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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 38darauf, daß er, was Rußland anbelangt, ein Sohn seiner Zeit im vollen Sinne des Wortes war,daß er mit seinem Vaterland Schritt hielt, Repräsentant der Entwicklung seines Geisteslebenswar; folglich war seine Herrschaft eine gesetzmäßige. Karamsin dagegen war, wie wir bereitsgesehen haben, im 19. Jahrhundert ein Sohn des 18., das er in gewissem Sinne nicht einmalvoll zum Ausdruck brachte; denn er schwang sich in seinen Ideen nicht einmal bis zu dessenHöhe auf, weswegen sein Einfluß höchstens bis zum Auftreten von Shukowski und Batjuschkowberechtigt war, von da an jedoch sein machtvoller Einfluß zu einem Hemmschuh für dieWeiterentwicklung unserer Literatur wurde. Der Aufstieg Puschkins war ein herzbewegenderAnblick. Der Dichterjüngling, auf den Weg geleitet durch den Segen des greisen DichterfürstenDershawin, der am Rand des Grabes stand, das lorbeerumkränzte Haupt schon dem Todzugeneigt; der männlich-reife Dichter, der jenem über die unermeßliche Kluft eines ganzenJahrhunderts hinweg, das die zwei Generationen in sittlicher Hinsicht trennte, die Hand reichte;der schließlich an seine Seite trat, um mit ihm das strahlende Zweigestirn am öden Himmelunserer Literatur zu bilden ...Klassizismus und Romantik – das sind die zwei Schlagworte, von denen die Puschkinsche Periodeunserer Literatur widerhallte; das sind die zwei Worte, über die Bücher, Essays, Aufsätze,ja selbst Gedichte geschrieben wurden, mit denen wir einschliefen und aufwachten, um diewir Kämpfe auf Leben und Tod ausfochten, über [64] die wir bis zu Tränen in Hörsälen undSalons, auf Plätzen und Straßen stritten. Jetzt sind diese zwei Worte irgendwie banal und lächerlichgeworden; es kommt einem irgendwie kurios und befremdlich vor, wenn man in einemBuch oder einem Gespräch auf sie stößt. Aber wie lange ist es her, daß das Einst aufhörteund das Jetzt begann? Und da soll man nicht sagen, daß alles auf Windesflügeln vorwärts eilt?Höchstens irgendwo in Daghestan kann man noch mit wichtiger Miene über Klassizismus undRomantik, diese zwei sanft entschlafenen Märtyrer, räsonieren und als Neuigkeit verzapfen,daß Racine ein wenig süßlich sei, daß die Enzyklopädisten es mit der Wahrheit nicht so genaugenommen hätten, daß Shakespeare, Goethe und Schiller groß seien und Schlegel recht habeusw. Und das ist nicht weiter erstaunlich: Daghestan liegt schließlich in Asien.In Europa trat der Klassizismus als ein literarischer Katholizismus auf. Zu seinem Papst wurdeauf einer Art inoffiziellem Konklave, ohne sein Wissen und Wollen, der verblichene Aristotelesgewählt; die Inquisition dieses Katholizismus war die französische Kritik, die Großinquisitoren:Boileau, Batteux, Laharpe und Kumpanei; Anbetungsgegenstände: Corneille, Racine,Voltaire u. a. Nolens volens [wohl oder übel] engagierten die Herren Inquisitoren für ihrenHeiligenkalender auch die Alten, unter ihnen den unvergänglichen Altvater Homer (mitsamtVirgil) sowie Tasso, Ariosto, Milton, die (mit eventueller Ausnahme des in Klammern gesetzten)am Klassizismus mit Leib und Seele unschuldig sind, denn sie waren in ihren Werkennatürlich. So blieb es bis zum 18. Jahrhundert. Dann kehrte sich alles um: Weiß wurdeSchwarz und Schwarz – Weiß. Das heuchlerische, lasterhafte, süßliche 18. Jahrhundert segnetedas Zeitliche, und mit dem 19. Jahrhundert wurden Geist und Geschmack zu neuem, besseremLeben wiedergeboren. Einem beängstigenden Meteor gleich, stieg zu Beginn dieses Jahrhundertsder Sohn des Schicksals auf, angetan mit all seiner schreckenerregenden Macht, oderrichtiger, das Schicksal selber trat in Gestalt Napoleons auf den Plan, jenes Napoleon, der zumBeherrscher unserer Geister ward, bei dessen Erwähnung sich auch das brave Mittelmaß zupoetischer Höhe aufschwang. 37 Das Jahrhundert nahm gewaltige Ausmaße an und stellte sichin titanischer Größe dar; Frankreich schämte sich seiner selbst und begann hohnlachend mitdem Finger auf die armseligen Überbleibsel aus vergangenen Zeiten zu weisen, die, als bemerktensie die großen Umwälzungen nicht, die sich vor ihren Augen vollzogen hatten, [65]37 Der Ausdruck „Beherrscher unserer Geister“ stammt aus Puschkins Gedicht „An das Meer“ und bezieht sichauf Napoleon.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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