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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 335Brief an N. W. GogolVom 8. (15.) Juli 1847 1Sie haben nur teilweise recht, wenn Sie in meinem Artikel einen verärgerten Menschen erblicken:dieses Beiwort ist viel zu schwach und zu milde, um den Zustand auszudrücken, inden mich die Lektüre Ihres Buches versetzt hat. Aber Sie haben ganz und gar nicht recht,wenn Sie das Ihren in der Tat nicht ganz schmeichelhaften Äußerungen über die VerehrerIhres Talentes zuschreiben. Nein, hier lag ein gewichtigerer Grund vor. Beleidigte Eigenliebeläßt sich noch verwinden, und ginge es wirklich nur darum, würde ich genügend Klugheitbesitzen, diesen Gegenstand mit Schweigen zu übergehen, aber beleidigte Wahrheitsliebe,beleidigte Menschenwürde lassen sich nicht verwinden; man darf nicht schweigen, wenn unterdem Mantel der Religion und im Schutz der Knute Lüge und Sittenlosigkeit als Wahrheitund Tugend gepredigt werden.1 Als Gogol seine „Ausgewählten Stellen aus dem Briefwechsel mit Freunden“ im Druck erscheinen ließ, kam dasfür Belinski nicht völlig unerwartet. Ein halbes Jahr vorher hatte Gogol im „Sowremennik“, in den „MoskowskijeWedomosti“ und im „Moskwitjanin“ einen Aufsatz über die „Odyssee“ veröffentlicht, der später als besonderesKapitel in den „Ausgewählten Stellen aus dem Briefwechsel mit Freunden“ Aufnahme fand. Belinski äußerte damals,dieser Aufsatz habe durch seine paradoxen Gedanken und den „anspruchsvoll-hochtrabenden Prophetenton“... „alle Freunde und Verehrer von Gogols Talent betrübt und allen seinen Feinden Freude bereitet“. Nach diesemAufsatz ließ Gogol eine zweite Ausgabe der „Toten Seelen“ mit einem Vorwort erscheinen, das in Belinski „lebhafteBesorgnis um den zukünftigen Autorenruhm des Schöpfers des ‚Revisors‘ und der ‚Toten Seelen‘“ erregte. Ineiner Rezension dieser zweiten Ausgabe erwähnte Belinski unter den wesentlichen Mängeln der „Toten Seelen“jene Stellen, wo „der Autor sich anstrengt, sich aus einem Dichter, einem Künstler in eine Art Wahrsager zu verwandeln,und in einen etwas aufgeblasenen und gespreizten Lyrismus verfällt“. Belinski fand sich jedoch mit diesemMangel ab, da diese Stellen nicht zahlreich sind und man sie „beim Lesen überspringen kann, ohne etwas vondem Genuß einzubüßen, den der Roman gewährt“. Viel bedeutsamer jedoch war, daß „diese mystisch-lyrischenEntgleisungen in den ‚Toten Seelen‘ nicht einfach zufällige Fehler des Autors waren, sondern der Keim eines vielleichtvölligen Verlustes seines Talents für die russische Literatur“.Auf diese Weise war Belinski auf die „Ausgewählten Stellen aus dem Briefwechsel mit Freunden“ vorbereitet.Dennoch machte ihr Erscheinen einen niederschmetternden Eindruck auf ihn. In einem großen Aufsatz, den erdiesem Buch widmete, konnte er aus Rücksicht auf die Zensur nur in geringem Grade dem Unwillen und derEmpörung Ausdruck geben, die das Erscheinen des „abscheulichen“ Buches bei ihm hervorgerufen hatte. Ineinem Brief an W. P. Botkin, der mit diesem Aufsatz Belinskis nicht zufrieden war, schrieb dieser: „Ich bin ...gezwungen, gegen meine Natur, gegen meinen Charakter zu handeln: die Natur hat mich dazu verurteilt, wie einHund zu bellen und wie ein Schakal zu heulen, aber die Umstände gebieten mir, wie eine Katze zu schnurrenund wie ein Fuchs mit dem Schwanz zu wedeln. Du sagst, der Aufsatz sei ‚nicht genügend durchdacht und mitzu leichter Hand geschrieben, wo man die Sache doch sehr geschickt anpacken mußte‘. Mein lieber Freund,gerade deshalb konnte mein Aufsatz, im Gegenteil, ganz und gar nicht durch bemerkenswerte Eigenschaften der(wenn auch negativen) Wichtigkeit des Buches entsprechen, von dem er handelte, weil ich ihn gut durchdachthatte. Wie wenig kennst Du mich doch! Alle meine besten Aufsätze sind nicht ein bißchen durchdacht, sie sindImprovisationen; wenn ich mich ans Schreiben machte, wußte ich nie, was ich schreiben würde... Der Aufsatzüber das abscheuliche Buch Gogols hätte wunderbar gelingen können, wenn ich mich in ihm mit geschlossenenAugen ganz meiner Empörung und Wut hätte hingeben können ... Aber ich habe meinen Aufsatz durchdachtund wußte deshalb im voraus, daß nichts Hervorragendes daraus werden würde, und habe mich nur darum bemüht,daß etwas Brauchbares dabei herauskäme und die Abscheulichkeit des Schufts sichtbar würde. Lind dasist mir auch gelungen, und der Aufsatz ist nicht das, als was Du ihn gelesen hast. Ihr lebt auf dem Lande undwißt nicht, was geschieht. Der Eindruck dieses Buches war derart, daß Nikitenko, der es durchgelassen hatte, beimir einen Teil der Zitate aus dem Buch herausstrich und noch wegen derer zitterte, die er in meinem Aufsatzdrin gelassen hatte. Von dem, was von mir und vom Zensor stammt, hat er ein ganzes Drittel gestrichen ... Duwirfst mir vor, ich sei verärgert und meines Zorns nicht Herr geworden? Ja, eben das wollte ich nicht. ToleranzIrrtümern gegenüber verstehe ich noch und schätze sie, wenigstens bei anderen, wenn auch nicht bei mir, aberder Schuftigkeit gegenüber kann ich keine Toleranz vertragen. Du hast dieses Buch entschieden nicht verstanden,wenn Du in ihm nur eine Verirrung siehst, nicht aber die artistisch berechnete Schufterei, die mit ihr Handin Hand geht. Gogol ist durchaus kein K. S. Aksakow. Er ist ein Talleyrand, ein Kardinal Fesch, der sein Lebenlang Gott betrog und im Sterben den Teufel anschmierte“. [Fortsetzung der Fußnote auf den nächsten Seiten]OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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