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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 285auch das Organ nicht dieser oder jener, vielleicht zu einem Eintagsdasein verurteilten, spurloswieder verschwindenden Partei oder Sekte sein, sondern das Organ der verborgenen Gedankenund Wünsche der ganzen Gesellschaft und ihrer ihr vielleicht selbst noch nicht klaren[481] Bestrebungen. Mit anderen Worten: der Dichter muß nicht das Einzelne und Zufälligezum Ausdruck bringen, sondern das Allgemeine und Notwendige, das seiner ganzen Epochedie Farbe und den Sinn gibt. Wie soll er nun in dem Chaos widerspruchsvoller Meinungen undBestrebungen herausfinden, welche von ihnen wirklich den Geist seiner Epoche ausdrückt?Der einzig zuverlässige Wegweiser kann in diesem Fall vor allem sein Instinkt, das dumpfe,unbewußte Gefühl sein, das häufig die ganze Stärke genialer Naturen ausmacht: Es hat denAnschein, als ginge das Genie auf gut Glück vorwärts, ohne auf die allgemeingültige Meinungzu achten, allen anerkannten Begriffen und dem gesunden Menschenverstand zum Trotz –dabei geht es aber gradenwegs auf das richtige Ziel zu, und bald gehen sogar jene, die am lautestenihre Stimme gegen es erhoben haben, ob sie wollen oder nicht, hinter ihm drein undbegreifen gar nicht mehr, wie man einen anderen Weg hätte gehen können. Das ist der Grund,warum manch ein Poet nur so lange eine starke Wirkung ausübt und eine ganze Literatur ineine neue Richtung lenkt, als er einfach, instinktiv, unbewußt den Einflüsterungen seines Talentsfolgt; und er braucht nur anzufangen zu grübeln und sich aufs Philosophieren einzulassen– und siehe da, schon ist er gestolpert, und noch dazu wie! ... Und der Recke verliert plötzlichseine Kraft, genau wie Simson, als man ihn des Haars beraubt hatte, und er, der eben nochallen vorangeschritten war, schleppt sich jetzt in den hinteren Reihen der <strong>Zur</strong>ückgebliebenendahin, in dem Haufen seiner ehemaligen Gegner und jetzigen neuen Verbündeten, und wirftsich mit ihnen zusammen in Harnisch gegen seine eigene Sache, aber schon zu spät: nichtdurch seinen Willen ist sie zustande gekommen, und nicht durch seinen Willen wird sie zuFall kommen, sie steht höher, als er selbst jetzt steht... Es ist nicht nur schmerzlich und kläglich,es macht auch einen komischen Eindruck, wenn man einen begabten Dichter sieht, dereinen schlechten Räsonierer aus sich zu machen versucht. 13In der heutigen Zeit sind Kunst und Literatur mehr als je zuvor zum Ausdruck der gesellschaftlichenProbleme geworden, weil heutzutage diese Probleme allgemeinere Bedeutungbekommen haben, deutlicher, für jedermann zugänglicher und interessanter geworden und andie Spitze aller anderen Probleme getreten sind. Das mußte natürlich die allgemeine Richtungder Kunst zu ihrem Schaden ändern. So setzen jetzt selbst die genialsten Dichter, indem siesich für die Lösung gesellschaftlicher Probleme begeistern, manchmal das [482] Publikummit Werken in Erstaunen, deren künstlerischer Wert ihrem Talent nicht im geringsten entsprichtoder wenigstens nur in Details zum Vorschein kommt, während das Werk als Ganzesschwach, zu breit, matt und langweilig ist. Man erinnere sich an die Romane von GeorgeSand: „Le meunier d’Angibault“, „Le péché de Monsieur Antoine“, „Isidora“. Doch auchhier kam das Unglück nicht durch den Einfluß der modernen gesellschaftlichen Problemezustande, sondern dadurch, daß der Autor die existierende Wirklichkeit durch eine Utopieersetzen wollte und infolgedessen seine Kunst zwang, eine Welt darzustellen, die nur in seinerPhantasie existierte. Deswegen hat er neben möglichen Charakteren und jedermann bekanntenPersonen phantastische Charaktere und nie dagewesene Personen auftreten lassen,und der Roman ist zum halben Märchen geworden, Unnatürlichkeiten überdecken das Natürliche,die Poesie ist mit Rhetorik durchsetzt. Das gibt jedoch noch keinen Anlaß, über einenVerfall der Kunst zu jammern: die gleiche George Sand hat nach dem „Meunier d’Angibault“– „Teverino“ und nach „Isidora“ und „Le péché de Monsieur Antoine“ – „Lucrezia Floriani“13 Mit dem „begabten Dichter..., der einen schlechten Räsonierer aus sich zu machen versucht“, ist natürlichGogol gemeint, der Anfang 1847 mit den „Ausgewählten Stellen aus dem Briefwechsel mit Freunden“ an dieÖffentlichkeit getreten war, in denen er sich von seinen früheren Werken lossagte. Siehe hierzu Belinskis „Briefan Gogol vom 3. (15.) Juli 1847“, S. 566-576 der vorliegenden Ausgabe.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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