13.07.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 269seiner Übersicht zugibt, als einen erfreulichen Erfolg der russischen Literatur verzeichnet, daßim Jahre 1814 in Petersburg und Moskau je ein Roman (beide aus dem Deutschen übersetzt)sowie zwei historische Erzählungen erschienen sind! Damals konnte er nicht ahnen, daß Romanund Erzählung bald die Führung aller Gattungen der Dichtung übernehmen würden unddaß er selbst einmal eine „Reise nach Deutschland“ und eine „Schwarze Frau“ schreiben werde.Und noch ein charakteristischer Zug unserer Literatur oder, besser gesagt, unseres Publikums–, ein Zug, von dem man leider nicht sagen kann, daß er heute an alte Zeiten erinnert:von Krusensterns bekannter „Reise um die Welt“, die in den Jahren von 1809 bis 1813 in russischerund deutscher Sprache erschien, und von der „Reise um die Welt“ von Lissjanski, dieim Jahre 1812 in russi-[454]scher und englischer Sprache herauskam, wurden – sagt der Autorder Übersicht – in Rußland kaum je 200 Exemplare abgesetzt, während in Deutschland vonder Reise Krusensterns drei Ausgaben erschienen und in London das Buch Lissjanskis innerhalbvon zwei Wochen zur Hälfte verkauft war.Das Erscheinen von Jahresübersichten in den Almanachen war eine Folge des erwachendenkritischen Geistes. Bevor der Kritiker an die Übersicht der Literatur eines bestimmten Jahresheranging, gab er manchmal eine Skizze der gesamten Geschichte der russischen Literatur.Diese Übersichten zu schreiben, war damals sehr leicht und sehr schwer zugleich. Leicht,weil sich alles auf leichte Urteile beschränkte, die dem persönlichen Geschmack des Autorsausdrückten; schwer oder, besser gesagt, langweilig, weil es eine Kleinarbeit, Stückwerk war:man mußte unbedingt alles aufzählen, was im Laufe des betreffenden Jahres in Einzelausgaben,in den Zeitschriften und den Almanachen an Originalarbeiten und Übersetzungen erschienenwar. Und was wurde damals auf dem Gebiet der schönen Literatur in den Zeitschriftenund den Almanachen abgedruckt? – meist winzige Bruchstücke aus kleinen Poemen, ausRomanen, Erzählungen und Dramen und dergleichen. Abgeschlossene Werke gab es meistauch gar nicht: man schrieb Bruchstücke, ohne überhaupt die Absicht zu haben, etwas Ganzeszu schreiben. Über jede dieser Bagatellen mußte man eine Bemerkung machen und seineMeinung sagen, denn damals, zu Beginn der sogenannten Romantik, war alles neu, erschienalles interessant, galt alles als wichtiges Ereignis – ein Bruchstück von 20 Verszeilen auseinem nicht existierenden Poem ebensogut wie eine Elegie oder die hundertste Nachahmungirgendeiner Piece von Lamartine, die Übersetzung eines Romans von Walter Scott oder einesRomans irgendeines Vandervelde.In dieser Hinsicht hat man es jetzt besser, wenn man eine Übersicht schreibt. Heute wirdnicht mehr alles zur Literatur gerechnet, was aus der Druckerpresse hervorgeht. Heute hatman vieles erfahren und durchschaut und sich an vieles gewöhnt. Gewiß ist die Übersetzungeines Romans wie „Dombey und Sohn“ auch heute eine bemerkenswerte literarische Erscheinungund darf in einer Übersicht nicht unbeachtet bleiben; dafür darf man jedoch dieÜbersetzungen der Romane von Sue, Dumas und anderen französischen Belletristen, wie siejetzt zu Dutzenden erscheinen, nicht mehr immer zu den literarischen Erscheinungen rechnen.Sie schütteln ihre Werke [455] aus dem Ärmel, ihr Ziel ist ein einträglicher Absatz, undder Genuß, den sie einer bestimmten Gattung von Liebhabern solcher Literatur bereiten, gehörtgewiß in das Gebiet des Geschmacks, aber nicht des ästhetischen, sondern jenes Geschmacks,den die einen mit Zigarrenrauchen und die anderen mit Nüsseknacken befriedigen...Das Publikum unserer Zeit ist nicht mehr das, was es früher war. Die Willkür der Kritikkann heute bereits nicht mehr ein gutes Buch umbringen und einem schlechten zum Erfolgverhelfen. Die französischen Romane füllen unsere Zeitschriften und erscheinen in Buchform;in beiden Fällen finden sie eine Menge Leser. Daraus braucht man jedoch durchauskeine abfällige Schlußfolgerung auf den Geschmack des Publikums zu ziehen. Viele greifenzu einem Roman von Dumas wie zu einem Märchen, wobei sie im voraus wissen, womit siees zu tun haben, lesen ihn, um sich während des Lesens an den unwahrscheinlichen Abenteu-OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!