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Asperger-Syndrom in der Schule

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<strong>Asperger</strong>-<strong>Syndrom</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>Christian HollJugend- und Familienberatungsstelle Landkreis Tüb<strong>in</strong>gen,K<strong>in</strong><strong>der</strong>zentrum Maulbronn


früher oft Son<strong>der</strong>schulen:Schulfrage- För<strong>der</strong>schule o<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> für Geistigbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te (Grund: oft Unterschätzung<strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektuellen Begabung, u.a. wegen schwerer Testbarkeit)- <strong>Schule</strong> für Erziehungshilfe (Vorteil: kle<strong>in</strong>e Klasse, speziell ausgebildete Lehrer,aber Gefahr, dass Sozialverhalten am negativen Modell gelernt wird. Außerdem:hohe Mobb<strong>in</strong>g-Gefahr)- <strong>Schule</strong> für Körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te o<strong>der</strong> Sprachheilschule (kle<strong>in</strong>e Klassen,Fachpersonal, Hilfsmittel)z. T. mehrfache Schulwechsel, da ke<strong>in</strong>e Schulart passend→ Was ist geeignet?spezielle <strong>Asperger</strong>-Klassen, Integration o<strong>der</strong> Inklusion?


Situation <strong>der</strong> Lehrer- fehlende (Vorab-) Informationen→ Verunsicherung/ Ärger („welches Ei hat man mir da <strong>in</strong>s Nest gelegt“)Eltern haben Angst vor „Stempel“ (z.T. Reaktivierung eigenernegativer <strong>Schule</strong>rfahrungen)Oft langer Leidensweg bis zur Diagnose, z. T. wurden Eltern fürAuffälligkeiten verantwortlich gemacht („Erziehungsfehler“)→ Suche nach Erklärungen für Verhaltensprobleme(„da stimmt was nicht im Elternhaus...“)


UUntertest zur„Verarbeitungsgeschw<strong>in</strong>digkeit“ ausHAWIVA III (Vorschul-Intelligenztest)Probleme:Überschießende StiftführungOrientierung auf ArbeitsblattLangsames ArbeitstempoMehrfaches Wie<strong>der</strong>holen <strong>der</strong>Anweisung erfor<strong>der</strong>lich


Motorische DefiziteHäufig Probleme im grob- und fe<strong>in</strong>motorischenBereich, speziell <strong>in</strong> <strong>der</strong> GraphomotorikDurch Ergotherapie Verbesserung, aber Probleme lassen sich oft nicht„wegtherapieren“. Therapie bedeutet auch Suche nachKompensationsstrategien.- Schriftbild: e<strong>in</strong>fach nur mehr Mühe geben?(Problem: Genauigkeit geht zu Lasten des Arbeitstempos-> Nacharbeiten zuhause belastet Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung)- Problemfächer: Sport, BK/ TW, (Geometrie)


Autobahn mit Zubr<strong>in</strong>ger


E<strong>in</strong>kaufshilf<strong>in</strong>ator“


Schienen (mit ca. 4 Jahren)


L<strong>in</strong>iennetz (mit 14 Jahren)


Fahrplan


Desorganisation/ Langsamkeit„... an<strong>der</strong>e s<strong>in</strong>d schon fertig, er hat noch nicht mal das Mäppchen rausgeholt“- Fehlende Automatisierung von Handlungsabläufen trotz Übung-> Erwartungshaltung muss gesenkt werden (Vorgehen <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Schritten)auch bei Alltagsverrichtungen zuhause oft massive Probleme <strong>in</strong> <strong>der</strong> Handlungsplanung,die die familiäre Situation belasten- z. T. Perfektionismus: Diskrepanz zwischen Anspruch und Umsetzung → Kritik o<strong>der</strong>„Druck“ kann bis zur Verweigerung führenAufmerksamkeitsstörunghäufig, daher oft als AD(H)S diagnostiziert


Eigenwilliges Verhalten- Stereotypien, Manierismen (Klopfen auf Tisch, Laute, bizarre Bewegungen, u.a.)- Spezialthemen: ungewöhnliches Ausmaß <strong>der</strong> Beschäftigung und/o<strong>der</strong> ungewöhnliche Themen (z.B. Fahrzeuge, Feuerwehr, Universum,D<strong>in</strong>osaurier, Antike, Ritter, Naturkatastrophen, „Titanic“, „Terroranschlag 9/11“, Flaggen,Uniformen, Kathedralen, Glocken, Friedhofskreuze, Waffen, u.v.m.)- Ständige, sich wie<strong>der</strong>holende Fragen/ „Gedankenschleifen“(Anzeichen für <strong>in</strong>nere Anspannung, wirkt aber auf Außenstehende oft provokativ)- „Eigene“ Lösungsstrategien, z.B. fehlen<strong>der</strong> Rechenweg(„ … Ergebnis stimmt doch!“)Ausraster- bei Überfor<strong>der</strong>ung bei Lautstärke, großer Gruppe usw.- z.T. als Reaktion auf Attacken durch Mitschüler (siehe „Mobb<strong>in</strong>g“),Betroffene s<strong>in</strong>d eher Opfer als Täter


Soziale DefiziteBetroffene entwickeln oft e<strong>in</strong> Gefühl für eigene An<strong>der</strong>sartigkeit(Aussage e<strong>in</strong>es Sechsjährigen: „Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> seltsames K<strong>in</strong>d“)-> z.T. Selbstabwertung („am besten wär‘s, mich gäb es gar nicht“)- Mimik, Gestik, Unbeholfenheit werden als provokativ empfunden- Nervtötende Stereotypien, Geräusche o<strong>der</strong> Tics- Unbeabsichtigtes (!) Verletzen <strong>der</strong> Gefühle an<strong>der</strong>er- Lücke zwischen Theorie und Praxis: K<strong>in</strong>d kommentiert, ohneselbst mitzumachen


Mobb<strong>in</strong>g- Menschen mit <strong>Asperger</strong>-<strong>Syndrom</strong> häufig betroffenbeson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pubertät steigt Mobb<strong>in</strong>g-Gefahr→ Position <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Gleichaltrigen wirdzunehmend wichtig (Jugendliche mit <strong>Asperger</strong> oft eher unsportlich, „uncool“)oft langanhaltende negative psychische Folgen→ eigentlich „Schutzmaßnahmen“ erfor<strong>der</strong>lich, aber Diagnose und Hilfen (z.B.Schulbegleitung) werden von den Betroffenen gerade <strong>in</strong> diesem Alter häufigabgelehnt („Ja nicht auffallen!“)Lehrer und Eltern ahnungslos, weil Betroffene sich nicht mitteilen und ihnennichts anzumerken ist (e<strong>in</strong>geschränkter mimischer Ausdruck)Beson<strong>der</strong>s Mobb<strong>in</strong>g gegen betroffene Mädchen bleibt oft unerkannt


Mode/ Körperhygiene- Eigenwilligkeit bezüglich Kleidung (z.B. nur 1 Liebl<strong>in</strong>gshose -> heimlichesWaschen)- Ablehnen modischer Trends (Be<strong>in</strong>e rasieren?)- mangelndes Bewusstse<strong>in</strong> für Körperhygiene (Eltern müssen zumDuschen „zw<strong>in</strong>gen“)- motorische Defizite bzw. Schwierigkeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong>Handlungsplanung als zusätzliches ProblemFolge: Ablehnung, Spott und Ausgrenzung (Geschwister oft wichtigeFunktion bei „modischer“ Beratung)


Was kann die <strong>Schule</strong> tun?Allgeme<strong>in</strong>e Fragen:- Alle gleich behandeln?- Was ist mit dem Nachteilsausgleich?(Erweiterung des Kultusm<strong>in</strong>istererlasses 2008: „…bei Problemen im Verhalten und <strong>in</strong><strong>der</strong> Aufmerksamkeit“)- Wie schwierigem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> großer Klasse gerechtwerden?


<strong>in</strong>dividuell auf das K<strong>in</strong>d angepasste Strategienbedeuten Mehraufwand, können aber ggf.Eskalationen im Vorfeld verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n→ Prävention


Umgang mit motorischen Defiziten,Desorganisation, Aufmerksamkeitsproblemen- Schrift: evtl. Druckbuchstaben statt Schreibschrift, vergrößerte Vorlagen, multiplechoiceAufgaben etc.Hilfsmittel: z.B. Griffverdickungen, Roller-Pen, Laptop, Diktaphon (für Aufsätze, sonstoft <strong>in</strong>haltsarm, weil Schreiben sehr anstrengend)- Strukturierungshilfen: Wochen- und Tagespläne, Schablonen für Arbeitsblätter,Sanduhr o. ä.- Aufmerksamkeit → Sitzplatz möglichst vorne bzw. nah bei Lehrkräften,Tischanordnung (eher frontal), ggf. MedikationSportunterricht oft beson<strong>der</strong>s problematisch wegen motorischer Probleme,unstrukturierter Situation, komplexem sozialen Geschehen (Mannschaftssport), Wi<strong>der</strong>hall<strong>in</strong> Turnhalle (auditive Hypersensibilität)-> mehr Zeit zum Umziehen, ggf. separate Umkleidemöglichkeitz.B. Fußball: „L<strong>in</strong>ienrichter statt Stürmer“


Hilfestellungen bei sozialen Defiziten- Vermittlung von Informationen an Mitschüler, Fachlehreru.a. (nur mit E<strong>in</strong>verständnis <strong>der</strong> Betroffenen bzw. Eltern)- „Mobb<strong>in</strong>g“ bewusst machen (Mitschülern oft nicht klar, dass bestimmtesGruppenverhalten von Betroffenen als Attacke <strong>in</strong>terpretiert wird)- Gewährung von Schutzraum (z.B. Pausensituation oft beson<strong>der</strong>s schwierig: stattauf Schulhof alle<strong>in</strong>e rumstehen ggf. Verbleib im Schulgebäude mit Möglichkeit zum Lesenüber Spezialthema o.ä.)- Patenschaften bzw. „Bodyguards“ (beson<strong>der</strong>s geeignet: MitschülerInnen mithohem Status <strong>in</strong> Klasse bzw. an <strong>Schule</strong>)Utilisation: Symptom bzw. Spezial<strong>in</strong>teressen als Stärkenutzen (z.B. technischer Assistent)Refram<strong>in</strong>g: Bizarres Verhalten <strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvollen Kontext stellen!


Vorbereitung auf Verän<strong>der</strong>ungen/unbekannte Situationen(<strong>Asperger</strong>-)Autisten begleitet permanente Angst vor NeuemRegeln und Rituale schaffen Sicherheit, umgekehrt werdenVerän<strong>der</strong>ungen von gewohnten Abläufen als massiveVerunsicherung und Bedrohung erlebt → panische o<strong>der</strong> unflexibleReaktionen (Wi<strong>der</strong>stand)- oft unvermittelte, heftige emotionale Reaktionen („von 0 auf 100“)Wichtige Botschaft: - Ausnahme bedeutet nicht, dass Regel nichtmehr gilt- “Plan B” tritt <strong>in</strong> KraftVor<strong>in</strong>formationen reduzieren Unsicherheit:- Stundenplanän<strong>der</strong>ung, Vertretung, Raumwechsel -> Homepage <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>?- Informationen zu Ausflügen, Schullandheim u.a. -> Internet


Umgang mit eigenwilligem VerhaltenE<strong>in</strong>fach nur konsequent se<strong>in</strong>?Grund für Verweigerung, Ausraster usw. ist selten Trotz,son<strong>der</strong>n meist Panik (oft wegen m<strong>in</strong>imalen Verän<strong>der</strong>ungen, z.B.Sitzplatzwechsel, Hohlstunde, Geräuschpegel )→ Konsequenz führt eher zur Eskalation(Autisten selbst zum E<strong>in</strong>lenken meist zu unflexibel)Wichtig: Schwieriges Verhalten als Indikator, dassSituation für K<strong>in</strong>d schwierig ist


Umgang mit eigenwilligem Verhalten- Zeigen sich Anzeichen für Überfor<strong>der</strong>ung?→ Rückzugsmöglichkeiten schaffen (falls Verlassen des Klassenszimmersnicht möglich ist -> „Ruheecke“, Kopfhörer mit Liebl<strong>in</strong>gshörspiel, -musik o.a.)Präventiv statt reaktiv! Ansonsten lernt das K<strong>in</strong>d, dass esschwierig werden muss, um sich aus Situation entfernen zu dürfen- Gibt es alternative Möglichkeiten des Spannungsabbaus beiStereotypien? Ggf. (medikamentöse) Behandlung- zeitliche und räumliche Begrenzung bei repetitiven Fragen (z.B.„Sprechstunde“)- Referat bzw. GFS statt Monolog (passenden Rahmen für Redenüber Liebl<strong>in</strong>gsthemen schaffen)- Expertentum nutzen (z.B. viele PC-Spezialisten unter <strong>Asperger</strong>n)


Probleme mit GruppenarbeitLehrkraft als Supervisor:- Rollen und Aufgaben klar verteilen und def<strong>in</strong>ieren, auchhier Spezial<strong>in</strong>teressen nutzen („Reporter mit Kamera“)- Prozess eng begleiten, e<strong>in</strong>greifen, H<strong>in</strong>weise geben- Arbeit <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>(st)gruppen→ Gruppenzusammensetzung beachten!


KommunikationAllgeme<strong>in</strong>: Ge- und Verbote statt Appelle an E<strong>in</strong>sicht!- Klare Ansagen (nicht: „es wäre schön, wenn Du...“)- Konkrete Sprache (statt „De<strong>in</strong> Verhalten ist <strong>in</strong>akzeptabel“ →„Du sollst nicht...“)- Ke<strong>in</strong>e Ironie („...das hast Du ja toll h<strong>in</strong>gekriegt!“) o<strong>der</strong>ambivalente Kommunikation (verbal/ nonverbal)- Ruhiger Ton (auditive Überempf<strong>in</strong>dlichkeit)- Freundlichkeit! (aber Vorsicht bei Berührung und Lob)Betroffene haben sensible Antennen bzgl. Sympathie/ Antipathie


E<strong>in</strong>deutigkeit von Signalen


Schulbegleitung→ Soziale Teilhabe, nicht schulische Leistungenim Vor<strong>der</strong>grund!Frage, ob Schulbegleitung s<strong>in</strong>nvoll ist, hängt nicht <strong>in</strong> ersterL<strong>in</strong>ie von <strong>der</strong> Diagnose ab, son<strong>der</strong>n von den <strong>in</strong>dividuellenBedürfnissen <strong>der</strong> Betroffenen→ E<strong>in</strong>beziehung von Schulsozialarbeitern und -psychologen,Autismusbeauftragten, Fach- und Kooperationslehrern,Mitschülern, Eltern sowie weiteren Fachleuten


SSSchulbegleitungWichtig v.a. für Übergangssituationen:- E<strong>in</strong>schulung, Schulwechsel, Schulbeg<strong>in</strong>n nach Ferien,Klassenfahrten, Schullandheim, u.a.- im Schulalltag bei Vertretung, Pausensituation, Weg zurSporthalle, Umkleiden usw.-> flexible Gestaltung s<strong>in</strong>nvoll, aber praktische Umsetzungschwierig

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