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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 282sorge übergeht, wie überall gut organisierte, an den rechten Mitteln reiche Gesellschaftengegründet werden zur Ausbreitung der Aufklärung in den unteren Klassen, zur Unterstützungder Bedürftigen und Notleidenden, zur vorbeugenden Abwehr des Elends und seiner unausweichlichenFolge, der Sittenlosigkeit und des Lasters. Diese so edle, so menschliche, sochristliche allgemeine Bewegung hat Gegner in Gestalt der Verehrer dumpfer und starrerpatriarchalischer Sitten gefunden. Sie behaupten, es handle sich hier um eine Mode, um Launeund Eitelkeit und nicht um Menschenliebe. Meinetwegen – aber wann und wo waren dennselbst in den besten menschlichen Handlungen nicht auch solche kleinliche Motive mit [476]im Spiel? Und wer will behaupten, daß nur solche Motive den genannten Erscheinungen zugrundeliegen? Wie will man meinen, daß die Haupturheber solcher Erscheinungen, die durchihr Beispiel die Menge mitreißen, nicht von edleren und höheren Motiven beseelt sind? Gewißverdient die Tugend von Leuten, die sich nicht aus Nächstenliebe auf die Wohltätigkeitwerfen, sondern weil es Mode ist, weil andere es tun, weil es ihre Eitelkeit befriedigt, keineBewunderung; aber das ist auch eine Tugend in bezug auf die Gesellschaft, in der ein solcherGeist herrscht, daß sie auch die Tätigkeit weltlich eitler Menschen zum Guten lenkt! Ist dasnicht eine im höchsten Grade erfreuliche Erscheinung der modernen Zivilisation, des geistigenFortschritts, der Aufklärung und der Bildung?Wie hätte diese neue gesellschaftliche Bewegung sich nicht in der Literatur widerspiegelnsollen – in der Literatur, die stets der Ausdruck der Gesellschaft zu sein pflegt! In dieser Hinsichthat die Literatur fast noch mehr getan: sie hat diese Richtung im gesellschaftlichen Lebennicht nur widergespiegelt, sondern vielmehr zu ihrem Aufkommen beigetragen, sie istnicht nur nicht hinter ihr zurückgeblieben, sondern hat sie vielmehr überholt. Es braucht nichterst gesagt zu werden, welch würdige und edle Rolle sie damit spielt; aber eben deswegenfällt die wappenlose Aristokratie über die Literatur her. Wir glauben genügend gezeigt zuhaben, welchen Quellen diese Angriffe entspringen und was sie wert sind...Es bleiben uns noch jene Angriffe auf die moderne Literatur und auf den Naturalismus imallgemeinen zu erwähnen, die vom ästhetischen Standpunkt aus geführt werden, im Nameneiner reinen Kunst, die ihr Ziel in sich selbst trägt und keinerlei Ziel außerhalb sich selbstanerkennt. Der letztere Gedanke ist nicht unbegründet, aber man erkennt auf den ersten Blick,daß er übertrieben wird. Er ist rein deutscher Herkunft; er konnte nur bei einem beschaulichen,denkenden und träumenden Volk aufkommen, keinesfalls aber bei einem praktischenVolk in Erscheinung treten, dessen soziale Ordnung allen und jedem ein weites Feld für lebendigeTätigkeit darbietet. Was die reine Kunst eigentlich ist, das wissen selbst ihre Vorkämpfernicht recht, und deshalb ist sie bei ihnen eine Art Ideal, existiert tatsächlich abernicht. Im wesentlichen ist sie das schlechte Extrem eines anderen schlechten Extrems, d. h.der didaktischen, lehrhaften, kalten, trocknen, toten Kunst, deren Werke nichts anderes sindals rhetorische Übungen über aufgegebene Themen. Ohne jeden Zweifel [477] muß die Kunstvor allem Kunst sein und kann erst dann der Ausdruck des Geistes und der Richtung der Gesellschaftin einer bestimmten Epoche sein. Ein Gedicht mag noch so schöne Gedanken enthalten,die Probleme der Zeit können noch so starken Widerhall in ihm finden – wenn ihmdie Poesie fehlt, kann es in ihm weder schöne Gedanken noch irgendwelche Probleme geben,und alles, was man von ihm sagen kann, ist höchstens: eine gute Absicht schlecht ausgeführt.Wenn es in einem Roman oder einer Erzählung keine Gestalten und Persönlichkeiten, keineCharaktere, nichts Typisches gibt, so wird der Leser, so wahrheitsgetreu und gewissenhaftauch alles von der Natur abgeschrieben sein mag, was in ihnen erzählt wird, hier dennochkeine Natürlichkeit finden, nichts entdecken, was wahrheitsgemäß beobachtet und geschickterfaßt ist. Die Figuren werden ihm durcheinandergeraten; die Fabel wird ihm als Wirrwarrunwahrscheinlicher Vorgänge erscheinen. Die Gesetze der Kunst lassen sich nicht ungestraftübertreten. Um die Natur wahrheitsgetreu zu kopieren, genügt es nicht, daß man schreibenOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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