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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 249Volkes sich durch Entlehnung bei einem andern vollzieht, vollzieht er sich dennoch national.Anders gibt es keinen Fortschritt. Wenn ein Volk dem Druck ihm fremder Ideen und Gebräuchenachgibt, ohne selbst die Kraft zu haben, sie mit Hilfe des eigenen Nationalgeistes ineigenes Wesen zu verarbeiten – dann geht es politisch zugrunde. Es gibt viele Menschen aufder Erde, die als „hohl“ bezeichnet werden: sie sind klug durch fremde Klugheit, haben übernichts ihre eigene Meinung, lernen dabei aber ständig und sind auf dem laufenden über allesin der Welt. Ihre Hohlheit besteht eben darin, daß sie ganz nur Aneignung sind und daß ihrGehirn den fremden Gedanken nicht verarbeitet, sondern ihn durch die Sprache genau sowiedergibt, wie es ihn aufgenommen hat. Das sind Menschen ohne Persönlichkeit, denn jepersönlicher ein Mensch ist, desto mehr ist er fähig, Fremdes in Eigenes zu verwandeln, d. h.ihm den Stempel seiner Persönlichkeit aufzudrücken. Dem Menschen ohne Persönlichkeitentspricht das Volk ohne Nationalgeist. Das wird dadurch bewiesen, daß alle Nationen, dieeine führende Rolle in der Geschichte der Menschheit gespielt haben und spielen, sich durcheinen besonders ausgeprägten Nationalgeist unterschieden haben und unterscheiden. Mandenke an die Juden, die Griechen und die Römer; man sehe sich die Franzosen, die Engländer,die Deutschen an. In unserer Zeit sind Haß und Antipathie zwischen den Völkern völligverloschen. Kein Franzose haßt nunmehr einen Engländer nur deshalb, weil er Engländer ist,und umgekehrt. Im Gegenteil, von Tag zu Tag lassen die Völker in unserer Zeit mehr undmehr Sympathie und Liebe füreinander erkennen. Diese tröstliche, humane Erscheinung istdas Resultat der Aufklärung. Daraus folgt jedoch durchaus nicht, daß die Aufklärung denVolksgeist nivelliert und alle Völker einander wie ein Ei dem andern ähnlich macht. Im Gegenteil,unsere Zeit ist vorwiegend eine Zeit der starken Entwicklung des Nationalgeistes.Der Franzose will Franzose sein und verlangt von dem Deutschen, daß dieser ein Deutschersei, und interessiert sich nur unter dieser Voraussetzung für ihn. In genau den gleichen Beziehun-[421]genstehen heute alle europäischen Völker zueinander. Dabei machen sie schonungslosbeieinander Anleihen, ohne im geringsten zu fürchten, an ihrem NationalgeistSchaden zu nehmen. Die Geschichte lehrt, daß derartige Befürchtungen nur bei moralischohnmächtigen und nichtigen Völkern wirklich gelten können. Das alte Hellas war der Erbeder ganzen ihm vorausgehenden Alten Welt. Es nahm außer dem ursprünglichen pelasgischen* Element auch ägyptische und phönizische Elemente in sich auf. Die Römer nahmensozusagen die ganze Alte Welt in sich auf und blieben dennoch Römer. Und wenn sieschließlich zu Fall kamen, so nicht infolge der Entlehnungen von außen, sondern deshalb,weil sie die letzten Repräsentanten der Alten Welt waren, die ihr Leben erschöpft hatte undsich durch das Christentum und die teutonischen Barbaren erneuern sollte. Die französischeLiteratur imitierte lange Zeit sklavisch die griechische und die lateinische Literatur, plündertesie naiv durch ihre Entlehnungen und blieb dennoch national französisch. Die ganze negierendeTendenz der französischen Literatur des 18. Jahrhunderts hatte ihren Ursprung in England;aber die Franzosen vermochten sie sich so geschickt anzueignen und ihr dabei denStempel ihres Nationalgeistes aufzuprägen, daß niemand auf den Gedanken kommt, ihrerLiteratur die Ehre urwüchsiger Entwicklung abzusprechen. Die deutsche Philosophie gingvon dem Franzosen Descartes aus, ohne deswegen im geringsten französisch zu werden.Die Aufteilung des Volkes in eine Mehrheit und eine Minderheit, die einander angeblichfeindlich gegenüberstehen, ist vielleicht logisch berechtigt, aber im Licht des gesunden Menschenverstandesentschieden falsch. Die Minderheit bringt stets im guten oder im schlechtenSinn die Mehrheit zum Ausdruck. Noch sonderbarer ist es, der Mehrheit eines Volkes nurschlechte Eigenschaften, der Minderheit dagegen einzig gute Eigenschaften zuzuschreiben.Schön stände die französische Nation da, wenn man sie nach dem sittenlosen Adel der ZeitenLudwigs XV. beurteilen wollte! Dieses Beispiel weist darauf hin, daß die Minderheit eher die* Bezeichnung für prähistorische nicht-griechischsprachige Gruppen auf der südlichen Balkanhalbinsel.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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