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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 267von Fremdwörtern; die unsrige hat natürlich das gleiche Schicksal gehabt. Und das wird nochlange so weitergehen: die Bekanntschaft mit neuen Ideen, die auf einem für uns fremden Bodenausgebildet wurden, wird uns stets auch neue Wörter bringen. Mit der Zeit jedoch wirddas immer weniger bemerkbar sein, weil wir bisher immer einen ganzen Kreis uns bis dahinfremder Begriffe auf einmal kennengelernt haben. Je erfolgreicher unsre Annäherung an Europavor sich geht, um so mehr wird die Menge der für uns fremden Begriffe abnehmen, undneu wird für uns nur das sein, was auch für Europa selbst neu ist. Dann werden natürlich auchdie Entlehnungen gleichmäßiger, ruhiger vor sich gehen, weil wir dann nicht mehr hinter Europaherlaufen, sondern Seite an Seite mit ihm gehen werden, ganz zu schweigen davon, daßsich auch die russische Sprache im Laufe der Zeit mehr und mehr ausbilden, entwickeln, geschmeidigerund bestimmter werden wird.Ohne Zweifel läuft die Sucht, die russische Rede ohne Not und ohne unzureichenden Grundmit fremden Wörtern zu spicken, dem gesunden Verstand und dem gesunden Geschmackzuwider; aber sie schadet nicht der russischen Sprache und der russischen Literatur, sondernnur denen, die von ihr befallen sind. Doch das entgegengesetzte Extrem, d. h. ein übermäßigerPurismus, führt zu denselben Folgen, weil Extreme sich berühren. Das Geschick derSprache hängt nie von der Willkür der einen oder der anderen Person ab. Die Sprache hateinen zuverlässigen, treuen Beschützer: ihren eigenen Geist und Genius. Deshalb halten sichauch aus der großen Menge eingeführter Fremdwörter nur einige wenige, während die übrigenvon selbst verschwinden. Dem gleichen Gesetz unterliegen auch die neugebildeten russischenWörter: die einen behaupten sich, die anderen ver-[451]schwinden. Ein unglücklicherdachtes russisches Wort zur Wiedergabe eines fremden Begriffs ist nicht nur nicht besser,sondern entschieden schlechter als ein Fremdwort. Man sagt, es sei überhaupt unnötig, einneues russisches Wort für „Progreß“ zu erfinden, weil es bereits zufriedenstellend durchWörter wie „Erfolg“, „Vorwärtsbewegung“ usw. ausgedrückt werde. Das stimmt nicht. „Progreß“bezieht sich nur auf das, was sich aus sich selbst entwickelt. Progreß kann auch einVorgang sein, bei dem es keinen Erfolg oder Zuwachs, ja nicht einmal einen Schritt vorwärtsgibt; und Progreß kann umgekehrt manchmal ein Mißerfolg, ein Niedergang, eine Bewegungnach rückwärts sein. Das gilt namentlich für die historische Entwicklung. Es gibt in der Geschichteder Völker und der Menschheit unglückliche Epochen, in denen ganze Generationenden kommenden Generationen sozusagen zum Opfer gebracht werden. Die schweren Zeitengehen vorüber – und das Übel verwandelt sich in sein Gegenteil. Das Wort „Progreß“ hat dieganze Bestimmtheit und Exaktheit eines wissenschaftlichen Fachausdrucks für sich und ist injüngster Zeit zu einem geflügelten Wort geworden, das von jedermann gebraucht wird – auchvon denen, die seinen Gebrauch bekämpfen. Deshalb werden wir auch, solange kein russischesWort aufkommt, das einen vollen Ersatz gibt, das Wort „Progreß“ verwenden.Jede organische Entwicklung vollzieht sich durch Fortschritt, organisch entwickelt sich abernur das, was seine Geschichte hat, und seine Geschichte hat nur das, dessen Erscheinung jeweilsdas notwendige Resultat einer vorhergehenden Erscheinung ist und sich aus ihr erklärt.Wenn man sich eine Literatur vorstellen wollte, in der von Zeit zu Zeit Werke erscheinen, diezwar bemerkenswert sind, aber jeden inneren Zusammenhangs, jeder inneren Abhängigkeitentbehren und ihr Erscheinen äußeren Einflüssen, der Imitation verdanken, so kann eine solcheLiteratur keine Geschichte haben. Ihre Geschichte ist der Bücherkatalog. Auf eine solcheLiteratur läßt sich das Wort „Fortschritt“ nicht anwenden, und das Erscheinen eines neuen,irgendwie bemerkenswerten Werkes ist bei ihr kein Fortschritt, weil dieses Werk keine Wurzelnin der Vergangenheit hat und keine Frucht in der Zukunft verspricht. Die Zeiten und dieJahre haben dabei nichts zu sagen: sie können so dahingehen, ohne daß sich etwas ändert.Anders ist es bei einer Literatur, die sich historisch entwickelt: hier bringt jedes neue Jahrirgend etwas mit sich, und dieses Irgendetwas ist der Fortschritt. Aber nicht jedes Jahr läßtOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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