten/Dezernate(z.B. gegenEntführungen, Korruption).Gründung mobiler E<strong>in</strong>satzkommandos.Rückgriff auf die Strategie der Proximität(die ihrerseits den Bau neuerPolizeistationen bed<strong>in</strong>gte).Institutionell‐personelle EbeneParallel zum generellen Ausbau derPolizei Aufbau <strong>und</strong> Schulung von Polizeie<strong>in</strong>heitenzur speziellen Bekämpfungsozialer Unruhen (Anti‐riot‐Polizeien).35 Vgl. onl<strong>in</strong>e: (15. März 2013).36 Vgl. onl<strong>in</strong>e: (15. März 2013).GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 29kämpfung islamistischer Kampfgruppen<strong>und</strong> islamistischer Stadtguerillaim Inland zu ermöglichen.Ausbildung/Bereitstellung speziellerAntiterrore<strong>in</strong>satzkräfte.AusrüstungsbereichSpezielle Aufrüstung <strong>in</strong> den Bereichen:- Kommunikation,- Nachtsichtgeräte,- Helikopter,- 4x4‐Transporter.AusrüstungsbereichAufrüstung durch- neue Kommunikationsmittel,- die E<strong>in</strong>führung neuer technischerMethoden <strong>und</strong> Labore(wie z.B. DNA‐Analysen) <strong>und</strong>- den E<strong>in</strong>satz von Kamera‐/Video‐Überwachungssystemen<strong>und</strong> Scannern.AusrüstungsbereichSpezielle Aufrüstung im BereichWasserwerfer <strong>und</strong> Ausrüstung.Gesetzesebene/RegierungsmaßnahmenVerabschiedung von nationalen Antiterrorgesetzen;Umsetzung von national unterschiedlichenVersöhnungsstrategien(z.B. <strong>in</strong> Libyen seit 2006 nationalerVersöhnungsdialog von Saifal‐Islam al‐Qaddafi mit <strong>in</strong>haftiertenIslamisten).Gesetzesebene/RegierungsmaßnahmenVerabschiedung nationaler Drogengesetze,Antikorruptionsgesetze,Gesetze zum Schutz geistigenEigentums, Geldwäschegesetzeusw.; Krim<strong>in</strong>alisierung von illegalerMigration <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen FällenSchärfung von Strafen im Strafgesetzbuch(z.B. Waffenbesitz).Gesetzesebene/RegierungsmaßnahmenAnweisung zur vollen Anwendungdes Gesetzes (Höchststrafen für Demonstranten)statt Veranstaltung vonDialogforen, Förderung der Zivilgesellschaft<strong>und</strong> Inangriffnahme verstärkterlokaler Entwicklungsmaßnahmen;Verabschiedung von Regelungenzur Organisation beruflicherAusbildung.KooperationsebeneVerstärkte bilaterale, trans‐ <strong>und</strong> <strong>in</strong>traregionaleKooperation der Sicherheitsorgane(arabische Ebene:Unterstützung des Rates der arabischenInnenm<strong>in</strong>ister; Kooperationmit EU, Interpol); Gründung e<strong>in</strong>esAfrikanischen Zentrums zur Bekämpfungvon Terrorismus (CAERT) <strong>in</strong>Algier.KooperationsebeneAusbau der Kooperation:- im Rahmen des Rates der arabischenInnenm<strong>in</strong>ister (arabischeKonventionen zur Bekämpfungvon Drogenhandel,Terrorismus, Geldwäsche);- mit UNODC <strong>und</strong>- mit Interpol;(Vorbehalte gegenüber e<strong>in</strong>er lokalenPräsenz des US‐amerikanischenFBI aus Gründen der nationalenSouveränität (besonders Libyen,Algerien).KooperationsebeneGer<strong>in</strong>ge Kooperations<strong>in</strong>tensität mitNachbarstaaten; Informationsaustauschmit Ressortm<strong>in</strong>istern (z.B. Berufsbildung)auf der Ebene der ArabischenMaghrebunion.PräventionsebeneSchulungen der Sicherheitsorganeim Antiterrorkampf (z.B. Schulungenzur Vermeidung von <strong>und</strong> Reaktionauf Giftgasanschläge).Maßnahmen zur sozioökonomischenEntwicklung sozialer Brennpunkte.Religionspolitische Maßnahmen zurverstärkten Verbreitung e<strong>in</strong>er moderatenIslam<strong>in</strong>terpretation.In <strong>Tunesien</strong> Intensivierung derArabisierungspolitik, um islamistischeKritik zu entkräften.PräventionsebeneSpezielle Programme zur Reduzierungder Jugendarbeitslosigkeit;Fokus auf Jugendförderung.Verstärkung der Kampagnen zurDrogenaufklärung.PräventionsebeneVerstärkung der Regionalentwicklungsmaßnahmen;Spezielle Programme zur Reduzierungder Jugendarbeitslosigkeit;Enquêtes „Jugend“ <strong>und</strong> Fokus aufJugendförderung(die Ergebnisse der staatlichen Untersuchungenführten aber nicht zurNeugewichtung politischer Prioritäten).Quelle: Eigene Zusammenstellung Januar 2013WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


30 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011Tabelle 2: Sicherheitsdefizite <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong>, Libyen, <strong>Tunesien</strong> seit 2011Staat<strong>Tunesien</strong><strong>Ägypten</strong>Sicherheitsdefizite seit Januar/Februar 2011 <strong>und</strong> ForschungsbereicheDie Proteste führten am 14.1.2011 zur Flucht von Präsident Ben Ali <strong>und</strong> zur Etablierung e<strong>in</strong>esÜbergangsregimes, das zum 23.10. 2011 Wahlen für e<strong>in</strong>e Verfassungsgebende Versammlungorganisierte; seither übt die Verfassungsgebende Versammlung die Legislative <strong>und</strong> die von ihrgewählte Regierung (Regierungskoalition aus Ennahda, CPR <strong>und</strong> Ettakatul) die Exekutive aus.Sicherheitsrelevante Hauptherausforderungen <strong>in</strong> der seit Januar 2011 anhaltenden <strong>Transformation</strong>speriodes<strong>in</strong>d: Die Neubestimmung des Verhältnisses von Armee <strong>und</strong> Polizei; die Armee hat sich nach ihremE<strong>in</strong>satz <strong>und</strong> ihrer Rolle beim Sturz Ben Alis wieder <strong>in</strong> die Kasernen zurückgezogen; angesichtsder islamistischen Dom<strong>in</strong>anz des <strong>Transformation</strong>sprozesses mehren sich aber Rufezugunsten e<strong>in</strong>er Intervention des Militärs, um die Ziele der Revolution zu schützen. Die Reorganisation des Innenm<strong>in</strong>isteriums; Diskussion (<strong>und</strong> Umsetzung) e<strong>in</strong>er umfassendenSicherheitssektorreform. Die Überw<strong>in</strong>dung der Diskreditierung der Polizei <strong>und</strong> der Gendarmerie Nationale durchEntlassung kompromittierter Offiziere; Ausbildung neuer Führungskader; Schulungsmaßnahmenusw. Die Folgen der Auflösung der Sûrété d’état (politischen Polizei); Gründung e<strong>in</strong>er Nachfolgeorganisation. Die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen (Kommission Bouderbala); Umsetzungder Transitional justice <strong>und</strong> der notwendigen Justizreform. Die Aufrechterhaltung des im Januar 2011 verhängten Notstandes (seither periodisch immerwieder verlängert); Verhängung von Ausgangssperren bei neuen ausufernden Protestenwie z.B. am 5. August 2012 <strong>in</strong> Jebeniana/Sfax. Drastische Zunahme sozialer Proteste (landesweit), verb<strong>und</strong>en mit Angriffen von Demonstrantenauf Polizeistationen <strong>und</strong> Gouvernoratssitze. Die Befreiung von r<strong>und</strong> 10.000 Gefangenen im Januar 2011 mit der Folge der Bildung vonkrim<strong>in</strong>ellen Banden; Zunahme von Krim<strong>in</strong>alität auch im Kontext der sich verschlechterndenWirtschaftslage <strong>Tunesien</strong>s (Rückgang des Tourismus <strong>und</strong> der Auslands<strong>in</strong>vestitionen). Die Migrationspolitik; zeitweise (besonders 2011) Kontrollverlust bei der Grenzsicherung;nur teileffektive Schleuserbekämpfung. Entstehung bewaffneter salafistischer Gruppen; seit 2011 mehrfache Ause<strong>in</strong>andersetzungenmit den Sicherheitskräften. Islamistische Aktivitäten zur Kontrolle der Moscheen; Gründung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>formellen Sittenpolizei;Rolle der „Ligen zum Schutz der Revolution“, die 2012 zur Parteimiliz der Ennahdamutierten; die islamistischen Übergriffe auf generell Andersdenkende, Künstler, Priester,Homosexuelle usw. (islamistische <strong>Gewalt</strong>spirale). Die Rückwirkungen des libyschen Bürgerkrieges auf <strong>Tunesien</strong> (Zeitraum Februar‐Oktober2011); anhaltendes Problem der Waffenproliferation (teils bewaffnete Ause<strong>in</strong>andersetzungenvon Schmugglergruppen mit Nationalgarde/Grenzpolizei wie Dezember 2012 beiFergiana).Der Beg<strong>in</strong>n der politischen Proteste am 25. Januar 2011 <strong>und</strong> der Rücktritt von Präsident Mubarakam 11. Februar 2012 leiteten <strong>in</strong> <strong>Ägypten</strong> e<strong>in</strong>e Phase der politischen <strong>Transformation</strong> e<strong>in</strong>, die bisheute anhält <strong>und</strong> unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten mehrere Hauptaspekte umfasst: Die zentrale Rolle des Militärs im <strong>Transformation</strong>sprozess (Machtübernahme durch den SupremeCouncil of the Armed Forces/SCAF) <strong>und</strong> das Verhältnis des Militärs zur Polizei wieauch zur Staatssicherheit; Verhältnis Militär – Präsident Mursi nach dessen Wahl (Mai 2012). Die Folgen der Auflösung der Staatssicherheit am 15. März 2011; die Funktionsweise derneuen Sicherheitsbehörde „National Security Sector“ ist noch unbekannt.GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 31<strong>Ägypten</strong>Libyen Reform der Polizei (Ziel; Stand; Schwierigkeiten der Umsetzung). Entwicklung/Stand der Transitional justice (Prozesse u.a. gegen Ex‐Präsident Mubarak, Ex‐Innenm<strong>in</strong>ister al‐Adly, Offiziere der Staatsicherheit u.a. wegen Schießbefehl auf Demonstranten,Menschenrechtsverletzungen usw.) sowie der Justizreform. Befreiung von r<strong>und</strong> 20.000 Gefängnis<strong>in</strong>sassen während der Protesttage Januar/Februar 2011;Stand der Wiederverhaftung der befreiten Krim<strong>in</strong>ellen. Entwicklung der Krim<strong>in</strong>alität seit Januar 2011; zentrale Deliktformen s<strong>in</strong>d hier der illegaleWaffen‐ <strong>und</strong> Drogenhandel, die Produktpiraterie <strong>und</strong> der Schmuggel. <strong>Gewalt</strong> salafistischer Gruppen gegen Andersdenkende. Entwicklung des Terrorismus, <strong>in</strong>sbesondere des jihadistischen Terrorismus auf dem S<strong>in</strong>ai.Der Beg<strong>in</strong>n der Proteste <strong>in</strong> Banghazi am 17. Februar 2011 führte b<strong>in</strong>nen weniger Tage zur BefreiungOstlibyens von der Herrschaft Qaddafis; die NATO‐unterstützten Milizen <strong>und</strong> militärischeVerbände des oppositionellen Nationalen Übergangsrates <strong>und</strong> konnten am 21. August 2011Tripolis erobern; Ermordung Qaddafis am 20. Oktober 2011; am 23. Oktober 2011 Erklärung der„Befreiung Libyens“. Der Bürgerkrieg von Februar‐Oktober 2011 hatte gravierende Folgen für dieSicherheitsarchitektur (Zusammenbruch der staatlichen Sicherheitsorgane; schwieriger Neuaufbau);zentrale Herausforderungen für die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit s<strong>in</strong>d: Die Demobilisierung der (teilweise mite<strong>in</strong>ander rivalisierenden) revolutionären Brigaden(Milizen), die teils säkular, teils islamistisch ausgerichtet s<strong>in</strong>d; Integration von geeignetenBrigademitgliedern <strong>in</strong> die neu aufzubauende nationale Armee bzw. die Polizeikräfte (Beg<strong>in</strong>n2012 mit der Integration von Kämpfern <strong>in</strong> die Armee <strong>und</strong> das Supreme Security Committee). Aufbau e<strong>in</strong>er neuen staatlichen Armee (seit 2012 neue Befehlsstrukturen; Ernennung e<strong>in</strong>esGeneralstabschefs; E<strong>in</strong>richtung von zehn Militärzonen usw.): <strong>in</strong>ternationale Kooperation beider (zeitaufwändigen) Ausbildung von Führungsoffizieren. E<strong>in</strong>sammlung der aus den zerstörten Waffendepots geplünderten Waffen; Problem: die Verteilungder Kle<strong>in</strong>waffen <strong>in</strong> Libyen <strong>und</strong> im Sahelraum; Zunahme des WaffenschmuggelsRichtung Niger, Mali, Algerien, <strong>Ägypten</strong> (teils mit Richtung Gaza); Notwendigkeit zur <strong>in</strong>ternationalenKooperation zur Bekämpfung der Waffenproliferation. Übergriffe salafistischer Jihadisten, teilweise <strong>in</strong> eigenen Brigaden operierend (u.a. Abu Slim‐Märtyrer Brigade, Brigade Ansar al‐Sharia), auf Sufischre<strong>in</strong>e; Versuche von Salafisten, Moscheenunter ihre Kontrolle zu br<strong>in</strong>gen. Anhaltende Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit tatsächlichen oder verme<strong>in</strong>tlichen Anhängern desgestürzten Qaddafi‐Regimes; letzte Hochburg der Qaddafi‐Loyalisten (Bani Walid) wurdeim Oktober 2012 unter „revolutionäre Kontrolle“ gebracht. Notwendigkeit e<strong>in</strong>er transitional justice; bislang ke<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dliche staatliche Marschroute,so dass <strong>in</strong>dividuelle Racheakte erfolgen; politische <strong>Gewalt</strong> avancierte 2012 zum Hauptsicherheitsproblemvor allem der Cyrenaika (alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Cyrenaika 2012 über 20 politischeMorde). Anstieg der Krim<strong>in</strong>alität (Waffen‐ <strong>und</strong> Drogenschmuggel, Schleuseraktivitäten; Raub; Entführungen)mit der Folge der Selbstbewaffnung der Bevölkerung zum Eigenschutz. Teils blutige Proteste von sich diskrim<strong>in</strong>iert fühlenden Bevölkerungsgruppen (Tubu, Berber)gegen ihre Marg<strong>in</strong>alisierung.Quelle: Eigene Zusammenstellung, Januar 2013.WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


32 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011Literaturh<strong>in</strong>weiseAclimandos, Tewfick (2012), „Heal<strong>in</strong>g Without Amputat<strong>in</strong>g?“: Security Reform <strong>in</strong> Egypt, Amman:Arab Reform Initiative.Adams, Tani Marilena (2012), „Chronic Violence“: Toward a New Approach to 21 st ‐Century Violence,NOREF Policy Brief, Oslo: Norwegian Peacebuild<strong>in</strong>g Resource Centre.Ammour, Laurence Aida (2012), Security Issues Emerg<strong>in</strong>g <strong>in</strong> the Maghreb and the Sahel Afterthe Arab Spr<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: IEMed Mediterranean Yearbook 2012, Barcelona: IEMed, 128‐131.Amnesty International/AI (2012), Agents of Repression. Egypt’s Police and the Case for Reform,London: Amnesty International.Amnesty International/AI (2012a), Brutality Unpunished. Egypt’s Military Kill and Torture ProtestersWithout Impunity, London: Amnesty International.Amnesty International/AI (2012b), Libya: Rule of Law or Rule of Militias, London: Amnesty International.Arab Reform Initiative (2012), Workshop on Reform of the Police <strong>in</strong> Egypt: Issues and Challenges,ARI Monthly newsletter, Amman: Arab Reform Initiative.Auswärtiges Amt u.a. (2012), Für e<strong>in</strong>e kohärente Politik der B<strong>und</strong>esregierung gegenüber fragilenStaaten. Ressortübergreifende Leitl<strong>in</strong>ien, Berl<strong>in</strong>: Auswärtiges Amt, BMVg. BMZ.Benantar, Abdennour (2011), La démocratisation des états arabes redéf<strong>in</strong>ira le dialogue de sécuritéen Méditerranée, <strong>in</strong>: Notes <strong>in</strong>ternacionals, 29, Barcelona: CIDOB.Bourrat, Flavien (Hrsg.) (2012), La place et le rôle des armées dans le monde arabe contempora<strong>in</strong>,Paris: Documentation Francaise.Brooks, Risa (1998), Political‐military Relations and the Stability of Arab Regimes, Adelphi papers,324, London: International Institute for Strategic Studies.Brumberg, Daniel, <strong>und</strong> Hesham Sallam (2012), The Politics of Security Sector Reform <strong>in</strong> Egypt,Special report, 318, Wash<strong>in</strong>gton, D.C.: United States Institute of Peace.Cawthra, Gav<strong>in</strong>, <strong>und</strong> Rob<strong>in</strong> Luckham (2003), Govern<strong>in</strong>g Insecurity. Democratic Control of Militaryand Security Establishments <strong>in</strong> Transitional Democracies, London: Zed Books.CCDP (2012), Arab Upris<strong>in</strong>gs: Challenges Dur<strong>in</strong>g Political Transitions and Comparative Lessons forCivil Societies <strong>in</strong> the Middle East and North Africa, (Regional workshop consultation Amman,April 2012), Conference Report, Genf: Centre on Conflict, Development and Peacebuild<strong>in</strong>g.Chivvis, Christopher (u.a.) (2012), Libya’s Post‐Qaddafi Transition, Santa Monica, CL: RandCorporation.Cole, Peter (2012), Borderl<strong>in</strong>e Chaos? Stabiliz<strong>in</strong>g Libya’s Periphery, Wash<strong>in</strong>gton, D.C.: CarnegieEndowment for International Peace.GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011 33Daguzan, Jean‐Francois (2013), Armées et société dans le monde arabe: entre révolte et conservatisme,Note 5, 13, Paris: Fondation pour la recherche stratégique.Eizenstat, Stuart E. u.a. (2005), Rebuildu<strong>in</strong>g Weak States, <strong>in</strong>: Foreign Affairs, 84, 1, 134‐146.El Fegiery, Moataz (2012), Crunch Time for Egypt’s Civil‐military Relations, Policy brief, 134,Madrid: FRIDE.El‐Katiri, Mohammed (2012), State Build<strong>in</strong>g Challenges <strong>in</strong> a Post‐revolution Libya, Carlisle, Pennsylvania:US Army War College ‐ Strategic Studies Institute.EU‐GRASP (2012), The EU as a Global‐regional Actor <strong>in</strong> Security and Peace, Brügge: EU‐Graspcoord<strong>in</strong>ation team.Faath, Sigrid (2012), Islamische Akteure <strong>in</strong> Nordafrika, Berl<strong>in</strong>: Konrad‐Adenauer‐Stiftung <strong>und</strong>Auswärtiges Amt.Giustozzi, Antonio (2011), The Art of Coercion. The Primitive Accumulation and Management ofCoercive Power, New York: Columbia University Press.Gurr, Ted Robert (1980), On the outcomes of violent conflict, <strong>in</strong>: Gurr, Ted Robert (Hrsg.),Handbook of political conflict, New York, 238‐294.Hanlon, Quer<strong>in</strong>e (2012), The Prospects for Security Sector Reform <strong>in</strong> Tunisia: A Year After the Revolution,Carlisle, Pennsylvania: US Army War College – Strategic Studies Institute.International Crisis Group/ICG (2013), Tunisie. Violences et défi salafiste, Rapport Moyen‐Orient, <strong>in</strong>: Afrique du Nord, 137.International Crisis Group/ICG (2012), Tunisie: Lutter contre l’impunité, restaurer la sécurité,Rapport Moyen‐Orient, <strong>in</strong>: Afrique du Nord, 123.International Crisis Group/ICG (2012a), Divided We Stand: Libya’s Endur<strong>in</strong>g Conflict, MiddleEast/North Africa Report, Brüssel: ICG.Johnstad, Petter Grahl (2010), Nonviolent Democratization: A Sensitivity Analysis of HowTransition Mode and Violence Impact the Durability of Democracy, <strong>in</strong>: Peace and Change,35, 3, 464‐482.Jones, Seth G. u.a. (2005), Establish<strong>in</strong>g Law and Order After Conflict, Santa Monica, CA: RandCorporation.Karatnycky, Adrian, <strong>und</strong> Peter Ackermann (2005), How Freedom is Won: From Civic Resistanceto Durable Democracy, Wash<strong>in</strong>gton, D.C.: Freedom House.Kienle, Eberhard (2013), The Security Implications of the Arab Spr<strong>in</strong>g, Geneva Papers ResearchSeries, 10, Genf: Geneva Centre for Security Policy.Kurtenbach, Sab<strong>in</strong>e, <strong>und</strong> Herbert Wulf (2012), Violence and Security Concerns <strong>in</strong> Post‐conflictSituations, Project Work<strong>in</strong>g Paper, 3, Duisburg: INEF.Lacher, Wolfram (2013), Bruchl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong> der Revolution. Akteure, Lager <strong>und</strong> Konflikte im neuen Libyen,SWP‐Studie, S5, Berl<strong>in</strong>: Stiftung Wissenschaft <strong>und</strong> Politik.WP 219/2013GIGA Work<strong>in</strong>g Papers


34 Hanspeter Mattes: <strong>Politische</strong> <strong>Transformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen seit 2011Lacher, Wolfram (2012), Organized Crime and Conflict <strong>in</strong> the Sahel‐Sahara‐Region, Carnegie Paper,Wash<strong>in</strong>gton, DC: Carnegie Endowment for <strong>in</strong>ternational Peace.Locke, Rachel (2012), Organized Crime, Conflict, and Fragility: A New Approach, New York: InternationalPeace Institute.Lutterbeck, Derek (2011), Arab Upris<strong>in</strong>gs and Armed Forces: Between Openness and Resistance,SSR Paper, 2, Genf: DCAF.Lutterbeck, Derek (2013), Arab Upris<strong>in</strong>gs, Armed Forces, and Civil‐military Relations, <strong>in</strong>:Armed Forces & Society, 39, 1, 28‐52.Lutterbeck, Derek (2012a), After the Fall: Security Sector Reform <strong>in</strong> Post‐Ben Ali Tunisia, Amman:Arab Reform Initiative.Mattes, Hanspeter (2012), Domestic security <strong>in</strong> the Maghreb: Deficits and counter‐measures, Hamburg:GIGA, Work<strong>in</strong>g Paper, 186, onl<strong>in</strong>e: .Mattes, Hanspeter (2013), Wachsende Sicherheitsprobleme <strong>in</strong> <strong>Tunesien</strong>, <strong>Ägypten</strong> <strong>und</strong> Libyen,<strong>in</strong>: Wuqûf‐Kurzanalysen, 23, Berl<strong>in</strong>: Edition Wuqûf.McQu<strong>in</strong>n, Brian (2012), After the Fall. Libya’s Evolv<strong>in</strong>g Armed Groups, Genf: Small Arm Survey –Graduate Institute of International and Development StudiesMerkel, Wolfgang ( 2 2010), Systemtransformation, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.Pack, Jason, <strong>und</strong> Barak Barfi (2012), In War’s Wake. The Struggle for Post‐Qadhafi Libya, PolicyFocus, 118, Wash<strong>in</strong>gton, D.C.: The Wash<strong>in</strong>gton Institute for Near East Policy.Planty, Donald J. (2012), Security Sector <strong>Transformation</strong> <strong>in</strong> the Arab Awaken<strong>in</strong>g, Special report,317, Wash<strong>in</strong>gton, D.C.: United States Institute of Peace.Raleigh, Clionadh (2012), Scales of Conflict Research, <strong>in</strong>: International Interactions, 38, 462‐481.Rashed, Diana (2012), The Arab Spr<strong>in</strong>g and the Future of Violence Studies, <strong>in</strong>: Project on MiddleEast Political Science (POMEPS), Arab Upris<strong>in</strong>gs. New Opportunities for Political Science,Pomeps Brief<strong>in</strong>gs, 12, 51‐52, Wash<strong>in</strong>ghton, D.C.R<strong>in</strong>cón, Alfonso u.a. (2006), Soft‐security With<strong>in</strong> the Euro‐mediterranean Partnership, Work<strong>in</strong>gPaper, 0611, Madrid: Go‐EuroMed.Salem, Paul, <strong>und</strong> Amanda Kadlec (2012), Libya’s Troubled Transition, Wash<strong>in</strong>gton, D.C.: CarnegieMiddle East Center.Sedra, Mark (2011), Security Sector <strong>Transformation</strong> <strong>in</strong> North Africa and the Middle East, SpecialReport, Wash<strong>in</strong>gton, DC: United States Institute of Peace.Sayagh, Yezid (2012), Above the State. The Officers’ Republic <strong>in</strong> Egypt, Wash<strong>in</strong>gton, D.C.: CarnegieEndowment for International Peace.Soltan, Gamal A. G. (2004), Southern Mediterranean Perceptions and Proposals for MediterraneanSecurity, Brief, 8, Lissabon: EuroMeSCo.GIGA Work<strong>in</strong>g Papers WP 219/2013


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Recent IssuesNo 218 Claire Wright and Ana Soliz Landivar: From Military Instruments of Dictatorship toPolitical Instruments of Democracy: Regimes of Exception <strong>in</strong> Bolivia 2000‒2010, March 2013No 217 Birte Pohl and Peter Mulder: Expla<strong>in</strong><strong>in</strong>g the Diffusion of Renewable Energy Technology <strong>in</strong>Develop<strong>in</strong>g Countries, March 2013No 216 Joachim Betz: The Reform of Ch<strong>in</strong>a’s Energy Policies, February 2013No 215 André Bank, Thomas Richter and Anna Sunik: Long-Term Monarchical Survival <strong>in</strong> theMiddle East: A Configurational Comparison, 1945–2012, February 2013No 214 Nele Noesselt: Microblogs <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a: Br<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g the State Back In, February 2013No 213 Pascal Abb: Ch<strong>in</strong>a’s Foreign Policy Th<strong>in</strong>k Tanks: Chang<strong>in</strong>g Roles and Structural Conditions,January 2013No 212 Christian von Soest and Michael Wahman: Sanctions and Democratization <strong>in</strong> the Post-Cold War Era, January 2013No 211 Alexander De Juan: Mapp<strong>in</strong>g Political Violence – The Approaches and ConceptualChallenges of Subnational Geospatial Analyses of Intrastate Conflict, December 2012No 210 Lena Giesbert: Subjective Risk and Participation <strong>in</strong> Micro Life Insurance <strong>in</strong> Ghana,December 2012No 209 Georg Strüver: What Friends Are Made Of: Bilateral L<strong>in</strong>kages and Domestic Drivers ofForeign Policy Alignment with Ch<strong>in</strong>a, November 2012No 208 Jörg Balsiger, Miriam Prys and Niko Ste<strong>in</strong>hoff: The Nature and Role of Regional Agreements<strong>in</strong> International Environmental Politics: Mapp<strong>in</strong>g Agreements, Outl<strong>in</strong><strong>in</strong>g Future Research,October 2012No 207 Daniel Flemes and Leslie Wehner: Drivers of Strategic Contestation <strong>in</strong> South America,October 2012No 206 Hannes Ebert, Daniel Flemes and Georg Strüver: The Politics of Contestation <strong>in</strong> Asia: HowJapan and Pakistan Deal with their Ris<strong>in</strong>g Neighbors, September 2012No 205 Carlo Koos and Matthias Basedau: Does Uranium M<strong>in</strong><strong>in</strong>g Increase Civil Conflict Risk?Evidence from a Spatiotemporal Analysis of Africa from 1945 to 2010, September 2012No 204 André Bank and Roy Karadag: The Political Economy of Regional Power: Turkey <strong>und</strong>erthe AKP, September 2012All GIGA Work<strong>in</strong>g Papers are available free of charge at .For any requests please contact: .WP Coord<strong>in</strong>ator: Errol BaileyGIGA German Institute of Global and Area Studies / Leibniz-Institut für Globale <strong>und</strong> Regionale StudienNeuer Jungfernstieg 21 • 20354 Hamburg • GermanyE-mail: • Website:

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