20Zuerst war es Disziplin, dann fastete er mit Gelassenheit. Leistung undAnstrengung sind ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>zusetzen. Leistung wurde erbra<strong>ch</strong>t, indemEntspannung und Ausri<strong>ch</strong>tung na<strong>ch</strong> innen angestrebt wurde anstatt Willensanstrengung.Geistige Disziplin bedeutet, si<strong>ch</strong> in ausgewogener Weisezwis<strong>ch</strong>en einem Zuviel und Zuwenig hin und her zu bewegen.S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ass er ni<strong>ch</strong>ts mehr, ohne si<strong>ch</strong> willentli<strong>ch</strong> zu bemühen, ni<strong>ch</strong>tweil er abstinent sein wollte, son<strong>der</strong>n weil er ni<strong>ch</strong>t mehr essen und trinkenkonnte. Das Heilige Sakrament während <strong>der</strong> Messe, an <strong>der</strong> er dur<strong>ch</strong> einGuckfenster <strong>von</strong> seiner Wohnzelle aus teilnahm, stärkte und nährte ihn.Zeitlebens hütete si<strong>ch</strong> <strong>Bru<strong>der</strong></strong> <strong>Klaus</strong> davor, ein Urteil über seine Abstinenzabzugeben o<strong>der</strong> si<strong>ch</strong> <strong>der</strong>en gar zu rühmen. Hier wurde ihm eine GnadeGottes zuteil, die er we<strong>der</strong> hinterfragen no<strong>ch</strong> deuten wollte. Er war si<strong>ch</strong>bewusst, dass er mit seiner Abstinenz eine dem Mens<strong>ch</strong>en natürli<strong>ch</strong>erweisegesetzte Grenze übers<strong>ch</strong>ritt.Einsiedler-Alltag - Erfüllung im „einig Wesen“Betra<strong>ch</strong>tungen und Gebete füllten einen wesentli<strong>ch</strong>en Teil des Alltags imRanft. Von Besu<strong>ch</strong>ern ist überliefert: „Jeden Tag und beson<strong>der</strong>s im Sommerverlässt er seine Zelle und geht für mehrere Stunden in eine Höhle, wo ersein Gebet vollbringt.“ Und ein Jüngling bemerkte: „Aber als i<strong>ch</strong>, um denRat des Gottesmannes zu haben, zu dessen Einsiedelei gekommen, fandi<strong>ch</strong> ihn ni<strong>ch</strong>t. Erst als i<strong>ch</strong> lange gewartet, traf i<strong>ch</strong> den Ersehnten.“ Die Besu<strong>ch</strong>erbildeten dabei offenbar ni<strong>ch</strong>t eine willkommene Zerstreuung, son<strong>der</strong>nstörten seine Anda<strong>ch</strong>t. „Er verbra<strong>ch</strong>te den ersten Teil des Tages im Gebetund in Kontemplation; na<strong>ch</strong>mittags kam er hervor, sass an <strong>der</strong> Sonne, undwenn er Lust hatte, besu<strong>ch</strong>te er seinen Miteremiten <strong>Bru<strong>der</strong></strong> Ulri<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong>ihm anges<strong>ch</strong>lossen und eine Zelle in seiner Nähe gebaut hatte. Mit letzterem,<strong>der</strong> viele Bü<strong>ch</strong>er besass, unterhielt er si<strong>ch</strong> oft über geistli<strong>ch</strong>e Dinge.“Wenn <strong>Bru<strong>der</strong></strong> <strong>Klaus</strong> <strong>von</strong> Gott redete, s<strong>ch</strong>ien er alle Geheimnisse <strong>der</strong> HeiligenS<strong>ch</strong>rift zu erfassen, obwohl er keinen Bu<strong>ch</strong>staben lesen konnte.Denno<strong>ch</strong> war sein Leben im Ranft kein Rückzug, son<strong>der</strong>n ein Ankommen,keine Weltflu<strong>ch</strong>t, son<strong>der</strong>n ein Felsen für Ratsu<strong>ch</strong>ende. Er war ni<strong>ch</strong>t arm, son<strong>der</strong>neine Quelle <strong>der</strong> Fülle und des Li<strong>ch</strong>ts. In seinen Betra<strong>ch</strong>tungsübungenlernte <strong>Bru<strong>der</strong></strong> <strong>Klaus</strong>, auf seinen inneren Mens<strong>ch</strong>en zu hören und „arm imGeiste“ zu werden. In <strong>der</strong> ständigen Zwiespra<strong>ch</strong>e mit dem „einig Wesen“fand er Erfüllung im „einig Wesen“.
21Offenheit für die Mitmens<strong>ch</strong>enSeine Gattin Dorothea und seine Kin<strong>der</strong> blieben im Frieden mit ihm undbesu<strong>ch</strong>ten ihn öfters, meistens am Sonntag, in seiner <strong>Klaus</strong>e. Er fühlte si<strong>ch</strong>aber nie versu<strong>ch</strong>t, zu ihnen zurückzukehren. Dorothea kam au<strong>ch</strong> als Ratsu<strong>ch</strong>endezu ihm.Eremiten zei<strong>ch</strong>net häufig ein intuitives Verständnis für ihre Mitmens<strong>ch</strong>enaus. Es s<strong>ch</strong>eint paradox, dass gerade jene, die si<strong>ch</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Welt zurückziehen,sie nun am besten verstehen. Gotterkenntnis ist Mens<strong>ch</strong>enerkenntnis.Wer die Welt ohne I<strong>ch</strong>bezogenheit wahrnimmt, ob in <strong>der</strong> Einsamkeito<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t, wer völlig offen für si<strong>ch</strong> und für Gott ist, <strong>der</strong> ist es au<strong>ch</strong> für dieMitmens<strong>ch</strong>en.Ein ratsu<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Jüngling aus Burgdorf s<strong>ch</strong>riebeinem Freund: „ Als i<strong>ch</strong> das erste Mal zu ihm(<strong>Bru<strong>der</strong></strong> <strong>Klaus</strong>) kam, tat i<strong>ch</strong> eine einzige Frage,nämli<strong>ch</strong>: Ob es mir erlaubt sei, in dieserGegend zu verbleiben, um Gott zu dienen,obglei<strong>ch</strong> meine Eltern ni<strong>ch</strong>ts da<strong>von</strong> wüssten undi<strong>ch</strong> selber mit meinem Gewissen deshalb ni<strong>ch</strong>tim Reinen sei. Der Gottesmann erwi<strong>der</strong>te kurz:Wenn du Gott dienen willst, musst du di<strong>ch</strong> umniemanden kümmern. Wenn du aber hierbleibenwolltest, um gute Tage zu verleben, bleibst dubesser bei den Deinen zu <strong>der</strong>en Unterstützung.“<strong>Bru<strong>der</strong></strong> <strong>Klaus</strong> enthob den Jüngling ni<strong>ch</strong>t aus <strong>der</strong>Eigenverantwortung, er gab ihm keine konkreteHandlungsanweisung.Er beantwortete die s<strong>ch</strong>einbar äusserli<strong>ch</strong>e Frageauf tieferer Ebene: Was will i<strong>ch</strong>? Was will Gott<strong>von</strong> mir?<strong>Bru<strong>der</strong></strong> <strong>Klaus</strong>Lindenbaum Statue untere Kapelle