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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 52ßen hat. Ich glaube, daß der Roman ihm wenig liegt; denn er versteht absolut nichts vommenschlichen Herzen, hat absolut kein dramatisches Feingefühl. Wozu mußte er beispielsweiseden Fürsten, dem alle Freuden des Himmels und der Erde durch ein Austerngericht aufgewogenwurden und dem eine erlesene Küche stets höher stand als seine Frau und ihre Ehre,warum mußte er diesen Mann vor dem Schänder seines Ehebettes einen pathetischen Monologhalten lassen, der einem Prawin in eigener Person Ehre gemacht hätte? Das ist einfach an denHaaren herbeigezogen, ist ein kleinlicher Bühnentrick; der Verfasser wollte gern in der Manierdes Herrn Bulgarin moralisch sein. Überhaupt versteht er nicht, die Bühnenmaschinerie, aufder sich das Gebäude seiner Romane dreht, zu verstecken; sie kommt bei ihm stets zum Vorschein.Davon abgesehen, stößt man in seinen Romanen mitunter auf wirklich schöne Stellenund wirklich meisterhafte Schilderungen. Dahin gehören z. B. die Beschreibung eines russischenMephisto aus dem Volke und überhaupt alle Dorfszenen aus der „Schaurigen Weissagung“.Dahin gehören auch viele Bilder nach der Natur, übrigens mit Ausnahme der „KaukasischenSkizzen“, die bis zur Übelkeit, bis zum nec plus ultra * gekünstelt sind. Seine bestenSachen sind meiner Ansicht nach „Prüfungen“ und „Leutnant Belosor“: hier kann man sichaufrichtig an seinem Talent freuen, denn hier ist er in seinem Element. Seine Versversuchenimmt er selbst nicht ernst, mir aber gefallen seine Übersetzungen der Lieder der Bergvölkerin „Amallat-Beg“ besser als der ganze Roman; in ihnen liegt so viel echtes Gefühl und Originalität,daß selbst Puschkin sich ihrer nicht zu schämen brauchte. Desgleichen finden sich inseinem „Andrej von Perejaslawl“, vor allem im zweiten Kapitel, wirklich poetische Stellen,wenn das Werk im ganzen auch reichlich kindlich wirkt. Doch am sonderbarsten ist wohl, daßHerr Marlinski sich unlängst mit bewundernswerter Bescheidenheit einer Sünde geziehen hat,an der er beileibe unschuldig ist; er behauptete nämlich, er habe mit seinen Romanen demVolksgeist Eingang in die russische Literatur verschafft: Nein, das stimmt nun aber wirklichnicht! Diese Romane gehören zu seinen mißlungensten Versuchen, in ihnen hat er nicht mehrVolksgeist als Karamsin, denn sein Rußland riecht stark nach seinem heißgeliebten Livonien.Mangel an Zeit und Raum gestattet [87] mir nicht, meine Meinung über das Talent des HerrnMarlinski mit Auszügen aus seinen Büchern zu erhärten, was beiläufig sehr leicht getan wäre.Über seinen Stil spreche ich nicht. Das Wort Stil beginnt heutzutage seine einstige, zu allgemeineBedeutung zu verlieren, denn man trennt den Stil bereits nicht mehr vom Gedanklichen.Zusammenfassend – Herr Marlinski ist ein nicht unbegabter Schriftsteller, aber er wäre weitbesser, wenn er natürlicher und ungezwungener wäre.Die Puschkinsche Periode war die Zeit, in der unser Schrifttum am stärksten aufblühte. Es wärenötig gewesen, sie historisch und in chronologischer Ordnung zu betrachten; ich habe das unterlassen,weil ich mir hier ein anderes Ziel setzte. Man kann mit Bestimmtheit sagen, daß wir damals,wenn noch nicht eine Literatur, so doch zumindest alle Anzeichen einer Literatur besaßen,denn damals zeigte sie Bewegung, Leben und sogar eine gewisse folgerichtige Allmählichkeit inder Entwicklung. Wie viele neue Erscheinungen, wie viele Talente und wie viele Ansätze zumeinen wie zum anderen! Wir begannen damals schon aus tiefem Herzen zu glauben, wir hätteneine Literatur und besäßen unsere eigenen Byron, Schiller, Goethe, Walter Scott und ThomasMoore. Wir waren froh und stolz wie Kinder, die zum Festtag neue Kleider bekommen haben.Und wer war unser Mephisto, der uns unsere Illusionen raubte? Wer trat als der starke, gefährlicheWiderpart auf und ließ unsere heißen‚ Gefühle gründlich abkühlen? Entsinnen Sie sich nochNikodim Aristarchowitsch Nadoumkos, entsinnen Sie sich noch, wie er auf seinen dürren Beinchenden Schauplatz betrat und mit seinem gutmütig-pfiffigen „Hehehe!“ 60 unsere süßestenTräume in Rauch aufgehen ließ? Entsinnen Sie sich noch, wie wir alle uns an unsere großen undkleinen Autoritäten klammerten und sie mit Händen und Füßen gegen die Angriffe des gestren-* „Nicht mehr weiter“, „Nicht darüber hinaus“60 Die Worte „auf seinen dürren Beinchen“ und „Heheheh!“ stammen aus einem Aufsatz N. I. Nadeshdins.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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