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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 296ebenso wie Beltow, der eigentliche Held, uns die am wenigsten gelungene Figur des ganzenRomans zu sein scheint. Als Kruziferski um Ljubas Hand angehalten hatte, sagte DoktorKrupow zu ihm: „Die paßt nicht zu dir, diese Braut, kannst sagen, was du willst – diese Augen,diese Hautfarbe, dieses Beben, das ihr manchmal übers Gesicht huscht – sie ist eine jungeTigerin, die ihre Kräfte noch nicht kennt, und du, was bist du denn? Du bist die Braut; du,mein Junge, bist die Fremde; du wirst die Frau sein – nu, kann das gut gehen?" In diesenWorten schürzt sich der Knoten des Romans, der nach der Absicht des Autors mit der Hochzeiterst anfangen sollte, statt mit ihr zu enden. Nachdem der Autor uns mit Beltow bekanntgemacht hat, führt er uns in das friedliche Heim des jungen Paars, das schon vier Jahre langein stilles Familienglück genießt – aber in Erinnerung an die düstere Voraussage des Orakelsin der Gestalt des skeptischen Doktors erwartet der Leser unwillkürlich, daß der Autor ihmgrade im Bild des Familienglücks des Kruziferski den Keim und den Beginn des künftigenUnglücks zeigen wird. Kruziferski spielte in dieser Ehe tatsächlich die Rolle der Frau. SeineGattin stand zu sehr über ihm und paßte deshalb zu wenig zu ihm. Natürlich war er mit ihrvollkommen glücklich, aber es war nicht so natürlich, daß auch sie still glücklich war, daß siekeine unruhigen Träume hatte, nicht unvermittelt nachdenklich wurde. Sie konnte ihrenMann achten und sogar lieben als ein kindlich sauberes und edles Wesen, zudem weil er sieder Hölle des Elternhauses entrissen hatte; aber konnte eine solche Liebe eine solche Fraubefriedigen, konnte sie jene Ansprüche, jenen Drang ihrer Natur erfüllen, der um so quälenderwar, je mehr er unbestimmt und unbewußt bleibt? Die Bekanntschaft mit Beltow, die sichbald in Liebe verwandelte, mußte ihr die Augen über ihre Lage öffnen und ihr zum Bewußtseinbringen, daß sie mit einem Mann wie Kruziferski nicht glücklich sein konnte. Das zeigtuns der Autor jedoch nicht.Der Grundgedanke war ausgezeichnet und voller tiefer, tragischer Bedeutung. Er war es auch,der die Mehrzahl der Leser fesselte und sie daran hinderte, zu bemerken, daß die ganze Geschichteder tragischen Liebe zwischen Beltow und Kruziferskaja klug, sehr klug, sogar geschickt,dafür jedoch nicht im geringsten künstlerisch erzählt ist. [500] Es ist eine meisterhafteErzählung, hat aber auch nicht die Spur eines lebendigen poetischen Bildes an sich. DerGrundgedanke hat den Autor gerettet und ihm über den Berg geholfen; er hat die Situationseiner Helden verstandesmäßig richtig aufgefaßt, hat sie jedoch nur als kluger Mensch, derden Fall gut begreift, wiedergegeben, aber nicht als Dichter. So kann manchmal ein begabterSchauspieler, der eine Rolle übernommen hat, für die er nicht die Mittel und das Talent besitzt,diese Rolle dennoch nicht verderben, wird sie aber nur klug und geschickt zur Darstellungbringen, statt sie auszuspielen. Der Gedanke der Rolle geht nicht verloren, und der tragischeSinn des Stückes macht den Mangel in der Darstellung der Hauptrolle wett – und derZuschauer kommt nicht gleich darauf, daß er nur gefesselt, aber durchaus nicht befriedigt war.Das wird unter anderem auch dadurch bewiesen, daß der Autor den Charakter Beltows in derzweiten Hälfte des Romans willkürlich verändert hat. Zu Beginn sehen wir Beltow als Menschen,der nach einer nützlichen Betätigung dürstet, sie aber, infolge der falschen Erziehung,die ihm der edle Genfer Schwärmer gegeben hatte, nirgends hat finden können. Beltow wußteviel und hatte über alles allgemeine Vorstellungen, kannte aber ganz und gar nicht das gesellschaftlicheMilieu, in dem er sich allein mit Nutzen hätte betätigen können. Das alles sagt unsder Autor nicht nur, sondern zeigt es auch meisterhaft. Wir sind der Meinung, daß der Autordabei auch noch leichthin auf die Natur seines Helden hätte hinweisen sollen, die durchausnicht praktisch und außer durch die Erziehung auch noch durch seinen Reichtum gründlichverdorben war. Wer reich geboren ist, muß von der Natur eine besondere Berufung zu irgendeinerTätigkeit mitbekommen haben, wenn er nicht müßig dahinleben und sich aus Nichtstunlangweilen soll. Von einer solchen Berufung ist in der Natur Beltows ganz und gar nichts zuspüren. Seine Natur war außerordentlich reich und vielseitig, aber nichts von diesem ReichtumOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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