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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 284Aber auch wenn wir durchaus anerkennen, daß die Kunst vor allem Kunst sein muß, sind wirdennoch der Meinung, daß der Gedanke irgendeiner reinen, losgelösten Kunst, die in ihrereigenen Sphäre lebt und mit den anderen Seiten des Lebens nichts gemein hat, ein abstrakter,schwärmerischer Gedanke ist. Eine solche Kunst hat es nie und nirgends gegeben. Ohne jedenZweifel kennt das Leben Teilungen und Unterteilungen in eine große Anzahl verschiedenerSeiten, die ihre Selbständigkeit haben; aber diese Seiten fließen lebendig ineinander, und esgibt zwischen ihnen keine scharfen Trennungsstriche. Soviel man das Leben auch zerlegt, esist stets eines und ganz. Man sagt: für die Wissenschaft braucht man Geist und Verstand, fürdas künstlerische Schaffen – Phantasie, und meint dabei, daß damit alles aufs beste entschiedenist, so daß man die Sache einfach zu den Akten legen kann. Die Kunst kommt also ohneGeist und Verstand aus? Und der Gelehrte kann sich ohne Phantasie behelfen? Das ist nichtwahr! Wahr ist, daß in der Kunst die Phantasie die aktivste, die führende Rolle spielt, in derWissenschaft dagegen spielen sie der Geist und der Verstand. Es gibt natürlich Werke derDichtung, die einzig und allein eine starke, blendende Phantasie erkennen lassen; das ist jedochdurchaus keine allgemeine Regel. In den Schöpfungen Shakespeares weiß man nicht,worüber man sich mehr wundern soll – über den Reichtum an schöpferischer Phantasie oderden Reichtum an allumfassendem Geist. Es gibt Gattungen der Wissenschaft, die nicht nurkeine Phantasie erfordern, sondern in denen diese Fähigkeit vielmehr nur Schaden anrichtenkönnte; das läßt sich jedoch durchaus nicht für die Wissenschaft im allgemeinen sagen. DieKunst ist Wiedergabe der Wirklichkeit, eine wiederholte, sozusagen neugeschaffene Welt: wiesollte sie da eine vereinzelte, von allen ihr fremden Einflüssen isolierte Tätigkeit sein? Ist esmöglich, daß der Dichter sich in seinem Werk als Mensch, als Charakter, als Natur, kurz alsPersönlichkeit, nicht widerspiegelt? Natürlich ist das unmöglich, denn eben gerade auch dieFähigkeit, [480] Erscheinungen der Wirklichkeit ohne alle Beziehung zu sich selbst darzustellen,ist ja wiederum ein Ausdruck der Natur des Dichters. Aber auch diese Fähigkeit hat ihreGrenzen. Die Persönlichkeit Shakespeares strahlt durch seine Schöpfungen hindurch, obwohles den Anschein hat, daß er sich der von ihm dargestellten Welt gegenüber ebenso gleichgültigverhält wie das Schicksal, das seine Helden rettet oder zugrunde richtet. In den Romanen WalterScotts wird man im Autor immer einen Mann erkennen, der sich mehr durch Talent auszeichnetals durch ein bewußtes, umfassendes Verständnis für das Leben, einen Tory, einenAristokraten mit konservativen Überzeugungen und Gewohnheiten. Die Persönlichkeit desDichters ist nichts Absolutes, für sich allein Dastehendes, das keinen äußeren Einflüssen unterliegt.Der Dichter ist vor allem ein Mensch, dann ein Bürger seines Landes, ein Sohn seinerZeit. Der Geist des Volkes und der Zeit können auf ihn nicht weniger Einfluß haben als aufandere. Shakespeare war der Dichter des fröhlichen Alt-Englands, das im Laufe weniger Jahreplötzlich hart, streng und fanatisch wurde. Die puritanische Bewegung hatte starken Einflußauf seine letzten Werke, die daher den Stempel düsterer Trauer tragen. Daraus läßt sich ersehen,daß, wenn er zwei Jahrzehnte später die Welt erblickt hätte, sein Genie das gleiche geblieben,der Charakter seiner Werke jedoch ein anderer gewesen wäre. Die Poesie Miltons istdeutlich ein Produkt seiner Epoche: ohne es selbst zu merken, hat er in der Gestalt seines stolzen,düsteren Satans die Apotheose * des Aufstandes gegen die Autorität besungen, obwohl eretwas ganz anderes geplant hatte. So stark wirkt die historische Bewegung der Gesellschaftenauf die Dichtung ein. Deshalb hat heute die ausschließlich ästhetische Kritik, die es nur mitdem Dichter und seinem Werk zu tun haben will, ohne den Ort, an dem, und die Zeit, zu derder Dichter schrieb, und die Umstände zu berücksichtigen, die ihn für die poetische Laufbahnvorbereiteten und Einfluß auf sein poetisches Schaffen hatten – deshalb hat diese Kritik heutejeden Kredit verloren und ist unhaltbar geworden. Man sagt: der Parteigeist, das Sektierertumsind dem Talent schädlich und verderben seine Werke. Das ist wahr! Ebendeshalb muß er* Verherrlichung, VerklärungOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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