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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 288land hin und wieder etwas gedruckt finden konnte; in Deutschland steht dieser Roman in ungeheuremAnsehen, Berge von Aufsätzen und ganze Bücher sind dort über ihn geschriebenworden. Wir wissen nicht, wieweit er dem russischen Publikum gefallen hat, ja, ob er ihmüberhaupt gefallen hat: unsere Aufgabe war es, das Publikum mit dem hervorragenden Werkdes großen Dichters bekannt zu machen. Wir glauben sogar, daß dieser Roman bei unseremPublikum eher Erstaunen erregt als Beifall gefunden hat. Hier gibt es wirklich allerlei, worüberman sich wundern kann! Ein Mädchen kopiert die Abrechnungen der Gutsverwaltung;der Held des Romans bemerkt, daß in diesen Kopien ihre Handschrift je länger, je mehr derseinen ähnlich wird. „Du liebst mich!“ – ruft er, sie in seine Arme schließend. Wir wiederholen:dieser Zug muß [486] nicht nur unserem, sondern auch jedem anderen Publikum sonderbarerscheinen. Aber für die Deutschen ist es durchaus nicht sonderbar, weil dies ein richtigbeobachteter Zug des deutschen Lebens ist. Von solchen eigenartigen Zügen gibt es in diesemRoman mehr als genug; manch einer mag vielleicht auch den ganzen Roman nur fürsolch einen deutschen Charakterzug halten... Bedeutet das nicht, daß Goethes Roman so sehrunter dem Einfluß des deutschen Gesellschaftslebens geschrieben ist, daß er außerhalbDeutschlands als etwas seltsam Ungewöhnliches wirkt? 16 Goethes „Faust“ dagegen wirktnatürlich überall als gewaltige Schöpfung. Auf ihn weist man besonders gern als auf ein Musterbeispielder reinen Kunst hin, die lediglich ihren eigenen, ihr allein eigentümlichen Gesetzenunterworfen ist. Und dennoch ist auch der „Faust“ – die verehrten Ritter der reinen Kunstmögen es mir nicht übelnehmen – der vollendete Ausdruck des ganzen Lebens der deutschenGesellschaft seiner Zeit. In ihm ist die gesamte philosophische Bewegung Deutschlands vomEnde des vorigen und vom Beginn des jetzigen Jahrhunderts zum Ausdruck gekommen.Nicht umsonst haben die Anhänger Hegels in ihren Vorlesungen und philosophischen Traktatenständig aus dem „Faust“ zitiert. Nicht umsonst ist Goethe im zweiten Teil des „Faust“ständig in Allegorien verfallen, die infolge ihres abstrakten Ideeninhalts oft dunkel und unverständlichsind. Wo bleibt da die reine Kunst?Wir haben gesehen, daß auch die griechische Kunst dem Ideal der sogenannten reinen Kunstnur nähergekommen ist als irgendeine andere, es jedoch nicht restlos verwirklicht hat; wasgar die neueste Kunst betrifft, so ist sie diesem Ideal stets ferngeblieben und hat sich gegenwärtignoch weiter von ihm entfernt; aber eben das macht ihre Stärke aus. Das eigentlichkünstlerische Interesse mußte unvermeidlich anderen, für die Menschheit wichtigeren InteressenPlatz machen, und die Kunst übernahm die edle Aufgabe, diesen Interessen als ihrOrgan zu dienen. Dadurch hat sie aber nicht im geringsten aufgehört, Kunst zu sein, sondernnur einen neuen Charakter erhalten. Der Kunst das Recht nehmen, den Interessen der Gesellschaftzu dienen, heißt nicht, sie erhöhen, sondern sie erniedrigen, denn es bedeutet, daß manihr die lebendigste Kraft, d. h. den Gedanken, raubt und sie zum Gegenstand eines sybaritischen[schlemmernden] Genusses, zum Spielzeug für faule Müßiggänger macht. Ja, es bedeutetihren Tod, wofür die klägliche Lage der Malerei unserer Zeit als Beweis dienen kann. Alssehe sie nichts von dem ringsherum brodeln-[487]den Leben, verschließt diese Kunst ihreAugen vor allem Lebendigen, Zeitgenössischen, vor der Wirklichkeit und sucht Begeisterungin einer überlebten Vergangenheit, entnimmt ihr fertige Ideale, für die die Leute längst jedesGefühl verloren haben, die niemanden mehr interessieren, niemanden erwärmen, bei niemandemlebendige Sympathien hervorrufen.Plato hielt die Anwendung der Geometrie auf das Handwerk für eine Erniedrigung und eineProfanation der Wissenschaft. Das ist verständlich bei diesem ekstatischen Idealisten undRomantiker, dem Bürger einer kleinen Republik, deren öffentliches Leben so einfach und un-16 Die Übersetzung von Goethes „Wahlverwandtschaften“ erschien im Jahre 1847 im „Sowremennik“ unter demTitel „Ottilie“.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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