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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 286geschrieben. Ein Niedergang der Kunst als Folge des Einflusses moderner sozialer Problemehätte eher bei Talenten niederen Grades in Erscheinung treten können, aber auch hier äußerter sich nur in der Unfähigkeit, das Bestehende vom Niedagewesenen, das Mögliche vomUnmöglichen zu unterscheiden, und vor allem in der leidenschaftlichen Vorliebe für das Melodrama,für gekünstelte Effekte. Was ist besonders gut in den Romanen Eugène Sues? – diewahrheitsgetreuen Bilder aus dem Leben der modernen Gesellschaft, in denen der Einfluß dermodernen Probleme besonders zum Vorschein kommt. Und was macht ihre schwache Seiteaus, was verdirbt sie derart, daß man jede Lust am Lesen verliert? – die Übertreibungen, dasMelodrama, die Effekthascherei, die unmöglichen Charaktere von der Art des Prinzen Rodolphe14 – mit einem Wort alles Verlogene, Unnatürliche –aber alles das ist nicht das Produktdes Einflusses der modernen Probleme, sondern eines Mangels an Talent, das immer nur fürDetails und nie für das ganze Werk ausreicht. Auf der anderen Seite können wir auf die Romanevon Dickens verweisen, die so tief durchtränkt sind von den intimsten Tendenzgefühlenunserer Zeit, was sie nicht im geringsten daran hindert, ausgezeichnete Kunstwerke zu sein.Wir haben gesagt, daß es eine reine, losgelöste, bedingungslose oder, wie unsere Philosophensagen, absolute Kunst nie und nirgends [483] gegeben hat. Wenn man etwas dieser Art alsmöglich annehmen kann, so höchstens bei den Kunstwerken jener Epochen, in denen dieKunst als Hauptinteresse ausschließlich die gebildetste Schicht der Gesellschaft beschäftigte.Hierher gehören z. B. die Gemälde der italienischen Schulen des 16. Jahrhunderts. Ihr Inhaltist dem Anschein nach vorwiegend religiös; aber das ist fast immer eine Vorspiegelung, tatsächlichbildet den Gegenstand dieser Malerei die Schönheit als Schönheit, und zwar mehr implastischen und klassischen als im romantischen Sinne des Wortes. Nehmen wir z. B. die MadonnaRaffaels, dieses chef-d’œuvre [Glanzstück] der italienischen Malerei des 16. Jahrhunderts.Wer erinnert sich nicht an den Aufsatz Shukowskis über dieses göttliche Werk, wer hatsich nicht von klein auf seine Vorstellung von diesem Bild nach diesem Aufsatz gebildet? Werwar infolgedessen nicht felsenfest davon überzeugt, daß es ein romantisches Werk parexcellence sei, daß das Antlitz der Madonna das höchste Ideal jener überirdischen Schönheitausdrücke, deren Geheimnis sich nur der inneren Schau öffnet, und auch das nur in den seltenenAugenblicken reiner, entrückter Inspiration? ... Der Autor des vorliegenden Aufsatzes hatdieses Gemälde kürzlich gesehen. Da er kein Kenner der Malerei ist, würde er sich nicht erlauben,über dieses herrliche Gemälde mit dem Zweck zu reden, seine Bedeutung und denGrad seines Wertes zu bestimmen; da es sich hier jedoch nur um seinen persönlichen Eindruckund um den romantischen oder nichtromantischen Charakter des Gemäldes handelt, glaubt ersich zu dieser Frage einige Worte erlauben zu dürfen. Den Aufsatz Shukowskis hat er schonlange, vielleicht seit mehr als zehn Jahren nicht wieder gelesen, da er ihn jedoch vor dieserZeit immer von neuem mit der ganzen leidenschaftlichen Hingerissenheit und dem ganzenGlauben der Jugend gelesen und ihn fast auswendig gekannt hat – so trat er auch an das berühmteGemälde mit der Erwartung eines bereits bekannten Eindrucks heran. Er betrachtete eslange, verließ es, wandte sich anderen Bildern zu und kehrte wieder zu ihm zurück. So weniger sich auch in der Malerei auskennt, war sein erster Eindruck doch entschieden und bestimmtin einer Hinsicht: er spürte sofort, daß es nach diesem Bilde schwer war, die Vorzüge andererBilder zu verstehen und sich für sie zu interessieren. Zweimal war er in der Dresdner Galerieund sah beide Male nur dieses Gemälde, selbst dann, wenn er andere Bilder betrachtete undwenn er überhaupt nichts ansah. Und auch jetzt noch steht das Bild, wenn er sich [484] seinererinnert, buchstäblich vor seinen Augen, und das Erinnerungsbild ersetzt fast das wirkliche.Aber je länger und aufmerksamer er das Bild betrachtete, je mehr er damals und später darübernachdachte, desto mehr kam er zu der Überzeugung, daß die Madonna Raffaels und jene Madonna,die Shukowski als die Raffaelsche beschrieben hat, zwei völlig verschiedene Gemälde14 „Prinz Rodolphe“ – der Hauptheld der „Geheimnisse von Paris“ Eugène Sues.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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