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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 81Teutonen hatten, als ihr wilder Strom sich über Europa ergoß, das Glück, von Angesicht zuAngesicht dem klassischen Genie Griechenlands und Roms gegenüberzutreten, auf jenenedlen Boden zu geraten, auf dem der breitverzweigte Baum des Europäismus emporgesprossenwar. Das altersschwache, ausgemergelte Rom, das ihnen den wahren Glauben übermittelthatte, übermittelte ihnen im Laufe der Zeit auch sein Zivilrecht; indem es sie [136] mit Virgil,Horaz und Tacitus bekannt machte, machte es sie auch mit Homer, den Tragikern, mitPlutarch und Aristoteles bekannt. In eine Vielzahl von Stämmen zerteilt, drängten sie sichgewissermaßen auf einem für ihre große Volkszahl nicht ausreichenden Raum und neben sichsozusagen ständig aneinander wie Stahl und Stein, um die Funken eines höheren Lebens aussich herauszuschlagen. Das Leben Rußlands dagegen begann isoliert, in einer Wüste, der dieAllgemeinentwicklung der Menschheit fremd war. Die Urstämme, aus denen sich in der Folgezeitdie Masse seiner Bevölkerung bildete, bewohnten alle in gleicher Weise Talländer, diemonotonen Steppen ähnelten, besaßen keinerlei scharf ausgeprägte Unterschiede und konntendaher nicht in der Richtung einer zivilisatorischen Höherentwicklung aufeinander einwirken.Böhmen und Polen hätten Rußland zu Europa in Beziehung setzen und ihm als charaktervolleStämme selbst nützlich sein können, aber ein feindlich verschiedener Glaube hatte sie fürimmer von Rußland getrennt. Folglich war Rußland gleich vom Anbeginn seiner Existenz anvom Westen abgeschnitten, Byzanz aber konnte ihm, was Zivilisation betrifft, nur die Sittezum Geschenk machen, sich die Zähne schwarz und das Gesicht weiß zu färben und Feindenund Verbrechern die Augen auszustechen. Die Fürstentümer lagen miteinander im Streit, aberdiesem Streit lag kein vernünftiges Prinzip zugrunde, und er brachte deshalb keine bedeutendenErgebnisse hervor. Ist es danach verwunderlich, daß die Geschichte der Fehden zwischenden Teilfürsten so sinnlos und langweilig ist, daß selbst das beredte Erzählertalent Karamsinssie nicht interessant machen konnte? ... Dann brachen die Tataren herein und schweißten diezerstückelten Glieder Rußlands mit deren eignem Blut zusammen. Hierin bestand der großeNutzen der zwei Jahrhunderte dauernden tatarischen Fremdherrschaft; aber wie viele Übelhat sie auch Rußland zugefügt, wie viele Laster ihm aufgepfropft. Die Aussperrung der Frauvom öffentlichen Leben, Sklavengeist in Begriffen und Gefühlen, die Knute, die Gewohnheit,sein Geld zu vergraben und in Lumpen einherzugehen, aus Angst, als Reicher angesehen zuwerden, Bestechlichkeit im Gerichtswesen, asiatische Lebenssitten, Denkfaulheit, Ignoranz,Selbstverachtung – mit einem Wort, alles das, für dessen Ausrottung Peter der Große kämpfte,alles, was in Rußland dem Europäismus genau entgegengesetzt war –‚ dies alles warnichts uns von Geburt an Eigenes, sondern war uns von den Tataren [137] aufgepfropft.Selbst die Unduldsamkeit der Russen gegenüber den Ausländern im allgemeinen war eineFolge des Tatarenjochs und durchaus nicht eines religiösen Fanatismus: der Tatar machte inden Vorstellungen des Russen alles abstoßend, was nicht russisch war – und das Wort „Bassurman“* ging von den Tataren auch auf die Deutschen über. Daß die bedeutsamsten Mängelunsres Volksgeists uns nicht wesentlich sind, nicht im Blut liegen, sondern uns aufgepfropftwurden – der beste Beweis hierfür liegt darin, daß wir die volle Möglichkeit haben, uns vonihnen frei zu machen, und bereits damit anfangen, uns frei zu machen. Betrachten wir einmalnäher die Pestbeule unsres Volksorganismus – die Bestechlichkeit... Es ist natürlich ein betrüblichenAnblick, eine übelberatene Öffentlichkeit vor sich zu haben, die selbst in ihrenedelsten Mitgliedern den persönlichen, menschlichen Mut dadurch ausrottet und niederdrückt,daß sie sie in die Notwendigkeit versetzt, entweder aus der Reihe zu tanzen und damitdie ganze Gesellschaft zu kränken oder die Waage der Gerechtigkeit, ohne das Gewissen zuverletzen, sozusagen legal und beinahe ganz förmlich zum eignen Nutzen zu handhaben unddie ihnen zur Bewahrung und Betreuung anvertrauten Staatsreichtümer zu vergeuden. In Chinanennt man das „eine einträgliche Stelle innehaben“, und dort redet jeder Mandarin ohne* Bezeichnung für Tatar, Fremder; diese Bezeichnung wurde später auf alle Fremdvölker ausgedehnt.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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