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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 272keit, alles – selbst seine Gegner. Er war der Held, der Achilles der Literatur jener Zeit. Waswill dieser ganze Alarm aber bedeuten im Vergleich mit dem Sturm, der sich auf dem Feld derLiteratur mit dem Auftreten Puschkins erhob? Er ist noch so gut in aller Gedächtnis, daß wiruns nicht über ihn zu verbreiten brauchen. Wir wollen nur sagen, daß die Gegner Puschkins inseinen Werken eine Verunstaltung der russischen Sprache, der russischen Dichtung erblickten,eine höchst schädliche Gefahr nicht nur für den ästhetischen Geschmack des Publikums, sondernauch – wird man es heute noch glauben? – für die öffentliche Moral!! Wir wollen diealten Zänkereien nicht wieder aufrühren und enthalten uns deshalb aller weiteren Hinweise,aber wenn man sie von uns verlangt, sind wir stets bereit, gedruckte Beweise vorzulegen. Ineiner Kritik [459] der Dichtung „Graf Nulin“ wurde Puschkin bis zum Zynismus gehende Unanständigkeitvorgeworfen! Wenn man heute diese Kritik wieder liest, vergißt man unwillkürlich,wann und worüber sie geschrieben wurde: sie macht ganz den Eindruck eines eben jetztgeschriebenen Aufsatzes gegen irgendein Werk der heutigen Naturalen Schule: die gleicheSprache, die gleichen Argumente, die gleiche Manier, an die Dinge heranzugehen, wie sieheute in den Angriffen auf die Naturale Schule in Gebrauch sind.Was ist wohl die Ursache dafür, daß die Gegner jeder Vorwärtsbewegung in allen Epochenunserer Literatur stets ein und dasselbe und fast mit ein und denselben Worten gesagt haben?Die Ursache ist da zu suchen, wo auch die Naturale Schule ihren Ausgang genommen hat –in der Geschichte unserer Literatur. Sie begann als Naturalismus: der erste weltliche Schriftstellerwar der alte Kantemir. Obgleich er die lateinischen Satiriker und Boileau nachahmte,wußte er doch originell zu bleiben, da er die Natur zum Vorbild nahm und ihr treu blieb. Leiderverhinderten die Eintönigkeit der von ihm gewählten Dichtgattung, die Grobheit und Ungehobeltheitder Sprache und das unserer Poesie fremde syllabische Versmaß, daß Kantemirzum Vorbild und zum Lehrmeister der russischen Poesie wurde. Diese Rolle fiel Lomonossowzu. Aber da Kantemir trotz allem ein Mann von ungewöhnlichem Talent bleibt, mußman ihn der russischen Literaturgeschichte als ihren der Zeit nach ersten Dichter belassen.Deshalb dürfen wir auch, ohne die Tatsachen zu entstellen oder zu vergewaltigen, sagen, daßdie russische Poesie gleich in ihrem Beginn, wenn man so sagen darf, in zwei parallelen Bettendahinzog, die, je länger, desto häufiger, zu einem Strom zusammenflossen, um sich dannwieder zu zweiteilen, bis sie schließlich in unseren Tagen zu einem einzigen Ganzen gewordensind. In der Person Kantemirs ließ die russische Poesie eine Tendenz zur Wirklichkeit,zum Leben, wie es ist, erkennen und suchte ihre Stärke in der treuen Wiedergabe der Natur.In der Person Lomonossows zeigte sie die Tendenz zum Ideal, verstand sich als das Orakeleines höheren, erhabenen Lebens, als Herold alles Hohen und Großen. Beide Richtungenwaren gesetzmäßig, und beide waren nicht aus dem Leben, sondern aus der Theorie, aus Büchern,aus der Schule hervorgegangen. Aber die Art und Weise, wie Kantemir an die Dingeheranging, gibt der ersteren Richtung den Vorzug größerer Wahrheit und Realität. InDershawin, als dem höheren Talent, ver-[460]schmolzen diese beiden Richtungen häufig,und seine Oden „An Feliza“, „An einen Würdenträger“, „Auf das Glück“ sind wohl seinebesten Werke, jedenfalls aber sind sie origineller, russischer als seine feierlichen Oden. Inden Fabeln Chemnitzers und den Komödien Fonwisins klang noch einmal die Richtung an,deren Vertreter seinerzeit Kantemir gewesen war. Die Satire geht bei ihnen bereits seltener inÜbertreibung und Karikatur über und wird in dem Maße, in dem sie poetischer wird, auchnatürlicher. In den Fabeln Krylows wird die Satire vollends zur Kunst; der Naturalismus wirdzum unterscheidenden Merkmal seiner Poesie. Er war der erste große Naturalist in unsererPoesie. Deshalb mußte er auch als erster Vorwürfe wegen der Darstellung der „niederen Natur“über sich ergehen lassen, besonders wegen der Fabel „Das Schwein“. Man sehe nur, wienatürlich seine Tiere sind: das sind echte Menschen mit scharf umrissenen Charakteren, unddabei russische Menschen, nicht irgendwelche andere. Und seine Fabeln, in denen russischeOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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