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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 56tigkeit haben aufgehört. Der Waffenlärm ist verhallt, die müden Kämpfer haben die Schwerterin die lorbeergeschmückten Scheiden gesteckt, wobei jeder sich selbst den Sieg zuschrieb,den niemand wirklich errungen hatte. Zu Beginn allerdings, besonders in den ersten zweiJahren, wurde noch verzweifelt gekämpft, aber das war bereits kein neuer Krieg, sondern derAusklang des alten; das war der Dreißigjährige Krieg nach dem Tod Gustav Adolfs und demHingang Wallensteins. Jetzt hat auch dieser blutige Krieg aufgehört, doch ohne WestfälischenFrieden, ohne ein befriedigendes Ergebnis für die Literatur. Die Puschkinsche Periodehatte sich durch eine Art wilde Manie des Verseschreibens ausgezeichnet; die neue Periodedagegen bekundete schon im ersten Beginn eine ausgesprochene Neigung zur Prosa. Aberleider bedeutete dies keinen Fortschritt, keine Erneuerung, sondern ein Verkümmern undDahinschwinden der schöpferischen Regsamkeit. In der Tat, es ist so weit gekommen, daßentschieden behauptet wird, auch das beste Gedicht könne heutzutage keinen [93] Erfolg haben.Eine törichte Ansicht! Offensichtlich stammt auch sie, wie alles, nicht von uns, sondernist eine freie Nachahmung der Meinung unserer europäischen Nachbarn. Dort bekommt mandes öfteren zu hören, das Epos habe in unserer Zeit keine Daseinsberechtigung mehr, und wiemir scheint, ist man schon dabei angelangt, daß in unserer Zeit auch das Drama am Ende sei.Derartige Auffassungen sind höchst seltsam und oberflächlich. Die Poesie ist sich bei allenVölkern und zu allen Zeiten in ihrem Wesenskern gleichgeblieben; geändert haben sich nurdie Formen, im Einklang mit dem Geist, der Richtung und dem Fortschritt sowohl der gesamtenMenschheit wie jedes Volkes im einzelnen. Die Einteilung der Dichtkunst in Gattungenist keine willkürliche; sie hat ihren Grund und ihre Notwendigkeit im eigentlichsten Wesender Kunst. Es gibt nur drei Gattungen der Poesie, und es kann ihrer nicht mehr geben. JedesWerk ist unabhängig von der Gattung in allen Jahrhunderten und in jedem Augenblick schön,wenn es in Geist und Form den Stempel seiner Zeit trägt und allen ihren Anforderungen entspricht.Ich habe irgendwo gelesen, daß Goethes „Faust“ die „Ilias“ unserer Zeit sei, eineMeinung, der man unbedingt beistimmen muß! Und in der Tat: ist Walter Scott nicht ebenfallsunser Homer, im Sinne des Epikers, wenn nicht gar als der volle Ausdruck des Geistesseiner Zeit? Und so ist es auch heute mit uns: es brauchte nur ein neuer Puschkin zu kommen,aber nicht ein Puschkin von 1835, sondern der Puschkin von 1829, und Rußland würde wiederanfangen, Gedichte auswendig zu lernen. Aber wer, außer den armen Lesern ex officio * ,denkt auch nur daran, einen Blick in die Erzeugnisse unserer neuen Gedichteschreiber, derHerren Jerschow, Strugowschtschikow, Markow, Snegirjow u. a. zu werfen?Romantik, das war das erste Wort, das die Puschkinsche Periode durchhallte; Volksgeist, dasist das Alpha und das Omega der neuen Periode. Ebenso wie damals jeder Papierbekritzlersich nach Leibeskräften mühte, als Romantiker zu gelten, erhebt heute jeder literarischeHanswurst auf den Titel eines Volksschriftstellers Anspruch. Volksgeist, welch köstlichesWort! Was ist dagegen eure Romantik! In der Tat, dieses Bemühen um den Volksgeist isteine höchst bemerkenswerte Erscheinung. Man sehe sich einmal an, womit sich die verdientenKoryphäen unserer Literatur heute beschäftigen, ganz zu schweigen von unseren Romanciersund überhaupt von den neuen Schriftstellern. Shukowski, dieser Poet, dessen dichterischesGenie [94] stets an das nebelumwobene Albion [England] und das phantastischeDeutschland gefesselt war, hat plötzlich seine vom Scheitel bis zur Sohle in Stahl gehülltenPaladine, seine wunderschönen treuen Prinzessinnen, seine Zauberer und seine verwunschenenSchlösser vergessen – und sich daran gemacht, russische Märchen zu schreiben ... Mußerst bewiesen werden, daß diese russischen Märchen mit dem russischen Geist, von dem inihnen nichts zu hören und zu sehen ist, ebensowenig harmonieren wie mit dem deutschenoder dem griechischen Hexameter? ... Wir wollen jedoch diese Verirrungen eines gewaltigenTalentes, das sich vom Zeitgeist hat hinreißen lassen, nicht allzu streng beurteilen. Shu-* von Amts wegen, amtlich, kraft AmtesOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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