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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 313nur einen selber befriedigt, sondern jeder Mensch kann nur nach seiner eignen Natur glücklichwerden. Pjotr Iwanytsch hatte sich schlau und fein ausgerechnet, daß er, ohne daß seineFrau es merkte, zum Herrn ihrer Vorstellungen, Überzeugungen und Neigungen werden undsie auf dem Lebenswege lenken müsse, jedoch so, daß sie selber und allein zu gehen glaubte;bei dieser Berechnung hatte er aber einen schwerwiegenden Fehler begangen: bei all seinerKlugheit hatte er sich nicht klargemacht, daß er dazu eine Frau hätte wählen müssen, dienichts von Leidenschaft wußte, kein Bedürfnis nach Liebe und Sympathie hatte, eine kühle,gutherzige, laue, am besten hohle und sogar ein bißchen dumme Frau. Eine solche würde eraber wieder vielleicht aus Eigenliebe nicht haben heiraten wollen; dann hätte er besser überhauptnicht heiraten sollen.Pjotr Iwanytsch ist vom Anfang bis zum Ende mit erstaunlicher Wahrheitstreue durchgeführt;den Helden des Romans erkennen wir jedoch im Epilog nicht wieder; er ist hier eine völligverlogene, unnatürliche Figur. Sich so gänzlich verändern hätte er nur dann können, wenn erein gewöhnlicher Schwätzer und Phrasendrescher gewesen wäre, der fremde Worte wiederholt,ohne sie zu verstehen, und sich fremde Empfindungen, Hochgefühle und Leiden zulegt,die er nie erlebt hat; der junge Adujew jedoch war zu seinem Unglück bei seinen Irrungenund Torheiten oft gar zu ehrlich. Er war von Natur romantisch veranlagt; solche Romantikerwerden nie zu praktischen Menschen. Der Autor wäre eher berechtigt [529] gewesen, seinenHelden in der ländlichen Wildnis apathisch und träge verkommen als ihn in Petersburg eineeinträgliche Stellung finden und eine reiche Mitgift erheiraten zu lassen. Noch besser undnatürlicher wäre es gewesen, aus ihm einen Mystiker, Fanatiker oder Sektierer zu machen,am besten und natürlichsten jedoch wäre es gewesen, ihn z. B. einen Slawophilen werden zulassen. Hierbei wäre Adujew seiner Natur treu geblieben, hätte sein altes Leben fortgesetztund sich dabei eingebildet, Gott weiß wie fortgeschritten zu sein, während er tatsächlich nurdie alten Banner seiner Schwärmereien auf neuem Boden aufgepflanzt hätte. Früher hatte ervon Ruhm, von Freundschaft und von Liebe geschwärmt, hier aber würde er von Völkern undStämmen schwärmen, davon, daß den Slawen die Liebe, den Teutonen dagegen der Haß zuteilgeworden sei, daß die Slawen zur Zeit Gostomysls die höchste, der ganzen Welt zumVorbild dienende Zivilisation besessen hätten, daß das moderne Rußland sich schnell auf einesolche Zivilisation zubewege, daß nur Blinde und durch kalten Verstand Verhärtete das nichtsehen, während jeder Sehende und durch Phantasie Aufgeschlossene es längst deutlich erkenne.So wäre der Held dann zum wahrhaft modernen Romantiker geworden, und niemandwäre auf den Gedanken gekommen, daß es Leute dieses Schlages heute nicht mehr gebe.Der Ausklang, den der Autor seinem Roman gegeben hat, verdirbt den Eindruck dieses ganzenprächtigen Werks, weil er unnatürlich und verlogen ist. Gelungen sind im Epilog nurPjotr Iwanytsch und Lisaweta Alexandrowna, und das bis zum Schluß; was den Helden desRomans angeht, so liest man den Epilog besser gar nicht... Wie konnte einem so bedeutendenTalent ein solcher Fehler unterlaufen? Oder ist er seines Stoffs nicht ganz Herr gewesen?Davon ist keine Rede! Der Autor hat dem Wunsch nachgegeben, seine Kräfte auf einem ihmfremden Felde zu versuchen – auf dem Felde des bewußten Denkens –‚ und hat damit aufgehört,Dichter zu sein. Hier zeigt sich am klarsten der Unterschied zwischen seinem Talent unddem Talent Iskanders: dieser hat es verstanden, sich auch in der Sphäre einer seinem Talentfremden Wirklichkeit kraft seines Denkens aus der Affäre zu ziehen; der Autor der „AlltäglichenGeschichte“ hat einen schwerwiegenden Fehler eben deshalb begangen, weil er sich füreinen Augenblick der Führung seines unmittelbaren Talents entzog. Bei Iskander steht derGedanke stets vornean, er weiß im voraus, was und wozu er schreibt; [530] er gibt mit erstaunlicherTreue eine Szene der Wirklichkeit nur dazu wieder, um seine Meinung über sie zusagen, ein Urteil zu fällen. Herr Gontscharow zeichnet seine Figuren, Charaktere und Szenenvor allem dazu, um ein eignes Bedürfnis zu befriedigen und seine Zeichenbegabung zu ge-OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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