nichtig und wesenlos wie <strong>ein</strong> Schatten und <strong>ein</strong> Rauch. Dassdie Sinne täuschen, ist die Entdeckung der Weltweisen, unddaher verwerfen sie die Ausbeute der fünf Sinne und bauendie Philosophie auf nichts anderem auf als dem r<strong>ein</strong>en Akt desDenkens. Dass die Welt <strong>ein</strong> Trug ist, erkennt der Fromme undrettet sich in <strong>das</strong> Kloster, wo <strong>das</strong> Reich des falschen Sch<strong>ein</strong>sendet und die wahre Wirklichkeit beginnt.Das Leben – <strong>ein</strong> Traum, die Welt – <strong>ein</strong> Theater, in diesen beidenGleichnissen sind nicht nur die Weisheit und der GlaubeCalderóns begriffen, tausendstimmig hallt der ganze barockeRaum sie wider. Kann man sich <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>dringlichere Predigtder Vergänglichkeit denken? Paläste und Tempel werden errichtet,die Elemente sind im Aufruhr, es wird um <strong>das</strong> Schicksalvon Weltreichen gewürfelt – und der König ist in Wirklichkeitnichts als <strong>ein</strong> vermummter Komödiant, s<strong>ein</strong> goldener Thron <strong>ein</strong>Lattengerüst, s<strong>ein</strong> stattlicher Palast <strong>ein</strong> paar Ellen Tuch und<strong>ein</strong> paar Töpfe Farbe, und um Mitternacht ist alles aus. AllesMaske und Schminke, alles Täuschung und Verstellung, allesflüchtig und nichtig. Das Theater ist genau <strong>das</strong>, was für denbarocken Trübsinn die Welt: sinnlich, aber nicht wirklich.Als Bekenntnis zur Wirklichkeit ist <strong>das</strong> Theater nicht zu gebrauchen.Wirklichkeitsbejahende Zeiten und Völker lassenes verkümmern oder legen es an die Kette des Wortes. Nurwo die Welt zum Nichts entwertet und <strong>das</strong> Leben als Traumbegriffen wurde, konnte <strong>das</strong> Theater solche Breiten undTiefen des Das<strong>ein</strong>s umfassen. Schwebend über dem Abgrundzwischen Wirklichkeit und Sch<strong>ein</strong>, verwaltet es mit der Kirchedie wichtigste Stelle im barocken Universum. Es beherrschtden Ausgang aus der Wirklichkeit.Ist aber die Wirklichkeit des Zuschauers selbst nur <strong>ein</strong> Theater,wie <strong>das</strong> Gleichnis vom Welttheater es will, dann ist <strong>das</strong>Theater in Wirklichkeit schon <strong>ein</strong> Theater im Theater. Dannsteht der Zuschauer im Theater s<strong>ein</strong>erseits schon auf der Bühneund spielt in <strong>ein</strong>em Spiel, ob er es weiß oder nicht. Wer aber<strong>ein</strong> guter <strong>Schauspiel</strong>er s<strong>ein</strong> will, der wird sich nicht täuschenlassen. Der weiß, <strong>das</strong>s die prächtigste Dekoration nur <strong>ein</strong> Sch<strong>ein</strong>ist und auch <strong>das</strong> prunkvollste Kostüm nur geliehen. Aber erwird s<strong>ein</strong>e Rolle trotzdem so gut spielen, wie er nur kann. Denner weiß im Dunkel des kosmischen Zuschauerraums unsichtbarden Zuschauer aller Zuschauer: Gott.Von Gott, dem absoluten Spieler, zu Gott, dem absolutenZuschauer, führt die Achse durch <strong>ein</strong>e Stufenfolge von Wirklichkeiten.In ihrer Mitte aber steht der Mensch, auch s<strong>ein</strong>erseitsZuschauer zugleich und <strong>Schauspiel</strong>er in dem GroßenWelttheater des Barock.↘ ( Richard Alewyn )14 15
Ich wollte von früher erzählenDieser Bunker ichDer Durst die AngstDie Wände neigen sich mir zuRücken rumAuSSerordentlicheStilleAlles weiSS - Der <strong>ein</strong>zige Klang ist innenDer innere KlangSchwarz schreit <strong>das</strong> Firmament - Der HirnhautäuSSerster Rand - Ist unüberschreitbarGottes Wille?Sigismund, der Kaspar Hauser aus Polens Bergen, macht<strong>ein</strong>e erschreckende Entwicklung durch. Es sch<strong>ein</strong>t, alsentferne er sich immer weiter von sich selbst, je mehr er derobjektiven Wahrheit s<strong>ein</strong>er Identität auf die Spur kommt. DerPrinz am Beginn des Stückes ist <strong>ein</strong> zorniger junger Mann,dessen Wut auf s<strong>ein</strong> Schicksal k<strong>ein</strong>en Adressaten findet. Dasser sich im Palast skandalös benimmt, erklärt sich doppelt ausder Demütigung, die s<strong>ein</strong>e gesamte bisherige Existenz dargestellthat, und der kompletten Überforderung s<strong>ein</strong>er Wahrnehmungsfähigkeitnach der Blitzkarriere vom Aschenputtel zumThronfolger.Viel schwieriger nachzuvollziehen ist s<strong>ein</strong>e Läuterung. DerSigismund des Stückschlusses ist so abgeklärt und leidenschaftslos,<strong>das</strong>s man Angst nicht nur um ihn, sondern auchum <strong>das</strong> Wohl des von ihm regierten Landes bekommt. Erverneigt sich demütig vor dem Schicksal, <strong>das</strong> er nicht verstehtund nicht ändern zu können glaubt. Ein Herrscher gibtdie Verantwortung an den Himmel ab. Er macht es nichtanders als s<strong>ein</strong> Vater, der aber immerhin noch von Erkenntnisinteressegetrieben war.{ Rainald Goetz, Krieg }16 17