13.07.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 277dern, ging er dennoch seinen eigenen Weg und folgte dabei nur dem tiefen, echten Instinkt,mit dem ihn die Natur freigebig beschenkt hatte, und ließ sich durch fremde Erfolge nicht zurNachahmung verführen. Das gab ihm gewiß keine Originalität, aber es gab ihm die Möglichkeit,in vollem Umfang jene Originalität zu bewahren und zum Ausdruck zu bringen, die Besitzund Eigenschaft seiner Persönlichkeit und mithin, wie das Talent, eine Gabe der Naturwar. Daher kommt es, daß er auf viele den Eindruck eines von außen in die russische LiteraturHereingekommenen machte, während er in Wirklichkeit eine notwendige Erscheinung war,für die die gesamte vorhergehende Entwicklung der Literatur das Bedürfnis geschaffen hatte.Der Einfluß Gogols auf die russische Literatur war ungeheuer. Nicht nur alle jungen Talenteschlugen den von ihm gewiesenen Weg ein, sondern auch einige jener Schriftsteller, die bereitsBerühmtheit erlangt hatten, gaben ihren früheren Weg auf und folgten dem neuen. Sokam die Schule zustande, die ihre Gegner mit der Benennung „Naturale Schule“ herabzusetzenglaubten. Nach den „Toten Seelen“ hat Gogol nichts mehr geschrieben. Auf der literarischenBühne gilt jetzt nur seine Schule. Alle Vorwürfe und Beschuldigungen, die früher aufihn niedergeprasselt waren, richten sich jetzt an die Naturale Schule, und wenn es auch nochzu Ausfällen gegen ihn kommt, so wegen dieser Schule. Wessen beschuldigt man sie nun? DerVorwürfe sind nicht viele, und es sind immer die gleichen. Anfangs griff man die Schule an,weil sie angeblich ständig die Beamten angriff. In der Art, wie sie das Alltagsleben diesesStandes darstellte, sahen die einen aufrichtig, die anderen mit Absicht bösartige Karikaturen.Seit einiger Zeit sind diese Beschuldigungen verstummt. Jetzt wirft man den Schriftstellernder Naturalen Schule vor, daß sie besonders gern Leute niederen Standes darstellen, Bauern,Hausknechte und Lohnkutscher zu Helden ihrer Erzählungen machen und dunkle [468] Winkelbeschreiben, wo die hungernde Armut und oft allerlei schlimme Laster hausen. 9 Um die neuenSchriftsteller zu beschämen, verweisen die Ankläger triumphierend auf die herrlichen Zeitender russischen Literatur, berufen sich auf Karamsin und Dmitrijew, die für ihre Werke erhabene,edle Stoffe wählten, und führen als Musterbeispiel heute in Vergessenheit geratener Graziedas sentimentale Liedchen an: „Meine liebste Blume die Rose war...“ Wir unsererseits erinnernsie daran, daß der erste beachtenswerte russische Roman aus der Feder Karamsinsstammt und daß seine Heldin eine vom jungen gnädigen Herrn verführte Bäuerin war, die armeLisa... Aber bei Karamsin, wird man sagen, ist alles sauber und rein, und die Bäuerin ausder Moskauer Umgebung kann es mit dem besterzogenen gnädigen Fräulein aufnehmen. Unddamit sind wir beim Kern des Streites: die Schuld liegt, wie man sieht, bei der alten Poetik. Sieerlaubt dem Dichter, warum nicht?, auch Bauern darzustellen, jedoch unter der Bedingung,daß sie in Theaterkostümen auftreten, mit Gefühlen und Begriffen ausgestattet sind, die ihremAlltagsleben, ihrer Stellung und ihrer Bildung fremd sind, und in einer Sprache reden, dieniemand redet, am wenigsten die Bauern, einer Papiersprache, die mit „selbigen, als welchen,welchselbigen usw.“ gespickt ist. Was will man mehr: die Schäfer und Schäferinnen der französischenAutoren des 18. Jahrhunderts geben fertige, prächtige Musterbeispiele für die Darstellungrussischer Bauern und Bäuerinnen ab; man nehme sie, wie sie sind, mitsamt ihrenrosa und himmelblau bebänderten Strohhüten, dem Puder, den Schönheitspflästerchen, Fischbeinkragen,Korsetts, geschürzten Röckchen und den Stiefelchen mit hohen, roten Absätzen.Nur in der Sprache muß man sich an die häuslichen literarischen Gepflogenheiten halten, weildie Franzosen niemals gern mit veralteten, in der Umgangssprache nicht vorkommenden WörternStaat machten. Das ist eine rein russische Erfindung; bei uns lieben sogar erstrangige Talente„Gestade, Gefilde, Wangen, Äugelein, Zähren * , Busen, Tand, Huld, Odem“ und mehrdergleichen Zubehör des sogenannten „hohen Stils“. Kurz: die alte Poetik erlaubt alles darzu-9 Anspielung auf die Werke „Ein Dorf“ und „Der arme Anton“ von Grigorowitsch, „Ein Petersburger Hausmeister“von Dal-Luganski und „Petersburger Winkel“ von Nekrassow.* veraltet, poetisch: TräneOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!