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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 41dann hätten Gewissenlosigkeit, Unwissenheit und Scharlatanerie ein allzu weites Feld: eswäre niemand da, der entlarven, der ein hartes, wahres Wort aussprechen würde! ...[68] Die Puschkinsche Periode zeichnete sich also durch ein höchst bewegtes Leben aus. Indiesen zehn Jahren haben wir das gesamte geistige Leben Europas, dessen Echo über die Ostseezu uns herüberschallte, in unser Fühlen, Denken und Leben aufgenommen. Wir habenimmer von neuem alles durchberaten, alles durchdisputiert, alles uns angeeignet, ohne selbstirgend etwas hervorgebracht, aufgezogen oder geschaffen zu haben. Andere haben sich füruns abgemüht, wir aber haben nur Fertiges aufgenommen und uns zunutze gemacht: das istdas Geheimnis unserer unglaublich raschen Erfolge und ihrer unglaublich leichten Vergänglichkeit.Darin ist, scheint mir, auch die Erklärung dafür zu suchen, daß von diesem ganzenso lebensvollen und tatenfrohen, an Talenten und Genies so reichen Jahrzehnt fast nur dereine Puschkin übriggeblieben ist und nun, verwaist, bekümmert zusieht, wie die Namen derer,die einst mit ihm am Himmel unserer Literatur aufgegangen waren, einer nach dem andernim Abgrund der Vergessenheit verschwinden, wie das halb ausgesprochene Wort in derLuft verweht... In der Tat, wo sind sie heute, die vielversprechenden Jünglinge, auf die wir sostolz waren? Wo sind die Namen, die in aller Munde waren? Warum sind sie alle so plötzlichverstummt? Mag man sagen, was man will – mich will es bedünken, daß das nicht von ungefährgekommen ist! Oder ist wirklich die Zeit der strengste und wahrhaftigste aller Aristarche?... O weh! ... Sollte ein Oserow oder Batjuschkow wirklich weniger Talent besessen habenals, sagen wir, Herr Baratynski oder Herr Podolinski? Wären Kapnist, W. und A. Ismailowund W. Puschkin gemeinsam mit Puschkin in der Blüte der Jugend auf den Plan getreten,sie wären wahrlich selbst mit den dürftigen Begabungen, mit denen die Natur sie versehenhatte, nicht lächerlich erschienen. Und warum? Darum, weil Talente dieser Art sein odernicht sein können, das hängt ganz von den Umständen ab.Gleich Karamsin wurde auch Puschkin mit lautem Beifallsklatschen und Zischen empfangen,und dieser Lärm hat sich erst in letzter Zeit gelegt. Kein einziger Dichter in Rußland hat jemalszu seinen Lebzeiten eine solche Volkstümlichkeit, einen solchen Ruhm genossen, undkein einziger ist je so hart geschmäht worden. Und von wem? Von Leuten, die anfänglich vorihm im Staube lagen und später chute complète [kompletter Sturz] schrien, von Leuten, diesich vor aller Ohren brüsteten, sie hätten im kleinen Finger mehr Geist als unsere sämt-[69]lichen Literaten in ihren Köpfen – o diese wunderbaren kleinen Finger, interessant, sieeinmal anzuschauen! Aber nicht darum geht es hier. Man denke zurück an den Zustand unsererLiteratur vor den zwanziger Jahren. Shukowski hatte damals sein Lebenswerk bereits zumgrößten Teil vollendet. Batjuschkow war für immer verstummt, für Dershawin wie für Sumarokowund Cheraskow begeisterte man sich an Hand der Vorlesungen Mersljakows. KeinLeben, nichts Neues, alles schleppte sich in den alten, ausgefahrenen Bahnen dahin; undplötzlich erschien „Russlan und Ludmilla“, eine Schöpfung, für die es, was die Harmonie desVerses ebenso wie die Form und den Inhalt angeht, entschieden kein Vorbild gab. Alle Leute,die keine gelehrten Ambitionen hatten und sich auf ihr Gefühl statt auf die offizielle Poetikverließen oder auch nur eine ungefähre Vorstellung vom modernen Europa hatten, warenhingerissen von diesem Phänomen. Die zünftigen Richter aber, die das Zepter der Literaturkritikschwangen, schlugen mit viel Wichtigkeit das „Lyzeum“ (in der Übersetzung des HerrnMartynow: „Lykeum“) von Laharpe und das „Wörterbuch der antiken und der neuen Poesie“von Herrn Ostolopow auf und verkündeten, als sie feststellten, daß dieses neue Werk in keineder bestehenden Kategorien paßte und daß sich weder im Griechischen noch im Lateinischenein Muster für dasselbe vorfand, feierlich, es sei ein uneheliches Kind der Poesie und derunverzeihliche Fehltritt eines Talents. Natürlich wollten das nicht alle glauben, und so begannder Tanz. Klassizismus und Romantik gerieten einander in die Haare. Aber lassen wir sie inRuhe und reden wir von Puschkin.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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