13.07.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 25Seine Episteln und Satiren stammen aus einer ganz anderen, nicht weniger schönen und bezauberndenWelt. In ihnen läßt sich die praktische Philosophie des russischen Geistes erkennen;was sie besonders auszeichnet, ist, daß sie den Volksgeist ausdrücken, Volksgeist nichtim Sinne einer Blütenlese von deftigen Bauernworten oder einer gewaltsamen Nachahmungalter Lieder und Märchen, sondern als russische Geisteshaltung verstanden, als russische Artund Weise, die Dinge zu betrachten. In dieser Hinsicht ist Dershawin im höchsten Maßevolksmäßig. Wie lächerlich stehen diejenigen da, die ihn den russischen Pindar, Horaz oderAnakreon betiteln; denn allein schon diese Dreifaltigkeit zeigt, daß er weder das eine nochdas andere, noch das dritte war, sondern alles auf einmal, und folglich höher stand als sie alledrei einzeln genommen! Wäre es nicht genau so absurd, wenn jemand Pindar oder Anakreonden griechischen und Horaz den römischen Dershawin nennen wollte, denn er, der selbst fürniemand Vorbild war, hatte auch kein Vorbild. Überhaupt muß gesagt werden, daß seinemangelnde Bildung der Grund seiner Aufgeschlossenheit für den Volksgeist war, deren Werter übrigens selbst nicht zu schätzen wußte; sie behütete ihn vor fader Nachahmung, und erwar originell und volksmäßig, ohne sich dessen bewußt zu sein. Hätte er Lomonossows universelleGelehrtheit besessen, wäre er als Dichter erledigt gewesen! Er hätte sich, Gott behüte,auf Tragödien und noch wahrscheinlicher auf Epopöen eingelassen: seine mißglücktenDramenversuche beweisen die Richtigkeit dieser Vermutung. Aber die Fügung hat ihn davorbewahrt – und so besitzen wir in Dershawin einen großen und genialen russischen Dichter,das treue Echo des russischen Volkslebens, den getreuen Widerhall der Zeit Katharinas II.Fonwisin war ein ungewöhnlich kluger und begabter Mann, aber ob er auch zum Komödiendichtergeboren war, ist eine Frage, die sich nicht so leicht bejahen läßt. Wirklich – läßt sich inseinen dramatischen Schöpfungen etwas von der Idee des ewigen Lebens erkennen? Eine drolligeAnekdote, in Rede und Gegenrede aufgelöst, an der ein paar Viecher teilnehmen, ist dochnoch keine Ko-[43]mödie. Gegenstand der Komödie ist nicht die Verbesserung der Sitten oderdie Verspottung gewisser Laster der Gesellschaft, nein: die Komödie muß den Zwiespalt zwischenLeben und Ziel malen, muß die Frucht bitterer, durch die Erniedrigung der Menschenwürdeerweckter Entrüstung sein, Sarkasmus und nicht Epigramm, konvulsivisches Lachenund nicht vergnügtes Lächeln, sie muß mit Galle und nicht mit Salzlösung geschrieben sein,sie muß das Leben in seiner tiefsten Bedeutung erfassen, d. h. in seinem ewigen Kampf vonGut und Böse, Liebe und Egoismus. Ist das bei Fonwisin der Fall? Seine Dummköpfe sindrecht lächerlich und abstoßend, aber das kommt daher, daß sie nicht Schöpfungen der Phantasie,sondern allzu getreue Kopien nach der Natur sind; seine klugen Personen sind nichts anderesals Automaten, die eingelernte Moralsentenzen von sich geben; und das alles deshalb, weilder Dichter belehren und bessern wollte. Dieser Mann war von Natur zum Lachen aufgelegt;er platzte fast vor Lachen, wenn er im Theater Polnisch reden hörte; er war in Frankreich undDeutschland und sah überall nur das Lächerliche: damit erschöpft sich sein Sinn für das Komische.Ja – seine Komödien sind im Grunde genommen nichts anderes als Frucht seiner allesbelachenden gutmütigen Lustigkeit, sind Kinder des Witzes, nicht aber Schöpfungen derPhantasie und des heißen Gefühls. Sie kamen zur rechten Zeit und hatten deshalb unerhörtenErfolg; sie waren Ausdruck der bei den Gebildeten herrschenden Denkweise, und daher gefielensie. Ohne im vollen Sinne des Wortes Kunstwerke zu sein, stehen sie trotzdem unvergleichlichhöher als alles in dieser Art bisher bei uns Geschaffene mit Ausnahme von „Verstandschafft Leiden“, von dem weiter unten die Rede sein wird. Schon dies allein beweist dieBegabung dieses Schriftstellers. Seine sonstigen Schriften haben vielleicht noch höheren Wert,doch auch in ihnen ist er zwar ein kluger Beobachter und witziger Schriftsteller, aber keinKünstler. Sie zeichnen sich durch ihren spöttischen und scherzhaften Charakter aus. Außer daßsie echte Begabung anzeigen, sind sie auch durch den Stil bemerkenswert, der dem Karamsinssehr nahe kommt; besonderen Wert verleiht ihnen aber der Umstand, daß sie viele markanteZüge des Geistes jener interessanten Zeit eingefangen haben.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!