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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 299erwarten. Selbst diese schlimme Erfahrung nimmt ihrem starren Verstand nicht die dickeEiskruste und bringt sie nicht dazu, endlich einzusehen, daß das menschliche Herz nach seineneigenen Gesetzen handelt und keine anderen anerkennen will und kann, daß Liebe ausPflicht und Schuldigkeit ein der menschlichen Natur widerstrebendes, unnatürliches, ausgedachtesGefühl ist, das es nicht geben kann und das es nie gegeben hat, daß Liebe nur aufLiebe antwortet, daß man Liebe nicht als etwas fordern kann, was einem von Rechts wegenzukommt, daß man jede Liebe gewinnen, verdienen muß, um wen es sich auch handle, mages die Liebe eines über oder eines unter uns Stehenden, die Liebe des Vaters zum Sohn oderdie Liebe des Sohns zum Vater sein. Man sehe sich die Kinder an: es kommt oft vor, daß einKind völlig gleichgültig auf seine Mutter blickt, obwohl sie ihm doch die Brust gibt, aber einschreckliches Gezeter anhebt, wenn es beim Erwachen nicht sofort sein Kindermädchen erblickt,das es ständig um sich zu sehen gewöhnt ist. Hier sieht man: das Kind – dieser vollkommeneAusdruck der Natur – schenkt seine Liebe dem, der ihm seine Liebe in der Tat beweist,der seinetwegen auf jedes Vergnügen verzichtet und sich wie mit einer eisernen Kettean sein bemitleidenswertes, schwaches Dasein kettet.Humanität steht durchaus nicht im Gegensatz zur Achtung der hohen gesellschaftlichen Stellungoder des Ranges; aber sie steht entschieden im Gegensatz zur Verachtung irgendeinesMenschen, wer er auch sei, Tunichtgute und Halunken ausgenommen. Sie erkennt gerne dengesellschaftlichen Vorrang eines Menschen an; sie betrachtet ihn jedoch nicht nur von deräußeren, sondern mehr von der inneren Seite. Die Humanität verlangt nicht nur nicht, daßman einen Menschen niederen Standes, von groben Manieren und Gewohnheiten, mit für ihnungewohnten Höflichkeitsbeweisen überschüttet, sondern verbietet es sogar, weil eine solcheBehandlung diesen Menschen in eine peinliche Lage versetzen und ihn auf die Vermutungbringen würde, es geschehe zum Spott oder aus böser Absicht. Ein humaner Mensch geht miteinem unter ihm stehenden, [505] roh entwickelten Menschen mit einer Art von Höflichkeitum, die jenem nicht sonderbar oder nicht geheuer erscheinen kann, aber er läßt jenen auchnicht vor ihm seine Menschenwürde aufgeben – erlaubt ihm nicht, sich bis zur Erde vor ihmzu verneigen, nennt ihn nicht einfach Wanjka oder Wanjucha oder dergleichen, wie man seineHunde ruft, wird ihn nicht, zum Zeichen großmütiger Wohlgewogenheit, leicht am Bartzupfen, so daß jener, häßlich grinsend, ihm unterwürfig zur Antwort gibt: „Wofür geruhenSie, mir geneigt zu sein? ...“ Das Gefühl der Humanität wird gekränkt, wenn ein Mensch ineinem anderen die Menschenwürde mißachtet, aber noch mehr wird es gekränkt und leidet es,wenn ein Mensch in sich selbst die eigene Würde nicht achtet.Dieses Gefühl der Humanität ist es, was sozusagen die Seele der Schöpfungen Iskanders ausmacht.Er ist ein Prediger, ein Advokat der Humanität. Die von ihm auf die Bühne gebrachtenPersonen sind keine bösen, sind sogar größtenteils gute Menschen, die sich selbst und anderehäufiger mit guten als mit schlechten Absichten, mehr aus Unwissenheit als aus Bosheit quälenund verfolgen. Selbst jene seiner Personen, die durch die Niedrigkeit ihrer Gefühle und die Widerlichkeitihrer Handlungen abstoßend wirken, werden von dem Autor mehr als Opfer dereignen Ignoranz und jenes Milieus dargestellt, in dem sie leben, denn als Produkte einer bösenNatur. Er schildert Verbrechen, die nicht in den Geltungsbereich der Gesetze fallen und von derMehrheit als verständige, moralische Handlungen betrachtet werden. Bösewichte gibt es beiihm wenige: in den drei bisher gedruckten Erzählungen zeigt einzig „Die diebische Elster“ einenBösewicht, und auch er ist einer, wie ihn heutzutage viele für den tugendhaftesten und moralischstenMenschen zu halten bereit sind. Iskanders Hauptwaffe, die er mit so erstaunlicherMeisterschaft handhabt, ist die Ironie, die sich nicht selten bis zum Sarkasmus steigert, aberhäufiger einen leichten graziösen, ungewöhnlich gutmütigen Humor offenbart: man erinneresich an den guten Postmeister, der Frau Beltow zweimal beinahe umbrachte, das erstemal durcheine Trauer, das zweitemal durch eine Freudenbotschaft, und sich so gutmütig die Hände rieb,OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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