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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 290pien niemanden an die Originale erinnern, und die Ideen und Tendenzen werden rhetorischeGemeinplätze bleiben. 18 [489] Es kann jetzt also nur das eine oder das andere geben: entwedersind die Bilder mancher Seiten des Lebens der Gesellschaft, wie sie uns von den Schriftstellernder Naturalen Schule vorgeführt werden, innerlich wahr und wirklichkeitsgetreu,dann sind sie Früchte des Talents und tragen den Stempel der Schöpfung; oder das ist nichtder Fall, dann können sie niemanden begeistern und überzeugen, und niemand wird in ihnenauch nur die geringste Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit entdecken. Eben dies behaupten vonihnen die Gegner dieser Schule; aber da erhebt sich die Frage: woher kommt es, daß dieseWerke einerseits bei der Mehrheit des lesenden Publikums so erfolgreich sind und andrerseitsdie Eigenschaft haben, die Gegner der Naturalen Schule so heftig zu reizen? Bekanntlich genießtdoch nur die goldene Mittelmäßigkeit das beneidenswerte Privileg, niemanden zu reizenund keine Feinde und Gegner zu haben.Die einen haben gesagt, die Naturale Schule verleumde die Gesellschaft und setze sie absichtlichherab; andere fügen jetzt hinzu, sie habe sich in dieser Hinsicht besonders am einfachenVolk vergangen. Diese Beschuldigung bildet bei den Lästerern der Naturalen Schule irgendwieeinen merkwürdigen Widerspruch: die einen werfen ihr – von einem spießeraristokratischenStandpunkt aus, der des berühmten Herrn Jourdain bei Molière würdig wäre –überflüssige Sympathien für die Leute niederen Standes vor, die anderen versteckte Feindschaft.Wir hatten schon Gelegenheit, diese Beschuldigung allseitig und ausführlich zu widerlegenund ihre Unhaltbarkeit und Böswilligkeit zu beweisen 19 , so daß wir hierüber nichts Neueszu sagen haben, solange unsere Gönner sich nicht irgend etwas Neues ausdenken, um diesesie so besonders ehrende Beschuldigung zu bekräftigen. Wir wollen deshalb nur ein paar Worteüber eine andere Beschuldigung sagen. Die einen behaupten (und diesmal sehr zu Recht),die Naturale Schule sei von Gogol begründet worden; die anderen sind hiermit teilweise einverstanden,fügen aber hinzu, die „rasende“ Literatur Frankreichs (die bereits vor zehn Jahrenselig entschlafen ist) habe noch größeren Anteil an der Entstehung der Naturalen Schule gehabtals Gogol. Eine derartige Beschuldigung ist ganz besonders töricht: alle Tatsachen sprechenentschieden gegen sie. Wenn wir ihren Stammbaum betrachten, finden wir, daß sie ihrenUrsprung entweder jenen anstößigen Ursachen verdankt, über die zu reden der Anstand verbietet,oder einer völligen Verständnislosigkeit für literarische Dinge. Das [490] letztere istwahrscheinlicher. Obwohl diese Herren sich für die Kunst ereifern, hindert sie das nicht daran,nicht die geringste Ahnung von ihr zu haben. Welche Werke der französischen Literatur sindbei uns, aus Gott weiß welchem Grunde, der „rasenden“ Schule zugerechnet worden? Die erstenRomane Hugos (und insbesondere seine berühmte „Notre-Dame de Paris“), Eugène Sue,Dumas, „Der tote Esel und die guillotinierte Frau“ von Jules Janin. Nicht wahr? Aber wer erinnertsich ihrer heute noch, wo doch ihre Autoren selber längst eine neue Richtung eingeschlagenhaben? Und was bildete das Hauptkennzeichen dieser Werke, die im übrigen auchgewisse Vorzüge aufzuweisen hatten? – Die Übertreibung, das Melodramatische, der Knalleffekt.Repräsentant dieser Richtung war bei uns einzig Marlinski, und der Einfluß Gogols hatmit ihr entschieden aufgeräumt. Was hat sie also mit der Naturalen Schule zu tun? Heute gibtes Werke dieser Richtung nicht einmal in seltenen Ansätzen, ausgenommen höchstens dieDramen mit spanischen Leidenschaften, die das Stammpublikum des Alexandertheaters inEntzücken versetzen. Und wenn mittelmäßige, talentlose Autoren manchmal, und auch dassehr selten, versuchen, Erfolg herauszuschlagen, indem sie französische Romane imitieren,18 In den 30er Jahren war Belinski Anhänger der „reinen Kunst“, in den 40er Jahren dagegen weist er der Kunstlediglich eine dienende Rolle zu. Im vorliegenden Aufsatz kommt die Kunstauffassung zum Ausdruck, zu derBelinski gegen Ende seines Lebens gelangt war.19 Belinski meint hier seinen Aufsatz „Antwort an den ‚Moskwitjanin‘“, der im Jahre 1847 im „Sowremennik“erschienen war.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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