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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 69Sinn, ohne Beziehungen zum Bewußtsein; nach ihnen ist, mit einem Wort, die Vernunft derZar, der Gesetzgeber, die schöpferische Kraft, die dem Nichtexistierenden und Toten Lebenund Bedeutung gibt. Für die anderen liegt das Reale in den Dingen, den Tatsachen, in denNaturerscheinungen, und die Vernunft ist nichts anderes als der Tagelöhner, der Sklave dertoten Wirklichkeit, deren Gesetze er annimmt und nach deren Laune er sich wandelt, alsoeine Phantasmagorie, ein Hirngespinst. Das ganze Universum, alles Seiende ist nichts anderesals Einheit in Vielfalt, eine unendliche Kette von Modifikationen ein und derselben Idee; derGeist, der sich in dieser Vielfalt verirrt, ist bestrebt, sie in seinem Bewußtsein zur Einheit zubringen, und die Geschichte der Philosophie ist nichts anderes als die Geschichte dieses Strebens.Die Eier der Leda, Wasser, Luft und Feuer, die als Urprinzipien und Quelle alles Seiendenan [113] genommen wurden, beweisen, daß auch der kindliche Geist sich in dem gleichenStreben geäußert hat, in dem er auch jetzt zutage tritt. Die Unhaltbarkeit der anfänglichenphilosophischen Systeme, die aus der reinen Vernunft abgeleitet waren, besteht keineswegsdarin, daß sie nicht auf Erfahrung begründet waren, sondern im Gegenteil in ihrer Abhängigkeitvon der Erfahrung, denn der kindliche Geist macht zum Grundgesetz seiner Spekulationstets nicht eine in ihm selbst liegende Idee, sondern irgendeine Naturerscheinung,und leitet infolgedessen die Ideen aus Tatsachen ab und nicht die Tatsachen aus Ideen. DieTatsachen und die Erscheinungen existieren nicht an sich: sie sind alle in uns beschlossen.Zum Beispiel hier dieser viereckige Mahagonitisch: die rote Farbe ist ein Produkt meinesSehnervs, der durch das Anschauen des Tisches in Schwingung versetzt wird; die viereckigeForm ist ein durch meinen Geist hervorgebrachter Formtypus, der in mir selber beschlossenliegt und den ich dem Tisch verleihe; die eigentliche Bestimmung des Tisches ist ein Begriff,der wiederum in mir beschlossen und durch mich geschaffen ist, weil der Erfindung des Tischesdie Notwendigkeit des Tisches vorausging und der Tisch folglich Resultat eines Begriffeswar, den der Mensch selbst geschaffen, aber nicht von irgendeinem äußeren Gegenstandempfangen hat. Die Gegenstände außer uns geben unserem Ich nur Anstoß und erregen inihm Begriffe, die es ihnen zuordnet. Damit wollen wir durchaus nicht die Notwendigkeit desStudiums der Tatsachen ablehnen: wir geben im Gegenteil die Notwendigkeit eines solchenStudiums durchaus zu; nur sagen wir gleichzeitig, daß dieses Studium rein spekulativ seinmuß und daß man die Tatsachen mit dem Denken erklären, nicht aber Gedanken aus den Tatsachenableiten soll. Andernfalls wird die Materie zum Urprinzip des Geistes und der Geistzum Sklaven der Materie. So war es auch im 18. Jahrhundert, diesem Jahrhundert der Erfahrungund des Empirismus. Und wohin ist es damit gekommen? Zu Skeptizismus, Materialismus,Unglauben, Sittenlosigkeit und völligem Verkennen der Wahrheit bei sehr ausgedehntenKenntnissen. Was wußten die Enzyklopädisten? Welche Früchte hat ihre Gelehrtheit gebracht?Wo sind ihre Theorien? Sie sind alle verflogen, sind geplatzt wie Seifenblasen. Nehmenwir allein die Theorie des Schönen, die aus Tatsachen abgeleitete und durch die Autoritäteines Boileau, Batteux, Laharpe, Marmontel, Voltaire bekräftigte Theorie: wo ist sie oder,besser gesagt, was ist sie jetzt, diese Theorie? Nichts mehr als ein Merkstein der Ohnmachtund der [114] Nichtigkeit eines menschlichen Geistes, der nicht nach den ewigen Gesetzenseiner Tätigkeit handelt, sondern sich der optischen Täuschung der Tatsachen unterwirft.Wozu hat diese Theorie geführt? <strong>Zur</strong> heutigen Auflösung und Entwürdigung der Kunst, diedurch sie auf die Stufe eines einfachen Handwerks heruntergebracht worden ist. Und wodurch?Dadurch, daß diese Leute ein Kunstideal nach den unsterblichen, uns von der Antikevermachten Musterbeispielen schaffen wollten, statt es aus ihrem Geiste abzuleiten. Mankann sagen: sie kannten nur die griechische und die römische Wortkunst und urteiltendeshalb nach den Werken dieser Literaturen, aber sie kannten Shakespeare nicht, hatten keineKenntnis von der Literatur des Mittelalters, den Literaturen der Völker des Ostens, sie lebtenvor Schiller, Goethe und Byron. Nun, und was weiter? Sie brauchten das alles auch gar nichtzu kennen, denn sie besaßen etwas, was zuverlässiger ist als die Werke Schillers, GoethesOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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