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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 253Schwärmerei einzusperren, sondern sich ins Leben zu stürzen, um mit ihm zu kämpfen, wennsie nicht Genuß an ihm finden will, für den sie keine Möglichkeit sieht. Statt diesen schwerenSchritt zu tun, hat Frau Shadowskaja es vorgezogen, in Ruhe den Himmel und die Sterne zubetrachten. Fast in keinem ihrer Gedichte wendet sie ihre Augen vom Himmel und von denSternen ab, aber irgend etwas Neues hat sie dort nicht entdeckt. Sie ist eben kein Leverrier, deruns den bis dahin unbekannten Planeten Neptun entdeckt hat. Leverrier ist mehr [427] Dichterals Frau Shadowskaja, obwohl er keine Verse schreibt. Wir geben gern jedem recht, der findet,daß dieser Vergleich deplaciert oder an den Haaren herbeigezogen ist; dennoch müssen wirsagen, daß es schlechte Poesie ist, wenn man in den Himmel blickt, ohne in ihm etwas andereszu sehen als allgemeine Phrasen mit oder ohne Reim! Und was kann ein Dichter unserer Zeitauch Rechtes im Himmel erblicken, wenn er nicht die geringste Ahnung von den allgemeinstenphysikalischen und astronomischen Begriffen hat und nicht weiß, daß es diese blaueKuppel, die seinen Blick fesselt, in Wirklichkeit überhaupt nicht gibt, sondern daß sie dasProdukt seines eigenen, zum Mittelpunkt der für ihn sichtbaren sphärischen Rundung gewordenenSehorgans ist; daß es dort in der Höhe, wohin er so sehr strebt, leer und kalt ist, daß esdort keine Luft zum Atmen gibt und daß man selbst im besten Ballon auch in tausend Jahrennicht von einem Stern zum andern fliegen kann... Ganz anders auf der Erde: – auf ihr ist eshell und warm, hier gehört alles uns, alles ist nah und verständlich, hier ist unser Leben, unserePoesie... Dafür kann man auch, wenn man sich von ihr abwendet und sie nicht zu begreifenversteht, kein Dichter sein und kann nur in kalter Höhe kalte, leere Phrasen erjagen... 9Unter den genannten, im vergangenen Jahr erschienenen Gedichtbändchen verdienen besondereAufmerksamkeit die „Gedichte Apollon Grigorjews“. In ihnen blitzen wenigstens etwaswie Funken wirklicher Poesie auf, d. h. einer Poesie, die man sich als Werk gefallen lassenkann. Es ist schade, daß dieser Funken nur wenige sind. Herr Grigorjew verdankt sie demEinfluß Lermontows; aber dieser Einfluß schwindet mehr und mehr und verwandelt sich ineine Originalität, die ganz aus nebelhaftmystischen Phrasen besteht, bei deren Lesen einemunwillkürlich das alte Epigramm einfällt:„Fürwahr, mit Engelzungen singt Bibrus gar schön:Kein Sterblicher kann seinen Sang verstehn!Das ist eine Originalität, die nicht einmal Nachahmung verdient!Ein wirklicher Gewinn für die russische Literatur überhaupt war dagegen die im vergangenenJahr erfolgte Herausgabe der Gedichte Kolzows. Obgleich diese Gedichte bereits alle gedrucktund in Almanachen und Zeitschriften zu lesen waren, wirken sie doch als etwas ganzNeues, und zwar deshalb, weil sie hier gesammelt vorliegen und dem Leser eine Vorstellungvon der gesamten poetischen [428] Wirksamkeit Kolzows geben, die sich hier als etwas Ganzesdarstellt. Dieses Büchlein ist eine fundamentale, klassische Errungenschaft der russischenLiteratur, eine Errungenschaft, die nichts zu tun hat mit jenen Eintags-Erscheinungen, dieman, selbst wenn sie nicht eines relativen Wertes entbehren, als Neuerscheinung durchblättert,um sie dann wieder zu vergessen. Talent zum Versemachen ist in unserer Zeit nichtsBesonderes, ist eine recht gewöhnliche Angelegenheit. Wenn es etwas taugen soll, so muß esnicht einfach Talent, sondern auch ein großes Talent sein, das mit eigenen, ursprünglichenGedanken, einem warmen Gefühl für das Leben und der Fähigkeit, es tief zu begreifen, ausgestattetsein muß. Nach allem, was diese Zeitschriften darüber zusammengeschrieben haben,faßten einige kleine Talente diese Wahrheit auf ihre Weise auf und hielten es für nötig, dasTitelblatt ihrer Büchlein zum Beweis dafür, daß ihre Dichtung sich durch moderne Richtung9 In dieser Einschätzung der Gedichte Julia Shadowskajas spürt man eine versteckte Polemik gegen V. N. Maikow.Belinski hat recht behalten: Julia Shadowskaja blieb eine drittrangige Schriftstellerin und ist heute völligvergessen.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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