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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 98Nachricht, daß der Vater des Vaterlandes, Peter der Große, der erste Kaiser, von dieser Weltgeschieden war. Ich tränkte dieses Blatt mit bitterlichen Tränen, sowohl weil es sich so geziemte,für meinen Herrn und wahren Vater seiner Untertanen als auch wegen der vielen Gnadenbeweisemir gegenüber; und, weiß Gott! ich lüge nicht: ich war mehr als einen ganzen Taglang von Sinnen – anders hätte ich es mir auch zur Sünde angerechnet. Dieser Monarch hatunser Vaterland den besten Großmächten gleichgesetzt, hat uns gelehrt, unsre eignen Begabungenund Fähigkeiten zu erkennen, mit einem Wort: worauf immer man in Rußland seineAugen richtet, das hat in ihm seinen Anbeginn, und was in Zukunft auch getan werden mag, eswird aus seiner Quelle schöpfen, aber für mich persönlich war er ein gnädiger Herrscher undVater. Möge der Herr die Seele dieses Monarchen, der so viel zum Wohle des Vaterlandesgewirkt hat, in die Schar der Heiligen aufnehmen.“ *Ein alter Soldat mit Namen Kirillow besaß ein kleines Emailleporträt Peters, das er neben denHeiligenbildern aufstellte und vor dem er eine Kerze ansteckte und betete. Hierüber wurdedem Bischof von Nishni-Nowgorod, zu dessen Gesinde Kirillow gehörte, Meldung gemacht.Der Bischof besichtigte das Kämmerchen des Soldaten und sagte, auf das Porträt Peters desGroßen zeigend: „Alter, du hast das Porträt Peters des Großen zwischen den Heiligenbildernstehen?“ – „Jawohl, Euer Hochwürden, das heilige Bild unsres Väterchens.“ – „Nun, er wargewiß ein großer, frommer Herrscher und verdient unsre ganze Verehrung, jedoch hat dieheilige Kirche ihn nicht in die Schar der Heiligen aufgenommen, und deshalb sollst auch duseine Person nicht unter die Bilder der heiligen stellen, eine Kerze vor ihm entzünden, undvor allem nicht zu ihm beten.“ – „Ich soll nicht?“ (unterbrach der Soldat tief empört seineRede) – „ich soll nicht? Ihr habt ihn nicht gekannt, aber ich habe ihn gekannt: er war unserSchutzengel; er hat uns und das ganze Vaterland vor den Feinden behütet und bewahrt, hat,gleich wie wir, alle Lasten in den Feldzügen auf sich genommen, hat mit uns dieselbe Grützegegessen, hat uns behandelt wie seinesgleichen und wie ein Vater; Gott selbst hat ihn mitSiegen gesegnet und hat Tod und Verwundungen nicht an ihn herangelassen; und da sagst[166] du: ich soll nicht zu seinem Bilde beten!“ – schloß der Soldat, Tränen vergießend. Sosehrsich der Bischof auch Mühe gab, ihn zu überzeugen, erklärte sich der Soldat doch nurdamit einverstanden, keine Kerze vor dem Porträt Peters aufzustellen, ließ das Porträt aberbei den Heiligenbildern. **Danach wird jenes Lied verständlich, das die Überlieferung einen Soldaten singen läßt, deram Grabe Peters des Großen Wache hielt:„Ach, du Väterchen, du heller Mond,Warum strahlst du wie in alten Zeiten nicht,Wie in alten Zeiten, wie du früher warst,Immer birgst du hinter Wolken dich,Deckst dich zu mit Nebeln, düsteren ...Kalte Mutter Erde, komm und tu dich auf,Öffne dich, du Deckel auf dem Sarg,Falt dich auf, du goldbrokatnes Tuch,Und du, steig hervor, wach auf, frommer Vater Zar..Wir müssen nun zum persönlichen Charakter Peters als des Herrschers, Umgestalters undMenschen übergehen. Dazu müssen wir sein ganzes Leben durcheilen und die markantestenZüge in ihm herausgreifen. Mit Beben und Ehrfurcht werden wir an diese Arbeit im nächstenAufsatz herangehen und uns bemühen, unsern Lesern ein Gefühl von der erhabenen Süße der* „Anecdota über Peter den Großen“ von Golikow, S. 508. – W. B.** „Anecdota über Peter den Großen“ von Golikow, S. 532-535. – W. B.OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.12.2013
W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 99Betrachtung einer solchen kolossalen Persönlichkeit zu geben, wie die Persönlichkeit Peterswar. Die Betrachtung jedes großen Menschen rüttelt uns aus dem Dämmerschlaf des positivenLebens auf, aus der apathischen Gleichgültigkeit in der Prosa der Nöte und Mühen desAlltags, stimmt die herzen auf den Ton hoher Gefühle und edler Gedanken, stärkt den Willenzu guten Taten und zu stolzer Verachtung der Leere und der Nichtigkeit des sterblichen Daseinsund erhebt unsern Geist zu dem Urprinzip jeden Lebens, zur Quelle der ewigen Wahrheitund des ewigen Guten... Und wer hätte mehr als unser Peter ein Anrecht auf den Titel desGroßen und Göttlichen, und wer könnte unserm Herzen und Geist in unsrer Geschichte näherstehen?8 [167]8 Belinski unterstrich durchaus richtig als unverlierbare Eigenschaften des großen russischen Volkes Frische undKraft des Geistes, Kühnheit, Weisheit, Findigkeit und Arbeitsliebe und wies nach, daß Mystizismus und religiöseBeschaulichkeit dem russischen Volke nicht eigen sind. Zugleich aber irrte sich Belinski, wenn er davonsprach, daß der russische Bauer den patriarchalischen Gebräuchen treu ergeben sei („er pflügt, wie Vater undGroßvater gepflügt haben, und wird seinen hölzernen Hakenpflug um kein Pflöckchen verbessern“), und fälschlichannahm, das russische Volk sei nach jeder großen Erschütterung, bei der es die äußeren Feinde zerschmetterte,wieder in Dämmerschlaf versunken. Auch dabei war Belinski jedoch der Meinung, daß die Ursache hierfürnicht in der Natur des russischen Volkes liege, sondern in den historischen Bedingungen, in die es die Fronherrenversetzt hatten.OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.12.2013
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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 98Nachricht, daß der Vater des Vaterlandes, Peter der Große, der erste Kaiser, von dieser Weltgeschieden war. Ich tränkte dieses Blatt mit bitterlichen Tränen, sowohl weil es sich so geziemte,für meinen Herrn und wahren Vater seiner Untertanen als auch wegen der vielen Gnadenbeweisemir gegenüber; und, weiß Gott! ich lüge nicht: ich war mehr als einen ganzen Taglang von Sinnen – anders hätte ich es mir auch zur Sünde angerechnet. Dieser Monarch hatunser Vaterland den besten Großmächten gleichgesetzt, hat uns gelehrt, unsre eignen Begabungenund Fähigkeiten zu erkennen, mit einem Wort: worauf immer man in Rußland seineAugen richtet, das hat in ihm seinen Anbeginn, und was in Zukunft auch getan werden mag, eswird aus seiner Quelle schöpfen, aber für mich persönlich war er ein gnädiger Herrscher undVater. Möge der Herr die Seele dieses Monarchen, der so viel zum Wohle des Vaterlandesgewirkt hat, in die Schar der Heiligen aufnehmen.“ *Ein alter Soldat mit Namen Kirillow besaß ein kleines Emailleporträt Peters, das er neben denHeiligenbildern aufstellte und vor dem er eine Kerze ansteckte und betete. Hierüber wurdedem Bischof von Nishni-Nowgorod, zu dessen Gesinde Kirillow gehörte, Meldung gemacht.Der Bischof besichtigte das Kämmerchen des Soldaten und sagte, auf das Porträt Peters desGroßen zeigend: „Alter, du hast das Porträt Peters des Großen zwischen den Heiligenbildernstehen?“ – „Jawohl, Euer Hochwürden, das heilige Bild unsres Väterchens.“ – „Nun, er wargewiß ein großer, frommer Herrscher und verdient unsre ganze Verehrung, jedoch hat dieheilige Kirche ihn nicht in die Schar der Heiligen aufgenommen, und deshalb sollst auch duseine Person nicht unter die Bilder der heiligen stellen, eine Kerze vor ihm entzünden, undvor allem nicht zu ihm beten.“ – „Ich soll nicht?“ (unterbrach der Soldat tief empört seineRede) – „ich soll nicht? Ihr habt ihn nicht gekannt, aber ich habe ihn gekannt: er war unserSchutzengel; er hat uns und das ganze Vaterland vor den Feinden behütet und bewahrt, hat,gleich wie wir, alle Lasten in den Feldzügen auf sich genommen, hat mit uns dieselbe Grützegegessen, hat uns behandelt wie seinesgleichen und wie ein Vater; Gott selbst hat ihn mitSiegen gesegnet und hat Tod und Verwundungen nicht an ihn herangelassen; und da sagst[166] du: ich soll nicht zu seinem Bilde beten!“ – schloß der Soldat, Tränen vergießend. Sosehrsich der Bischof auch Mühe gab, ihn zu überzeugen, erklärte sich der Soldat doch nurdamit einverstanden, keine Kerze vor dem Porträt Peters aufzustellen, ließ das Porträt aberbei den Heiligenbildern. **Danach wird jenes Lied verständlich, das die Überlieferung einen Soldaten singen läßt, deram Grabe Peters des Großen Wache hielt:„Ach, du Väterchen, du heller Mond,Warum strahlst du wie in alten Zeiten nicht,Wie in alten Zeiten, wie du früher warst,Immer birgst du hinter Wolken dich,Deckst dich zu mit Nebeln, düsteren ...Kalte Mutter Erde, komm und tu dich auf,Öffne dich, du Deckel auf dem Sarg,Falt dich auf, du goldbrokatnes Tuch,Und du, steig hervor, wach auf, frommer Vater Zar..Wir müssen nun zum persönlichen Charakter Peters als des Herrschers, Umgestalters undMenschen übergehen. Dazu müssen wir sein ganzes Leben durcheilen und die markantestenZüge in ihm herausgreifen. Mit Beben und Ehrfurcht werden wir an diese Arbeit im nächstenAufsatz herangehen und uns bemühen, unsern Lesern ein Gefühl von der erhabenen Süße der* „Anecdota über Peter den Großen“ von Golikow, S. 508. – W. B.** „Anecdota über Peter den Großen“ von Golikow, S. 532-535. – W. B.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013