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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 275Es muß gesagt werden, daß der Autor Theoretiker ist und sein ganzes Leben mit Vorlesungenund der Zusammenstellung von Handbüchern über Rhetorik und Poetik verbracht hat, die, wiealle Bücher dieser Art, niemals irgend jemandem beigebracht haben, wie man gut schreibt,dafür aber viele auf falsche Wege geführt haben. Deswegen haben ihn in den Werken Gogolsbesonders deren völlige Freiheit und Unabhängigkeit von allen Schulregeln und Traditionenfrappiert, und wenn er ihm das einerseits als Verdienst an [464] rechnen mußte, so mußte erihm doch andrerseits auch daraus einen verdienten Vorwurf machen. Deswegen entdeckte erauch in den Werken Gogols „Fehler, die fast abstoßend sind“, und „einen primitivmoralischen,chaotischen Zustand der Kunst“. Man frage ihn, worin diese Fehler bestehen – und wir sindüberzeugt, daß er an erster Stelle den Polizeibüttel nennen wird, der auf dem Fingernagel Tierchenhinrichtet (in den „Toten Seelen“), um mit dieser Tatsache endgültig zu beweisen, daßGogol „die Geschichte nicht kennt und keine Vorbilder der Kunst zu sehen bekommen hat“.Dabei ist es Gogol wahrscheinlich besser bekannt als seinem Kritiker, daß in einer der berühmtestenGemäldegalerien Europas als unschätzbares Meisterwerk ein Bild des großenMurillo aufbewahrt wird, auf dem ein Knabe dargestellt ist, der angelegentlich und umständlichmit dem beschäftigt ist, was Gogols Polizeibüttel im Halbschlaf und nebenbei tat.Wie dem auch sein mag, so war wirklich der Einfluß der Theorien und Schulen eine derHauptursachen, warum viele Leute in Gogol anfangs ganz ruhig, ohne jede Feindseligkeit,offen und ehrlich nicht mehr sahen als einen amüsanten, aber trivialen und unbedeutendenSchriftsteller und erst außer sich gerieten, als die andere Seite ihm begeistertes Lob spendeteund er in der öffentlichen Meinung rasch zu großer Bedeutung gelangte. Wirklich, mochtedie Richtung Karamsins zu ihrer Zeit noch so neu sein – sie war gerechtfertigt durch Vorbilderaus der französischen Literatur. Mochten die Balladen Shukowskis mit ihrem düsterenKolorit, ihren Friedhöfen und ihren Gespenstern alle Welt noch so unheimlich berühren – fürsie sprachen die Namen der Koryphäen der deutschen Literatur. Selbst Puschkin war einerseitsvorbereitet durch die ihm vorausgehenden Dichter, und seine ersten Versuche trugenleichte Spuren ihres Einflusses, andrerseits aber waren seine Neuerungen gerechtfertigt durchdie allgemeine Bewegung in allen Literaturen Europas und den Einfluß Byrons, einer riesigenAutorität. Für Gogol dagegen gab es kein Vorbild, gab es keine Vorgänger, weder in der russischennoch in der Auslandsliteratur. Alle Theorien, alle literarischen Traditionen warengegen ihn, weil er gegen sie war. Um ihn zu verstehen, mußte man sich jene völlig aus demKopf schlagen, mußte vergessen, daß es sie gab – und das bedeutete für viele, neugeboren zuwerden, zu sterben und wieder aufzuerstehen. Um unseren Gedanken klarer zu machen, wollenwir einmal die Beziehungen Gogols zu den anderen russischen Dichtern betrachten. [465]Gewiß gibt es auch in jenen Werken Puschkins, die uns der russischen Welt fremde Bildervorführen, zweifellos russische Elemente, aber wer will sie aufzeigen? Wie will man beweisen,daß z. B. die Dramen „Mozart und Sahen“, „Der steinerne Gast“, „Der geizige Ritter“,„Galub“ nur von einem russischen Dichter geschrieben werden konnten und daß kein Dichtereiner anderen Nation sie hätte schreiben können? Das gleiche kann man auch von Lermontowsagen. Alle Werke Gogols sind ausschließlich der Darstellung der Welt des russischen Lebensgewidmet, und in der Kunst, sie in all ihrer Wahrheit wiederzugeben, hat er nicht seinesgleichen.Er schwächt nichts ab, er verschönert nichts aus Liebe zu einem Ideal oder umirgendeiner vorgefaßten Idee oder einer gewohnten Vorliebe willen, wie z. B. Puschkin im„Onegin“ das Alltagsleben der Gutsherren idealisiert hat. Gewiß ist der in seinen Werkenvorherrschende Charakter die Negation; um lebendig und poetisch zu sein, muß jede Negationvon einem Ideal ausgehen – und dieses Ideal war auch bei Gogol nicht sein eigenes, d. h.kein einheimisches, genau so wie bei allen anderen russischen Dichtern, weil sich unser Gesellschaftslebennoch nicht genügend ausgebildet und befestigt hatte, um der Literatur einsolches Ideal geben zu können. Aber eins muß man doch zugeben, daß man nämlich hinsichtlichder Werke Gogols ganz unmöglich die Frage stellen kann: wie soll man beweisen, daßOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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