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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 84schliefen meist und wachten selten auf. Eine Mannigfaltigkeit der Leidenschaften war ihm unbekannt,weil die Grundlagen der [141] Gesellschaft einförmig, die Interessen beschränkt waren.Der Asiate kennt den Genuß; er vergöttert auf seine Weise die Schönheit, liebt auf seineWeise den Luxus und die Annehmlichkeiten des Lebens. Nichts dergleichen gab es bei denRussen vor der Zeit Peters des Großen. Als Schönheit galt bei ihnen Stämmigkeit, „Stattlichkeit“des Leibes, Milchweiße und Blutröte des Gesichts – Milch und Blut, wie unsre Altvordernzu sagen pflegten und wie auch jetzt die einfachen Leute bei uns sagen. Und wirklich, wennman sich ansieht, was die bärtigen Kaufleute unsrer Zeit Schönheit nennen, wenn man die weißund rot gefärbten Wangen und die schwarzen Zähne ihrer Schönen betrachtet, so erhält mankeinen grade sehr hohen Begriff vom ästhetischen Geschmack unsrer Vorväter. Aber wie großist der Unterschied zwischen einem asiatischen Satrapen oder Pascha, der, unter Mißbrauchseiner Macht über die ihm anvertraute Satrape, träge und üppig alle Zauber der Sinnlichkeit inseinem Harem genießt – diesem irdischen Paradies, das Mohammed ihm im Himmel versprochenhat, im Kreise verführerischer Odalisken * , dieser irdischen Huri ** und Peri, beim unermüdlichenGeplauder der Springbrunnen im süßlichen Rauch arabischer Wohlgerüche –‚ wiegroß ist der Unterschied, sagen wir, zwischen ihm und einem altrussischen Bojaren, der ebensoals Verweser in irgendeine Provinz geschickt worden war, die ihn „ernähren“ sollte, dort vielund geschmacklos zubereitete Speisen aß, noch mehr trank und nach dem Essen den Schlaf desRecken schlief; der sich samstags im Dampfbad ergötzte, sich mit Birkenreisern in höllischenGlut peitschte, der, wenn er sich nicht wohl fühlte, auf der Ofenbank ein gut gepfeffertesSchnäpschen trank und sich dann im Schnee wälzte; für den nächst Essen, Trinken und Dampfbaddie größten Vergnügungen eine Falkenjagd, eine Bärenhatz oder das Ausprügeln einesKnechtes waren! ... Im Osten gibt es den Begriff der Inspiration und des Schöpfertums: dortwird die Kunst, „Perlen auf den Faden der Erzählung aufzuziehen“ und „Perlen auf Samt auszuschütteln“,d. h. in Versen und in Prosa zu schreiben, hoch geschätzt. Im heiligen Rußlandhat man in alten Zeiten nie etwas von derartig sonderbaren Beschäftigungen gehört, und wennman davon gehört hätte, so hätte man sie „leeres Stroh dreschen“ genannt. Was für eine prosaischeVorstellung von der Poesie! Ein anderer wichtiger Unterschied zwischen der russischenund der asiatischen Welt liegt im Fehlen des Mystizismus und der religiösen Beschaulichkeit.Unser slawisches Heidentum war so schwach [142] und unbedeutend, daß es keinerlei Andenkenzurückgelassen hat. Großfürst Wladimir konnte es mit einem Wort vernichten, und dasVolk ließ sich ohne jede fanatische Gegenwehr taufen. Ein paar Stimmen haben wohl wirklichgerufen: „Komm hervor, o Gott!“ – aber das geschah wohl weniger aus einem heidnischen Religionsgefühlheraus als aus Verehrung für den silbernen Vollbart und den goldenen SchnurrbartPeruns *** . Überhaupt war Rußland asiatisch nur in einem anderen Sinn, wofür die Ursacheauch die formelle Erklärung des Christentums zur Staatsreligion durch Wladimir den Heiligenwar. Deshalb stachen zwar unsere Fürsten einander die Augen aus, aber das war mehr die Folgedes Einflusses byzantinischen Gebräuche als des Asiatismus. Das russische Bäuerlein ist auchheute noch ein Halbasiate, aber auf seine Manier: es liebt den Genuß, sucht ihn aber ausschließlichim Schnäpschen, im Essen und auf dem warmen Ofen. Wenn die Ernte gut und Brot genugvorhanden ist, dann ist der Bauer glücklich und ruhig: der Gedanke an die Vergangenheit unddie Zukunft macht ihm keine Sorge, denn in ihrem Naturzustand machen sich die Menschenkeine anderen Gedanken, als wie sie ihren Hunger und andere, ähnliche Bedürfnisse stillen.Wenn dann der Kaufmann kommt, um ihn für eine Fuhre auf den Jahrmarkt zu dingen – i woherdenn! –‚ unser Bäuerlein fordert ihm einen unmöglichen Preis ab, fängt gar ungern erst einGespräch an und bleibt stolz auf der Ofenbank liegen. Kommt mal der Hunger, dann fährt er* Haremsdienerin** Nach islamischem Glauben Jungfrauen im Paradies, die den Seligen beigegeben werden.*** Perun – der Donnergott der altslawischen Mythologie. – Die Red.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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