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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 281den Physiologen etwa der Organismus eines australischen Wilden nicht ebenso interessantwie der Organismus eines gebildeten Europäers? Aus welchem Grunde sollte in dieser Hinsichtein so großer Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft bestehen? Sie sagen weiter,der gebildete Mensch stehe höher als der ungebildete. Das muß man wohl zugeben, abernicht absolut. Gewiß steht der hohlste Mann von Welt unvergleichlich höher als ein Bauer,aber in welcher Beziehung? Nur an weltmännischer Bildung, aber das hindert manch einenBauern durchaus nicht daran, z. B. an Geist, Gefühl oder Charakter höher zu stehen. Bildungbringt die sittlichen Kräfte eines Menschen nur zur Entfaltung, aber sie verleiht sie nicht.Verliehen werden sie dem Menschen von der Natur. Und bei dieser Verleihung ihrer wertvollstenGaben handelt sie blind, ohne Rücksicht auf den Stand... Wenn aus den gebildetenKlassen der Gesellschaft mehr bedeutende Männer hervorgehen, so deshalb, weil sie hiermehr Mittel zu ihrer Entwicklung vorfinden, und durchaus nicht deshalb, weil etwa die Naturbei der Verleihung ihrer Gaben den Menschen der niederen Klassen gegenüber geiziger wäre.„Was kann man ans einem Buche lernen, in dem ein durch Trunk vom rechten Weg abgekommenerarmer Schlucker beschrieben wird?“ pflegen diese Aristokraten mittlerer Gütenoch zu sagen. Wieso: was? Natürlich nicht weltmännische Umgangsformen und guten Ton,wohl aber die Kenntnis des Menschen in einer bestimmten Lage. Der eine wird zum Säuferaus Faulheit, aus Charakterschwäche, weil er schlecht erzogen ist; ein anderer, weil er in unglücklicheUmstände geraten ist, ohne daran vielleicht die geringste Schuld zu haben. In beidenFällen handelt es sich um lehrreiche, eine nähere Betrachtung lohnende Beispiele. Natürlichist es bedeutend leichter, sich voller Verachtung von einem gefallenen Menschen abzuwenden,als ihm zu Trost und Hilfe die Hand zu reichen, wie es auch bedeutend leichter ist,ihn im Namen der Moral streng zu verurteilen, als sich anteilnehmend und liebevoll in seineLage zu versetzen, die Ursachen seines Falls bis in die Wurzeln zu untersuchen und ihn auchdann, wenn sich herausstellt, daß er selbst in hohem Grade schuld an seinem Fall ist, alsMenschen zu bemitleiden. Der Erlöser der Menschheit ist für alle Menschen auf die Weltgekommen; nicht Weise und [475] Gebildete, sondern Leute einfältigen Geistes und Herzens,Fischer, rief er zu sich, um sie zu „Menschenfischern“ zu machen. Nicht Reiche und Glückliche,sondern Arme, Leidende und Gefallene suchte er auf, um die einen zu trösten, die anderenzu ermutigen und wiederaufzurichten. Die Eiterbeulen auf dem mit schmutzigen Lumpennotdürftig bedeckten Leibe waren seinem liebe- und mitleidvollen Blick kein Ärgernis, er,der Sohn Gottes, liebte die Menschen mit menschlicher Liebe und hatte Mitgefühl mit ihnenin ihrem Elend und ihrem Schmutz, in ihrer Schande und ihrer Verdorbenheit, in ihren Lasternund ihren Missetaten; den Stein auf die Ehebrecherin zu werfen, erlaubte er denen, diesich vor ihrem Gewissen keiner Schuld bewußt waren, und beschämte die hartherzigen Richterund sprach dem gefallenen Weibe Trost zu – und der Übeltäter bekam, als er am Marterholzin verdienter Strafe seinen Geist aufgab, für einen kurzen Augenblick der Reue von ihmWorte der Verzeihung und des Friedens zu hören 12 ... Wir aber – die Menschensöhne –‚ wirwollen unter unseren Brüdern nur jene lieben, die uns gleich sind, und wenden uns von denenab, die unter uns stehen, wie von Parias, von Gefallenen, wie von Aussätzigen... Welche Tugendenund Verdienste geben uns ein Recht hierzu? Tun wir es nicht vielmehr, weil wir keineTugenden und keine Verdienste haben? ... Aber das göttliche Wort der Liebe und der Brüderlichkeitschallte nicht umsonst durch die Welt. Das, was früher nur die Pflicht der zum Dienstam Altar berufenen Personen oder die Tugend weniger auserlesener Naturen war, das wirdheute zur Pflicht der Gesellschaft und dient als Merkmal nicht mehr der Tugend allein, sondernauch der Bildung jedes einzelnen Menschen. Man betrachte nur, wie sich in unserer Zeitalles um die unteren Klassen bemüht, wie die private Wohltätigkeit überall in öffentliche Für-12 Im Mund eines Atheisten, der Belinski in jener Periode bereits war, klingt diese Anerkennung Christi als„Sohn Gottes“ sonderbar. Es ist klar, daß Belinski hier auf die Zensur Rücksicht genommen hat.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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