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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 51auf feuriges Gefühl hingegen recht verdächtig sind, daß seine Werke der Tiefe, der Philosophieund der Dramatik entbehren; daß folglich alle seine Helden über einen Leisten geschlagen sindund sich lediglich durch den Namen unterscheiden; daß er sich in jedem neuen Werk wiederholt,daß man bei ihm mehr Phrasen als Gedanken, mehr rhetorische Interjektionen als Gefühlsausdrucktrifft. Wir haben wenige Schriftsteller, die so viel schreiben würden wie Herr Marlinski.Aber diese Fülle der Erzeugnisse entspringt nicht einer übermäßig starken Begabung, nicht einemÜberfluß an Schöpferkraft, sondern ist Gewohnheitssache, Schreibroutine. Wer auch nur einFünkchen Begabung besitzt, wer sich durch Lektüre gebildet und sich einen mäßigen Vorrat vonIdeen zugelegt und diesen einigermaßen den Stempel des eigenen Charakters, der eigenen Persönlichkeitaufgeprägt hat, der greife getrost zur Feder und schreibe von früh bis spät. Er wird esmit der Zeit zu der Kunst bringen, jederzeit und in jeder Gemütsverfassung über jeden beliebigenGegenstand schreiben zu können; bat er sich ein paar schwungvolle Monologe ausgedacht, sowird er mit Leichtigkeit einen Roman, ein Drama oder eine Novelle drumherum schreiben können;er gebe nur gut auf Form und Stil acht, die müssen originell sein.Man erkennt die Dinge am besten durch Vergleich. Wenn zwei Schriftsteller im gleichen Genreschreiben und eine gewisse Ähnlichkeit miteinander aufweisen, so kann man ihren wechselseitigenWert am besten ermessen, indem man Parallelen zwischen ihnen zieht; das ist derbeste Prüfstein. Man sehe sich Balzac an; wieviel hat dieser Mann geschrieben, und doch findetman in seinen Romanen auch nicht einen Charakter, eine Gestalt, die einer anderen annäherndähnlich wären. Oh, diese unerreichte Kunst, Charaktere mit allen Nuancen [85] ihrerIndividualität zu zeichnen! Hat Sie niemals der kalte, unheimliche Ferragus verfolgt und sichwie ein unablässiger Schatten an Ihre Fersen geheftet, so daß Sie ihn im Wachen und imTräumen vor sich sahen? Oh, unter Tausenden würden Sie ihn erkennen, und doch steht er inder Erzählung Balzacs im Schatten, ist nur wie im Vorübergehen flüchtig umrissen und vonanderen Figuren verdeckt, auf die sich das Hauptinteresse der Dichtung konzentriert. Weshalbruft dann diese Gestalt so starke Teilnahme hervor und hinterläßt so tiefe Spuren im Geiste desLesers? Das kommt daher, daß Balzac sie nicht erdacht, sondern erschaffen hat, daß sie ihmvorschwebte, bevor er noch die erste Zeile seiner Erzählung niederschrieb, daß sie denKünstler so lange quälte, bis er sie aus seiner inneren Welt heraus zur allgemein faßbaren Erscheinungformte. Wir sehen uns hier nur „Einen andern der Dreizehn“ an: Ferragus und Montriveausind offenbar Menschen vom gleichen Zuschnitt, Menschen mit Seelen so tief wie derMeeresgrund und einem Willen so unbezwinglich stark wie Schicksalsmacht. Und dennoch –frage ich Sie –: haben diese beiden Gestalten auch nur die leiseste Ähnlichkeit miteinander,haben sie auch nur irgend etwas gemeinsam? Wie viele Frauenporträts sind unter dem fruchtbarenPinsel Balzacs hervorgegangen, aber hat er sich dabei auch nur bei einem von ihnenwiederholt? ... Was zeigen uns nun in dieser Hinsicht die Schöpfungen des Herrn Marlinski?Sein Amallat-Beg, sein Oberst W. ...‚ sein Held aus der „Schaurigen Weissagung“, sein„Hauptmann Prawin“ – alle sind sie leibliche Brüder, die auch ihr Erzeuger selber nur mitMühe auseinanderhalten kann. Höchstens der erste unterscheidet sich ein wenig von den anderndurch sein asiatisches Kolorit. Wo bleibt da die künstlerische Gestaltung? Und dabeiwieviel Gezwungenheit! Man kann wohl sagen, daß die Gezwungenheit Herrn MarlinskisSteckenpferd ist, von dem er nur selten absteigt. Keine einzige seiner Personen gibt auch nurein Wort einfach von sich, sondern stets in Begleitung einer Grimasse, eines Epigramms, einesKalauers, einer Metapher. Kurz, bei Herrn Marlinski ist jede Kopeke eine Schaumünze undjedes Wort ein Schnörkel. Man muß ehrlich sagen, daß die Natur ihn reichlich mit jenem gutmütig-lustigenWitz ausgestattet hat, der stichelt, aber nicht durchbohrt, der kitzelt, aber nichtzubeißt. Doch auch hier tut er oft zu viel des Guten. Er hat lange Romane, wie z. B. die „Besuche“,geschrieben, die von A bis Z nichts als ein einziger großer Krampf sind. Er hat Talent,aber kein über-[86]mäßiges, und zwar ein Talent, das durch beständigen Zwang geschwächtist und sich an den Stöcken und Steinen eines gewaltsamen Witzes abgenutzt und wundgesto-OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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