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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 26Wie dürfte man Bogdanowitsch vergessen? Wie groß war sein Ruhm zu seinen Lebzeiten, wiebewunderten ihn seine Zeitgenossen, und wie bewundern ihn auch heute noch manche Leser!Worauf [44] gründet sich dieser Erfolg? Stellt euch vor, ihr wäret ganz betäubt vom Donnernund Rasseln geschraubter Worte und Phrasen, ringsum redete man nur in Monologen über dieallergewöhnlichsten Dinge, und plötzlich begegnet euch jemand, der klug und einfach spricht:nicht wahr, ihr wäret doch höchst begeistert von diesem Menschen? Die Nachahmer Lomonossows,Dershawins und Cheraskow hatten mit ihren schallenden Odengesängen alle Welttaub gemacht; schon wollte man glauben, die russische Sprache tauge nicht für die sogenannteleichte Poesie, die bei den Franzosen so hoch in Blüte stand, und eben da tritt ein Mann miteinem Märchen hervor, das in einfacher, natürlicher und witziger Sprache und einem für diedamalige Zeit erstaunlich leichten und flüssigen Stil geschrieben ist: alles war erstaunt underfreut. Hier liegt die Ursache des ungewöhnlichen Erfolgs seines „Seelchen“, das übrigensnicht ohne Vorzüge und nicht ohne Talent ist. Der bescheidene Chemnitzer wurde von seinenZeitgenossen nicht verstanden; mit Recht blicken heute die Nachfahren voll Stolz auf ihn zurückund stellen ihn einem Dmitrijew gleich. Cheraskow war ein guter, kluger, von den bestenAbsichten bewegter Mann und für seine Zeit auch ein vortrefflicher Verseschmied, bloß ganzund gar kein Dichter. Seine mittelmäßigen Dichtungen, die „Rossiade“ und der „Wladimir“,bildeten für die Zeitgenossen und die Nachfahren, die ihn den russischen Homer und Virgilbetitelten und ihn im Zeichen seiner langen und langweiligen Gedichte in den Tempel der Unsterblichkeitgeleiteten, lange Zeit einen Gegenstand der Bewunderung; sogar ein Dershawinerstarb in Ehrfurcht vor ihm; doch was half’s? Nichts hat ihn vor den alles verschlingendenFluten der Lethe gerettet! Petrow ersetzte seinen Mangel an echtem Gefühl durch bombastischenSchwulst, und seine barbarische Sprache gab ihm den Rest. Knjashnin war ein fleißigerSchriftsteller und zeigte, was Sprache und Form anbelangt, entschieden Talent, das sich besondersin seinen Komödien bemerkbar macht. Obgleich er alles von den französischenSchriftstellern übernahm, macht ihm doch schon der Umstand große Ehre, daß er aus diesemgeraubten Gut etwas Geschlossenes zu bilden wußte und Sumarokow, seinen Anverwandten,weit übertraf. Kostrow und Bobrow waren zu ihrer Zeit tüchtige Verseschmiede.Damit hätten wir alle Genies aus der Epoche Katharinas der Großen beisammen; sie genossenalle schallenden Ruhm und sind mit Ausnahme von Dershawin, Fonwisin und Chemnitzeralle ver-[45]gessen. Doch sind sie alle wert, vermerkt zu werden, denn sie waren die erstenAkteure auf der Bühne des russischen Schrifttums; wenn man ihre Zeit und ihre Mittel berücksichtigt,waren ihre Erfolge bedeutsam; und sie entsprangen hauptsächlich dem Zeitgeistund der Förderung durch die Monarchin, die überall Talente suchte und zu finden verstand.Doch nur einer von ihnen, Dershawin, war ein Dichter von solchem Rang, daß wir ihn stolzden größten Dichtern aller Zeiten und Völker an die Seite stellen dürfen, denn nur er war derfreie, feierliche Ausdruck seines großen Volkes und seiner wunderbaren Zeit.(Bis zur nächsten Nummer)Literarische Träumereien(Fortsetzung)„Amicus Plato, sed magis amica veritas.“ *Die ersten Akteure auf der Bühne der Literatur werden niemals vergessen werden; begabtoder unbegabt, sind sie auf jeden Fall historische Personen. Nicht nur in der französischenLiteraturgeschichte stehen vor den Namen Corneille und Racine stets die Namen Ronsard,* „Platon ist mein Freund, aber mein bester Freund ist die Wahrheit.“OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.12.2013

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 27Garnier und Hardy. Die Glücklichen! Wie wohlfeil fällt ihnen die Unsterblichkeit in denSchoß! In meinem letzten Aufsatz ist mir ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen: bei meinerBesprechung der Dichter und Schriftsteller der Zeit Katharinas II. habe ich etliche von ihnenvergessen. Deshalb halte ich es jetzt für meine unbedingte Pflicht, diesen Fehler wiedergutzumachenund hier an sie zu erinnern, nämlich an Popowski, einen wackeren Gedichteschreiberund Prosaiker seiner Zeit; an Maikow, dessen Schreibereien in allen Gedichtbüchern vonAnno dazumal einer gewissen Gattung komischer Poeme zugezählt wurden und der nichtunbeträchtlich zur Verbreitung des schlechten Geschmacks in Rußland beigetragen und unserenberühmten Dramatiker Schachowskoi veranlaßt hat, ein recht zweifelhaftes Gedicht, betitelt„Die geraubten Pelze“, zu schreiben; an Ablessimow, der gleichsam durch Zufall oderaus Versehen unter vielen schlechten Schauspielen eine ausgezeichnete Volksposse geschriebenhat: den „Müller“, ein Stück, das sich bei unseren guten [46] Großvätern so ausgesprochenerBeliebtheit erfreute und auch heute seinen Wert nicht eingebüßt hat; an Ruban, derdurch die Gnade und Nachsicht unserer Literaturrichter von einst so billig wie keiner zumNachruhm kam; an Neledinski, in dessen Liedern durch alle Sentimentalitätsschminke hindurchmanchmal doch echtes Gefühl und ein Funke von Talent schimmerten; an Jefimjewund Plawilschtschikow, die einst als gute Bühnendichter galten, aber heutzutage, o weh,gänzlich vergessen sind, wiewohl der hochachtbare Nikolai Iwanowitsch Gretsch in eigenerPerson ihnen einige angebliche Vorzüge zuerkannte. Ansonsten stand die Herrschaft KatharinasII. im Zeichen einer so wundersamen, bei uns so seltenen Erscheinung, wie wir armenSünder sie schwerlich so bald wieder erleben dürften. Wer würde nicht wenigstens vom Hörensagenden Namen Nowikow kennen? Es ist beklagenswert, daß wir von diesem außergewöhnlichenund, wie ich behaupten will, großen Manne so wenig wissen! So ist es ja immerbei uns; man erhebt nicht enden wollendes Geschrei um einen Sumarokow, einen gänzlichunbegabten Schriftsteller, und vergißt das gedeihliche Wirken eines Menschen, dessen ganzesTun und Trachten dem Gesamtwohl zugewandt war! ...Die Zeit Alexanders des Gesegneten gehört ebenso wie die Zeit Katharinas der Großen zuden lichten Augenblicken im Leben des russischen Volkes und bildete in gewisser Hinsichtderen Fortsetzung. Man lebte sorglos und heiter, war stolz auf die Gegenwart und voll Hoffnungfür die Zukunft. Die weisen Gesetzesmaßnahmen und Neuerungen Katharinas faßtenWurzel und erstarkten sozusagen; die neuen wohltätigen Einrichtungen des jungen, mildherzigenZaren festigten den Wohlstand Rußlands und ließen das Land rasch in den Bahnen desGedeihens fortschreiten. In der Tat, was wurde nicht alles für die Bildung getan! Wie vieleUniversitäten, Lyzeen, Gymnasien, Kreis- und Gemeindeschulen wurden gegründet! Und dieBildung begann sich auf alle Volksklassen auszudehnen, denn sie wurde nun allen Volksklassenmehr oder weniger zugänglich. Die Gunst des aufgeklärten, gebildeten Monarchen, eineswürdigen Enkels Katharinas, wußte überall talentvolle Menschen zu finden und bot ihnenMittel und Wege, um auf dem gewählten Tätigkeitsfeld zu wirken. Zu jener Zeit meldete sichschon zum erstenmal der Gedanke, daß Rußland seine eigene Literatur brauche. Unter derHerrschaft Katharinas hatte es eine Literatur nur bei Hofe gegeben; man trieb Literatur, weildie Zarin es tat. Schlimm wäre es Dersha-[47]win ergangen, hätten seine „Epistel an Feliza“und sein „Würdenträger“ nicht Katharinas Beifall gefunden. Schlimm wäre es Fonwisin ergangen,hätte die Zarin über seinen „Brigadier“ und sein „Muttersöhnchen“ nicht Tränen gelacht;wenig Hochachtung hätte man dem Dichter der Gesänge „Gott“ und „Wasserfall“ erwiesen,wäre er nicht Wirklicher Geheimer Rat und Ritter mannigfacher Orden gewesen.Unter Alexander begann alle Welt sich mit Literatur zu befassen, und der Titel verlor seinenZusammenhang mit dem Talent. Eine neue, bis dato unerhörte Erscheinung machte sich bemerkbar:die Schriftsteller wurden zur treibenden Kraft, zu Lenkern und Bildnern der Gesellschaft;es kam zu Versuchen, eine Sprache und eine Literatur zu schaffen. Doch leider fehltees diesen Versuchen an Dauer und Gründlichkeit; jeder Versuch setzt nämlich eine klare Ab-OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.12.2013

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 27Garnier und Hardy. Die Glücklichen! Wie wohlfeil fällt ihnen die Unsterblichkeit in denSchoß! In meinem letzten Aufsatz ist mir ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen: bei meinerBesprechung der Dichter und Schriftsteller der Zeit Katharinas II. habe ich etliche von ihnenvergessen. Deshalb halte ich es jetzt für meine unbedingte Pflicht, diesen Fehler wiedergutzumachenund hier an sie zu erinnern, nämlich an Popowski, einen wackeren Gedichteschreiberund Prosaiker seiner Zeit; an Maikow, dessen Schreibereien in allen Gedichtbüchern vonAnno dazumal einer gewissen Gattung komischer Poeme zugezählt wurden und der nichtunbeträchtlich zur Verbreitung des schlechten Geschmacks in Rußland beigetragen und unserenberühmten Dramatiker Schachowskoi veranlaßt hat, ein recht zweifelhaftes Gedicht, betitelt„Die geraubten Pelze“, zu schreiben; an Ablessimow, der gleichsam durch Zufall oderaus Versehen unter vielen schlechten Schauspielen eine ausgezeichnete Volksposse geschriebenhat: den „Müller“, ein Stück, das sich bei unseren guten [46] Großvätern so ausgesprochenerBeliebtheit erfreute und auch heute seinen Wert nicht eingebüßt hat; an Ruban, derdurch die Gnade und Nachsicht unserer Literaturrichter von einst so billig wie keiner zumNachruhm kam; an Neledinski, in dessen Liedern durch alle Sentimentalitätsschminke hindurchmanchmal doch echtes Gefühl und ein Funke von Talent schimmerten; an Jefimjewund Plawilschtschikow, die einst als gute Bühnendichter galten, aber heutzutage, o weh,gänzlich vergessen sind, wiewohl der hochachtbare Nikolai Iwanowitsch Gretsch in eigenerPerson ihnen einige angebliche Vorzüge zuerkannte. Ansonsten stand die Herrschaft KatharinasII. im Zeichen einer so wundersamen, bei uns so seltenen Erscheinung, wie wir armenSünder sie schwerlich so bald wieder erleben dürften. Wer würde nicht wenigstens vom Hörensagenden Namen Nowikow kennen? Es ist beklagenswert, daß wir von diesem außergewöhnlichenund, wie ich behaupten will, großen Manne so wenig wissen! So ist es ja immerbei uns; man erhebt nicht enden wollendes Geschrei um einen Sumarokow, einen gänzlichunbegabten Schriftsteller, und vergißt das gedeihliche Wirken eines Menschen, dessen ganzesTun und Trachten dem Gesamtwohl zugewandt war! ...Die Zeit Alexanders des Gesegneten gehört ebenso wie die Zeit Katharinas der Großen zuden lichten Augenblicken im Leben des russischen Volkes und bildete in gewisser Hinsichtderen Fortsetzung. Man lebte sorglos und heiter, war stolz auf die Gegenwart und voll Hoffnungfür die Zukunft. Die weisen Gesetzesmaßnahmen und Neuerungen Katharinas faßtenWurzel und erstarkten sozusagen; die neuen wohltätigen Einrichtungen des jungen, mildherzigenZaren festigten den Wohlstand Rußlands und ließen das Land rasch in den Bahnen desGedeihens fortschreiten. In der Tat, was wurde nicht alles für die Bildung getan! Wie vieleUniversitäten, Lyzeen, Gymnasien, Kreis- und Gemeindeschulen wurden gegründet! Und dieBildung begann sich auf alle Volksklassen auszudehnen, denn sie wurde nun allen Volksklassenmehr oder weniger zugänglich. Die Gunst des aufgeklärten, gebildeten Monarchen, eineswürdigen Enkels Katharinas, wußte überall talentvolle Menschen zu finden und bot ihnenMittel und Wege, um auf dem gewählten Tätigkeitsfeld zu wirken. Zu jener Zeit meldete sichschon zum erstenmal der Gedanke, daß Rußland seine eigene Literatur brauche. Unter derHerrschaft Katharinas hatte es eine Literatur nur bei Hofe gegeben; man trieb Literatur, weildie Zarin es tat. Schlimm wäre es Dersha-[47]win ergangen, hätten seine „Epistel an Feliza“und sein „Würdenträger“ nicht Katharinas Beifall gefunden. Schlimm wäre es Fonwisin ergangen,hätte die Zarin über seinen „Brigadier“ und sein „Muttersöhnchen“ nicht Tränen gelacht;wenig Hochachtung hätte man dem Dichter der Gesänge „Gott“ und „Wasserfall“ erwiesen,wäre er nicht Wirklicher Geheimer Rat und Ritter mannigfacher Orden gewesen.Unter Alexander begann alle Welt sich mit Literatur zu befassen, und der Titel verlor seinenZusammenhang mit dem Talent. Eine neue, bis dato unerhörte Erscheinung machte sich bemerkbar:die Schriftsteller wurden zur treibenden Kraft, zu Lenkern und Bildnern der Gesellschaft;es kam zu Versuchen, eine Sprache und eine Literatur zu schaffen. Doch leider fehltees diesen Versuchen an Dauer und Gründlichkeit; jeder Versuch setzt nämlich eine klare Ab-OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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