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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 265anderen sind begeistert, daß alles besser wird. Natürlich werden hierbei Gut und Schlechtgrößtenteils durch die persönliche Situation jedes Einzelnen bestimmt, und jeder stellt seineeigene werte Person ins Zentrum der Ereignisse und setzt alles in der Welt zu ihr in Beziehung:es geht ihm schlechter, und so meint er, daß alles für alle schlechter geworden sei, undumgekehrt. Aber so faßt eben die Mehrheit, die Masse, die Dinge auf; Leute, die beobachtenund denken, sehen dagegen in der Veränderung des gewöhnlichen Laufs der alltäglichenDinge nicht eine bloße Verbesserung oder Verschlechterung ihrer eigenen Lage, sondern eineVeränderung der Begriffe und der Sitten der Gesellschaft, folglich eine Entwicklung des gesellschaftlichenLebens. Entwicklung ist für sie Vorwärtsschreiten, folglich Verbesserung,Erfolg, Fortschritt.Die Feuilletonisten, von denen es jetzt bei uns eine solche Menge gibt und die sich bloßdeshalb, weil sie allwöchentlich in den Zeitungen Betrachtungen über das ewig schlechteWetter von Petersburg anstellen müssen, für tiefe Denker und Verkünder großer Wahrheitenhalten – diese unsere Feuilletonisten lieben das Wort „Fortschritt“ ganz und gar nicht undstellen ihm mit dem gleichen Scharfsinn nach, mit dessen unbestrittener, glänzender Berühmtheites nur unsere ebenfalls einheimischen Vaudeville * -Verfasser aufnehmen können.Wofür hat eigentlich das Wort „Fortschritt“ sich so besondere Verfolgungen von seiten dieserscharfsinnigen Herren zugezogen? Das hat viele verschiedene Gründe. Der eine mag diesWort deshalb nicht, weil nichts von ihm zu hören war, als er jung war und er es noch einigermaßenhätte verstehen können. Ein anderer deshalb, weil nicht er dieses Wort in Umlaufgebracht hat, sondern andere – Leute, die weder Feuilletons schreiben noch Vaudevilles, indessenaber solchen Einfluß auf die Literatur haben, daß sie neue Wörter in Umlauf setzenkönnen. Einem dritten ist dieses Wort deshalb zuwider, weil es in Gebrauch gekommen ist,ohne daß er davon wußte, ohne daß man ihn um Rat gefragt hat, während er doch überzeugtist, daß ohne seine Mitwirkung in der Literatur nichts Wichtiges geschehen darf. Unter diesenHerren gibt es viele, die [448] gern irgend etwas Neues erfinden möchten, nur gelingt es ihnennie. Sie denken sich auch allerlei aus, greifen aber immer daneben, und alle ihre Neuerungenklingen nach „Tscharomutije“ 2 und bringen die Leute zum Lachen. Dafür scheint esihnen jedesmal, sobald irgend jemand einen neuen Gedanken ausspricht oder ein neues Wortverwendet, daß eben diesen Gedanken oder eben dieses Wort ganz sicher auch sie gefundenhätten, wenn man ihnen nicht zuvorgekommen wäre und ihnen dadurch die Gelegenheit genommenhätte, sich durch Einführung einer Neuerung hervorzutun. Es gibt unter diesen Herrenauch solche, die noch nicht über die Zeit hinaus sind, wo der Mensch noch fähig ist, etwaszu lernen, und die ihren Jahren nach das Wort „Fortschritt“ verstehen könnten, es aberaus anderen, „nicht von ihnen abhängenden Umständen“ nicht dazu bringen können. Bei allerunserer Hochachtung für die Herren Feuilletonisten und Vaudeville-Verfasser und für ihrenbewiesenen glänzenden Scharfsinn wollen wir uns doch nicht auf einen Streit mit ihnen einlassen,denn wir fürchten, daß der Kampf gar zu ungleich sein würde – für uns natürlich... Esgibt noch eine besondere Gattung von Feinden des „Fortschritts“, das sind die Leute, die diesesWort um so heftiger hassen, je besser sie seinen Sinn und seine Bedeutung verstehen.Hier richtet sich der Haß eigentlich schon nicht wehr gegen das Wort, sondern gegen dieIdee, die es ausdrückt, und das unschuldige Wort muß zum Sündenbock für seine Bedeutungherhalten. Diese Leute möchten sich und anderen einreden, Stillstand sei besser als Bewegung,das Alte stets besser als das Neue, und das Leben in der Vergangenheit sei das echte,* Frühform des französischen Schlagers seit dem 15. Jahrhundert2 „Tscharomutije“ – ein unübersetzbarer Neologismus aus den Wurzeln „tschar“ („Zauber-, Hexen-“) und „mut“(„durcheinanderbringen“) – ist hier eine Anspielung auf einen gewissen Platon Lukaschewitsch, der im Jahre1846 ein mystisch-verworrenes Buch unter dem Titel: Tscharomutije oder die Sprache der Magier, Priester undWahrsager, entdeckt von Platon Lukaschewitsch“ herausgebracht hatte.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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