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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 307delt immer im Einklang mit seiner Fähigkeit [518] zu tiefem und starkem Gefühl. Es kommtauch vor, daß manch einer um so gefühlloser lebt, je gefühlvoller er sich gibt: er schluchztüber Gedichten, bei Musik, wenn er in einem Roman oder einer Erzählung menschlichesElend lebendig dargestellt findet – und geht gleichgültig an wirklichem Leid vorüber, dassich vor seinen Augen abspielt. Manch ein Gutsverwalter deutscher Herkunft liest seinemMinchen mit Tränen der Begeisterung in den Augen irgendeine begeisterte Botschaft Schillersan Laura vor und geht dann nach dem letzten Vers mit nicht geringerem Vergnügen daran,ein paar Bäuerlein dafür auszupeitschen, daß sie es gewagt haben, ihrem gnädigen Herrnschüchterne Andeutungen darüber zu machen, daß sie nicht ganz zufrieden sind mit der väterlichenFürsorge des Verwalters für ihr Wohlergehen, von der er allein immer fetter wird, siedagegen immer magerer werden. – Die Verse unsres Romantikers sind glatt, blendend undzeigen sogar eine gewisse poetische Bearbeitung; obwohl sie reichlich von Rhetorik triefen,blickt in ihnen stellenweise Gefühl durch und blitzt manchmal sogar ein Gedanke (als Abglanzeines fremden Gedankens) auf – kurz, man spürt so etwas wie Talent. Seine Verse erscheinenin Zeitschriften, viele loben sie; und wenn er mit ihnen in einer Übergangszeit derLiteratur hervortritt, kann er es sogar zu ziemlicher Berühmtheit bringen. Aber die Übergangsperiodender Literatur sind für solche Poeten auch besonders verhängnisvoll: ihre inkurzer Zeit durch irgendein Etwas erworbene Berühmtheit wird in ebenso kurzer Zeit einfachwieder durch ein Nichts ausgelöscht; zuerst hört man auf, ihre Verse zu loben, dann sie zulesen und schließlich auch, sie zu drucken. Dem jungen Adujew allerdings gelang es nichteinmal, sich auch nur für einen Augenblick falscher Berühmtheit zu erfreuen: daran hindertenihn sowohl die Zeit, zu der er mit seinen Versen hervortrat, als auch sein kluger, offenherzigerOnkel. Sein Unglück war nicht, daß er unbegabt war, sondern daß er anstatt Talent nurein halbes Talent besaß, was beim Dichten schlimmer ist als Unbegabtheit, weil es dem Menschenfalsche Hoffnungen erweckt. Man erinnert sich, wie schwer ihm der enttäuschte Verzichtauf seine poetische Berufung fiel...Auch die Freundschaft kommt dem Romantiker teuer zu stehen. Um echt zu sein, muß jedesGefühl zuerst einmal natürlich und einfach sein. Es sind manchmal ähnliche, manchmal gegensätzlicheNaturen, die Freundschaft schließen, jedenfalls ist aber Freundschaft [519] einungewolltes, eben weil freies Gefühl; es wird vom Herzen gelenkt und nicht vom Verstandoder Willen. Einen Freund kann man nicht mal suchen, wie man einen Bauunternehmer anstellt,einen Freund kann man nicht wählen: zu Freunden wird man zufällig und ohne daßman es merkt; Gewohnheit und Lebensumstände befestigen die Freundschaft. Wahre Freundegeben der Sympathie, die sie verbindet, keinen Namen, quatschen nicht beständig über sie,fordern nichts voneinander im Namen der Freundschaft, sondern tun füreinander alles, wassie können. Es hat Beispiele gegeben, wo ein Freund den Tod seines Freundes nicht ertrugund kurz nach ihm starb; ein anderer wird durch den Verlust seines Freundes aus einem fröhlichenMenschen fürs ganze Leben zum Melancholiker, während ein dritter trauert, sichgrämt und sich schließlich tröstet, aber wenn er für immer eine zugleich traurige und freundlicheErinnerung bewahrt – dann war er ein wahrer Freund des Verstorbenen, obwohl er überden Verlust nicht nur weder selbst gestorben ist noch den Verstand verloren hat oder zumMelancholiker geworden ist, sondern sogar die Kraft gefunden hat, auch ohne den Freund imLeben ziemlich glücklich zu sein. Grad und Charakter der Freundschaft hängen von der Persönlichkeitder Freunde ab; die Hauptsache ist hier, daß es in den Beziehungen nichts Gekünsteltes,Gewaltsames, Exaltiertes gibt, nichts, was nach Pflicht und Muß aussieht, andernfallsist manch einer zu Gott weiß welcher Selbstaufopferung für den Freund bereit, nur um sichund manchmal auch anderen sagen zu können: „So bin ich als Freund!“ oder: „Seht, zu wasfür einer Freundschaft ich fähig bin!“ Grade diese Art von Freundschaft vergöttern die Romantiker.Ihre Freundschaft läuft nach einem vorher aufgestellten Programm ab, in dem Wesen,Rechte und Pflichten der Freundschaft exakt definiert sind: es fehlt nur, daß sie mit ihrenOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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