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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 251wir sie nicht selbst und für uns lösen, werden wir nichts davon haben, daß sie in Europa gelöstsind. Auf den Boden unseres Lebens übertragen, sind diese Fragen die gleichen und dochandere und erfordern andere Lösungen. – Heute beschäftigen neue große Fragen 8 Europa.Wir können und wir müssen uns natürlich für sie interessieren und sie verfolgen, weil unsnichts Menschliches fremd sein darf, wenn wir Menschen sein wollen. Zugleich wäre es abervöllig fruchtlos, wenn wir diese Fragen zu unseren eigenen machen wollten. Uns kommt anihnen nur das zu, was sich auf unsere Lage anwenden läßt; alles andere ist uns fremd, und wirwürden nur in die Rolle Don Quichottes verfallen, wenn wir uns für sie erhitzen würden. Wirwürden uns dadurch eher den Spott als die Achtung der Europäer zuziehen. Bei uns, in uns,um uns – hier müssen wir sowohl die Fragen wie auch ihre Lösungen suchen. Diese Richtungwird uns brauchbare, wenn auch nicht gerade glänzende Früchte bringen. Und Ansätze zudieser Richtung sehen wir in der zeitgenössischen russischen Literatur, in diesen Ansätzenaber ihre Annäherung an die männliche Reife. In dieser Hinsicht befindet sich unsere Literaturheute in der [424] Lage, daß ihre Erfolge in der Zukunft, ihre Vorwärtsbewegung mehrvon dem Umfang und der Zahl der Gegenstände abhängen, auf die sie sich wird ausbreitenkönnen, als von ihr selbst. Je mehr ihr Inhalt sich ausweitet, je reichere Nahrung ihre Tätigkeitfindet, um so schneller und fruchtbarer wird sie sich entwickeln. Auf jeden Fall hat sie,wenn auch noch nicht ihre Reife erreicht, so doch bereits sozusagen den graden Weg zu ihrgefunden, ertastet, und damit hat sie einen großen Erfolg erzielt.Eines der frappantesten Anzeichen für die Reife der zeitgenössischen russischen Literatur istdie geringe Rolle, die die Versdichtung in ihr spielt. Es gab Zeiten, wo Verse und Verschenunserem Publikum Freude und Vergnügen bereiteten. Man las sie, las sie wieder, lernte sieauswendig, kaufte sie, ohne die Ausgabe zu scheuen, oder schrieb sie sich ab. Ein neues Poemin Versen, ein Poemfragment, neue Gedichte, die in einer Zeitschrift oder einem Almanacherschienen – das alles genoß das Privileg, Lärm, Debatten, Begeisterung, Diskussionenusw. auszulösen. Verskünstler ohne Zahl traten auf den Plan und wuchsen wie die Pilze nachdem Regen. Heute ist es anders. Gedichte spielen im Vergleich mit der Prosa eine sekundäreRolle. Man liest sie nicht besonders gern, schenkt ihnen kaum Beachtung, hat ein bißchenkühles Lob für das Gute übrig und verliert kein Wort über das Mittelmäßige. Gegen frühergibt es heute bedeutend weniger Verskünstler. Hieraus haben viele den Schluß gezogen, dieZeit der Poesie sei für die russische Literatur vorüber, die Poesie habe sich wohl gar für immervon uns zurückgezogen. Wir dagegen sehen hierin eher einen Triumph als einen Verfallder russischen Dichtung. Was hat die Manie des Verseschreibens und des Verselesens erschüttertund schließlich ganz ausgetrieben? – Vor allem das Auftreten Gogols, dann der Abdruckder nachgelassenen Werke Puschkins und schließlich das Auftreten Lermontows. Daspoetische Wirken Puschkins läßt sich in zwei Perioden einteilen: in der ersten erscheint esschön, aber noch nicht tief, nicht recht befestigt, noch zugänglich für Kopie und Nachahmung;in der zweiten sehen wir es auf der unerreichbaren Höhe künstlerischer Reife, Tiefeund Kraft; hier läßt es sich bereits nicht mehr kopieren, nicht mehr nachahmen. Das TalentLermontows lenkte gleich bei seinem ersten Auftreten die allgemeine Aufmerksam-[425]keitauf sich und nahm allen und jedem die Lust, es nachzuahmen. Seitdem wurde es sehr schwer,zu dichterischem Ruhm zu gelangen, so daß ein Talent, das früher eine blendende Rolle hättespielen können, sich jetzt mit einer wesentlich bescheideneren Stellung zufrieden geben muß.Das bedeutet, daß der Geschmack des Publikums Gedichten gegenüber wählerischer, die Ansprüchehöher geworden sind; und das ist natürlich ein Fortschritt und nicht ein Rückgang des8 Mit den „neuen großen Fragen“ meinte Belinski natürlich die von den utopistischen Sozialisten aufgeworfenenProbleme.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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