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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 55Der „Moskowski Westnik“ besaß viele Vorzüge, viel Geist, viel Talent, viel Temperament,aber wenig, äußerst wenig Findigkeit und Scharfblick und trägt deshalb selbst die Schuld anseinem vorzeitigen Ende. In einer Zeit sprudelnden Lebens, in einer Zeit der Meinungskämpfeund geistigen Zusammenstöße, kam er auf die Idee, eine gemäßigte Haltung zu wahren undschroffe Urteile zu vermei-[91]den, und brachte zwar viele wichtige, gelehrte Aufsätze, aberwenige Rezensionen und polemische Artikel, die doch einer Zeitschrift das Leben geben, wararm an Belletristik, ohne die eine russische Zeitschrift keinen Erfolg hat, und enthielt, wasdas Schrecklichste war, keine ausführlichen und genauen Modeberichte und keine Modebildchenals Beilage, ohne die ein russischer Zeitungsverleger kaum auf Abonnenten rechnenkann. Was will man machen? Ohne kleine, scheinbar nichtssagende Kompromisse läßt sichkein vorteilhafter Frieden schließen. Dem „Moskowski Westnik“ fehlte die Aktualität, mankann ihn auch heute wie ein gutes Buch lesen, das nie seinen Wert verliert, aber eine Zeitschriftim vollen Sinne des Wortes ist er nie gewesen. Als Journalist zur Welt zu kommenund zu wirken, ist, wie beim Dichter, Sache der Berufung. Ich wollte gar nicht über die Zeitschriftensprechen und habe mich gegen meinen Willen hinreißen lassen. Da ich nun einmalbei den Entschlafenen bin, möchte ich noch zwei Worte über eine lebende Zeitschrift verlieren,allerdings ohne ihren Namen zu nennen, der sehr leicht zu erraten ist. Sie existiert schonlange, erschien in einfacher, dann doppelter, schließlich dreifacher Ausgabe und zeichnetesich unter ihren Schwestern stets durch eine Art besonderer Unpersönlichkeit aus. 63 Zu einerZeit, als der „Westnik Jewropy“ für die geheiligte alte Ideenwelt eintrat und bis zum letztenAtemzug das Schwert gegen die verhaßten Neuerungen führte, zu einer Zeit, als das jungeGeschlecht der neuen Journale ihrerseits auf Leben und Tod gegen das langweilige, überdrüssiggewordne Alte kämpfte und mit edler Aufopferung das Banner des Jahrhunderts aufzupflanzenbemüht war, brachte besagte Zeitschrift eine neue Ästhetik auf, nach der ein Werkerhaben und schön ist, wenn es in großer Auflage erscheint und gut gekauft wird, sowie eineneue Politik, nach der ein Schriftsteller heute Byron in den Schatten stellte und morgen „chute[92] complète“ [kompletter Sturz] erlitt. Dieser umsichtigen Politik folgend, schrieben einigeunserer Walter Scott Erzählungen über die Nikandr Swistuschkin, die Autoren solcherDichtungen wie „Die Juden“ oder „Die Diebe“ usw. 64 Kurz, diese Zeitschrift war eine einmalige,beispiellose Erscheinung in unserer Literatur.Und so brach eine neue Periode unserer Literatur an. Wer war das Haupt dieser neuen, dervierten Periode unseres unreifen Schrifttums? Wer hat gleich Lomonossow, Karamsin undPuschkin das allgemeine Interesse und die öffentliche Meinung beherrscht, die letztere souverängelenkt, den zeitgenössischen Werken den Stempel seines Genies aufgedrückt, seiner ZeitLeben verliehen und die zeitgenössischen Talente in die richtigen Bahnen gelenkt? Wer, frageich, war die Sonne in diesem neuen Weltensystem? Leider niemand – wenn auch viele aufdiesen Ehrentitel Anspruch erhoben. Zum erstenmal stand die Literatur ohne Oberhaupt daund zerfiel aus einer großen Monarchie in eine Unzahl voneinander unabhängiger Kleinstaaten,die sich untereinander beneiden und befehden. Köpfe gab es zwar zur Genüge, aber siefielen ebenso rasch, wie sie sich aufgereckt hatten. Kurz, in unserer Literaturgeschichte istdies die Schreckenszeit des Interregnums und der Usurpatoren.Der Gegensatz zwischen dem Heute und der Puschkinschen Periode ist ebenso groß wie einstder Gegensatz zwischen der Puschkinschen und der Karamsinschen Periode. Leben und Tärungaufgenommen hat. Übrigens gehört die wissenschaftliche Literatur nicht in mein Fach, und ich habe diesnur beiläufig, apropos erwähnt. – Der Verfasser. – *) Aus Krylows Fabel „Der Hecht und der Kater“.63 Gemeint sind die von Gretsch und Bulgarin herausgegebenen Zeitschriften „Der Sohn des Vaterlands“ (seit1812), „Das nördliche <strong>Archiv</strong>“ (seit 1822) und „Die nördliche Biene“ (seit 1825).64 „Nikandr Swistuschkin“ ist ein gegen Puschkin gerichtetes Pamphlet von Bulgarin, der Puschkins Dichtungen„Die Zigeuner“ und „Die Räuberbrüder“ die Titel „Die Juden“ und „Die Diebe“ gab.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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