13.07.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 266wahre, vollendet glückliche und sittliche Leben. Sie geben, wenn auch blutenden Herzens,zu, daß die Welt sich stets verändert und nie lange auf dem sittlichen Gefrierpunkt haltgemachthat; aber eben hierin sehen sie die Ursache allen Übels auf Erden. Ohne lange mit diesenHerren zu streiten, ohne uns auf Beweise oder Argumente gegen sie einzulassen, sagenwir einfach, daß sie Chinesen sind... Diese Benennung löst die Frage besser als alle Untersuchungenund Betrachtungen...Das Wort „Progreß“ * muß natürlich auf besondere Abneigung bei den Puristen der russischenSprache stoßen, die jedes Fremd-[449]wort als Ketzerei oder Spaltung in der Orthodoxie derMuttersprache empört ablehnen. Dieser Purismus ** hat seine Berechtigung und sachliche Begründung;dennoch ist er eine zum Extrem getriebene Einseitigkeit. Einige der älteren Schriftsteller,die die moderne russische Literatur nicht lieben (weil sie weit über sie hinausgegangenist, sie aber weit hinter ihr zurückgeblieben und dadurch völlig außerstande sind, irgendeinewesentliche Rolle in ihr zu spielen), verstecken sich hinter dem Purismus und behaupten unaufhörlich,daß unsere schöne russische Sprache in unserer Zeit, besonders durch die Einführungvon Fremdwörtern, auf alle mögliche Weise entstellt und verunstaltet werde. Aber werwüßte nicht, daß die Puristen das gleiche über die Zeit Karamsins gesagt haben? „Unsere Zeit“muß hier also ganz unverdient herhalten, und wenn sie wirklich die Schuld hat, die man ihrvorwirft, dann durchaus nicht in höherem Grade als irgendeine andere vorhergehende Zeit.Wenn die Verwendung von Fremdwörtern in der russischen Sprache wirklich ein Übel wäre,so ist sie ein notwendiges Übel, dessen Wurzeln weit in die Reform Peters des Großen zurückreichen;denn diese Reform hat uns mit einer Menge von bis dahin völlig fremden Begriffenbekannt gemacht, für die wir keine Wörter hatten. Es war deshalb notwendig, die fremdenBegriffe auch mit fertigen fremden Wörtern auszudrücken. Einige dieser Wörter sind bis heuteunübersetzt beibehalten worden und haben deshalb im russischen Wortschatz Bürgerrechterworben. Jedermann ist an sie gewöhnt, jedermann versteht sie: wozu sie da ausmerzen? Natürlichsind für den einfachen Mann Wörter wie „Instinkt“ und „Egoismus“ unverständlich,aber nicht deshalb, weil es Fremdwörter sind, sondern deshalb, weil die durch sie ausgedrücktenBegriffe seinem Begriffsvermögen fremd sind, und Wörter wie „Erbtrieb“ oder „Ichsucht“werden für ihn ebenso unklar sein wie „Instinkt“ und „Egoismus“. Einfache Leute verstehenauch rein russische Wörter nicht, deren Sinn über den engen Kreis ihrer gewöhnlichen Alltagsbegriffehinausgeht, wie z. B.: „Dasein“, „zeitgenössisch“, „Entstehung“ und dergleichen,und verstehen ausgezeichnet solche Fremdwörter, die Begriffe aus ihrem engeren Lebenskreisausdrücken, wie z. B. „Paß“, „Billett“, „Banknoten“, „Quittung“ und dergleichen. Was aberdie gebildeten Leute angeht, so ist für sie „Instinkt“ unbestritten klarer und verständlicher als „Erbtrieb“, „Egoismus“ klarer als „Ichsucht“ usw. Aber wenn die einen Fremdwörter sich behauptetund in der russischen Sprache Bürgerrecht bekommen [450] haben, sind andere imLaufe der Zeit glücklich durch russische, größtenteils neugebildete Wörter ersetzt worden. Sohat, sagt man, Tredjakowski das heutige russische Wort für „Objekt“ und Karamsin das russischeWort für „Industrie“ eingeführt. Die Zahl der russischen Wörter, die erfolgreich an dieStelle von Fremdwörtern getreten sind, ist groß, und wir sind die ersten, die zugeben, daß dieVerwendung eines Fremdwortes, wenn es ein gleichwertiges russisches Wort gibt, eine Beleidigungdes gesunden Menschenverstandes und des gesunden Geschmackes ist. So kann es z.B. nichts Dümmeres und Absurderes geben, als an Stelle von „übertreiben“ das Wort „outrieren“zu verwenden. Jede neue Epoche der russischen Literatur zeigte einen neuen Zustrom* Die russische Sprache besitzt für „Fortschritt“ nur das Wort „Progreß“. Der größeren Klarheit halber verwendenwir in der Übersetzung durchgehend das Wort Fortschritt. Nur in den folgenden zwei Absätzen, in denensein Fremdwortcharakter eine wesentliche Rolle spielt, setzen wir statt dessen „Progreß“. – Der Übers.** Geisteshaltung, die nach Reinheit geistiger Schöpfungen strebt und versucht, sie von „fremden“ Zutaten zubefreien.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!