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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 316mand herangegangen war. Mit seinem praktischen Sinn und seiner praktischen Natur, seinemgroben, aber kräftigen, klaren Verstand, seiner tiefen Verachtung für die „Weiber“ und seinerheftigen Abneigung gegen Sauberkeit und Reinlichkeit ist Chorj der Typ des russischen Bauern,der es verstanden hat, sich unter recht ungünstigen Umständen eine bedeutende Stellungzu schaffen. Aber Kalinytsch stellt einen noch frischeren und vollkommneren Typus des russischenBauern dar: das ist eine poetische Natur im einfachen Volk. Mit was für einer gutmütigenAnteilnahme beschreibt der Autor uns seine Helden, wie versteht er es, den Leser sievon ganzem Herzen liebgewinnen zu lassen! Insgesamt sind von den „Erzählungen eines Jägers“im letzten Jahrgang des „Sowremennik“ sieben veröffentlicht worden. In ihnen machtder Autor seine Leser mit verschiedenen Seiten des Alltagslebens der Provinz und mit Menschenverschiedenen Standes und Rangs bekannt. Nicht alle Erzählungen stehen auf der gleichenHöhe: die einen sind besser, die anderen schwächer, aber es gibt unter ihnen nicht eine,die nicht irgendwie interessant, fesselnd und lehrreich wäre. „Chorj und Kalinytsch“ bleibtbis jetzt die beste aller Erzählungen; nach ihr kommt der „Dorfschulze“, dann der „HofbauerOwsjannikow“ und „Das Kontor“. Man kann [534] nur wünschen, daß Herr Turgenjew unseretwegennoch ganze Bände solcher Erzählungen schreibt.Obschon die in der zweiten Nummer des letzten Jahrgangs des „Sowremennik“ veröffentlichteErzählung des Herrn Turgenjew „Pjotr Petrowitsch Karatajew“ nicht zu den „Erzählungeneines Jägers“ gehört, ist sie doch ebenso eine meisterhafte physiologische Skizze eines reinrussischen Charakters, diesmal von Moskauer Tönung. Hier kommt das Talent des Autorsebenso vollständig zum Ausdruck wie in den besten der „Erzählungen eines Jägers“.Wir müssen auch die ungewöhnliche Meisterschaft des Herrn Turgenjew in der Schilderungdes russischen Naturlebens erwähnen. Er liebt die Natur nicht als Dilettant, sondern als Artist,und ist deshalb bestrebt, sie nicht nur als poetische Landschaft darzustellen, sondern nimmtsie so, wie sie sich ihm darbietet. Seine Bilder sind stets echt, und man erkennt in ihnen stetsunsere russische Natur wieder... 24Herr Grigorowitsch hat sein Talent ausschließlich der Darstellung des Lebens der unterenVolksklassen gewidmet. Auch sein Talent weist viele Analogien mit dem des Herrn Dal auf.Er hält sich ebenfalls stets auf dem Boden einer ihm wohlbekannten und von ihm studiertenWirklichkeit, seine zwei jüngsten Versuche jedoch, „Ein Dorf“ (in „Ot. Sap.“, Jahrgang1846) und besonders „Der arme Anton“ (in „Sowr.“, Jahrgang 1847), gehen weit über denRahmen physiologischer Skizzen hinaus. „Der arme Anton“ ist mehr als eine Erzählung: dasist ein Roman, in dem alles einer Grundidee entspricht, alles sich auf sie bezieht und dieDramatik der Handlung sich aus dem Wesen der Sache selbst ergibt. Obwohl die Erzählungsich äußerlich immer nur um das Verschwinden eines Bauernpferdchens dreht; obwohl Antonganz und gar nicht zu den Flinken und Schlauen gehört, sondern ein einfaches Bäuerlein ist –ist er eine tragische Figur im vollen Sinn des Worts. Es ist eine rührende Erzählung, nachderen Lektüre einem ungewollt traurige und bedeutsame Gedanken durch den Sinn gehen.Wir möchten von ganzem Herzen wünschen, daß Herr Grigorowitsch auch weiter diesenWeg geht, auf dem sich von seinem Talent so viel erwarten läßt... Möge er sich nicht durchdas Geschimpfe der Tadler beirren lassen: diese Herrschaften sind nützlich und nötig, um dasgenaue Ausmaß eines Talents festzustellen; je größer der Schwarm ist, in dem sie hinter demErfolg herkläffen, um so größer ist demnach der Erfolg...[535] In der letzten Nummer des vorigen Jahrgangs des „Sowremennik“ erschien „PolinkaSadis“, eine Erzählung von Herrn Drushinin, der in der russischen Literatur eine völlig neue24 Belinski hat keine zureichende Darstellung und Einschätzung des Talents von I. S. Turgenjew, weder nachseinem Umfang noch nach seinem Charakter, gegeben, obwohl er die Entwicklung seiner literarischen Wirksamkeitaufmerksam verfolgte.OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 317Figur ist. Vieles in dieser Erzählung läßt Unreife des Gedankens erkennen, scheint übertrieben,die Gestalt der Sadis ist etwas idealisiert; dennoch enthält die Erzählung so viel Wahres,so viel Herzenswärme und richtiges, wissendes Verständnis für die Wirklichkeit, so viel Originalität,daß sie sofort die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Besonders gutist in ihr der Charakter der Heldin durchgeführt; man sieht, daß der Autor die russische Fraugut kennt. Die zweite, in diesem Jahr veröffentlichte Erzählung des Herrn Drushinin bestätigtdie durch die erste Erzählung nahegelegte Meinung, daß wir es bei diesem Autor mit einemselbständigen Talent zu tun haben, und erlaubt, in Zukunft viel von ihm zu erwarten.Zu den beachtenswertesten Erzählungen des vergangenen Jahres gehört „Pawel AlexejewitschIgriwy“ von Herrn Dal („Ot. Sap.“). Karl Iwanytsdi Gonobobel und Rittmeister Schilochwastowgehören als Charaktere, als Typen zu den meisterhaftesten Skizzen aus der Federdieses Autors. Im übrigen sind alle Figuren dieser Erzählung ausgezeichnet skizziert, besondersdie werten Eltern der jungen Ljuba, aber der junge Gonobobel und sein Freund Schilochwastowsind geniale Schöpfungen. 25 Diese Typen sind vielen aus der Wirklichkeit genugsambekannt, aber die Kunst hat sich ihrer hier zum erstenmal bedient und der ganzenWelt ihre angenehme Bekanntschaft vermittelt. Diese Erzählung gefällt nicht nur durch Einzelzügeund Details wie alle größeren Erzählungen des Herrn Dal; sie hält auch als Ganzes,als Erzählung, fast jeder Kritik stand. Wir sagen: fast, weil das für den Helden tragisch ausgehendeEreignis den Leser wie etwas Unerwartetes, Unverständliches berührt. Der Mann hatdie Frau sehr geliebt, hat viel für sie getan; sie hat ihn allem Anschein nach sehr geliebt; ihrverkommner Gatte stirbt; der Freund eilt, von Liebeshoffnungen beflügelt, ins Ausland, umsie aufzusuchen, und sieht sie mit einem anderen verheiratet. Die Sache ist die, daß der Autorseiner Erzählung nicht die Tönung hat geben wollen, die dem Leser einen solchen Ausgangals natürlich hätte erscheinen lassen können. Igriwy ist komisch schüchtern und verschämt –deshalb hat er denn auch zwei Halunken gestattet, ihm die Braut aus den Händen zu reißen.Während ihrer Leiden in der Ehe benahm er sich ihr gegenüber höchst delikat und edel, aber[536] durchaus nicht wie ein Liebhaber; dadurch verwandelte sich das verschüchterte undverängstigte Gefühl, das sie für ihn empfand, bald in Dankbarkeit, in Achtung, Bewunderungund schließlich Ehrfurcht; sie sah in ihm den Freund, den Bruder, den Vater, die verkörperteTugend und schon allein deswegen nicht den Geliebten. So wird der Ausgang ebenso verständlich,wie daß aus Igriwy für den ganzen Rest seines Lebens eine Art wirrer Narr wurde.In der „Lesebibliothek“ schleppten sich das vergangene Jahr hindurch die „Abenteuer ausdem Meere des Lebens“ von Herrn Weltman hin, die in der zweiten Nummer des laufendenJahrgangs ihr Ende gefunden haben. Da dieser Roman, scheint’s, im Jahre 1846 begonnenhat, hatten wir schon Gelegenheit, von ihm zu reden. 26 Deshalb wiederholen wir noch einmal,daß in diesem Werk Roman und Märchen, Unwahrscheinliches mit Wahrscheinlichem, Unmöglichesmit Möglichem vermengt sind. So beschafft sich z. B. Dmitrizki, der Held desRomans, die Dokumente und die Kleider eines Einfaltspinsels, eines Kaufmannssöhnchens,der ihm ausgerechnet sehr ähnlich sieht, und gibt sich bei dessen Vater als sein Sohn aus. Erspielt seine Rolle so geschickt, daß weder der Vater noch die Mutter, noch sonst jemand vonden Hausbewohnern auch nur einen Augenblick hinsichtlich der Identität des Usurpators mitdem echten Sohn Verdacht schöpft. Der Usurpator heiratet die reiche Braut, als er jedoch in25 Zweifellos hatte Belinski in den letzten Monaten seines Lebens Momente, wo ihn, im Zusammenhang mitseiner Krankheit, sein sonst so exaktes ästhetisches Urteil im Stich ließ. Nur in einem solcher Momente konnteer die Helden der mehr als mittelmäßigen Erzählung Dals als „geniale Schöpfungen“ bezeichnen. Das ist um sowahrscheinlicher, als Belinski den vorliegenden Aufsatz bereits nicht mehr selbst geschrieben, sondern im Bettliegend diktiert hat.26 Von dem Roman „Abenteuer aus dem Meere des Lebens...“ war bereits in Belinskis Aufsatz „Betrachtungenüber die russische Literatur des Jahres 1846“ die Rede, siehe S. 437-439 der vorliegenden Ausgabe.OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 317Figur ist. Vieles in dieser Erzählung läßt Unreife des Gedankens erkennen, scheint übertrieben,die Gestalt der Sadis ist etwas idealisiert; dennoch enthält die Erzählung so viel Wahres,so viel Herzenswärme und richtiges, wissendes Verständnis für die Wirklichkeit, so viel Originalität,daß sie sofort die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Besonders gutist in ihr der Charakter der Heldin durchgeführt; man sieht, daß der Autor die russische Fraugut kennt. Die zweite, in diesem Jahr veröffentlichte Erzählung des Herrn Drushinin bestätigtdie durch die erste Erzählung nahegelegte Meinung, daß wir es bei diesem Autor mit einemselbständigen Talent zu tun haben, und erlaubt, in Zukunft viel von ihm zu erwarten.Zu den beachtenswertesten Erzählungen des vergangenen Jahres gehört „Pawel AlexejewitschIgriwy“ von Herrn Dal („Ot. Sap.“). Karl Iwanytsdi Gonobobel und Rittmeister Schilochwastowgehören als Charaktere, als Typen zu den meisterhaftesten Skizzen aus der Federdieses Autors. Im übrigen sind alle Figuren dieser Erzählung ausgezeichnet skizziert, besondersdie werten Eltern der jungen Ljuba, aber der junge Gonobobel und sein Freund Schilochwastowsind geniale Schöpfungen. 25 Diese Typen sind vielen aus der Wirklichkeit genugsambekannt, aber die Kunst hat sich ihrer hier zum erstenmal bedient und der ganzenWelt ihre angenehme Bekanntschaft vermittelt. Diese Erzählung gefällt nicht nur durch Einzelzügeund Details wie alle größeren Erzählungen des Herrn Dal; sie hält auch als Ganzes,als Erzählung, fast jeder Kritik stand. Wir sagen: fast, weil das für den Helden tragisch ausgehendeEreignis den Leser wie etwas Unerwartetes, Unverständliches berührt. Der Mann hatdie Frau sehr geliebt, hat viel für sie getan; sie hat ihn allem Anschein nach sehr geliebt; ihrverkommner Gatte stirbt; der Freund eilt, von Liebeshoffnungen beflügelt, ins Ausland, umsie aufzusuchen, und sieht sie mit einem anderen verheiratet. Die Sache ist die, daß der Autorseiner Erzählung nicht die Tönung hat geben wollen, die dem Leser einen solchen Ausgangals natürlich hätte erscheinen lassen können. Igriwy ist komisch schüchtern und verschämt –deshalb hat er denn auch zwei Halunken gestattet, ihm die Braut aus den Händen zu reißen.Während ihrer Leiden in der Ehe benahm er sich ihr gegenüber höchst delikat und edel, aber[536] durchaus nicht wie ein Liebhaber; dadurch verwandelte sich das verschüchterte undverängstigte Gefühl, das sie für ihn empfand, bald in Dankbarkeit, in Achtung, Bewunderungund schließlich Ehrfurcht; sie sah in ihm den Freund, den Bruder, den Vater, die verkörperteTugend und schon allein deswegen nicht den Geliebten. So wird der Ausgang ebenso verständlich,wie daß aus Igriwy für den ganzen Rest seines Lebens eine Art wirrer Narr wurde.In der „Lesebibliothek“ schleppten sich das vergangene Jahr hindurch die „Abenteuer ausdem Meere des Lebens“ von Herrn Weltman hin, die in der zweiten Nummer des laufendenJahrgangs ihr Ende gefunden haben. Da dieser Roman, scheint’s, im Jahre 1846 begonnenhat, hatten wir schon Gelegenheit, von ihm zu reden. 26 Deshalb wiederholen wir noch einmal,daß in diesem Werk Roman und Märchen, Unwahrscheinliches mit Wahrscheinlichem, Unmöglichesmit Möglichem vermengt sind. So beschafft sich z. B. Dmitrizki, der Held desRomans, die Dokumente und die Kleider eines Einfaltspinsels, eines Kaufmannssöhnchens,der ihm ausgerechnet sehr ähnlich sieht, und gibt sich bei dessen Vater als sein Sohn aus. Erspielt seine Rolle so geschickt, daß weder der Vater noch die Mutter, noch sonst jemand vonden Hausbewohnern auch nur einen Augenblick hinsichtlich der Identität des Usurpators mitdem echten Sohn Verdacht schöpft. Der Usurpator heiratet die reiche Braut, als er jedoch in25 Zweifellos hatte Belinski in den letzten Monaten seines Lebens Momente, wo ihn, im Zusammenhang mitseiner Krankheit, sein sonst so exaktes ästhetisches Urteil im Stich ließ. Nur in einem solcher Momente konnteer die Helden der mehr als mittelmäßigen Erzählung Dals als „geniale Schöpfungen“ bezeichnen. Das ist um sowahrscheinlicher, als Belinski den vorliegenden Aufsatz bereits nicht mehr selbst geschrieben, sondern im Bettliegend diktiert hat.26 Von dem Roman „Abenteuer aus dem Meere des Lebens...“ war bereits in Belinskis Aufsatz „Betrachtungenüber die russische Literatur des Jahres 1846“ die Rede, siehe S. 437-439 der vorliegenden Ausgabe.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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