13.07.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 83dern selbst nicht in der Phantasie der kühnsten Träumer. Unsre Gesellschaft schreitet alsovorwärts und trennt sich dabei, ohne ihren Nationalgeist zu verlieren, von den üblen Elementendes Volksgeists. Und die Zeit ist bereits nahe, wo von einem solchen Volksgeist auchnicht mehr eine Spur übrigbleiben wird. Wovon man sich aber trennen, wovon man sich losmachenkann – das liegt nicht im Blut, nicht im Geiste: das ist nur eine üble Angewohnheit,die man in einer üblen Gesellschaft durch üble Erziehung angenommen hat. Nur diejenigenFehler gereichen einer Nation zur Unehre, die unausrottbar, unverbesserlich sind.Alle Mängel und Laster unsres öffentlichen Lebens sind überhaupt aus Ignoranz und mangelnderAufklärung hervorgegangen: und deshalb vertreibt das Licht des Wissens und der Bildungsie auch wie der Sonnenaufgang die nächtlichen Nebel. Die Laster des Chinesen und des Perserssind mit ihrem Geist verschmolzen: Aufklärung würde sie nur raffinierter, hinterlistigerund verdorbener, nicht aber edler machen. Die Aufklärung wirkt wohltätig nur in einem Volke,in dem das Samenkorn des Lebens liegt. Wir haben schon das schlagendste Beispiel als unwiderleglichenBeweis dafür angeführt, daß die russische Gesellschaft ein gesundes, fruchtbaresSamenkorn des Lebens in sich trägt. Fügen wir noch hinzu, daß man viel von einem Volk erhoffenkann, das nach dem Gefecht von Narwa die Schlachten von Poltawa und Borodino geliefert,das Türkische Reich erschüttert hat, das, wie sein großer Dichter sagt, „den Götzen, derauf den Königreichen lastete, in den Abgrund gestürzt und mit seinem Blut die Freiheit, dieEhre und die Ruhe Europas erkauft hat ...“ Kaum zum Leben erwacht, hat das russische Volkmit Siegesdonner Europa sein Erwachen kundgetan; kaum mit Europa verbunden, hat es bereitsdessen größte Angelegenheit entschieden und die Antwort auf die schwierigste Frage gegeben.Wir haben unsre innerste Überzeugung über eine heikle Frage mit der ganzen Ehrlichkeit undGradlinigkeit einer freien Meinung [140] ausgesprochen und sind bereit, auf jede Entgegnungzu antworten, die mit der gleichen Ehrlichkeit und Gradlinigkeit vorgebracht wird. Wir wolleneinem Streit keinesfalls aus dem Wege gehen, sondern rufen ihn hervor, um zu größererKlarheit, zur Wahrheit über eine jedem Russen so nahe am Herzen liegende Frage zu kommen.Unsre Überzeugung ist ebensoweit entfernt von totem Kosmopolitismus wie von Biertischpatriotismus– und eine solche Überzeugung kann mutig in einem Lande ausgesprochenwerden, wo nicht die Freiheit, sondern eigensinniges Denken verfolgt wird. Nunmehr könnenwir unmittelbarer an die Gründe herangehen, die die durchgreifende Reform Peters notwendiggemacht haben, ohne daß wir dabei fürchten müssen, falsch verstanden und falsch interpretiertzu werden.Im vorhergehenden Aufsatz haben wir über den Unterschied Europas von Asien gesprochen;jetzt wollen wir das Verhältnis Rußlands vor Peter dem Großen zu Europa und Asien zeigen.Seiner geographischen Lage nach hält Rußland die Mitte zwischen diesen beiden Weltteilen.Viele ziehen hieraus den Schluß, daß es auch in sittlicher Hinsicht diese Mittelstellung einnimmt.Ein solcher Gedanke erscheint uns nicht ganz gerechtfertigt: die geographische Mitte istnicht immer eine sittliche Mitte, und die sittliche Mitte ist nicht immer vorteilhaft. Man magsagen, was man will, aber es ist schwer, sich eine Mitte zwischen Licht und Dunkel, zwischenAufgeklärtheit und Ignoranz, zwischen Menschlichkeit und Barbarei vorzustellen; aber nochschwerer ist es, eine solche Mitte vorteilhaft zu finden und sich an ihr zu begeistern. Die graueFarbe mag ganz schön sein in den Schöpfungen der Natur, der Kunst und des Handwerks; aberim menschlichen Geist ist die graue Farbe die Farbe der Verleugnung, der sittlichen Erniedrigung.„Wer nicht für mich ist, ist wider mich“ – eine Mitte gibt es nicht. Als Folge der tatarischenFremdherrschaft hatte Rußland außer der Religion mit Europa nichts gemein; es unterschiedsich jedoch sehr von Asien. Unter einem nebligen Himmel, in einem rauhen Klima liegend,bot es nicht jenen luxuriösen Reichtum, jene Poesie eines sinnlichen, trägen und wollüstigenLebens dar, das in Asien auch für den Europäer so berückend verführerisch ist. Die Leidenschaftenwaren in ihm schwerfällig, aber nicht pikant, sie benebelten, aber reizten nicht, sieOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!