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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 75was einige Leute historische Entwicklung und Volkscharakter genannt haben und was Peterzerstörte, zu verteidigen und zu rechtfertigen, sondern es dem Europäismus gegenüberzustellenund sogar ihm gegenüber zu verherrlichen. So sonderbar dieser Widerspruch ist, so bedeuteter doch einen Schritt vorwärts und steht über dem früheren positiven Zweifel, obwohler gerade aus ihm hervorgegangen ist: es ist besser, in offenen Widerspruch mit sich selbst zugeraten und damit [126] sozusagen ungewollt die Macht der Wahrheit anzuerkennen, als umeiner liebgewordenen, einseitigen Überzeugung willen die faktische Richtigkeit einander widersprechenderBeweise abzulehnen und einfach die Augen vor ihnen zu schließen.Der Widerspruch, von dem wir hier reden, ist äußerst wichtig: in seiner Versöhnung liegt daswahre Verständnis Peters des Großen. Dies allein schon weist darauf hin, daß dieser Widerspruchvernünftig ist. Die Lösung der Aufgabe besteht darin, zu zeigen und zu beweisen:1. daß, obgleich der Volkscharakter mit der historischen Entwicklung und der gesellschaftlichenStruktur des Volkes eng verbunden ist, doch das eine und das andere nicht ein und dasselbesind; 2. daß weder das Umgestaltungswerk Peters des Großen noch der von ihm eingeführteEuropäismus im geringsten unsren Volkscharakter geändert haben und ändern konnten,sondern ihn nur mit dem Geist eines neuen, reicheren Lebens belebt und ihm eine unermeßlicheSphäre für seine Äußerung und Betätigung gegeben haben.In der russischen Sprache sind zwei Wörter im Gebrauch, die die gleiche Bedeutung haben:das eine ist russischen Ursprungs: „narodnostj“ von narod, Volk, also Volkstümlichkeit,Volksgeist; das andere stammt aus dem Lateinischen und ist von uns aus dem Französischenübernommen worden: „nationalnostj“ von nation, also Nationalität, Nationalgeist. Wir sindaber fest davon überzeugt, daß es in keiner Sprache zwei Wörter geben kann, die in ihrer Bedeutungso identisch sind, daß eines das andere völlig ersetzen und folglich überflüssig machenkann. Um so weniger ist es möglich, daß sich in einer Sprache ein Fremdwort hält,wenn es in ihr ein eigenes, den völlig gleichen Begriff ausdrückendes Wort gibt: ihre Bedeutungmuß irgendeine Nuance, wenn nicht einen großen Unterschied enthalten. So sind auchdie Wörter Volksgeist und Nationalgeist ihrer Bedeutung nach nur ähnlich, aber durchausnicht identisch, und stellen nicht nur eine Nuance, sondern einen starken Unterschied dar.„Volksgeist“ verhält sich zu „Nationalgeist“ wie der tiefere Artbegriff zum höheren, allgemeineren,zum Gattungsbegriff. Unter Volk versteht man mehr die unteren Schichten desStaates – Nation drückt den Begriff der Gesamtheit aller Stände des Staates aus. Im Volk istnoch nicht die Nation enthalten, aber in der Nation ist auch das Volk. Ein Lied Kirscha Danilowsist ein Volksprodukt; ein Gedicht Puschkins ist ein Nationalprodukt: jenes ist auch den[127] obersten (gebildetsten) Klassen der Gesellschaft zugänglich, dieses dagegen ist nur denobersten (gebildetsten) Klassen der Gesellschaft zugänglich und dem Verständnis des Volkesim engen und eigentlichen Sinn des Wortes verschlossen. Der gebildete Adlige unserer Zeitversteht sowohl die Sprache wie die Taten und die Lebensweise seines bärtigen Vorfahrenaus der Zeit vor Peter; wenn jedoch sein Vorfahr aus dem Grabe aufstände, würde er von demLeben seines rasierten Nachkommen nichts verstehen. Jeder gebildete Mensch unsrer Zeitversteht, so sehr er auch durch die Formen und den wesentlichen Inhalt seines Lebens vomVolk entfernt sein mag, sehr wohl den Bauern, ohne sich zu ihm herabzulassen, der Bauerdagegen kann ihn nur verstehen, wenn er zu ihm aufsteigt oder wenn jener sich auf sein Begriffsvermögenherabläßt. Dagegen wird ein Ausländer, der nicht in Rußland geboren ist undaufgezogen wurde, den russischen Bauern nicht verstehen, wenn er auch die russische Spracheso weit beherrscht, daß er imstande ist, sich in der russischen Literatur einen Namen zumachen. Mithin gibt es zwischen unsrer Vergangenheit und unsrer Gegenwart, zwischen demAdligen im langen Rock und wallenden Bart und dem Adligen im Frack und mit rasiertemKinn, zwischen dem Bauern, dem städtischen Kleinbürger und dem bärtigen Kaufmann einerseitsund dem sog. „Bann“ (dem „gnädigen Herrn“ im Sinne des gebildeten Europäers)OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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