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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 336Jawohl, ich habe Sie geliebt mit der ganzen Leidenschaft, mit der ein Mann, der zutiefst mitseinem Land verwachsen ist, die Hoffnung, die Ehre und den Ruhm dieses Landes, einenseiner größten Führer auf dem Weg zu Wissen, Entwicklung und Fortschritt lieben kann. UndSie hatten allen Grund, wenigstens für kurze Zeit ihre Gemütsruhe zu verlieren, nachdem Siedas Recht auf solche Liebe verloren hatten. Ich sage dies nicht, weil ich etwa meine Liebe alsBelohnung für großes Talent betrachte, sondern weil ich in dieser Hinsicht nicht nur eineeinzelne, sondern eine Vielheit von Personen repräsentiere, deren Mehrzahl weder Sie nochich je gesehen haben und denen auch Sie nie vor Augen gekommen sind. Ich vermag Ihnenkeine, auch nur annähernde Vorstellung weder von der Entrüstung zu geben, die Ihr Buch inallen edlen Herzen erweckt hat, noch auch von jenem wüsten Freudengeschrei, in das alleIhre Feinde bei seinem Erscheinen ausbrachen, sowohl die nichtliterarischen: dieTschitschikows, die Nosdrews und die Stadthauptleute... als [567] auch die literarischen, derenNamen Ihnen wohlbekannt sind. Sie sehen selbst, daß sich sogar Leute von Ihrem Buchabgewandt haben, die offenbar Geist von seinem Geiste sind. Auch wenn dieses Buch austiefer, innerer Überzeugung geschrieben wäre, hätte es doch auf das Publikum den gleichenEindruck machen müssen. Und wenn es von allen (mit Ausnahme von ein paar Leuten, dieman nur zu sehen und zu kennen braucht, um sich ihrer Billigung nicht zu freuen) als einschlaues, aber allzu ungeniertes Gaunerstück aufgefaßt wurde, das auf himmlischem Wegerein irdische Zwecke verfolgt – dann sind einzig Sie daran schuld. Und das ist nicht im mindestenverwunderlich; verwunderlich ist vielmehr, daß Sie es verwunderlich finden. Ich glaube,das kommt daher, daß Sie Rußland wahrhaft lediglich als Künstler, aber nicht als denkenderMensch kennen, dessen Rolle Sie in ihrem phantastischen Buch mit so großem Mißerfolgauf sich nahmen. Und das nicht etwa darum, weil Sie kein denkender Mensch wären, sondernweil Sie nun schon seit so vielen Jahren Rußland aus Ihrer „schönen Ferne“ 2 zu betrachtenDer Aufsatz Belinskis machte, auch so wie er war, auf Gogol starken Eindruck, obwohl er ihn nicht verstand. Erglaubte, Belinski habe sich über ihn nur geärgert, weil er die Angriffe auf die Kritik und die Journalisten, diesich überall in dem „Briefwechsel“ zerstreut finden, auf sich bezöge. Er schrieb hierüber am 20. Juni 1847 anProkopowitsch: „Diese Gereiztheit macht mich sehr betrübt ... Sprich doch bitte mit Belinski und schreib mir,wie er jetzt mir gegenüber gesonnen ist. Wenn die Galle in ihm kocht, soll er sie ruhig im ‚Sowremennik‘, wieimmer es ihm paßt, gegen mich ausschütten, er soll es nur nicht in seinem Herzen gegen mich herumtragen.Wenn sich aber seine Unzufriedenheit etwas gelegt hat, dann gib ihm das beiliegende Briefchen.“ Prokopowitschgab dieses „Briefchen“ in der Redaktion des „Sowremennik“ ab, und N. A. Nekrassow schickte es nachSalzbrunn weiter, wo sich Belinski damals aufhielt. Gogol schrieb Belinski unter anderem: „Ich habe mit BekümmernisIhren Aufsatz über mich in Nummer 2 des ‚Sowremennik‘ gelesen. Nicht deshalb, weil es michbekümmert, daß Sie mich vor aller Welt erniedrigen wollen, sondern deshalb, weil in ihm die Stimme einesMenschen zu vernehmen ist, der sich über mich geärgert hat. Und ich hätte selbst nicht einen Menschen ärgernmögen, der mich nicht liebte, wieviel weniger Sie, an den ich stets als an einen Menschen gedacht habe, dermich liebt. Ich habe nicht im geringsten die Absicht gehabt, Ihnen mit irgendeiner Stelle meines Buches weh zutun. Wie ist es bloß gekommen, daß sich ganz Rußland bis zum letzten Mann über mich geärgert hat; das kannich bis heute noch nicht verstehen.“Als Belinski den Brief Gogols überflogen hatte, fuhr er, wie P. W. Annenkow berichtet, hoch und brach in dieWorte aus: „Ah, er versteht noch immer nicht, warum man sich über ihn ärgert – man muß es ihm klarmachen, ichwerde ihm antworten.“ Drei Tage später war die Antwort fertig. Belinski las sie P. W. Annenkow vor. Dieserschreibt über den Eindruck, den die Antwort auf ihn machte: „Ich erschrak sowohl über den Ton als auch über denInhalt dieser Antwort, aber natürlich nicht Belinskis wegen, denn besondere Folgen ließen sich damals bei einerAuslandskorrespondenz zwischen Bekannten noch nicht voraussehen. Ich erschrak Gogols wegen, der diese Antworterhalten mußte, und ich stellte mir lebhaft seine Lage in dem Augenblick vor, wo er diese furchtbare Züchtigunglesen würde. Der Brief enthielt nicht nur die Widerlegung seiner Meinungen und Auffassungen; der Briefdeckte die Leere und die Häßlichkeit aller Ideale Gogols auf, aller seiner Begriffe von Gut und Ehre, aller moralischenGrundlagen seiner Existenz – ebenso auch die barbarische Situation des Milieus, als dessen Verteidiger erauftrat. Ich wollte Belinski die ganze Tragweite seiner leidenschaftlichen Rede klarmachen, aber er kannte sie, wiesich herausstellte, besser als ich. ‚Was soll man machen?‘ sagte er, ‚man muß die Menschen mit allen Mitteln voreinem wildgewordenen Mann retten, auch wenn der Tollwütige Homer selbst sein sollte. Und wenn Gogol sichbeleidigt fühlen sollte, so kann ich ihn niemals so beleidigen, wie er mich in meiner Seele und in meinem GlaubenOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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