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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 74Leben äußert sich im Bewußtwerden, und ohne Zweifel gibt es ebensowenig ein Bewußtwerden,wie der Körper ohne Bewegung zu organischen Prozessen und lebendiger Entwicklungkommen kann. Die Seele hat ebenso wie der Leib ihre eigene Gymnastik, ohne die sie verkümmertund in die Apathie der Untätigkeit verfällt.Im vorhergehenden Aufsatz haben wir davon gesprochen, wie wenig bei uns für eine GeschichtePeters des Großen getan und wieviel über ihn dahergeredet worden ist. Wirklich,man hat ihm Lobesworte gewidmet, hat ihn in Versen und in Prosa verherrlicht. Lomonossowhat ihn sogar zum Helden einer epischen Dichtung in der Manier der „Aeneis“ gemacht. InNachahmung der ihrem Ziel nach allen Lobes und aller Ehren werten Arbeit Lomonossowshaben zwei andere Dichter – Grusinzew und Fürst Schirinski-Schichmatow –mit nicht wenigerErfolg Peter in lyrisch-epischen Gedichten besungen. Aber dies alles, das Gute wie dasMittelmäßige, hat niemanden recht warm gemacht. Jedermann war mit den ehrenwerten Autorenunbedingt einverstanden im Lob des Großen, doch man las sie wenig oder las sie überhauptnicht. Der Grund hierfür liegt darin, daß alle diese Herren Verfasser irgendwie auf einund dieselbe Manier und im gleichen Ton schrieben und sangen und daß im Bau ihrer Sätzeeine Art ermüdender Monotonie zu bemerken war, die vom Fehlen eines Inhalts, d. h. einesGedankens, Zeugnis ablegte. Die glühendsten Loblieder, die begeistertsten Ausbrüche derBewunderung für den Großen zeichneten sich durch einen gewissen offiziellen Charakter aus.So ging es fort bis zu den Zeiten Puschkins, der als großer Dichter und als Sprachrohr desVolksbewußtseins als einziger über Peter in einer Sprache zu sprechen verstand, die Peterswürdig war. In den Werken wissenschaftlichen Charakters jedoch sprach man weiter auf diealte Weise, mit dem einzigen Unterschied gegen früher, daß sie nicht mehr nur kaltes Einverständniserweckten, sondern eher Bedauern. Vor ein paar Jahren schließlich begannen gewissedunkle Zweifel an der absoluten Unfehlbarkeit des hauptsächlichsten der Werke Peters –der Umgestaltung Rußlands – aufzutauchen. Man sagte, das Gebäude dieser Umgestaltungsei ohne Fundament errichtet, weil es von oben und nicht von unten begonnen wurde, es habenur in äußeren Förmlichkeiten bestanden und, ohne uns echten [125] Europäismus einzuimpfen,nur unseren Volkscharakter entstellt und dem nationalen Genie die Flügel beschnitten.Wir werden auf diese Einwände, so oberflächlich und so leer sie ihrem Wesen nach auch seinmögen, später noch zurückkommen; jetzt wollen wir nur sagen, daß sie zum Zeitpunkt ihresErscheinens in der Presse vielen Leuten gefielen und allgemeine Aufmerksamkeit erregten.Die einen glaubten in ihnen die eigne, bis dahin ihnen selbst unklare Meinung zusehen; anderenahmen sie, ohne sich mit ihnen einverstanden zu erklären, nicht als allgemeine Phrasenund wichtig tuendes Gezeter auf, sondern als eine selbständige und dabei neue Meinung, einigewürdigten sie sogar energischer, wenn auch indirekt angebrachter Erwiderungen. Sostärkte also der Zweifel, statt die Sympathien für Peter abzukühlen, nur das allgemeine Interessefür ihn als für eine große historische Erscheinung und veranlaßte alle, mehr über ihnsowohl nachzudenken als auch zu reden und zu schreiben. Aber die Zeit entschied bald dieFrage und löste die unhaltbaren Zweifel: heute können nur Leute, die hinter der Zeit zurückgebliebensind, im Ernst Peter den Großen dafür schelten, daß er seine Umgestaltung vonoben und nicht von unten begann, bei den Herrschaften und nicht bei den Bauern, daß er denFormen – der Kleidung, dem Bartscheren und dergleichen – so große Bedeutung beimaß, daßer Petersburg erbaute usw. Der Zweifel hat also keinerlei Schaden angerichtet, sondern nurNutzen gebracht, denn er hob sich, kaum aufgetaucht, selbst wieder auf und führte zu einemanderen Zweifel, der seinerseits vorübergehen und, wenn noch nicht der Wahrheit, so einemdritten Zweifel Platz machen wird, der dann bereits zur Wahrheit führen wird. Augenblicklichist das Problem Peter in einen offenbaren Widerspruch geraten: viele halten zwar diedurch Peter vollzogene Umgestaltung für ebenso notwendig wie großartig und gedenken desUmgestalters in Ehrfurcht, zerstören aber gleichzeitig, ohne es selbst zu merken, die ganzeGröße seines Werkes, indem sie den Europäismus negieren und sich bemühen, nicht nur das,OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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