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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 314nießen; das Dargestellte zu kommentieren, zu beurteilen, moralische Lehren daraus zu ziehen,muß er seinen Lesern überlassen. Die Bilder Iskanders zeichnen sich nicht so sehr durchdie Treue der Zeichnung und die Feinheit des Pinselstrichs aus wie vielmehr durch ein tiefesWissen um die dargestellte Wirklichkeit, mehr durch tatsächliche als durch poetische Wahrheit,sie ziehen nicht so sehr durch einen poetischen Stil an wie durch eine Fülle von Geist,Gedanken, Humor und Witz, die stets durch ihre Originalität und Neuheit frappieren. DieHauptstärke von Herrn Gontscharows Talent liegt immer in der Eleganz und Feinheit derPinselführung und der Treue der Zeichnung; er wird unerwartet poetisch sogar bei der Darstellungvon Kleinigkeiten und Nebenumständen, wie z. B. bei der poetischen Beschreibungdes Vorgangs, wie die Werke des jungen Adujew im Kaminfeuer verbrennen. Im Talent Iskandersist die Poesie ein sekundärer Faktor, der Hauptfaktor dagegen das Denken; im Talentdes Herrn Gontscharow ist die Poesie der erste, der hauptsächliche und einzige Faktor...Ungeachtet des mißlungenen oder, besser gesagt, verdorbenen Epilogs bleibt der Roman desHerrn Gontscharow eines der bemerkenswertesten Werke der russischen Literatur. Zu seinenbesonderen Vorzügen gehört unter anderem eine saubere, exakte, beschwingte, frei dahinfließendeSprache. In dieser Hinsicht ist die Erzählungsweise des Herrn Gontscharow nicht dieeines gedruckten Buchs, sondern lebendige Improvisation. Manche Leute haben die ermüdendeLänge der Unterhaltungen zwischen Onkel und Neffe bemängelt. Für uns jedoch gehören dieseUnterhaltungen zu den besten Seiten des Romans. Sie enthalten nichts Abstraktes, nichts, wasnicht zur Sache gehörte; das sind nicht Dispute, sondern lebendige, leidenschaftliche, dramatischeAuseinandersetzungen, wo jede der handelnden Personen sich als Mensch und Charakteräußert und sozusagen seine moralische Existenz verteidigt. Gewiß hätte, besonders angesichtsdes leichten didaktischen Anflugs, der über dem Roman liegt, in Unterhaltungen dieser Artjedes beliebige Talent gar leicht zu Fall kommen können; um so mehr Ehre macht es HerrnGontscharow, daß er die an sich schwere Aufgabe so glücklich gelöst hat, und auch [531] dort,wo er so leicht in den Ton eines Räsonierers hätte verfallen können, Poet geblieben ist. 23Und jetzt werden wir uns mit den „Erzählungen eines Jägers“ von Herrn Turgenjew zu beschäftigenhaben. Das Talent des Herrn Turgenjew hat viel Analoges mit dem Talent Luganskis(des Herrn Dal). Die eigentliche Gattung des einen wie des anderen sind physiologischeSkizzen verschiedener Seiten des russischen Alltags und der einfachen russischen Menschen.Herr Turgenjew hat seine literarische Laufbahn mit lyrischer Poesie begonnen; unter seinenkleineren Gedichten gibt es drei, vier Stücke, die gar nicht übel sind, wie z. B. „Der alteGutsherr“, „Ballade“, „Fedja“, „Ein Mensch wie viele“, aber diese Stücke sind ihm gelungen,weil sie entweder überhaupt nichts Lyrisches enthalten oder weil die Hauptsache an ihnennicht das Lyrische ist, sondern die Dinge, die auf das russische Leben deuten. Die eigentlichlyrischen Gedichte des Herrn Turgenjew zeigen, daß es ihm ausgesprochen an selbständigemlyrischem Talent fehlt. Er hat einige Poeme geschrieben. Das erste von ihnen, „Parascha“,erregte beim Publikum bei seinem Erscheinen Aufmerksamkeit durch einen munteren Vers,eine vergnügliche Ironie, durch treffende Bilder der russischen Landschaft, hauptsächlichaber durch gelungene physiologische Skizzen des Gutsherrenlebens in allen Einzelheiten.Dauernden Erfolg jedoch konnte das Poem deshalb nicht erzielen, weil der Autor, als er esschrieb, durchaus nicht an eine physiologische Skizze gedacht, sondern sich um ein Poemvon jener Art bemüht hatte, für die er kein selbständiges Talent besitzt. Deshalb blitzen diebesten Züge dieses Poems irgendwie nur zufällig, unversehens auf. Danach schrieb er dasPoem „Ein Gespräch“; es hat klangvolle, starke Verse, zeigt viel Gefühl, Geist und Gedan-23 Belinski begriff den wahren Sinn der „Alltäglichen Geschichte“ Gontscharows sofort und deckte die tiefeBedeutung dieses Werks so hervorragend auf, weil er selbst mit seinen Freunden in den 30er Jahren durch Romantikund Schwärmerei hindurchgegangen war und in den 40er Jahren Überreste dieser Verirrungen bei denSlawophilen beobachtete.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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