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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 337gewohnt sind, wo doch bekanntlich nichts leichter ist, als die Dinge aus der Entfernung so zusehen, wie wir sie sehen möchten; weil Sie in Ihrer „schönen Ferne“ völlig wie ein ihr Fremderdahinleben, ganz für sich und in sich, oder in der Eintönigkeit eines kleinen Kreises vonGleichgesinnten, die unfähig sind, sich Ihrem Einfluß zu widersetzen. Deshalb ist es Ihnenentgangen, daß Rußland seine Rettung nicht im Mystizismus, nicht im Asketismus oder imPietismus sieht, sondern im Fortschreiten der Zivilisation, der Aufklärung und der Menschlichkeit.Es braucht keine Predigten (es hat ihrer genug gehört!), keine Gebete (es hat ihrergenug heruntergeleiert!), sondern das Wiedererwachen des Gefühls der Menschenwürde imVolke, das so viele Jahrhunderte hindurch in Schmutz und Unrat verlorengegangen war – esbraucht Rechte und Gesetze, die nicht den Lehren der Kirche entsprechen, sondern dem gesundenMenschenverstand und der Gerechtigkeit, und die möglichst streng gehandhabt werden.Statt dessen bietet Rußland den abscheulichen Anblick eines Landes, wo Menschen mitMenschen Handel treiben, ohne dafür auch nur jene Rechtfertigung zu besitzen, deren sichpfiffigerweise die amerikanischen Plantagenbesitzer bedienen, daß nämlich der Neger keinMensch sei; eines Landes, wo sich die Menschen nicht mit ihrem Namen anreden, sondernsich mit verächtlichen Spitznamen wie Wanjka, Wassjka, Stjeschka, Palaschka bezeichnen;eines [568] Landes endlich, wo es nicht nur keinerlei Garantien für die Unantastbarkeit derPerson, der Ehre und des Eigentums gibt, sondern nicht einmal eine Polizeiordnung, sondernnur riesige Korporationen von beamteten Dieben und Räubern! Die brennendsten und aktuellstennationalen Fragen in Rußland sind heute: die Vernichtung der Leibeigenschaft, dieAbschaffung der Prügelstrafe, die möglichst strenge Einhaltung wenigstens jener Gesetze, diees gibt. Das spürt sogar die Regierung (die sehr gut unterrichtet ist, was die Gutsherren mitihren Bauern treiben und wie viele von diesen alljährlich durch jene umgebracht werden),was durch ihre zaghaften und fruchtlosen halben Maßnahmen zugunsten der weißen Negerund durch die komische Einführung der dreischwänzigen Peitsche an Stelle der einschwänzigenKnute bewiesen wird. 3Das sind die Fragen, die Rußland in seinem apathischen Schlaf erregen und bewegen! Und inebendieser Zeit tritt ein großer Schriftsteller, der mit seinen herrlich-künstlerischen, tiefwahanihn beleidigt hat.‘“ A. I. Herzen, dem Belinski seinen Brief an Gogol vorlas, sagte zu P. W. Annenkow: „Das isteine geniale Leistung, und das ist auch wohl sein Testament.“ W. L Lenin hielt diesen Brief an Gogol, „der dieliterarische Tätigkeit Belinskis zusammenfaßt“, ... „für eines der besten Werke der unzensurierten demokratischenPresse, die bis zum heutigen Tage eine riesige, lebendige Bedeutung bewahrt haben“.Belinski unterzog in diesem Brief nicht nur das reaktionäre Buch Gogols einer vernichtenden Kritik, sondern rißauch dem ganzen autokratischen Leibeigenschaftssystem die Maske ab. Nur sein Tod rettete ihn vor strengsterBestrafung für das großartige Dokument. Der Chef der III. Abteilung, L. W. Dubelt, „bedauerte“, daß es ihmnicht mehr gelungen war, den großen Kritiker „in einer Kasematte verfaulen zu lassen“. Bekanntlich wurde überF. M. Dostojewski für die Verlesung von Belinskis Brief im Kreise der Anhänger Petraschewskis die Todesstrafeverhängt, die dann in Zwangsarbeit in Sibirien umgewandelt wurde. Die schärfsten Maßnahmen der Regierungkonnten jedoch nicht verhindern, daß der Brief Belinskis in Tausenden von Exemplaren über ganz Rußlandverbreitet wurde. L. S. Aksakow schrieb seinem Vater am 9. (21.) Oktober 1856, d. h. mehr als neun Jahre nachder Entstehung von Belinskis Brief: „Ich bin viel in Rußland herumgekommen; der Name Belinskis ist jedemauch nur einigermaßen denkenden jungen Menschen bekannt, jedem, der in dem stinkenden Sumpf des Provinzlebensnach frischer Luft lechzt. Es gibt keinen Gymnasiallehrer in den Gouvernementsstädten, der den BriefBelinskis an Gogol nicht auswendig wüßte.“Dieser berühmte Brief Belinskis wurde zum erstenmal von A. I. Herzen in der Zeitschrift „Poljarnaja Swesda“,Jahrgang 1855, abgedruckt. Nach diesem Text ist er im Ausland mehrmals nachgedruckt worden Der vollständigeText des Briefes erschien in mehreren Ausgaben der Werke Belinskis sowie in den „Briefen“, die im Jahre1914 herauskamen. Das Original des Briefes ist nicht auf uns gekommen. Der vorliegenden Ausgabe ist derText der „Poljarnaja Swesda“ zugrunde gelegt.2 Im Juni 1836 war Gogol ins Ausland gefahren, wo er sich mit kurzen Unterbrechungen viele Jahre lang aufhielt.3 Die einschwänzige Knute, die in Rußland jahrhundertelang als Züchtigungsinstrument Verwendung fand,wurde im Strafvollzugs-Kodex vom Jahre 1845 durch eine dreischwänzige Peitsche ersetzt.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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