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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 260len des schrecklichen Reichtums des Händlers Sacholustjew gegeben; zugleich hatte er esjedoch für nötig gehalten, ihm Seliphont Micheitsch gegenüberzustellen, der ebenfalls zuschrecklichem Reichtum gekommen ist, jedoch durch Ehrlichkeit und Ordnungsliebe, undvor allem dadurch, daß er „getreu alten russischen Gebräuchen lebte“. Wir würden ganz gernewissen, was unsre Kaufleute zu dieser Utopie des edel-ehrlichen Erwerbs eines riesigenLandguts sagen würden... Nach Herrn Weltmans Meinung ist ein Russe, der das Unglück hat,Französisch zu verstehen, ein verlorener Mensch ... Was für Vorurteile, denkt man da, findensich doch selbst bei Leuten mit Geist und Talent!Dmitrizki, der Held des Romans, ist eine Art Wanjka Kain der Neuzeit oder das, was die Franzoseneinen „chevalier d’industrie“ [Hochstapler] nennen. eine sehr dankbare und im allgemeinenvom Autor meisterhaft gezeichnete Figur. Dafür ist die Heldin Salomea Petrowna, derdie wenig beneidenswerte Rolle der Repräsentantin und des Opfers [439] der neuesten Sittenund der Kenntnis des Französischen zugefallen ist – eine völlig märchenhafte Figur. Zu Anfangtritt sie als Zierpuppe, als kalte Heuchlerin, als bis zur Trivialität ungeschickte Schauspielerinauf, doch dann wird sie zum leidenschaftlichsten Weib, das man sich nur vorstellen kann.Die Handlung des Romans ist höchst verworren. Er enthält ebenso viele Episoden wie Figuren,und die Zahl der Figuren ist, wie wir gesagt haben, endlos. Sobald eine neue Figur auftritt,läßt der Autor ohne Umschweife den Helden und die Heldin im Stich und beginnt dem Leserdie Geschichte dieser neuen Figur vom Tage ihrer Geburt und manchmal auch vom Tage derGeburt ihrer Eltern bis auf den Tag ihres Auftretens im Roman zu erzählen. Ein großer Teildieser eingeschalteten Figuren ist mit großer Kunst dargestellt oder umrissen. Der Ablauf desRomans ist sehr interessant, die Ereignisse enthalten viel Wahres, gleichzeitig aber auch vielUnwahrscheinliches. Wo es dem Autor an Mitteln fehlt, den geschürzten Knoten natürlich zulösen oder einen neuen zu schürzen, erscheint bei ihm sofort der Deus ex machina. Das ist z.B. der Fall bei der Entführung Salomeas durch die Knechte Philipp Sawitschs, eines Gutsbesitzersaus dem Gouvernement Kiew – selten wohl hat je ein Schriftsteller von Talent sich zueiner derart unwahrscheinlich romanhaften Künstelei verstiegen. Solche märchenhafte Unwahrscheinlichkeitengibt es besonders viele auf dem Lebenswege Dmitrizkis; ihm gelingtalles, er kommt stets zu seinem Vorteil aus der allerschwierigsten, allerunvorteilhaftesten Situationheraus. Er trifft ohne Dokumente in Moskau ein, nur mit einem Goldstück in der Tasche,nimmt sich ein Hotelzimmer, trinkt und ißt wie ein großer Herr – und plötzlich führt ihmdas Schicksal einen literaturbeflissenen zu: dieser verwechselt ihn mit einem Literaten, derdasselbe Hotelzimmer am Vortage innegehabt hat, nimmt ihn zu sich nach Hause mit, bietetihm dort Wohnung an und gibt ihm Geld. Das alles geht vor sich wie beim Tischleindeckdichund beweist, daß Herr Weltman mehr Talent für Einzelfälle und besondere Details hat als fürdie Schöpfung eines Ganzen, mehr Neigung zum Märchen als zum Roman und daß die Systemeund Theorien seinem bemerkenswerten Talent reichlich Abbruch tun...Wenn wir noch „Die Ungarn“ erwähnen, eine physiologische Skizze aus dem „FinnischenBoten“, dann ist unsre Aufzählung der besonders bemerkenswerten Erscheinungen des vergangenenJahres auf dem Gebiet der Belletristik abgeschlossen. Diese Aufzählung ist [440]nicht besonders groß ausgefallen * ; aber vieles wollen wir überhaupt nicht erwähnen, nichtdeshalb, weil wir etwa in allem, was wir mit Schweigen übergehen, nur Schlechtes und nichtsGutes sehen, sondern deshalb, weil wir es für nötig hielten, nur über das besonders Bemerkenswertezu sprechen.* Das kommt zum Teil daher, daß eine ganze Anzahl von bemerkenswerten belletristischen Werken, besondersvon Erzählungen, im vergangenen Jahr in einem sehr großen Sammelband erscheinen sollte, dessen Herausgabegeplant war. Auf Veranlassung des „Sowremennik“ hat jedoch der Schriftsteller, der die Herausgabe des großenSammelbands in Angriff genommen hatte, es für besser gehalten, sein Unternehmen aufzugeben und die vonihm gesammelten Beiträge dem „Sowremennik“ abzutreten. – W. B.OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 261Nach dem Vorbild des „Petersburger Sammelbands“ ist in Moskau ein „Moskauer literarischerund gelehrter Sammelband“ erschienen, der ungeachtet seiner slawophilen Tendenz einigeinteressante Aufsätze enthält, unter denen besonders der Aufsatz „Die Reisekutsche“, unterschriebenM. S. K. 10 , durch seinen klugen Inhalt und seine meisterhafte Darstellung hervorragt.Die „Erinnerungen Faddej Bulgarins (Fragmente aus Gesehenem, Gehörtem und Erlebtem)“‚die eigentlich weder zur gelehrten noch zur poetischen, noch zur sogenannten leichtenLiteratur gehören, sind ein in jeder Hinsicht interessantes und bemerkenswertes Buch. Anläßlichdes kürzlich erschienenen dritten Teils dieses Werkes werden wir weiter unten unserUrteil abgeben und beschränken uns hier vorläufig auf die bloße Erwähnung.Zu den Werken dieser Gattung würden wir auch die „Aufzeichnungen eines Arztes“ vonHerrn Malinowski rechnen, wenn diese Aufzeichnungen mehr ihrer ausgezeichneten Zielsetzungentsprächen und mehr wirklichen Aufzeichnungen ähnelten als einem Melodrama in derForm eines mißlungenen Romans, der noch dazu ohne Talent, ohne Können und Takt geschriebenist.Wenn wir jetzt von den rein literarischen Schöpfungen zu den Werken gelehrten, wissenschaftlichenInhalts übergehen, so wollen wir damit beginnen, was im vergangenen Jahr aufdem Gebiet der russischen Geschichte geleistet worden ist. Wir wollen bei dieser Gelegenheitnoch sagen, daß diesem Gegenstand im „Sowremennik“ besondere Aufmerksamkeit geschenktwerden wird. Außer Aufsätzen über Fragen der russischen Geschichte wird unsereZeitschrift, die ihren Lesern über andere Fragen keine vollständige Bibliographie verspricht,Rezensionen über alles bringen, was auf dem Gebiet der [441] russischen Geschichte auchnur einigermaßen bemerkenswert sein wird · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·Die „Geschichte des russischen Schrifttums, vorwiegend der älteren Zeiten“ – dreiunddreißigöffentliche Vorlesungen von Herrn Schewyrjow (bisher sind zwei Teile erschienen) – gehörtzu den bemerkenswerten Erscheinungen der russischen gelehrten Literatur des vergangenenJahres. In diesem Werk legt der Autor eine vertraute Bekanntschaft mit den Quellen, einegroße Belesenheit, kurz, eine Erudition * an den Tag, die dem fleißigsten deutschen „Gelehrten“alle Ehre machen würde. Dabei zeichnet sich das Werk durch tiefe, ehrliche Überzeugungund die allernaivste Gewissenhaftigkeit aus, was jedoch den emsigen, ehrenwerten Professornicht daran gehindert hat, die Tatsachen entgegen jeder Wahrheit darzustellen. Diesesonderbare Erscheinung wird sofort verständlich, wenn man in Betracht zieht, welche furchtbareMacht über den gesunden Menschenverstand der Geist eines Systems, der Zauberbanneiner fertigen Idee besitzt, die bereits vor dem Studium der Tatsachen als unumstößlicheWahrheit anerkannt worden ist. Hier liegt die Ursache, warum Herr Schewyrjow in den geistlichenTexten der ältesten und alten Zeit Rußlands unbedingt Schöpfungen der russischenVolksliteratur sehen will, während er in dem Recken der russischen Sage, Ilja Muromez, gemeinsameZüge mit dem Cid, dem Helden der nationalen spanischen Ritterromanzen, entdeckt...Der hochgelehrte, arbeitsame Wenelin hat ja auch in Attila einen Slawen entdeckt...Das beweist, daß auch die Herren Gelehrten der menschlichen Schwäche Tribut zollen undebensolchen sonderbaren Ideen verfallen können wie die allereinfachsten, völlig ungebildetenLeute... Vielleicht kommt das daher, daß sie sich, wie das einfache Volk sagt, ins Lesen verbiesternund daß ihnen der Verstand mit der Vernunft durchgeht; vielleicht liegen auch andereGründe vor – wir wissen es nicht; aber so viel wissen wir, daß der Geist eines Systems undeiner Doktrin die erstaunliche Fähigkeit hat, auch die hellsten Köpfe zu verfinstern und zufanatisieren... Im übrigen hat das Buch des Herrn Schewyrjow, abgesehen von seiner sla-10 „M. S. K.“ war ein Pseudonym J. Samarins, eines Publizisten aus dem Kreis der Slawophilen.* Gelehrsamkeit, oft auch GelehrtheitOCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 261Nach dem Vorbild des „Petersburger Sammelbands“ ist in Moskau ein „Moskauer literarischerund gelehrter Sammelband“ erschienen, der ungeachtet seiner slawophilen Tendenz einigeinteressante Aufsätze enthält, unter denen besonders der Aufsatz „Die Reisekutsche“, unterschriebenM. S. K. 10 , durch seinen klugen Inhalt und seine meisterhafte Darstellung hervorragt.Die „Erinnerungen Faddej Bulgarins (Fragmente aus Gesehenem, Gehörtem und Erlebtem)“‚die eigentlich weder zur gelehrten noch zur poetischen, noch zur sogenannten leichtenLiteratur gehören, sind ein in jeder Hinsicht interessantes und bemerkenswertes Buch. Anläßlichdes kürzlich erschienenen dritten Teils dieses Werkes werden wir weiter unten unserUrteil abgeben und beschränken uns hier vorläufig auf die bloße Erwähnung.Zu den Werken dieser Gattung würden wir auch die „Aufzeichnungen eines Arztes“ vonHerrn Malinowski rechnen, wenn diese Aufzeichnungen mehr ihrer ausgezeichneten Zielsetzungentsprächen und mehr wirklichen Aufzeichnungen ähnelten als einem Melodrama in derForm eines mißlungenen Romans, der noch dazu ohne Talent, ohne Können und Takt geschriebenist.Wenn wir jetzt von den rein literarischen Schöpfungen zu den Werken gelehrten, wissenschaftlichenInhalts übergehen, so wollen wir damit beginnen, was im vergangenen Jahr aufdem Gebiet der russischen Geschichte geleistet worden ist. Wir wollen bei dieser Gelegenheitnoch sagen, daß diesem Gegenstand im „Sowremennik“ besondere Aufmerksamkeit geschenktwerden wird. Außer Aufsätzen über Fragen der russischen Geschichte wird unsereZeitschrift, die ihren Lesern über andere Fragen keine vollständige Bibliographie verspricht,Rezensionen über alles bringen, was auf dem Gebiet der [441] russischen Geschichte auchnur einigermaßen bemerkenswert sein wird · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·Die „Geschichte des russischen Schrifttums, vorwiegend der älteren Zeiten“ – dreiunddreißigöffentliche Vorlesungen von Herrn Schewyrjow (bisher sind zwei Teile erschienen) – gehörtzu den bemerkenswerten Erscheinungen der russischen gelehrten Literatur des vergangenenJahres. In diesem Werk legt der Autor eine vertraute Bekanntschaft mit den Quellen, einegroße Belesenheit, kurz, eine Erudition * an den Tag, die dem fleißigsten deutschen „Gelehrten“alle Ehre machen würde. Dabei zeichnet sich das Werk durch tiefe, ehrliche Überzeugungund die allernaivste Gewissenhaftigkeit aus, was jedoch den emsigen, ehrenwerten Professornicht daran gehindert hat, die Tatsachen entgegen jeder Wahrheit darzustellen. Diesesonderbare Erscheinung wird sofort verständlich, wenn man in Betracht zieht, welche furchtbareMacht über den gesunden Menschenverstand der Geist eines Systems, der Zauberbanneiner fertigen Idee besitzt, die bereits vor dem Studium der Tatsachen als unumstößlicheWahrheit anerkannt worden ist. Hier liegt die Ursache, warum Herr Schewyrjow in den geistlichenTexten der ältesten und alten Zeit Rußlands unbedingt Schöpfungen der russischenVolksliteratur sehen will, während er in dem Recken der russischen Sage, Ilja Muromez, gemeinsameZüge mit dem Cid, dem Helden der nationalen spanischen Ritterromanzen, entdeckt...Der hochgelehrte, arbeitsame Wenelin hat ja auch in Attila einen Slawen entdeckt...Das beweist, daß auch die Herren Gelehrten der menschlichen Schwäche Tribut zollen undebensolchen sonderbaren Ideen verfallen können wie die allereinfachsten, völlig ungebildetenLeute... Vielleicht kommt das daher, daß sie sich, wie das einfache Volk sagt, ins Lesen verbiesternund daß ihnen der Verstand mit der Vernunft durchgeht; vielleicht liegen auch andereGründe vor – wir wissen es nicht; aber so viel wissen wir, daß der Geist eines Systems undeiner Doktrin die erstaunliche Fähigkeit hat, auch die hellsten Köpfe zu verfinstern und zufanatisieren... Im übrigen hat das Buch des Herrn Schewyrjow, abgesehen von seiner sla-10 „M. S. K.“ war ein Pseudonym J. Samarins, eines Publizisten aus dem Kreis der Slawophilen.* Gelehrsamkeit, oft auch GelehrtheitOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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